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Zeit für Dialoge im Kita-Alltag
Prof. Dr. Frauke Hildebrandt, Potsdam, 12.3.2014
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Der Lampenstrahl der Erwachsenen
Die Rundumleuchte der Kinder
Bildungsverständnis
Wie lernen Kinder? (nach A. Gopnik)
.
Lernen ist Theoriebildung. (Gopnik, Meltzoff 1997)
Kinder müssen
Kommunizieren Beobachten Intervenieren
Bildungsverständnis
Wie lernen Kinder?
.≈
Forschungsbefunde
zur Kommunikation mit Kindern in Familien
Durchschnittliche Dialog-Zeit pro Tag für ein Kind in Deutschland:
(Hüther 2011)
Qualität und Quantität des elterlichen Sprachangebots beeinflusst den
Wortschatzerwerb des Kindes. (u.a. Snow 1995)
8 Minuten
Kinder von Müttern, die mehr über das „Wie?“ und „Warum?“ sprechen, als nur
über das „Wo?“ und „Was?“ haben einen größeren Wortschatz und können besser
Geschichten erzählen.
(Nelson 1996)
Deutschland nimmt weltweit den letzten Platz ein bei „just for talking“-
Gesprächen mit Kindern in der Familie (UNICEF 2010 Report Card 7)
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Forschungsbefunde
zur Kommunikation mit Kindern in Kitas
Direkte Anweisung und Informationsvermittlung sind im
Kita-Alltag die Regelmodelle der „Interaktion“ mit Kindern.
(Göncü, Weber 2000, Tietze et al. 1998, Neubauer 1980)
In 90% der Zeit initiieren Erzieherinnen keinerlei dialogische
Interaktion mit dem Kind. In den verbleibenden 10% der Zeit
besteht die dialogische Interaktion im Wesentlichen aus Begrüßungen,
kurzen Fragen und kurzen Antworten.
(Meade, Cubey 1995)
Early Childhood Error: Phasen nicht-dialogischer Kommunikation
(direkte Anweisung, Informationsvermittlung) wechseln mit Phasen ohne Kommunikation.
(nach Kontos 1999)
Die Interaktionsqualität in Kitas ist unzureichend.
(Tietze et al. 1998, Brandt/Wolf 1985, Pianta 1994)
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Forschungsbefunde zur Kommunikation in
Kitas -EPPE
Kognitiv anregende Interaktion
(Sustained Shared Thinking)
ist ein besonders effektives
didaktisches Handlungsmuster zur
Unterstützung der kognitiven
Entwicklung der Kinder und
Schlüsselvariable für Kita-Qualität.
(Sylva, Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchford, Taggart,
Elliot 2004: Effective Provision of Pre-School Education
Project (EPPE) – Sustained Shared Thinking)
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Fragen der Kinder
Was machst du da? Warum
ist der Himmel blau?
Wozu ist das? Was ist Luft? Wie geht das? Wo gehst
du hin? Warum ist Wasser
nass? Was ist das? Wieso
machst du das? Warum muss
ich schlafen gehen? Woher kommt
das Geld? Wer ist das?
Durch Fragen zeigen Kinder deutlich, was sie gerade beschäftigt – kognitives
Ungleichgewicht (Chouinard 2007)
- Fragen sind relevant für kognitive Entwicklung
- Kinder haben ein Erkenntnis- und Diskursinteresse
- Konzeptwandel: Kinder setzen Fragen gezielt ein
Bis zum Alter von 3 Jahren sind es vor allem Was? Wo? Wer? - Fragen
Ab dem 3. Lebensjahr kommen die Warum-Fragen.
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Umgang mit den Fragen der Kinder
„Warum fliegt der Käfer nicht weg?“
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Vermutung des Kindes
3. Frage zurückgeben
2. Eigene Vermutung
aufstellen
Frage des Kindes
Kind: Ich glaube, weil der krank ist.
Und was meinst du?
Also ich würde denken, weil der vielleicht noch zu jung ist.
Mhm. Das ist eine gute Frage.
Kind: Warum fliegt der Käfer nicht weg?
Umgang mit den Fragen der Kinder
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1. Frage würdigen
Umgang mit den Fragen der Kinder
Das habe ich mich auch schon gefragt.
Ja, wirklich!
Gute Frage!
Stimmt! Ja, warum eigentlich nicht?
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1. Kinderfrage würdigen
Ich würde sagen,... sein Flügel sieht ein wenig zerdrückt aus.
Ich denke,... der will erst einmal deine Hand erkunden.
Also ich könnte mir vorstellen, dass... er vielleicht müde ist.
Ich glaube, dass... es ihm auf deiner warmen Hand gut gefällt.
Ich habe mal gehört/gelesen, dass... Mistkäfer keine guten Flieger sind.
Ich vermute, dass... er vor Schreck ganz erstarrt ist.
Umgang mit den Fragen der Kinder
2. Eigene Vermutung aufstellen
.
Und was denkst du?
Was vermutest du denn?
Und was meinst du?
Was glaubst du?
Umgang mit den Fragen der Kinder
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3. Frage zurückgeben
Übung
Umgang mit Kinderfragen und -aussagen
Warum liegt der Ball auf dem Tisch?
Warum haben Fische keine Beine?
Das Eichhörnchen versteckt sich.
Warum schält Anne Äpfel?
Der Traktor ist laut!
Warum hängt hier ein Bild?
Warum haben Menschen kein Fell?
2. Eigene Vermutung aufstellen
1. Kinderfrage / Aussage würdigen
3. Frage zurückgeben
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Basis für Dialoge
- Triangulation - 9-Monatsrevolution
- Wollen Ziel gemeinsam verfolgen
- Sind sich gleicher/unterschiedlicher
Intentionen bewusst (18 Monate)
- Kein deklaratives Zeigen
„Joint attention“ ist die Grundlage der menschlichen Kommunikation.
Forschungen des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig (Michael Tomasello 2010)
- Keine Versuche, die Aufmerksamkeit
anderer zu steuern, um gemeinsames
Handeln zu koordinieren
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Basis für Dialoge –
Gemeinsame Aufmerksamkeit (Tomasello 2006)
Prüfen der Aufmerksamkeit
(9-12 Monate)
Verfolgen der Aufmerksamkeit
(11-14 Monate)
Lenken der Aufmerksamkeit
(13-15 Monate)
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Basis für Dialoge –
Die Fragen, Interessen der Kinder Triangulation – Gemeinsamer Hintergrund
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Grundregeln im Dialog mit Kindern
Fragen / Gespräche
Gleiche Augenhöhe
Interessen des Kindes aufnehmen
Offene Fragen stellen
Verständnis spiegeln
Zeit lassen
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Worüber sprechen wir ?
Wir fragen uns, warum Dinge so sind, wie sie sind.
Wie spekulieren, wie es wäre, wenn es anders wäre.
Wir werten den Tag aus und berichten, wie es uns ergangen ist.
Wir beschreiben, was wir erlebt haben und wie wir uns gefühlt haben.
Wir organisieren die alltäglichen Abläufe und besprechen, wer was zu tun hat.
explikativer Dialog
normativer und
deskriptiver Dialog
organisatorischer Dialog
Auswirkung
auf Planungen,
Beschreibungen
und Bewertungen
(nach Schnädelbach 1977)
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Dialoge im Alltag initiieren
Forschen und Spekulieren
Forschen
nach Ursachen, Gründen,
Zwecken und Motiven
Was denkst du, warum ... ? Was wäre, wenn…
Stell dir mal vor…
Spekulieren
wie etwas wäre,
wenn es anders wäre
.
Dialoge initiieren
beim Essen
Wie würden wir eigentlich ohne Hände essen können?
Warum setzen sich eigentlich Tiere nicht zum Essen an einen Tisch?
Was wäre, wenn Brot flüssig wäre?
Stell dir mal vor, Wasser wäre schwarz.
Warum legen Kühe eigentlich keine Eier?
Stell dir mal vor, die Spaghetti wäre unendlich lang...
FORSCHEN Was denkst du…
SPEKULIEREN
Stell dir mal vor, alles würde gleich schmecken.
Warum sind Tomaten eigentlich rot?
Warum schmeckt Süßes und Saures eigentlich unterschiedlich?
Warum heißt es eigentlich SPIEGEL-Ei?
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Dialoge initiieren
beim Anziehen
Was wäre eigentlich, wenn dein Reißverschluss gar kein Ende hätte?
Warum kommt durch den Gummistiefel eigentlich kein Wasser?
Was wäre, wenn die Anziehsachen durchsichtig wären?
Stell dir mal vor, Schuhe wären aus Papier...
Wieso müssen sich Tiere eigentlich nicht anziehen?
Stell dir mal vor, die Anziehsachen könnten sprechen...
FORSCHEN Was denkst du…
SPEKULIEREN
Was wäre eigentlich, wenn die Schnürsenkel Würmer wären?
Warum gibt es eigentlich 2 Hände und 2 Füße, aber
nur einen Kopf?
Wieso müssen wir uns eigentlich andauernd anziehen?
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Übung
Umgang mit Kinderfragen
2. Eigene Vermutung aufstellen
1. Kinderfrage würdigen
3. Frage zurückgeben
„Warum gibt es keine Saurier mehr?“
Gute Frage! Das fragen sich auch viele Wissenschaftler.
Also ich habe mal gelesen, dass ein riesiger Meteorit
eingeschlagen ist...
Und was ist deine Vermutung?
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Übung
Umgang mit Kinderfragen
2. Eigene Vermutung aufstellen
1. Kinderfrage würdigen
3. Frage zurückgeben
„Warum liegt der Stuhl auf der Erde?“
Gute Frage! Das frage ich mich auch.
Vielleicht ist die Terrassentür vom Wind aufgestoßen
worden und hat ihn umgestoßen.
Und was meinst du?
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Übung
Umgang mit Kinderfragen
2. Eigene Vermutung aufstellen
1. Kinderfrage würdigen
3. Frage zurückgeben
„Warum haben Menschen eigentlich keinen Schnabel?“
Gute Frage. Das habe ich mich ja noch nie gefragt!
Ich könnte mir vorstellen, weil Säugetiere einen weichen
Mund zum Saugen brauchen.
Und was meinst du?
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Dialoge bei der
Buchbetrachtung
FORSCHEN
Was denkst du, warum der Hase so zu dem
Schmetterling schaut?
Könnte ja sein, dass er noch nie einen
Schmetterling gesehen hat.
Könnte ja sein, dass er ein wenig Angst hat.
SPEKULIEREN
Was wäre, wenn sich der Schmetterling dem Hasen
auf die Nase setzen würde?
Könnte ja sein, dass der dann ganz doll niesen
müsste.
Könnte ja sein, dass er dann weghoppeln würde.
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FORSCHEN
Was denkst du, warum das Mädchen so fröhlich
schaut?
Könnte ja sein, dass sie das Laufrad gerade zum
Geburtstag bekommen hat.
Könnte ja sein, dass sie sich freut, dass sie so
schnell fährt.
Dialoge bei der
Buchbetrachtung
Was wäre eigentlich, wenn die Katze jetzt genau
auf ihrem Lenker landen würde?
Könnte ja sein, dass sie dann vor Schreck
den Lenker loslässt und umfällt.
Könnte ja sein, dass sie mit dem Mädchen
mitfährt.
SPEKULIEREN
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Tipps, mit Kindern ins Gespräch zu kommen:
J. Burningham:
„Was ist dir lieber...“
Sauerländer Verlag
A. Damm:
„Frag mich!“
Moritz-Verlag
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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Anregungen für
Forscher- und Spekulierfragen
in 5 typischen Alltags-Situationen
www.hosentaschen-dialoge.de