worte der erinnerung an emil kraepelin

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Worte der Erinnerung an Emil Kraepelin 1). Von F. Plaut. (Ei~,gegangen am 8. Februar 1927.) Meine Damen und Herren! In dieser Stunde, die dem Gedenken an Emil Kraepelin geweiht ist, wurde mir die Aufgabe, fiber die PersSn- liehkeit des Meisters zu spreehen. Fiir einen Fernstehenden w~re diese Aufgabe leicht -- denn was liege sich nicht alles zu Kraepelins Ruhm und Preis sagen ! Der Redner wiirde nicht zu viel sagen, wenn er Kraepe- lin als die grSl3te PersSnlichkeit feierte, die die Geschiehte der Psy- chiatrie aufzuweisen hat. Er wfirde dartun, wie es erst seit Kraepelin eine klinische Psyehiatrie im streng wissenschaftlichen Sinne gibt, wie Kraepelin in die ehaotischen Zust~nde, die er vorfand, Licht und Klarheit brachte, wie es seiner ordnenden Hand gelang, aus der schier unfibersehbaren Fiille der SeelenstSrungen die groi3en Formen heraus- zusetzen, sozusagen System in den Wahnsinn zu bringen; wie dann die Kraepelinsche Lehre tiberall eindrang, sich die Welt eroberte, nnd in allen Landern und Erdteilen diese Lehre herrsehte, wie Kraepelin yon der internationalen Wissenschaft als der Vater der modernen Psychiatrie verehrt wurde, als ihre h6chste Autoritgt galt und wie er so ein Mehrer des Ansehens deutscher Wissenschaft wurde, dem Wenige an die Seite zu stellen sind. Der Redner wfirde die Voraus- setzungslosigkeit seiner Forschungsweise hervorzuheben haben, die be- wundernswerte Besonderheit, die Erkenntnis immer weiter vorw~rts zu treiben, sich nie zu scheuen, seine Lehren immer wieder umzubilden und mit grSl~ter Ehrlichkeit auf seine eigenen Irrtfimer immer wieder hin- zuweisen, damit aueh andere aus diesen lernen sollten. Stellte schon die rein klinische Arbeit ein fast iibermenschliches Lebenswerk dar, so wfirde der Redner betonen, wie viel Bedeutsames darfiber hinaus Kraepelin geschaffen hat, da[l er die Grundlagen ffir die experimentelle Psychologie, die sein eigentliches Lieblingsgebiet war, gegeben und damit der modernen Arbeitspsyehologie die Wege gewiesen hat. Und der Redner wfirde noben vielem anderen welter anffihren, mit weleher Kraft und Selbstverleugnung Kraepelin den 1) Gesprochen in der 5ffentliehen Sitzung der Deutschen Forschungsanstalt fiir Psychiatrie (Kaiser Wilhelm-Institut) in Miinehen am 5. I[. 1927. z. f. d. g. Neut. u. Psych. 10S. 1

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Worte der Erinnerung an Emil Kraepelin 1). Von

F. Plaut.

(Ei~,gegangen am 8. Februar 1927.)

Meine Damen und Herren! In dieser Stunde, die dem Gedenken an Emil Kraepelin geweiht ist, wurde mir die Aufgabe, fiber die PersSn- liehkeit des Meisters zu spreehen. Fiir einen Fernstehenden w~re diese Aufgabe leicht - - denn was liege sich nicht alles zu Kraepelins Ruhm und Preis sagen ! Der Redner wiirde nicht zu viel sagen, wenn er Kraepe- lin als die grSl3te PersSnlichkeit feierte, die die Geschiehte der Psy- chiatrie aufzuweisen hat. Er wfirde dartun, wie es erst seit Kraepelin eine klinische Psyehiatrie im streng wissenschaftlichen Sinne gibt, wie Kraepelin in die ehaotischen Zust~nde, die er vorfand, Licht und Klarheit brachte, wie es seiner ordnenden Hand gelang, aus der schier unfibersehbaren Fiille der SeelenstSrungen die groi3en Formen heraus- zusetzen, sozusagen System in den Wahnsinn zu bringen; wie dann die Kraepelinsche Lehre tiberall eindrang, sich die Welt eroberte, nnd in allen Landern und Erdteilen diese Lehre herrsehte, wie Kraepelin yon der internationalen Wissenschaft als der Vater der modernen Psychiatrie verehrt wurde, als ihre h6chste Autoritgt galt und wie er so ein Mehrer des Ansehens deutscher Wissenschaft wurde, dem Wenige an die Seite zu stellen sind. Der Redner wfirde die Voraus- setzungslosigkeit seiner Forschungsweise hervorzuheben haben, die be- wundernswerte Besonderheit, die Erkenntnis immer weiter vorw~rts zu treiben, sich nie zu scheuen, seine Lehren immer wieder umzubilden und mit grSl~ter Ehrlichkeit auf seine eigenen Irrtf imer immer wieder hin- zuweisen, damit aueh andere aus diesen lernen sollten.

Stellte schon die rein klinische Arbeit ein fast iibermenschliches Lebenswerk dar, so wfirde der Redner betonen, wie viel Bedeutsames darfiber hinaus Kraepelin geschaffen hat, da[l er die Grundlagen ffir die experimentelle Psychologie, die sein eigentliches Lieblingsgebiet war, gegeben und damit der modernen Arbeitspsyehologie die Wege gewiesen hat. Und der Redner wfirde noben vielem anderen welter anffihren, mit weleher Kraf t und Selbstverleugnung Kraepelin den

1) Gesprochen in der 5ffentl iehen Si tzung der Deutschen Forschungsans ta l t fiir Psychia t r ie (Kaiser Wi lhe lm-Ins t i tu t ) in Miinehen am 5. I[ . 1927.

z. f. d. g. Neut. u. Psych. 10S. 1

2 F. Plaut:

Kampf gegen alle Sch~iden aufnahm, die die geistige Gesundheit der Menschheit bedrohen, den Kampf gegen die GenuBgifte, den Kampf gegen eine unpsychologische Padagogik und eine unpsychologische Straffechtspflege; wie sein soziales Gewissen ihn fiberall auf den Plan rief, wo Unvernunft und Unrecht sich hervorwagten, wie er so nicht nur den J~rzten, sondern dem ganzen Volk zu einem wahrhaften F/ihrer und Erzieher wurde, und wie er die Fackel der Erkenntnis voran trug, nur um das Dunkel zu erhellen, nie um selbst zu leuchten.

So wfirde der Redner kaum ein Ende finden und die Gedenkrede wfirde den Charakter einer Hymne annehmen mfissen, dem Redner wfirden Inhalte und Ausdrucksformen der grol~en Rhetorik fSrmlich zustr6men. Mit alledem wfirde der Redner dem groBen Mann nur Ge- rechtigkeit widerfahren lassen, aber er wfirde ibm nicht zu Dank han- deln. Und wenn nun gar ein Nahestehender ein so hohes Lied anstlmmen, Weihrauch und Lorbeer spenden wollte, so wfirde er die Piet~t ver- letzen, denn er wfirde gerade das tun, was Kraepelin am allerwenig- sten wollte. Kraepelin wollte Zeit seines Lebens nicht, dab Aufhebens yon seiner Person gemacht wfirde, dab man ihn feiere. Er war so der Sache hingegeben, dab das Pers6nliche ganz darin verschwinden sollte. Allen festlichen Anl~ssen, die ihn mit Lobpreisungen bedrohten, ging er aus dem Wege, und er empfand, wie er mir einmal sagte, f6rmlich einen Schauder bei der Vorstellung, dab nach seinem Tode, wenn er sich nicht mehr wehren k6nne, er sich so etwas bieten lassen mfisse. Er haBte, dab Worte fiber ihn gemacht wurden. Er haBte die senti- mentalen Worte und noch mehr die groBen Worte, wie sie nur ein ganz Grol]er zu verabscheuen vermag. Und vollends nach seinem Tode wollte er ganz in seinem Werke untergehen -- um mit dem Dichter zu sagen: unsichtbar darin weben wie Gott in der Natur.

Soll nun ein Nahestehender fiber die Pers6nlichkeit Kraepelins anderen etwas vermitteln, so wird er es nur so tun dfirfen, dab er ganz schlicht fiber die Wesensart Kraepelins dies oder jenes, was ihm be- deutsam erscheint, hervorhebt -- ohne zu werten, nur um zu erkl~tren, nur in der Absicht, Kraepelin als Menschen etwas verst~ndlich zu machen.

Was wohl am st~rksten yon den Eigenschaften Kraepelins her- vortrat und jedem, der ihn auch nur einmal gesehen und gehSrt hatte, zu BewuBtsein kam, war die gewaltige Willensspannung, die ihn er- ffillte. Sie war etwas ganz Elementares und gab sich in Ausdruck, t ta l tung und in jeder Bewegung kund. Der Wille Kraepelins war frfih entwickelt. Nicht ohne ein~ges Zaudern hatte er sich schon als Student ffir die Psychiatrie entschieden, aber sobald einmal der EntschluB gefaBt war, wurde er mit z~her Energie durchgeffihrt. Er erkl~rte, mit 30 Jahren Professor der Psychiatrie sein zu wollen, und erreichte

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sein Ziel trotz der grSl~ten Widerstgnde, und obwohl ihm niemand half, weft er sich von niemandem helfen lassen wollte. Kraepelin wul~te immer, was er wolltc, und verfolgte seine Ziele mit einer aul~erordent- lichen Hartn~ckigkeit . Diese Bestimmtheit und geradezu nachtwand- lerische Sicherheit, mit d e r e r seinen Weg ging, unbek/immert um das Urteil der Welt, war etwas ganz Merkwiirdiges, wohl die charakte- ristischste Eigenschaft seiner Pers6nlichkeit. Es war wie ein Getrieben- sein, dem er sich oft gar nicht h~tte entziehen k6nnen. Kraepelin selbst war das Besondere dieses seelischen Zustandes wohl bewu0t. Seine eigenen Worte dar~iber lauten: ,,Ich habe oft das Gefiihl, als handle ich gar nicht aus eigenem Antrieb, sondern unwillkiirlich, als fiige sich EntschluI3 an Entschlul3, Handlung an Handlung ganz ohne mcin Zutun, und so geht es fort, bis unverschens das Ziel erreicht ist.

Diese Willenkraft vermochte nun Kraepelin aul3erordentlich fein zu regulieren. Er ging bei der Verfolgung seincr Ziele nie mit blinder Gewalt vor, sondern der Wille wurde zu einem folgsamen Ins t rument seiner hohen Klugheit. Er konnte jederzeit den Lauf m~l~igen oder ganz einhalten, um den richtigen Augenblick abzuwarten, wo die weitere u des Ziclcs aussichtsreich erschien. Das Ziel selbst verlor er nie aus den Augen, solange es auch oft dauerte, bis er die F~hrte wieder aufnahm.

So war Kraepelin ein guter Haushalter der ihm verliehenen Willens- kraft . Er verschwendete auch nicht, um seine Kraf t zu zeigen, f/ihrte fast nie pers6nliche Polemiken. Wenn sich aber ein sachlicher, ilber- windbarcr Widerstand erhob, der sich ihm auf seiner Bahn entgegen- stellte, so nahm er den Kampf mit der grSI~ten Energie auf, und es war immer sehr reizvoll, zu beobachten, wie seine Kr~ifte dureh den Widerstand wuchsen, wie dann eine geradezu freudige Kampfeslust erwachte. Aber auch dann blieb er noch beherrscht und mal3voll, vor- sichtig und abw~igend in dcr Wahl sciner Mittel, in der Behandlung der Menschen und der Dinge.

Die eiserne Selbstzueht, die Kraepelin sich aufgezwungen hatte, die gegen sich selbst gcrichtete Willenskraft, verhindcrte Entladungen. Er war gewil] ein Autokrat, dcr in seinem Bereich seinen Willen durch- setzte, aber er t a t das, ohne zu verletzen, ohne zu qu~len, meist ge- radczu behutsam. Auf das Herrschen und Unterjochen kam es ihm nicht an. Das ffihlte jeder, der mit ihm in Beziehung trat . Das t r a t besonders deutlich im Verhaltnis zu seinen Mitarbcitern zutage. Er war selbst ein freier Mensch und liebte es, sich mit freicn Menschen zu umgeben, machte sich nichts aus servilen Naturen. Er zog es vor, zu ~iberzeugen, als zu zwingen, und seine Mitarbeiter folgten ihm um so williger, als jeder wuBte, es handelte sich nie um eine leere, pers6nliche Kraftprobe, sondern um den Dienst an der Sache. - -

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,~ F. Plaut :

Die Sache, um die es Kraepelln ging, war die psychiatrische Arbeit, und in diese Arbeit hat er sich eingesponnen, so da~ er allm~hlich fast vSllig yon ihr aufgesogen wurde.

Es war nun keineswegs etwas Allt~igliches, wie Kraepelin seine Arbeit tat. Er war nicht nur sin psychiatrischer Baumeister, er war ebensowohl ein psychiatrischer Handwerker. Er trug mfihsam das ganze Material, das er ffir seine Bauten brauchte, selbst zusammen. Er konnte gar nicht genug F~lle untersuchen, ihre Entwicklung, ihren Verlauf, ihren Ausgang verfolgen; er war immer damit besch~ftigt, die Krankengeschichten der Tausenden und Abertausenden yon Kranken, die durch seine H~nde gegangen waren, durchzuarbeiten, allen Einzelheiten nachzugehen, das Gefundene immer wieder zu gruppieren und mnzugruppieren. Dabei liel~ er sich sehr wenig helfen, wollte alles selbst machen, damit ihm ja niGhts entginge. In der Art und mit dem Fanatismus, wie er psychiatrischen Dingen nachspfirte, war er wie ein Sammler, etwa wie ein Sammler yon seltenen Bfichern oder Kunstgegenst~nden. Und ganz wie ein Sammler empfand er immer wieder die echte Entdeckerfreude, wenn er etwas, das er noch nicht kannte, herausgefunden hatte. Kraepelin war ein Sammler yon psychiatrischen Tatsachen, und er brachte, unermfidlich wie er war, die gr6Bte psyehiatrische Materials~mmlung zus~mmen, die je ein Einzelner gesehaffen hatte. Ganz unversehens wurde diese Material- sammlung zum Fundament der modernen Psychiatrie. Auf diesem selbst geschaffenen Fundament stehend, erkannte er die Zusammen- h~nge, erblickte er die groBen psychiatrischen Krankheitsformen. Er geh6rte nicht zu denen, die Orientierungsritte durch die Gefilde der Wissensehaften machen, d~nn ihrem Pferde die Fl~igel ~nheften und sigh auf diesem beflfigelten Pferde der Intui t ion oder der Phantasie emporschwingen auf die hohe Warte, um das Reich zu erblicken. Kraepelin wuBte, dab das reiche Bild, das yon dem intuitiv gewonne- nen Standpunkte aus dem geistigen Auge erseheint, meist der Reali- tg t gebricht, und darum fesselte es ihn nicht, denn er hatte nun ein- real die Marotte, daf~ er es nut mit den Tatsaehen zu tun haben wollte.

Er hgtte aueh anders gekonnt. Er war ungemein reich an Ein- fgllen, und wenn er seiner Phantasie einmal die Zfigel schieBen lassen wollte, trieb sie bunte Blfiten genug; aber Kraepelin wuBte, dab ffir die Psychiatrie, die ja so besonders leicht zu Eskapaden verlockt, weil sie morphologiseh und physiologisch so wenig definiert ist, nur die geb~ndigte Phantasie, die vorsichtig auf Tatsachen sich vorw~rts tastende Vermutung Frfichte bringen kann.

DaB Kraepelin trotz aller Kleinarbeit ein sch6pferischer Geist war, dem es gerade auf den Oberblick fiber die ganze Tatsachenwelt ankam, wird wohl niemand zu bestreiten vermOgen. Subjektiv seheint

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Kraepelin das seltsam erregende Gefiihl der Inspiration, der plf tz- lichen Erleuchtung, vor allem bei der Durcharbeitung psychologiseher Versuchszahlen, erlebt zu haben. Er schilderte das mit folgenden Worten: ,,Mir schien bisweilen, als habe ich eine gewisse natiirliche, fiber die verstandesmSBigc lJberlegung hinausgehcndc F~thigkeit, die in den Zahlenreihen verborgenen Einfliisse zu erkennen und zu deuten."

Kraepelir~ sch~tzte seine experimentell psychologischen Arbeiten hoch ein, wohl hfher als seine psychiatrischen. Ich erinnere mich, dab einmal davon gesprochen wurde, Kraepelin solle fiir den Nobel- preis vorgeschlagen werden. Worauf Kraepelin sagte: ,,Wenn man mir den Nobelpreis geben will, so ist kS meine psychologische Arbeits- kurve, fiir die man mir ihn zuerkennen k fnn te . "

Da Kraepelin sich so ganz dcr Arbeit verschrieben hatte, blieb ihm wenig Zeit fiir den auBerberuflichen Umgang mit Menschen. E r war das Gegenteil yon dem, was man einen Gcsellschaftsmenschen nennt. Er befand sich sogar immer in einer Art von Abwehrstellung gegeniiber Menschen, die ihm seine Zeit stehlen wollten. Er konnte dann recht ablehnend sein und hatte nicht die F~higkeit, sich glat t nnd verbindlich in Sicherheit zu bringen. Er hat te im Verkehr eine etwas herbe Art, die er oft absichtlich als Schutzmal3regel noch iiber- trieb. Aber es war wohl nicht nur der Zeitmangel, der ihn ungesellig machte. Er empfand nicht so recht das Bediirfnis naeh intimen mensch- lichen Beziehungen mit anderen. Int ime Freundschaften hat er wenig gepflegt. ])as, was ihn im Innersten bewegte, auszusprechen, konnte er sich nicht entschlieBen, und ebensowenig legte er Wert darauf, Herzensergiisse anderer fiber sich ergehen zu lassen. Er war immer wie yon einer kiihlen Luftschicht umgeben und wachte eifrig iiber dieser selbst gewollten Isolierung. Er gab I~at und Hilfe, wenn man ihn darum ersnchte, aber er dr:~mgte sieh nicht dazu. Er stand auf dem Standpunkt , jeder miisse sich mit seinem Lebenssehicksal selbst abzufinden suchen, ohne andere zu behelligen odor yon ihnen be- helligt zu werden. Wenn jedoch in einem Menschen ein hfheres Prinzip verletzt wurde, wenn jemandem wirklieh Unrecht geschah, t ra t er nngerufen und mit grfl3ter Energie fiir ihn in dig Schranken.

ttierfiir ein Beispiel: Aus dem Znehthaus wurde t in Mann zur Beobaehtung auf seinen Geisteszustand der Klinik tiberwiesen, der wegen Totsehlags zu 7 Jahren Zuehthaus verurteilt women war. Es hat te sieh um eine niichtliche Ilauferei anf der Landstrage unter :Bauern zweier verfeindeter DSrfer naeh einem Trinkgelage gehandelt. Ein Teilnehmer war erstoehen liegen geblieben. Das Sehwurgerieht ver- handelte gegen 2 Verdgehtige; einer wurde freigesprochen, der andere, nnser Mann, zu 7 Jahren Zuchthans verurteilt. 2 Jahre seiner Strafe

6 F. Plaut :

hat te er bereits verbii•t. Er bestri t t seine Schuld und querulierte, machte Eingaben fiber Eingaben, in denen er seine Unschuld beteuerte. Solche Querulanten linden sich hi~ufig in den Strafanstalten; zum Teil sind es Psychopathen, die durch ihre Machenschaften ihre Lage ver- bessern wollen, zum Teil sind es 'wirkliche Geisteskranke, die an dem Wahn leiden, unschuldig zu sein. Kraepelin erkannte bald, da[~ dieser Mann kein Querulant, sondern wirklich unschuldig war. Nachdem er aber nun einmal rechtskraftig vom Schwurgericht verurteilt, der wirk- liche Tater freigesprochen worden war und neues Beweismaterial nicht beigebracht werden konnte, bestand strafprozessual zunachst keine MSglichkeit, den armen Menschen frei zu bringen. Kraepelin machte nun die Sache dieses Unschuldigen zu der seinigen, setzte alle Hebel in Bewegung und ruhte nicht, bis er es trotz der grSl~ten Schwierigkeiten erreichte, dab der Mann wenigstens vorlaufig be- gnadigt wurde. Spater wurde er dann auch im Wiederaufnahmever- fahren freigesprochen.

So ta t Kraepelin seine Pflicht an den Menschen, aber fiir Volks- tfimlichkeit, fiir das, was man Beliebtsein nennt, ffir die Eroberung der Herzen kat te er keinen Sinn. Es lag ihm auch im Grunde sehr wenig daran, wie man fiber ihn dachte; Lob und Tadel liei~en ihn in gleicher Weise kalt. Alles, was er an gefiihlsma[~iger Bindung brauchte, fand er in seinem iiberaus innigen Familienleben.

Ffir die Herrlichkeiten der Welt braehte Kraepelin ein offenes Gemiit mit. Er hat te in friiheren Jahren Freude an Musik und an den bildenden Kiinsten, aber das wurde bald yon der Berufsarbeit erstickt. Man hat te meinen kSnnen, dal~ er, der selbst ein solcher Meister der Sprache war, sich s tark mit literarischen Kunstwerken befaBt habe. Aber aueh daffir opferte er nur wenig Zeit. Schiller stand seinem tterzen am nachsten und unter Schillers Werken der Wallenstein. Auch den Dichter seiner Heimat, Fritz Reuter, liebte er sehr, u n d e r war ein vorziiglicher Reuter-Vorleser. Aber er hatte, obwohl er wenig schOne Literatur las, doch ein sehr feines Verstandnis fiir alles Lite- rarische. Er spfirte sofort die Qualitat heraus, auch wenn es sich um einen Autor handelte, dessen Art ihm fremd war. So kam er einmal an Maupassant, und die Kunst dieses Franzosen fesselte ihn so, dal~ er auf einer Reise yon New York nach San Franzisco nur Maupassant las. Auch fiir das Theater hat te er viel Interesse. Aber alle diese Lieb- habereien liel~ er mit dem Alter eine immer geringere Rolle spielen. Doch bis zuletzt blieb ihm unvermindert eine leidenschaftliche Empfang- lichkeit ffir die SchOnheiten der Natur, besonders der tropischen Landschaft . Man hat te meinen sollen, dal~ seiner Art das Meer oder das Hochgebirge mehr zusagen wfirde als der weichliche Prunk der sfidlichen Zonen. Vielleicht brach aber gerade in dieser Neigung die

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tmterdrfickte und yon einem eisernen Willen niedergehaltene Sinnen- freudigkeit hervor.

Denn in Kraepelins Natur war vieles niedergehalten und vieles unterdrfickt, der Pflieht und dem Werk geopfert.

Uberblickt man Kraepelins Leben, dieses Leben einer unaufhSrliehen Erffillung von Pflichten, so kSnnte man meinen, er sei ein Pflicht- mensch aus Neigung gewesen. In Wirklichkeit war er jedoch von einem kaum beherrschbaren Freiheitsdrange erffillt, under litt schwer darunter, in einen starren Pflichtenkreis eingespannt zu sein. Seine Natur trieb ihn ursprfinglich zu einer ganz ungebundenen Lebensweise. Wenn er wirtschaftlich unabhangig gewesen ware, wiirde er ein Weltreisender geworden sein. Und die grol~en Reisen, die er 5fters unternahm, waren so eine Art von Ventil gegen die Einkerkerung in den Pfliehtenkreis. Kraepelin hatte einen schweifenden, in die Ferne drangenden Sinn, und die Erinnerung an die Erlebnisse in fremden Erdteilen verfolgte ihn, wo er auch war. Da er aber nun einmal einen Beruf wahlen mul~te, hatte er das Gliick, in der Psychiatrie sachliche Befriedigung zu finden, u n d e r schaffte sich wenigstens die Freiheit in der Verfolgung seiner wissenschaftlichen Ziele. Aber es gehSrte schon eine ganz ungewShn- liche Selbstzucht dazu, in der Arbeit Ersatz fiir alle MSglichkeiten zu finden, die in seiner reichen Natur vorgebildet waren. Vieles blieb unerffillt. Auch er hat ,,das Liebste vom Herzen weggescholten". Die Urworte Goethes habe ieh nie lesen kOnnen, ohne an Kraepelin denken Zll mfissen :

Da ist's denn wieder wie die Sterne wollten: Bedingung und Gesetz; und aller Wille Ist nur ein Wollen, well wir eben sollten, Und vor dem Willen schweigt die WiUkiir stille; Das Liebste wird vom Herzen weggescholten, Dem harten Muff bequemt sich Will und Grille. So sind wir scheinfrei denn, nach manchen Jahren Nur enger dran, als wir am Anfang waren.

Je alter und erfolgreicher Kraepelin wurde, um so gr5l~ere Freiheit gewann er im Ausbau seines wissenschaftlichen Werkes. Indem so das Werk wuchs, band es ihn jedoch immer mehr und machte ihn unfrei, liel~ ihm nur die Scheinfreiheit derer, die auf der HShe des Lebens und des Erfolges stehen.

Trotz allem wird man sagen kSnnen: Kraepelin war ein glfieklicher Mensch. Sein grol~es, erfolgreiches Schaffen gab ihm den inneren Frieden. Er sagte auch selbst von sich, er sei ein glficklicher Mensch gewesem Die beiden Hauptfeinde der Lebensfreude, Angst und Reue, hatten fiber ihn keine Macht. Sein gliickliches Naturell gestattete ihm, un- angenehme Eindriicke rasch abzureagieren, sich schnell in das Un-

8 F. Plaut :

vermeidliche zu fiigen, ent t~uschten Hoffnungen nicht ngchzuhgngen, der Lage jeweils die beste Seite abzugewinnen. Und wenn es gar zu heil~ herging, so half ihm sein gesunder Humor . So schuf er sich allerlei , ,Hi l fskonstrukt ioncn" und lebte gerne.

U n d e r ha t te gerne l~nger gelebt und noch allcs, was er sich vor- genommen hatte, zu Ende geffihrt. Vor allem wollte er seine Lieb- lingsschSpfung, die Deutsche Forschungsansta l t fiir Psychiatrie, noch in ihr neues Heim geleiten. Als er sich noch ganz riistig zu fiihlen schien, ahnte er, da~ ihm dies nicht beschieden sein werde. Vor etwa 2 Jahren blieb er einmal lange sinnend vor einer Statue des Moses -- es war in der Bibliothek des Kongresses in Washington - - stehen, und dann sagte er zu mir in tiefem Erns t : ,,Mich wird das gleiche Schicksal treffen wie Moses. Ich werde das gelobte Land yon ferne sehen und mich dann niederlegen und sterben". Und so hat te es denn wirklich das Schick- sal mi t ihm beschlossen. Wenige Wochen, bevor die Nachr icht ein- lief, dal~ der Bau der Forschungsansta l t endgtiltig gesichert sei, schloB Kraepelin die Augen. Zu dem Schicksal des Moses seheint Kraepelin schon lange zuvor geheime Beziehungcn geffihlt zu haben. Dem ha t er in schSnen Versen Ausdruck gegeben, die ich Ihnen zum Schlui~ noch vorlesen mSchte. Sie werden herausfiihlen, wie vieles von Kraepelins Art und Ausgang in diesen Versen anklingt.

1) Fahrt

Moses [MichelangdoJl). Ich bin am Ziel! die todesmatten Glieder Gehorchen welter nicht dem trotzgen Willen! An diesem Felsblock sink ich kraftlos nieder, Mag sich Jehovas Ratschluf~ bier erfiillen.

Wie welt der Blick! Von des Gebirges H~ngen Zum Horizont, wo um die scharfen, grellen I)urchglfihten Zacken uferlos sich dr~ngen Der Wfiste starre, bliiulich graue Wellen.

Im fernen West will schon die Sonne sinken. Dort sprengten wir der schnSden Knechtschaft Bande; Durch Meer und Wfiste, nach Jehovas Winken, Trieb uns die Sehnsucht zum gelobten Lande.

Vertrauend meines Willens Adlerschwingen, Schwur ieh, den Jammer meines Volks zu wenden, Durch Not uns und Gefahr hindurehzuringen Und seines Glficks VerheiBung zu vollenden.

Lang war die Irrfahrt. Unter blutgen Siegen Vollbracht' ich heiBen Herzens meine Sendung. 3N'ur einem Gegner sollt' ich unterliegen: Des eigenen Volkes Undank und Verblendung.

nach Suez. Heidelberg nm 1900.

Worte dcr Erinnerung an Emil Kraepelin. 9

Dem ktihnen Schwimmer mag ich mich vergleichen, Dem tri]gerisch die nahen Ufer winken Und, fast erreicht schon, immer weiter weichen. Erlahmend mul~ ich in der Flut versinken!

Ich sah das Land, da Milch und Honig fliel~en, Im Duft verschwimmen. Kiinftger Tage Frieden - - Als flticht'ges Traumbild durft ich ihn gcnie~en - - Ihn zu erringen, war mir nicht beschieden.

Im Tale braust des Lagcrs bunt Gettimmel, Der Sonne Purpurball ist im Vergliihn; Wenn er sich flammend hebt am Morgenhimmel, Wird ohne mich mcin Volk gen Osten ziehn.

Die Glut erlischt. Der D~mmerung Schatten breiten Um mich den dunklen Fittig weich und sacht. Ein seltsam Sehnen will das Herz mir weiten. - - Der triibc Blick verschwimmt: Es kommt die Nacht!