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WOJ 16. Jg. - 1/2010 Januar/Februar/März 2010 ISSN 0947-5273 Wendepunkte in der Geschichte 40 Jahre „Neue Ostpolitik“

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WOJ 1-2010

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WOJ 16. Jg. - 1/2010 Januar/Februar/März 2010 ISSN 0947-5273

Wendepunkte in der Geschichte40 Jahre „Neue Ostpolitik“

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Editorial

2 WOJ 1-2010

Inhalt Liebe Leserinnenund Leser, Verantwortung

aus Tradition 3

„Uhren auf Schienen“ 4

„Wir sind durch die Hölle gegangen“ 5

„Königsberger Küsse“ 5

Die Deutschen und ihre Nachbarn – Tschechien 6

Die „Neue Ostpolitik“ der Regie-rung Brandt / Scheel seit 1969 7

Georg Forster (1754-1794) – Weltreisender und Revolutionär aus Westpreußen 8

Cook und die Entdeckung der Südsee 9

„… gegen einen Geist der Enge, der Überheblichkeit, der Intoleranz“ 10

Die Vertriebenenverbände und die Neue Ostpolitik 11

Fahrt in das Preußen-Museum Wesel 11

Ernst Oldenburg 1914 - 1992 12

„Ost-West-Begegnungen in Krieg und Frieden“ 13

Karl Leo Herbert Guttmann:„Ostpreußische Impressionen“ 14

Kinemathek 15

Gerhart Hauptmann-Tage 2010 16

Gelebte Partnerschaft 17

Ausstellung: „MACHTUrlaub“ - Das Dokumentationszentrum Prora auf Rügen 18

Nordrhein-Westfalen in Oberschlesien 20

Spurensuche in St. Petersburg 22

Eine Reise nach Czernowitz 23

Der SED-Staat und die Vertriebenen 24

Bibliothek 25

Impressum 27

im letzten knappen halben Jahr, in dem sie sich an die Macht zu klammern vermochten, erreich-te das mörderische Treiben Hitlers und seiner Helfer einen letzten grausigen Höhepunkt. Während der Völkermord an den europä-ischen Juden und anderen Menschen in den Konzentrationslagern und anderwärts weiterging, versuchten die NS-Machthaber zudem, möglichst viele ihrer tatsächli-chen oder vermeintlichen Gegner zu vernichten. So ereignete sich in den ersten Monaten des Jahres 1945 eine beispiellose Gewaltorgie, die

ungezählte weitere Opfer forderte – zu einem Zeitpunkt, da nichts klarer war, als dass

der von Deutschland begonnene Krieg längst verloren war. Im Frühjahr 1945 starben infolgedessen auch zahlreiche

Männer und Frauen, deren Heimat östlich von Oder und Neiße jetzt den schrecklichsten Preis für die Untaten des NS-Regimes zu zahlen hat-te. Darunter waren nicht zuletzt Carl Friedrich Goerdeler (geboren 1884 in Schneidemühl/Posen), Dietrich Bonhoeffer (geboren 1906 in Breslau/Schle-sien) und Helmuth James von Moltke (geboren 1906 in Kreisau/Schlesien). Somit jähren sich heuer ihre Todestage zum 65. Mal – Grund genug, einmal mehr an die wichtigsten Köpfe des „anderen Deutschland“ aus dem histori-schen deutschen Osten zu erinnern. Wir beginnen gleich im Januar 2010 mit dem ersten Beitrag zu einer Vortragsreihe, die sich unter dem Titel „Profi le des Widerstandes aus dem historischen deutschen Osten“ über das ganze Jahr erstrecken wird. Sie wird von Prof. Dr. Günter Brakelmann, der über den von ihm in einer großen Studie gewürdigten Helmuth James von Moltke sprechen wird, von einem außergewöhnlich kompetenten und prominenten Referenten eröffnet (vgl. S. 10).Wir werden darüber hinaus auch aber andere bedeutende Erinnerungsdaten hervorheben – eine selbstverständliche Dankespfl icht gebietet es etwa, das vielfältige, Nordrhein-Westfalen über Jahrzehnte mitprägende Wirken von Staatsminister a. D. Konrad Grundmann zu beleuchten. Dieser hat – neben vielen anderen politischen Aufgaben in seinem Leben – bis zu seinem Tod im Mai 2009 fast 20 Jahre lang die Aufgaben des Vorstandsvorsitzenden unserer Stiftung wahrgenommen (vgl. S. 3).Vor 40 Jahren begann die Umsetzung der „Neuen Ostpolitik“ durch die kurz zuvor gewählte neue Bundesregierung unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und Außenminister Walter Scheel (FDP). Im Zusammenhang mit dem Abschluß der Verträge von Moskau (August 1970) und Warschau (Dezem-ber 1970) begann eine der heftigsten Auseinandersetzungen um das Für und Wider des eingeschlagenen außenpolitischen Kurses in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland überhaupt. In einer ebenfalls als Reihe angelegten Vortragsfolge sollen die damals konträren Positionen aus einer heute grundlegend veränderten deutschen und europäischen Perspektive beleuchtet werden. Wir starten im ersten Quartal 2010 mit den beiden ersten einschlägigen Beiträgen (Prof. Faulenbach zu den konzeptionellen Ursprün-gen der Neuen Ostpolitik, Dr. Stickler zur damaligen Haltung der Vertriebe-nenorganisationen, vgl. S. 11).Wie immer ist es an dieser Stelle nicht möglich, die gesamte Bandbreite unseres Angebots vorzustellen – sie reicht diesmal von der Beschäftigung mit dem 1754 in Westpreußen geborenen Georg Forster, der zwischen 1772 und 1775 auf dem Schiff des berühmten Entdeckers James Cook die Welt umsegelte (vgl. S.8/9) bis zur politischen Gegenwart. Viel Interessantes und Spannendes wartet auf Sie auch im neuen Jahr 2010 – für das wir Ihnen noch alles Gute und viele Besuche im Gerhart-Hauptmann-Haus wünschen!

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Kolloquium

Verantwortung aus Tradition Gedenkkolloquium für Konrad Grundmann (1925-2009)

Mi, 08.01. | 15 Uhr

Am 08. Januar 2010 wäre Staatsminister a. D. Konrad Grundmann 85 Jahre alt ge-worden. Das war ihm nicht vergönnt, da er am 29. 05. 2009 nach längerer Krankheit verstorben ist. Der Geburtstag ist gleich-wohl Anlaß, die politische Lebensleistung Konrad Grundmanns einer eingehenden Würdigung zu unterziehen.Das ist nicht allein Teil einer Dankes-schuld, welche die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus zu erbringen hat – freilich wöge nur diese schon schwer genug. Denn Grund-mann hat sich für die Stiftung, die von der nordrhein-west-fälischen Landes-regierung im Jahre 1957 als „Stiftung Haus des deutschen Ostens“ gegründet wurde, gewisserma-ßen von der ersten Stunde an unablässig und nachdrücklich eingesetzt, zuletzt zwei Jahrzehnte lang als Vorstandsvorsit-zender. Und zwar ohne dass er, der Krefelder war und Rheinländer durch und durch, persön-lich eine konkrete biographische Bezie-hung zum Thema Flucht und Vertreibung aus dem historischen deutschen Osten gehabt hätte. Grundmann übernahm für die Arbeit der Stiftung Verantwortung, und das ist ein Stück weit kennzeichnend für seine politische Grundhaltung, weil er dies unter sozialen Gesichtspunkten für geboten hielt. Die schwierige Lage von mehr als zwei Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen, welche seit 1945 allein in das neu geschaffene Land Nordrhein-Westfalen geströmt waren, die war schon dem jungen Sozialpolitiker Grundmann sehr bewusst.Verantwortung war zweifellos ein zentra-ler Begriff im politischen Credo Grund-manns, das von seinem religiösen Credo

niemals zu trennen war. Denn er stammte aus einem streng katholischen Elternhaus und erhielt hier die lebenslange Prägung, die sein Handeln bestimmte. Der Arbei-terhaushalt, in den Konrad Grundmann hineingeboren wurde, war neben der Anhänglichkeit gegenüber der katholi-schen Kirche gebunden an die christliche Gewerkschaftsbewegung und auch den politischen Katholizismus. Folgerich-

tig wandte sich der blutjunge, schwer verwundete und dauerhaft gesund-heitlich geschädigte Kriegsheimkehrer Grundmann schon 1946 der gerade ge-gründeten CDU zu.Und hier kommt der zweite gewichtige Grund für die vor-liegende Veranstal-tung ins Spiel: Kon-rad Grundmann hat wie wenige andere fast seit der Grün-dung des Landes an den Geschicken Nordrhein-Westfa-lens Anteil gehabt. Er gehörte bereits seit 1954 dem da-mals dritten nord-rhein-westfälischen

Landtag an und blieb für annähernd drei Jahrzehnte Mitglied des Landesparla-mentes. Schon 1959 rückte der damals erst 34-Jährige als Minister für Arbeit und Sozialordnung in das Kabinett von Ministerpräsident Franz Meyers (CDU) auf und leitete dieses Ressort bis zum Ende der Ära Meyers im Jahre 1966. Auch in diversen Parteiämtern hat Grundmann vor und nach seiner Zeit als Minister mit dazu beigetragen, wichtige landespoliti-sche Weichenstellungen zu vollziehen. Die Würdigung der politischen Leistung Konrad Grundmanns refl ektiert also nicht zuletzt auch ein gewichtiges Stück Lan-desgeschichte.Die einzelnen Beiträge stellen aus unter-schiedlichen Perspektiven verschiedene

Seiten des Wirkens Konrad Grundmanns in den Mittelpunkt. Staatsminister a. D. Gerd Ludwig Lemmer kann aus intimer Kenntnis der Arbeitsverhältnisse in der Regierung Meyers über den Ministerkol-legen Grundmann berichten, mit dem er zwischen 1962 und 1966 gemeinsam am Kabinettstisch saß. Dr. Stefan Marx und Dr. Guido Hitze haben sich als Historiker mit Teilen der politischen Biographie Grundmanns intensiv auseinandergesetzt. Reinhard Grätz hat als langjähriger sozi-aldemokratischer Landtagsabgeordneter und auch Gremienmitglied der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus Grundmann aus seiner persönlichen Perspektive gleichfalls über viele Jahre beobachten können.

Programm15 UhrEröffnung und Begrüßung: Helmut Harbich (Vorstandsvorsitzender der Stif-tung Gerhart-Hauptmann-Haus)

15.15 UhrGrußwort: Staatssekretärin Dr. Marion Gierden-Jülich, Ministerium für Genera-tionen, Famile, Frauen und Integration NRW

15.30 Uhr Arbeiten im Kabinett Franz Meyers – ein Erfahrungsbericht: Staatsminister a. D. Gerd Ludwig Lemmer (Remscheid)

16 UhrKonrad Grundmann als Arbeits- und Sozi-alminister: Schwerpunkte seines Wirkens: Dr. Stefan Marx (Konrad-Adenauer-Stiftung, St. Augustin)

16.30 UhrLandesvorsitzender im Übergang – Konrad Grundmann als Parteichef der CDU Rheinland: Dr. Guido Hitze (Lan-deszentrale für politische Bildung Nord-rhein-Westfalen, Düsseldorf)

17 UhrImpressionen von einer anderen Seite: Reinhard Grätz (WDR-Rundfunkratsvor-sitzender und Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus)

17.30 UhrNeujahrsempfang der Stiftung Ger-hart-Hauptmann-Haus (Persönliche Anmeldung bis zum 03. 01. 2010 er-forderlich. Postalisch, via e-mail unter [email protected] oder telefonisch unter 0211/1699114)

Konrad Grundmann als Redner einer DGB-Kundgebung zum 1. Mai 1981

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Lesung

„Uhren auf Schienen“Ana Blandiana und Franz Hodjak lesen aus dem neuen Gedichtband der rumänischen Lyrikerin

Mi, 10.03. | 19.15 Uhr

Franz Hodjak

Ich hörte Ana Blandiana sei „die große Dame“ der rumänischen Lyrik. Sie sei, wenn auch spät, mit totalem Publikations-verbot belegt worden, politisch engagiert und leite gemeinsam mit ihrem Mann eine Gedenkstätte für die Opfer aus der Zeit der Diktatur in Rumänien.Zumindest zwei dieser spärlichen Infor-mationen sind korrekt. Mit Publikations-verbot wurde Ana Blandiana durch das

rumänische Regime häufi ger belegt und auch ihr Vater, ein orthodoxer Priester und Lehrer, wurde durch die Staatsmacht verfolgt, inhaftiert und nach seiner Freilas-sung durch einen arrangierten Autounfall ermordet. Das hat das Leben der Dichterin entscheidend geprägt.Nach einigem Suchen fi nden sich Bespre-chungen und auch eine informative und umfangreiche Homepage der Dichterin im Internet. Ich lese: „Ana Blandiana ist nicht nur Lyrikerin, sie ist eine rumänische Kulturinstitution. Obwohl sie bis 1988 zu den am meisten gelesenen Autoren gehörte, mit einer Position im offi ziellen Kulturbetrieb, mit Auslandsreisen, Preisen und fester Kolumne, war ihr Werk durch-aus nicht staatstragend. … 1988 wurde sie mit völligem Publikationsverbot belegt; einzig ein Gedichtband konnte ein Jahr

später erscheinen. Ihre Lyrik machte nicht die himmel-schreienden Missstände des Ceauşescu-Regimes zum Thema, sondern das, was sie subjektiv auslösten: Entfremdung, Ich-Verlust, Angst. Und sie bedient sich dabei oft einer nur scheinbar harmlosen Naturmetaphorik. Ihre Lyrik ist von täuschender Sanftheit; Schärfe gewinnt sie durch eigenwillige metaphorische Kombinationen, die sich zu vielschichti-gen Gedankengebäuden fügen. Profanität und die Göttlichkeit verbinden sich in Ana Blandianas Lyrik zu überzeugender Harmonie.Es wurde über die Dichterin oft gesagt, dass ihre Lyrik eng an ihre soziale Bio-grafi e geknüpft sei. Das mag stimmen; aber es bedeutet doch nur, dass sie mit Mitteln der Poesie die Bedingungen der menschlichen Existenz am eigenen Bei-spiel refl ektiert: unhermetisch, aufrichtig und subjektiv; dabei aber zu distanziert, um naiv zu wirken.“

Dies PoemDies Poem gibt es bloß,solange du es liest:Zum nächsten Mal, wenn du es liest,wird es ein anderes sein,weil auch du ein anderer geworden bist,und es wird, selbstverständlich, etwas anderes sein,wenn ein anderer es liest.

Die Homepage der Dichterin enthält auch Daten zu ihrer Biografie. 1942 wurde sie in Timişoara geboren. Ihr Vater war orthodoxer Priester; sie ist verheiratet mit Romulus Rusan. Ana Blandiana studierte Romanische Philologie an der Universität Cluj. Sie war lange Jahre als sehr erfolg-reiche Schriftstellerin in Rumänien tätig, ihr Werk wurde auch im europäischen Ausland verbreitet. Wegen ihres bürger-schaftlichen Engagements wurde sie 1988 zur „Unperson“. Sie erhielt Publikati-onsverbot, ihre Bücher wurden aus den Bibliotheken entfernt, ihre Texte durften in den Schulen nicht mehr gelesen werden.Nach der Revolution in Rumänien war

Ana Blandiana u.a. eine der Initiatoren der Bürger-Allianz und leitete die Stiftung Bürgerakademie. Zusammen mit ihrem Ehemann initiierte und leitet sie die Ge-denkstätte für die Opfer des Kommunis-mus im ehemaligen Gefängnis Sighet und das angeschlossene Zentrum für Studien über den Kommunismus in Bukarest. Das Dichten hat Ana Blandiana bei allem politischen Engagement nicht vernach-lässigt. Ihr Werk, das neben der Lyrik auch Erzählungen und Romane, Texte für Kinder, Essays und Hörspiele umfasst, ist kontinuierlich weiter gewachsen und hat ihren Ruf als herausragende Poetin bestätigt und gefestigt. Ihr fünfter Gedichtband ist soeben in Deutschland erschienen: „Uhren auf Schienen“. Aus diesem zweisprachigen Buch liest die Lyrikerin hier im Gerhart-Hauptmann-Haus ihre rumänischen Ge-dichte, eine Auswahl aus Texten, die in den letzten Jahren entstanden sind.Begleitet wird sie von ihrem kongenialen Übersetzer, dem Lyriker und Romancier Franz Hodjak, der ihre Gedichte übertra-gen – im besten Sinne „nachgedichtet“ – hat. Ob seiner Lyrik und Prosa und auch ob seiner Übertragungen aus dem Rumä-nischen wird Franz Hodjak von der Kritik hoch gelobt. Ebenso wie Ana Blandianas Werk ist auch sein Werk mit vielen Preisen ausgezeichnet und aus seiner Biografi e ergibt sich die besondere Sensibilität für die Gedichte der Dichterkollegin. Er wird seine deutschen Übertragungen der Gedichte der Lyrikerin lesen.

Helmut Braun

Ana Blandiana

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Lesungen

Als im Jahre 1959 erstmals in deutscher Sprache das Buch „Eine Frau in Berlin“ von einer bewusst ihre Anonymität wah-renden Autorin veröffentlicht wurde, blieb es in der bundesrepublikanischen Öffent-lichkeit nahezu ohne Resonanz. Zu brisant war das noch immer tabuisierte Thema der Massenvergewaltigungen durch Angehörige der Roten Armee, nachdem diese 1944/45 auf das Territorium des Deutschen Reiches vorgedrungen war. Die autobiographische Erzählung einer Frau, die die Eroberung Berlins im Frühjahr 1945 und die folgenden Ausschreitungen gegen Zivilpersonen selbst miterlebt hatte, wurde erst im Jahre 2003 erneut publiziert – und erzielte eine ungeahnt breite Wirkung. Der gerade durch seine lakonische Nüchternheit erschütternde Text wurde in fast allen wichtigen Medien der Tagespresse besprochen und ebenso beinahe einhellig als enorm bedeutsames zeitgeschichtliches Dokument einge-schätzt. Um die Identität der Verfasserin rankte sich bald eine Debatte, in der auch versucht wurde, die Authentizität der Schilderungen der „Anonyma“ in Frage zu stellen. Den Wahrheitsgehalt des Buches zu erschüttern ist freilich nicht gelungen – zu zahlreich waren inzwischen ähnliche Zeugnisse von anderer Seite.Viele Frauen haben mittlerweile das teilweise jahrzehntelang andauernde Schweigen gebrochen und von ihren Lei-den berichtet. Die Tatsache der massenhaft begangenen Gewaltverbrechen von Teilen der Roten Armee an Deutschen wie auch Zivilpersonen anderer Nationalität stellt heute niemand mehr ernsthaft in Abrede. Die wissenschaftliche Diskussion rankt sich nicht um das Ob, sondern um das Warum – um die Gründe also für die Breite des Gewaltphänomens gegenüber denen, die das Kriegsvölkerrecht als „Nicht-Kombattanten“ bezeichnet und die es ausdrücklich unter seinen Schutz stellt. Die historisch-sozialwissenschaftliche „Täterforschung“ zählt seit einiger Zeit, vor allen bezogen auf die von Massen-verbrechen gekennzeichneten totalitären Regime des 20. Jahrhunderts, zu den am intensivsten behandelten Themen.

„Wir sind durch die Hölle gegangen“

Die Autorin Ingeborg Jacobs hat sich einfühlsam den Opfern von damals zuge-wandt und zahlreiche Gespräche mit Be-troffenen geführt. Bereits seit Beginn der 1990er Jahre hat sich die 1957 in Solingen geborene Publizistin und Dokumentarfi l-merin mit dem Thema auseinandergesetzt – angeregt durch das Schicksal einer Frau aus der Nachbarschaft, deren furchtbares Erleben damals kaum jemanden interes-sierte. Als Ursula Jacobs dann für einige Jahre in der kurz vor ihrem Untergang stehenden Sowjetunion lebte und arbei-tete, lernte sie auch Veteranen der Roten Armee kennen. Die Erinnerung an deren teils offenherzige Gespräche über ihre Erlebnisse in Deutschland ließ sie glei-chermaßen nicht mehr los. In der Folgezeit hat Ursula Jacobs mit über hundert Frauen gesprochen. Deren Berichte wurden zur Grundlage des vorliegenden Buches. Die befragten Zeuginnen stammen aus Schle-sien, Ostpreußen (besonders Königsberg), Pommern, Mecklenburg und Berlin. Nach der regionalen Herkunft ist der eindrückliche Band, den die Autorin an diesem Abend vorstellt, auch gegliedert. Er schafft „Einblick in ein Trauma, das bis heute nicht bewältigt ist“ (Die Welt).Ergänzend zur Buchvorstellung zeigen wir

im Rahmen der Kinemathek den 2007/08 gedrehten Spielfi lm „Anonyma – Eine Frau in Berlin“ auf der Grundlage des erwähnten gleichnamigen Buches (siehe Seite 15).Vorankündigung: Am 01. 10. 2010 refe-riert der international renommierte Ex-perte Prof. Dr. Michael Ermann (Ludwig-Maximilians-Universität München) über die psychischen (Spät-)Folgen für Men-schen mit einer „Kriegskindheit“. Prof. Ermann hat jahrelang ein entsprechendes Forschungsprojekt an der Münchner Uni-versität geleitet. Winfrid Halder

Do, 18.02. | 19.15 Uhr

Ingeborg Jacobs stellt ihr Buch „Freiwild. Das Schicksal deutscher Frauen 1945“ vor

Di, 26.01. | 19.15 Uhr

„Königsberger Küsse“Alfons Huckebrink stellt seinen neuen Roman vorDeutsche Vergangenheit und russische Gegenwart: Das ist das Thema des neu-en Romans des Münsteraner Autors Alfons Huckebrink. Der Roman einer Reise nach Königsberg begleitet den Pro-tagonisten der Geschichte, der sich - auf den Spuren eines Arz-tes der napoleonischen Armee beim Rückzug aus Moskau - in Königsberg aufhält. Huckebrink vermischt dabei fi ktive Ereig-nisse mit real Erlebtem und taucht dabei tief in Geschichte

und Gegenwart Königsbergs ein. Bereits im Bus nach Kaniningrad begegnet der

Romanheld Valentina, einer jungen Russin, mit der er sich dann gemeinsam auf Spurensu-che begibt. Huckebrink zeichnet ein leben-diges und detailreiches Bild der Stadt damals und heute. Der 55-jährige Autor stellt seinen neuen Roman vor, der durch ein Reisestipendium des Auswärtigen Amtes gefördert

wurde. Markus Patzke

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Buchvorstellung

Deutsche und Tschechen sind seit Jahrhun-derten durch ein nicht selten spannungs-reiches Nachbarschaftsverhältnis mitei-nander verbunden. Wie aktuell immer noch Probleme der deutsch-tschechischen Vergangenheit sind, hat erst jüngst der vom derzeitigen tschechischen Staatsprä-sidenten Vaclav Klaus im Zusammenhang mit der Ratifi zierung des EU-Vertrages von Lissabon gesteuerte Kurs gezeigt. Die Verständigungsschwierigkeiten zwischen Deutschen hier und Tschechen dort – und umgekehrt – gehören also auch im Zei-chen des vereinten Europa keineswegs vollständig der Vergangenheit an.Umso wichtiger sind Bücher, die auch Le-sern mit nicht allzu breiten Vorkenntnissen dazu verhelfen, die europäischen Partner jenseits der innerhalb der EU kaum noch wahrnehmbaren Grenzen der Bundesre-publik kennen- und verstehen zu lernen. Der Band, den sein Autor Hans Dieter Zimmermann vorstellen wird, gehört zweifellos zu diesen nützlichen „kleinen“ Büchern. Auf rund 200 Seiten erhält man hier einen komprimierten, dennoch gut lesbaren und farbigen „Grundkurs“ zur

Geschichte und Kultur Tschechiens – an-gereichert durch Bilder und einige Ein-schübe zu besonders wichtigen Begriffen und Personen, mit denen der Leser knapp bekannt gemacht wird. Wer nicht gleich eine ganze Bibliothek lesen kann oder will und trotzdem einen hervorragenden Einblick in die historische und kulturelle Existenz unserer tschechischen Nachbarn haben möchte, ist mit diesem Band bes-tens versorgt.Der Band schließt die erfolgreiche, von Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker herausgegebene Reihe des C. H. Beck Verlages „Die Deutschen und ihre Nachbarn“ ab. Neben den Bänden zu west- und südeuropäischen Ländern liegen bereits die Bücher über Russland und Polen vor, die mit Gerd Ruge und Thomas Urban ihrerseits renommier-te Autoren haben. Der nunmehr von Hans Dieter Zimmermann beigesteuerte Tschechien-Band rundet die Reihe nicht allein „nach Osten“ ab. Er stammt viel-mehr auch aus der Feder eines versierten Autors, der Tschechien seit Jahrzehnten intensiv kennt – als Wissenschaftler und

Di, 02. 03. | 19.15 Uhr

Die Deutschen und ihre Nachbarn – TschechienBuchvorstellung mit Prof. Dr. Hans Dieter Zimmermann

als Mensch, der in Prag eine Art zweite Heimat gefunden hat.Hans Dieter Zimmermann wurde 1940 in Bad Kreuznach geboren. Er hat Literatur-wissenschaft, Geschichte und Philosophie in Mainz und Berlin studiert. Danach zeit-weilig als Journalist tätig, wurde er 1969 Sekretär der Abteilung Literatur bei der Akademie der Künste in (West-)Berlin. Seit Beginn der 1970er Jahre unterhielt er Kontakte zur Dissidentenszene in Prag. Ende 1973 wurde er auf dem Prager Flughafen verhaftet und mit einem Einrei-severbot in die damalige ČSSR belegt, das erst zehn Jahre später wieder aufgehoben wurde. Seither hat er wieder ungezählte Reisen nach Tschechien unternommen; er ist mit einer gebürtigen Pragerin ver-heiratet. Von 1975 bis 1987 war Hans Dieter Zimmermann Professor für neuere deutsche Literatur an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität in Frankfurt am Main. 1987 wurde er auf eine Professur für Literaturwissenschaft an der TU Ber-lin berufen, diesen hatte er bis zu seiner Emeritierung im Herbst 2008 inne.Hans Dieter Zimmermann hat eine Viel-zahl von wissenschaftlichen Veröffentli-chungen vorgelegt, unter anderem auch über das Werk Franz Kafkas und Rainer Maria Rilkes. Er fungierte (gemeinsam mit Peter Demetz und Jiři Gruša) als geschäftsführender Herausgeber der 33 Bände umfassenden „Tschechischen Bibliothek“. Die im Jahre 2007 nach zehn Jahren abgeschlossene Reihe, die von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert wurde, hat wesentlich dazu beigetragen, deutschen Leserinnen und Lesern die tschechische Gegenwartsliteratur näher zu bringen. Winfrid Halder

Prof. Dr. Hans Dieter Zimmermann

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Vortrag

Do, 21.01. | 19.15 Uhr

Vortrag von Prof. Dr. Bernd Faulenbach, Ruhr-Universität Bochum

Die „Neue Ostpolitik“ der Regierung Brandt / Scheel seit 1969 – Konzeptionelle Entwicklung und erste Umsetzungsphase

Noch vor der Bildung einer neuen Bun-desregierung unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und Außenminister und Vizekanzler Walter Scheel (FDP) Ende Oktober 1969 wurden die Weichen für einen außenpolitischen Neuansatz der Bundesrepublik gestellt. Die Regierung Brandt/Scheel, gestützt von der ersten sozialliberalen Koalition in der bundes-deutschen Geschichte, war von vornherein bestrebt, vor allem in die seit langem im Zeichen des Kalten Krieges erstarrten Beziehungen zu den ostmitteleuropäi-schen Staaten Bewegung zu bringen. Dies sollte freilich nicht im Alleingang versucht werden, vielmehr sollte die außenpoliti-sche Kurskorrektur auch in den weiteren Rahmen der westlichen „Entspannungs-politik“ eingepasst sein. Mit dieser wurde der Versuch unternommen, die Brisanz der Systemkonkurrenz zwischen den auch nuklear hochgerüsteten Machtblöcken, unter Führung der USA einerseits und der Sowjetunion andererseits, zu entschärfen.Das was nunmehr als „Neue Ostpolitik“ bezeichnet wurde, war vor allem in der SPD seit längerem vorbereitet worden. Egon Bahr, außenpolitischer Berater Willy Brandts und seit der Regierungsbildung unter diesem Staatssekretär im Bundes-kanzleramt, hatte bereits seit Beginn der 1960er Jahre entsprechende Überlegungen angestellt. So wurden sehr schnell, näm-lich schon im Frühjahr 1970 – also vor nunmehr 40 Jahren – Gespräche zunächst mit der Sowjetunion und der damaligen Volksrepublik Polen zu einer Neubestim-mung der gegenseitigen Beziehungen auf-genommen. Ebenfalls noch in diesem Jahr erfolgte die Unterzeichnung der beiden ersten Verträge, des Moskauer Vertrages (12. August 1970) und des Warschauer Vertrages (07. Dezember 1970).Die Auseinandersetzung um das Pro und Contra vor allem der mit den Vertragsab-schlüssen verbundenen faktischen (nicht aber abschließend völkerrechtlichen) Anerkennung der polnischen Westgrenze entlang der 1945 von den Besatzungs-

mächten gezogenen Oder-Neiße-Linie geriet zu einer der überhaupt heftigsten Kontroversen im Deutschen Bundestag und weit darüber hinaus. In Anbetracht der ohnehin knappen Stimmverhältnisse im Bundestag und des bis in die Koali-tionsfraktionen hinein reichenden Mei-nungsstreits drohte der Regierung Brandt/Scheel zeitweilig der Verlust der parla-mentarischen Mehrheit. Sie überstand im April 1972 nur äußerst knapp das erste konstruktive Misstrauensvotum in der Geschichte der Bundesrepublik. Um wie-

der zu einer wirklich handlungsfähigen Regierungsmehrheit zu gelangen, führte der im Jahre 1971 mit dem Friedensno-belpreis ausgezeichnete Bundeskanzler Willy Brandt im September 1972 eine Aufl ösung des Bundestages herbei. Beim folgenden Wahlkampf vor der Wahl zum 7. Deutschen Bundestag stellte die Neue Ostpolitik ein zentrales Thema dar. Als am 19. November 1972 gewählt wurde, wurde mit 91,1 % die bislang in der Geschichte der Bundesrepublik höchste Wahlbeteiligung erzielt (im September 2009 wurde mit 70,7 % demgegenüber die bisher niedrigste Beteiligung bei einer Bundestagswahl verzeichnet). Vor allem die SPD, die mit 45,8 % der abgegebenen Stimmen ihr nach wie vor bestes Ergebnis auf Bundesebene erzielte, ging deutlich gestärkt aus der Wahl hervor. Da auch der Koalitionspartner FDP erhebliche Stimmengewinne erzielen konnte (auf

8,4 % der abgegebenen Stimmen), konnte die wiedergewählte Regierung Brandt/Scheel ihre vom Wahlvolk mehrheitlich unterstützte Politik fortsetzen.Der Referent des Abends, Prof. Dr. Bernd Faulenbach, wird die Entstehungshinter-gründe, die konzeptionelle Entwicklung und die erste Umsetzungsphase der Neuen Ostpolitik nachzeichnen und analysieren. Prof. Faulenbach ist stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts Arbeit, Bildung, Partizipation an der Ruhr-Universität Bochum. Er lehrt seit vielen Jahren an dieser Hochschule Neuere und Neueste Geschichte und ist durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen als Experte vor allem für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ausge-wiesen. Unter anderem war er Mithe-rausgeber des Bandes „Zwangsmigration in Europa. Zur wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzung um die Vertreibung der Deutschen aus dem Os-ten“ (Essen 2005). Er hat in verschiedenen Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages mitgewirkt und zahlreiche Beratungsfunktionen bei Museen und anderen wissenschaftlichen Institutionen wahrgenommen. Bernd Faulenbach ist darüber hinaus Vertrauensdozent bei der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie Vorsitzen-der der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD.Winfrid Halder

In Zusammenarbeit mit der Volkshoch-schule Düsseldorf - Vortragsreihe Neue Ostpolitik – 40 Jahre danach: Eine kritische Bilanz Teil I

Prof. Dr. Bernd Faulenbach, Ruhr-Universität Bochum

Willy Brandt und Rainer Barzel im Deutschen Bundestag am 27.04.1972

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Vortrag/Exkursion

Zu seiner Zeit war Georg Forster eine Berühmtheit – konnte er doch für sich in Anspruch nehmen, dass kaum ein ande-rer Mensch so viel von der Welt gesehen hatte wie er.Dabei war dies dem jungen Forster nicht unbedingt in die Wiege gelegt, denn er wurde am 27. November 1754 als Kind eines Pfarrers in dem kleinen Ort Nas-senhuben (heute Mokry Dwor) unweit von Danzig geboren. Freilich genügte die dürftige Pfarrstelle dem Ehrgeiz seines Vaters, Johann Reinhold Forster, nicht. Der 1729 in Dirschau geborene Vater Forster hatte zwar in Halle an der Saale Theologie studierte, jedoch schon während des Studiums ausgeprägte na-turwissenschaftliche Interessen verfolgt. Auch als Pfarrer ging er seinen wissen-schaftlichen Neigungen nach, was sich nicht zuletzt darin niederschlug, dass er

Vortrag von PD Dr. Winfrid Halder

das vorhandene kleine Familienvermögen und die Pfarreinkünfte zur Anschaffung einer beachtlichen Bibliothek verwendete, während seine Frau händeringend um die Ernährung der insgesamt sieben Kinder bemüht war.Deren ältestes, der Sohn Georg, war ein aufgewecktes, ebenso wie der Vater vielseitig interessiertes Kind. Reinhold Forster unterrichtete seinen Ältesten bald selbst und bezog ihn frühzeitig als Gehil-fen in seine weitgespannten Forschungen ein. Als Zehnjähriger reiste Georg Forster auf diese Weise 1765 mit seinem Vater nach Russland, genauer an die Wolga. Dort sollte Reinhold Forster im Auftrag von Zarin Katharina II. einen Bericht über die Lage der in der Region seit einiger Zeit angesiedelten deutschen Kolonisten verfassen. Daneben betrieb er weiterhin umfassende Studien zu naturwissenschaft-

lichen Fragen.Als sich die Hoffnungen des älteren Forster auf eine dauerhafte Forscher- und Universitätskarriere im Zarenreich zerschlagen hatten und er erfuhr, dass er seine Pfarrstelle infolge seiner überlangen Abwesenheit inzwischen verloren hatte, ging er 1766 nach Großbritannien – neuer-lich in Begleitung seines ältesten Sohnes. In London konnte Reinhold Forster seinen Ruf als universell ausgerichteter, kenntnis-reicher und viele Sprachen beherrschender Naturforscher festigen. Als die britische Admiralität im Jahre 1772 nach Unstim-migkeiten mit dem zuerst ausgewählten Kandidaten kurzfristig einen geeigneten Naturwissenschaftler suchte, der Captain James Cook auf dessen zweiter Erkun-dungsreise in die Südsee begleiten könnte, fi el die Wahl auf Reinhold Forster. Dieser bestand wiederum darauf, seinen Sohn Georg als Gehilfen mitzunehmen.Damit begann für den 18-jährigen Georg Forster ein Abenteuer, das so vor ihm kein Deutscher hatte erleben dürfen. An Bord von Cooks Schiff „Resolution“ durchse-gelten die Forsters in den folgenden fast genau drei Jahren den Südatlantik, Teile der Antarktis, die polynesischen Inseln, umrundeten Kap Hoorn und kehrten schließlich im Juli 1775 nach Großbri-tannien zurück. In diesen Jahren fungierte Georg Forster nicht mehr nur als Assistent seines schwierigen Vaters – der durch seine Konfl iktfreudigkeit die Geduld des gelassenen Cook nicht wenig strapazierte –, sondern mauserte sich im besonderen zu einem ethnologischen Beobachter von

Do, 11.02. | 19.15 Uhr

Georg Forster (1754-1794) – Weltreisender und Revolutionär aus Westpreußen

Georg Forster um 1785, Gemälde von J. H. W. Tischbein

Johann Reinhold Forster and Georg Forster in Tahiti, J. F. Rigaud, 1780 Fortsetzung auf Seite 9

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Vortrag/Exkursion

großer Präzision und Scharfsicht. Noch heute sind Forsters Aufzeichnungen wichtige Zeugnisse zur inzwischen in dieser Form nicht mehr existierenden polynesischen Kultur.Nach der Rückkehr nach Europa oblag es Reinhold Forster den wissenschaftlichen Abschlußbericht zu verfassen. Georg Forster indessen schrieb mit der 1777 erschienenen „Reise um die Welt“ einen für ein breites Publikum gedachten Erfah-rungsbericht, der ihn schlagartig berühmt machte. Georg Forster, dessen Ruhm zunehmend zu dessen großem Unmut den seines Vaters in den Schatten stellte, wur-de Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Akademien in ganz Europa und bereits 1778 auf eine Professur in Kassel berufen. In den folgenden Jahren trat er in Kontakt mit den führenden Geistesgrößen seiner Zeit, lernte Goethe, Herder, Lessing, Wieland und viele andere kennen. Von 1784 bis 1787 hatte er eine Professur für Naturgeschichte in Vilnius inne.Wären die Pläne für eine Indien-Expe-dition, die unter Georg Forsters Leitung stehen und von Zarin Katharina II. fi -nanziert werden sollte, nicht gescheitert, hätte Forsters Leben vermutlich eine andere Wendung genommen. So trat er 1788 eine Stelle als Bibliothekar an der Universität Mainz an. Im Frühjahr 1790, als Europa bereits im Wetterleuchten der Französischen Revolution stand, unter-nahm er mit dem jungen Alexander von Humboldt seine letzte größere Reise als Schriftsteller und Forscher. Sie führte ihn durch den Niederrhein, Teile des heutigen Belgien, die Niederlande, Frankreich und noch einmal nach Großbritannien. Auch der daraufhin veröffentlichte Reisebericht wurde ein großer Erfolg.Zurück in Mainz, erlebte Georg Forster 1792 die Besetzung der Stadt durch Trup-pen der französischen Revolutionsarmee unter General Custine. Unmittelbar da-nach beteiligte sich Forster an führender Stelle an der Gründung der „Mainzer Republik“, welche dem Vorbild des re-volutionären Frankreich folgen sollte und die bisherigen sozialen und politischen Strukturen der Feudalgesellschaft für abgeschafft erklärte.Als Mainz im folgenden Jahr jedoch von preußischen Truppen zunächst be-lagert und dann vorübergehen wieder besetzt wurde – Goethe war als höchst unwilliger „Kriegsberichterstatter“ auf Wunsch seines herzoglichen Freundes und

Landesherrn Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, der als General in der preußischen Armee diente, mit dabei – war Forsters politische Kar-riere im Grunde schon wieder beendet. Georg Forster befand sich zu diesem Zeitpunkt als Mainzer Delegierter in Paris. Eine Rückkehr war aufgrund der Ächtung der deutschen „Jakobiner“ durch Kaiser Franz II. nicht möglich. So muss-te Georg Forster unter äußerst schwierigen ma-teriellen Bedingungen in Paris bleiben und erlebte dort noch den Beginn der Schreckensherr-schaft von Maximilien de Robespierre mit. Noch nicht 40-jährig, starb Georg Forster am 11. Januar 1794 einsam an einer Lungenentzündung in einer Pariser Dachwohnung.Wer mehr über das farbige Leben dieses „Westpreußen“ erfahren möchte, ist herz-lich zum Vortrag eingeladen! Zugleich

dient dieser der Vorbereitung unserer Exkursion in die große Ausstellung über James Cook in der Bonner Bundeskunst-halle, wo auch die Rolle Georg Forsters gewürdigt wird.

Winfrid Halder

Fortsetzung von Seite 8

Do, 25.02. | 09.30 UhrCook und die Entdeckung der Südsee Exkursion in die Bundeskunsthalle nach Bonn

Die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus bietet als Ergänzung des Vortrages über Georg Forster eine Exkursion zur Bun-deskunsthalle nach Bonn an, die die Aus-stellung „James Cook und die Entdeckung der Südsee“ zeigt. Der Akzent der Schau liegt auf der europäischen Perspektive auf die außereuropäischen Welten. Es ist ein zentrales Anliegen, Ergebnisse aus den Forschungen zur Naturgeschichte, Seefahrtsgeschichte, Kunstgeschichte und der frühen Ethnologie miteinander im Geiste der Aufklärung des 18. Jahr-hunderts zu verknüpfen und erstmals zu präsentieren. Die Ausstellung erzählt mit 550 Exponaten von den Reisen des James Cook und seines internationalen Wissen-schaftlerteams. In einer zweistündigen Führung durch die Ausstellung werden den Exkursions-teilnehmern die Reisen Cooks mit einem

Schwerpunkt auf der Rolle Georg Forsters während der zweiten Südseereise näher gebracht. Im Anschluß an die Führung durch die Ausstellung besteht Gelegen-heit zu einem gemeinsamen Mittagessen in einem Bonner Lokal. Danach werden die Exkursionsteilnehmer das Palais Schaumburg, den Bonner Dienstsitz der Bundeskanzlerin, besichtigen. Die Abfahrt in Düsseldorf ist um 09.30 Uhr, die Rückehr gegen 17.30 Uhr geplant. Anmeldungen sind bis zum 10.02.2010 bei der bekannten Adresse der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus (Tel. 02 11-16 99 10) unter Angabe des Geburtsdatums und des Geburtsortes vorzunehmen. Spätere Annmeldungen können nicht berücksichtigt werden. Zur Exkursion ist ein Personalausweis mitzubringen. Der Kostenbeitrag beläuft sich auf 15,- €. Markus Patzke

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Lesung

Helmuth James von Moltke, erst 37 Jahre alt, wurde am 23. Januar 1945 in der Haft-anstalt Berlin-Plötzensee ermordet – zu einem Zeitpunkt, da die Rote Armee im Verlauf ihrer letzten Winteroffensive, die nicht einmal zwei Wochen zuvor losgebro-chen war, schon große Teile Schlesiens, Ostpreußens und Pommerns überrannt hatte und für Millionen von Menschen Flucht und Vertreibung begonnen hatten. Der längst verlorene Krieg neigte sich für Deutschland seinem schrecklichen Ende zu und die NS-Machthaber ließen nichts unversucht, um noch möglichst viele Menschenleben zu vernichten.Moltke war schon im Januar 1944 verhaftet worden. Von Anfang an hatte er dem NS-Regime ablehnend gegenübergestanden. Aus einem ursprünglich in Mecklenburg beheimateten Adelsgeschlecht stammend, wurde er 1907 auf dem niederschlesischen

Familiengut Kreisau geboren. Dieses hatte sein Urgroßonkel, der berühmte preußi-sche Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke, im Jahre 1871 erworben. Als Kind eines entschieden christlich orientierten Elternhauses hatte der junge Moltke be-reits frühzeitig ein ungewöhnlich starkes soziales Engagement an den Tag gelegt. Nachdem er 1934 sein Jura-Examen abge-legt hatte, lehnte er es bald darauf ab, die Richterlaufbahn einzuschlagen, da dazu der Eintritt in die NSDAP unvermeid-

lich gewesen wäre. Als auf Völker- und internationales Privatrecht spezialisierter Anwalt konnte er noch in den Folgejahren unauffällig Auslandsreisen unternehmen, die er zur Knüpfung von Kontakten nutzte, um außerhalb Deutschlands deutlich zu machen, dass das Regime Hitlers innere Gegner hatte, die auf Zusammenarbeit und Unterstützung hofften.Nach Kriegsbeginn 1939 wurde Moltke im Amt Ausland/Abwehr der Wehrmacht tätig, das unter der Leitung von Admiral Wilhelm Canaris zu einem Zentrum des Widerstandes wurde. Hierbei versuchte er seine Auslandskontakte vor allem nach Großbritannien zu nutzen, was allerdings in Anbetracht der ablehnenden Haltung der britischen Regierung gegenüber einer Kooperation mit der innerdeutschen Op-position wenig Erfolg zeitigte.Seit 1940 versammelte Moltke auf dem

heimatlichen Familiengut Kreisau in wechselnder Zusammensetzung Vertre-ter unterschiedlicher po-litischer Richtungen, die jedoch in der Gegnerschaft zum Nationalsozialismus ihren gemeinsamen Nen-ner hatten. Auf den bis zur Inhaftierung Moltkes folgenden Treffen des „Kreisauer Kreises“ wur-den Pläne für eine künftige demokratische Neuordnung Deutschlands nach Hitler entwickelt, die stark von sozialistischem und christli-chem Gedankengut geprägt waren. Nachdem Moltke

nicht mehr mitwirken konnte, schlossen sich verschiedene Angehörige des Kreises den Staatstreichplanungen des Grafen Stauffenberg an, welche in das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 mündeten. Obwohl Moltke daran nicht unmittelbar beteiligt war, wurde er in einem Schauprozeß vor dem „Volksgerichtshof“ zum Tode verur-teilt und später hingerichtet.In der Haft formulierte er im Oktober 1944 die Beweggründe für sein Handeln: Er habe sein ganzes Leben lang „[…] gegen

einen Geist der Enge, der Überheblich-keit, der Intoleranz und des Absoluten … angekämpft, […] der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefun-den hat.“Wir erinnern anlässlich seines 65. To-destages an Helmuth James von Moltke als ersten aus einer Reihe bedeutender Persönlichkeiten, die aus Ostdeutschland stammten und sich gegen das NS-Regime wandten. Referent des Abends ist Prof. Dr. Günter Brakelmann. Prof. Brakelmann, der evangelische Theologie, Sozialwis-senschaften und Geschichte studiert hat, war als Pfarrer und an verschiedenen Evangelischen Akademien tätig, bevor er 1972 auf einen Lehrstuhl für Christliche Sozialethik und Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum berufen wurde. Diesen hatte er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1996 inne.Im Jahre 2007 erschien Günter Brakelmanns vielbeachtete biographische Studie über Helmut James von Moltke, die als Ergeb-nis einer langjährigen Beschäftigung mit der Person Moltkes als das Standardwerk über ihn gilt. Auf der Basis zahlreicher un-veröffentlichter Quellen hat Brakelmann das Leben, die Überzeugungen und das Tun Moltkes umfassend gewürdigt.

Vortragsreihe: Profi le des Widerstands aus dem historischen deutschen Osten Teil IIn Zusammenarbeit mit der Volkshoch-schule DüsseldorfOrt: VHS Düsseldorf, Bertha-von- Suttner-Platz 1; Eintritt: 4 €

„… gegen einen Geist der Enge, der Überheblichkeit, der Intoleranz“

Do, 04.02. | 19 Uhr

Zum 65. Todestag von Helmuth James von Moltke (1907-1945) - Vortrag von Prof. Dr. Günter Brakelmann

Gedenkstein für Helmuth James von Moltke und seinen Bruder auf dem Kreisauer Kapellenberg.

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Vortrag/Exkursion

Do, 18.03. | 19.15 Uhr

Die Vertriebenenverbände und die Neue Ostpolitik

Vor dem Auftakt zur Neuen Ostpolitik nach der Bildung der ersten sozialliberalen Koalitionsregierung unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und Vizekanzler und Außenminister Walter Scheel (FDP) im Oktober 1969 bestand ein durchaus facettenreiches Verhältnis zwischen den nunmehr in die Regierungsverantwortung eintretenden Parteien und den Vertriebe-nenorganisationen der Bundesrepublik Deutschland. Wichtige Vertreter der etwa 8 Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge aus dem historischen deutschen Osten, die zum Teil auch im Dachverband Bund der Vertriebenen (BdV) bedeutsame Rollen spielten, waren zugleich Mandats- und Amtsträger von SPD und FDP. Zu nennen sind hier etwa Wenzel Jaksch oder Rein-hold Rehs. Beide waren sozialdemokra-tische Abgeordnete im Bundestag – und beide waren Präsidenten des BdV. Rehs folgte Jaksch in diesem Amt, nachdem der aus dem Sudetenland stammende Jaksch 1966 tödlich verunglückt war. Zu erinnern ist auch an den Oberschlesier Erich Men-de, der nicht nur liberaler Abgeordneter und Minister, sondern zwischen 1960 und 1968 zudem Bundesvorsitzender der FDP gewesen ist.Spätestens als die Regierung Brandt/Scheel sehr rasch nach ihrer Wahl im Ok-tober 1969 an die praktische Umsetzung des Konzepts der Neuen Ostpolitik ging, ergab sich jedoch ein Spannungsverhältnis anderer Art zwischen den Koalitionspar-teien und den Vertriebenenorganisationen. Deren Repräsentanten setzten sich mehr-heitlich an die Spitze der Opposition ge-gen die außenpolitische Kurskorrektur mit Blick nach Osten. Spektakulärster Aus-druck der Gegnerschaft waren verschiede-ne Fraktionswechsel von Abgeordneten im Bundestag, unter ihnen Erich Mende oder Herbert Hupka. Dadurch gerieten auch die ohnehin knappen Mehrheitsverhältnisse in Bewegung, so dass der Fortbestand der Regierung unter Bundeskanzler Brandt zeitweilig gefährdet erschien. Neben der zuweilen äußerst erregten parlamenta-rischen Debatte um das Für und Wider der Neuen Ostpolitik stand der Versuch

des BdV durch Großdemonstrationen die nach seiner Lesart vorhandene Breite der ablehnenden Haltung zur Ostpolitik in der Bevölkerung zu verdeutlichen. So wurde die damalige Bundeshauptstadt Bonn zum Schauplatz der größten Vertriebenen-Demonstrationen überhaupt.Der Referent des Abends, Privatdozent Dr.

Matthias Stickler, zeichnet die Haltung der Vertriebenenverbände und ihrer wichtigs-ten Repräsentanten zur Neuen Ostpolitik nach und fragt nach der Tragfähigkeit ihrer Argumentationslinien. Er ist durch eine Vielzahl von einschlägigen Publikatio-nen hervorragend ausgewiesen. In seiner Habilitationsschrift widmete er sich dem Thema „Ostdeutsch heißt gesamtdeutsch. Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzungen der deut-schen Vertriebenenverbände 1949-1972“. Sie ist im Jahre 2004 im renommierten Düsseldorfer Droste Verlag erschienen. Matthias Stickler lehrt Neuere und Neues-te Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Winfrid Halder

In Zusammenarbeit mit dem Landesver-band Nordrhein-West-falen des Bundes der Vertriebenen Vortragsreihe Neue Ostpolitik – 40 Jahre danach: Eine kritische Bilanz Teil II.

Vortrag von PD Dr. Matthias Stickler (Julius-Maximilians-Universität Würzburg)

Franz-Josef Strauß und Herbert Hupka 1972 während der Debatte über die Ostverträge im Deutschen Bundestag

In Zusammenarbeit mit dem Freun-deskreis des Historischen Seminars der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Exkursion:„Preußen“mit PD Dr. Winfrid Halder

Programm9.30 Uhr Abfahrt Bus-Bhf. Düsseldorf nach Wesel11 Uhr Führung im Preußen-Museum Nordrhein-Westfalen - Sonderausstellung „Für die Freiheit – gegen Napoleon! Ferdinand von Schill, Preußen und die deutsche Nation“12:30 – 14:00 Mittagspause

14 Uhr Fahrt nach Duisburg 15 Uhr Führung im Museum Stadt Königsberg17.30 Uhr Rückfahrt nach Düsseldorf 18 Uhr Ankunft Bus-Bhf. DüsseldorfTeilnehmerkosten: 30,- € (Studenten: 15,- €)Anmeldungen bitte unter [email protected] und Überweisung der Teilnehmerkosten auf das Vereins-kontoBankverbindung:Sparkasse Düsseldorf, Konto-Nr.: 300 33385, BLZ: 300 501 10

Do, 14.01. | 09.30 UhrFahrt in das Preußen-Museum Wesel und das Museum Stadt Königsberg

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Ausstellung

Aus sechs Jahrzehnten künstlerischen Schaffens Ernst Oldenburg 1914 - 1992

Vom 20.01. bis 26.02.

Als der Maler, Bildhauer, Zeichner und Grafi ker Ernst Oldenburg am 9. Januar 1992 starb, hinterließ er ein umfangrei-ches künstlerisches Werk, das mehr als 1500 Einzelstücke umfasst und damit sechs Jahrzehnte seiner intensiven Arbeit dokumentiert.Dennoch ist Ernst Oldenburg nur wenigen Menschen ein Begriff und nur einige Mu-seen haben ihn bisher entdeckt. Dies mag daran liegen, dass sein Werk keiner Schule zuzuordnen ist, keiner vorgegebenen Richtung folgt. Oft stehen seine Arbeiten vielmehr im offenen Widerspruch zu den einfl ussreichen Richtungen der Zeit.

Ernst Oldenburg wird am 8. Januar 1914 in Danzig – Kleinwald geboren. Sein Vater fällt 1915 im Ersten Weltkrieg. Nach dem Schulabschluss arbeitet er 1927 zunächst als Laufbursche bei dem Schiffsausrüster Johannes Husen, malt Schaufensterdeko-rationen mit Seefahrtsmotiven, wechselt schließlich 1928 zur Spielwarenfabrik Pomplun um dort Modelle zu entwerfen. Im selben Jahr wird er – mit vierzehn Jahren – in die Kunstklasse von Prof. Fritz August Pfuhle an der Technischen Hochschule Danzig aufgenommen.Neben dem üblichen Ausbildungskanon der Malerei und Dekorationsmalerei be-suchte er Seminare in Kunstgeschichte, Philosophie, Statik und Baulehre. Künst-lerische Anregungen erhielt Oldenburg

auch durch seine früh begonnene Aus-stellungstätigkeit. Schon zu Studienzei-ten, 1932, wurden seine Arbeiten in der Kunstkammer von Danzig gemeinsam mit Gemälden von Otto Dix, in der Nati-onalgalerie Berlin und in der Hamburger Kunsthalle gezeigt.Der sich daraus entwickelnde Bezug zur Malerei des Expressionismus wird durch Aufenthalte auf der Kurischen Nehrung vertieft, wo Ernst Oldenburg Karl Ho-fer, Ernst Ludwig Kirchner und Max Pechstein kennenlernte. Auf Hiddensee genießt er den Austausch mit seinem Nachbar Gerhart Hauptmann. Von Beginn

an interessiert ihn das Bild vom Menschen, aber auch des-sen Umgebung – die Arbeits-welt ebenso wie die Landschaft. Populäre Per-sönlichkeiten – u. a. der Di-rigent Wilhelm F u r t w ä n g l e r – ließen sich von dem jun-gen Künstler por t rä t ie ren . Bedingt durch die Zensur der Nationalsozia-

listen arbeitet Oldenburg seit 1936 als Architekt in Berlin und wird 1940 zur Marine eingezogen.Bei Kriegsende fl ieht der schwer Verwun-dete mit der Familie vor den vorrückenden russischen Truppen nach Stralsund. Hier organisiert er als Leiter des Kulturzent-rums „Gorki-Haus“ Ausstellungen, Thea-terabende, Konzerte und Vorträge, betreut namhafte Schriftsteller und Schauspieler wie Bert Brecht, Anna Seghers, Willi Bre-del und Paul Wegener. Portraits, die Ernst Oldenburg in dieser Zeit von den Freun-den und Bekannten malte, belegen den regen Austausch zwischen den Künstlern.Die Nachkriegswirren unter russischer Besatzung erschweren zunehmend sein künstlerisches Schaffen. 1952 richtet er

sich ein Atelier in Berlin-Köpenick ein. Die Niederschlagung des Juniaufstan-des im folgenden Jahr, die enttäuschten Hoffnungen auf eine menschlichere Ge-sellschaft, veranlassen Ernst Oldenburg 1954 zu einer fl uchtartigen Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland, wo er in Holstein und in Marl ansässig wird.Sein Werk wird u. a. in den USA, der Schweiz, den Niederlanden und in Skan-dinavien präsentiert. 1967 lässt er sich endgültig in Unna nieder, wo er bis zum Ende seines Lebens in der alten Dorfschule wohnt und arbeitet. Weitere internationale Ausstellungen mit Reisen nach Spanien, Italien, Japan und in die USA. Ein Schlaganfall verändert 1988 sein Leben von Grund auf, da er nun rechtseitig gelähmt ist. Gegen die künstle-rische Sprachlosigkeit aufbegehrend, malt er mit der linken Hand weiter, gestaltet nun in ungewöhnlich heiterer, intensiver Farbigkeit unbeschwerte Szenen.Das ehemalige Wohnhaus und Atelier des Künstlers im dörfl ichen Unna-Kessebüren beherbergt heute das Museum Ernst Oldenburg-Haus. Die Ausstellung im Gerhart-Hauptmann-Haus zeigt eine Auswahl seiner Bestände. Dirk UrlandEröffnung: Mittwoch 20.01.2010 | 19.15 Uhr

Es sprechen: PD Dr. Winfrid HalderDirektor des Gerhart-Hauptmann-HausesProf. Dr. Walter IsraelMusikalische Umrahmung:Quartett „UWAGA“

Ernst Oldenburg, Werftarbeiter (mit zwei Booten), ca. 1945-1949, Tempera auf Packpapier Fotos: Katalog

Ernst Oldenburg im Atelier

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Ausstellung

Im Jahr 2003 dokumentierte der aus Ost-preußen stammende Schriftsteller Herbert Somplatzki mit dem Buch „Masurische Gnadenhochzeit“ die Geschichte seiner Familie in den wechselvollen Zeitläufen von fast zwei Jahrhunderten. Er erzählt, als „ein Beitrag zur deutsch-polnischen Begegnungsgeschichte“, eine Familiensa-ga, wie sie für viele Menschen, besonders im Ruhrgebiet, ähnlich verlief, von Reisen zwischen dem Osten und dem Westen Eu-ropas, zwischen Masuren und Westfalen, vom 19. Jahrhundert bis heute.

Masuren, jenes „Land der dunklen Wälder und kristallnen Seen“ im alten Herzen Europas, das Siegfried Lenz als seine „Heimat im Rücken der Geschichte“ und Kazimierz Brakoniecki als „Atlantis des Nordens“ bezeichnete, ist der Ausgangs-punkt von Herbert Somplatzkis zugleich privater und zeitgeschichtlicher Chronik.„In diese versunkene Welt“, so der Autor, „bin ich als Kind eines Bauernpaares hineingeboren worden und habe die Gnadenhochzeit meiner Eltern, ihr sieb-zigjähriges Zusammenleben, zum Anlass genommen, um von Geschehnissen zu berichten, die von Soziologen wohl ‚der Alltagsgeschichte‘ zugeordnet würden. Es ist die Geschichte der sogenannten ‚einfachen Leute‘.Meine Erinnerungen an Krieg und Frie-

den, Arbeit, Heimat, Flucht und Neube-ginn pendeln in den Mäandern menschli-cher Geschichte auf eine sehr persönliche Weise; verstärkt durch das Altgedächtnis meiner Eltern. Geschichtsmoleküle im gi-gantischen Strom der Historie, versuchen sie zu beschreiben, wie sich zwei Völker berühren, die Jahrhunderte lang als Nach-barn lebten und nun wieder bemüht sind, gute Nachbarn zu werden.Es ist Geschichte in Geschichten. Sie reicht in die dunkle Tiefe der Schächte des Ruhrgebiets, einen Kilometer unter

den Straßen der Städte. Dort und auf den sandigen Äckern Masurens haben seit dem Ende des 19. Jahrhunderts meine Vorfahren „Brot und Arbeit“ gesucht und Gefunden, um zu überleben. Ich berichte von einer alten Kultur, deren archaische Sprache mit dem Tod meiner Eltern wohl ihr Ende fi nden wird. Und mit dieser alten masurischen Sprache erlischt auch ande-res, was einstmals für viele Menschen, die aus dem Osten Europas kamen, so wichtig war.“Nach Lektüre des Buchmanuskriptes schlug Dr. Lothar Hyss, Direktor des Westpreußischen Landesmuseums in Münster-Wolbeck, dem Autor Herbert Somplatzki vor, aus markanten Textaus-zügen, ergänzt durch polnische Überset-zungen, eine Ausstellung zu erarbeiten.

Die so entstandene Dokumentation ist eine Grenzüberschreitung in zweifacher Hinsicht: sie schafft eine Verbindung zwi-schen Deutschland und Polen, aber auch zwischen dem Medium Buch und seiner visuellen Präsentation.Durch ihre thematischen Schwerpunkte wird ein Einblick in die europäische Geschichte seit dem Ende des 19. Jahr-hunderts bis zur Gegenwart gegeben; und die Verknüpfung einer Familiengeschichte mit der allgemeinen Historie macht sie darüber hinaus zu einem Bestandteil der Begegnungsgeschichte zwischen Deutschland und Polen, die auf beiden Seiten nicht ohne Narben geblieben ist.Herbert Somplatzki wurde 1934 in Masu-ren geboren und kam 1946 ins Ruhrgebiet. Er arbeitete elf Jahre im Untertagebau, studierte Sport, Erziehungswissenschaf-ten, Medienpädagogik, Germanistik und Kunst.Er war sieben Jahre stellvertretender Lan-desvorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller in Nordrhein-Westfalen und maßgeblich beteiligt an Gründung und Aufbau des Literaturbüros Ruhrgebiet. Er ist Gründungsmitglied des Literatur-Rates NRW und Initiator des Literaturpreises Ruhrgebiet sowie der deutsch-polnischen Kulturbegegnung „Spotkania“ in Essen. Er veröffentlichte 36 Bücher für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, mehrere Hörspiele und Theaterstücke, z. B. das musikliterarische Stück „Sie sind von Osten gekommen“.Herbert Somplatzki wurde für sein Werk mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Dirk Urland

Eröffnung:Dienstag, 02. Februar 2010 | 19.15 UhrEs sprechen:PD Dr. Winfrid HalderDirektor des Gerhart-Hauptmann-HausesDr. Lothar Hyss / Magdalena Oxfort M.A.Westpreußisches LandesmuseumEinführung und Lesung:Herbert Somplatzki

Vom 02.02. bis 13.03.„Ost-West-Begegnungen in Krieg und Frieden“ - Auf den Spuren einer Familiengeschichte

Herbert Somplatzki, Kindheit in Masuren

Familie Somplatzki in den 1930er Jahren im westfälischen Westerholt Fotos: Katalog

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Ausstellung

Ostpreußische ImpressionenWerke von Karl Leo Herbert Guttmann im Gerhart-Hauptmann-Haus

Vom 11.03. bis 30.04.

Mit einer Auswahl von Gemälden, Aqua-rellen und Zeichnungen aus dem um-fangreichen Werk von Karl Leo Herbert Guttmann erinnert das Gerhart-Haupt-mann-Haus an den bedeutenden – aber vielfach vergessenen – ostpreußischen Künstler. Im Alter von 13 Jahren lernte der 1907 in Memel geborene Guttmann zunächst den Landschaftsmaler Prof. Karl Storch kennen, der sein künstlerisches Talent er-kannte und nachdrücklich förderte. Seine Heimat, die Kurische Nehrung, war zu dieser Zeit ein beliebter Aufenthaltsort bedeutender Maler, die die unverwech-selbare Naturschönheit in ihren Arbeiten festhielten. Es ist bekannt, dass der junge Karl Guttmann mit den Künstlern auf das Haff hinaus ruderte und mit ihnen in seinem „fahrbaren Atelier“ (Guttmann) arbeitete. Bedeutsam waren dabei seine Beziehungen zu Ernst Schaumann, Prof. Kollmeyer und Johannes Schulz. Letzterer unterwies Guttmann drei Jahre lang in Aquarell–und Zeichentechnik.Vor allem das in dieser Periode entstande-ne Bild „Alte Fischerfrau“ war entschei-dend für Guttmanns Aufnahme in die ehrwürdige Königsberger Kunstakademie.

Von 1935 bis 1941 studierte er dort bei den renommierten Professoren Eduard Bischoff, Franz Martens und Alfred Partikel.Einberufen zum Kriegsdienst, geriet Guttmann bis November 1948 in rus-sische Gefangenschaft. Anschließend fand er in Düsseldorf eine neue Heimat und war hier bis 1973 als Technischer Zeichner und Grafiker im Nordrhein-Westfälischen Wirtschaftsministerium tätig.Zahlreiche Reisen durch Deutschland, nach Italien, Jugoslawien, Holland und Frankreich prägten auch seine künstleri-schen Arbeiten. In den meisten seiner Bil-der kehrte er jedoch immer wieder zu Er-innerungen an die ostpreußische Heimat zurück. Das Werk von Karl Leo Herbert Guttmann umfasst vor allem Gemälde und Aquarelle, Bildnisse, ausdrucks-volle Figurenbilder und Landschaften, die durch großzügige, klare Formen und eine ausgewogene, gedämpfte Farbigkeit charakterisiert werden.Der Künstler beteiligte sich bis 1941 an verschiedenen Ausstellungen in Königs-berg und Berlin. Bilder und Aquarelle kaufte u. a. die Stadt Königsberg bereits

vor dem Zweiten Weltkrieg, die Stadt Düsseldorf erwarb in den 1980er Jahren ebenfalls einige Arbeiten.Karl Leo Herbert Guttmann starb am 18. Juni 1978 in Düsseldorf. Sein Nachlass befi ndet sich in Privatbesitz. Dirk UrlandEröffnung: Donnerstag, 11. März 2010 |19.15 Uhr

Es sprechen: PD Dr. Winfrid HalderDirektor des Gerhart-Hauptmann-HausesDr. Jörn BarfodOstpreußisches Landesmuseum

Karl Leo Herbert Guttmann, „Kurisches Gehöft“, Aquarell

Karl Leo Herbert Guttmann

Ich war ein Wolfskind aus KönigsbergBiographischer Roman von Ursula Dorn

Über sechs Jahrzehnte sind vergangen, bis die 1935 in Königsberg (Ostpreußen) gebo-rene Ursula Dorn den Mut fass-te, das zu erzählen, was sie als 10jähriges Kind erfahren musste. Sie lebt heute mit ihrer Familie in der Nähe von Göttingen. In ländli-cher Abgeschiedenheit hat sie die Ruhe gefunden, ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg zu bewältigen. Die Erinnerungen an ihr Dasein als Wolfskind hat sie in einer pak-kenden Geschichte verarbeitet.

Edition riedenburg, ISBN 978-3902647092

€19,90

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Kinemathek

Auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg blieb die Auseinandersetzung mit der Geschichte Preußens auf der Leinwand präsent. Dies allerdings in ganz anderer Form als in den „Fridericus-Rex“-Filmen, deren letzter im Jahre 1942 in die Kinos kam („Der große König“, in dem Otto Gebühr zum letzten Mal als Friedrich II. auftrat). Bezeichnenderwei-se wurde der Umgang mit Preußen nach der deutschen Katastrophe von 1933 bis 1945, welche den endgültigen Untergang auch Preußens als Staat mit sich brachte, sehr viel kritischer. Wir zeigen zwei Beispiele, die beide auf lite-rarischen Vorlagen beruhen, die aus der Zeit lange vor 1945 datieren.Die DDR war noch kei-ne zwei Jahre alt, als die staatseigene Filmprodukti-onsfi rma DEFA, welche auf Geheiß der sowjetischen Besatzungsmacht die Nach-folge der UFA angetreten hatte, einen ihrer wichtigs-ten Filme herausbrachte. Unter der Regie Wolfgang Staudtes, der seine Karriere als Darsteller und Regisseur schon vor 1933 begon-nen hatte, wurde Heinrich Manns Roman „Der Un-tertan“ verfi lmt. Heinrich Mann, der ältere Bruder von Thomas Mann, war kurz zuvor verstorben (1950), hatte die Rechte an seinem ursprünglich bereits 1914 fer-tiggestellten, aber erst 1918 veröffentlich-ten Roman der DEFA übertragen. Schon das Buch hatte als überaus scharfsinnige Satire auf das preußisch-deutsche Kai-serreich Aufsehen erregt und kontroverse Diskussionen ausgelöst. Die Hauptfi gur Diederich Heßling (dargestellt von Werner Peters, der später wie Wolfgang Staudte in die Bundesrepublik fl oh und zeitweilig in Düsseldorf tätig war) sollte den ideal-typischen obrigkeitshörigen, militaristisch

eingestellten preußisch-deutschen „Unter-tan“ verkörpern.Die Produktion war ein frühes Prestige-Projekt der DEFA und wurde dement-sprechend aufwendig inszeniert und vermarktet. Obwohl der Film international hohes Lob erfuhr – vor allem für die künst-lerisch wegweisende Regie von Staudte und die darstellerische Leistung von Peters – wurde er in der Bundesrepublik

Deutschland als angeblich im Dienste „kommunisti-scher Propaganda“ stehend zunächst verboten. Erst 1957 wurde eine allerdings gekürzte Fassung für die bundesdeutschen Kinos zugelassen. Auf die unge-kürzte Fassung mussten westdeutsche Zuschauer bis 1971 warten. Es handelt sich insgesamt um eine der (fi lm)historisch interessan-testen Produktionen des frühen deutschen Nach-kriegskinos.Nur wenige Jahre nach dem „Untertan“ kam „Der Hauptmann von Köpe-nick“ in die Kinos – als westdeutsche Produktion. Mit Helmut Käutner als Regisseur und Heinz Rüh-mann in der Hauptrolle war der Film nicht minder prominent besetzt. Das Drehbuch stammte von Carl Zuckmayer – also

einem der wichtigsten deutschen Bühnen-autoren des 20. Jahrhunderts. Zuckmayers vordergründig als Komödie angelegtes Stück war 1931 in Berlin uraufgeführt worden und wurde zu einem der größten Theatererfolge der Weimarer Republik. Als Vorlage hatte ihm eine berühmte reale Geschichte gedient: Am 16. Oktober 1906 hatte der mehrfach vorbestrafte Schuster-geselle Wilhelm Voigt (geboren 1849 in Tilsit) in der Uniform eines Hauptmann des 1. Garderegiments zu Fuß, deren Teile er zuvor bei verschiedenen Tröd-

lern erworben hatte, einen spektakulären Coup gelandet. Er hatte sich einen zufällig seinen Weg kreuzenden Trupp Soldaten unterstellt, mit diesen das Rathaus von Köpenick besetzt und den Bürgermeister verhaften lassen. Im Anschluß daran beschlagnahmte der „Hauptmann“ die Stadtkasse „auf allerhöchsten Befehl“, ließ den Bürgermeister unter Bewachung zur Neuen Wache in Berlin abtransportie-ren und entschwand selbst mit dem Geld.Niemand hatte es gewagt, dem völlig unbekannten Offi zier den Gehorsam zu verweigern oder ihn auch nur nach seiner Legitimation zu befragen – die (teilweise falsch zusammengestellte) Uniform mit dem eigentlich viel zu alten Mann darin allein hatte genügt, dass Voigts Anord-nungen widerspruchslos Folge geleistet wurde. Als das Geschehen unmittelbar darauf bekannt wurde, lachte die ganze Welt über die preußisch-deutsche Mili-tärhörigkeit. Wilhelm Voigt wurde we-nige Tage nach der Tat verhaftet und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Kaiser Wilhelm II., der selbst herzlich gelacht haben soll, als er von dem Vorgang erfuhr, begnadigte Voigt bereits im Sommer 1908. Bis zu seinem Tod im Jahre 1922 tingelte er als Darsteller seiner eigenen Geschichte durch die halbe Welt.Carl Zuckmayer, der selbst als Kriegsfrei-williger und Offi zier im Ersten Weltkrieg gedient hatte und hoch dekoriert wurde, nahm den Stoff auf und verlieh ihm als Bühnenstück große Durchschlagskraft. Die Infragestellung der Suggestion des Militärischen bescherte ihm allerdings auch den besonderen Hass der National-sozialisten, vor denen er bereits 1933 ins Exil fl iehen musste. Nach seiner Rückkehr aus den USA hat Zuckmayer – in der Schweiz lebend – wieder eine bedeutende Rolle in der westdeutschen Theater- und Literaturszene gespielt. Sein Theaterstück über den „Hauptmann von Köpenick“ wurde insgesamt fünf Mal verfi lmt. Wir zeigen die wohl bekannteste Kinoversion mit Heinz Rühmann. Winfrid Halder

Der Hauptmann von Köpenick (D 1956)Fortsetzung der Preußen-Filmreihe

Mi, 27. 01. | 15 Uhr

Mi, 24. 02. | 15 Uhr

Uniform des „Haupt-manns“ im Ausstellungs-raum des Rathauses Berlin-Köpenick

Am Mi, 17.02. | 15 Uhr zeigt die Kinemathek den Spielfi lm „Anonyma - Eine Frau in Berlin“, 2008. Siehe dazu die Ankündigung „Wir sind durch die Hölle gegangen“ auf Seite 5 dieser Ausgabe.

Der Untertan (DDR 1951)

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Theater

Vom 26.02. bis 12.03.

Die Stiftung „Gerhart-Hauptmann-Haus“ bietet im 1. Quartal dieses Jahres erneut eine Veranstaltungsreihe, bei der die Werke des Namenpatrons der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus im Mittelpunkt stehen. Das Programm der Reihe beinhal-tet Vorträge und Theateraufführungen. Die Veranstaltungen richten sich als Ergänzung zum Unterricht an Lehrer und Schüler sowie Studenten.

Gerhart Hauptmann

Gerhart Hauptmann wurde am 15. No-vember 1862 im schlesischen Bad Salz-brunn geboren und starb am 6. Juni 1946 in Agnetendorf bei Hirschberg. Er zählt zu den bedeutendsten Vertretern des Na-turalismus. Die Verbundenheit mit seiner schlesischen Heimat und die in seiner Jugend erfahrene wirtschaftliche Not bestimmen immer wieder seine Themen, Motive und Charaktere.

Die Werke1889 führt die Uraufführung des sozialen Dramas „Vor Sonnenaufgang“ am Berli-ner Lessing-Theater zu einem handfesten Theaterskandal.Gerhart Hauptmanns Werk ist noch nach mehr als hundert Jahren auf den Theatern lebendig geblieben, und seine Figuren sind so lebendig wie ehedem. Es sind Über-lebenskämpfer in einer sich überschla-genden Zeit, Menschen, die ihre Ängste und Hoffnungen, ihre Überforderung, ihre unerfüllten träume mit sich herum-schleppen, die laut die Schuld am eigenen Missglücken dem Andern aufbürden, die lieber austeilen als einstecken – Menschen der modernen Zeit eben!

Die RattenSchauspiel von Gerhart Hauptmann, Uraufführung: Berlin, 13 Januar 1911, Lessing Theater.Es ist der von Ratten und menschlichem „Ungeziefer“ verseuchte Dachboden einer ehemaligen Berliner Kavalleriekaserne, auf dem der verkrachte Theaterdirektor Hassenreuther seinen Kostümfundus untergebracht hat. In der verkommenen

Gerhart Hauptmann-Tage 2010

Mietskaserne hausen auch die Figuren des Stücks: das schwangere Dienstmädchen Pauline Piperkarcka, die Morphinistin Knobbe und Frau John, Maurersgattin und Putzfrau Hassenreuthers, die ihren in Altona arbeitenden Mann, der sich sehnlichst ein Kind wünscht, nicht enttäu-schen möchte. Als sich ihre Hoffnung als unbegründet erweist, will sie durch einen barmherzigen Betrug Abhilfe schaffen. Sie kauft Paulines unehelich geborenes Kind und trägt es auf dem Standesamt als ihr eigenes ein. Doch in der Piperkarcka regt sich bald das schlechte Gewissen; aus Angst vor den Behörden meldet sie ihr Kind an und bezeichnet Frau John als Pfl egemutter. Diese wird von Panik er-griffen als sich der Vertreter der Fürsorge um das Kind kümmern möchte. Sie un-terschiebt Pauline das todkranke Kind der Knobbe und verlässt mit dem „eigenen“ Säugling das Haus. Die Ereignisse jagen der unaufhaltsamen Katastrophe entge-gen, als John freudestrahlend heimkehrt, aber angesichts der sonderbaren Situation misstrauisch wird. Als Frau John auch noch erfahren muss, dass ihr gewalttätiger Bruder Bruno Mechelke die Piperkarcka, die er im Auftrag seiner Schwester ein-schüchtern und am Ausplaudern ihres Geheimnisses hindern sollte, erschlagen hat und nun von der Polizei gejagt wird, hält sie ihre Lage für aussichtslos, gesteht ihrem hilfl os entsetzten Mann den Betrug und stürzt sich aus dem Fenster.

Die WeberSoziales Drama von Gerhart Hauptmann; Uraufführung am 26. Februar 1893 im Neuen Theater Berlin (privat). Erste öf-fentliche Aufführung am 25. September 1894 im Deutschen Theater Berlin.Die historische Vorgänge, die Hauptmann seiner Dichtung zugrunde legt, spielten sich im Juni 1844 in den schlesischen Orten Kaschbach, Langenbielau und Pe-terswaldau ab, als ein spontaner Aufstand der von ihren Arbeitgebern ausgebeuteten Weber mit militärischer Gewalt nieder-geschlagen wurde. Erzählungen von den menschenunwürdigen Lebensverhältnis-sen der schlesischen Leinenweber, die im Laufe des 19. Jahrhunderts wiederholt

durch Aufstände ihre Lage zu verbessern suchten, wurden in Hauptmanns Familie überliefert, wie der Autor in seiner Wid-mung des Weber-Dramas an seinen Vater Robert Hauptmann bezeugt. Den Plan zu einer dramatischen Behandlung des Themas fasste Hauptmann 1888 in Zürich.

VeranstaltungenFr, 26.02 | 19.00 UhrTheaterpremiere„Die Ratten“ von Gerhart HauptmannEine Produktion des Deutschen Zentrums für Schauspiel & Film, Köln

Weitere AufführungenSa, 27.02 | 19.00 UhrMo, 01.03. bis Fr, 05.03. jeweils 11.00 Uhr

„Die Weber“ von Gerhart HauptmannEine Produktion des Deutschen Zentrums für Schauspiel & Film, KölnSa, 06.03. | 19.00 Uhr

Weitere AufführungenMo, 08.03. bis Fr, 12.03. jeweils 12.00 Uhr

Eintritt frei! Karten unter Tel. 0211-1699118

Mi, 17.03. | 18 Uhr - VortragGerhart Hauptmann am Deutschen Theater in der ehemaligen SowjetunionWaldemar Hooge, ehemaliges Ensem-blemitglied des Deutschen Theaters in Almaty, berichtet über die Vermittlung von Gerhart Hauptmanns Werken in der ehemaligen Sowjetunion und deren In-szenierungen.

Sozialkritische Themen für den Unterricht

Gerhart Hauptmann

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Gelebte Partnerschaft

Bericht

Wenn eine Stadtgemeinschaft Geburtstag hat, ist das sicherlich eine Festlichkeit wert. Selbst dann, wenn der Rückblick neben Gründen zur Freude auch das Ge-denken an dramatische Zeiten beinhaltet. So geschehen, im Falle der Stadtgemein-schaft Königsberg (Pr), die vor kurzem in der Patenstadt Duisburg 60 Jahre ihres Bestehens feierte.Klaus Weigelt, der Vorsitzende der Stadtgemeinschaft, verwies bei dieser Gelegenheit auf die Anfänge als Kreis-gemeinschaft in Hamburg sowie auf die stetige Entwicklung, vor allem nach 1951 in Duisburg. Zu den wichtigsten Stationen gehören das Treffen zur 700-Jahr-Feier Königsbergs 1955, die Eröffnung des Museums Haus Königsberg 1968, die

Ausstellung 450 Jahre Albertina im Jahre 1994 sowie das große Kant-Jahr 2004.Anfang der 90er Jahre, so Weigelt, begann die Zusammenarbeit mit immer mehr Part-nern in Kaliningrad. Auf dieser Grundlage fi ndet auch heute ein intensiver Kultur-austausch dies- und jenseits der Grenzen statt. Beleg dafür war die Anwesenheit unter den Geburtstagsgästen von Sergej Jakimow, dem Direktor des Museums für Geschichte und Kunst in Kaliningrad, der in seinem Grußwort betonte: „Heute reichen wir uns die Hände und sind offen für Freundschaft und Zusammenarbeit. Zusammen überwinden wir die grausame Vergangenheit und leben in einem friedli-chen Europa.“Das Duisburger Museum Stadt Königs-

berg präsentiert derzeit eine um-fangreiche the-matische Son-derschau. Bei der Eröffnungs-veranstaltung in der Karmelkir-che – die von musikalischen Klängen und

durch gemein-sames Singen um-rahmt wur-de – beschrieb Museumsleiter Lorenz Gr i -moni die ge-sch ich t l i che Entwicklung des musikali-schen Wirkens in Königsberg. Die Ausstel-lung in den Räumen des Museums führt den Besucher über die wichtigsten Stationen des Königsberger Musiklebens, beginnend mit der Zeit des ersten Herzogs von Preußen, Albrecht, über die Schaffensperiode des Simon Dach und der Freunde der so genannten „Kürbishütte“ bis hin zu Georg Riedel oder E.T.A. Hoffmann.Aus den Jahren 1900 bis 1945 stammen Ausstellungsstücke, die viele Königsber-ger Musikfreunde in ihrem Flüchtlings-gepäck retten konnten. Die Präsentation berücksichtigt auch die Hymne der Ostpreußen „Land der dunklen Wälder“, die der Zusammenarbeit des erst 22 jährigen Dichters Erich Hannighofers und des Komponisten Herbert Brust zu verdanken ist. In den Räumen des Museums wurde auch eine Verkaufsausstellung mit einschlägi-ger Literatur eingerichtet. Die Ausstellung „Königsberger Musikleben“ ist bis zum 31. März 2010 im Duisburger Museum Stadt Königsberg zu besichtigen.

Text + Fotos: Dieter Göllner

Die Stadtgemeinschaft Königsberg (Pr) feierte 60. Geburtstag

Blick in die Ausstellung „Königsberger Musikleben“

Lorenz Grimoni im Gespräch: Kant ist immer aktuellGespräch mit Lorenz Grimoni, Leiter des Museums Stadt KönigsbergWOJ: In der mehr als 30jährigen Tätigkeit als Museumsleiter war das Thema Kant für Sie des Öfteren präsent. Welche Hö-hepunkte gab es im letzten Jahrzehnt?L. Grimoni: Im Jahre 2004 erlebten wir gemeinsam mit unserer Patenstadt das große Kant-Jahr mit einer Ausstellung, die rund 30.000 Besucher zählte. Die in ihrer Art einmalige Schau war von einem gut dokumentierten deutsch-russischen Katalog begleitet.

WOJ: Ähnliche Projekte haben Sie auch mit Partnern in Kaliningrad umgesetzt.L. Grimoni: In diesem Jahr zeigten wir

fünf Monate lang unsere Ausstellung „Kant und seine Zeit“, an der sich auch zwei Kaliningrader Muse-en – das Museum für Ge-schichte und Kunst sowie das Museum der Staatli-chen Immanuel Kant Uni-versität – beteiligt hatten.

WOJ: Und auch im kom-menden Jahr bleibt Kant aktuell …L. Grimoni: Im Rahmen der Europäischen Kultur-hauptstadt „Essen 2010“ wird unsere Einrichtung mit ihrer weltweit umfang-

reichsten Kant-Sammlung eine große Sonderschau eröffnen, die dem breiten

Publikum Kant als Euro-päer vorstellt. Zur Aus-stellung wird es auch ein Begleitbuch geben, in dem u.a. 12 namhafte Kant-Forscher aus ost- und westeuropäischen Ländern die Bedeutung des Werkes von Immanuel Kant her-vorheben. Die Ausstellung wird vom 24. April bis zum 31. Dezember 2010 im Museum Stadt Königsberg zu besichtigen sein.

Lorenz Grimoni, Leiter des Museums Stadt Königsberg, (re) und Sergej Jakimow, Direktor des Museums für Geschichte und Kunst

Klaus Weigelt, Vorsitzender der Stadtgemeinschaft

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Bericht

In der Anlage des als „Koloss von Rü-gen“ bekannt gewordenen ehemaligen „KdF-Seebades Rügen“ befi ndet sich das Dokumentationszentrum Prora.Die Anlage, eine 4,5 km lange Gebäude-zeile, bestehend aus 5 Blöcken mit einer Länge von jeweils 500 m, steht seit 1992 unter Denkmalschutz. Das Dokumenta-tionszentrum gehört zur Stiftung NEUE KULTUR, die l990 errichtet wurde und sich seit l992 mit dem ehemaligen „KdF-Seebad der Zwanzigtausend“ befasst .Ziel der Stiftung ist es, Prora als histo-risches Denkmal zu erhalten und es in einer der historischen Bedeutung und den regionalen Erfordernissen angemessenen Weise zu entwickeln und zu nutzen. Das Dokumentationszentrum wurde im Jahr 2000 eröffnet.Die Dauerausstellung „MACHTUrlaub“ wurde 2003 / 2004 im Rahmen des Pro-gramms Kultur 2000 der Europäischen Union mit Partnern aus Polen, Tschechi-en, Holland und Österreich realisiert. Sie verdeutlicht auf anschauliche Weise den Zeitgeist, das Gedankengut, die geistige Vergewaltigung und Verformung im „Dritten Reich“ und macht betroffen. Sie wird begleitet durch den Einsatz moderner Medien und durch informative Literatur und wird, was auffällig ist, von sehr vielen jungen Menschen verschiedener Nationalitäten besucht. Im Vorwort eines der ausliegenden Bücher wird ein Satz von Theodor W. Adorno vorangestellt: „Vor allem muss Aufklärung über das Gesche-hene einem Vergessen entgegenarbeiten, das nur allzu leicht mit der Rechtfertigung des Vergessenen sich zusammenfi ndet.“Das „KdF-Seebad Rügen“ war ein wich-tiger Bestandteil der sozialpolitischen Propaganda des NS-Regimes. Die Aus-stellung „MACHTUrlaub“ thematisiert die Geschichte von Prora und stellt sie in den Kontext der nationalsozialistischen Gesellschaftspolitik, die durch den Begriff „deutsche Volksgemeinschaft“ zentral geprägt wurde.Thematisch gliedert sich die Ausstellung in zwei Bereiche: 1. Das KdF-Seebad Prora: Rügen im Nationalsozialismus; Idee und Planung; Das „KdF-Seebad

Rügen“ in der Propaganda; Baugeschichte und Nutzung bei Kriegsende; Nach-kriegsgeschichte; und 2. Die „deutsche Volksgemeinschaft“: Das Modell der „Volksgemeinschaft“; Formierung der „Volksgemeinschaft“; Soziale Realitäten der „deutschen Volksgemeinschaft“; Propaganda und Massenkultur; Die Ins-trumentalisierung der Kultur; Die „Mo-dernität“ des NS-Staates.Begleitet wird die Dokumentation durch Wechselausstellungen zur Geschichte, Architektur, Kunst, Natur und Politik.Die Ostküste Rügens zählt zu den schöns-ten deutschen Naturlandschaften.Prora ist das Synonym für das einzige „KdF-Seebad“, das in den Jahren zwi-schen Mai l936 und Sommer l939 in wesentlichen Teilen fertig gestellt wurde.„Kraft durch Freude“ war eine Unteror-ganisation der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF), deren Leiter, Robert Ley, fünf solcher Ferienanlagen an der Nord- und Ostsee plante. Die DAF baute ein umfas-sendes Netz betreuender Einrichtungen auf, die nahezu sämtliche alltags- und lebenswichtigen Bereiche – bis hin zur Freizeitgestaltung – kontrollierten. Die Gewerkschaften und Arbeitervereine, in denen sich die Arbeiter ihre Freizeit und Erholung gestaltet hatten, wurden am

2. Mai l933 im „Sturm auf die Gewerk-schaften“ zerschlagen. Ziel der DAF war eine „totale Betreuung“, oder, wie Ley es formuliert: „Während der alte Staat ein Nachtwächterstaat war, ist unser Staat ein Erziehungsstaat, ein Pädagoge, ein väterlicher Freund. Er lässt den Menschen nicht los von der Wiege bis zum Grabe.“Der Massentourismus, der den Nazis vorschwebte, besetzte zunächst das mas-senhafte Bedürfnis von Arbeitern und weniger bemittelten Schichten. Sie sollten von ihren sozialen und wirtschaftlichen Problemen abgelenkt werden, um den inneren Frieden zu sichern.Auf ideologischer Ebene versuchte die Organisation, Aufstiegshoffnungen der Arbeiter zu wecken und ihnen eine bes-sere Zukunft in der Volksgemeinschaft zu versprechen. Die Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ entwickelte sich zur populärsten Organisation des „Dritten Reiches“.Die KdF-Bewegung war die Geburt des Massentourismus. Ein Urlaubskomplex für 20 000 Menschen – wie in Prora geplant – hätte 1936 eine unerhörte und bis dahin unbekannte Zusammenballung dargestellt. Der heutige moderne Touris-mus hat inzwischen größere Konzentrati-onen hervorgerufen. Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied: „KdF“ war ein gesellschaftspolitisches Projekt, der heutige Tourismus ist ein wirtschaftliches Phänomen.1936 wurde für Prora ein geschlossener Wettbewerb ausgelobt, aus dem Clemens

Ausstellung: „MACHTUrlaub“ Das Dokumentationszentrum Prora beleuchtet NS-Geschichte auf Rügen

Fortsetzung auf Seite 19

Die Anlage des ehemaligen „KdF-Seebades Rügen“ heute Fotos: Ulla Dretzler

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Bericht

Klotz, der Architekt Leys, als Sieger hervorging. Die zentrale Festhalle für 20 000 Gäste sollte dem Entwurf des Ham-burger Architekten Erich zu Putlitz folgen. Schon bei der Planung äußerte Hitler den Wunsch, dass das Seebad im Kriegsfall auch als Lazarett nutzbar sein sollte. Am 2. Mai 1936 fand die Grundsteinlegung statt. Es war eine Großveranstaltung unter Teilnahme der Kriegsmarine und Luftwaf-fe mit Übertragung im Radio. Robert Ley hielt die Hauptrede.In Prora waren die größten und leis-tungsfähigsten deutschen Baufirmen tätig. Sie errichteten die Rohbauten im Wesentlichen von Frühjahr l938 bis zum September l939. Mit Beginn des Welt-krieges wurde der Bauvorgang abgebro-chen und die folgenden Bauarbeiten von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern geleistet. Während des Krieges wurde die Anlage teilweise ausgebaut und für kriegsnahe Ziele verwendet. Flüchtlinge und Ausgebombte aus Hamburg wurden hier untergebracht, l944 ein Lazarett eingerichtet.Bei Kriegsende waren einige Teile der Anlage, insgesamt etwa 5 km, genutzt, andere standen leer. Nach der Ausquartie-rung der Flüchtlinge im November l945 bezogen Truppenteile der sowjetischen Armee die bewohnbaren Teile. Von l945 bis 1947 fanden Demontagen statt, über den Hafen von Saßnitz gelangten Bau-materialien als Reparationsleistungen in die Sowjetunion.Der folgende unkontrollierte Abriss ende-te erst l949. Bei Sprengungen wurde der südliche Flügel vollständig zerstört, im Norden blieben große Trümmerteile ste-hen. Später nutzte die Nationale Volksar-mee (NVA) der DDR die Anlage zu einem Komplex von Kasernen, militärischen Schulen und zu einem Ferienheim für Of-fi ziere der NVA. Nach der Wende ging die Anlage nach einer kurzen Nutzung durch die Bundeswehr l991 als Liegenschaft Prora in Bundeseigentum über. Damit endete der Status Proras als militärisches Sperrgebiet.In der plötzlichen Übergangszeit war alles menschenleer, unbewacht und herrenlos.Vandalismus breitete sich aus.Seit l992 siedelten sich eine Vielzahl von Kultur- und Jugendeinrichtungen in privater Initiative mit Mietverträgen der Bundesvermögensverwaltung (BVA) in dem mittleren der fünf großen Gebäude-blöcke an.In dieser „Museumsmeile“ befanden sich u. a. Künstlerateliers, das Historische Prora Museum, die Erlebnismuseen „Zum Anfassen“ und „Wasserwelten“, das Mu-

seum „KulturKunststatt Prora“ , seit l996 das Graphik-Museum mit der Sammlung Vogel C & C mit ca. 4000 Blättern (die Sammlung Prof. Carl Vogel, ehemaliger Präsident der Hochschule für Bildende Künste Hamburg und seiner Ehefrau Carin umfasst insgesamt 20 000 Blätter und verkörpert einen Wert von etwa acht Millionen Euro) und seit 2000 auch das Dokumentationszentrum. In internationalen Symposien und Veran-staltungen, organisiert durch die Stiftung NEUE KULTUR, wurden Vorschläge

zur Nutzung dieser Anlage diskutiert und erarbeitet.Die Finanzbehörden versuchten seit der Räumung durch die Bundeswehr, Prora unter kommerziellen Gesichtspunkten zu vermarkten. Im Sommer 2004 versteigerte die Oberfi nanzdirektion die von der Roten Armee gesprengten Blöcke im Norden, unter Denkmalschutz stehende Ruinen, mit angrenzendem Wald an ein Marktfor-schungsunternehmen aus Liechtenstein. Der Landkreis Rügen, Eigentümer von Block 5, will Mittel für den Umbau zu einer Jugendherberge mit 500 Plätzen freigeben.Die zentralen und am besten erhaltenen Teile der Anlage, die Blöcke 1, 2 und 3, in denen sich auch die „Museumsmeile“ mit den verschiedenen Kultur- und Ju-gendeinrichtungen befand, wurden 2005 an private Investoren für kommerzielle Zwecke ( für Hotels, Ferienwohnungen, Wellness- und Sportanlagen usw.) veräu-ßert. Einer dieser Investoren ist die Insel-bogen GmbH, deren Geschäftsführer der Betreiber des Museums „KulturKunststatt

Prora“ in der Museumsmeile war, das nun kommerziell weiter betrieben wird. Den anderen ehemaligen Mietern wurde von den Investoren gekündigt, sie haben die Anlage inzwischen fast alle verlassen, auch die Graphiksammlung Vogel C & C 2006 nach zehn Jahren. Dem Dokumen-tationszentrum Prora wurden die Räume in Block 3 zum 31.12.2008 gekündigt, der Stiftung NEUE KULTUR wurde gleich-zeitig zugestanden, die Räume vorerst weiter als Dokumentationszentrum zu nutzen. Historiker kritisieren den Verkauf

der Anlage als Rückzug des Bundes aus der politischen Verantwortung, handelt es sich doch um ein Denkmal von nationalem Rang. Die Akademie der Künste in Berlin hat sich in einer Vollversammlung unter ihrem Präsidenten Klaus Staeck einstim-mig einer Erklärung angeschlossen, die den Erhalt des Dokumentationszentrums Prora an seinem angestammten Platz fordert. In der Erklärung heißt es u. a.: „Der Monumentalbau in Prora auf Rügen ist ein einzigartiges architektonisches und sozialgeschichtliches Zeugnis der nationalsozialistischen Ideologie und ein unverzichtbares Dokument der deutschen zeitgeschichtlichen Erinnerungskultur. Dieses Dokumentationszentrum ist eine nationale Aufgabe der Geschichtsvermitt-lung und Aufklärung über die Schreckens-herrschaft der nationalsozialistischen Diktatur. Ohne dieses Dokumentations-zentrum ist die Gesamtanlage ein sinn-entleertes Tourismusziel, mit dem die Relativierung der Geschichte bewusst in Kauf genommen wird.“

Ulla Dretzler

Fortsetzung von Seite 18

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Reisebericht

„..manches erinnert an den Kohlenpott, als wäre er nach Osten verrutscht…“, schreibt Heinrich Böll unter dem Titel „Das Schmerzliche an Oberschlesien” in seiner Rezension von Horst Bieneks „Die erste Polka” von 1975 über das Oberschle-sien der Vorkriegszeit. Auch heute gibt es viele Städte in Oberschlesien, auf die Heinrich Bölls Beobachtungen zutreffen und bisweilen fühlt man sich zurückver-setzt in das Ruhrgebiet der 1960er Jahre. Oberschlesien ist aber mehr als eine mon-tanindustriell geprägte Region. Das Land mit dem oberschlesischen Industriegebiet als Kern umfasst auch die im Süden an-grenzenden Beskiden und reicht durch die Einbeziehung der Region um Tschenstochau über die historische Nordostgrenze Oberschle-siens hinaus. Zum historischen Oberschle-sien gehören die Woiwodschaft Oppeln und südwestlich angrenzende Gebiete im heutigen Tschechien. Oberschlesien hat viele Gesichter und eine bewegende Geschichte. Über die vielen Jahrhunderte hinweg gekennzeichnet durch wechselnde Herrschaftsverhältnisse, war es im 20. Jahrhundert Zankapfel zwischen Deutsch-land und Polen.

Gemeinsamkeiten für den Dialog

Zwischen dem L a n d N o r d -rhein-Westfa-len und Ober-schlesien gibt es viele Ver-bindungen. Sie reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück, als Ar-beitskräfte aus Oberschlesien als Bergleute im Ruhrgebiet Ar-beit fanden. Als Folge des Zwei-ten Weltkrieges gehört Oberschlesien zu Polen. Viele Oberschlesier fl ohen, wurden vertrieben oder sahen sich zur Aussiedlung veran-lasst. Oft war dabei Nordrhein-Westfalen ihr Ziel, so dass zahlreiche Einwohner von Nordrhein-Westfalen oberschlesische Wurzeln haben. Angesichts der vielfältigen Verbindungen

beider Regionen hat das Land NRW 1964 eine Patenschaft über die Oberschlesier übernommen und im Jahr 2000 mit der Woiwodschaft Śląsk/Schlesien eine „Ge-meinsame Erklärung über die Zusammen-arbeit und den Ausbau der freundschaft-lichen Beziehungen” unterzeichnet, die 2008 bekräftigt wurde. Diese sieht eine „Vertiefung des kulturellen und sprach-

l i c h e n A u s -tausches zwi-schen beiden Regionen unter besonderer Be-rücksichtigung der Interessen der Menschen mit polnischer bzw. deutscher Abstammung an der Bewahrung der Identität” vor. So gab es für die Begegnungsrei-

se nach Oberschlesien, die der Integra-tionsbeauftragte der Landesregierung NRW, Thomas Kufen, mit der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf, dem Oberschlesischen Landesmuseum in Ratingen und Vertretern des Landesbeira-tes vom 27. bis zum 30. September 2009 unternahm, viele Anknüpfungspunkte. Ziel war es, sich vor Ort der Geschichte, Politik und den Menschen der Region anzunähern und sich über die Situation der deutschen Minderheit in Oberschlesien zu informieren. So standen neben Besuchen verschie-dener Städte in den Woiwodschaften Śląsk/Schlesien und Opole/Oppeln viele politische Sondierungsgespräche auf dem Programm. Sie dienten vor allem dem persönlichen Kennenlernen und dem Informationsaustausch.

Deutsche Kultur und Geschichte in Lubowitz und Ratibor

In dem bei Ratibor gelegenen 370-Seelen-Dorf Lubowitz wurde 1788 der berühmte romantische Dichter Joseph von Eichen-dorff geboren. Seit 2008 gibt es in Lubowitz deutsch-polnische Ortsschilder. Die große Mehrheit der Einwohner bekennt sich hier zu ihren deutschen Wurzeln. Gastgeber und Gesprächspartner im Eichendorff-Kultur- und Begegnungs-

Nordrhein-Westfalen in OberschlesienBegegnungsreise des Integrationsbeauftragten Thomas Kufen - Erster Teil

Joachim Niemann, Leonard Wochnik und Bruno Kosak vor dem Eichendorff-Kultur- und Begegnungszentrum in Lubowitz Foto: Susanne Peters-Schildgen

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Reisebericht

zentrum waren Bruno Kosak, Frakti-onsmitglied der Deutschen Minderheit im Landtag Oppeln, Kuratorienrat der Eichendorff-Stiftung, Leonard Wochnik, Vorsitzender des Eichendorff-Vereins und Dipl.-Ing. Joachim Niemann, Geschäfts-führer des „Verbands der deutschen so-zial-kulturellen Gesellschaften in Polen“ (VdG) aus Oppeln. Den Gästen wurden Struktur und Funktion des Vereins und des Begegnungszentrums erläutert. Das Gebäude dient den Deutschen in Ober-schlesien als Kultur- und Bildungsstätte, aber auch als Begegnungsstätte aller in Oberschlesien lebenden Volksgruppen. Träger der Einrichtung sind die Gemeinde Rudnik, der Lubowitzer Eichendorff-Verein und der Verband der deutschen Ge-sellschaften in der Republik Polen (VdG) sowie die deutschen sozial-kulturellen Bezirksverbände Kattowitz und Oppeln. Die Gründung des Zentrums erfolgte auf Initiative des seit 1989 bestehenden Eichendorff-Vereins. Dessen Aufgabe besteht in der Betreuung von Objekten, die mit Eichendorff in Verbindung stehen. Dazu zählt besonders die Ruine des 1945 zerstörten Schlosses, wo Eichendorff sei-ne Kindheit verbrachte. Von dem zunächst geplanten Wiederaufbau des Schlosses hat der Verein Abstand genommen, weil es dazu weder von polnischer noch von deutscher Seite fi nanzielle Unterstützung gibt. Aus diesem Grund konnte auch ein in Lubowitz geplantes großes Übernach-tungszentrum nicht gebaut werden. Bruno Kosak gab der Delegation einen Einblick in die Situation der deutschen Minderheit in der Woiwodschaft Oppeln. Nach dem Mauerfall brachte der deutsch-polnische Freundschaftsvertrag von 1991 wesentliche Verbesserungen für die Deut-schen in Polen. Mit der Unterzeichnung des Vertrages wurde die deutsche Minder-heit in Polen erstmals offi ziell anerkannt. So erhielten die Deutschen in Polen neben ihrer doppelten Staatsangehörigkeit auch das Recht, ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität frei zu bewahren und auszudrücken, privat und öffentlich in ihrer Muttersprache zu sprechen sowie eigene Bildungs-, Kultur- und Religionseinrichtungen zu gründen. Bei den Wahlen von 1991 wurden sieben Angehörige der Deutschen Minderheit als Abgeordnete in den Oppelner Sejm gewählt. Angehörige der Deutschen Minderheit stellen in vielen Gemeinden

Ratsmitglieder. Die wichtigs-ten Organisationen der Deut-schen Minderheit in Oppeln und Schlesien sind die Sozial-Kulturelle Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schle-sien (SKGD) und der Deutsche Freundschaftskreis im Be-zirk Schlesien. Beide gehören zum Verband der deutschen und sozial-kulturellen Gesell-schaften in Polen (VdG). Der SKDG gehören 330 Deutsche Freundschaftskreise (DFK) an; diese sind lokale Orts- oder Gemeindegruppen. Dem DFK im Bezirk Schlesien sind 127 Ortsgruppen angeschlossen. Kosak bemerkte, dass die Einführung deutschsprachigen Unterrichts in den Schulen allgemein gut angenommen werde. Rein deutsche Schulen seien weniger erfolgreich. Insgesamt bewerteten die Gastgeber die Situation der Deutschen Minderheit als positiv. Ihre Hoffnung setzen sie auf die Jugend, die beim großen Treffen der Deutschen Minderheit in der Breslauer Jahrhunderthalle im Septem-ber 2009 ihrer Meinung nach zahlreich vertreten war.

Deutscher Freundschaftskreis in Schlesien

Nach der Besichtigung der Eichendorff-Ausstellung und der Schlossruine ging die Fahrt weiter nach Ratibor. Zu einem Informationsaustausch traf sich die Dele-gation dort mit Vertretern des Deutschen Freundschaftskreises (DFK) im Bezirk Schlesien, des Bundes der Jugend deut-scher Minderheit (BJDM) Ratibor sowie des Jugendprogramms „Mittendrin“. Die Gesprächspartner schätzten die Situation der deutschen Minderheit kritischer als die Gastgeber in Lubowitz ein. Besonders der deutschen Jugend fehle in Oberschlesien die Perspektiven. Deshalb gingen viele zweisprachig ausgebildete junge Leute ins Ausland, wo die Löhne höher seien. Erleichtert werde der Weggang zusätzlich durch die doppelte Staatsangehörigkeit. Als Problematisch wurde die Situation

besonders für die mittlere „verlorene“ Generation der Deutschen in Oberschle-sien angesehen. Deren Identitätsverlust sei mit dem Verbot der deutschen Sprache nach 1945 einhergegangen. Erst Ende der 1960er Jahre wurde Deutsch in anderen Regionen wieder zugelassen. Als nach der politischen Wende den Deutschen in Polen alle Möglichkeiten zur Pfl ege der sprachlichen und kulturellen Identität offen standen, gab es zunächst kein ge-eignetes Lehrpersonal. Teresa Konczyk, Redakteurin der Radiosendung „Mitten drin“, bestätigte die Spannungen zwischen alter und junger Generation der Deutschen Minderheit. Sie skizzierte kurz die beiden deutschsprachigen Radiosendungen „Die deutsche Stimme aus Ratibor“ (seit Okto-ber 1999) und „Mittendrin“ (seit Oktober 1999). Beide Sendungen werden von Radio „Vanessa“ ausgestrahlt.

Susanne Peters-Schildgen(Fortsetzung in WOJ 2/2010)

Das Eichendorff-Denkmal in Ratibor

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Studienfahrt

SpurensucheVom 07.07.bis 12.07.

Deutsche Geschichte und Kultur in Sankt Petersburg

Die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Düsseldorf eine Studi-enreise nach Sankt Petersburg. Auf dem Programm stehen, neben ausführlichen Besichtigungen von Museen und bedeu-tenden Bauwerken, Begegnungen mit Vertretern von Institutionen und Organi-sationen der Deutschen in St. Petersburg.

Programm

Mi. 07.7.2010Abfl ug mit der Lufthansa von Düsseldorf nach Sankt Petersburg am Vormittag. Transfer zum Hotel „Moskwa“, direkt am Newski Prospekt gelegen.

Do. 08.07.2010Stadtrundfahrt mit Außenbesichtigungen von der Admiralität, dem Flussleucht-turm, der Akademie der Künste, der Petersburger Universität und der Peter und Paul Festung, die den Ursprung und das historische Zentrum der Stadt bildet. Innenbesichtigung der Isaak-Kathedrale.

Fr. 09.07.2010Besichtigung der ehemaligen Winterre-sidenz des Zaren, in der sich heute die Eremitage befi ndet.Besuch des Generalkonsulats der Bundes-republik Deutschland. (fakultativ)

Sa. 10.07.2010Fahrt nach Puschkin und zur bekanntesten Zarenresidenz, dem Katharinenpalast, wo sich das legendäre Bernsteinmuseum befi ndet (Innenbesichtigung).Besichtigung der deutschen evangelisch lutherischen Petrikirche in St. Petersburg und der Dauerausstellung „Geschichte der Deutschen in St. Petersburg“ im Deutsch-Russischen Begegnungszentrum. (fakultativ)Am frühen Abend geführter Spaziergang mit der örtlichen Reiseleitung entlang der Newa durch die Stadt.

So. 11.07.2010 Ausflug mit dem Tragflügelboot zur prunkvollen Sommerresidenz an der Ost-see, dem Peterhof.

Mo. 12.07.2010Abreise - Transfer zum Flughafen. Rück-fl ug nach Düsseldorf am Nachmittag.Programmänderungen vorbehalten.Der Preis für die Reise beträgt 848,00 Euro für Vollpension und Unterbringung im Doppelzimmer, zuzüglich Visumbe-schaffung in Höhe von ca. 70,00 € pro Person.Einzelzimmerzuschlag 136,00 €Anmeldung und Informationen im Gerhart-Hauptmann-Haus unter Tel.: 0211 - 1699118.

Deutsche Kultur und Geschichte in Sankt Petersburg - Lutherische PetrikircheDie Kirche wurde 1830 vom Architekten

Alexander Brüllow fertiggestellt. Die einst für die deutsche Gemeinde Petersburgs im neoromantischem Stil erbaute Kirche war während der Sowjetzeit ein Schwimmbad. Heute fi nden hier wieder regelmäßig evan-gelische Gottesdienste statt. Außerdem wird hier die Ausstellung „Geschichte der Deutschen in St. Petersburg“ gezeigt. Die evangelische Kirche liegt etwas zurückge-setzt vom Newski Prospekt.Ständige Ausstellung in der

Petrikirche

Die Geschichte der Ausstellung nimmt ihren Anfang 1999, als auf Initiative des Generalkonsulates Deutschland in Sankt Petersburg eine Ausstellung von authen-tischen Dokumenten „Deutsche in Sankt Petersburg“ organisiert wurde.In der Ausstellung befindet sich eine große Anzahl von Materialien nach ver-schiedenen Gebieten geordnet: „Russisch-deutsche dynastische Verbindungen“, „Deutsche in der Russischen Akademie der Wissenschaften“, „Staatsmänner und Militärpersonen“, „Evangelisch-lutheri-sche Gemeinden“, einzelne hervorragende Vertreter der deutschen Diaspora in Russ-land, beginnend ab dem 18. Jahrhundert. In der Ausstellung kann man sich mit dem Leben und der Tätigkeit solcher bekannter Deutscher in Russland, wie G. I. Oster-mann, S. J. Witte, G. S. Bayer und vielen anderen bekannt machen.

Deutsch-Russisches Begegnungszent-rum an der Petrikirche St. Petersburg

Die Stiftung Deutsch-Russisches Begeg-nungszentrum an der Petrikirche in St. Petersburg trägt mit ihren Veranstaltungen zur Festigung deutscher Bräuche und Traditionen bei, fördert, organisiert und leitet Ausstellungen, Seminare, Diskus-sionsforen und Vortragsreisen, kümmert sich um ältere Menschen und unterstützt berufsbegleitende oder – fördernde Ini-tiativen besonders für russlanddeutsche Jugendliche.Das Begegnungszentrum besteht seit 1993.Das Angebot umfasst Deutschkurse, auch für Sprachlehrer, Jugend- und Aus-bildungsprojekte, eine Bibliothek und Audiothek sowie ein Au-Pair-Programm. Das Zentrum ist ein Knotenpunkt im Rahmen des Bildungs- und Informati-onszentrums (BIZ) in Moskau und unter-stützt 13 Begegnungsstätten in: Neudorf (Strelna), Murmansk, Nowodwinsk, Petrosawodsk,Pskow, Seweodwinsk, Tos-no, Kotlas, Kolpino, Kirischi, Gatschina, Wyborg, Wolchow.An Gruppenaktivitäten gibt es das Mu-sikensemble „Loreley“, das Laientheater „Petersburger Deutsche“, das Kinderthe-ater „Schnukiputz“, ein Kindermusikthe-ater und eine Folkloregruppe.

Mattias Lask

Petrikirche in Sankt PetersburgFoto: privat

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Studienfahrt

Vom 19.06. bis 26.06. Eine Reise nach CzernowitzMythos Czernowitz. Von der Hauptstadt der Bukowina geht eine ungewöhnliche Faszination aus. „Klein-Wien am Pruth“ oder auch „Jerusalem am Pruth“ sind Bezeichnungen, die die Stadt in der Vergangenheit charakterisieren sollten. Eine Stadt, in der Menschen aus vielen Ethnien, aus unterschiedlichsten Kultu-

ren, Anhänger diverser Religionen, mit verschiedenen Muttersprachen friedlich miteinander lebten.Ausgerichtet auf die Hauptstadt des KuK-Reiches Österreich-Ungarn, auf die Metropole Wien, geprägt durch die jüdi-schen Bewohner, die mehr als ein Drittel der Bevölkerung stellten, überwiegend assimiliert und Träger einer deutschen „Leitkultur“ waren. Das „goldene Zeit-alter“ der Stadt reichte von 1845, als die Bukowina zum eigenständigen Kronland mit der Hauptstadt Czernowitz erklärt wurde, bis 1915, als russische Kosaken im 1. Weltkrieg die Stadt überfl uteten und die Bukowina 1918 an Rumänien fi el.Durch eine Vielzahl herausragender meist jüdischer DichterInnen, bildender Künst-ler und Wissenschaftler, die in Czernowitz geboren wurden oder doch eine längere Zeit ihres Lebens dort verbrachten, wird auch heute noch unser Blick auf das mittlerweile ukrainische Cernivci gelenkt. Allerdings gilt das Interesse wesentlich dem Werk der deutsch- und jiddischspra-chigen DichterInnen und Intellektuellen und ihrem Leben in einer Gesellschaft,

die vielen von uns ein „multikulturelles“ Ideal zu sein scheint.Da die alte, die „österreichische“ Stadt, zwar in weiten Teilen sanierungsbedürftig, bis heute erhalten blieb, lohnt es sich, vor Ort zu erkunden, welche Zeugnisse des „goldenen Zeitalters“ sich noch fi nden lassen und zu prüfen und zu fühlen, ob

vom Geist und der Ausstrahlung des mythischen Ortes noch etwas erhal-ten, noch zu spüren ist.Die Rose Auslän-der-Stiftung bie-tet 2010, wie alle zwei Jahre, eine geführte achttägige Reise nach Czer-nowitz an. Für die An- und Abreise wird jeweils ein Tag benötigt (Flug ab Düsseldorf, Bus ab Lemberg), in Czernowitz stehen sechs Tage zur Er-

kundung der Stadt und ihrer Umgebung zur Verfügung.Die Stadtspaziergänge führen zu den Spuren von Rose Ausländer, Paul Celan, Selma Meerbaum-Eisinger, Gregor von Rezzori, Elieser Steinbarg, Mihail Emi-nescu und weiteren DichterInnen; das österreichische Czernowitz bildet einen Schwerpunkt mit Besuchen des Theaters, der Musikhochschule, des Rathauses, des Justizpalastes, des Kunstmuseums, der ehemaligen Residenz des griechisch-orthodoxen Erzbischofs (heute Zentralge-bäude der Universität), der Kathedralen und Kirchen verschiedener Religionen. Ringplatz, Volkspark und Habsburghöhe gehören zum typischen Bild jeder öster-reichischen Stadt. Natürlich ist auch das „jüdische“ Czernowitz ein Schwerpunkt der Reise. Das alte jü-dische Viertel lässt sich fi nden, über 70 Synagogen und Bethäuser waren einst mit Leben erfüllt. Heute reicht eine klei-ne Synagoge für die jüdische Gemeinde. Die anderen werden zweckentfremdet genutzt als Möbellager, Fabriken oder wie der ehemalige jüdische Tempel, das

imposanteste jüdische Kirchengebäude der Stadt, umgebaut zum Kino. Im Foyer des Kinos erinnert eine Marmortafel an Joseph Schmidt, den berühmten Tenor der zwanziger und dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts, der in Czernowitz geboren wurde, im Kinderchor des Elieser Steinbarg das Singen lernte und im Tempel und der Großen Synagoge ein Jahr lang als Kantor sang, bevor er nach Berlin ging und Weltruhm erlangte.Der alte jüdische Friedhof mit fast 70.000 Gräbern ist heute der markanteste Platz jüdischen Lebens in Cernivci. Und die verfallenen Ruinen des Palastes des Wun-derrabbi von Sadagora der beschämenste.Eine Busfahrt zur Festung Chotin am ma-jestätischen Dnjestr führt in die Nähe des Ortes, an dem 1941 die aus der Bukowina deportierten Juden auf Flößen den Strom überqueren mussten, um die Gettos in Transnistrien zu erreichen. Dort starben 350.000 Menschen an Seuchen, Hunger und Kälte, ermordet weil sie Juden waren. Dort ging die von deutschsprachigen Ju-den getragene Kultur der Stadt Czernowitz zu Grunde.Ausfl üge zum Cecina-Berg, nach Dorna-Vatra, früher ein beliebtes Bad am Rande der Waldkarpaten, das Erkunden der mo-dernen Stadt Cernivci, ein Gespräch mit dem Rabbi, Vorträge von Peter Rychlo (Germanist an der Universität Cernivci), Helmut Braun (Beiratsvorsitzender der Rose Ausländer-Stif-tung), des jüdischen Historikers Mykola Kushnir, ein Gespräch mit dem Chefredakteur der Regional-zeitung, ein Klezmer-Konzert mit einer örtlichen (aus Filmen bekannten) Gruppe und eine Lyriklesung am Pruth und natür-lich Freizeit zum Erkunden auf eigenen Wegen und Mahlzeiten mit allem, was die ukrainische Küche zu bieten hat - mit „gefi lltem Fisch“ auch ein Ausfl ug in die jiddische Kochkunst – machen die Reise zu einem Erlebnis.Zurück gekommen, werden die Rei-senden mit anderen Augen die Texte lesen, mit denen alle DichterInnen ihre Heimatstadt erinnern und preisen. Und der Geist der alten Stadt, ist er noch zu fi nden? Lassen Sie sich überraschen.

Helmut Braun

Alle Informationen zur Reise erhalten Sie im Internet unter www.roseausländer-stif-tung.de oder auf Anforderung schriftlich bei der Rose Ausländer-Stiftung, Blücher-strasse 10, 50733 Köln.

Czernowitz heute

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Buchrezension

Der SED-Staat und die Vertriebenen. Neue Forschungen – auch ein Beitrag zum 60. Gründungstag der DDRLängst ist bekannt, dass die SED-Diktatur – wie immer in Abhängigkeit von ihren sowjetischen Schutzherren – die aus dem historischen deutschen Osten stammenden Flüchtlinge und Vertriebenen grundsätz-lich als zumindest potentiellen Störfaktor betrachtete. Die kommunistischen Spit-zenleute um Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck (dessen Heimatstadt Guben mit ihrer östlichen Hälfte jenseits der Neiße 1945 auch an Polen fi el) hatten einigen Grund zur Besorgnis, zumindest mit Blick auf die zahlenmäßigen Verhältnisse: Bis zum Zeitpunkt der Gründung der DDR im Oktober 1949 waren in die Sowjetische Besatzungszone rund 4,3 Millionen Men-schen aus den bisheri-gen Ostprovinzen des Deutschen Reiches be-ziehungsweise anderen deutschen Siedlungs-gebieten (insbesonde-re dem Sudetenland) geströmt. Damit betrug der Anteil dieser Gruppe an der Gesamt-bevölkerung der DDR Ende 1949 24,2 %. In der jungen Bundesrepublik lag der Anteil der Vertriebenen und Flüchtlinge dagegen lediglich bei rund 16,5 %. Auch hinsichtlich der großen regionalen Ver-teilungsunterschiede erreichte die DDR einen Spitzenwert: In Mecklenburg-Vorpommern betrug der Anteil von Ver-triebenen und Flüchtlingen 1949 nicht weniger als 43,3 %. Dies lag noch deutlich über dem entsprechenden Höchstwert, den unter den westdeutschen Ländern Schleswig-Holstein mit 33 % erreichte.Zunächst wurde das Flüchtlings- und Vertriebenen-Problem in der SBZ/DDR bekanntlich einfach „wegdefi niert“, indem bereits seit September 1945 nach Maß-gabe der sowjetischen Besatzungsmacht nur noch von „Umsiedlern“ gesprochen werden durfte. Noch vor der Gründung der DDR wurde das „Umsiedler-Problem“ dann formell für gelöst erklärt, was bedeutete, dass nicht nur die bis dahin bestehende Sonderverwaltung („Zen-tralverwaltung für Umsiedlerfragen“) aufgelöst wurde, sondern zudem, dass staatlicherseits irgendwelche speziellen Maßnahmen als nicht mehr erforderlich angesehen wurden. Zu einer Zeit also

als in der Bundesrepublik die schwierige Diskussion um die angemessene Form des Lastenausgleichs erst richtig in Gang kam, legten die SED-Oberen fest, dass die Ver-triebenen und Flüchtlinge als besondere Bevölkerungsgruppe in der DDR gar nicht mehr vorhanden seien, da sie inzwischen vollständig integriert wären.Dass die Realität anders aussah, bedarf keiner eingehenden Erläuterung. Der Schriftsteller Christoph Hein, selbst 1944 in Schlesien geboren und in der Nähe von Leipzig aufgewachsen, hat dies in seinem Roman „Landnahme“ (2004 erschienen) eindrücklich literarisch geschildert.

Nunmehr liegt eine neue wissenschaftliche Untersuchung vor, die zeigt, welchen Auf-wand der SED-Staat im Grunde bis zu sei-nem Untergang bei der Überwachung und Unterwanderung einer Bevölkerungsgruppe trieb, die nach offi zi-

eller Lesart gar nicht existierte. Heike Amos, die in der Berliner Abteilung des Instituts für Zeitgeschichte arbeitet, hat sich diesem Untersuchungsfeld gewidmet und zum Teil Erstaunliches zutage geför-dert (Heike Amos: Die Vertriebenenpolitik der SED 1949 bis 1990, München 2009). Die Bemühungen des Staatssicherheits-dienstes richteten sich nicht nur darauf, strikt zu kontrollieren, dass das bereits 1945 ergangene Organisationsverbot seitens der Vertriebenen weiterhin nicht übertreten wurde – auch Kontakte zu den Interessenorganisation der Vertriebenen und Flüchtlinge in der Bundesrepublik sollten nach Möglichkeit unterbunden werden. Die Studie von Amos zeigt aber auch, wie schwer sich die Stasi damit tat, die seit Beginn der 1950er bis in die 1960er Jahre hinein stattfi ndenden informellen Vertriebenen-Treffen in den Zoologischen Gärten von Halle/Saale und Leipzig wirkungsvoll zu verhindern. Zwar konnte sie etwa gegen Gastwirte vorge-hen, die Räumlichkeiten vermietet hatten. Die Treffen als solche zu unterbinden, war jedoch infolge der „dezentralen“ Organi-sation durch persönliche, nicht selten nur mündlich mitgeteilte Informationen zu Ort

und Zeit der nächsten Zusammenkünfte äußerst schwierig. Da es im engeren Sinne keine „Rädelsführer“ gab, konnte man ihrer auch nicht habhaft werden. Entsandt wurden regelmäßig dann immerhin Inof-fi zielle Mitarbeiter, also Spitzel der Stasi, welche mithelfen sollten, die Treffen unter Kontrolle zu behalten.Die in West-Berlin angesiedelten Unteror-ganisationen der Vertriebenenverbände er-freuten sich in Anbetracht der räumlichen Nähe einer besonderen Beachtung durch den Spionage- und Repressionsapparat der SED-Diktatur. Das bereits seit 1949 an verschiedenen Standorten in West-Berlin existierende „Haus der ostdeutschen Hei-mat“ wurde gezielt mit Informanten unter-wandert – da man ja glaubte, dort sei eine Schaltzentrale des „Revanchismus“ unter-gebracht, die „Feindtätigkeit“ rechtfertige also den entsprechenden Aufwand. Die probate Methode, weibliche Spitzel in der Nähe der männlichen Funktionäre zu plat-zieren, fand auch hier Anwendung. Die in West-Berlin stattfi ndenden „Tage der Heimat“ und sonstigen Vertriebenentref-fen waren desgleichen ein Tummelplatz der verdeckten Stasi-Mitarbeiter. Zugleich wurden vor 1961 intensive Bemühungen unternommen, um die Teilnahme von in Ost-Berlin oder der DDR wohnenden Vertriebenen zu verhindern – oder aber zurückkehrende Teilnehmer wurden massiv unter Druck gesetzt, dergleichen künftig zu unterlassen. Nach 1961 reis-ten dann umgekehrt im Auftrag der Stasi unverdächtig erscheinende DDR-Rentner zu entsprechenden Versammlungen in West-Berlin und der Bundesrepublik, um von dort über die angeblichen Pläne der „Revanchisten“ zu berichten. Schließlich ist in der Untersuchung von Heike Amos auch nachlesbar, dass die DDR-Organe gegen die Vertriebenenverbände ins-gesamt oder aber einzelne prominente Vertreter planmäßig Pressekampagnen inszenierten. Besondere Aufmerksamkeit erfuhren dabei SPD-Funktionäre, die sich zugleich vertriebenenpolitisch engagier-ten. Diese zogen sich den besonderen Hass des „Arbeiter- und Bauernstaates“ zu. So wurde etwa systematisch versucht, Unwahrheiten über Wenzel Jaksch, sozial-demokratischer Bundestagsabgeordneter und zeitweiliger Präsident des Bundes der Vertriebenen, zu verbreiten.Insgesamt handelt es sich bei dem neuen Buch von Heike Amos um eine in vieler Beziehung inhaltlich unerfreuliche, aber notwendige, das Wissen um die Geschich-te der Vertriebenen in ganz Deutschland

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Bibliothek

„Die Nacht ist aus Tinte gemacht“ Kindheitserinnerungen aus Rumänien von Herta Müller

In „Die Nacht ist aus Tinte gemacht“ erzählt die Nobelpreisträgerin Herta Müller ihre Kindheit im rumänischen Banat. Aus dem Gespräch heraus, ohne Manuskriptvorlage, erzeugt ihre behutsam sich vorantastende Stimme eine dichte, spannungsreiche Atmosphäre, in der vor dem Ohr des Hörers eine Welt zum Leben erweckt wird, die nur noch in der Erinnerung existiert.Das Leben der Banater Schwaben in Nitzkydorf ist geprägt von bäuerlichen Bräuchen und harter Arbeit. Die Abgeschlossenheit dieses kleinen Kosmos bekommt durch den Schulbesuch erste Risse: Im ständigen Wechsel zwischen Dialekt, Hochdeutsch und Rumänisch entdeckt das Kind, dass die Sprachen ganz unterschiedliche Augen haben, mit denen je andere Dinge wahrgenom-men werden können. Durch die Risse wird aber auch die Gewalt deutlicher erkennbar, die in den Körpern sitzt, derer sich die politischen Regime brutal ermächtigen. Für die 1953 Geborene sind die Folgen von Krieg, Deportati-on der Mutter in ein stalinistisches Strafl ager, Alkoholismus des Vaters und Enteignung der Familie alltäglich spürbar. So beschreibt Herta Müller ihre Kindheitsängste im Rückblick - als sie auf die Nachstellungen und Drangsalierungen durch den gefürchteten Geheimdienst Securitate zu sprechen kommt - als Einübung in die spätere „Angst aus politischen Gründen“. Angst, die in der Diktatur Ceauşescus bewusst zum Machterhalt eingesetzt wurde.HERTA MÜLLER: „Die Nacht ist aus Tinte gemacht“ - Herta Müller erzählt ihre Kindheit im Banat; 2 CDs, supposé Berlin, 115 Minuten.

Die Töchter der WeberAufstieg und Niedergang einer Industriellenfamilie aus Lodz von Ina Weisse

Hundert Jahre war Lodz für die Familie Lange das „Gelobte Land“. 1844 gründeten die Lan-ges ihre Webstuhl- und Maschi-nenfabrik und wurden in der Folge unvorstellbar reich. Ina Weisses Urgroßeltern stiegen im damaligen „Manchester des Os-tens“ in die höchsten Kreise der Gesellschaft auf. Das Buch be-schwört eine Welt voller Glanz, voller exzentrischer Charaktere und Geschichten herauf. Doch das 20. Jahrhundert wird auch für die Langes zum Schick-sal. Der Erste Weltkrieg verändert ihre Welt, im Zweiten Weltkrieg verlieren sie alles. Vertreibung und Flucht aus der Heimat werden zum traumatischen Erlebnis. Getrieben von einer unstillbaren Sehnsucht nach dem Verlorenen, dessen Schönheit nur noch in der Erinnerung weiterlebt, begibt sich Ina Weisse auf Spurensuche nach ihren Wurzeln - und er-weckt eine glanzvolle Epoche wieder zum Leben. Faszinie-rende Orte, exzentrische Persönlichkeiten - ein erzählendes Sachbuch, das sich so spannend liest wie ein Roman. INA WEISSE: Die Töchter der Weber: Geschichte einer glanzvollen Familie. Goldmann, 2009.

Über den Dächern von DresdenSeit 1919 hat Walter Hahn (1889-1969) seine Heimat-stadt Dresden systematisch aus der Luft fotografi ert. Im Laufe von zweieinhalb Jahrzehnten entstand eine einzigartige Dokumentation der Stadt, die den historisch gewachsenen Kern wie die Entwicklung zur modernen Großstadt in Bildern von bestechender technischer und künstlerischer Qualität festhielt. Als Hahn im Oktober 1943 ein letztes Mal Bilder aus dem Flugzeug machen durfte - Luftbilder waren längst zu militärischen Ge-heimdokumenten geworden -, konnte er nicht ahnen, dass er am Schlußkapitel seines fotografi schen Groß-projektes arbeitete. Im Februar 1945 sank Dresden in Schutt und Asche. Glücklicherweise blieb Hahns Bildar-chiv mit etwa 15.000 Glasnegativen erhalten; es befi n-det sich heute in der Deutschen Fotothek Dresden. Das Buch bietet erstmals eine umfassende Auswahl aus dem Bestand und führt den Betrachter in einem imaginären Rundfl ug über die Stadtteile des alten Dresden - von der Altstadt mit Schloß, Zwinger und Frauenkirche bis nach Pillnitz, vom Japanischen Palais in der Neustadt bis zu den modernen Industrieanlagen am Ostragehege, von den Bauten der Technischen Universität bis zu den vornehmen Villen am Weißen Hirsch.WALTER HAHN: Über den Dächern von Dresden. Lehmstedt, 2008.

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Chronologie

Mi | jeweils 19 bis 20.30 UhrProbe der Düsseldorfer Chorgemeinschaft Ostpreußen-Westpreußen- SudetenlandLeitung: Iskra Ognyanova

Mi 06.01.,03.02, 03.03. | jeweils 15 UhrOstdeutsche Stickereimit Helga Lehmann und Christel KnackstädtRaum 311

Do 07.01., 04.02., 01.03. | jeweils 19.30 UhrOffenes Singenmit Barbara SchochRaum 412

Fr 08.01. | 15 UhrVerantwortung aus Tradition – Gedenkkolloquium für Konrad Grundmann(1925 – 2009)Eichendorff-Saal (Siehe S. 3)

Do 14.01. | 09.30 Uhr Exkursion in das Preußen- Museum Wesel und das Museum Stadt Königsberg(Siehe S. 11)

Mi 20.01. | 19.15 UhrAusstellungseröffnung„Ernst Oldenburg 1914 - 1992“Ausstellungsraum (Siehe S. 12)

Do 21.01. | 19.15 UhrDie „Neue Ostpolitik“ der Regie-rung Brandt / Scheel seit 1969Vortrag von Prof. Dr. Bernd FaulenbachKonferenzraum (Siehe S. 7)

Di 26.01. | 19.15 Uhr„Königsberger Küsse“Buchvorstellung von Alfons HuckebrinkKonferenzraum (Siehe S. 5)

Mi 27.01. | 15 UhrKinemathek„Der Untertan“ , Konferenzraum (Siehe S. 15)

Di 02.02. | 19.15 UhrAusstellungseröffnung„Ost-West-Begegnungen in Krieg und Frieden“ – Auf den Spuren einer FamiliengeschichteKonferenzraum (Siehe S. 13)

Do 04.02. | 19 Uhr„… gegen einen Geist der Enge, der Überheblichkeit, der Intole-ranz“ – Zum 65. Todestag von Helmuth James von MoltkeVortrag von Prof. Dr. Günter BrakelmannVeranstaltungsort: VHS Düsseldorf (Siehe S. 10)

Do 11.02. | 19.15 Uhr„Georg Forster (1754 - 1794) – Weltreisender und Revolutionär aus Westpreußen“Vortrag von PD Dr. Winfrid HalderKonferenzraum (Siehe S. 8)

Mi 17.02. | 15 UhrKinemathek„Anonyma - Eine Frau in Berlin“ Konferenzraum (Siehe S. 5)

Do 18.02. | 19.15 Uhr„Freiwild. Das Schicksal deut-scher Frauen 1945“Buchvorstellung von Ingeborg JacobsKonferenzraum (Siehe S. 5)

Mi 24.02. | 15 UhrKinemathek„Der Hauptmann von Köpenick“ Konferenzraum (Siehe S. 15)

Do 25.02. | 9.30 Uhr„James Cook und die Entdeckung der Südsee“Exkursion in die Bundeskunst-halle Bonn, (Siehe S. 9)

Fr 26.02. | 19 UhrTheaterpremiere„Die Ratten“Eichendorff-Saal (Siehe S. 17)

Di 02.03. | 19.15 Uhr„Die Deutschen und ihre Nach-barn – Tschechien“Buchvorstellung mit Prof. Dr. Hans Dieter ZimmermannKonferenzraum (Siehe S. 6)

Mo 08.03. | 19 UhrKultur- und Begegnungsabend für Spätaussiedler und Einhei-mische Musik, Tanz, Unterhal-tung, Eichendorff-Saal

Mi 10.03. | 19.15 Uhr„Uhren auf Schienen“Lesung mit Ana Blandiana und Franz HodjakKonferenzraum (Siehe S. 4)

Do 11.03. | 19.15 UhrAusstellungseröffnungKarl Leo Herbert Guttmann –„Ostpreußische Impressionen“Ausstellungsraum (Siehe S.14)

Do 18.03. | 19.15 Uhr„Die Vertriebenenverbände und die Neue Ostpolitik“Vortrag von PD Dr. Matthias SticklerKonferenzraum (Siehe S. 11)

Sa 27.03. | 10.30 UhrLandesversammlungdes BdV-Landesverbandes NRW e.V.

Vom 19.06. bis 26.06.Studienreise nach Czernowitz(Siehe S. 23)

Vom 07.07. bis 12.07.Studienreise nach Sankt Petersburg(Siehe S. 22)

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27WOJ 1-2010

ImpressumHerausgeber:Stiftung „Gerhart-Hauptmann-Haus. Deutsch-osteurpäisches Forum“

Vorsitzender des Kuratoriums:Reinhard Grätz

Vorsitzender des Vorstandes:Konrad Grundmann †

Bismarckstr. 9040210 Düsseldorf

Postanschrift: Postfach 10 48 6140039 Düseldorf

Telefon: (02 11) 16 99 10Telefax: (02 11) 35 31 18Mail: [email protected]:www.g-h-h.de

Redaktion:PD Dr. Winfrid Halder, Chefredakteur;Dirk Urland M.A.

Satz und Layout:Markus Patzke

Herstellung:Rautenberg Druck, Rautenberg Druck GmbH, Blinke 8,26789 Leer/Ostfriesland

Das „West-Ost-Journal“ erscheint vierteljährlich.Abo-Bezugsmöglichkeit durch die nebenstehende Bestellkarte zum Jahresbe-zugspreis (Versandkosten-preis) von 6,50 €

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Im bereits weihnachtlich ge-schmückten Eichendorff-Saal des Gerhart-Hauptmann-Hauses referierte Prof. Dr. Christopher Clark von der University of Cambridge am 3. Dezember über die neuere Sicht auf den letzten deutschen Kaiser, Wilhelm II. Der Kaiserbiograph und Ver-fasser einer umfangreichen Preußen-Geschichte sprach in einem öffentlichen Vortrag im Rahmen der Tagung der Preußischen Historischen Kommission, die im Gerhart-Hauptmann-Haus stattfand.

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Titelblatt

Das Titelblatt zeigt wichtige Stationen und Ereignisse der „Neuen Ostpolitik“seit Beginn der siebziger Jahre. Die verhandel-ten politischen Grundsatzentscheidungen wurden gegen Ende 1970 im Moskauer Vertrag und im Warschauer Vertrag fest-gehalten.

Neu erschienen auf CD:Oskar Gottlieb Blarrspielt historische Orgeln in Ostpreußen und im ErmlandProf. Oskar Gottlieb Blarr, Organist, Kantor, Dirigent und Komponist (1934 in Bartenstein / Ostpreußen geboren), hat sich um die Erhaltung zahlreicher Orgeln in den Kirchen seiner Heimat mit unermüdlichem Einsatz große Verdienste er-worben. Manches Instrument von unschätzbarem Wert würde ohne ihn nicht mehr existieren.Auf den vom Gerhart-Hauptmann-Haus heraus-gegebenen CD’s erklingt die „Orgellandschaft Ostpreußen“ (20 €) und die Orgel der St. Anna-Kirche zu Barczewo/Wartenburg (15 €, davon 2 € für die Restaurierung des Instruments).Erhältlich im Gerhart-Hauptmann-Haus.