woher kommen die quaddeln?

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Quälendes Hautleiden Urtikaria Woher kommen die Quaddeln? Jeder vierte Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einer Urtikaria. Dabei spielen die unterschiedlichsten Auslöser eine Rolle. Entgegen landläufiger Meinung handelt es sich meist nicht um eine allergische Reaktion. Akute, rezidivierende und chronische Verläufe sind möglich. - Das Leitsymptom der Urtikaria ist die Quaddel, sagte Prof. A. J. Bircher vom Universitätsspital Basel. Dabei han- delt es sich um ein superfizielles Ödem mit einem zentral abgeblassten Erythem. Oſt sind die Quaddeln dissiminiert bzw. generalisiert, und die Größe variiert von stecknadelkopfgroß bis zu mehreren Zentimentern. „Typisch sind der Juck- reiz und die Flüchtigkeit“, so Bircher. Wenn die Quaddeln nicht innerhalb von 24 Stunden verschwunden seien, hande- le es sich nicht um eine Urtikaria. „Nur selten ist die Urtikaria allergisch indu- ziert“, erklärte Bircher. Auch seien Ato- piker nicht häufiger betroffen als die üb- rige Bevölkerung Nicht selten, in etwa 30% der Fälle, ist die Urtikaria mit einem Angioödem asso- ziiert. Dieses betri vor allem das Gesicht mit Augenlidern und Lippen, Pharynx, Larynx und das Genitale. Dabei handelt es sich um ein tiefliegendes prall elastisches Ödem, das keine Druckdelle hinterlässt und wegen der Gefäßkompression blass erscheint. Immer histamininduziert Im Mittelpunkt der Pathogenese der Ur- tikaria bzw. des Angioödems steht His- tamin, das von den Mastzellen freige- setzt wird. Dabei gibt es unterschiedli- che Auslöser: Allergene, Medikamente, bakterielle Peptide, Zytokine, Komple- mentfaktoren und Neuropeptide. Die medikamentösen exogenen Trigger kön- nen immunologische oder nicht immu- nologische Reaktionen auslösen. Immu- nologisch wirken Penicilline und Dex- trane, nicht immunologisch NSAR und Kontrastmittel. Schwierige Differenzialdiagnose Trotz der typischen Charakteristika, ins- besondere der meist nur Stunden anhal- tenden Persistenz, kann die differenzial- diagnostische Abklärung zu anderen Hauterkrankungen im Einzelfall schwie- rig sein. Differenzialdiagnostisch kom- men medikamentös induzierte makulöse bzw. papulöse Exantheme ebenso in Be- tracht wie ein Erythema exsudativum multiforme. „Für Letzteres spricht je- doch das Auſtreten von akralen Kokar- den im Sinne von Schießscheibenläsio- nen“, erklärte Bircher. Verläufe und Begleitsymptome Häufigste Auslöser einer allergischen, also IgE-assoziierten Urtikaria sind Nah- rungsmittel und Medikamente. Der Ver- lauf ist oſt akut rezidivierend, und meist sind auch andere Organsysteme betroffen mit entsprechenden Begleitsymptomen wie Bronchospasmus oder Abdominalko- liken. Tritt ein Angioödem ohne Urtika- ria auf, so handelt es sich um ein Kinin- assoziiertes Phänomen, das entweder durch ACE-Hemmer induziert werden kann oder hereditär auſtritt. Kälte-Urtikaria: beim Schwimmen droht Lebensgefahr In ca. 10% der Fälle geht eine akute in die chronische Form der Urtikaria über. Bei der akuten Urtikaria überwiegen pa- rainfektiöse Formen gefolgt von allergi- schen Reaktionen. „Die chronische Ur- tikaria ist dagegen meist idiopathisch und spontan“, so Bircher. Sie kann ent- weder mechanisch, d. h. durch Druck bzw. Vibrationen oder durch thermisch- physikalische Einflüsse wie Kälte, Wär- me, Licht und Wasser provoziert wer- den: Bei der Urtikaria factitia werden die Quaddeln durch Reibung oder Druck ausgelöst, bei der Urtikaria cholinergica durch eine Körpertemperaturerhöhung als Folge von exogener Wärme, Anstren- gung, Fieber und Emotionen. Die Kälte- Urtikaria wird dagegen durch Kälte bzw. Abkühlung provoziert. „Bei solchen Pa- tienten kann Schwimmen zu einer le- bensbedrohlichen Hypotonie führen“, so Bircher. Welche Therapie? Die First-Line-erapie ist ein Antihis- taminikum der zweiten Generation wie Levocetirizin, Desloratadin, Fexofena- din und Bilastin. „Führt dies nicht zu dem gewünschten erapieerfolg, emp- fiehlt sich eine Erhöhung der Dosis auf die vierfache Tagesdosis“, so die Emp- fehlung von Bircher. Medikamente der dritten Wahl sind Montelukast, H 2 -An- tagonisten, Cyclosporin A und Omali- zumab (Xolair®). „Eine Dauertherapie mit systemischen Steroiden ist nicht sinnvoll; allenfalls sollten sie nur kurz bei akuten schweren Formen gegeben werden“, stellte Bircher klar. Dr. med. Peter Stiefelhagen Quelle: medArt Basel, 17.6.2013 Als hätte man sich in die Nesseln gesetzt: Quaddeln bei Urtikaria. © thinkstock AKTUELLE MEDIZIN _ KONGRESSBERICHTE 28 MMW-Fortschr. Med. 2013; 155 (18)

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Quälendes Hautleiden Urtikaria

Woher kommen die Quaddeln?Jeder vierte Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einer Urtikaria. Dabei spielen die unterschiedlichsten Auslöser eine Rolle. Entgegen landläu�ger Meinung handelt es sich meist nicht um eine allergische Reaktion. Akute, rezidivierende und chronische Verläufe sind möglich.

− Das Leitsymptom der Urtikaria ist die Quaddel, sagte Prof. A. J. Bircher vom Universitätsspital Basel. Dabei han-delt es sich um ein super�zielles Ödem mit einem zentral abgeblassten Erythem. O� sind die Quaddeln dissiminiert bzw. generalisiert, und die Größe variiert von stecknadelkopfgroß bis zu mehreren Zentimentern. „Typisch sind der Juck-reiz und die Flüchtigkeit“, so Bircher. Wenn die Quaddeln nicht innerhalb von 24 Stunden verschwunden seien, hande-le es sich nicht um eine Urtikaria. „Nur selten ist die Urtikaria allergisch indu-ziert“, erklärte Bircher. Auch seien Ato-piker nicht häu�ger betro�en als die üb-rige Bevölkerung

Nicht selten, in etwa 30% der Fälle, ist die Urtikaria mit einem Angioödem asso-ziiert. Dieses betri� vor allem das Gesicht mit Augenlidern und Lippen, Pharynx, Larynx und das Genitale. Dabei handelt es sich um ein tie�iegendes prall elastisches Ödem, das keine Druckdelle hinterlässt und wegen der Gefäßkompression blass erscheint.

Immer histamininduziertIm Mittelpunkt der Pathogenese der Ur-tikaria bzw. des Angioödems steht His-tamin, das von den Mastzellen freige-setzt wird. Dabei gibt es unterschiedli-che Auslöser: Allergene, Medikamente, bakterielle Peptide, Zytokine, Komple-mentfaktoren und Neuropeptide. Die medikamentösen exogenen Trigger kön-nen immunologische oder nicht immu-nologische Reaktionen auslösen. Immu-nologisch wirken Penicilline und Dex-trane, nicht immunologisch NSAR und Kontrastmittel.

Schwierige Di�erenzialdiagnoseTrotz der typischen Charakteristika, ins-besondere der meist nur Stunden anhal-tenden Persistenz, kann die di�erenzial-diagnostische Abklärung zu anderen Hauterkrankungen im Einzelfall schwie-rig sein. Di�erenzialdiagnostisch kom-men medikamentös induzierte makulöse bzw. papulöse Exantheme ebenso in Be-tracht wie ein Erythema exsudativum multiforme. „Für Letzteres spricht je-doch das Au�reten von akralen Kokar-den im Sinne von Schießscheibenläsio-nen“, erklärte Bircher.

Verläufe und BegleitsymptomeHäu�gste Auslöser einer allergischen, also IgE-assoziierten Urtikaria sind Nah-rungsmittel und Medikamente. Der Ver-lauf ist o� akut rezidivierend, und meist sind auch andere Organsysteme betro�en mit entsprechenden Begleitsymptomen wie Bronchospasmus oder Abdominalko-liken. Tritt ein Angioödem ohne Urtika-ria auf, so handelt es sich um ein Kinin-assoziiertes Phänomen, das entweder durch ACE-Hemmer induziert werden kann oder hereditär au�ritt.

Kälte-Urtikaria: beim Schwimmen droht LebensgefahrIn ca. 10% der Fälle geht eine akute in die chronische Form der Urtikaria über. Bei der akuten Urtikaria überwiegen pa-rainfektiöse Formen gefolgt von allergi-schen Reaktionen. „Die chronische Ur-tikaria ist dagegen meist idiopathisch und spontan“, so Bircher. Sie kann ent-weder mechanisch, d. h. durch Druck bzw. Vibrationen oder durch thermisch-physikalische Ein�üsse wie Kälte, Wär-me, Licht und Wasser provoziert wer-den:

Bei der Urtikaria factitia werden die Quaddeln durch Reibung oder Druck ausgelöst, bei der Urtikaria cholinergica durch eine Körpertemperaturerhöhung als Folge von exogener Wärme, Anstren-gung, Fieber und Emotionen. Die Kälte-Urtikaria wird dagegen durch Kälte bzw. Abkühlung provoziert. „Bei solchen Pa-tienten kann Schwimmen zu einer le-bensbedrohlichen Hypotonie führen“, so Bircher.

Welche Therapie?Die First-Line-�erapie ist ein Antihis-taminikum der zweiten Generation wie Levocetirizin, Desloratadin, Fexofena-din und Bilastin. „Führt dies nicht zu dem gewünschten �erapieerfolg, emp-�ehlt sich eine Erhöhung der Dosis auf die vierfache Tagesdosis“, so die Emp-fehlung von Bircher. Medikamente der dritten Wahl sind Montelukast, H2-An-tagonisten, Cyclosporin A und Omali-zumab (Xolair®).

„Eine Dauertherapie mit systemischen Steroiden ist nicht sinnvoll; allenfalls sollten sie nur kurz bei akuten schweren Formen gegeben werden“, stellte Bircher klar.

Dr. med. Peter Stiefelhagen ■

■ Quelle: medArt Basel, 17.6.2013

Als hätte man sich in die Nesseln gesetzt: Quaddeln bei Urtikaria.

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28 MMW-Fortschr. Med. 2013; 155 (18)