wirtschaftswachstum und wachstumskritik eidg. forschungsanstalt für wald, schnee und landschaft wsl...

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Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 1 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte und Entwicklung von Wirtschaftswachstum Wachstum und Umwelt Wachstumspolitik Wachstumsabhängigkeit und Gründe Wachstumskritik und Gegenargumente - www.youtube.com/watch?v=pan7QbDK0Do (der unmögliche Hamster) - Ausschnitt aus growthbusters zu exponentiellem Wachstum 5. Veranstaltun g

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Page 1: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik

Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 1

Ziele• Definition und Entstehung von Wachstum• Geschichte und Entwicklung von Wirtschaftswachstum• Wachstum und Umwelt• Wachstumspolitik• Wachstumsabhängigkeit und Gründe• Wachstumskritik und Gegenargumente

- www.youtube.com/watch?v=pan7QbDK0Do (der unmögliche Hamster)- Ausschnitt aus growthbusters zu exponentiellem Wachstum

5. Veranstaltung

Page 2: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

Definition und Entstehung von Wachstum

2

Definition Wirtschaftswachstum: Zunahme des BIP (Bruttoinlands-produkt), d.h. des Wertes der im Inland hergestellten und auf Markt gehandelten Waren und Dienstleistungen

Ökonomische Wachstumsmodelle:Solow: Y = T (K, A) (Y=Output, T=Technologie (Produktivität), K=Kapital, A=Arbeit/Bevölkerung; über Zeit wichtig sind technol. Entwicklung, Investition, Sparen)(ähnlich Harrod/Domar)

Neue Wachstumstheorie (endogenes Wachstum): Technischer Fortschritt wird regelmässig im System produziert, überwindet sinkende Skalenerträge (=> fortdauernder Wachstumsprozess)

Weitere Faktoren wie natürliche Ressourcen sind nicht berück-sichtigt

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Entstehung von Wachstum, seco

3

Quelle: Seco 2008

z.B.Wettbewerb, Binnenmarkt

Internationale ÖffnungErwerbsbeteiligung

Ausstattung HumankapitalStaatliche Finanzen

Rechtlicher Rahmen

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Geschichte und Entwicklung von Wirtschaftswachstum

18001807

18141821

18281835

18421849

18561863

18701877

18841891

18981905

19121919

19261933

19401947

19541961

19681975

19821989

19962003

20100

5,000

10,000

15,000

20,000

25,000

30,000

35,000

USASwitzerland Netherlands England/GB/UKFranceGermany (Northern) Italy G

DP-

Leve

ls /

cap

.

*In 1990 International Geary-Khamis dollars, Quelle: www.ggdc.net/maddison

4

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Geschichte und Entwicklung von Wirtschaftswachstum

5

1960er1970er

1980er1990er

2000er2010-13

0%

2%

4%

6%

8%

10%

CHEU 15*

DE*FR

ITAT

SWUK

USAJP

Wachstumsraten des realen BIP/Kopf in % in 10-Jahres-Durchschnitten

*bis 1989 nur WestdeutschlandDaten: AMECO (http://ec.europa.eu/economy_finance/ameco/user), BIP /Kopf zu Marktpreisen von 2005; In Anlehnung an Reuter 2010

Page 6: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

http://www.denkwerkzukunft.de/downloads/Wachstumstrends.pdf

19601964

19681972

19761980

19841988

19921996

20002004

20082012

20162020

20242028

20322036

20402044

20480.0

0.5

1.0

1.5

2.0

2.5

3.0

3.5

4.0

4.5

5.0

Wachstumsrate Mittel/Jahrzehnt CH

Durchschnittliches jährliches BIP-Wachstum pro Kopf und Jahrzehnt in der Schweiz in konstanten Preisen 1960-2050in Prozent

3,05 %

1,06 %

1,57 %

0,47 %

0,88 %

0,43 %0,31 %

0,22 % 0,16 %

Quellen: AMECO 2012, DenkwerkZUKUNFT

6

Geschichte und Entwicklung von Wirtschaftswachstum

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7

20102011

20122013

20142015

20162017

20182019

20202021

20222023

20242025

20262027

20282029

20302031

20322033

20342035

20362037

20382039

20400

0.5

1

1.5

2

2.5

3

3.5

Scénario pour le taux de croissance du PIB potentiel suisse (Poten-tialwachstum)

PIB SECO vraisem-blablePotentialwachstum

en %

par

ann

ée

Quelle: Surchat 2011 und pers. zugestelltes update der Graphik von 2013

Geschichte und Entwicklung von Wirtschaftswachstum

Potentialwachstum = langfristige Veränderung des BIP bei normalem Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten

Page 8: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

J.R. Hicks (1966: 257)#:

„It is not by any means necessary that economics should be growth-minded. I can indeed myself remember a time it was not growth-minded at all. I remember listening to a course on [economic] Principles … in 1926-27…: Nothing about it having a high growth rate! … We were quite happy to be static in most of our economics.“

# Growth and Anti-Growth

8

J.R. Hicks1904-1989

Geschichte und Entwicklung von Wirtschaftswachstum

Page 9: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

L. Erhard (1957: 232)*:

„Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer nützlich und richtig ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohl-stand zu erzeugen, oder ob es nicht sinn-voller ist, unter Verzichtsleistung auf diesen ‚Fortschritt‘ mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Musse und mehr Erholung zu gewinnen“.

* Wohlstand für Alle

9

L. Erhard1897-1977

Geschichte und Entwicklung von Wirtschaftswachstum

Page 10: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

H. Ulrich (1984: 27, 257)*:

„Jedenfalls hat sich auch in der Wirtschafts-politik ein wachstumsorientiertes Denken durchgesetzt … Die Grossunternehmen vor allem sind wachstumsorientiert in ihrer Politik… Leider hat die lange und relativ ungestörte Wachstumsphase bewirkt, dass wir uns an stabile Verhältnisse gewöhnt haben; insbesondere hat eine ganze Generation von Führungskräften nichts anderes erlebt.“

* Management10

H. Ulrich1919 - 1997

Geschichte und Entwicklung von Wirtschaftswachstum

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J.M. Keynes (1943)*

Drei Phasen ökonomischer Entwicklung nach 2. WW1. Hohe Investitionsneigung (I>S)2. Dringend benötigte Investitionen realisiert (I=S)3. Investitionsnachfrage befriedigt (I<S) => klugen Konsum fördern, Sparen verhindern, Überfluss absorbieren mit Freizeit/Urlaub, kürzere Arbeitszeiten, Änderung gesellschaftlicher Gewohnheiten

* Long-term problem of full employment

J.M. Keynes1883 - 1946

Geschichte und Entwicklung von Wirtschaftswachstum

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Aus: Keynes, Long-term problem of full employment

…10. As the third phase comes into sight … It becomes necessary to encourage wise consumption and discourage saving, -and to absorb some part of the unwanted surplus by increased leisure, more holidays (which are a wonderfully good way of getting rid of money) and shorter hours.

11. Various means will be open to us with the onset of this golden age. The object will be slowly to change social practices and habits so as to reduce the indicated level of saving. Eventually depreciation funds should be almost sufficient to provide all the gross investment that is required.

http://www.keynes-gesellschaft.de/Print/Hauptkategorien/LebenWerk/Aufsaetze/B7theLongtermproblemprint.html

Page 13: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

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Schweiz 2004 / 2008

• Wettbewerb im Binnenmarkt (z.B. öffentliches Beschaffungs-wesen, Liberalisierung)

• Internationale Öffnung (z.B. Personenfreizügigkeit)• Höhe und Struktur der Staatsausgaben (z.B. Staatsquote)• Reform des Steuerwesens (z.B. MwSt, Unternehmensbe-

steuerung)• Partizipation auf dem Arbeitsmarkt (z.B. Berufsunfähigkeit, ältere

Beschäftigte)• Exzellenz der Bildung (z.B. Tertiärsektor, Berufsbildung)• Rahmenbedingungen für Unternehmen (z.B. Wirtschaftsrecht,

administr. Belastung)Aus: Schweizer Bundesamt für Wirtschaft (seco): „Wachstumsbericht 2008“, „Wachstumspaket des Bundesrates“ 2004, BernSiehe auch: Brunetti, A. (2008). Die Wachstumspolitik des Bundes: Rückblick und Ausblick. Die Volkswirtschaft 81(4): 4-7.

Wachstumspolitik

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Wachstumspolitik

• Geldpolitik (Interventionen an Wertpapiermärkten, Zinspolitik)• Infrastrukturpolitik• Standortpolitik• Steuerwettbewerb• Energie- und Ressourcen(preis)politik

• Geplante Obsoleszenz• Marketing (bis Manipulation von Kindern)• …

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Konjunkturpakete der CH, 2008-2010

1. Konjunkturpaket (Nov. 2008): 1 Mrd. CHFAufhebung Kreditsperre, Hochwasserschutz, Wohnbauförderung, zivile Bauten des Bundes, Exportförderung, energetische Gebäudesanierungen, Freigabe Arbeitsbeschaffungsreserven

2. Konjunkturpaket (Febr. 2009): 700 Mio. CHFStrassen- und Schieneninfrastruktur, neue Regionalpolitik, Forschung, Natur- und Landschaftsschutz, Energiebereich, Bautensanierung, Tourismusförderung, Photovoltaik

3. Konjunkturpaket (Juli. 2009): 400 Mio. CHFArbeitsmarkt (Kurzarbeit, Ausbildung), Weiterbildung im Energiebereich, Informations- und Kom-munikationstechnologien, Förderung Exportplattformen, vorgezogene Rückverteilung CO2-Abgaben

Gesamte realisierte Ausgaben: 2009-2010: 1.7 Mrd. CHF (Bericht des SECO über die Stabilisierungsmass-nahmen 2009/2010, 15. Mai 2012)

BIP CH (AMECO-Zahlen) (2005 market prices) (Mrd CHF)

2011 2010 2009 2008

541.938 532.4064 517.1343 527.3482

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1) Informationsgesellschaft für alle2) Europäischer Raum der Forschung und Innovation3) Günstiges Umfeld für Gründung und Entwicklung innovativer Unternehmen, insbesondere von KMU4) Wirtschaftsreformen für einen vollendeten und einwandfrei funktionierenden Binnenmarkt5) Effiziente und integrierte Finanzmärkte6) Koordinierung der makroökonomischen Politik: Haushaltskonsolidierung

Ziel: 3% Wirtschaftswachstum in allen Ländern bis 2010

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Ausgewählte Ziele der EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung (Lissabon-Strategie), 2000

Wachstumspolitik

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Wachstumsgesetz: Beispiel D

Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) vom 8. Juni 1967

Gesamtwirtschaftliche Ziele der politischen Einheiten Deutschlands:

- Preisniveaustabilität

- hoher Beschäftigungsstand

- außenwirtschaftliches Gleichgewicht

- bei angemessenem und stetigem Wirtschaftswachstum

= magisches Viereck der Wirtschaftspolitik, weil sich kaum alle vier Ziele konfliktfrei realisieren lassen.

Page 18: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

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Konjunkturpakete2009-2010

in Mrd. €

Konjunkturpaket I 70

Konjunkturpaket II 50

SUMME 120

Quelle: Bundesregierung

Quelle: Eigene Berechnungen

BIP2009-2011

in Mrd. € Differenz in Mrd. €

BIP 2008 2.489

BIP 2009 2.397

BIP 2010 2.497 (+4.2%) +100

BIP 2011 2.542 (+1,8%) + 45

SUMME +145

In D: Expansive Fiskalpolitiken ab 1970er zugunsten Konjunkturankurbelung, z.B. 2009…

Page 19: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

- “Es ist nicht Wirtschaftswachstum an sich, das Umweltprobleme generiert. Vielmehr schafft Marktversagen (falsche Marktsignale) negative Externalitäten”

- Ein Lösungsansatz ist a) Subsitutution umweltintensiver zugunsten weniger umweltintensiver Aktivitäten und b) technischer Fortschritt

- Gemäss Environmental Kuznets-Kurve sinkt Umweltbelastung mit steigendem BIP

Wachstum und Umwelt – ein Zusammenhang?

Einkommen/Kopf

Um

wel

tbee

intr

ächti

gung

en

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Binswanger et al. 2006, S. 11Zeitraum: 1970/1980- 2000 *tiefster Wert = bester Wert

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R² = 0.6408

0

10'000

20'000

30'000

40'000

50'000

60'000

70'000

80'000

90'000

0.0 2.0 4.0 6.0 8.0 10.0 12.0

BIP

pro

Kopf

[US

$]

Ökologischer Fussabdruck [Gha]

Korrelation BIP/Kopf und ökologischer Fussabdruck/Kopf

Asien

Afrika

Europa

Südamerika/Karibik

Nordamerika

Ozeanien

Welt

Daten: Ecological Footprint (www.footprintnetwork.org), World Bank (http://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.PCAP.CD )1.8 Gha (Total Biocapacity / cap)

FR, D

CH

EC

AUSA

21

Wachstum und Umwelt – ein Zusammenhang?

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Entwicklung des DMC, MF

Wiedmann et al. 2013

Wachstum und Umwelt – ein Zusammenhang?

Page 23: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

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Staatsministerium BW, Sept. 2010 z.B. in WirtschaftsWoche

Wachstumsabhängigkeit und Gründe

Page 24: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

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These:

Zentrale Bereiche in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft sind existentiell auf Wachstum angewiesen.

D.h. ausbleibendes Wachstum bringt diese Bereiche in existentielle Krisen.

Politik und Gesellschaft werden alles tun, um solche Krisen zu vermeiden.

Erst wenn diese Bereiche wachstumsunabhängig sind, werden Politik und Gesellschaft von der Wachstumsfixierung weichen.

Wachstumsabhängigkeit und Gründe

Page 25: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

• Alterssicherung• Gesundheitswesen• Arbeitsmarkt• Konsum• Sozialer Ausgleich• Unternehmen(sverfassung)• Finanzmärkte, Banken, Geld• Steuerpolitik• Staatsfinanzen

Wachstumsabhängige Bereiche/Sektoren

Page 26: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

• Aufbau von gesell. Institiutionen nach 2. Weltkrieg, als von dauerhaftem Wachstum ausgegangen wurde

• Ausrichtung der Wirtschaftswissenschaften auf Wachstum• Politik und Unternehmensführung sind einfacher bei

Wachstum als bei Nichtwachstum• Individ. und gesamtökonomisch reich werden ist einfacher bei

Wachstum als Nichtwachstum• Grundsätzlich positive Konnotation mit Wachstum (Kinder

wachsen auch…)• Wachsen / “mehr haben” / “schneller, weiter, höher” sind

grundlegendes Denk- und Kulturmuster und prägen gesellschaftliche und individuelle Identitätsbildung

• ….

Weitere Wachstumsgründe

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Wachstumskritik

Vor 1972:- Ökologische Argumente: J.S. Mill, N. Georgescu-Roegen, K.

Boulding, H.-C. Binswanger, H. Daly … - Sozio-ökonomische Argumente (Konsum, Konjunktur): K.W. Kapp,

J.K. Galbraith, G. Myrdall …1972: Grenzen des Wachstums (D.&D. Meadows et al.)1977: Social Limits to Growth (F. Hirsch; materielles Wachstum

macht wegen Positionsgütern / Vergleich mit anderen nicht ständig alle zufriedener)

1979: Wege aus Wohlstandsfalle (H.C. Binswanger/W. Geissberger/T. Ginsburg); Ein Planet wird geplündert (H. Gruhl)

1980/90er: Ökologische Ökonomik plus Debatte über qualitatives Wachstum; Kritik an globaler Industrialisierung, Arbeitsbe-dingungen, Dritte Welt (A. Gorz, K. Traube…)

Page 28: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

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Wachstumskritik

Vor 1972:- Ökologische Argumente: J.S. Mill, N. Georgescu-Roegen, K.

Boulding, H.-C. Binswanger, H. Daly … - Sozio-ökonomische Argumente (Konsum, Konjunktur): K.W. Kapp,

J.K. Galbraith, G. Myrdall …1972: Grenzen des Wachstums (D.&D. Meadows et al.)1977: Social Limits to Growth (F. Hirsch; materielles Wachstum

macht wegen Positionsgütern / Vergleich mit anderen nicht ständig alle zufriedener)

1979: Wege aus Wohlstandsfalle (H.C. Binswanger/W. Geissberger/T. Ginsburg); Ein Planet wird geplündert (H. Gruhl)

1980/90er: Ökologische Ökonomik plus Debatte über qualitatives Wachstum; Kritik an globaler Industrialisierung, Arbeitsbe-dingungen, Dritte Welt (A. Gorz, K. Traube…)

Page 29: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

John Stuart Mill … on the transition from economic growth to a "stationary state.“

...the increase of wealth is not boundless. The end of growth leads to a stationary

state. The stationary state of capital and wealth… would be a very considerable

improvement on our present condition.

...a stationary condition of capital and population implies no stationary state of

human improvement. There would be as much scope as ever for all kinds of mental

culture, and moral and social progress; as much room for improving the art of

living, and much more likelihood of it being improved, when minds ceased to be

engrossed by the art of getting on.“

Aus: Principles of Political Economy,, Book IV, Chapter VI Of the Stationary State, 1848

Daly bezieht sich u.a. in seiner Unterscheidung Wachstum vs. Entwicklung auf Mill

Exkurs:

Page 30: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

«Wachstum ist Ersatz für Einkommensgleichheit. So lange es Wachstum gibt, gibt es

Hoffnung, und diese macht grosse Einkommensunterschiede erträglich….

Eine Welt ohne Wachstum, d.h. ohne Wandel, ist für uns so schwer vorstellbar wie

eine Welt von dauerhaftem Wachstum und Wandel. Irgendwann in der vagen

Zukunft, wenn sich die Menschheit nicht selbst in die Luft sprengt, könnte eine Welt

liegen, in der physikalischer Wandel minimal ist. Es wird eine Welt von viel

grösserer Gleichheit sein als wir uns das heute vorstellen können, hoffentlich eine

viel menschlichere und weniger materialistische. Wir werden sie nicht erleben.

Einstweilen lasst uns das Steueraufkommen erhöhen…» (Newsweek, Zero Growth,

24.1.1972)

(Henry D. Wallich, 1914-1988, Mitglied des Gouverneursrat der US-Notenbank)

H.D. Wallich – ein starker Kritiker der Grenzen des Wachstums

Exkurs:

Page 31: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

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Wachstumskritik

Ab Mitte 2000• Konservative Wachstumskritik (R. Miegel / K. Biedenkopf,

DenkwerkZUKUNFT)• Décroissance (Konsum/Werbung, Umwelt, Globalisierung, z.B.

Latouche)• Graswurzelbewegungen (Regionalwährungen, Transition towns,

Kommunen, urban gardening…)• Ökonomie: Makroökonomie (z.B. P. Victor), sozio-ökonomisches

System (z.B. T. Jackson), Postwachstum (I. Seidl/A. Zahrnt, N. Paech), Ökologische Ökonomie (G. Kallis, J. Martinez-Allier, New Economic Foundation, Center for the advancement of steady-state economy …)

• Journalisten CH: Guggenbühl / Gasche(Weiteres: Seidl/Zahrnt 2012)

Page 32: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

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Argumente gegen Wachstumskritik

Klassische Pro-Wachstumsargumente (Wohlstandserhalt, techn. Innovationen …) (z.B. Rutz/Schwarz, NZZ 22.7.13: Wachstum ein natürliches Phänomen)

Green Growth (ursprünglich bzgl. Ökoindustrie, inzwischen Qualität des Zuwachsens und Produzierens, z.B. low-carbon economy; Umweltfrage von Wachstumsbremse zu Wachstumsmotor); verfolgt von OECD, UNEP, EU, Asiat. Wiss. Akademien

Green Economy: Ökonomie, die Konzept nachhaltiger Entwicklung folgt; international wettbewerbsfähige, umwelt- und sozialverträgliche Wirtschaft; «natürliche Ressourcen schonen und gleichzeitig Schweizer Wirtschaft stärken» (Bafu)

=> diese Konzepte sollen nötigen ökologischen Umbau der Gesellschaften und Erhalt der hohen Lebensqualität ermöglichen

siehe Bafu Magazin «umwelt» 2/2011 - Grüne Wirtschaft

Auch: Jänicke, M. (2011). „Green Growth“. Vom Wachstum der Öko-Industrie zum nachhaltigen Wirtschaften. Berlin, Freie Universität Berlin, Forschungszentrum für Umweltpolitik Berlin.

Page 33: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

Weiterführende / Zitierte Literatur

• Binswanger, M. et al. (2005). Wachstum und Umweltbelastung: Findet eine Entkopplung statt? Umwelt-Materialien Nr. 198. Bern, Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft

• Erhard, L. 1957: Wohlstand für Alle, Econ-Verlag (8. Aufl.) • Hicks, J.R. 1966: Growth and Anti-Growth, Oxford Economic Papers (November): 257-269. • Keynes, J.M. 1943 (1980): Long-term problem of full employment, The long-term problem of full

employment. "Collected Writings“, Vol 27• Luks, F. (2001). Die Zukunft des Wachstums. Theoriegeschichte, Nachhaltigkeit und die Perspektiven

einer neuen Wirtschaft, Marburg, Metropolis Verlag.• Schweizer Bundesamt für Wirtschaft (seco) (2008).: „Wachstumsbericht 2008“, „Wachstumspaket des

Bundesrates“ 2004, Bern• Seidl, I., Zahrnt, A. (2012). "Postwachstumsgesellschaft: Verortung innerhalb aktueller

wachstumskritischer Diskussionen." Ethik und Gesellschaft(1): 1-22.• Surchat, M. (2011). "Langfristige Szenarien für das BIP der Schweiz." Die Volkswirtschaft(6): 9-12.• Turner, G.M. (2012). "On the cusp of global collapse? Updated comparison of The Limits to Growth

with Historical Data." GAIA 21(2): 116-124.• Ulrich, H. (1984). Management. Bern/Stuttgart/Wien, Haupt.• Wiedmann et al. 2013: The material footprint of nations. PNAS.

www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1220362110

Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 33

Page 34: Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 84 Ziele Definition und Entstehung von Wachstum Geschichte

Aufgabe für 6. Veranstaltung

Lesen Sie bitteRøpke, I. (2010). Konsum: Der Kern des Wachstumsmotors, in: Seidl, I./Zahrnt, A. Postwachstumsgesellschaft. Konzepte für die Zukunft, Metropolis-Verlag, Marburg, S. 103-115.Welzer, H. (2011). Konsumismus. Was Produkte über uns erzählen, in: Mentale Infrastrukturen. Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam. Schriften zur Ökologie. Berlin, Heinrich-Böll-Stiftung, S. 30-33.

Fragen zum Text von I. Røpke:1. Lesen Sie den Text so, dass Sie die Argumentation für jede Box in Abb. 1 kennen und zwar hinsichtlich Antriebskräfte für Wachstum wie auch hinsichtlich Ansatzpunkte, um den Wachstumsmotor zu stoppen.2. Welche Argumente (2) von Røpke zum Nutzen des Konsumwachstums (Absatz 5) erscheinen Ihnen besonders wichtig für den modernen Menschen?

Fragen zum Text von H. Welzer:3. Was versteht Welzer unter „mentale Infrastrukturen“?4. Wieso soll Konsum sinnstiftend sein?5. Wie begründet Welzer seine Aussage, das Wachstumssystem perpetuiere sich im Konsumismus selbst?Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL 34