wie unabhängig können Ärzte sein?

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Interessenkonflikte in der Medizin Wie unabhängig können Ärzte sein? Es beginnt mit einem Kugelschreiber auf dem Messestand und endet mit dem Bonus- angebot für eine Mindestanzahl transplantierter Organe: Mit Interessenkonflikten aller Art ist der Arzt, gleich ob Praktiker oder Klinikangestellter, beinahe täglich konfrontiert. Dabei mehren sich die Kritiker, die den Einfluss der Pharmaindustrie auf ärztliche Entscheidungen beschneiden und die Mediziner von rein ökonomisch gesteuerten Zielvorgaben befreien wollen. W er kennt das nicht: Der Pharmavertreter steht vor der Praxistür, in der Hand ein wohlgefüllter Koffer mit Arzneimittel- mustern und Broschüren, nicht zu vergessen die un- vermeidlichen Utensilien, die man im Praxisalltag gut gebrauchen kann, vom Kugelschreiber bis zum USB-Stick. Rund 80 % der deutschen Ärzte erhalten solche Besuche mindestens einmal wöchentlich. Der Zweck ist allen klar, hier werden Produkte der Pharmaindustrie beworben, die an den Mann, sprich an den Patienten gebracht werden sollen. Man könnte jetzt sagen: Danke, kein Bedarf. Dies ist in der Realität aber die Ausnahme. Nach einer Befragung, die Prof. Dr. med. Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Mainz, im Jahr 2010 durchgeführt hat, bleiben nur 4 % der Kollegen solchen Werbeangeboten gegen- über standhaſt. Für das leibliche Wohl gesorgt Dass der Inhalt des Vertreterköfferchens das Pati- entenwohl gefährden kann, mag für viele Kollegen © Torbz / fotolia.com Im Medizineralltag regnet es kleine bis große Aufmerksamkeiten. Davon soll sich der Arzt bei Therapieentscheidungen allerdings nicht beeinflussen lassen. 12 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2013; 16 (6) Im Blickpunkt

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Page 1: Wie unabhängig können Ärzte sein?

Interessenkon�ikte in der Medizin

Wie unabhängig können Ärzte sein?

Es beginnt mit einem Kugelschreiber auf dem Messestand und endet mit dem Bonus-angebot für eine Mindestanzahl transplantierter Organe: Mit Interessenkon�ikten aller Art ist der Arzt, gleich ob Praktiker oder Klinikangestellter, beinahe täglich konfrontiert. Dabei mehren sich die Kritiker, die den Ein�uss der Pharmaindustrie auf ärztliche Entscheidungen beschneiden und die Mediziner von rein ökonomisch gesteuerten Zielvorgaben befreien wollen.

W er kennt das nicht: Der Pharmavertreter steht vor der Praxistür, in der Hand ein wohlgefüllter Ko�er mit Arzneimittel-

mustern und Broschüren, nicht zu vergessen die un-vermeidlichen Utensilien, die man im Praxisalltag gut gebrauchen kann, vom Kugelschreiber bis zum USB-Stick. Rund 80 % der deutschen Ärzte erhalten solche Besuche mindestens einmal wöchentlich. Der Zweck ist allen klar, hier werden Produkte der Pharmaindustrie beworben, die an den Mann, sprich an den Patienten gebracht werden sollen.

Man könnte jetzt sagen: Danke, kein Bedarf. Dies ist in der Realität aber die Ausnahme. Nach einer Befragung, die Prof. Dr. med. Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Mainz, im Jahr 2010 durchgeführt hat, bleiben nur 4 % der Kollegen solchen Werbeangeboten gegen-über standha�.

Für das leibliche Wohl gesorgtDass der Inhalt des Vertreterkö�erchens das Pati-entenwohl gefährden kann, mag für viele Kollegen

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omIm Medizineralltag regnet es kleine bis große Aufmerksamkeiten. Davon soll sich der Arzt bei Therapieentscheidungen allerdings nicht beein�ussen lassen.

12 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2013; 16 (6)

Im Blickpunk t

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weit hergeholt sein. Nach Lieb kann sich jedoch sehr wohl ein Interessenkon�ikt anbahnen, wenn man beginnt, für eine Firma Sympathien zu entwickeln, etwa, weil man so großzügig mit kostenlosen Mus-tern versorgt wird. Wird man dann nicht vielleicht auch dazu neigen, bestimmte Präparate bevorzugt zu verschreiben, weil man sich dem Hersteller ge-genüber irgendwie verp�ichtet fühlt? Der Kon�ikt wächst mit der Größe der entgegengenommenen Geschenke. Dass Pharmaunternehmen Ärzte zu Fortbildungsveranstaltungen einluden, bei denen allein schon die Reise- und Übernachtungskosten in die Tausende gingen, gehörte noch vor nicht all-zu langer Zeit zur allgemeinen Gep�ogenheit. Die meisten Kollegen �nden auch gar nichts dabei, dass in o� rührender Weise für das leibliche und seeli-sche Wohl gesorgt wird: In Liebs Umfrage hatten 72 % der Befragten angegeben, dass sie gesponserte Mahlzeiten akzeptabel �nden, 25 % konnten auch

„große Geschenke“ mit ihrem Berufsethos durchaus in Einklang bringen.

Jährliche Zahlungen bis in den sechsstelligen BereichDie Erkenntnis, dass man in seiner Berufsaus-übung nicht mehr frei und unabhängig ist, wenn man Geschenke von Pharma�rmen annimmt, ist dem Psychiater Lieb bereits vor Jahren aufgegan-gen. Dabei haben eigene Erfahrungen durchaus eine Rolle gespielt. Die �nanziellen Zuwendungen, die ihm Vorträge und Beratertätigkeiten für Phar-ma�rmen einbrachten, beliefen sich auf mindes-tens 10.000 Euro im Jahr. Verglichen mit anderen Vertretern seiner Zun� waren das noch kleine Fi-sche. Nach Recherchen des Nachrichtenmagazins

„Der Spiegel“ gingen bei manchen seiner Kollegen die jährlichen Zahlungen schon mal bis hart an den sechsstelligen Bereich. Für die Firmen muss sich das gelohnt haben, nicht umsonst würden schließlich „Milliarden für Marketingmaßnah-men“ ausgegeben, so Lieb in der Zeitschri� „Info Neurologie & Psychiatrie“.

Zuwendungen erhöhen die Zahl der VerschreibungenNeben der Einladung zur Fachtagung samt Rah-menprogramm gibt es aus Firmensicht noch andere Möglichkeiten, auf die Meinungsbildung der Ärz-tescha� Ein�uss zu nehmen: Dazu gehören gespon-serte CME-Kurse sowie die Teilnahme an von der Industrie in Au�rag gegebenen Studien, insbeson-dere in Form sogenannter Anwendungsbeobach-tungen (AWB). Alle drei Formen der Zuwendung erhöhen nach Lieb die Zahl der Verschreibungen der beworbenen Substanzen.

Wie viele CME-relevante Veranstaltungen in Deutschland von der Industrie �nanziert oder zu-

mindest mit�nanziert sind, ist nicht bekannt. Lieb schätzt deren Anteil auf wenigstens 60 %. Bei den AWBs werden Ärzte „gegen Honorar dazu bewegt, mit der neu zugelassenen Substanz Erfahrungen zu sammeln“, kritisiert der Psychiater. Dies diene letzt-lich dazu, den Arzt zu einer bevorzugten Anwen-dung dieser Substanz zu motivieren. Im Jahr 2008 seien der KBV 329 AWBs zu 235 verschiedenen Arz-neimitteln gemeldet worden; das Honorar für die teilnehmenden Ärzte lag im Schnitt bei 190 Euro im Jahr, in Einzelfällen wurden von Firmen bis zu 1.000 Euro pro Patient gezahlt.

„Mein Essen bezahle ich selbst“Lieb selbst hat persönliche Konsequenzen gezogen, um sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Laut

„Spiegel“ hat er als erster Direktor einer Klinik für Psychiatrie in Deutschland ö�entlich erklärt, er werde „keinen Cent mehr von pharmazeutischen Firmen annehmen“. Er begründete zudem mit dem Verein „MEZIS“ (www.mezis.de) eine kritische Ärzteinitiative, die darauf abzielt, Industriekontakte zu reduzieren. Die Abkürzung steht für „Mein Es-sen zahl‘ ich selbst“; der Verein hat bundesweit mittlerweile über 400 Mitglieder. Die vorbehaltlose Umsetzung der Forderungen der „MEZIS“ sei nicht Voraussetzung für die Mitgliedscha�, betont Lieb. Es genüge, wenn man sich „auf den Weg einer Re-duktion von Interessenkon�ikten“ mache und sich prinzipiell mit den Zielen des Vereins identi�ziere. Dies könne dem Patientenwohl dienen und dem Arzt zu mehr Freiheit verhelfen. Lieb hält seine For-derung nicht nur für ein „Gebot ärztlicher Ethik“: Wenn sich die Ärztescha� nicht freiwillig zu redli-cherem Verhalten durchringen könne, sei zu erwar-ten, dass ähnlich wie in den USA Gesetzesinitiati-ven gestartet würden, die diese Beziehungen zwangsweise deutlich reduzieren.

Mit dem „Physician Payment Sunshine Act“ winkte der US-Kongress 2010 eine Gesetzesinitia-tive mit weitreichenden Folgen durch: Es wurde verfügt, dass mit Beginn 2013 alle Honorare, die Industrieunternehmen an Ärzte zahlen, ö�entlich gemacht werden müssen. Die besondere Pointe: Auch Meinungsbildner aus Deutschland mit Ver-�echtungen zu US-Unternehmen werden hier ent-tarnt. Sie erscheinen in einer ö�entlich zugängli-chen Liste mit vollem Namen und unter Angabe ihrer Honorare.

Kein Strafgesetz nur für Ärzte!Gegen Schmiergeldzahlungen an Ärzte gibt es in Deutschland nach wie vor kein Gesetz. Der Bundes-gerichtshof (BGH) urteilte im März 2012, dass ein freiberu�ich tätiger Kassenarzt weder Angestellter noch Funktionsträger einer Behörde ist und daher grundsätzlich nicht bestochen werden kann. Der

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Gesetzgeber müsse entscheiden, ob Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist, befanden die Richter damals.

Gegen ein Strafgesetz, das nur für Ärzte gilt, wehrt sich Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery vehement. In einem „Spiegel“-Interview sagte er Anfang des Jahres, Ärzte wür-den ohnehin „nach dem Berufsrecht verfolgt und

– wenn nötig – bestra�“. Nach der 2011 novellier-ten Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) sind Ärzte verp�ichtet, „in allen vertraglichen und sonstigen beru�ichen Beziehungen zu Dritten ihre ärztliche Unabhängigkeit für die Behandlung der Patientinnen und Patienten zu wahren“ (§ 30). Demnach ist es nicht gestattet, Geschenke oder an-dere Vorteile anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck entsteht, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beein�usst wird.

Von geringfügigen Geschenken, die die alte Fas-sung noch gestattete, ist in der Neufassung nicht mehr die Rede. Auch den Fortbildungsveranstal-tungen sind mit der MBO-Ä-Novelle jetzt engere Grenzen gesteckt: Alles was über die „notwendi-gen Reisekosten und Tagungsgebühren hinaus-geht“, darf sich der Arzt demnach nicht mehr schenken lassen. § 33 regelt zudem die „Zuwen-dungen bei vertraglicher Zusammenarbeit“: Die Vergütungen, z. B. für die Durchführung von An-wendungsbeobachtungen, müssen den tatsächlich erbrachten Leistungen entsprechen.

So lassen sich Interessenkon�ikte vermeidenAuch wenn Gesetzesinitiativen hierzulande nicht in Sicht sind, legt Lieb allen Kollegen ans Herz, sich – gewissermaßen präventiv – den eigenen Interessen-kon�ikten zu stellen und vor allem Industriekon-takte nach Möglichkeit zu reduzieren. Dies diene dem Patientenwohl und verhelfe dem Arzt zu mehr Freiheiten. Bei weniger Vertreterbesuchen bleibe mehr Zeit für die Patienten, und auch die Arznei-mittelbudgets könnten durch „zurückhaltendere Verschreibung neuer hochpreisiger Medikamente“ sinken.

Das US-amerikanische „Institute of Medicine“ hat 2009 Empfehlungen herausgebracht, wie Ärzte Interessenkon�ikte vermeiden können (s. Kasten). Nach Lieb sollte man vor allem auch bei der Aus-wahl von Fortbildungsangeboten einige Grundre-geln beherzigen: So sei bei Fachartikeln darauf zu achten, dass die Interessenkon�ikte der Autoren an-gegeben sind und dass es sich nicht um einen Arti-kel der Pharmaindustrie handelt.

Fehlanreize im KlinikbereichIm Klinikbereich stellen sich noch ganz andere He-rausforderungen an die ärztliche Integrität. Hier sorgt das Arbeiten mit Zielvereinbarungen und Boni des Ö�eren für Fehlanreize. Der Göttinger Transplantationsskandal hat so einen Fall ans Licht gebracht: Hier soll der beteiligte Oberarzt für jede transplantierte Leber einen Bonus von 1.500 Euro erhalten haben. Lieb hat auch für dieses Setting Maßnahmen zur Kon�iktvermeidung erarbeitet: So sind Bonuszahlungen, die direkt an konkrete Fall-zahlen gekoppelt werden, zu vermeiden. Wenn öko-nomische Kennzahlen zum Einsatz kommen, dann nur solche, die vom Arzt selbst steuerbar sind. Bei-spielsweise dürfe der Gesamterlös einer Klinik nicht zur Grundlage für die Zielvereinbarung gemacht werden. Als positiv bewertet der Experte Vereinba-rungen, die „Strategien zur Verbesserung des ärzt-lichen Handelns sowie Qualitätsmaßnahmen“ be-inhalten.

Die ärztliche Unabhängigkeit steht auf dem Spiel!Letztlich stehe nicht weniger auf dem Spiel als die ärztliche Unabhängigkeit, schreibt Lieb. Für ihn und auch für Prof. G. Maio vom Lehrstuhl für Me-dizinethik an der Universität Freiburg geht es aber vor allem auch um die Vertrauenswürdigkeit gegen-über dem Patienten: „Der Argwohn, der Arzt kön-ne sich zwar Arzt nennen, aber de facto eher als Ge-schä�smann agieren, ist Gi� für das Ansehen der Ärzte, aber vor allem Gi� für die Zuversicht, auf die jeder Mensch angewiesen ist, wenn er ernstha� krank geworden ist.“ Elke Oberhofer

QuellenLieb K. Interessen-

kon�ikte in der Me-dizin. Umdenken ist angesagt. Info Neu-

rol Psychiat. 2011; 13(12):52-6.

Lieb K. Interessen-kon�ikte durch Ziel-

vorgaben und Bo-nusregelungen. Die

ärztliche Unabhän-gigkeit steht auf dem

Spiel. Info Neurol Psychiat. 2013;15(2):3

Maio G. Wenn die Medizin ihre Seele

verliert. Ethische Grenzen der ökono-

mischen Anreizsyste-me in der Chirurgie.

Gefässchirurgie. 2013;18(1):52-6.

Seelsorge für die In-dustrie. Der Spiegel

20/2011

„Stachel in unserem Fleisch“. Interview

mit Frank Ulrich Montgomery. Der

Spiegel 3/2013

Musterberufsord-nung für Ärzte,

Stand 2011

Empfehlungen des Institute of Medicine

Ärzte sollten ...

... keine Geschenke, Kostenerstattungen etc. von pharmazeutischen Unternehmen, Geräteherstel-lern oder Biotechnologie-Unternehmen anneh-men, außer es handelt sich um eine angemessene Bezahlung für eine gerechtfertigte Tätigkeit.

... keine Fortbildungsveranstaltungen durchführen oder wissenschaftliche Artikel schreiben, die von der Industrie kontrolliert sind oder bei denen signi-�kante Anteile von jemandem geschrieben wur-den, der nicht als Autor erkennbar oder genannt ist.

... nicht als Berater für die Industrie fungieren, außer es handelt sich um eine Expertentätigkeit, die ver-traglich geregelt ist und angemessen bezahlt wird.

... keine Vertreterbesuche empfangen, außer die Einladung geht vom Arzt aus und wird dokumen-tiert.

... keine Arzneimittelmuster annehmen, außer es handelt sich um Muster für Patienten, die keinen Zugang zu notwendigen Medikamenten haben.

Lo B, Field MJ (Hrsg.) Con�ict of Interest in Medical Research. 1st ed. National Academic Press; 2009.

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