werte im pädagogischen alltag erlebbar machen
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Werte im pädagogischen Alltag erlebbar machen -
Interaktionen partizipativ gestalten
Frauke Hildebrandt, Graz, 3. 9. 2019
Gliederung
1. Empathie, Bedürfnis nach Symmetrie, Regelverständnis und moralische Motivation bei Kindern
2. Vorbilder oder Werte erfahren: Partizipation und Demokratie in der Kita
3. Werte thematisieren: Moralische Dilemmata und Konflikte in der Kita
Minimalmoral: Die goldene Regel oderKategorischer Imperativ
• Gleichheit
• Respekt vor anderen Personen – und vor sich selbst
• Freiheit, eine eigene Meinung haben und vertreten zu dürfen (Autonomie)
„Handle nach einer Maxime, welche zugleich als ein allgemeines Gesetz gelten kann!“
Kinder sind früh sensibel für Werte
• Ab 3 Jahre Symmetriebedürfnis und Bereitschaft zu teilen, wenn sich der ungerecht Behandelte auf Fairness und Gerechtigkeit beruft (Tomasello 2010)
• Ab 18 Monaten verstehen, dass andere Menschen andere Emotionen und Bedürfnisse haben - Helfen (Gopnik 2012,
Tomasello 2010)
Regelverständnis bei Kindern
• Ab Kinder ab 3 Jahren folgen nicht nur Regeln, beispielsweise wenn sie ein Spiel
erklärt bekommen, sondern sie setzen vielmehr die „richtige“ Regel auch aktiv
gegen eine Person durch, die ein Spiel aus ihrer Sicht mit den falschen Regeln spielt
(„So geht das nicht. Das ist falsch!“). Tomasello (2010)
Moralische Motivation & Wertebindung
Moralische Motivation – Regeln folgen wollen
• Unterscheidung zwischen moralische Normen (Minimalmoral) und Konventionen
• Entscheidung sich moralisch zu verhalten
= Abhängig von Familienklima, Erziehungsstil, Art des Freundeskreises, demokratische Beteiligung, normative
Integration der Gruppe (egalitärer Erziehungsstil unterstützt die Entwicklung moralischer Motivation).
= Wertebindungen entstehen aus subjektiv einleuchtenden und emotional intensiven Erfahrungen im
Bildungsprozess. Nunner-Winkler (2012)
Autonomes HandelnFähigkeit, das zu tun, was man selbst mit Gründen als richtig erkannt hat (u.a. Kant, Tugendhat 2007)
Mitverantwortliche Selbstbestimmungbzw. Bildung als Fähigkeit in der Auseinandersetzungmit der Welt selbstbestimmt, kritisch, sachkompetent und solidarisch zu denken, zu handeln und sich weiterzuentwickeln (u.a. Klafki 1985, Meyer & Walter-Laager, 2012)
Autonomie-bedürfnisse= Bedürfnis nach
Selbstbestimmung über ureigenste
Angelegenheiten von Anfang an.
(Priebe 2012; Deci and Ryan, 1993/ 2017)
Partizipatives sprachliches und nichtsprachliches Handeln von Kita-
Fachkräften:
(I) Individualität anerkennen
(II) Selbstwirksamkeitserfahrungen erzeugen (FK schafft Situationen, in denen Kinder sich selbst als Handelnde wirksam erleben)
(III) Rationalität zuschreiben
(IV) Autonomie der Anderen erlebbar machen
Erziehungsziel
Quellen: • Höhme-Serke, E., Priebe, M., Wenzel, S. (2012). Mit Kindern Demokratie leben. Aachen. • Deci, E.L. & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39 (2), 223-238.• Kant, I. (1992). Gesammelte Schriften. Abtheilung I: Werke: Gesammelte Schriften/ Akademieausgabe, Bd.4 (Abt.1, Werke, Bd.4), Kritik der reinen Vernunft. Berlin. • Tugendhat, E. (2007). Anthropologie statt Metaphysik. München. • Bieri, P. (2001). Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens. München. Frankfurt, H.G. (1971).Freedom of the Will and the Concept of a
Person. In: The Journal of Philosophy, Bd. 68.• Meyer, H. & Walter-Laager, C. (2012). Leitfaden für Lehrender der Elementarpädagogik. Berlin: Corenelsen.
Autonomie
Wertebildung IWerte für Kinder im Alltag erlebbar machen: PädagogInnen als Vorbilder
Kinder müssen in der Kita
• Erfahrungen durch wertbezogenes Handeln machen, indem sie „die Wirksamkeit und Gestaltungskraft ihres Engagements, das von anderen wahrgenommen und anerkannt wird, erleben und persönliche Orientierungen entwickeln können“.
• „Auf Pädagoginnen treffen, die eine pädagogische Kultur entfalten, die diese Werte transportiert.“ Wenzel (2012), S. 58
Wertebildung IDie Bedeutung von Vorbildern
• Kinder müssen Werte erfahren: Gleichheit, demokratisches Zusammenleben,
Respekt vor der eigenen Person und die Freiheit, eine eigene Meinung haben und
vertreten zu dürfen.
• Organisations- und Kommunikationsstrukturen, die Kinder im Alltag erleben und
die Menschen, mit denen sie im Dialog gemeinsam lernen, prägen ihre Werte
• Kinder, die Selbstwirksamkeit erleben, Anteilnahme und Anerkennung erfahren,
werden Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl entwickeln, das ihnen ermöglicht,
wertebewusst zu handeln: u.a. eben anderen Anteilnahme, Empathie und
Anerkennung entgegenzubringen. (Berliner Bildungsprogramm, S. 23)
Wertebildung IGesellschaftspolitische Aktualität: Demokratie in der Kita
• Demokratie – formale Dimension: Selbstwirksamkeitserfahrung
erzeugen & Diskursivität erlebbar machen („Navigieren im Raum der
Gründe“) (Sellars 1953)
• Demokratie – substantielle Dimension: Kinder als Subjekte mit
eigenem Autonomiebedürfnis und eigenen Rechten anerkennen &
Autonomie Anderer erlebbar machen
• Demokratie – prozesshafte Dimension: Veränderung von Ritualen und Regeln gemeinsam aushandeln
Wertebildung IBeispiel: PädagogInnen-Kind-Interaktion
• Partizipative Interaktionsformate haben besonders positiven Einfluss auf die kognitive Entwicklung der Kinder.
• Anregung zum Weiterdenken, u.a. durch offene Fragen mit Aufforderungscharakter (Hamre et al. 2013; König, 2009; Siraj-Blatchford, 2002; Sylva et al., 2004)
• Geteilte Aufmerksamkeit (Carpenter et al., 1998)
• Shared thinking und epistemische Kennzeichnung (Hildebrandt et al., 2016)
• Das Kind führen lassen (Dickinson & Tabors, 2001; Girolametto et al., 2003)
• Gemeinsames Denken, offene Fragen und Modellierung (Sammons et al., 2004)
Wertebildung ISprachpragmatische Dimensionen – Empathie, Symmetrie, Autonomie
organisatorischer Dialog
deskriptiver Dialog
Wir beschreiben, was wir
wahrnehmen, was wir erlebt
haben oder erleben. Wir
sagen, wie es ist oder wie es
war.
Das ist rot / Warst du am
Wochenende wieder bei Opa?
/ Die Schnecke kriecht sehr
langsam. / Guck mal. Das
passt da nicht rein.
Wir bewerten Handlungen,
Ereignisse oder Dinge.
Gut! / Das stimmt nicht. / Ach,
schade. / Ui, toll. / War es
schön bei Opi? Nudeln mag
ich. / Bravo! / Das sieht ja
klasse aus. / Das machst du
falsch. / Das finde ich ja jetzt
nicht so schön von dir. /Die
haben ja oll geschaut! / Hast
du gemerkt, sie waren
begeistert!
Wir organisieren die alltäglichen
Abläufe, besprechen, wer was
zu tun hat und instruieren die
Kinder.
Komm mal her. / Es redet nur
einer. Die anderen hören zu. /
Lass das sein. / Zeig mal. /
Stop. / Wir reden nicht mit
vollem Mund. / Morgenkreis! /
Aufräumzeit! / Und was machen
wir nach dem Austeilen immer?
normativer Dialog
Wir fragen uns, warum Dinge
so sind, wie sie sind.
Wie spekulieren, wie es wäre,
wenn es anders wäre.
Wieso waren die eigentlich so
begeistert? / Warum
schwimmt Holz? / Wenn wir
jetzt nicht losgehen,
verpassen wir die Bahn. / Was
wäre denn, wenn wir fliegen
könnten? / Was passiert denn,
wenn ich das hier loslasse?
explikativerDialog
Wertebildung I: DreischrittMara (4) zeigt den Wasserfleck auf dem Boden: „Guck mal, da ist Wasser.“
1. Kinderaussage
würdigen
2. Eigene Begründung
epistemisch markieren
3. Frage
zurückgeben
• Hey, das habe ich noch gar nicht gesehen.
• Ja, wirklich!
• Stimmt!
• Das ist ja interessant!
Bei Nicht-Wissen begründen und epistemisch markieren:
•Also ich könnte mir vorstellen, dass...
•Ich denke / ich glaube, dass
•Ich vermute, dass...
Bei Wissen Erkenntnisgrund (Quelle) angeben:
•Du, das kann ich dir sagen. Ich habe gesehen wie…
•Ich habe mal gehört, dass
•Ich habe mal erlebt, dass…
Bei Wissen
• Und was hast du gedacht?
Bei Nicht-Wissen
• Und was meinst / denkst du?
• Was vermutest du denn?
• Was glaubst du?
Wertebildung IIWerte thematisieren: Moralische Urteilsfähigkeit entwickeln
• Kompetenzen für wertbezogenes Handeln entwickeln, indem sie gemeinsam mit Erwachsenen auf
unterschiedliche Weise die Werte thematisieren und explizit Techniken und Methoden kennenlernen, die ihnen
helfen, wertorientiert zu handeln.
– Perspektive zu wechseln
– Verantwortung zu übernehmen
– Konflikte konstruktiv auszuhandeln
– Rückmeldungen zu geben
Das implizit Erfahrene wird so explizit und damit
rationaler Überlegung zugänglich. (Wenzel, 2012), S. 58
Wertebildung II Moralische Dilemmata diskutieren: Werte und Normen zu Thema machen
• Dialogische Tätigkeit hilft Kindern, auch in ethisch weniger klaren
Situationen differenzierte Urteile darüber zu entwickeln, was wir
für gut und schlecht, angemessen und unangemessen halten – sie
fördert moralische Urteilsfähigkeit. Das gilt für grundlegende,
unbedingte und rational einsehbare Werte unseres
Zusammenlebens, die universalistische Minimalmoral, genauso
wie für aus der Tradition gewachsene Konventionen und hilft
dabei, die Perspektive zu wechseln.
Wertebildung IIBesitzkonflikte zwischen Kindern als Werte-Lernsituation
Aussagen der Kinder nicht fragend spiegeln (wiederholt)
Vermutete Gefühle und Bedürfnisse der Kinder formulieren
Kinder ermuntern, selbst nach einer Lösung zu suchen: Was machen wir denn da?
Lucie: »Ich hatte die Schaufel zuerst. Stefan hat sie mir einfach weggenommen!«
Stefan: „Gar nicht! Die lag da und außerdem hattest du die schon die ganze Zeit.“
Bitte nicht raushalten!
• Eigene Wertüberzeugungen reflektieren und Reflektion alltäglich wertschätzend in den pädagogischen
Prozess einbringen!
• Belehrungsaktivitäten sind wenig effektiv. Aber für Werte muss man im Alltag einstehen!
Wer sich in moralischer Hinsicht „heraushält“, bestätigt einfach die vorhandenen Mechanismen, auch die
von Ungleichbehandlung und Ausgrenzung - eine fatale Konsequenz einer falsch verstandenen
Konzeption von Selbstbildung und der daraus folgenden pädagogischen „Furcht vor Manipulation der
Kinder.“
Wenn man seinen eigenen Ansprüchen im Handeln nicht genügt hat, dann danach genau dies mit den
Kindern thematisieren
Literatur-EmpfehlungenAamodt, Sandra; Wang Samuel (2012): Welcome to your child’s brain. Die Entwicklung des kindlichen Gehirns. München: C.H. Beck.
Derman-Sparks, Louise/A.B.C. Task Force (1989): Anti-Bias-Curriculum: Tools for empowering young children. Washington D.C.: NAEYC.
Edelstein, Wolfgang (2007): Was ist Demokratiepädagogik? In: Gerhard de Haan, G. et al.: Qualitätsrahmen Demokratiepädagogik. Band 1. Weinheim: Beltz Verlag. S.3-5
Gopnik, Alison u.a. (2001): Forschergeist in Windeln. München: Ariston Verlag.
Gopnik, Alison (2010): Kleine Philosophen. Berlin: Ullsteinverlag.
Joas, Hans (2003): Werte und Erfahrung. In: Killius, Nelson et al. (2003): Die Bildung der Zukunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. S. 98-105
Nunner-Winkler, Gertrud (2002): Moralischer Wandel – moralisches Lernen. In: Killius, Nelson et al. (2003): Die Bildung der Zukunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. S. 111-116
Nunner-Winkler, Gertrud (2012): Moral. In: Schneider, Wolfgang; Lindenberger, Ulman (2012): Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz Verlag, S. 521-541
Preissing, Christa; Wagner, Petra (2003) (Hrsg.): Kleine Kinder, keine Vorurteile? Interkulturelle und vorurteilsbewusste ArbeitinKindertageseinrichtungen. Freiburg: Herder.
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Hrsg.) (2014): Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege. Berlin, Weinheim: Verlag das Netz.
Tomasello, Michael (2009): Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
Tomasello, Michael (2014): A natural history of human thinking. Harvard College.
Wagner, Petra (2007): Moralische Werte vermitteln und Bildungsprozesse unterstützen – ein Widerspruch? http://situationsansatz.de/files/texte%20ista/fachstelle%20kinderwelten/kiwe%20pdf/Wagner%202007%20Moralische%20Werte.pdf(20.11.2014)
Wenzel, Sascha (2012): Demokratie, Demokratiepädagogik und demokratische Handlungskompetenz – ein Glossar. In: Höhme-Serke, Evelyne et al.: Mit Kindern Demokratie leben. Aachen: Shaker Verlag. S. 57-62