welche thromboseprophylaxe für die reise?

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© thinkstock Weitere Infos auf springermedizin.de Umfassende Informationen für die reisemedizinische Beratung Ihrer Patienten im Dossier Reisemedizin: www.springermedizin.de/249600 Mehr zu Thrombosen und kardiovaskulären Erkrankungen im Schwerpunkt Herz-, Kreislauf- und Gefäßerkrankungen in der Praxis www.springermedizin.de/3063058 Gymnastik, Strümpfe, Heparine Welche Thromboseprophylaxe für die Reise? Frage: Immer wieder werde ich in der Praxis von Patienten darauf angesprochen, ob es sinnvoll sei, vor einer längeren Flugreise eine Thromboseprophylaxe durchzuführen. Des- halb meine Frage: Wer braucht eine solche? Anwort: Faktoren, die ein leicht erhöhtes Thromboserisiko bedingen, sind Adiposi- tas, Varikosis, orale Kontrazeptiva, Rauchen, Schwangerschaft, Entzündungen, Polyglo- bulie, Herzinsuffizienz und ein Alter über 40 Jahre. Liegt nur einer dieser Faktoren vor, so reicht zur Prophylaxe die Einhaltung bestimmter Verhaltensweisen. Dazu ge- hören das Einlegen regelmäßiger Pausen mit Bewegungen der Beine und gymnas- tischen Übungen, ausreichendes Trinken alkoholfreier Getränke (0,1–0,2 l/Stunde) und das Meiden von Kaffee. Auch sollten die Beine während der Reise nicht überein- andergeschlagen werden. Liegen zwei oder mehr dieser Faktoren vor, so empfiehlt sich zusätzlich das Tragen von Kompressions- strümpfen der Kompressionsklasse I–II. Besonders stark gefährdet sind Perso- nen mit einem thromboembolischen Ereig- nis in der Vorgeschichte, einer bekannten hereditären Thrombophilie, einer manifes- ten Tumorerkrankung, einer Immobilisation des Beines, z. B. durch einen Gipsverband, einer Beinlähmung oder gehäuften Throm- bosen in der Familie. Solche Patienten be- nötigen bei Reisen von länger als 45 Stun- den immer eine medikamentöse Thrombo- seprophylaxe mit einem niedermolekularen Heparin (NMH) (5000 IE Fragmin, 4000 IE Clexane, Fraxiparin bei < 50 kg 0,2 ml, 50–69 kg 0, 3 ml, > 70 kg 0,4 ml). Das Heparin-Prä- parat sollte 12 Stunden vor Abreise erst- mals appliziert werden. Ob immer eine zweite Gabe nach 24 Stunden gegeben wer- den muss, wird unterschiedlich beantwor- tet. Bzgl. der Dauer der Heparin-Gabe sollte man sich am individuellen Risiko orientie- ren. Bei sehr hohem Risiko wird sogar eine Prophylaxe über drei Tage empfohlen [1]. Frage: Muss eine medikamentöse Reise- thrombose-Prophylaxe immer mit einem NMH durchgeführt werden, oder geht es auch oral mit ASS oder einem NOAK? Antwort: Bis vor Kurzem galt das niedermo- lekulare Heparin als unverzichtbarer Gold- standard bei der medikamentösen Throm- boseprophylaxe. Neuere Studien sprechen allerdings dafür, dass ASS nicht nur – wie bisher vermutet – in der arteriellen Strom- bahn wirkt, sondern auch die Entstehung venöser Thrombosen verhindern kann. Dabei wurde ASS in einer Dosierung von 100–300 mg eingesetzt. Bisher lässt sich aber nicht beurteilen, ob der Thrombozytenaggrega- tionshemmer auch bei Personen mit einem hohen Thromboserisiko eine ausreichende Wirkung garantiert [2]. Deshalb sollte bei solchen Personen sicherheitshalber weiter- hin ein niedermolekulares Heparin eingesetzt werden. Bei Patienten mit einem mittleren Ri- siko spricht aber nichts gegen die Gabe von ASS. Und ein Hochrisikopatient, der unter einer ASS-Therapie steht, sollte zusätzlich Heparin spritzen. Und was die NOAK angeht: Sie haben eine ähnliches Wirkprofil wie NMH, sodass sie ebenso wirksam sein dürften wie NMH. Aber dafür sind sie offiziell nicht zuge- lassen, d. h. die Verordnung in einer solchen Situation ist off label use. Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg Literatur: 1. Geerts WH et al.: Prevention of venous thromboembolism: American College of Chest Physicians Evidence-Based Clinical Practice Guidelines (8th Edition). Chest 2008; 133: 381S453S 2. Cesarone MR et al.: Venous thrombosis from air travel: the LONFLIT 3 study – prevention with aspirin vs low-molecular-weight heparin (LMWH) in high-risk subjects: a randomized trial. Angiology 2002; 53: 1–6 AKTUELLE MEDIZIN GERINNUNGSSPRECHSTUNDE Die Zahl der Patienten, die eine antithrombotische Therapie erhalten, wird immer größer. Dazu gehören u. a. Patienten mit kardio- bzw. zerebrovasku- lären Erkrankungen, tiefer Beinvenenthrombose, Herzklappenersatz und Vor- hofflimmern. Bereichert, aber auch komplexer wurde die Therapie durch die Einführung innovativer Thrombozytenaggregationshemmer und oraler Anti- koagulanzien. In dieser „Gerinnungssprechstunde“ erhalten Sie Antworten auf Fragen, die sich dabei im hausärztlichen Alltag ergeben. 20 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (12)

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Mehr zu Thrombosen und kardiovaskulären Erkrankungen im Schwerpunkt Herz-, Kreislauf- und Gefäßerkrankungen in der Praxis

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Gymnastik, Strümpfe, Heparine

Welche Thromboseprophylaxe für die Reise?

Frage: Immer wieder werde ich in der Praxis von Patienten darauf angesprochen, ob es sinnvoll sei, vor einer längeren Flugreise eine Thromboseprophylaxe durchzuführen. Des-halb meine Frage: Wer braucht eine solche?

Anwort: Faktoren, die ein leicht erhöhtes Thromboserisiko bedingen, sind Adiposi-tas, Varikosis, orale Kontrazeptiva, Rauchen, Schwangerschaft, Entzündungen, Polyglo-bulie, Herzinsuffizienz und ein Alter über 40 Jahre. Liegt nur einer dieser Faktoren vor, so reicht zur Prophylaxe die Einhaltung bestimmter Verhaltensweisen. Dazu ge-hören das Einlegen regelmäßiger Pausen mit Bewegungen der Beine und gymnas-tischen Übungen, ausreichendes Trinken alkoholfreier Getränke (0,1–0,2 l/Stunde) und das Meiden von Kaffee. Auch sollten die Beine während der Reise nicht überein-andergeschlagen werden. Liegen zwei oder mehr dieser Faktoren vor, so empfiehlt sich zusätzlich das Tragen von Kompressions-strümpfen der Kompressionsklasse I–II.

Besonders stark gefährdet sind Perso-nen mit einem thromboembolischen Ereig-nis in der Vorgeschichte, einer bekannten hereditären Thrombophilie, einer manifes-ten Tumorerkrankung, einer Immobilisation des Beines, z. B. durch einen Gipsverband, einer Beinlähmung oder gehäuften Throm-bosen in der Familie. Solche Patienten be-nötigen bei Reisen von länger als 4–5 Stun-den immer eine medikamentöse Thrombo-seprophylaxe mit einem niedermolekularen Heparin (NMH) (5000 IE Fragmin, 4000 IE Clexane, Fraxiparin bei < 50 kg 0,2 ml, 50–69 kg 0,3 ml, > 70 kg 0,4 ml). Das Heparin-Prä-

parat sollte 1–2 Stunden vor Abreise erst-mals appliziert werden. Ob immer eine zweite Gabe nach 24 Stunden gegeben wer-den muss, wird unterschiedlich beantwor-tet. Bzgl. der Dauer der Heparin-Gabe sollte man sich am individuellen Risiko orientie-ren. Bei sehr hohem Risiko wird sogar eine Prophylaxe über drei Tage empfohlen [1].

Frage: Muss eine medikamentöse Reise-thrombose-Prophylaxe immer mit einem NMH durchgeführt werden, oder geht es auch oral mit ASS oder einem NOAK?

Antwort: Bis vor Kurzem galt das niedermo-lekulare Heparin als unverzichtbarer Gold-standard bei der medikamentösen Throm-boseprophylaxe. Neuere Studien sprechen allerdings dafür, dass ASS nicht nur – wie bisher vermutet – in der arteriellen Strom-bahn wirkt, sondern auch die Entstehung venöser Thrombosen verhindern kann. Dabei wurde ASS in einer Dosierung von 100–300 mg eingesetzt. Bisher lässt sich aber nicht beurteilen, ob der Thrombozytenaggrega-

tionshemmer auch bei Personen mit einem hohen Thromboserisiko eine ausreichende Wirkung garantiert [2]. Deshalb sollte bei solchen Personen sicherheitshalber weiter-hin ein niedermolekulares Heparin eingesetzt werden. Bei Patienten mit einem mittleren Ri-siko spricht aber nichts gegen die Gabe von ASS. Und ein Hochrisikopatient, der unter einer ASS-Therapie steht, sollte zusätzlich Heparin spritzen. Und was die NOAK angeht: Sie haben eine ähnliches Wirkprofil wie NMH, sodass sie ebenso wirksam sein dürften wie NMH. Aber dafür sind sie offiziell nicht zuge-lassen, d. h. die Verordnung in einer solchen Situation ist off label use.

Dr. med. Peter Stiefelhagen, Hachenburg ■

Literatur:1. Geerts WH et al.: Prevention of venous

thromboembolism: American College of Chest Physicians Evidence-Based Clinical Practice Guidelines (8th Edition). Chest 2008; 133: 381S–453S

2. Cesarone MR et al.: Venous thrombosis from air travel: the LONFLIT 3 study – prevention with aspirin vs low-molecular-weight heparin (LMWH) in high-risk subjects: a randomized trial. Angiology 2002; 53: 1–6

AKTUELLE MEDIZIN_GERINNUNGSSPRECHSTUNDE

Die Zahl der Patienten, die eine antithrombotische Therapie erhalten, wird immer größer. Dazu gehören u. a. Patienten mit kardio- bzw. zerebrovasku-lären Erkrankungen, tiefer Beinvenenthrombose, Herzklappenersatz und Vor-hofflimmern. Bereichert, aber auch komplexer wurde die Therapie durch die Einführung innovativer Thrombozytenaggregationshemmer und oraler Anti-koagulanzien. In dieser „Gerinnungssprechstunde“ erhalten Sie Antworten auf Fragen, die sich dabei im hausärztlichen Alltag ergeben.

20 MMW-Fortschr. Med. 2014; 156 (12)