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Hintergrund 18 1. März 2015 Ostschweiz am Sonntag Migros Coop Denner Aldi Suisse* Volg-Gruppe Lidl* Spar Umsätze 2013 in Millionen Franken * Schätzung 14462 13390 3168 1740 1402 589 730 St. Gallen Gossau Herisau Schänis Uznach Rapperswil-Jona Aldi Lidl Niederuzwil Kreuzlingen Wattwil Walensee Zürichsee Wangs Flums Mels Sevelen Buchs Heerbrugg- Balgach Bodensee Altstätten Widnau Sirnach Frauenfeld Aadorf Weinfelden Arbon Wittenbach Altenrhein Romanshorn Amriswil Wil Bischofszell Bazenheid Wilen AI AR SG TG Anzahl Filialen 2006 2008 2010 2012 2014 2005 2007 2009 2011 2013 2015 0 50 100 150 200 Lidl Aldi Sitter St.Gallen Sitterviadukt Solitüde Riethüsli Kathedrale Bruggen Winzlinge im Vergleich Aldi und Lidl wachsen stetig. Dies ändert allerdings nichts daran, dass die beiden Discounter im Vergleich zu Migros und Coop weiterhin kleine Brötchen backen. Quelle: gfk, Grafik: oas Die Ostschweiz in den 20ern Der St. Galler Flugpionier Walter Mittelholzer machte die damals neuen Luftaufnahmen populär. Die Ostschweiz am Sonntag zeigt in einer Serie Ansichten aus der Region – heute: St. Gallen. Bilder: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz Mit der Fokker CH-190 flog Mittelholzer auch über die Sitterviadukte. Der St.Galler Stiftsbezirk mit der prachtvollen barocken Kathedrale. Aus 1000 m Höhe: Die Solitüde von Süden her mit Blick ins Riethüsli. In der nächsten Ausgabe: Thurgau 275 Filialen haben Aldi und Lidl in den vergangenen zehn Jahren in der Schweiz eröffnet. Das Sortiment ist seither vielfältiger geworden, und der Weg zum nächsten Supermarkt wird immer kürzer. Der spektakuläre Preissturz blieb jedoch aus. War’s das? ROGER BRAUN W as war das für ein Aufschrei, damals vor zehn Jahren! Als Aldi und Lidl ankündig- ten, den Schweizer Markt zu erobern, war die Aufregung im Lande gross. Die etablierten Detailhändler, die Bauern, die Gewerkschaften und die Umwelt- verbände liefen Sturm gegen die Discounter aus Deutschland. Stellver- tretend für viele malte Migros-Chef Herbert Bolliger Schreckensszenarien. «Der brutale Preiskampf vernichtet ganze Unternehmen und Existenzen», wetterte er. Insbesondere bei den Bau- ern werde «noch der letzte Cent rausge- würgt». Fast schon klassenkämpferisch warnte er: «Die Besitzer von Aldi und Lidl werden immer reicher und drü- cken auf Kosten der Produzenten und Mitarbeiter permanent die Preise.» Von 0 auf 275 Filialen Inzwischen hat sich der Pulver- dampf verzogen. Die beiden Discoun- ter haben sich in der Schweiz etabliert. Lidl eröffnete im Sarganserland kürz- lich die 100. Filiale; Aldi feiert dieses Jahr mit 175 Filialen das 10-Jahr-Jubi- läum. Damit sind die beiden im Vergleich zu den traditionellen Grossverteilern kleine Fische. Machten Lidl und Aldi Ende 2013 einen geschätzten Umsatz von rund 2,5 Milliarden Franken, be- trug dieser bei der Migros 14,5 Milliar- den Franken (siehe Grafik). Stellt sich die entscheidende Frage: Hat es Lidl und Aldi geschafft, die vollmundigen Versprechen nach tieferen Preisen ein- zulösen? Preisniveau ist nicht gesunken Wenn Zahlen nicht lügen, könnte man sagen: nein. Die Hochpreisinsel Schweiz ist weiterhin intakt. Gemäss Zahlen des Bundesamts für Statistik unterschied sich das Preisniveau für Nahrungsmittel und alkoholfreie Ge- tränke 2014 nicht von jenem aus dem Jahr 2005. Anders gesagt: Trotz dem vielen Gerede von Rabatten und Tief- preisen kostet ein Einkauf weiterhin gleich viel. Jonas Stoll vom Forschungs- institut BAK Basel kennt diese Zahlen, weist aber darauf hin, dass die anderen Güter im gleichen Zeitraum um rund vier Prozent teurer geworden sind. Für ihn ist es keine Überraschung, dass die Preise für Lebensmittel nicht markant gefallen sind. «Denn die höheren Preise in der Schweiz sind vor allem auf die hohen Beschaffungskosten zurückzu- führen – und hier ist Aldi Suisse und Lidl in der gleichen Situation wie Migros oder Coop.» Untersuchungen von BAK Basel zeigten, dass in der Schweiz die Beschaffung sowohl im In- land als auch im Ausland – aufgrund des Zollschutzes – deutlich teurer ist. «Aldi und Lidl sind Enttäuschung» Dies würde den Schluss nahelegen, dass die Preise bei Lidl und Aldi in der Schweiz gar nicht tiefer sein können. Eine Sicht, die Sara Stalder von der Stif- tung für Konsumentenschutz nicht teilt. Stattdessen sagt sie: «Aldi und Lidl sind punkto Preiswettbewerb eine Ent- täuschung.» Zwar räumt Stalder ein, dass die beiden deutschen Discounter teilweise die Preisführerschaft haben, «doch die Preise werden gerade so an- gesetzt, dass sie möglichst knapp unter den Preisen anderer Anbieter liegen». Das Fazit von Stalder ist eindeutig: «Lidl und Aldi haben es sich in der Schweiz bequem gemacht und schrei- ben im Windschatten von Migros und Coop fette Gewinne.» Schlafende Löwen nicht wecken Ökonom Reiner Eichenberger kann sich gut vorstellen, dass Aldi und Lidl diese Strategie verfolgen. Er nennt das die «Schlafende-Löwen-Strategie» mit Migros und Coop in der Rolle des Löwen. «Würde Lidl und Aldi die Preise aggressiv um 30 Prozent senken, müss- ten Migros und Coop zwangsläufig nachziehen – und die Anbieter in einen ruinösen Preiskampf stürzen.» Eichen- berger geht deshalb ebenfalls davon aus, dass sich die deutschen Discoun- ter an das Schweizer Preisniveau an- gepasst haben. Dies zeige sich auch daran, dass Coop und Migros noch immer gute Gewinne und Umsätze schrieben. «Niemand will wirklichen Wettbewerb – denn dieser tut weh.» Neue Tiefpreislinie bei Coop Eichenberger zieht trotzdem ein po- sitives Fazit zum Eintritt von Aldi und Lidl in den Schweizer Markt. Coop sei zum Beispiel gezwungen worden, die Billiglinie Prix Garantie einzuführen, und Migros habe die M-Budget-Linie ausgebaut. Gleichzeitig hätten Migros und Coop mehr hochwertige Produkte im Angebot. «Das ist gut für den Konsu- menten – er hat die grössere Auswahl als früher.» Gerne würde Eichenberger noch mehr Wettbewerb sehen: «Ein weiterer Konkurrent im Tiefpreisseg- ment wie Penny Markt könnte weiteren Druck auf die Preise bringen.» Filialen rücken näher Detailhandelsexperte Gotthard Wangler preist ebenfalls die Vorzüge des intensiveren Wettbewerbs. «Aldi und Lidl haben Coop und Migros aus ihrem Tiefschlaf geweckt.» Er ist über- zeugt, dass ohne die neue Konkurrenz aus Deutschland das Preisniveau viel höher wäre. «Migros und Coop hatten eine informelle Preisabsprache auf ho- hem Niveau – diese wurden nun durch- brochen.» Wangler sieht aber auch ab- seits der Preisfront Vorteile: «Die Dis- tanz zum nächsten Supermarkt ist dank der neuen Mitbewerber deutlich gesunken.» Nicht nur die 275 Läden von Aldi und Lidl seien dazu gekom- men, sondern auch die Platzhirsche hätten expandiert. «Früher konnten sich Migros und Coop sicher sein, dass die Konsumenten den Weg zu ihnen finden – nun mit der neuen Konkur- renz ist das nicht mehr gegeben.» Des- halb hätten auch die etablierten Gross- verteiler neue Filialen eröffnet. «Profi- teur dieser neuen Angebote ist der Konsument.» Bild: Michel Canonica Beim Eintritt in den Schweizer Markt sorgten Lidl und Aldi für grosses Getöse. Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt. Die Standorte in der Ostschweiz Die Ostschweiz ist ein wichtiges Standbein für Lidl und Aldi. Nicht nur gibt es insgesamt 44 Supermärkte in der Region, sondern auch die beiden Schweizer Hauptsitze liegen in der Ostschweiz. Lidl hat sich in Weinfelden niedergelassen, Aldi in Schwarzenbach. Quelle: Aldi; Lidl, Karte: oas Immer mehr Aldi- und Lidl-Supermärkte Die beiden deutschen Discounter haben ihr Filialnetz die letzten Jahre stetig ausgebaut. Aldi hat inzwischen 175 Filialen in der Schweiz; bei Lidl sind es 100. Auffällig ist das abflachende Wachstum. Beobachter führen dies darauf zurück, dass es immer schwieriger ist, geeignete Flächen zu finden. Quelle: Aldi; Lidl, Grafik: oas Die grosse Entkrampfung ROGER BRAUN Vor zehn Jahren noch als Arme-Leute- Läden und deutsche Geiz-ist-geil-Ver- treter gebrandmarkt, entwickeln sich Lidl und Aldi zunehmend zu Detail- händlern wie Migros, Coop und Den- ner. Wie eine Meinungsumfrage von Nielsen ergab, kaufen inzwischen zwei von drei Schweizer Haushalten min- destens einmal im Jahr bei Aldi oder Lidl ein. Auch die Käuferstruktur hat sich laut der Umfrage verändert. Während frü- her überproportional Personen mit tie- fem Einkommen den Weg zu den deut- schen Discountern fanden, nähert sich heute die Käuferstruktur dem demo- graphischen Bild der Schweiz an. Während 2011 zum Beispiel lediglich 17 Prozent der Personen mit über- durchschnittlichem Wohlstand bei Aldi und Lidl einkauften, waren es 2013 be- reits 22 Prozent. Simone Müller von Nielsen sagt: «Der durchschnittliche Einkäufer bei Lidl unterscheidet sich immer weniger von einem Migros- oder Coop-Konsumenten.» Image deutlich verbessert Einer der Gründe für diese neue Normalität ist das verbesserte Image der beiden Discounter. Das Marktfor- schungsinstitut Marketagent.com stellt in diesem Zusammenhang «signifikan- te Veränderungen» fest, wie Geschäfts- führerin Ursula Kaspar sagt. Während im Jahr 2012 noch jeder Vierte Lidl grundsätzlich ablehnte und niemals dort einkaufen würde, betrug dieser Anteil im Jahr 2014 noch 17 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Aldi, wo der Anteil der Ablehnung von 22 auf 15 Prozent sank. Analoge Verschiebungen zeigen sich bei der Vertrauenswürdigkeit und Sym- pathie. Zwar hinken Aldi und Lidl den Platzhirschen Migros und Coop deut- lich nach, doch der Trend ist eindeutig positiv. Bei der Frage nach dem bevor- zugten Unternehmen im Detailhandel haben sich die beiden deutschen Dis- counter hinter Migros und Coop klar als Nummer 3 und 4 etabliert – deutlich vor Denner, Volg oder Spar. Aldi und Lidl verschweizern Ursula Kaspar von Marketagent.com führt das unter anderem aufs Marke- ting zurück. «Sowohl Aldi als auch Lidl setzen kommunikativ stark auf Swiss- ness. Schweizer Fähnchen, die Beto- nung von regionalen Produkten oder der verstärkte Fokus auf Nachhaltigkeit scheint seine Wirkung bei den Konsu- menten zu haben», sagt Kaspar. Auch die Discounter selbst machen keinen Hehl aus dieser Neuorientierung. Aldi Suisse zum Beispiel schreibt: «Anders als das ‹Geiz ist geil›-Denken z.B. in Deutschland legen Konsumenten in der Schweiz Wert auf Qualität, Schwei- zer Produkte und Nachhaltigkeit.» Aldi und Lidl rühmen sich, inzwischen über 40 Prozent (Aldi), respektive 50 Prozent (Lidl) des Umsatzes mit Schweizer Pro- dukten zu erwirtschaften. Auch kom- munikativ lassen sie keine Chance aus, auf ihr Engagement zugunsten der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen. Sei es die grösste Solaranlage der Schweiz, die energieeffiziente Kühl- technik, die abgasarmen Lastwagen oder die Lehrlingsausbildung: Die bei- den Discounter sind bemüht, ihr durchzogenes Image aus Deutschland zu korrigieren. Dazu gehören auch die Löhne der Angestellten. Laut Zahlen der Gewerkschaft Unia bezahlen Aldi und Lidl höhere Mindestlöhne für Un- gelernte als Migros und Coop. Aldi be- zahlt einen Monatslohn von 4250 Fran- ken, Lidl 4000 Franken. Migros folgt mit 3900 Franken, Coop mit 3850 Franken. Einem Denner immer ähnlicher Das Marktforschungsinstitut Niel- sen macht noch weitere Gründe dafür aus, dass Aldi und Lidl in der Gunst der Schweizerinnen und Schweizer stei- gen. «Das Sortiment wurde deutlich ausgeweitet, und Markenartikel wer- den häufiger», sagt Simone Müller. Dies wirke sich auch auf die Einkaufs- lust der Konsumenten aus. Der durch- schnittlich ausgegebene Betrag pro Einkauf steige. Müller sagt angesichts der nachlassenden Dynamik bei den Filialeröffnungen gar: «Die deutschen Discounter sind die letzten Jahre weni- ger durch neue Filialen gewachsen, sondern weil die Konsumenten mehr ausgegeben haben.» Quelle: Bundesamt für Landestopografie, Karte: oas

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  • Hintergrund18 1. März 2015Ostschweizam Sonntag

    Migros

    Coop

    Denner

    Aldi Suisse*

    Volg-Gruppe

    Lidl*

    Spar

    Umsätze 2013 in Millionen Franken

    * Schätzung

    14462

    13390

    3168

    1740

    1402

    589

    730

    St.Gallen

    Gossau

    Herisau

    Schänis

    Uznach

    Rapperswil-Jona

    Aldi Lidl

    Niederuzwil

    Kreuzlingen

    Wattwil

    Walensee

    Zürichsee

    Wangs

    Flums

    Mels

    Sevelen

    Buchs

    Heerbrugg-Balgach

    Bodensee

    Altstätten

    Widnau

    Sirnach

    Frauenfeld

    Aadorf

    Weinfelden

    Arbon

    WittenbachAltenrhein

    Romanshorn

    Amriswil

    WilBischofszell

    Bazenheid

    Wilen

    AI

    AR

    SG

    TG

    Anzahl Filialen

    2006 2008 2010 2012 20142005 2007 2009 2011 2013 20150

    50

    100

    150

    200

    Lidl

    Aldi

    Sitter

    St.Gallen

    Sitterviadukt

    SolitüdeRiethüsli

    Kathedrale

    Bruggen

    Winzlinge im VergleichAldi und Lidl wachsen stetig. Dies ändertallerdings nichts daran, dass die beidenDiscounter im Vergleich zu Migros und Coopweiterhin kleine Brötchen backen.

    Quelle: gfk, Grafik: oas

    Die Ostschweiz in den 20ernDer St. Galler Flugpionier Walter Mittelholzer machte die damals neuenLuftaufnahmen populär. Die Ostschweiz am Sonntag zeigt in einer SerieAnsichten aus der Region – heute: St. Gallen.

    Bilder: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz

    Mit der Fokker CH-190 flog Mittelholzer auch über die Sitterviadukte.

    Der St.Galler Stiftsbezirk mit der prachtvollen barocken Kathedrale.

    Aus 1000 m Höhe: Die Solitüde von Süden her mit Blick ins Riethüsli.

    In der nächsten Ausgabe: Thurgau

    275 Filialen haben Aldi und Lidl in den vergangenen zehn Jahren in der Schweiz eröffnet. Das Sortiment ist seither vielfältiger geworden,und der Weg zum nächsten Supermarkt wird immer kürzer. Der spektakuläre Preissturz blieb jedoch aus.

    War’s das?ROGER BRAUN

    Was war das fürein Aufschrei,damals vorzehn Jahren!Als Aldi undLidl ankündig-

    ten, den Schweizer Markt zu erobern,war die Aufregung im Lande gross. Dieetablierten Detailhändler, die Bauern,die Gewerkschaften und die Umwelt-verbände liefen Sturm gegen dieDiscounter aus Deutschland. Stellver-tretend für viele malte Migros-ChefHerbert Bolliger Schreckensszenarien.«Der brutale Preiskampf vernichtetganze Unternehmen und Existenzen»,wetterte er. Insbesondere bei den Bau-ern werde «noch der letzte Cent rausge-würgt». Fast schon klassenkämpferischwarnte er: «Die Besitzer von Aldi undLidl werden immer reicher und drü-cken auf Kosten der Produzenten undMitarbeiter permanent die Preise.»

    Von 0 auf 275 FilialenInzwischen hat sich der Pulver-

    dampf verzogen. Die beiden Discoun-ter haben sich in der Schweiz etabliert.

    Lidl eröffnete im Sarganserland kürz-lich die 100. Filiale; Aldi feiert diesesJahr mit 175 Filialen das 10-Jahr-Jubi-läum.

    Damit sind die beiden im Vergleichzu den traditionellen Grossverteilernkleine Fische. Machten Lidl und AldiEnde 2013 einen geschätzten Umsatzvon rund 2,5 Milliarden Franken, be-trug dieser bei der Migros 14,5 Milliar-den Franken (siehe Grafik). Stellt sichdie entscheidende Frage: Hat es Lidlund Aldi geschafft, die vollmundigenVersprechen nach tieferen Preisen ein-zulösen?

    Preisniveau ist nicht gesunkenWenn Zahlen nicht lügen, könnte

    man sagen: nein. Die HochpreisinselSchweiz ist weiterhin intakt. GemässZahlen des Bundesamts für Statistikunterschied sich das Preisniveau fürNahrungsmittel und alkoholfreie Ge-tränke 2014 nicht von jenem aus demJahr 2005. Anders gesagt: Trotz demvielen Gerede von Rabatten und Tief-preisen kostet ein Einkauf weiterhingleich viel. Jonas Stoll vom Forschungs-institut BAK Basel kennt diese Zahlen,weist aber darauf hin, dass die anderen

    Güter im gleichen Zeitraum um rundvier Prozent teurer geworden sind. Fürihn ist es keine Überraschung, dass diePreise für Lebensmittel nicht markantgefallen sind. «Denn die höheren Preisein der Schweiz sind vor allem auf diehohen Beschaffungskosten zurückzu-führen – und hier ist Aldi Suisse undLidl in der gleichen Situation wieMigros oder Coop.» Untersuchungenvon BAK Basel zeigten, dass in derSchweiz die Beschaffung sowohl im In-land als auch im Ausland – aufgrunddes Zollschutzes – deutlich teurer ist.

    «Aldi und Lidl sind Enttäuschung»Dies würde den Schluss nahelegen,

    dass die Preise bei Lidl und Aldi in derSchweiz gar nicht tiefer sein können.Eine Sicht, die Sara Stalder von der Stif-tung für Konsumentenschutz nichtteilt. Stattdessen sagt sie: «Aldi und Lidlsind punkto Preiswettbewerb eine Ent-täuschung.» Zwar räumt Stalder ein,dass die beiden deutschen Discounterteilweise die Preisführerschaft haben,«doch die Preise werden gerade so an-gesetzt, dass sie möglichst knapp unterden Preisen anderer Anbieter liegen».Das Fazit von Stalder ist eindeutig:«Lidl und Aldi haben es sich in derSchweiz bequem gemacht und schrei-ben im Windschatten von Migros undCoop fette Gewinne.»

    Schlafende Löwen nicht weckenÖkonom Reiner Eichenberger kann

    sich gut vorstellen, dass Aldi und Lidldiese Strategie verfolgen. Er nennt dasdie «Schlafende-Löwen-Strategie» mitMigros und Coop in der Rolle desLöwen. «Würde Lidl und Aldi die Preiseaggressiv um 30 Prozent senken, müss-ten Migros und Coop zwangsläufignachziehen – und die Anbieter in einenruinösen Preiskampf stürzen.» Eichen-berger geht deshalb ebenfalls davonaus, dass sich die deutschen Discoun-ter an das Schweizer Preisniveau an-gepasst haben. Dies zeige sich auchdaran, dass Coop und Migros nochimmer gute Gewinne und Umsätzeschrieben. «Niemand will wirklichenWettbewerb – denn dieser tut weh.»

    Neue Tiefpreislinie bei CoopEichenberger zieht trotzdem ein po-

    sitives Fazit zum Eintritt von Aldi undLidl in den Schweizer Markt. Coop seizum Beispiel gezwungen worden, dieBilliglinie Prix Garantie einzuführen,und Migros habe die M-Budget-Linieausgebaut. Gleichzeitig hätten Migrosund Coop mehr hochwertige Produkteim Angebot. «Das ist gut für den Konsu-menten – er hat die grössere Auswahlals früher.» Gerne würde Eichenbergernoch mehr Wettbewerb sehen: «Einweiterer Konkurrent im Tiefpreisseg-ment wie Penny Markt könnte weiterenDruck auf die Preise bringen.»

    Filialen rücken näherDetailhandelsexperte Gotthard

    Wangler preist ebenfalls die Vorzügedes intensiveren Wettbewerbs. «Aldiund Lidl haben Coop und Migros ausihrem Tiefschlaf geweckt.» Er ist über-zeugt, dass ohne die neue Konkurrenzaus Deutschland das Preisniveau vielhöher wäre. «Migros und Coop hatteneine informelle Preisabsprache auf ho-hem Niveau – diese wurden nun durch-brochen.» Wangler sieht aber auch ab-seits der Preisfront Vorteile: «Die Dis-tanz zum nächsten Supermarkt istdank der neuen Mitbewerber deutlichgesunken.» Nicht nur die 275 Lädenvon Aldi und Lidl seien dazu gekom-men, sondern auch die Platzhirschehätten expandiert. «Früher konntensich Migros und Coop sicher sein, dassdie Konsumenten den Weg zu ihnenfinden – nun mit der neuen Konkur-renz ist das nicht mehr gegeben.» Des-halb hätten auch die etablierten Gross-verteiler neue Filialen eröffnet. «Profi-teur dieser neuen Angebote ist derKonsument.»

    Bild: Michel CanonicaBeim Eintritt in den Schweizer Markt sorgten Lidl und Aldi für grosses Getöse. Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt.

    Die Standorte in der OstschweizDie Ostschweiz ist ein wichtiges Standbein für Lidl und Aldi. Nicht nur gibt es insgesamt44 Supermärkte in der Region, sondern auch die beiden Schweizer Hauptsitze liegen in der Ostschweiz.Lidl hat sich in Weinfelden niedergelassen, Aldi in Schwarzenbach.

    Quelle: Aldi; Lidl, Karte: oas

    Immer mehr Aldi- und Lidl-SupermärkteDie beiden deutschen Discounter haben ihr Filialnetz die letzten Jahre stetig ausgebaut. Aldi hatinzwischen 175 Filialen in der Schweiz; bei Lidl sind es 100. Auffällig ist das abflachende Wachstum.Beobachter führen dies darauf zurück, dass es immer schwieriger ist, geeignete Flächen zu finden.

    Quelle: Aldi; Lidl, Grafik: oas

    Die grosse EntkrampfungROGER BRAUN

    Vor zehn Jahren noch als Arme-Leute-Läden und deutsche Geiz-ist-geil-Ver-treter gebrandmarkt, entwickeln sichLidl und Aldi zunehmend zu Detail-händlern wie Migros, Coop und Den-ner. Wie eine Meinungsumfrage vonNielsen ergab, kaufen inzwischen zweivon drei Schweizer Haushalten min-destens einmal im Jahr bei Aldi oderLidl ein.

    Auch die Käuferstruktur hat sich lautder Umfrage verändert. Während frü-her überproportional Personen mit tie-fem Einkommen den Weg zu den deut-schen Discountern fanden, nähert sichheute die Käuferstruktur dem demo-graphischen Bild der Schweiz an.Während 2011 zum Beispiel lediglich17 Prozent der Personen mit über-durchschnittlichem Wohlstand bei Aldiund Lidl einkauften, waren es 2013 be-reits 22 Prozent. Simone Müller vonNielsen sagt: «Der durchschnittlicheEinkäufer bei Lidl unterscheidet sichimmer weniger von einem Migros-oder Coop-Konsumenten.»

    Image deutlich verbessertEiner der Gründe für diese neue

    Normalität ist das verbesserte Imageder beiden Discounter. Das Marktfor-schungsinstitut Marketagent.com stellt

    in diesem Zusammenhang «signifikan-te Veränderungen» fest, wie Geschäfts-führerin Ursula Kaspar sagt. Währendim Jahr 2012 noch jeder Vierte Lidlgrundsätzlich ablehnte und niemalsdort einkaufen würde, betrug dieserAnteil im Jahr 2014 noch 17 Prozent.Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Aldi,wo der Anteil der Ablehnung von 22 auf15 Prozent sank.

    Analoge Verschiebungen zeigen sichbei der Vertrauenswürdigkeit und Sym-pathie. Zwar hinken Aldi und Lidl denPlatzhirschen Migros und Coop deut-lich nach, doch der Trend ist eindeutigpositiv. Bei der Frage nach dem bevor-zugten Unternehmen im Detailhandelhaben sich die beiden deutschen Dis-counter hinter Migros und Coop klarals Nummer 3 und 4 etabliert – deutlichvor Denner, Volg oder Spar.

    Aldi und Lidl verschweizernUrsula Kaspar von Marketagent.com

    führt das unter anderem aufs Marke-ting zurück. «Sowohl Aldi als auch Lidlsetzen kommunikativ stark auf Swiss-ness. Schweizer Fähnchen, die Beto-nung von regionalen Produkten oderder verstärkte Fokus auf Nachhaltigkeitscheint seine Wirkung bei den Konsu-menten zu haben», sagt Kaspar. Auchdie Discounter selbst machen keinenHehl aus dieser Neuorientierung. Aldi

    Suisse zum Beispiel schreibt: «Andersals das ‹Geiz ist geil›-Denken z. B. inDeutschland legen Konsumenten inder Schweiz Wert auf Qualität, Schwei-zer Produkte und Nachhaltigkeit.» Aldiund Lidl rühmen sich, inzwischen über40 Prozent (Aldi), respektive 50 Prozent(Lidl) des Umsatzes mit Schweizer Pro-dukten zu erwirtschaften. Auch kom-munikativ lassen sie keine Chance aus,auf ihr Engagement zugunsten der

    Öffentlichkeit aufmerksam zu machen.Sei es die grösste Solaranlage derSchweiz, die energieeffiziente Kühl-technik, die abgasarmen Lastwagenoder die Lehrlingsausbildung: Die bei-den Discounter sind bemüht, ihrdurchzogenes Image aus Deutschlandzu korrigieren. Dazu gehören auch dieLöhne der Angestellten. Laut Zahlender Gewerkschaft Unia bezahlen Aldiund Lidl höhere Mindestlöhne für Un-gelernte als Migros und Coop. Aldi be-zahlt einen Monatslohn von 4250 Fran-ken, Lidl 4000 Franken. Migros folgt mit3900 Franken, Coop mit 3850 Franken.

    Einem Denner immer ähnlicherDas Marktforschungsinstitut Niel-

    sen macht noch weitere Gründe dafüraus, dass Aldi und Lidl in der Gunst derSchweizerinnen und Schweizer stei-gen. «Das Sortiment wurde deutlichausgeweitet, und Markenartikel wer-den häufiger», sagt Simone Müller.Dies wirke sich auch auf die Einkaufs-lust der Konsumenten aus. Der durch-schnittlich ausgegebene Betrag proEinkauf steige. Müller sagt angesichtsder nachlassenden Dynamik bei denFilialeröffnungen gar: «Die deutschenDiscounter sind die letzten Jahre weni-ger durch neue Filialen gewachsen,sondern weil die Konsumenten mehrausgegeben haben.»

    Quelle: Bundesamt für Landestopografie, Karte: oas