wasseranalytik im wandel der zeit - applica 2017 · viele verschiedenartige gew sser sich...
TRANSCRIPT
Applica 09, 16. Juni 2009
Richard Wülser, IWBLeiter Qualitätssicherung Wasser
Wasseranalytik
im Wandel der Zeit
/ 352
Gliederung
• Einführung / Bedeutung der Wasserbewertung
• Wasseranalytik gestern und heute
• Die Analytik und ihre Konsequenzen am Beispiel desSummenparameters AOX
• Ausblick
• Fazit
/ 353
Einführung
Es gibt wohl kein anderer Naturstoff und kein Produkt, das so umfassend undtiefgreifend untersucht wurde und wird wie natürliches Wasser.
Die Charakterisierung und Beurteilung von Wasser erfolgte gestern wie heutedurch Anwendung subjektiver, optischer und organoleptischer Methoden, durchAnwendung objektiver Untersuchungsverfahren mit Messgeräten und durch dieBeurteilung der Auswirkungen der Wasserqualität auf Mensch und Tier.
Zu allen Zeiten spielte das Wasser im Bewusstsein der Menschen die grössteRolle. Dabei lagen die Ehrfurcht vor dem Wasser als „überlebenswichtigesElement“ (Trinkwasser, Heilwasser) und die Furcht vor dem Wasser als„vernichtendes Element“ (Hochwasser, Tsunami, Träger von Krankheitserregern)eng beieinander.
/ 354
Bewertung der Wasserqualität in der Antike
Der Corpus Hippocraticum entstand zwischen des 5. und 2. Jahrhunderts v.Chr. Dort steht im Kapitel „über Luft, Wasser und Ortsverhältnisse“:
„Alles Wasser, was aus Sümpfen und stehenden Gewässern kommt, ist notwendig
im Sommer warm, dick und übelriechend, da es ja nicht abfliessen kann; da
vielmehr immer neues Regenwasser zuwächst, und die Sonne darauf brennt, ist es
notwendig von schlechter Farbe, macht Beschwerden und erregt die Galle. Im
Winter aber ist es gefroren, kalt und trüb von Schnee und Eis, so dass es starke
Verschleimung und Heiserkeit hervorruft. Menschen, die davon trinken, haben
ständig eine grosse und verhärtete Milz und ihr Leib ist hart, dünn und warm. Die
Schultern, die Schlüsselbeine und das Gesicht sind eingefallen und abgemagert;
denn ihr Fleisch wird von der Milz aufgesogen und darum sind sie mager.“
„Steinleidend aber und von Nierenkrankheiten, Harnzwang und Hüftschmerz …
werden die Menschen von da, wo sie sehr verschiedenartiges Wasser trinken, etwa
aus grossen Flüssen, in die andere Flüsse münden, oder aus einem (Fluss), in den
viele verschiedenartige Gewässer sich ergiessen, auch diejenigen, die
Leitungswasser trinken, das von fern her und nicht aus der Nähe kommt.“
/ 355
Bewertung der Wasserqualität in der Antike
Beurteilung der Wasserqualität durch Vitruv (33 - 15 v. Chr.):
„…man beobachte mit vieler Aufmerksamkeit ... die körperliche Beschaffenheit der
in der Nähe wohnenden Menschen. Sind diese stark, von frischer Gesichtsfarbe
und leiden sie weder an Fusskrankheiten nach an triefenden Augen, so ist das
Wasser bewährt.“
Weitere Merkmale für sehr gutes und gesundes Wasser bei Vitruv (1. Jh. V. Chr.):- es macht keine Flecken auf Gefässen aus Erz
- es scheidet „weder Sand noch Schlamm“ beim Kochen ab
- „ein auf das Feuer gesetztes Gemüse kocht geschwind“
- „es sieht in seiner Quelle klar und durchsichtig aus“
- „es bringt nirgends, wo es fliesst, weder Moos noch Binsen hervor und lässt sonst
Unrat zurück.“
/ 356
Bewertung der Wasserqualität in der Neuzeit
Um ca. 1750 war die Meinung der Naturforscher:
„dass man auch die Natur des Wassers, ob sie gut oder
böse, durch die Menge der Thiere im Wasser, nachdem ihre
Eigenschaften gut oder böse erkennt.“
„dass diejenigen Thiere im Wasser, welche nicht dienlich
zu essen sind, anzeigen, dass das Wasser ungesund sei.“
„dass wenn in einem Wasser sich wenige Fische aufhalten,
so zeigt es bissweilen des Wassers Schädlichkeit an, bissweilen
auch nicht.“
„dass das Wasser vom stinkenden Koth auf den Gassen weit
schädlicher ist als alles sumpfigstes Wasser“
„dass „die Quellen, so stehen bleiben, schädlicher sind, als
die ihren freyen Lauff“ haben.
/ 357
Wasseranalytik im Wandel der Zeit
• Einführung / Bedeutung der Wasserbewertung
• Wasseranalytik gestern und heute
• Die Analytik und ihre Konsequenzen am Beispiel desSummenparameters AOX
• Ausblick
• Fazit
/ 358
Entwicklung der Analytik
Gravimetrie
Martin Heinrich Klaproth (1743-1817)führte die Waage als analytischesStandardinstrument ein.
Als Klassiker der Gravimetrie (quantitativeAnalyse durch Wiegen) gilt dieSulfatbestimmungüber die Ausfällungals Bariumsulfat.
/ 359
Entwicklung der Analytik
Massanalyse
Carl Friedrich Mohr (1806-1879) entwickeltedie Massanalyse (Titration) als Bestandteil deranalytischen Chemie(Bestimmung von Chlorid nach Mohr).
/ 3510
Entwicklung der Analytik
Chemischer Sauerstoffbedarf
W. Kubel etablierte Mitte des 19. Jahrhunderts eine Methode zur Bestimmung derorganischen Stoffe in Wässern („Oxydierbarkeit“) mit Kaliumpermanganat (KMnO4)als Oxidationsmittel.
/ 3511
Entwicklung der Analytik
Sauerstoffbestimmung
1888 entwickelte L. W. Winkler eine genaueMethode zur titrimetrischen Bestimmung vongelöstem Sauerstoff
/ 3512
Entwicklung der Analytik
Trink- und Abwasserhygiene
Robert Koch (1843-1910) hat 1883 die Koloniezahl alsIndikatorparameter für die mikrobiologische Wassergüteetabliert, die heute noch in der Hygieneverordnung verankert ist.Er hat den Zusammenhang zwischen dem Auftreten derCholera und der Trinkwassersituation nachgewiesen.
Moderne Bakteriologie
Ferdinand Cohn (1828- 1898) gilt als Begründerder mikroskopischen Wasseranalyse und dermodernen Bakteriologie.1872 veröffentlichte erein dreibändiges Standardwerk, das für diemoderne Bakteriologie richtungsweisendwurde.
/ 3513
Anfänge der Wasseranalytik in Basel
/ 3514
Anfänge der Wasseranalytik in Basel
Minimal- und Maximal-Gehaltin einem Liter Wasser (g/L)nachDr. Friedrich Goppelsröder,29. Mai 1872
/ 3515
Anfänge der Wasseranalytik in Basel
/ 3516
Prof. J. PiccardMärz 1875
Anfänge der Wasseranalytik in Basel
Erste Qualitätsparameter:- Trübung- Trockenrückstand- Glührückstand- Kalkerde- Kieselerde- Chlorid- Nitrat- Nitrit- Sulfat- Natron- Kali- Magnesia- freie Kohlensäure- Hydrogenkarbonat- Ammonium- CSB: „Organisches“- Temperatur
/ 3517
Kaliumpermanganat-Verbrauch 1875
Prof. J. Piccard,Universität Basel 1875
/ 3518
Qualität der Analysenbefunde
Prof. J. Piccard,Universität Basel 1875
Fragen zur Messunsicherheit und Zuverlässigkeit der Analysenergebnissewurden bereits vor über 130 Jahren gestellt.
/ 35
Erste Wasserwerkslabors
19
Labor der BerlinerWasserversorgung1926
Mit dem Bau derQuellwasser-aufbereitungentstand 1905 daserste Wasserlaborin Basel.
/ 3520
Entwicklung der Analytik
Ab 1900 wurde die Kolorimetrie (Konzentrationsbestimmung durch Farbvergleich)in der Wasseranalytik eingesetzt (pH-Bestimmung, Eisenbestimmung).
Kolkwitz und Marsson entwickelten im Jahr 1902 das Saprobiensystem
1935 erschienen erstmalig die „Physikalischen und Chemischen Einheitsverfahren
In den 60er und 70er Jahren wurden wesentliche SummenparameterEntwickelt (DOC, AOX)
Seit den 60er Jahren wurden chromatographische VerfahrenWeiterentwickelt (DC, GC, HPLC, IC) ! organische Spurenanalytik
/ 35
Entwicklung der organischen Einzelstoffanalytik
21
1960
1970
1980
1990
2000
2010
Dünnschichtchromatographie (DC) PAK
Gaschromatographie mit ECD (GC/ECD) FHKW, HCKW
Gaschromatographie/Massenspektrometrie(GC/MS)
Gaschromatographie mit Stickstoff-Detektor(GC/NPD)
Hochdruckflüssigkeitschromatographie (HPLC)
Hochdruckflüssigkeitschromatographie/Massenspektrometrie (HPLC/MS)
HPLC-Tandem-Massenspektrometrie PFC-Tenside
(HPLC/MS-MS)
Nitroverbindungen, Aniline,Phenole, Chlororganika
Pestizide wieAtrazin, SimazinPhenole, Pestizide, wieDiuron, Isoproturon
Arzneimittelrückstände
Direktbestimmung aus derWasserphase
Analysenverfahren Analyten
/ 35
Das Labor der Wasserversorgung Basel damals
22
Nassanalytik im Labor des WasserwerksLange Erlen in Basel 1962.
Einblick in den Laborwagen, der mobileKontrollen vor Ort ermöglichte.
/ 35
Das Wasserlabor IWB heute
23
Einblick in das Spurenanalytik-Labor mitGC- und LC/MS-MS.
Prozessmessgeräte undAnalytik in den Anlagen vor Ort
/ 3524
• Einführung / Bedeutung der Wasserbewertung
• Wasseranalytik gestern und heute
• Die Analytik und ihre Konsequenzen am Beispiel desSummenparameters AOX
• Ausblick
• Fazit
Wasseranalytik im Wandel der Zeit
/ 3525
Summenparameter AOX
Anfangs der 1970er Jahre begann man Methoden zu entwickeln, umChlorverbindungen summarisch bestimmen zu können.In dieser Zeit wurden erstmals im Rhein anthropogene und xenobiotischeorganische Stoffe nachgewiesen
Mitte Siebziger Jahreentwickelte WolfgangKühn im Rahmen seinerDissertation am Engler-Bunter-Institut dasverfahren zur AOX-Bestimmung.
/ 3526
Entwicklung der AOX-Analysatoren
AOX-Analysator aus den Anfangszeiten Neueres Gerät
/ 3527
AOX-Konzentration im Rhein vor Basel
Überwachung der AOX-Konzentration im Rohwasser der TrinkwasseraufbereitungLange Erlen in Basel.
Daten:Wasserlabor IWB
!g/L Chlor
/ 3528
Rückläufige Schadsofffrachten im Rhein
Jahresfrachten im Rhein bei Bimmen-Lobith
Daten: IKSR, 2003
/ 3529
AOX als treibender Parameter im Gewässerschutz
1985 wurde das Verfahren in die DIN-Normensammlung aufgenommen.
Der Rückgang der AOX-Belastung im Rhein in den Achziger Jahren ist durchdie Messkampagnen und Anstrengungen Gewässerschutz zurückzuführen.
Weitere Anstrengungen insbesondere in der Papierindustrie führten in denNeunziger Jahre nochmals zu einem deutlichen Rückgang der AOX-Frachten.
Der Parameter fand Einzug in die verschiedensten Gesetzgebungen: In derSchweiz erfogte dies erst mit dem Gewässerschutzgesetz von 1991.
In der Gewässerschutzverordnung gilt für Grundwasser in Hinblick auf dieTrinkwassergewinnung 10 !g/L.
/ 3530
Inhalt
• Einführung / Bedeutung der Wasserbewertung
• Wasseranalytik gestern und heute
• Die Analytik und ihre Konsequenzen am Beispiel desSummenparameters AOX
• Ausblick
• Fazit
Wasseranalytik im Wandel der Zeit
/ 3531
Bakteriologie
Der empirische Richtwert für die Koloniezahl von 100/ml geht auf Robert Kochzurück. Dieser schreibt 1883: "Wenn ein Filterwerk in jeder Beziehungzufriedenstellend arbeitet, dann finden sich erfahrungsgemäß in filtriertemWasser weniger als 100 entwicklungsfähige Keime auf 1 cm3".
/ 3532
Durchflusszytometrie
Die Durchflusszytometrie erlaubteine sehr schnelle quantitativeZählung der Bakterienzellen.
Dieser hygienerelevante Parameterwird künftig den aufwändigeKoloniezahlbestimmung ersetzen.
/ 3533
Wirkungsbasierte Analytik
Biomonitore mit Fischen (Strömungsfischtest) undKleinkrebsen (DynamischerDaphnientest) sind bereits seit Jahren in derFlusswasserüberwachung im Einsatz.
Bei Abweichungen vom regulären Verhalten derTiere wird von den Geräten ein Alarm ausgelöst.
Um die Wirkungsspezifität von möglichst vielen,unterschiedlich wirkenden Stoffen erfassen zukönnen, ist eine Erweiterung dieser Verfahren mitweiteren Organismen (Bakterien, Algen undMuscheln, etc.) erforderlich.
Werden bei der zeitnahen ÜberwachungBiotestalarme eindeutig erkannt, könnenweitergehende Untersuchungen an Rückstellprobendurchgeführt werden, um so die Ursache fürReaktion der Organismen zu finden.
/ 3534
Fazit
Das Bestreben nach Verfahren für eine aussagekräftige Qualitätskontrolle und dieCharakterisierung von Wasserinhaltsstoffe hat in den letzten Jahrzehnten zuneuen leistungsfähigen Analysengeräten geführt.
Die heutigen Systeme wie LC/MS erlauben - teilweise ohne manuelleProbenanreicherungsschritte - im sehr tiefen Konzentrationsbereich (pg und ng/L)zu quantifizieren.
Zukünftig sind die klassischen und leistungsfähigen Analysenmethoden mitweiteren Methoden zu ergänzen und so zu koppeln, dass die Wirkung vonFremdstoffen im Wasser bewertet werden kann.
Beispiele aus der Geschichte zeigen, dass neue, empfindliche und für dieRoutineanalytik taugliche Verfahren dazu geführt haben, dass Zustände undEntwicklungen beschrieben und bewertet werden konnten. Nur so – mitmessbaren und aussagekräftigen Parametern - konnten Forderungen undZielsetzungen im Gewässerschutz festlegt und deren Erreichen gemessenwerden.
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit !