wärmebehandlung – eine kurze einführung · das materi-al im zustand „a“ hat ein...

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11 AluReport 01.2014 PRODUKTION U m die gewünschten Eigenschaften eines Materials darzustellen, sind in der aluminiumverarbeitenden Industrie meist mehrere Wärmebehand- lungsschritte als Elemente einer komple- xen Herstellroute notwendig. Trotz er- höhter Kosten und oftmals erheblicher Komplexität sind Wärmebehandlungen bei den meisten Anwendungen unum- gänglich. Bei ausreichendem Prozessver- ständnis und richtigem Einsatz sind sie jedenfalls Schlüsselschritte zum optimalen Material. Generell sind unter Wärmebehandlungen Verfahren zur Behandlung von Werkstof- fen durch thermische, thermochemische oder thermomechanische Einwirkung zu verstehen [1]. Diese haben das Ziel, op- timale Gebrauchseigenschaften des Alu- miniumprodukts zu erreichen. Während beim Gießen meist eine rein thermische Behandlung erfolgt, wird beim Umfor- men von Knetlegierungen die Wärmebe- handlung sehr oft von einem Umform- schritt begleitet. In diesem Fall wird von einer thermomechanischen Behandlung des Materials gesprochen. Verfahren wie Spannungsarmglühen, Weichglühen, Lö- sungsglühen, Diffusionsglühen und Re- kristallisationsglühen sowie Auslagern und Härten haben das Ziel, die Mikrostruktur bewusst zu ändern. Bestimmte Elemente und Phasen werden dabei in Lösung ge- bracht oder in Art, Menge und Größe de- finierte Ausscheidungen transformiert [2]. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, den Lesern die Vorgänge während dieser Pro- zessschritte und die Auswirkungen auf die resultierenden Werkstoffeigenschaften an- hand ausgewählter Beispiele darzustellen. Die Komplexität der zugrundeliegenden physikalischen Vorgänge und der Varian- tenreichtum an Behandlungsschritten sind zu umfangreich, um auch nur annähernd Vollständigkeit der Erklärungen anbieten zu können. Nachfolgend wird jedoch ein hilfreicher Überblick gegeben. Ein wichtiger Punkt für das Verständnis der Abläufe beim Wärmebehandeln ist die Verinnerlichung des Metallaufbaus: Die Aluminiumatome sind in einem kubisch- flächenzentrierten Kristallgitter angeord- net, sie sitzen also an genau definierten Stellen. Dabei ist dieser Kristall niemals perfekt. Fehlstellen im Kristallgitter ver- spannen dieses und erhöhen die Festigkeit. Fehlstellen können beispielsweise Fremda- tome sein, die einen anderen Atomradius als Aluminium aufweisen. Generell unter- scheidet man null-, ein-, zwei- oder dreidi- mensionale Fehlstellen. Nulldimensionale Fehlstellen sind beispielsweise Leerstellen und Fremdatome auf Gitterplätzen, eindi- mensionale Fehlstellen sind Versetzungen, zweidimensional sind Korn- und Phasen- grenzen und dreidimensionale Gitter- fehler sind Ausscheidungen und Poren. Durch diese Fehlstellen wird die Energie des Gitters merklich erhöht; das Materi- al ist somit nicht im thermodynamischen Gleichgewicht. Um diese Störung mittels Materialtransport (Wanderung der Ato- me) ausgleichen zu können, müssen die Atome aber mobil sein und Raum zur Be- wegung vorfinden. Dabei spielen Leerstel- len im Gitter eine entscheidende Rolle [3], wobei die Anzahl der im Gitter vorhande- nen Leerstellen stark temperaturabhängig ist. Im Gleichgewicht treten Leerstellen bei Raumtemperatur sehr selten auf. Die Chance, einen ganz bestimmten Men- schen auf der Erde zu finden, ist 500-mal höher, als eine Leerstelle in Aluminium anzutreffen. Je höher aber die Temperatur ist, desto häufiger werden auch die Leer- stellen. Kurz bevor das Metall schmilzt, ist die Chance, eine Leerstelle zu finden, so hoch, als müsste man einen bestimmten Menschen in Kitzbühel finden. Gleichzei- tig steigt mit der Temperatur die Beweg- lichkeit der Atome, sodass sie über die Leerstellen mittels Platzwechsel wandern können. Dieser Prozess wird Diffusion genannt. Diese beiden Vorgänge sind die Grundlage fast aller Wärmebehandlungen und deren planvolle Beeinflussung ist Ziel der Wärmebehandlungsprozesse. Jedes Fertigprodukt, das die AMAG verlässt, hat eine komplexe thermische Geschichte hinter sich. Zur Erreichung des vom Kunden spezifizierten Eigen- schaftsprofils eines Walzprodukts müssen Legierungszusammensetzung, Umform- und alle Wärmebehandlungsparameter entlang der gesamten Prozesskette aufein- ander abgestimmt werden. Beispielhaft wird in Abbildung 1 die Herstellroute eines Bleches vom Typ AlCuMg dargestellt: Als aushärtbare Aluminiumknetlegierun- gen werden die Familien der Al-Cu-Mg (2xxx), Al-Mg-Si (6xxx) und Al-Cu-Mg- Zn (7xxx) Legierungen bezeichnet. Diese werden in der AMAG im Strangguss in Form von Barren abgegossen. Insbesonde- re bei hochfesten Legierungen, wie jenen der 7xxx-Familie, entstehen beim Erstar- ren des Metalls Seigerungen (inhomogene Verteilung der Legierungselemente) und durch die physikalisch bedingte ungleich- mäßige Abkühlung sehr hohe Eigenspan- nungen. Solche Walzbarren können ohne äußeren Einfluss bei Raumtemperatur bersten. Um ein für Mitarbeiter sicheres Handling zu gewährleisten, müssen diese Spannungen abgebaut werden. Das kann durch sogenanntes Spannungsarmglühen erfolgen. Das Material wird auf erhöhte Temperatur gebracht, bei der es eine deut- lich reduzierte Warmstreckgrenze sowie Kriechgrenze aufweist und mittels plas- tischer Verformung die Spannungen ab- bauen kann. Das nachfolgende Abkühlen muss möglichst langsam und gleichmäßig erfolgen, damit nicht erneut Spannungen eingebracht werden [4]. In der AMAG wird dieser Prozess oft mit einer Homogenisierung kombiniert. Die- ses Verfahren dient dem Zweck, die bei der Erstarrung entstandene, lokal unter- schiedliche, chemische Zusammenset- zung, die Kristallseigerung, zu beseitigen. Der Konzentrationsausgleich von Legie- rungselementen im Korn durch Diffusion erfolgt erst bei sehr hohen Glühtempera- turen, nahe jener Temperatur, bei der erste Anschmelzungen des Materials auftreten können, und erfordert lange Glühzeiten. Die Ziele der Homogenisierung von Knetlegierungen sind somit wie folgt: Herstellung von feinen, gleichmäßig ver- teilten Dispersoiden (Teilchen, oft klei- ner als 100 nm) Auflösen oder Spheroidisieren von im Guss während der Erstarrung entstan- denen groben primären Ausscheidun- gen (abhängig davon, ob die Phase lös- lich oder unlöslich ist) Entfernen der inhomogenen Verteilung der Legierungselemente (inhomogene und extrem gesättigte Struktur führt zu schlechten Eigenschaften) Auflösung der niedrig schmelzenden Pha- sen (Vermeidung von lokalem Schmel- zen während der Warmumformung) In der bekannten Luftfahrtlegierung 7075 treten beispielsweise verschiedene niedrigschmelzende Phasen auf (MgZn 2 , Al 2 Mg 3 Zn 3 , Al 6 CuMg 4 ). Ebenso ist die Seigerung von Elementen im Alumini- ummischkristall deutlich ausgeprägt. Zusätzlich treten aufgrund des hohen Anteils an Legierungselementen (vor al- lem Cu und Zn) intermetallische Phasen in großer Menge auf. Eine Vergleichmäßi- gung der Mikrostruktur mit einer Auflö- sung vor allem der niedrigschmelzenden intermetallischen Phasen ist essentiell, um beim anschließenden Warmwalzen keine Anschmelzungen zu erhalten. Ab- bildung 2 zeigt den Gefügeunterschied (a) vor und (b) nach dem Homogenisieren. Deutlich sind auch feine, gleichmäßig verteilte Dispersoide zu erkennen. 10 AluReport 03.2013 Wärmebehandlung – eine kurze Einführung Wärmebehandlung von aushärtbaren Aluminiumlegierungen. Was ist das eigentlich und warum ist es so wichtig für die Qualität des Produktes? Abb. 1: Vereinfachte thermische Geschichte eines Blechwerkstoffes vom Typ AlCuMg. Bei Plattenprodukten entfällt das Kaltwalzen. Schmelzen Abgießen und Erstarren Homogenisierung Warmwalzen Kaltwalzen Lösungsglühen Abschrecken Richten Kaltauslagerung 50 μm 50 μm 50 μm Temperatur Zeit

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11 AluReport 01.2014

PRODUKTION

Um die gewünschten Eigenschaften eines Materials darzustellen, sind in der aluminiumverarbeitenden

Industrie meist mehrere Wärmebehand-lungsschritte als Elemente einer komple-xen Herstellroute notwendig. Trotz er-höhter Kosten und oftmals erheblicher Komplexität sind Wärmebehandlungen bei den meisten Anwendungen unum-gänglich. Bei ausreichendem Prozessver-ständnis und richtigem Einsatz sind sie jedenfalls Schlüsselschritte zum optimalen Material.

Generell sind unter Wärmebehandlungen Verfahren zur Behandlung von Werkstof-fen durch thermische, thermochemische oder thermomechanische Einwirkung zu verstehen [1]. Diese haben das Ziel, op-timale Gebrauchseigenschaften des Alu-miniumprodukts zu erreichen. Während beim Gießen meist eine rein thermische Behandlung erfolgt, wird beim Umfor-men von Knetlegierungen die Wärmebe-

handlung sehr oft von einem Umform-schritt begleitet. In diesem Fall wird von einer thermomechanischen Behandlung des Materials gesprochen. Verfahren wie Spannungsarmglühen, Weichglühen, Lö-sungsglühen, Diffusionsglühen und Re-kristallisationsglühen sowie Auslagern und Härten haben das Ziel, die Mikrostruktur bewusst zu ändern. Bestimmte Elemente und Phasen werden dabei in Lösung ge-bracht oder in Art, Menge und Größe de-finierte Ausscheidungen transformiert [2]. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, den Lesern die Vorgänge während dieser Pro-zessschritte und die Auswirkungen auf die resultierenden Werkstoffeigenschaften an-hand ausgewählter Beispiele darzustellen. Die Komplexität der zugrundeliegenden physikalischen Vorgänge und der Varian-tenreichtum an Behandlungsschritten sind zu umfangreich, um auch nur annähernd Vollständigkeit der Erklärungen anbieten zu können. Nachfolgend wird jedoch ein hilfreicher Überblick gegeben.

Ein wichtiger Punkt für das Verständnis der Abläufe beim Wärmebehandeln ist die Verinnerlichung des Metallaufbaus: Die Aluminiumatome sind in einem kubisch-flächenzentrierten Kristallgitter angeord-net, sie sitzen also an genau definierten Stellen. Dabei ist dieser Kristall niemals perfekt. Fehlstellen im Kristallgitter ver-spannen dieses und erhöhen die Festigkeit. Fehlstellen können beispielsweise Fremda-tome sein, die einen anderen Atomradius als Aluminium aufweisen. Generell unter-scheidet man null-, ein-, zwei- oder dreidi-mensionale Fehlstellen. Nulldimensionale Fehlstellen sind beispielsweise Leerstellen und Fremdatome auf Gitterplätzen, eindi-mensionale Fehlstellen sind Versetzungen, zweidimensional sind Korn- und Phasen-grenzen und dreidimensionale Gitter-fehler sind Ausscheidungen und Poren. Durch diese Fehlstellen wird die Energie des Gitters merklich erhöht; das Materi-al ist somit nicht im thermodynamischen Gleichgewicht. Um diese Störung mittels

Materialtransport (Wanderung der Ato-me) ausgleichen zu können, müssen die Atome aber mobil sein und Raum zur Be-wegung vorfinden. Dabei spielen Leerstel-len im Gitter eine entscheidende Rolle [3], wobei die Anzahl der im Gitter vorhande-nen Leerstellen stark temperaturabhängig ist. Im Gleichgewicht treten Leerstellen bei Raumtemperatur sehr selten auf. Die Chance, einen ganz bestimmten Men-schen auf der Erde zu finden, ist 500-mal höher, als eine Leerstelle in Aluminium anzutreffen. Je höher aber die Temperatur ist, desto häufiger werden auch die Leer-stellen. Kurz bevor das Metall schmilzt, ist die Chance, eine Leerstelle zu finden, so hoch, als müsste man einen bestimmten Menschen in Kitzbühel finden. Gleichzei-tig steigt mit der Temperatur die Beweg-lichkeit der Atome, sodass sie über die Leerstellen mittels Platzwechsel wandern können. Dieser Prozess wird Diffusion genannt. Diese beiden Vorgänge sind die Grundlage fast aller Wärmebehandlungen und deren planvolle Beeinflussung ist Ziel der Wärmebehandlungsprozesse.

Jedes Fertigprodukt, das die AMAG verlässt, hat eine komplexe thermische Geschichte hinter sich. Zur Erreichung des vom Kunden spezifizierten Eigen-schaftsprofils eines Walzprodukts müssen Legierungszusammensetzung, Umform-

und alle Wärmebehandlungsparameter entlang der gesamten Prozesskette aufein-ander abgestimmt werden.

Beispielhaft wird in Abbildung 1 die Herstellroute eines Bleches vom Typ AlCuMg dargestellt:

Als aushärtbare Aluminiumknetlegierun-gen werden die Familien der Al-Cu-Mg (2xxx), Al-Mg-Si (6xxx) und Al-Cu-Mg-Zn (7xxx) Legierungen bezeichnet. Diese werden in der AMAG im Strangguss in Form von Barren abgegossen. Insbesonde-re bei hochfesten Legierungen, wie jenen der 7xxx-Familie, entstehen beim Erstar-ren des Metalls Seigerungen (inhomogene Verteilung der Legierungselemente) und durch die physikalisch bedingte ungleich-mäßige Abkühlung sehr hohe Eigenspan-nungen. Solche Walzbarren können ohne äußeren Einfluss bei Raumtemperatur bersten. Um ein für Mitarbeiter sicheres Handling zu gewährleisten, müssen diese Spannungen abgebaut werden. Das kann durch sogenanntes Spannungsarmglühen erfolgen. Das Material wird auf erhöhte Temperatur gebracht, bei der es eine deut-lich reduzierte Warmstreckgrenze sowie Kriechgrenze aufweist und mittels plas-tischer Verformung die Spannungen ab-bauen kann. Das nachfolgende Abkühlen muss möglichst langsam und gleichmäßig

erfolgen, damit nicht erneut Spannungen eingebracht werden [4].

In der AMAG wird dieser Prozess oft mit einer Homogenisierung kombiniert. Die-ses Verfahren dient dem Zweck, die bei der Erstarrung entstandene, lokal unter-schiedliche, chemische Zusammenset-zung, die Kristallseigerung, zu beseitigen. Der Konzentrationsausgleich von Legie-rungselementen im Korn durch Diffusion erfolgt erst bei sehr hohen Glühtempera-turen, nahe jener Temperatur, bei der erste Anschmelzungen des Materials auftreten können, und erfordert lange Glühzeiten.

Die Ziele der Homogenisierung von Knetlegierungen sind somit wie folgt:

Herstellung von feinen, gleichmäßig ver-teilten Dispersoiden (Teilchen, oft klei-ner als 100 nm)

Auflösen oder Spheroidisieren von im Guss während der Erstarrung entstan-denen groben primären Ausscheidun-gen (abhängig davon, ob die Phase lös-lich oder unlöslich ist)

Entfernen der inhomogenen Verteilung der Legierungselemente (inhomogene und extrem gesättigte Struktur führt zu schlechten Eigenschaften)

Auflösung der niedrig schmelzenden Pha-sen (Vermeidung von lokalem Schmel-zen während der Warmumformung)

In der bekannten Luftfahrtlegierung 7075 treten beispielsweise verschiedene niedrigschmelzende Phasen auf (MgZn

2,

Al2Mg

3Zn

3, Al

6CuMg

4). Ebenso ist die

Seigerung von Elementen im Alumini-ummischkristall deutlich ausgeprägt. Zusätzlich treten aufgrund des hohen Anteils an Legierungselementen (vor al-lem Cu und Zn) intermetallische Phasen in großer Menge auf. Eine Vergleichmäßi-gung der Mikrostruktur mit einer Auflö-sung vor allem der niedrigschmelzenden intermetallischen Phasen ist essentiell, um beim anschließenden Warmwalzen keine Anschmelzungen zu erhalten. Ab-bildung 2 zeigt den Gefügeunterschied (a) vor und (b) nach dem Homogenisieren. Deutlich sind auch feine, gleichmäßig verteilte Dispersoide zu erkennen.

10 AluReport 03.2013

Wärmebehandlung – eine kurze EinführungWärmebehandlung von aushärtbaren Aluminiumlegierungen.

Was ist das eigentlich und warum ist es so wichtig für die Qualität des Produktes?

Abb. 1: Vereinfachte thermische Geschichte eines Blechwerkstoffes vom Typ AlCuMg. Bei Plattenprodukten

entfällt das Kaltwalzen.

Schmelzen

Abgießen

und

Erstarren

Homogenisierung

Warmwalzen

Kaltwalzen

Lösungsglühen

Abschrecken

Richten

Kaltauslagerung

50 µm 50 µm 50 µm

Temperatur

Zeit

13 AluReport 01.201412 AluReport 01.2014

Nach dem Homogenisieren werden die Barren gesägt und gefräst sowie in einem Blockstoßofen auf Warmwalztemperatur erwärmt. Diese Vorwärmung ist je nach Le-gierung und erforderlichem Umformgrad unterschiedlich und kann mitunter eine separate Homogenisierung ersetzen. Die Warmwalztemperatur muss hoch genug gewählt werden, damit eine entsprechende Umformung (Abwalzgrad) möglich ist, darf aber auf keinen Fall so hoch sein, dass An-schmelzungen entstehen. Dabei ist zwin-gend zu berücksichtigen, dass die durch das Walzen eingebrachte Energie auch in Wärmeenergie umgewandelt wird und sich der Werkstoff während des Walzens noch weiter erwärmen kann. Wichtige Werk-stoffkennwerte hängen stark von einer korrekten Temperaturführung während des Walzprozesses ab. Schwankungen von

± 5 °C können sich deutlich messbar auf die Eigenschaften des Endprodukts auswirken. Eine legierungsabhängige Prozessführung und kontinuierliche Prozesskontrolle sind somit Pflicht. Je nach Temperaturführung und Zusammensetzung kann schon wäh-rend des Walzprozesses eine dynamische Rekristallisation stattfinden. Bei dieser fin-den gleichzeitig Verfestigungs- und Entfes-tigungsprozesse statt, wodurch im Gefüge die Bildung von Subkörnern zu beobachten ist. Durch gezielte Zugabe von Legierungs-elementen kann diese Subkornbildung bzw. -vergröberung beeinflusst werden. Auch hier ist die genaue Kenntnis der thermome-chanischen Wirkmechanismen und deren gezieltes Management unabdingbar. Eine eventuell notwendige Zwischenglühung entfestigt den Werkstoff wieder und erlaubt danach ein weiteres Umformen [5].

Vor dem Lösungsglühen erfolgt bei Blech-werkstoffen noch eine Kaltumformung, bei der die Festigkeit infolge der Neubil-dungen von Versetzungen stark zunimmt, während die Bruchdehnung abnimmt.

Aushärtbare Werkstoffe, wie die oben erwähnten Legierungsfamilien, werden anschließend lösungsgeglüht. Beim Lö-sungsglühen wird versucht, bestimmte Legierungsbestandteile (Magnesium, Sili-zium, Zink, Kupfer) im Aluminiummisch-kristall in Lösung zu bringen bzw. nicht-lösliche Anteile günstig einzuformen (z. B. Silizium). Dies geschieht möglichst nahe der Solidustemperatur der Legierung, um eine rasche Kinetik bei der Diffusion zu er-zielen und lange Glühzeiten zu vermeiden. Gleichzeitig muss die Temperatur aber un-terhalb der Schmelztemperatur der nied-

rigschmelzenden Phasen der Legierung liegen, da Anschmelzungen das Produkt unbrauchbar machen. Die AMAG kann hier auf ihre umfangreiche Kompetenz und ihren modernsten Anlagenpark im Bereich Wärmebehandlung verweisen. Die enge Zusammenarbeit mit Luft-fahrtkunden hat die Sensibilität für ex-akte Temperaturführung geschärft. So stellen bei unseren Wärmebehandlungs-öfen TUS- (Temperature Uniformity Survey) und SAT- (System Accuracy Test) Zertifizierungen die Reproduzier-barkeit der Wärmebehandlungen sicher. Das nützt nicht nur den Luftfahrt- und Automobilkunden, sondern allen Ab-nehmern, deren Produkte über unse-re Öfen laufen. Dabei geht es um eine

Grad-genaue Messung, bei der sicherge-stellt wird, dass die eingestellte Tempe-ratur im gesamten Ofen gleich ist, auch in den Ecken und am Ofeneingang.

Das Material wird nach dem Lösungs-glühen direkt aus der Glühhitze rasch auf Raumtemperatur abgekühlt. Dieses Ab-schrecken dient dem „Einfrieren“ des Lö-sungsglühzustandes mit möglichst hohem Anteil an gelösten, härtenden Legierungs-elementen und einer hohen Leerstellen-konzentration für eine gute Mobilität der Atome beim anschließenden Auslagern. So wird eine möglichst hohe Kinetik der nachfolgenden Ausscheidungsvorgänge gewährleistet. Das Auslagern ist ein tem-peratur- und zeitabhängiger Prozess, der je nach Material bei erhöhter Temperatur (Warmauslagern) oder bei Raumtempera-tur (Kaltauslagern) durchgeführt wird. In diesem Prozessschritt wandern die über-sättigt gelösten Fremdatome mittels Diffu-sion durch die im Überschuss vorhandenen Leerstellen und können je nach Tempera-turführung kohärente (geringe Differenz zum Kristallgitter der Legierung), teilko-härente und inkohärente Ausscheidungen bilden. Die meisten dieser Teilchen sind metastabil und manche können die me-chanischen Kennwerte des Produkts durch Evolution bei Raumtemperatur ändern. Dies muss für die Lagerfähigkeit von Um-formmaterialien durch spezielle Verfah-renschritte vermieden werden.

Nicht nur die Lagerfähigkeit wird durch

die metastabilen Phasen beeinflusst, son-dern auch das Verhalten des Werkstoffs, wenn er nach einer Lagerung erneut er-höhter Temperatur ausgesetzt wird: Die klassische Wärmbehandlung für höchst-mögliche Festigkeit bei guter Dehnung ist die sogenannte T6-Wärmebehandlung. Dabei werden Teilchen optimaler Größe ausgeschieden. Dieser Ablauf ist in Ab-bildung 3 zu sehen. Wenn das Material aber maximal umformbar sein soll, wird es vor dem Verarbeitungsprozess noch nicht warmausgelagert, sondern im weichen T4- Zustand, also nur lösungsgeglüht, an den Kunden versandt.

Sind neben den klassischen mechani-schen Eigenschaften wie Festigkeit und Verformbarkeit weitere Kennwerte gezielt einzustellen, kann eine der Lösungsglüh-behandlung vor- oder nachgeschaltete Wärmbehandlung erforderlich sein. Durch eine adaptierte Wärmebehandlung vor dem Lösungsglühen können beispielswei-se Bruchzähigkeit und Risswachstumsge-schwindigkeit gezielt beeinflusst werden. Ein Beispiel für eine optimierte Wärme-behandlung einer 2xxx-Luftfahrtlegierung mit verbesserten Schadenstoleranz-Eigen-schaften ist in Abbildung 4 dargestellt: Die Bleche wurden mit zwei unterschiedlichen Walz- und Wärmebehandlungszyklen produziert [6].

Das Material im Zustand „A“ wurde knapp unterhalb von 500 °C in einem kontinuierli-chen Banddurchzugsofen (BDZ) mit einer

Homogenisierungsöfen Platten-Horizontalvergüteofen Banddurchzugsofen

Abb. 3: Prozessschritte der klassischen T4-

bzw. T6-Wärmebehandlung,Abb. 2a: Gefüge 7075 vor der Homogenisierung Abb. 2b: Gefüge 7075 nach der Homogenisierung

Warmauslagerungsofen

Lösungsglühen

AbschreckenTem

pera

tur

Zeit

Warmauslagerung

T4 T6

14 AluReport 01.2014

Dehngre

nze

Rp0

,2 [M

Pa]

Zugfe

stig

keit

Rm

[M

Pa]

0

50

100

150

200

250

300

Rp0,2

Rp0,2

(T4/T4*)

Rm

Rm

(T4/T4*) (2% + 185C/20min) (2% + 185C/20min)

AA6016-T4/T6 AA6016-T4*/T6* mit zusätzlicher Wärmebehandlung

AluReport 01.2014 15

Warmwalzen

Kaltwalzen

Lösungsglühen

Tem

pera

tur

Zeit

Warmwalzen

Kaltwalzen

Lösungsglühen

Zwischenglühen

Tem

pera

tur

Zeit

Haltezeit von einigen Minuten lösungsge-glüht und anschließend mit kaltem Was-ser auf Raumtemperatur abgeschreckt. Das Material im Zustand „B“ wurde zu-sätzlich bei einer Temperatur zwischen 300 und 400 °C für 2-5 Stunden in einem Bundofen im ganzen Coil geglüht. Nach dieser Zwischenglühung wurde das Mate-rial identisch zu Zustand „A“ Material im Banddurchzugsofen lösungsgeglüht. Eine dreidimensionale Darstellung der unter-schiedlichen Korngrößen und Kornform

von Material in den Zuständen „A“ und „B“ ist in Abbildung 5 gezeigt. Das Materi-al im Zustand „A“ hat ein feinkörniges und globulitisches Gefüge, während es im Zu-stand „B“ eine grobe und in Walzrichtung gestreckte Kornstruktur aufweist.

Bei den gemessenen Bruchzähigkeitswer-ten zeigt das grobkörnige „B“ Material eine geringere Risswachstumsgeschwindigkeit. Der Grund für das bessere Verhalten von Material B liegt in der länglichen und grö-beren Kornstruktur. Der Riss sucht den Weg des geringsten Widerstands, der im Allgemeinen entlang der Korngrenzen zu finden ist. Bei einem feinkörnigen Gefüge kann der Riss daher in einer relativ gera-den Linie wachsen. Bei einem gestreckten, groben Korn wird er abgelenkt und muss einen deutlich längeren Weg zurücklegen, womit auch die Rissfortschrittgeschwin-digkeit deutlich reduziert wird [6]. Durch Modifikationen der Kornstruktur mittels Wärmebehandlung können also Bruch-zähigkeit und Risswachstum optimiert werden. Gleichzeitig kommt es zu einer deutlichen Verbesserung der allgemeinen Korrosionsbeständigkeit. Dies ist allein über eine geänderte Temperaturführung während des Prozesses möglich.

Bei der Fertigung von Automobilblechen aus 6xxx-Legierungen liegt eine beson-ders komplexe Abfolge von Wärmebe-handlungen vor.

Eine auf das Lösungsglühen folgende Kalt-auslagerung führt zur Bildung von feinst verteilten, Fremdatom-Clustern und so-genannten GP-Zonen im Zustand T4. Die GP-Zonen dienen als Keime für die sich bei der Warmauslagerung ausbildende fes-tigkeitssteigernde β‘‘-Phase („Beta-zwei-Strich-Phase“). Bei einer Warmauslage-rung lösen sich die kleinen GP-Zonen aber teilweise wieder auf und stehen dann nicht mehr als Keime zur Verfügung. Es hat sich gezeigt, dass durch Anwendung einer zu-sätzlichen Wärmebehandlung kurz nach dem Abschrecken aus der Lösungsglüh-hitze die Größe und thermische Stabilität der GP-Zonen deutlich verbessert werden kann (Abbildung 6). Dieser Zustand T4* beschreibt schnellaushärtende Varianten von 6xxx-Legierungen, die nach einer weiteren Wärmebehandlung (in der Regel beim Kunden) im T6*-Zustand vorliegen.

Durch die erhöhte Konzentration an Keimbildnern kommt es zu einem schnel-leren Ansprechen auf die Wärmebehand-lung und man kann diese beispielsweise in den Tauchlackierungprozess, wie er im Automobilbereich gängig ist, integrieren und so eine separate Warmauslagerung einsparen. Da im Fall der Lacktrocknung relativ kurze Zeiten und niedrige Tem-peraturen angewandt werden, muss das Material sehr rasch auf seine Endfestigkeit aushärten. Diese Eigenschaft wird Paint Bake Response genannt.

Mit entsprechend abgestimmtem Material im T4*-Zustand und geeigneter Weiter-verarbeitung können auch deutlich höhere Endfestigkeiten erreicht werden (Abbil-dung 7).

Sofern ein Automobilblech einer Band-passivierung der Oberfläche unterzogen wird, ist auch noch der Temperatur-/Zeit-Verlauf des Trocknungsprozesses nach der T4*-Wärmebehandlung zu be-rücksichtigen.

Die hochfeste 7xxx-Legierung AMAG Top-Form UHS, die beispielsweise in Automo-bilstrukturbauteilen zum Einsatz kommen kann, wird im T6-Zustand ausgeliefert und beim Kunden bei Temperaturen im Be-reich von 200 °C „halbwarm“ umgeformt. Während dieses thermomechanischen Pro-zesses ist das hochfeste Material sehr gut umformbar und wird gleichzeitig gezielt überaltert (Abbildung 8). Das Bauteil weist im nun vorliegenden T7-Zustand neben hoher Festigkeiten auch sehr gute Deh-nungs- und Korrosionseigenschaften auf.

Zusammenfassung:

Die gezeigten Beispiele sind nur ein

Bruchteil der bei der AMAG angewand-

ten Wärmebehandlungen. Jeder Werk-

stoff und jede vom Kunden geforderte

Eigenschaftskombination benötigen

eine legierungsgerechte Wärmebehand-

lung. Bei der Fülle an Produkten aus

dem Hause AMAG (von Luftfahrt über

Automobil bis zum Sportbereich und

dem allgemeinen Maschinenbau, Ble-

chen und Platten aus unterschiedlichen

Legierungen mit unterschiedlichen Ei-

genschaftsniveaus) ist es daher nicht

verwunderlich, dass AMAG das größte

Potential zur Weiterentwicklung des

Werkstoffes Aluminium für noch effizi-

enteren Einsatz und zusätzliche Anwen-

dungen in der Optimierung der Wärme-

behandlung sieht.

AMAG als kompetenter Entwick-

lungspartner für optimierte Wärme-

behandlungen

Wichtig ist das Verständnis, dass je-

der thermische, thermomechanische

und/oder thermochemische Prozess-

schritt entlang der Herstellroute das

Gefüge und somit die Eigenschaften

maßgeblich beeinflusst. Das Thema

Wärmebehandlung ist somit außeror-

dentlich komplex. Die AMAG besitzt

den Vorteil, dass am Standort Rans-

hofen alle Legierungsfamilien im

Knetlegierungsbereich (1xxx – 8xxx)

und zusätzlich Recycling-Gusslegie-

rungen hergestellt und verarbeitet

werden und sich somit das Know-

how und der Anlagenpark auf alle Le-

gierungssysteme erstrecken. Bei der

Optimierung von Wärmebehandlun-

gen entlang der Prozesskette kann

sich die AMAG auf geschultes Perso-

nal und auf eine eigene, umfangrei-

che Technikumsausstattung verlas-

sen (Laboröfen für Homogenisieren,

Lösungsglühen und Warmauslagern,

Versuchsgießerei und Versuchswalz-

werk etc.).

Ergänzend kann auf ein breites Spek-

trum an Simulationswerkzeugen zu-

gegriffen werden: Thermodynamische

(z. B. Pandat, Thermocalc, FactSage)

und kinetische Berechnungen (Mat-

Calc) sowie Verfahrenssimulationen

(Warm- und Kaltwalzen) inklusive

fluiddynamischer Prozesse (Nougat,

Ansys etc.) können hausintern durch-

geführt werden. Die Evaluierung der

Umformbarkeit von Blechen mit

deren spezifischen Kennwerten am

Bauteil ist in der AMAG vorhanden,

sowohl in der Simulation als auch

im praxisnahen Versuch. An einer

Weiterentwicklung von Werkstoffen,

Prozessen und Simulationstools wird

gemeinsam mit Forschungspartnern

und Kunden kontinuierlich gearbeitet.

LITERATURVERZEICHNIS

[1] H. Kugler, „Umformtechnik, Umformen metallischer Kon-

struktionswerkstoffe“, Fachbuchverlag Leipzig im Carl Hanser

Verlag, München, 2009, ISBN 978-3-446-40672-8

[2] C. Kammer, „Aluminium Taschenbuch 1, Grundlagen und

Werkstoffe“, 16. überarbeitete Auflage, Aluminium Verlag Mar-

keting & Kommunikation GmbH, Düsseldorf, 2009, ISBN 978-

3-87017-292-3

[3] H.J. Bargel, G. Schulze (Hrsg.), „Werkstoffkunde“, 8. über-

arbeitete Auflage, Springer Verlag, Berlin, 2004, ISBN 3-540-

40114-8

[4] D. Altenpohl, „Aluminium von Innen“, 5. Auflage, Alumi-

nium Verlag Marketing & Kommunikation GmbH, Düsseldorf,

2005, ISBN 3-87017-235-5

[5] E. Hornbogen, H. Warlimont, „Metallkunde, Aufbau und

Eigenschaften von Metallen und Legierungen“, 2. überar-

beitete Auflage, Springer Verlag, Berlin, 1991, ISBN 3-540-

52890-3

[6] J. Berneder, R. Rachlitz, C. Melzer, H. Antrekowitsch, P.

J. Uggowitzer, „Influence of the grain size on the IGC, crack

propagation and fracture toughness behaviour of AA2024-T3

sheet material“, TMS 2010, 139th Annual Meeting & Exhibiti-

on, 14. – 18. Februar 2010

Abb. 8: Prozessschritte der thermo-

mechanischen Bearbeitung in Form

eines Temperatur-/Zeit-Verlaufes:

Überaltern des Materials mittels

einer der T6-Wärmebehandlung

nachgeschalteten Umformoperation

bei erhöhter Temperatur für verbes-

sertes Umformverhalten (T7).

Abb. 5: (a) Dreidimensionale Darstellung der Korn-

struktur von Zustand „A” (feinkörnig, globulitisch);

(b) Zustand „B“ (grobkörnig, in Walzrichtung gestreckt).

Abb. 6: Prozessschritte der thermomechanischen Bearbeitung inklusive der kurzzeitigen Wärmebehandlung nach dem Abschrecken (bezeichnet mit T4*) sowie nach Warmauslagerung T6* in Form eines Temperatur-Zeit-Verlaufes.

a)

a) b)

b)

Abb. 4: (a) Schematische Darstellung des Walz- und Wärmebehandlungszyklus für (a) Zustand „A” bzw. (b) Zustand „B“

Lösungsglühen

Tem

pera

tur

Zeit

Warmauslagerung

Halbwarm-Umformen

T7

T4*

Warmwalzen

Kaltwalzen

Lösungsglühen

Abschrecken

Warmauslagerung oder

Lackierprozess

Tem

pera

tur

Zeit

T6*

Abb. 7: Festigkeitssteigerung durch die zusätzliche Wärmebehandlung auf T6*.

Thermomechanische T7-Wärmebehandlung