vormoderne Öffentlichkeiten: versuch einer begriffs- und strukturgeschichte

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Vormoderne Öffentlichkeiten: Versuch einer Begriffs- und Strukturgeschichte Author(s): Esther-Beate Körber Source: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte, Vol. 10 (2008), pp. 3-25 Published by: Franz Steiner Verlag Stable URL: http://www.jstor.org/stable/20852585 . Accessed: 10/09/2013 16:21 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte. http://www.jstor.org This content downloaded from 138.251.14.57 on Tue, 10 Sep 2013 16:21:43 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Vormoderne Öffentlichkeiten: Versuch einer Begriffs- und StrukturgeschichteAuthor(s): Esther-Beate KörberSource: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte, Vol. 10 (2008), pp. 3-25Published by: Franz Steiner VerlagStable URL: http://www.jstor.org/stable/20852585 .

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Aufsatze Esther-Beate Korber

Vormoderne Offentlichkeiten Versuch einer Begriffs- und Strukturgeschichte

1 Herausbildung und Wandlungen des Offentlichkeitsbegriffs vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Wer sich mit der Offentlichkeit vergangener Zeiten beschaftigt, stoBt unweigerlich auf die Tatsache, dass sich der ?moderne? Begriff von Offentlichkeit erst im 18. Jahrhundert herausgebildet hat. Die Geschichte des Begriffs ?Offentlichkeit? ist

kurz, aber bewegt, weil das Wort von der Aufklarung bis heute sehr verschiedene und noch dazu sich verandernde Strukturen bezeichnet hat. Diese Begriffsge schichte muss mitbedacht werden, wenn man klaren will, was ?Offentlichkeit? vor

der Aufklarung bedeutet haben kann. Weil zudem fur alle ?Offentlichkeits? Strukturen derselbe Begriff gebraucht wurde, ist im heutigen Begriffsfeld ?6ffent lichkeit? keine der historischen Bedeutungen ganz verschwunden, wenn auch

meist in den Hintergrund geriickt. Dieser Aufsatz setzt deshalb mit einem kurzen Abriss einer kombinierten Begriffs-, Struktur- und Forschungsgeschichte ein, durch den deutlich werden soli, wonach gefragt wird, wenn man vor-aufklareri sche Offentlichkeitsstrukturen zu beschreiben versucht. Erst danach kann und soli

dargestellt werden, wie man Offentlichkeitsstrukturen in den Zeiten vor der Auf

klarung und die Veranderungen dieser Strukturen verstehen und beschreiben kann. Wenn im Folgenden diese vor-aufklarerischen Strukturen zusammenfassend als ?vormodern? bezeichnet werden, so soli dies keine teleologische Entwicklung von

Offentlichkeitsstrukturen unterstellen, sondern darauf hinweisen, dass diese vor

aufklarerischen Strukturen durchgehende Gemeinsamkeiten aufweisen, durch die sie sich zum Teil schon von denen des 18./19. Jahrhunderts unterscheiden, vor allem aber von den heute gewohnten und selbstverstandlichen.

Bei seinem ersten Auftreten im Deutschen im 18. Jahrhundert1 bezeichnete das Wort ?Offentlichkeit? eine europaweit gedachte Diskussionsgemeinschaft, in der die Kriterien vernunftgemaBen Denkens und Handelns zum Thema gemacht wur

den.2 Die Themen der Diskussion reichten von Fragen des ?Geschmacks? bis zu denen politischer Denk- und Handlungsmaflstabe. Doch als Diskussionskreise erstrebten die einzelnen, allenfalls lose zusammenhangenden Gruppen nur mittel

bar politische Wirkungen, namlich iiber die Verbreitung und Durchsetzung der

VernunftmaBstabe, die fur allgemein einsichtig und verbindlich gehalten wurden.3 Tatsachliche Wirkungsmoglichkeiten hingen von der Stellung einzelner im Gefuge

politischer Institutionen ab.

Prof. Dr. Esther-Beate Korber, Historikerin, Lehr- und Forschungsschwerpunkt Frtihe

Neuzeit, ist z.Z. tatig im Forschungsprojekt ?Zeitungsextrakte des 17. und 18. Jahrhunderts? der Deutschen Presseforschung Bremen

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4 Esther-Beate Korber

Mit und nach der Franzosischen Revolution anderten sich Begriff und Struktur von ?Offentlichkeit? in ganz Europa

- mit zum Teil erheblicher Zeitverschiebung von West nach Ost. Die schmale Schicht adliger und burgerlicher Manner, die den

notigen Mindeststeuersatz (Zensus) aufbrachten, erhielt Wahlrecht und in den entstehenden Parlamenten zum Teil direkte politische Mitwirkungsmoglichkeiten. Der Offentlichkeitsbegriff verengte sich auf das Politische, das den Hauptinhalt der parlamentarischen Debatten ausmachte. ?Die Offentlichkeit? bezeichnete das

politische Leben uberhaupt, aber auch die mit ihm befassten Personenkreise. Zu

ihnen gehorten neben den Politikern und ihren parlamentarischen Unterstiitzern auch die ?blo6en? Wahler, die das Geschehen beobachteten und gegebenenfalls kritisch kommentierten. ?Die Offentlichkeit? schied sich also in aktiv gestaltende Politiker und eher beobachtende Wahler. Zwischen beiden wirkten die Journalisten als zunehmend professionelle Vermittler von Politik, wenn und sofern informelle

Gesprachskreise fiir diese Vermittlungsaufgabe nicht ausreichten. Wo die Zensur die Vermittlung verhinderte oder das Wahlerpublikum nicht finanzkraftig genug war, eine Zeitung als wirtschaftliches Unternehmen zu erhalten, politisierte sich oft die Literatur, besonders die Lyrik, so dass auch die Dichter eine Funktion im of

fentlichen, d. h. politischen Leben erhielten - ein Phanomen, das auch in spateren

Epochen politischer Unterdruckung wiederkehren sollte. Politiker, Wahler, Jour nalisten und Dichter gehorten in der Regel einer einheitlichen Schicht schriftgebil deter Intellektueller an, bildeten jedoch im 19. Jahrhundert kaum mehr europa weite Diskussionsgemeinschaften. Die Diskussionskreise trennten sich einerseits

entlang ?nationaler? und sprachlicher Grenzen, andererseits nach Parteien mit den ihnen zugrunde liegenden Uberzeugungen oder ?Gesinnungen?, denen sich Politi

ker, Wahler und Journalisten verpflichtet fuhlten,4 wahrend die ?Partei?-Bindung bei den Dichtern oft abstrakt blieb. Die ?Gesinnung? bezeichnete den MaBstab, nach dem - in konkurrierender Art -

politische Handlungen bewertet werden konnten und sollten. Weil Frauen aus dem politischen Leben entweder ausge schlossen oder verdrangt wurden, war.?Offentlichkeit? im 19. Jahrhundert auch zunehmend mannlich konnotiert.5 ?Offentlichkeit? wurde im fruhen 19. Jahrhun dert also verstanden als der Kreis der politisch mitwirkungs- oder wahlberechtigten Manner, was implizierte, dass sie schriftgebildet und meist wohlhabend waren. Als ?6ffentliche Meinung? gait meist implizit die Gesamtheit der schriftlich formu lierten politischen Urteile.

In der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts kam es - im allgemeinen von West nach Ost in Europa fortschreitend - zu weiteren Veranderungen in Begriff und Struktur von Offentlichkeit. In den meisten Staaten Europas war bis um 1900 das

allgemeine Mannerwahlrecht erreicht. Frauen erwarben trotz des Einsatzes einiger Gruppen6 nicht das Wahlrecht und gehorten damit nicht zur politischen Offentlich keit. Dieser Rechtsunterschied wurde zugleich begnindet und verschleiert durch die Behauptung, Manner hatten sich gleichsam von Natur aus im offentlichen Leben zu bewahren, Frauen dagegen im privaten.7 (Diese Trennung war allerdings nur in einer schmalen Schicht burgerlicher Beamter tatsachlich verwirklicht.8)

Nach der Einfuhrung des allgemeinen Mannerwahlrechts umfasste der Kreis der

Wahlberechtigten nicht mehr nur die schriftgebildeten Burger, sondern dariiber

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Vormoderne Offentlichkeiten 5

hinaus sehr viele, die nicht zur traditionellen ?Lesewelt? gehorten. Diese Manner, oft abwertend ?die Masse? genannt, konnten durch Druckmedien nicht unbedingt erreicht werden, was zu einer neuen Blute miindlicher politischer Rhetorik fuhrte. Nach Meinung der ?gebildeten? Leser war die ?Masse? jedoch auch verfiihrbar, konnte von vemunftgemaBem Denken abgebracht oder musste dafur erst gewon nen werden. ?Die Offentlichkeit? erschien um 1900 nicht nur polarisiert nach

Gesinnungsgruppen und nach Geschlecht, sondern auch geteilt in ?Gebildete? und

?Masse?, deren Verftihrbarkeit als Problem gesehen wurde. Nach der Ausdehnung des Wahlrechts auch auf die Frauen, in der Regel zu

Beginn des 20. Jahrhunderts, war das Wahlvolk, die politische ?Offentlichkeit?,

endgiiltig identisch mit der Gesamtbevolkerung der Erwachsenen. ?Offentliche

Meinung? konnte nun nicht mehr als ausschlieBlich schriftliche aufgefasst werden und ebenso wenig als identisch mit dem in Schriftform Veroffentlichten. Vielmehr

gait als ?6ffentliche Meinung? das, was das Wahlvolk dachte oder etwa in seiner

Kleidung (?Rot ist der Schlips vom Sozialdemokrat?), mit Abzeichen oder Liedern zum Ausdruck brachte. Weil aber der groBte Teil des Wahlvolks nach Ansicht vieler zur ?Masse? gehorte und zu vernunftigem Urteil nicht fahig war, bestand auch die ?6ffentliche Meinung? nach dem damaligen Verstandnis nicht unbedingt aus klaren rationalen Urteilen, sondern viel eher aus unartikulierten vagen Vorstel

lungen.9 Aufgabe der politisch Urteilsfahigen war es dann, diese vagen Vorstellun

gen klar zu artikulieren, aber auch, sie gezielt zu beeinflussen und in die ?richti

ge?, annehmbare Richtung zu lenken. Das Wort ?Offentlichkeit? bekam die

Bedeutung eines einheitlichen, aber ungeformten Stoffgemenges, das ?bearbeitet? werden konnte und musste. Diese Aufgabe sahen Regierungen jeder Couleur im mer starker als eine ihrer Pflichten an und verwandten dafiir alle verfugbaren Mit tel und Medien.

In den Diktaturen des 20. Jahrhunderts, unabhangig von ihrer politischen Ausrichtung, erreichte die Technik der Massenbeeinflussung bisher unbekannte Reichweiten und Intensitaten. Dadurch veranderte sich abermals der Begriff von

?Offentlichkeit?, auch wenn das nicht ausdrucklich artikuliert wurde. Wenn natio nalsozialistische Redner oder Schreiber vom ?Volk? oder sozialistische von ?den Massen? sprachen, meinten sie nicht das Wahlvolk der mtindigen Erwachsenen, deren Wahlentscheidung ja bedeutungslos gemacht (und auBer im Plebiszit nicht mehr gebraucht) wurde, sondern schlossen Kinder und Jugendliche ein. Das so verstandene ?Volk? oder die ?Masse? wurde als einheitlicher, bildbarer Stoff

angesehen, der von den Regierenden im Sinne der Staats-Ideologie gepragt werden sollte. Fur diese Pragungs-Bemuhungen setzten die diktatorischen Regime nicht nur alle bisher bekannten Medien der Meinungsbeeinflussung ein (mit besonderem Eifer Film und Rundfunk, die geeignet sind, die uberwaltigende Illusion sinnlicher Unmittelbarkeit zu erzeugen), sondern versahen auch Gegenstande des Alltags mit

ideologischen Botschaften, etwa Gebaude, die Parteiparolen trugen; Maschinen,

Markenprodukte, Briefmarken und Sammelbildchen. Ohne es ausdrucklich zu

sagen, verstanden die diktatorischen Regime ?Offentlichkeit? nicht mehr nur als einen Personenkreis, in dem bestimmte Themen diskutiert wurden, sondern als einen ?Raum?, in dem Menschen und Dinge von der staatlich verordneten Ideolo

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6 Esther-Beate Korber

gie gepragt sein sollten, und dieser ?Raum? reichte tendenziell in die bisher vor

staatlichem Einfluss weitgehend geschutzte ?Privatsphare? des Haushalts wie der Wirtschaft hinein. Diese Omniprasenz der Ideologic wurde durch die Bezeichnung der Regierenden als ?Partei? verschleiert. Wer oder was sich der Ideologic nicht

einfugen wollte oder konnte, wurde aus dem offentlichen Raum verdrangt, un

sichtbar gemacht bis zur moglichen physischen Vernichtung. Oppositionsgruppen konnten nur noch aus dem Untergrund (mit meist primitiven technischen Mitteln) oder aus dem Exil ihre Meinungen kundtun. Wenn man diese Gruppen heute als

?Gegen-Offentlichkeit? bezeichnet, weckt das unter Umstanden falsche Vorstel

lungen, weil diese Gruppen aus der diktatorischen Offentlichkeit ja gerade ver

drangt wurden und keine legalen Artikulationsmoglichkeiten besaBen. Die Mog lichkeiten ?des Exils? waren manchmal groBer, hingen aber stark von der Stellung der Gruppen im Exilland ab.

Nach dem Ende der Diktaturen in Europa um 1990 wurde vielfach erwartet, nun

wurde eine nach Begriff und Struktur ?moderne? ?burgerliche? Offentlichkeit

sozusagen aus den Trummern der Diktaturen wieder auftauchen. Der Terminus

?Zivilgesellschaft? artikulierte diese Erwartung. Auch wandten sich die Politiker

gleich welcher Partei, wenn sie von ?Offentlichkeit? sprachen, selbstverstandlich noch oder wieder an das Wahlvolk der mundigen Erwachsenen, wodurch sugge riert wurde, es gabe iiber die Zeit der Diktaturen hinweg auch eine Kontinuitat des Offentlichkeitsverstandnisses und der Struktur von Offentlichkeit. Dabei wurde und wird aber eine erneute Wandlung des Offentlichkeitsbegriffs ubersehen oder bewusst verschwiegen, namlich die Uberlagerung des ?modernen? Offentlich

keitsbegriffs der burgerlichen Gesellschaft durch die Diktaturen und, spatestens nach ihrem Ende, durch die elektronisch gesicherte Omniprasenz der Werbewirt schaft und ihrer ?Offentlichkeitsarbeit?. Nach dem ?modernen? Verstandnis, wie es sich im Gefolge von Aufklarung und

Revolution(en) herausgebildet hatte, bezeichnete das Wort ?Offentlichkeit? die

Sphare der politischen MeinungsauBerung sowie die Personen, die sich in ihr be

wegten oder sich an politischen Meinungsbildungsprozessen aktiv oder eher re

zeptiv beteiligten. Der Begriff hatte sich, gegeniiber seiner Bedeutung in der Auf

klarungsepoche, thematisch auf das Politische verengt, dagegen sozial erweitert bis zur Gesamtheit der mundigen Erwachsenen, dem groBtmoglichen Kreis, dem poli tische Mitwirkungsmoglichkeiten zuzugestehen fur sinnvoll erachtet wird. Wenn dieser Begriff von ?Offentlichkeit? als der ?moderne? gilt, muss schon seine im

plizite Bedeutungserweiterung in der Zeit der Diktaturen als ?post-modern? be zeichnet werden: die Einbeziehung der Unmundigen in die zu beeinflussende ?Of fentlichkeit? und das Verstandnis von Offentlichkeit als eines einheitlich durchzu

gestaltenden ?Raumes?. Auch die Offentlichkeitsarbeit der Werbewirtschaft richtet sich an die gesamte

Gesellschaft einschlieBlich ihrer unmundigen Glieder, die denkbar groBte ?Allge meinheit?. In der Perspektive der Werbewirtschaft ist ?die Offentlichkeit? auch nicht wie im burgerlichen Verstandnis ein Personenkreis, der bestimmte Themen

diskutiert, oder die abgrenzbare Sphare einer derartigen Diskussion, sondern ein Raum von Menschen und Dingen, der von der Offentlichkeitsarbeit zwar nicht

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Vormoderne Offentlichkeiten 7

einheitlich, aber moglichst auffallend gepragt werden soli, allerdings nicht poli tisch, sondern wirtschaftlich, mit Werbebotschaften. Die Werbewirtschaft nimmt,

wie man sagen konnte, das implizite Offentlichkeitsverstandnis der Diktaturen auf, aber mit wirtschaftlichem, nicht politischem Akzent. Zur Inszenierung von Werbe botschaften werden nicht nur traditionelle und neue Medien eingesetzt, sondern auch Produkte, die zusatzlich zu ihrer Warenfunktion eine Werbebotschaft tragen (T-Shirts, Kaffeebecher, Spielzeug) oder deren Warenfunktion hinter der der Wer

bung fast verschwindet (?Merchandising?-Artikel). Die Entpolitisierung des Of

fentlichkeitsbegriffs, die Verschiebung seiner Bedeutung vom Politischen zum

Wirtschaftlichen, konnte im Verhaltnis zum ?modernen? biirgerlichen Offentlich keitsverstandnis ebenfalls als ?post-modern? bezeichnet werden.

Dieses gleichsam entpolitisierte Verstandnis von Offentlichkeit als eines ein heitlichen Raumes fur Werbebotschaften liegt den meisten heutigen Debatten iiber ?Offentlichkeit? zugrunde und pragt unsere Vorstellungen so weitgehend, dass andere Konzepte kaum mehr denkbar erscheinen. Daher reicht der ?6ffentliche Raum? im heutigen Verstandnis weiter, als wahrscheinlich jede Diktatur ihn sich denken konnte: Er ist unabgrenzbar (es lasst sich kein Raum angeben, der prinzi piell von keiner Werbebotschaft erreicht werden konnte oder durfte); und er ist tendenziell weltumspannend, da Werbebotschaften iiber Sprach-, Nations- und

Kulturgrenzen hinaus wirken konnen und sollen. Eine Grenze zwischen ?6ffentli chem? und ?privatem? Bereich, in den ?6ffentliche? Botschaften nicht vordringen sollen oder konnen, lasst sich unter den Bedingungen der von Werbung bestimm ten Offentlichkeit nicht klar ziehen. Die Schrift als Kommunikationsmittel ist in dieser Offentlichkeit nicht

bedeutungslos geworden,10 hat aber ihre Funktion geandert, da Diskussion und Kontroverse als Formen ?6ffentlicher? Information und MeinungsauBerung in einer von Werbung bestimmten Offentlichkeit allenfalls als Teil einer Inszenierung noch erwunscht und sinnvoll sind. Die meisten ?6ffentlichen? Botschaften heute sind ihrer Struktur nach nicht diskursiv, sondern affirmativ und zielen nicht auf kritische Distanz beim Rezipienten, sondern im Gegenteil darauf, dass er sich durch die Presentation sinnlicher Authentizit&t (auch wenn sie nur virtuell ist) beeindrucken und zum Handeln, vorzugsweise zum Kaufen, motivieren lasst. Die audiovisuellen Medien sind fur diese Aufgaben besonders geeignet, aber die Druckmedien mussen sich denselben Anforderungen beugen, um sich wirtschaft lich zu behaupten. In der von Werbung gepragten Offentlichkeit konnen weder eine fur allgemeinverbindlich gehaltene ?Vernunft? noch eine gruppenverbindli che ?Gesinnung? eine Entscheidung lenken oder auch nur erleichtern. Die Kon

sumentscheidung, auf die es in der werbebestimmten Offentlichkeit ankommt, wird vielmehr von individueller ?Rationalitat? bestimmt. Im Gegensatz zur fur

allgemeinverbindlich gehaltenen ?Raison? der Aufklarungsepoche bezeichnet ?Rationalitat? das, was der Einzelne zu einem bestimmten Zeitpunkt individuell fur notwendig, mitzlich, wunschenswert oder sinnvoll halt. Die vollige Individuali

sierung der Konsumentscheidungen wird dadurch verschleiert, dass iiber Marken

bindung auch Gruppenbildungen moglich sind oder einer bestimmten Ware ein ?Kult?-Status zugeschrieben werden kann.

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8 Esther-Beate Korber

2 Die Entdeckung vormoderner Offentlichkeiten in der Forschung des 20./21. Jahrhunderts

Vermutlich veranlasst durch die geschilderten Veranderungsprozesse in Begriff und Struktur der Offentlichkeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, machte

Jiirgen Habermas in seiner bekannten Habilitationsschrift >Strukturwandel der Offentlichkeit< (1962)11 die burgerliche Offentlichkeit zum Thema. Er verwandte den Begriff ?Offentlichkeit? deskriptiv, aber mit einer normativen Komponente, denn die Wandlungen der Offentlichkeitsstruktur seit dem spaten 19. Jahrhundert beschrieb er als einen Prozess des ?Zerfalls biirgerlicher Offentlichkeit?.12 Die Kritik an seinen Thesen13 braucht hier nicht rekapituliert zu werden. Sein Ver dienst fur die Geschichte des Offentlichkeitsbegriffs liegt darin, dass Habermas als einer der ersten den Blick auf ?vormoderne?, vor-aufklarerische Offentlichkeiten

gelenkt hat. Die burgerliche Offentlichkeit, die Habermas in der Aufklarung ent stehen sah, hatte sich opponierend aus einer Vorgangerstruktur entwickelt, die er die ?reprasentative Offentlichkeit?14 nannte und als den Raum beschrieb, in dem Herrschaft ?vor dem Volk? reprasentiert wurde, sich also in bildlicher, zeichen hafter oder symbolischer Form darstellte. Diese Beschreibung hatte auch gut auf die totalitaren Strategien sinnlicher Uberwaltigung gepasst, die das 20. Jahrhundert in Europa gepragt hatten. Gegen die Struktur der reprasentativen Offentlichkeit setzte Habermas die burgerlich-aufklarerische und sagte damit zugleich, dass der kritische Diskurs eine wirksame Gegenmacht gegen eine Offentlichkeit darstellen

konne, die auf sinnliche Uberwaltigung zielte - noch und gerade in seiner Gegen wart. Otto Brunner hatte in einer (avant la lettre) begriffsgeschichtlichen Arbeit

aufgedeckt, dass auch das Mittelalter einen (sich allmahlich in seiner Ausdehnung wandelnden) Offentlichkeitsbegriff gekannt hatte und dass diese mittelalterliche ?Offentlichkeit? alle Personen mit Herrschaftsbefugnissen umfasst hatte.15 Bei Brunner wie bei Habermas kommt zum Ausdruck, dass Offentlichkeit in vor-auf klarerischen Zeiten nicht wie in der Aufklarung als der Herrschaft gegeniiberste hend gedacht wurde, sondern als eine Eigenschaft oder Funktion herrschender Personen. Insbesondere Brunner arbeitete die Stufung mittelalterlicher Herrschaft und Offentlichkeit heraus. Und wiederum beide Forscher zeigen, dass vormoderne Offentlichkeit wenigstens zu einem Teil auf sinnlicher oder symbolischer Repre sentation beruhte statt auf unmittelbarer oder ?medialer? Mitteilung.

In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts geriet die ?Masse? als

politischer Akteur vormoderner Zeiten in den Blick des wissenschaftlichen und

politischen Interesses. Im Westen sollte mit dem Blick auf vormoderne ?Massen? Aktivitaten das Aufbegehren gegen eine scheinbar etablierte ?biirgerliche? Of fentlichkeit legitimiert werden - die Regenbogenfahne Thomas Miintzers wurde seit dem Bauernkriegs-Gedenkjahr 1975 popular und spater von einigen ?alterna tiven? Gruppen ubernommen -, die DDR suchte nach einer ausdriicklich nicht

biirgerlichen Tradition. Auch wenn beide Versuche sich wissenschaftlich nicht

legitimieren lieBen, so erwiesen die wissenschaftlichen Untersuchungen doch, dass Bauern und Handwerker selbstverstandlich zur vormodernen Offentlichkeit ge

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Vormoderne Offentlichkeiten 9

horten und in die Ordnung der Herrschaft und Macht, wenn auch mit begrenzten Rechten, einbezogen waren.16

Die wissenschaftlichen Bemiihungen der Medien- und Kommunikationsge schichte im gesamten 20. Jh. haben unter anderem wieder ins Bewusstsein geho ben, welche Bedeutung der Buchdruck mit beweglichen Lettern fur die Neuzeit seit dem 15. Jahrhundert hatte und welche Vielfalt an Medien unseren Vorfahren zur Verfugung stand: gedruckte Medien vom Buch uber Flugschrift und Flugblatt bis zu den (spater entstandenen) Zeitungen und Zeitschriften, ferner formalisierte miindliche Mitteilungsformen wie der Bankelsang (seit dem 17. Jahrhundert),17 Bildmedien wie das Flugblatt mit Holzschnitt oder Kupferstich ,18 aber auch propa gandistisch eingesetzte Gemalde, Munzen, Medaillen oder Aufziige. Wie weit die einzelnen Elemente dieser Medienlandschaft miteinander zusammenhingen, ist noch kaum erforscht. Eine weitere wichtige Entdeckung in Bezug auf das Offent lichkeitsverstandnis war die, dass es auch in vormoderner Zeit schon eine Art herrschaftskritischen Diskurs' gab, wie ihn Habermas erst in der Aufklarung ge funden hatte. Auseinandersetzungen in Flugschriften seit Humanismus und Refor

mation werden von der (medien-)geschichtlichen Forschung nicht mehr nur als kultur- und religionsgeschichtlich bedeutsame Ereignisse registriert, sondern auch als politische Debatten ernst genommen. Aus Forschungen dieser Art zog Heinrich Bosse den Schluss, Habermas habe zwar die kritische Funktion aufklarerischer Zirkel zutreffend beschrieben, doch habe gerade Herrschaftskritik in einer ?Of fentlichkeit? schon mindestens 150 Jahre friiher existiert, wenn auch nicht so, wie Habermas das behauptet hatte, als Zusammenschluss von Privatleuten.19

Was die Beziehungen zwischen Medienlandschaft und Offentlichkeit angeht, waren viele Forscher zunachst davon ausgegangen, dass der Buchdruck mit be

weglichen Lettern ?Massenkommunikation? moglich gemacht und damit zum

Entstehen einer neuen Offentlichkeit, vielleicht sogar ?der? Offentlichkeit iiber

haupt beigetragen habe. Erst in jiingster Zeit wird deutlich, dass die Annahme einer solchen Kausalkette problematisch ist. Angesichts einer nahezu verschwin dend geringen Zahl von Lesefahigen in vormoderner Zeit war Informationsver

mittlung an quantitative ?Massen? eher uber Bilder, Zeremonien und die mundli che Mitteilung moglich als uber den Druck. Miindliche Mitteilungen

- die ?ge main sag?, wie man es auf Deutsch nannte -20 spielten auch bei der politischen Meinungsbildung seit dem Spatmittelalter eine quantitativ erheblich groBere Rolle als die Information durch Schriften. Da der Buchdruck sich jedenfalls zunachst in

traditionelle, z. B. humanistische, Kommunikationsstrukturen einfugte, ist zudem

fraglich, ob er tiberhaupt neue ?Offentlichkeiten? schuf und nicht nur die traditio nellen Strukturen schriftlich und damit fur die Historiker wahrnehmbar machte.

Die Reformation, deren ?Massenwirkung durch den Buchdruck? so ins Auge zu

fallen scheint, stiitzte sich in geringerem MaBe auf den Druck, als vielfach ange nommen wird.21 Der Zusammenhang zwischen Buchdruck, ?Massenkommunika

tion? und ?Offentlichkeit? ist nicht so eng, wie bisher angenommen.

Entsprechendes wird in neuester Zeit auch an der Wirkung der modernen audiovisuellen Medien deutlich. Rundfunk und Fernsehen vermitteln zwar Infor mationen an ein disperses, im weitesten Falle uber die ganze Welt verstreutes Pub

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10 Esther-Beate Korber

likum; sie werden ?massenhaft? rezipiert. Aber sie lassen keine Massen entstehen, weil ihr Publikum sich nicht an einem einzigen Ort konzentriert. Deshalb konnen sie zwar unter Umstanden ?massenhafte? Handlungen auslosen, Themen von De

batten vorgeben oder auch durch Werbebotschaften die Konsumgewohnheiten vieler Menschen in gleicher Weise pragen. Aber die elektronischen Medien wirken

primar auf einzelne Menschen; und je mehr zwischen verschiedenen Programmen gewahlt und hin- und her gesprungen (?gezappt?) werden kann, desto starker sind die Entscheidungen uber Medienkonsum von der ?Rationalitat? individueller oder

gruppenbezogener Interessen bestimmt, also den Prinzipien der ?post-modernen? Offentlichkeit des Konsums verpflichtet. Wir kennen also in der Gegenwart ?Mas

senmedien?, die zwar ?Massen? mit ihren Botschaften erreichen und insofern

?Massenkommunikation? betreiben, deren Wirkung aber individualisiert und der ?Rationalitat? der Konsumentscheidung unterworfen ist. Die elektronischen Mas senmedien dienen zwar der post-modernen Offentlichkeit der Werbung und des

Konsums, taugen aber nur in eingeschranktem MaBe dazu, andere Formen von

Offentlichkeit zu schaffen. Deshalb ist uns in der Gegenwart die Beziehung zwi schen Medien, Massenkommunikation und Offentlichkeit fraglich geworden, und wir erkennen auch, dass sie in der Vergangenheit nicht immer eindeutig war.

Aus der Begriffs- wie der Struktur- und Forschungsgeschichte des Wortes ?Of fentlichkeit? wird deutlich, warum es so schwierig ist, den Begriff als wissen schaftliches Instrument zu benutzen. Nicht nur anderte der Begriff in moderner und vormoderner Zeit seine Bedeutung bis zur Widerspriichlichkeit; es ist auch keine seiner Bedeutungsschattierungen im heutigen Deutsch vollig verschwunden.

Mag die werbewirtschaftliche Bedeutung des Wortes ?Offentlichkeit? heute domi

nieren, so ist doch auch die politische noch spiirbar, etwa in den Fugungen ?6f fentliche Hand?, ?Offentliches Recht? oder ?6ffentliche Kassen?. Selbst das auf klarerische Konzept des allgemeinverbindlichen ?6ffentlichen? Vernunftgebrauchs schwingt noch mit in dem Anspruch der ?offentlichen Meinung? auf politische Berucksichtigung. Der Offentlichkeitsbegriff hat also viele, zum Teil einander

widersprechende Bedeutungen, die sich nicht unbedingt miteinander zur Deckung bringen lassen.

Um genau handhabbare Begriffe fur das Bedeutungsfeld ?Offentlichkeit? zu

gewinnen, habe ich vorgeschlagen, von ?Offentlichkeit? grundsatzlich im Plural zu sprechen und verschiedene ?Offentlichkeiten? begrifflich danach zu unter

scheiden, wodurch eine Person oder Sache ?6ffentlich? wird. Wird sie es durch

Beteiligung am politischen Leben, so gehort sie der politischen Offentlichkeit an -

fur vor-aufklarerische Zeiten ist es sinnvoll, von ?Offentlichkeit der Macht?22 zu

sprechen. Beruht die Offentlichkeit einer Person oder Sache auf allgemeiner Wahrnehmbarkeit wie meist in der post-modernen Offentlichkeit des Konsums, so

spreche man von ?Offentlichkeit der Informationen? 23

da die Person oder Sache dadurch offentlich wird, dass sie zur Information wird. Der Charakter etwa aufkla rerischer Diskussionen kann als ?Offentlichkeit der Bildung? bezeichnet werden.24

?Bildung? ist dabei als ein sehr umfassender Prozess der Formung von Person lichkeit und Gesellschaft nach bestimmten Idealen zu verstehen. Er kann religiose und sakulare Bestandteile in unterschiedlicher Gewichtung enthalten; entscheidend

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Vormoderne Offentlichkeiten 11

fur die ?Offentlichkeit der Bildung? ist, dass es sich um allgemein akzeptierte und

allgemein verbindliche Bildungsideale handelt.

3 Offentlichkeiten in vormoderner Zeit

a) Grundsatzliches

Nach diesem Uberblick lassen sich die besonderen Kennzeichen vormoderner

Offentlichkeit genauer bestimmen. Der Ausdruck ?vormodern? ist nicht unproble matisch, weil dabei implizit als ?modern? die Strukturen des 19. bis 21. Jahrhun derts begriffen werden. Diese werden aber einerseits seit dem 20. Jahrhundert, wie

dargelegt, von ?post-modernen? Strukturen tiberlagert; andererseits erhielten sich ?vormoderne? Strukturen und Verhaltensweisen zum Teil bis ins 20. Jahrhundert, so dass sich heute ?vormoderne?, ?moderne? und ?post-moderne? Strukturen vielfach iiberschneiden und die ?Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen? in extre mem MaBe beobachtet werden kann. Die Vormoderne lasst sich also von der Mo derne nicht eindeutig zeitlich abgrenzen, auch nicht in Bezug auf die Strukturen der Offentlichkeit. Begrifflich jedoch ist eine klare Trennung ?vormoderner? von

?modernen? Strukturen moglich, fur die nur die Begriffe noch nicht gefunden sind. Vormodern sind

1. die Macht-Offentlichkeit mit vorwiegend personaler Herrschaftsausubung, d. h. ohne ein abstraktes Verstandnis von ?Staat? oder nur mit Ansatzen oder Rudi menten eines solchen Verstandnisses;

2. die Bildungs-Offentlichkeit von vorwiegend religioser Pragung sowie 3. eine Nachrichtenlandschaft (Informationen-Offentlichkeit), in der die Infor

mation vorwiegend an ?schwere? Trager gebunden war oder ist.

b) Macht-Offentlichkeit

Begriff und Strukturen der Macht-Offentlichkeit waren in vormodernen Zeiten

stark personal bestimmt, wurden nicht abstrakt verstanden. Die vormoderne Macht-Offentlichkeit war kein ?Raum?, wie man sich das heute vorstellt, sondern das Beziehungsgeflecht der als ?6ffentlich? (publicae) zu bezeichnenden Perso nen. ?Personae publicae? wurden offentlich dadurch, dass sie Herrschaft ausiibten. ?Offentlichkeit? war in der Vormoderne nicht von ?Herrschaft? unterschieden, sondern stellte eine Eigenschaft oder Funktion offentlicher Personen dar. Herr schaft machte offentlich. Die niederste Form der Offentlichkeit in diesem Sinne

war die Herrschaft des Hausvaters iiber Ehefrau, Kinder und andere Abhangige,25 was aber nichts fiber die besonderen, unterschiedlich ausgepragten Rechte und

Befugnisse der Frauen in den Familien aussagt. Was Geschichtsschreibung und Ethnologie als ?Stamme? bezeichnen,26 konnten

Zusammenschlusse von Familienoberhauptern (gewesen) sein. Ihre gemeinsame

Abstammung wurde und wird gelegentlich geglaubt, muss aber nicht wissen

schaftlich angenommen werden. In einigen Gebieten Europas wie etwa in Monte

negro27 und Albanien blieben ?Stamme? bis ins 20. Jahrhundert die dominierende

Organisationsform von Macht28 und bestanden neben ?modernen? Strukturen oder bildeten ihre Grundlage.

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12 Esther-Beate Korber

In einigen Stammen etablierte sich seit dem europaischen Friihmittelalter eine

Konigsgewalt.29 Der Konig wurde nach Brunner als einziger mit dem Pradikat der

?6ffentlichen? Person bedacht,30 obwohl es ?Offentlichkeit? im Sinne der Herr

schaft iiber groBere Menschengruppen schon vor der Etablierung eines Konigtums in den ?Stammen? mit Sicherheit gegeben hatte.

Im Laufe des Mittelalters differenzierte sich diese Offentlichkeitsstruktur weiter.

Neben dem Konig erhielten weitere Personen das Pradikat der ?Offentlichkeit?.31 Dabei stellt es anscheinend eine europaische Besonderheit dar, dass die im Rang unter dem Konig stehenden Herrscher als mit eigenem Recht begabt galten, in das

auch der Konig nicht eingreifen durfte.32 Dadurch entstand und bestand eine

gewissermaBen nach Rangen gestufte Offentlichkeit. In Russland bis zum 15.

Jahrhundert, im ubrigen Europa bis weit in die Neuzeit gait der Grundsatz, dass die

niedere Gewalt der hoheren Grenzen setzt, nicht umgekehrt. Nur im Herrschafts

system des Osmanischen Reiches galten auch die groBen Lehnstrager nicht als

Gewalthaber aus eigenem Recht, der Sultan blieb die einzige ?6ffentliche Person?.

In der Frtihen Neuzeit von etwa 1500 bis 1800 veranderte sich die Macht-Of

fentlichkeit in groBen Teilen Europas in spezifischer Weise, und zwar durch funf

kennzeichnende Prozesse: 1. Versachlichung. Durch den Aufbau eines Behordenapparats wurde Herrschaft

starker unabhangig von der Person des Herrschers; die Eigenschaft der

?Offentlichkeit? ging vom Konig starker - nicht vollig - auf das Insti

tutionengefuge der Verwaltungsbehorden iiber, das aber erst seit dem 19.

Jahrhundert ?Staat? genannt wurde. Die leibliche Prasenz des Herrschers wurde

fur die Ausubung der Herrschaft immer weniger wichtig, wenn auch nicht

bedeutungslos. Erst im 19. Jahrhundert verlor der Korper des Herrschers ganz seinen offentlichen Charakter, der Konig als ?Person? konnte in seinen vollig

privaten Funktionen wahrgenommen werden. Erst dann wurde ?Offentlichkeit?

vollig zu einer Eigenschaft und Funktion nicht des Konigs oder Herrschers, sondern des Institutionengefuges ?Staat?. Diese Bedeutung von ?6ffentlichkeit? ist noch im heutigen Offentlichkeitsbegriff prasent, wenn auch nur mehr in fest

gefugten Wendungen wie ?6ffentlicher Dienst?, ?6ffentliche Hand? und anderen. 2. ?Dekonkretisierung?. Im Laufe der Frtihen Neuzeit wurden die Mittel, mit de

ren Hilfe Herrschaft den Beherrschten deutlich gemacht wurde, immer weniger

?handgreiflich?. Alte Formen der Einsetzung und Bestatigung von Herrschaft stiitzten sich stark auf dingliche, fassbare Symbole und Rituale, etwa die Ubergabe der Schlussel einer eroberten Stadt oder im gutsherrlichen Verhaltnis die Abgabe des ?Halshuhns? zur jahrlichen Bestatigung der Leibeigenschaft. Solche Rituale konnten lange erhalten bleiben, wenn die Herrschaftsauffassung stark personal blieb. Das hofische Zeremoniell des 16. - 18. Jahrhunderts war in seinen Mitteln schon abstrakter, mehr auf visuelle Wirkung als auf ?Handgreiflichkeit? gegriin det, und schloss die Distanz zwischen Zuschauenden und Beteiligten ein. Neben das Zeremoniell trat aber auch die noch starker mittelbare Herrschaftsausiibung durch Verwaltung, geschriebene Verordnungen und Gesetze.

3. Zentralisierung und Vereinheitlichung. Machthaber - nicht nur die Konige, sondern auch unter ihnen stehende Gewalten -

versuchten, das Eigenrecht niederer

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Vormoderne Ojfentlichkeiten 13

Gewalten zu beschneiden und sie dem jeweils eigenen Machtgeftige einzuordnen. Damit arbeiteten sie auf die Herstellung eines starker vereinheitlichten ?Unterta nenverbandes? hin, ohne dieses Ziel jedoch in der Friihen Neuzeit zu erreichen. Nach dem Ende der ?absoluten? Monarchien im 19. und 20. Jahrhundert setzten btirokratisch gestiitzte Exekutivorgane den Prozess der Zentralisierung und Ver

einheitlichung fort. Vielleicht ist er noch nicht zu Ende, vereinzelt lassen sich in der Gegenwart aber auch gegenlaufige Erscheinungen der Dezentralisierung und der Behauptung und Berucksichtigung von Eigenrechten erkennen.

4. Distanzierung. Durch Zeremoniell und die Beschneidung der Rechte Unterge bener entwickelte sich zunehmende Distanz zwischen Herrschern und Beherrsch ten. Das ist im Verhaltnis zwischen Konig und Adel, aber auch zwischen adligem Herrn und bauerlichem Untertan besonders bemerkbar.

5. Verraumlichung. Solange Herrschaft und damit Offentlichkeit sich haupt sachlich in Personen und den Beziehungen zwischen ihnen manifestierte, also noch wenig versachlicht war, existierten auch keine fur die Offentlichkeit der Macht abgegrenzten Raume. ?Offentliche? Gebaude wie das Rathaus dienten

zugleich auch nicht-offentlichen Zwecken. Erst im Laufe der Neuzeit, mit zuneh mender Versachlichung von Herrschaft und Offentlichkeit, wurden bestimmte Raume und Zeiten ausdrucklich fur im Sinne der Machtausubung ?6ffentliche? Zwecke reserviert, etwa das Kabinett des Konigs fur Besprechungen mit seinen Beratern oder z. B. Dienststunden einer Behorde. Diese umfassten nie einen vollen

Arbeitstag, weil damit gerechnet werden musste, dass der Bedienstete auch noch konkurrierende Pflichten offentlicher und nicht-offentlicher Art zu erfflllen hatte, etwa die hausliche Wirtschaft, Verhandlungen mit der Verwandtschaft oder ein weiteres Amt.

Im vollig strengen Sinne konnte man von einer ?modernen? Macht-Offentlich keit erst dann sprechen, wenn Herrschaft vollig sachlich, vollig distanziert und zentralisiert ware. Das ist nirgendwo geschehen und wahrscheinlich auch unmog lich. Lediglich die Tendenz zu immer starkerer Distanz, Sachlichkeit und Mittel barkeit der Herrschaftsausubung lasst sich erkennen. Deshalb ist es in Bezug auf die Macht-Offentlichkeit nicht sinnvoll, zwischen Fruher Neuzeit und ?Moderne? eine feste Epochengrenze oder einen begrifflich genau definierbaren Ubergang anzunehmen. Vielmehr begann in der Friihen Neuzeit der Ubergang von ?vormo dernen? zu ?modernen? Strukturen und setzte sich die gesamte Neuzeit hindurch

fort, auch nach dem Ende der absoluten Monarchien. Ob dieser Prozess heute definitiv sein Ende erreicht hat, ist unklar. In jungster Zeit werden allerdings zu nehmend bisher staatliche Aufgaben ?privatisiert?, was bedeutet, dass sie aus der

Herrschaftssphare herausgelost werden. Moglicherweise zeigt sich darin eine neue

grundsatzliche Wandlung der Struktur und des Verstandnisses von ?Staat? iiber

haupt und eine Abwendung vom ?modernen? Staatsverstandnis, wenn auch nicht

unbedingt eine Riickkehr zu vormodernen Auffassungen.

c) Bildungs-Offentlichkeit Die Bildungs-Offentlichkeit, also das ?alle? verpflichtende Bildungsideal, war in alien vormodernen Kulturen - soweit man sieht, auch aufierhalb Europas

- uber

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14 Esther-Beate Korber

wiegend religios gepragt. Sakularisierung der Bildungsideale ist ein ausgesprochen ?moderner? Prozess. Er begann in Europa allerdings schon im Mittelalter und setzte sich in immer neuen Schiiben fort, bis zui* volligen Dominanz sakularer Bil

dungsinhalte in heutiger Zeit. Kulturen, die diese Sakularisierungs-Schube nicht

mitgemacht haben, miissen aber deshalb nicht ?ruckstandig? oder modernisie

rungsfeindlich sein. Auch im sich sakularisierenden Europa gab es Prozesse, die auf ein Wiederaufbrechen religioser Energien schlieBen lassen, etwa die stark

religios gefarbte Publizistik und Agitation in den Anf&ngen der Nationalbewegun gen. Das Verhaltnis zwischen Religion und ?Modernitat? lasst sich nicht auf einen

simplen Gegensatz reduzieren. Das Christentum kam als missionierende Religion, also als neues Bildungsideal,

nach Europa. Wohin die Christen kamen, legten sie Wert darauf, dass ihr Bil

dungsideal sich allgemein verbreitete, kulturell verbindlich, also im weitestmogli chen Sinne ?6ffentlich? werden sollte. Das Christentum trat mit dem Anspruch auf, eine neue Offentlichkeit der Bildung zu begrtinden. Vom Mittelalter zur Neu

zeit sich intensivierend und verstarkend, zielte christliche Mission darauf, das christliche Bildungsideal

- in der jeweiligen konfessionellen Auspragung - bei

?allen? durchzusetzen, also zur einzigen kulturell maBgeblichen, ?6ffentlichen?

Religion zu werden. Die orthodoxen Kirchen folgten diesem Impuls allerdings weniger stark als die protestantischen und vor allem die katholische Kirche der

Gegenreformation. Das lag zum Teil wohl daran, dass die orthodoxen Kirchen

aufgrund ihres Schrift- und Traditionsverstandnisses den orthodoxen Kult eher zu

bewahren als auszubreiten strebten, zum Teil daran, dass sie unter osmanischer Herrschaft nicht die Moglichkeit zur Mission hatten.

Man kann sagen, dass fur das mittelalterliche Europa das Christentum das

einzige Bildungsideal darstellte, das mit dem Anspruch auf ?Offentlichkeit? im Sinne einer allgemeinen kulturellen Verbindlichkeit auftrat, obwohl es nicht die

einzige Schriftreligion Europas war. Alter als viele christliche sind die judischen Gemeinden. Nach ihrer Vertreibung aus Westeuropa seit dem Ersten Kreuzzug siedelten sich viele Juden im polnischen Reich an, wo sich ein vielfaltiges religio ses und kulturelles Leben entwickelte. Die judischen Gemeinden bildeten eigene Institutionen zur Uberlieferung ihrer Religion und ein eigenes Schulwesen. Es war

ihnen aber verboten, Glaubige anderer Religionen zu bekehren - obwohl das gele gentlich vorkam. Einem Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit der judischen Religion, auf ihre ?Offentlichkeit?, wurde also durch rechtliche Vorschriften ein

Riegel vorgeschoben. Verbindlich gait das Judentum selbstverstandlich im Innern der Religionsgemeinschaft, aber das war gegeniiber der christlichen eine geringere und zudem quantitativ sehr begrenzte ?Offentlichkeit?. Muslime gab es im ostlichen Europa schon vor der osmanischen Eroberung,

etwa im ostlichen Ungarn, wo Muslime im 11. und 12. Jahrhundert als leichtbe waffnete Reiter dienten.33 Nach der osmanischen Eroberung Siidosteuropas siedel ten sich zwar zunehmend Muslime dort an. Im Gegensatz zu den christlichen Herr schern vor allem der Neuzeit versuchten die Osmanen jedoch nicht, die unterwor fene Bevolkerung als ganze zum Islam zu bekehren. Der Islam war zwar ?6ffentli

che?, d. h. allgemein kulturell verbindliche Religion in dem Sinne, dass man im

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Vormoderne Offentlichkeiten 15

osmanischen Staat nur als Muslim aufsteigen konnte. Die Einrichtungen der ande ren Religionsgemeinschaften, die ?millets? genannt wurden, blieben jedoch beste hen und wurden lediglich der Kontrolle und vor allem der Steuerhoheit der Osma nen unterstellt. ?Unterhalb? der vom Islam bestimmten Bildungs-Offentlichkeit existierten also weitere, christliche oder jiidische Bildungs-Offentlichkeiten von

sozusagen geringerer Reichweite. Das ist die Koexistenz, die man auch als ?Tole ranz? der osmanischen Herrscher bezeichnet hat. Sie schloss allerdings nicht aus, dass Druck auf nicht-islamische Religionsgemeinschaften ausgeubt wurde, ihre

Mitglieder hohere Steuern zahlen mussten und die ?Knabenlese? (devshirme) der Osmanen dafur sorgte, dass sich keine nicht-islamische Intellektuellenschicht Wi den konnte.

Da sowohl das Judentum als auch das Christentum und der Islam Schriftreligio nen sind, konnte in alien diesen Religionen die Ausbildung in der Schriftkultur eine religiose Pflicht sein. Im mittelalterlichen Christentum stellten die Kloster Zentren nicht nur der Religion, sondern auch der Schriftkultur dar. Dort wurden Werke der Tradition abgeschrieben und neue verfasst. Von Kloster zu Kloster wurden Schriftrollen oder Codices weitergegeben oder zum Abschreiben ausgelie hen. Werke weltlicher Kultur, vom Geschichtswerk bis zum Musikstuck, konnten ebenfalls in Klostern verfasst oder konserviert werden, doch zahlten sie im Gegen satz zur religiosen Literatur und liturgischen Musik nicht zum allgemein verbindli chen Wissen, also nicht zur Bildungs-Offentlichkeit. AuBerdem trugen Kloster zu einem groBen Teil das Schulwesen des christlichen Europa, in den westlichen Kirchen zumindest das Mittelalter hindurch, in der Orthodoxie noch erheblich

langer.

Fur die Entwicklung der europaischen Bildungs-Offentlichkeit sind zwei we sentliche Ziige charakteristisch: die wachsende Bedeutung der Schrift als Spei chermedium und, vorwiegend im westlichen Christentum, die allmahliche Etablie

rung sakularer Bildungsbestandteile als ?6ffentlich?, also allgemein maBgeblich und kulturell verbindlich. Beide Entwicklungen verbreiteten sich vom Westen und Siiden Europas aus und erreichten den Norden und Osten sowie die nord- und sudostlichen Randgebiete Europas verzogert oder vor 1800 gar nicht, so dass

Kultur und Bildung in der gesamten europaischen Vormoderne tief religios gepragt und vorwiegend von mundlicher Kommunikation bestimmt waren.

Den ersten Schritt zu einer starker sakular bestimmten Kultur in Europa bedeutete das Aufkommen der Universitaten seit dem 13., in Ostmitteleuropa seit dem 14. Jahrhundert (Prag 1348, Leipzig 1365, Rostock 1415).34 Sie standen zwar auf religioser Grundlage, vermittelten aber auch weltliche Bildungsbestandteile, etwa die antike Musiktheorie oder - grundlegend

- die Philosophic des Aristoteles. Sie sind spezifische Einrichtungen der lateinisch-christlichen Kultur.

Ahnliches gilt fur die vom 14. bis zum 16. Jahrhundert sich entwickelnden Dis kussionskreise der Humanisten. Ihre lockeren Vereinigungen lassen sich nicht immer raumlich zuordnen. Die Verbindung untereinander hielten sie durch Briefe aufrecht. Da die Humanisten hauptsachlich die lateinische Sprache pflegten, blieb der Humanismus auf die Gebiete lateinischer Tradition beschrankt und drang auch in die Volkskulturen nicht vor. Ostmitteleuropa beherbergte jedoch bedeutende

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16 Esther-Beate Korber

humanistische Zentren - man denke an den Kreis um Konrad Celtis in Wien und

die Universitat von Krakau.35 Die Verbreitung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern machte durch verbil

ligte und raschere Buchherstellung mehrere Veranderungen in der Bildungs-Of fentlichkeit moglich. Die Zahl der Leser erhohte sich selbst in der Reformation

nicht wesentlich.36 Die Lesekundigen aber konnten schneller von den Erzeugnissen des literarischen Lebens erfahren und besser an den schriftlich gefuhrten Diskussi onen teilnehmen. Innerhalb der schriftgebildeten ?Elite? hieB ?veroffentlichen?

immer starker ?im Druck veroffentlichen?. Was man spater ?die Lesewelt? nennen

sollte, existierte schon im 16. Jahrhundert: ein Diskussionszusammenhang von

Lesern und Schreibern, von denen viele, wenn auch nicht alle, im politischen Le

ben standen. Der Buchdruck bedeutete auch einen Sakularisierungsschub, weil

mehr weltliche Lesestoffe erreichbar wurden. AuBerhalb der ?Lesewelt? blieben

die Wirkungen des Buchdrucks allerdings gering. Die Reformation kam ins

?Volk?, das nur zum geringen Teil lesen konnte, hauptsachlich nicht durch den

Buchdruck, sondern durch Predigt, Lied und Kult bzw. den Kult demontierende

Aktionen (?Bildersturm?).37 Der Buchdruck pragte stark nur die ohnehin schon

lesekundigen Schichten, vergroBerte aber noch den Abstand zwischen der schrift

lich bestimmten ?Kultur der Eliten? und der vorwiegend unschriftlichen ?Volks

kultur?.

AuBerhalb des Christentums lateinischer Tradition verbreitete sich der

Buchdruck mit beweglichen Lettern unterschiedlich stark. Schon im 15. Jahrhun

dert brachten Juden ihn ins Osmanische Reich.38 Sie druckten in hebraischer oder

lateinischer Sprache. In den ostmitteleuropaischen Druckzentren Krakau und Prag entstanden ebenfalls hebraische sowie kyrillische Drucke.39 Diese Drucke wirkten nicht nur innerhalb der jeweils interessierten Religionsgemeinschaft, sondern ga ben auch daruber hinaus in den Kreisen der Humanisten AnstoBe und Weiterbil

dungsmoglichkeiten fur das Studium der Alten Sprachen. Orthodoxie und Islam

nahmen dagegen den Buchdruck zunachst nicht auf. Im Islam war dafur die An

sicht verantwortlich, das Drucken in Arabisch oder Turkisch bedeute eine Profa

nierung der heiligen Sprachen.40 Erst im 18. Jahrhundert etablierte sich die erste

osmanische Druckerei. Dagegen gelangte der Buchdruck mit beweglichen Lettern

schon im 16. Jahrhundert ins orthodoxe Russland. Er wurde aber dort nur zur Her

stellung liturgischer Bucher in groBeren Mengen eingesetzt. Das weist darauf hin, dass Vorbehalte gegenuber der Profanierung der heiligen Texte in Russland ent

weder gar nicht existierten oder eine geringere Rolle spielten. Dagegen nutzte die

russische Kirche offenbar den Vorteil, den die Standardisierung der liturgischen Bucher durch den Druck bot. Ein weltlicher Diskussionszusammenhang mit dem

Mittel der Druckerpresse ahnlich den schriftlich gefuhrten Diskussionen der Hu

manisten entwickelte sich jedoch in der Orthodoxie in der Friihen Neuzeit nicht, weder in Russland noch in Sudosteuropa. Das lag zum Teil daran, dass die herr schaftlichen und religiosen Instanzen, die dort die Druckereien trugen, an weltli

chen Stoffen nicht interessiert waren, zum Teil wohl auch daran, dass die ?Lese

welt?, das potentielle Publikum der Druckereien, sehr klein und die Verkehrser

schlieBung Osteuropas im Vergleich zum Westen schlechter war, so dass die

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Vormoderne Offentlichkeiten 17

Verbreitung von Druckwerken aufwendiger war und sich wirtschaftlich nicht lohnte. Die religiosen Reformbewegungen seit dem Spatmittelalter, von Jan Hus iiber

die Reformation bis zur katholischen Reform, legten ausgesprochen Wert auf reli

giose Bildung und stimulierten sie - Protestanten vermittelten sie hauptsachlich durch Predigt, Schrift und Lied, die katholischen Jesuiten setzten neben Predigt und Katechese stark auf Mission durch Bilder, religioses Theater und die Reakti

vierung kultischer Praktiken (Prozessionen, Wallfahrten). Weil die Reformbewe

gungen sich an zum Teil lesekundige, aber nicht lateinisch gebildete ?Laien?

richteten, brachten sie eine volkssprachliche religiose Literatur hervor, die oft auch die Produktion weltlicher Literatur in den Volkssprachen stimulierte. Das gait z. B. auch fur die vorreformatorische kirchliche Reformbewegung in Bohmen.41

Fur die europaische Neuzeit wurde es kennzeichnend, dass alle (Teil-)Kirchen, die aus den Reformbewegungen hervorgegangen waren, mit einem neuartigen, spezifisch zugespitzten Absolutheitsanspruch auftraten und selbst kleinste Abwei

chungen von ihrer Lehre nicht mehr tolerierten. Um den Standpunkt der Lehre dem Kirchenvolk einzupragen und ihn gegen konkurrierende Lehren abzugrenzen, legten die Teilkirchen ihre Lehren in Bekenntnisschriften in standardisierter Form fest. Seither sind die west- und mitteleuropaischen Kirchen lateinischer Tradition Bekenntniskirchen (Konfessionen). Die Entstehung der Konfessionen hatte auch

einige unbeabsichtigte Wirkungen. Die Standardisierung der Glaubenslehren in tellektualisierte diese und machte sie zu etwas Ahnlichem wie Wissensstoff, den

man auswendig lernen kann und soil. ?Weltliche? Aktivitaten wie Handel und

alltagliche Gesprache wurden zunehmend aus den Kirchen vertrieben. Dadurch wurde Religion starker zu einem Sonderbereich des Lebens. Auf dieser seelisch

geistigen Konstellation konnten spatere Sakularisierungsbewegungen aufbauen.42

Bewegungen innerlicher Frommigkeit wie das Taufertum, die Briiderkirchen und der Pietismus lokalisierten ?die Kirche Christi? eher in den Herzen der Glaubigen als in auBeren Vollziigen wie Kult und Gottesdienst. Diese Bewegungen trugen ebenfalls, wenn auch unwillentlich, dazu bei, in der europaischen Bildungs-Of fentlichkeit des westlichen Christentums die Religion gewissermaBen unsichtbar zu machen, so dass radikal materialistische Aufklarer sie spater fur bedeutungslos erklaren konnten.

In die Orthodoxie Osteuropas drangen zwar einige Kirchenreform-Stromungen vor,43 doch gewannen sie nicht die Oberhand, und der Kult blieb das Zentrum orthodoxer Frommigkeit. In die osmanisch beherrschten Gebiete kamen Humanis mus und Kirchenreform nur mittelbar und marginal, etwa durch Manner, die im

westeuropaischen Ausland studiert hatten, und wirkten sich wahrscheinlich auf Islam und Judentum insgesamt nicht aus. Sowohl in der Orthodoxie als auch im Judentum und im Islam wurden in der Neuzeit zwar Glaubens- und Rechtsvor schriften standardisiert und kanonisiert, aber es kam nicht zu der aus den westli chen Kirchen bekannten konfessionellen Zuspitzung der Lehre und nur in geringe rem MaBe als im Westen zur ?Intellektualisierung? der Religion iiberhaupt. Saku

larisierungstendenzen hatten deshalb eine geringere Angriffsflache und wurden eher als westlicher Import empfunden denn als eigene kulturelle Errungenschaft.

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18 Esther-Beate Korber

Die Religion blieb starker mit dem tibrigen Leben verbunden, das Leben religios

gepragt und auf ein religioses Bildungsideal bezogen. Die Aufklarung fasste dann im 18. Jahrhundert als erste geistige Bewegung Eu

ropas die Moglichkeit eines weitgehend oder ganz weltlichen Bildungsideals ins

Auge. Viele Aufklarer sahen ihre eigene Konfession aus gewisser Distanz an und

konnten daher auf die Bekenner anderer Konfessionen und (manchmal) Religionen

unbefangener zugehen. Die kirchliche Bildung wurde im Zuge staatskirchlicher

Bestrebungen der Monarchien zugunsten weltlicher Bildungsbestandteile wie der

Naturwissenschaften zuriickgedrangt. Das gait auch fur das Russische Reich, ob

wohl Bildungsreformen dort nur eine sehr schmale Schicht von Adelssohnen betra

fen. In meist beschranktem MaBe gewahrten die Herrscher ?Toleranz?, was be

deutete, dass sie ihr Herrscheramt nicht mehr als in, sondern iiber der Bildungs Offentlichkeit stehend ansahen. Sie liefien Schulen Anderskonfessioneller zu und

erlaubten ihnen den Zugang zu offentlichen Amtern. Damit konnte die Bildungs Offentlichkeit starker konfessionell gemischt werden, was aber Generationen dau

ern sollte. Solche obrigkeitlichen Bestrebungen dienten meist auch der starkeren

Kontrolle der jeweiligen Bildungs-Offentlichkeit, so dass ihre Zuordnung zur

?Aufklarung? als einer emanzipatorischen Bewegung umstritten ist.44 Die jiidische Aufklarung (?Haskala?) bereitete im deutschen Sprachgebiet in

vielen Fallen den Weg fur die Integration der Juden in das entstehende ?Bildungs

burgertum?. Im ubrigen Europa gab es zwar einzelne jiidische Aufklarer (?maski

lim?), sie fanden aber meist keine Anerkennung in ihren Gemeinden, und es kam

nicht zu einer groBen Aufklarungsbewegung.45 Im Osmanischen Reich brachte die

Zeit der sog. Tanzimat (?Anordnung?) seit 1839 eine Erweiterung der Rechte

nicht-muslimischer osmanischer Untertanen. Weil die Griindung weltlicher Schu len erlaubt wurde, konnte sich nun auch im Osmanischen Reich eine weltliche

Bildung neben der religiosen entwickeln. Die Wirkung von Sakularisierung und

Aufklarungstendenzen auf das ?einfache Volk? blieb aber begrenzt - in alien Kon

fessionen und Religionen. Fur die meisten Menschen Europas blieb die Religion bis mindestens ins 19. Jahrhundert die entscheidende Grundlage ihrer Bildung.

Nicht-religiose Bildungsbestandteile nahmen sie nur so weit auf, wie sich das

Neue nicht mit den traditionellen Vorstellungen rieb. Die Sakularisierung der Bil

dungs-Offentlichkeit setzte in Europa vor 1800 ein, aber zum Teil streng schich

tenspezifisch, nur bei den (Schrift-)Gebildeten, und wahrscheinlich mit von West

nach Ost abnehmender Starke.

d) Informationen-Offentlichkeit

In gewissem Sinne beginnt die Moderne - wenn wir darunter die Zeit verstehen, in

der wir heute leben - fur die Offentlichkeit der Informationen erst mit der ?mas

senhaften? Verbreitung des Telegraphen im 19. Jahrhundert. Der Telegraph war

die erste Einrichtung, durch welche massenweise Informationen mittels elektro

magnetischer Wellen weitergegeben und allgemein zuganglich wurden. Dasselbe

trifft zwar auf Lichtsignale zu, doch wurden diese im vormodernen Europa nur fur

sehr spezielle Informationen genutzt, z. B. fur die Gefahrenwarnung im Krieg oder

fur die Markierung von Untiefen in der Seefahrt. Solche Informationen richteten

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Vormoderne Offentlichkeiten 19

sich deshalb an sehr spezielle, begrenzte Empfangerkreise. Mit dem Telegraphen (und den ihm folgenden Medien mit elektromagnetischer Informationsubertragung

wie Telefon, Rundfunk und Fernsehen) anderte sich grundsatzlich die Struktur der Informationen-Offentlichkeit. Zunachst und grundsatzlich wurde die Informationsubertragung wesentlich

schneller als jedes mechanische Fortbewegungsmittel, mit dem Menschen bis da hin vorwarts gekommen waren. Die Information konnte den Menschen uberholen. Ferner konnte dieselbe Information mit Hilfe netzartiger Strukturen, etwa der Tele

graphenleitungen, an raumlich weit verstreut lebende Personen (ein ?disperses Publikum?) weitergegeben werden. Damit war die Information nicht mehr auf

?Massen?versammlungen angewiesen, wenn sie auf ?Massen? wirken sollte. Zur

Informationenweitergabe bedurfte es auch keiner ?6ffentlichen? allgemein zu

ganglichen Platze oder Raume mehr, sondern die Nachricht konnte im privaten Bereich des Hauses und der Familie wirken. Wie die ersten Horer des Rundfunks mehr nebenbei als bewusst wahrnahmen, durchbrach das neue Medium sogar die

Intimitatsdistanz, weil man Nachrichten und andere Informationen uber Kopfhorer

empfing.46 Information in uneinholbar schnellem Tempo an ein disperses Publi

kum, die nicht an offentliche Raume gebunden ist, sondern im Privaten, unter Umstanden sogar in intimer Nahe wirkt, das ist das Kennzeichen der Informati onswelt von heute, der ?modernen? Offentlichkeit der Informationen.

In der Vormoderne dagegen war Information stets an ?schwere?, massereiche

Trager gebunden (Stein, Holz, Wachs, Pergament, Papier) und konnte nur durch

schwerfallige Transportmittel weitergegeben werden. Informationstibermittlung in der Vormoderne hieB muhsames Uberwinden von Raum und materieller Tragheit. Das Publikum vormoderner Informationen konnte zwar sozusagen zeitlich dispers sein - viele Menschen konnten nacheinander etwa einen Schlagbaum oder das Bild auf einem Warnschild zur Kenntnis nehmen -, aber raumlich dispers nur so weit, wie der Schall eines Ausrufers oder einer Glocke reichte. Die Information an groBe Menschenmengen zu gleicher Zeit war nur moglich, wenn diese Menschen sich auch zu vielen versammelten, z. B. in Gotteshausern, auf dem Markt oder auf freiem Feld vor der Stadt oder dem Dorf. Information, die auf groBe Menschen

mengen wirken sollte, benotigte also ?6ffentliche? Raume im Sinne allgemeiner Zuganglichkeit. Weil nur sehr wenige Menschen lesen konnten - der Prozentsatz der Lesefahi

gen stieg in Deutschland erst im 19. Jahrhundert wesentlich an47 und war in

Siidosteuropa noch im 20. Jahrhundert niedrig48 -, waren schriftliche Informatio nen nicht ?allgemein? zuganglich und wirkten bestenfalls mittelbar, wenn sie je mand vorlas. Um allgemein zuganglich und deshalb vollkommen ?6ffentlich? im

Sinne allgemeiner Wahrnehmbarkeit zu sein, mussten Informationen entweder

dinglich-materiell sein (z. B. Grenzstein, Galgen) oder zeichenhaft materiell (z. B.

Brandmarkung, Rangabzeichen, Botenstab) oder mundlich sprachlich weitergege ben werden (z. B. durch Vorlesen oder ?6ffentliches? Ausrufen). Lieder spielten fur die Nachrichtenvermittlung eine groBe Rolle, da Texte sich in Verbindung mit

einer Melodie leicht merken und getreu weitergeben lassen. Der Bankelsang entwickelte sich im 17. Jahrhundert und blieb bis ins neunzehnte popular

49 Auch

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20 Esther-Beate Korber

das Schauspiel und ihm ahnliche Vorfiihrungen konnen der Ubermittlung von

Nachrichten an lese-unkundige Publika dienen. Allerdings wirken sprachliche Mitteilungen nur innerhalb einer Sprachgemeinschaft, haben also gegenuber den

Zeichen und den Dingen einen geringeren Grad an Offentlichkeit. Man muss des

halb auch die Informationen-Offentlichkeit als eine gestufte Struktur ansehen, die

je nach Reichweite der Informationen verschiedene Grade von Offentlichkeit kannte. Mit Schriftkenntnis und Lesefahigkeit konnten die Produzenten von Infor mationen in der Vormoderne nur begrenzt rechnen. Deshalb wurden neben den

dinglichen und den sprachlichen Vermittlungsformen auch oft bildliche benutzt, z. B. Holzschnitt oder Kupferstich, im 19. Jahrhundert noch der Steindruck (Litho

graphic). Die Veranderungen, die der Buchdruck in der Informationen-Offentlichkeit her

vorrief, waren angesichts der begrenzten Lesefahigkeit gering und wirkten sich nur

sehr allmahlich aus. Diese Wirkungen waren allerdings von prinzipieller Trag weite. Sie ?modernisierten? die Informationsvermittlung, womit gesagt sein soil, dass sie die Informationen-Offentlichkeit um einige ?moderne? Ziige bereicherten, die ahnlich der Telegraph und seine Nachfolgemedien aufweisen sollten.

Der Druck war ein im Vergleich zu anderen Formen der Informationsweitergabe billiges und schnelles Verfahren - wenn man vom mundlichen Weitererzahlen absieht. Deshalb lohnte es sich wirtschaftlich, Informationen massenweise ge druckt zu verbreiten, die vorher nur mundlich oder bildlich zirkuliert hatten, etwa Nachrichten fiber Katastrophen, Schlachten oder Missgeburten. Informationen wurden damit zum ersten Mai zu einer kauflichen Ware, und fur sie entstand ein

(allerdings nicht vollig freier) Markt. Die Informationen-Ware erreichte die Kun den in Form damals neuer, durch den Druck vervielfaltigter Medien wie Flugblat ter und Flugschriften. Schriftliche Informationen erreichten erstmals ein raumlich

disperses Publikum. Allmahlich besser ausgebaute Boten- und Postsysteme, meist im Auftrag der

Kaufmannschaft oder eines Herrschers aufgebaut, stellten die Netzstruktur fur die

Verbreitung der Informationen bereit. Das Relaissystem (Staffelposten mit Boten und Pferdewechsel), zuerst von der Post der Thurn und Taxis eingefiihrt, stellte die in der Vormoderne groBtmogliche Rationalisierung und Beschleunigung der Be

forderung dar. Vor allem im 18. Jahrhundert wurden die StraBen Europas besser

ausgebaut, wodurch die Beforderungsgeschwindigkeit weiter stieg. Die Post wurde von den Menschen der Vormoderne als extrem schnelles Beforderungsmittel emp funden, ja als ein System, dessen Transportgeschwindigkeit menschliche Moglich keiten ubersteige. Deshalb wurde der Gotterbote Merkur zur Symbolfigur der Post und des Nachrichtenwesens, und sein Name zierte die Titel einiger Zeitungen schon im 17. Jahrhundert.50

Seit dem 16. Jahrhundert wurden Nachrichten fur Kaufleute planmaBig durch bestimmte Nachrichtenburos gesammelt und (handschriftlich) in periodischen Abstanden weitergegeben. Mit der Periodizitat der Botenkurse ergab sich die

Moglichkeit periodischer Berichterstattung. Wenn zwischen Post/Botensystem und Druckerei Absprachen getroffen wurden - und die meist obrigkeitliche Zensurbe horde zustimmte -, konnten Nachrichten periodisch gedruckt und verbreitet wer

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Vormoderne Offentlichkeiten 21

den. So entstand im 17. Jahrhundert die Zeitung als neues Medium aus der Dru

ckerpresse.51 Zeitungen erschienen zunachst wochentlich, schon im 17. Jahrhun dert auch mehrmals wochentlich oder taglich. Sie veroffentlichten Nachrichten

ohne Kommentar und dienten der bloBen Information, nicht dem Raisonement.

Trotzdem konnten sie sogar den Stil der Politik verandert haben, da sich im an

Druckereien reicheren Westeuropa herausstellte, dass politische Nachrichten sich vor den ?Korrespondenten? der Zeitungen kaum geheim halten lieBen.52

Das Lesen war in Europa bis zum 18. Jahrhundert hauptsachlich gemeinschafts bestimmt. Man las laut und in diesem Sinne offentlich, fur jeden raumlich nahen

Menschen horbar.53 Durch Vorlesen gelangten Nachrichten auch an illiterate H6 rer. Erst iml8. Jahrhundert verbreitete sich, angeregt von den religiosen Innerlich

keitsbewegungen, v. a. dem Pietismus, das stille Lesen. Seitdem kann man sagen, dass das Lesen von Druckmedien nicht mehr hauptsachlich ?6ffentlich? im Sinne der Informationen, namlich fiir viele wahrnehmbar wirkt, sondern auch in der

?Privatsphare?, die sich im 18. Jahrhundert als gesonderter Bereich des Lebens

auszubilden begann. Diese Privatisierung, ja Intimisierung des Lesens fiel schon

den Zeitgenossen auf, oft unangenehm. Viele artikulierten die Befurchtung, dass

leicht beeinflussbare Menschen (wofur man im 18. Jahrhundert besonders Jugend liche und Frauen hielt) sich in eine von den Druckmedien geschaffene Privatwelt

zuruckziehen wiirden.54 Dass das fur einige Individuen tatsachlich stimmte (und heute noch stimmt), konnte aber die Begeisterung fur die individualisierte Lekture

nicht dampfen. Damals begann sowohl die mediale Durchdringung der Privat

sphare im Zeichen des Medienkonsums als auch die Individualisierung der ?Mas

sen?medien - beides ausgesprochen ?moderne? Ziige, die, wie bekannt, auch unsere heutige Welt pragen. Wie weit die ?moderne? Gewohnheit des stillen Le sens nach Osteuropa vordrang, ist nicht bekannt. Im Osten Europas blieben die

Mittel der Informationenweitergabe lange Zeit ?vormodern? in dem Sinne, dass

Schrift und Druck eine geringe oder gar keine Rolle spielten, teils, weil die Bevol

kerung iiberwiegend nicht lesen und schreiben konnte, teils, weil die Obrigkeiten gegeniiber der Verbreitung von Nachrichten durch den Druck Vorbehalte hegten.

Im Hinblick auf alle betrachteten Offentlichkeiten kann formuliert werden, dass

die vormodernen Verhaltnisse etwa vom Jahre 1500 an und bis (nach) 1800 (also in der ?Fruhe Neuzeit? genannten Ubergangsphase) teils allmahlich, ofter schub

weise in ?moderne? Formen iiberftihrt wurden. Die Offentlichkeit der Macht war

in vormoderner Zeit mit dem Kreis der Herrschaftsausiibenden und den Beziehun

gen unter ihnen identisch. Die Friihe Neuzeit mtihte sich mit wechselndem Erfolg, die Beziehungen zwischen Herrschern und Untertanen sowohl zu versachlichen als

auch zu vereinheitlichen. Im Ergebnis traten um 1800 die Begriffe ?Herrschaft?

und ?Offentlichkeit? auseinander, der Herrscher konnte auch als Privatperson

wahrgenommen werden. In der Bildungs-Offentlichkeit war die Vormoderne fast

ausschlieBlich religios gepragt. Die religiosen Reformbewegungen seit dem spaten Mittelalter leiteten im westlichen Christentum sowohl eine ?Verschriftlichung? als

auch eine Sakularisierung des Bildungslebens ein, die wohl in Humboldts und sei

ner Gesinnungsgenossen sakularer ?Bildungsreligion? einen ersten Hohepunkt erreichte. In der Informationen-Offentlichkeit war die Vormoderne durch das Vor

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herrschen ?schwerer? Informationstrager bestimmt. Druck und Staffelpost gemein sam brachten - mit steigender Verbreitung von Druck und Lesefahigkeit zuneh

mend - die Charakteristika ?moderner? Informationsvermittlung hervor: disperses Publikum, eine als tiberschnell empfundene Informationsgeschwindigkeit und die

Moglichkeit des individualisierten und privatisierten Konsums von Informationen durch ?Massen?-Medien. Diese Individualisierung und Privatisierung, zuweilen

Intimisierung der ?Massen?-Kommunikation setzte sich in der Moderne fort, in dem elektromagnetische Wellen als Informationstrager nicht nur schnellere, son

dern auch immer billigere Information m$glich machten. Zu den Konsequenzen der medialen Durchdringung der Privatsphare durfte es gehoren, dass in unserer

Gegenwart bisher fur intim Gehaltenes ?veroffentlicht?, als politisches Problem diskutiert oder wie in den Talkshows als Medienspektakel jedermann zuganglich dargeboten wird.

1 Lucian Holscher: Offentlichkeit. In: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck

(Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Spra che in Deutschland, Bd. 4. Stuttgart: Klett-Cotta 1978. S. 413-467, hier S. 413, 446.

2 Jurgen Habermas: Strukturwandel der Offentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kate

gorie der burgerlichen Gesellschaft. 17.AufL Darmstadt: Luchterhand 1987, S. 31 - 69; Holscher (1978) S. 431-437 (wie Anm. 1).

3 Reinhart Koselleck: Kritik und Krise. Ein Beitrag zur Pathogenese der burgerlichen Welt. 2.Aufl. Frankfurt: Suhrkamp 1959. S. 41 - 44.

4 Zum Gesinnungsjournalismus vgl. Jorg Requate: Offentlichkeit und Medien als Ge

genstande historischer Analyse. In: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999) S. 5-32, hier S. 25.

5 Karin Hausen: Die Polarisierung der ?Geschlechtscharaktere?. Eine Spiegelung der

Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben. In: Werner Conze (Hg.): Sozialge schichte der Familie in der Neuzeit Europas. Neue Forschungen. Stuttgart: Klett 1976

(= Industrielle Welt, Bd. 21) S. 363-393, hier S. 366, 377; Genevieve Fraisse/Michelle Perrot (Hg.): Geschichte der Frauen. Bd. 4: 19. Jahrhundert. Frankfurt: Campus 1994, S. 369,371.

6 Anne-Marie Kappeli: Die feministische Szene. Aus dem Franzosischen von Gabriele

Kruger-Wirrer. In: Fraisse/Perrot (1994) S. 539-573 (wie Anm. 5). 7 Hausen (1976) S. 366; 386f (wie Anm. 5). 8 Hausen (1976) S. 383-387 (wie Anm. 5). 9 Emil Dovifat: Handbuch der Publizistik, Bd. 1: Allgemeine Publizistik. 2., durchgese

hene Auflage. Berlin: de Gruyter 1971, S. 13-16. 10 Knut Hickethier: Zwischen Gutenberg-Galaxis und Bilder-Universum. Medien als

neues Paradigma, Welt zu erklaren. In: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999) S. 146

171, hier S. 149; Axel Schildt: Das Jahrhundert der Massenmedien. Ansichten zu einer

kunftigen Geschichte der Offentlichkeit. In: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001) S.

147-206, hierS. 202. 11 Habermas (1987) (wie Anm. 2). 12 Habermas (1987) S. 211 (wie Anm. 2). 13 Zusammenfassung bei Schildt (2001) S. 183 (wie Anm. 10). 14 Habermas (1987) S. 17-25 (wie Anm. 2).

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Vormoderne Offentlichkeiten 23

15 Otto Brunner: Land und Herrschaft. Grundlagen der territorialen Verfassungsge schichte Osterreichs im Mittelalter. 4., veranderte Aufl. Wien: Rohrer 1959, S. 123,

243; vgl. auBerdem Reinhart Koselleck: Herrschaft. Einleitung. In: Otto Brun ner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Histori sches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3. Stuttgart: Klett Cotta 1982. S. 1-4, hier S. 3.; Lucian Holscher: Offentlichkeit und Geheimnis. Eine

begriffsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Offentlichkeit in der friihen Neuzeit. Stuttgart: Klett-Cotta 1979 (= Sprache und Geschichte, Bd. 4) S. 53.

16 Andre Holenstein: Bauern zwischen Bauernkrieg und DreiBigjahrigem Krieg. Mtin chen: Oldenbourg 1996 (= Enzyklopadie deutscher Geschichte, 38) S. 43f.; Andreas Suter: Informations- und Kommunikationsweisen aufstandischer Untertanen. In: Jan

Peters (Hg.): Gutsherrschaftsgesellschaften im europaischen Vergleich. Berlin: Aka

demie-Verlag 1997. S. 55-68, hier S. 55.

17 vgl. Karl Riha: Moritat, Bankelsang, Protestballade. Kabarett, Lyrik und engagiertes Lied in Deutschland. K6nigstein/Ts.: Athenaum 1979; Leander Petzoldt (Hg.): Die freudlose Muse. Texte, Lieder und Bilder zum historischen Bankelsang. Stuttgart: Metzler 1978.

18 Michael Schilling: Bildpublizistik der friihen Neuzeit. Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis um 1700. Tubingen: Niemeyer 1990 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, 29).

19 Heinrich Bosse: Die gelehrte Republik. In: Hans Wolf Jager (Hg.): ?Offentlichkeit? im 18. Jahrhundert. Gottingen: Wallstein 1997 (= Das achtzehnte Jahrhundert, Supplementa 4) S. 51-76, hier S. 65.

20 Martin Bauer: Die ?gemain sag? in spateren Mittelalter. Studien zu einem Faktor mittelalterlicher Offentlichkeit und seinem historischen Auskunftswert. Diss.

Erlangen-Nurnberg 1981.

21 Leif Grane/Kai H0rby (Hg.): Die danische Reformation vor ihrem internationalen

Hintergrund. The Danish Reformation against its International Background. Gottingen: Vandenhoek & Ruprecht 1990, passim.

22 Esther-Beate Korber: Offentlichkeiten der Friihen Neuzeit. Teilnehmer, Formen, Institutionen und Entscheidungen offentlicher Kommunikation im Herzogtum PreuBen

1525 bis 1618. Berlin: de Gruyter 1998. (= Beitrage zur Kommunikationsgeschichte, 7) S.7f.

23 Korber (1998) S. 17f (wie Anm. 22). 24 Korber (1998) S. 14 (wie Anm. 22). 25 Brunner (1959) S. 243 (wie Anm. 15); Koselleck (1982) S. 3 (wie Anm. 15). 26 Z. B. Jean W. Sedlar: East Central Europe in the middle ages. 1000 - 1500. Seattle:

University of Washington Pr. 1994. S. 3.

27 Edgar Hosch: Geschichte der Balkanlander. Von der Fruhzeit bis zur Gegenwart. 4., aktualisierte und erweiterte Aufl. MUnchen: Beck 2002. S. 141 f.

28 Anila Habibi: Das autoritare Regime Ahmed Zogus und die Gesellschaft Albaniens 1925 - 1939. In: Erwin Oberlander (Hg.): Autoritare Regime in Ostmittel- und Sudost

europa 1919 - 1944. Paderborn: Schoningh 2001. S. 349-378, hier S. 349.

29 Sedlar (1994) S. 15-18 (wie Anm. 17). 30 Brunner (1959) S. 123 (wie Anm. 15). 31 Holscher (1979) S. 53 (wie Anm. 15). 32 Brunner (1959) S. 283, 289f, 334-336 (wie Anm. 15). 33 Sedlar (1994) S. 178f (wie Anm. 17).

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24 Esther-Beate Korber

34 Werner Conze: Ostmitteleuropa. Von der Spatantike bis zum 18. Jahrhundert. Miinchen: Beck 1992. S. 161, 165.

35 Krzysztof Baczkowski: Humanismus in Krakau und Wien um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. In: Andrea Langer /Georg Michels (Hg.): Metropolen und Kultur transfer im 15./16. Jahrhundert. Prag, Krakau, Danzig, Wien. Stuttgart: Steiner 2001 (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des ostlichen Mitteleuropa, Bd. 12) S. 53-64.

36 Rolf Engelsing: Analphabetentum und Lektiire. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft. Stuttgart: Metzler 1973. S. 19, 29; Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Uberblick. Miinchen: Beck 1991. S. 174.

37 vgl. Christoph Schmidt: Auf Felsen ges?t. Die Reformation in Polen und Livland.

Gottingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. S. 188. 38 Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom fruhen Mittelalter bis ins 20.

Jahrhundert. Aus dem Englischen von Liselotte Julius. Miinchen: Beck 2004. S. 121. 39 Karen Lambrecht: Kulturtransfer und Kornmunikation. Die Anfange des Buchdrucks

in Prag und Krakau im Vergleich. In: Andrea Langer/Georg Michels (Hg.): Metropo len und Kulturtransfer im 15716. Jahrhundert. Prag, Krakau, Danzig, Wien. Stuttgart: Steiner 2001 (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des ostlichen Mitteleuropa, Bd. 12) S. 85-99, hier S. 88.

40 Lewis (2004) S. 121 (wie Anm. 38). 41 Lambrecht (2001) S. 91 (wie Anm. 39). 42 Heinrich Richard Schmidt: Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert. Miinchen:

Oldenbourg 1992 (= Enzyklopadie deutscher Geschichte, 12) S. 91. 43 Schmidt (2000) S. 281-294 (wie Anm. 46). 44 Guido Bee: Aufklarung und Katholizismus in Deutschland. Zur Chronik einer

problematischen Beziehung. In: Richard Faber (Hg.): Katholizismus in Geschichte und Gegenwart. Wurzburg: Konigshausen & Neumann 2005. S. 109-119, hier S. 112.

45 Christoph Schulte: Judische Aufklarung (?Haskala?). In: Elke-Vera Kotowski/Hans Joachim Schoeps/Hiltrud Wallenborn (Hg.): Handbuch zur Geschichte der Juden in

Europa, Bd. 2: Religion, Kultur, Alltag. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchges. 2001. S. 240-257, hier S. 255f.

46 Esther-Beate Korber: Eine Galaxis hinter Gutenberg. Die Diskussion tiber Moglichkei ten und Wirkungen des Rundfunks in der Zeit der Weimarer Republik. In: Rundfunk und Geschichte 21 (1995) 1, S. 3-12, hier S. 8f.

47 Engelsing (1973) S. 105 (wie Anm. 36); Wittmann (1991) S. 296 (wie Anm. 36). 48 Beispiele bei Holm SundhauBen: Die Konigsdiktaturen in Siidosteuropa: Umrisse einer

Synthese. In: Erwin Oberlander (Hg.): Autoritare Regime in Ostmittel- und Siidosteu ropa 1919

- 1944. Paderborn: Schoningh 2001. S. 337-348, hier S. 346. 49 Riha (1979) (wie Anm. 17); Petzoldt (1978) (wie Anm. 17). 50 Wolfgang Behringer: Im Zeichen des Merkur. Reichspost und Kommunikationsrevolu

tion in der Fruhen Neuzeit. Gottingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003 (= Veroffentli

chungen des Max-Planck-Instituts fur Geschichte, 189) S. 644-649. 51 Korber (1998) S. 350f (wie Anm. 22). 52 Andreas Gestrich: Absolutismus und Offentlichkeit. Politische Kornmunikation in

Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Gottingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1994 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 103) S. 237.

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Vormoderne Offentlichkeiten 25

53 Zum Folgenden vgl. Erich Schon: Der Verlust der Sinnlichkeit oder Die Verwandlun

gen des Lesers. Mentalitatswandel um 1800. Stuttgart: Klett-Cotta 1987 (= Sprache und Geschichte, 12) S. 99-104.

54 Wittmann (1991) S. 187f (wie Anm. 36).

Zusammenfassung

Ein Uberblick iiber die Begriffs-, Struktur- und Forschungsgeschichte von ?Offentlichkeit? von der Aufklarung bis heute macht deutlich, dass im heutigen Offentlichkeitsbegriff poli tische, kulturelle und informationelle Bedeutungen vereinigt sind. Fiir die Beschreibung vormoderner Offentlichkeiten miissen diese Aspekte begrifflich getrennt werden. In der Vormoderne war ?Offentlichkeit? eine Eigenschaft Herrschaft ausubender Personen. Dieser

Begriff wurde zunehmend, aber nie vollig versachlicht. Kulturell waren in der Vormoderne

religiose Bildungsinhalte ?6ffentlich?, mit abnehmender Tendenz im Zuge von Sakularisie

rungsschuben. Die vormoderne Offentlichkeit der Informationen war gekennzeichnet durch ?schwere? Informationstrager, durch die die Uberwindung raumlicher Distanz zum grofiten Kommunikationsproblem wurde.

Summary

The German term ?Offentlichkeit? has been used in political, cultural and informational contexts from the enlightenment to the present time. To describe pre-modern ?publicness? one has to separate those aspects. Politically, ?publicness? in pre-modern times was

regarded as an aspect of reigning persons, but that concept was de-personalized in the

course of modernization. Culturally, pre-modern ?public? ideals were prevalently religious, albeit attacked by mounting secularism. Informationally, pre-modern public structures were marked by ?heavy? materials bearing the information; thus, overcoming spatial distances was the main problem of communication.

Korrespondenzanschrift

Prof. Dr. Esther-Beate Korber, Forschungsprojekt ?Zeitungsextrakte des 17. und 18.

Jahrhunderts?, ZWE Deutsche Presseforschung, Universitat Bremen, Bibliothekstr., 28359 Bremen E-Mail: [email protected]

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