vom kreis zum bezirk - kirchdorf an der krems von april...

94
Beitrag zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten Dr. Heinz Fischer 2012 Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April bis Mai 1945 BRG BORG KIRCHDORF

Upload: others

Post on 21-Aug-2020

3 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

Beitrag zum Geschichtswettbewerb

des Bundespräsidenten

Dr. Heinz Fischer 2012

Vom Kreis zum Bezirk -

Kirchdorf an der Krems

von April bis Mai 1945

BRG BORG KIRCHDORF

Page 2: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

Inhalt

1. Interpretation der Zeitzeugenberichte und erforschten Kapitel

1.1. Zusammenhang zwischen Unabhängigkeitserklärung und den

Ergebnissen unserer Recherchen

1.2. Mentale Zustände zu Kriegsende

1.3. Ein Pankrazer Junge

1.4. Ein amerikanischer Besatzungssoldat

1.5. Die ganz großen Nazis

1.6. Ein vierzehnjähriger Windischgarstner

1.7. Seiten wechseln

2. Das Kriegsende in Oberösterreich

3. Das Kriegsende in Kirchdorf

4. Flucht als Alltag

4.1. Die Todesmärsche der ungarischen Juden

4.1.1. Vorgeschichte

4.1.2. Todesmärsche durch den Bezirk Kirchdorf

4.2. Der KZ - Kapo Anton Fehringer in Grünburg

4.2.1. Einleitung

4.2.2. Kindheit und Jugend

4.2.3. Konzentrationslager und Gefangenschaft

4.2.4. Gerichtsverhandlung

4.2.5. Tod

4.3. Die slowakische Regierung in Kremsmünster

4.3.1. Der slowakische Präsident – Josef Tiso

4.3.2. Der Gesandte des dt. Reiches in der Slowakei – Hanns Ludin

4.4. Der Gauleiter von „Oberdonau“ - August Eigruber

4.4.1. Biographisches

4.4.2. Eigruber in Kirchdorf an der Krems

1

1

3

7

9

11

13

15

17

19

21

23

23

25

27

27

27

27

28

29

31

31

35

37

37

37

Page 3: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident
Page 4: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

4.4.3. Eigruber in Windischgarsten

4.4.4. Die Flucht des Gauleiters

4.4.5. Die Verhaftung Eigrubers

4.4.6. Prozess und Hinrichtung

4.5. Der Lagerkommandant des KZ Mauthausen - Franz Ziereis

4.5.1. „Beichte“ des Lagerkommandanten von Mauthausen

4.5.2. Die Suche nach Schuldigen

4.5.3. Die Verteidigungsstrategie des KZ-Kommandanten

4.5.4. Weitere Versuche der Rechtfertigung

4.5.5. Details und Widersprüche im Text der „Beichte“

4.6. Die „innere Flucht“ des Emil Pasquali

5. Transkripte

5.1. Otto und Maria Kniewasser

5.2. Maria Rührlinger

5.3. Inge Lang

5.4. Rudolf Stanzel

5.5. Franz Horcicka

6. Literaturverzeichnis

Dank

38

39

40

40

41

41

42

43

43

44

47

49

49

51

59

65

69

83

Page 5: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident
Page 6: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

Einleitung

Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident Heinz Fischer ausgeschriebener

Geschichtewettbewerb zum Thema „Kriegsende und Wiederaufbau 1945“. Es lag nahe, sich dabei

auf unsere nähere Umgebung, den Bezirk Kirchdorf an der Krems, zu beschränken. Bei einer über-

sichtsmäßigen Betrachtung der regionalen Geschichte fällt auf, dass das Kriegsende im Jahr 1945

wahrscheinlich Teil des stärksten Umbruchs im Kremstal im letzten Jahrtausend war.

Bei unserer Literatursuche in Online-Katalogen und Bibliographien stießen wir auf die Diplomarbeit

über den Bezirk Kirchdorf um 1945. Sie stammt von Tobias Bachner, einem Absolventen unse-

rer Schule, der mittlerweile in Vorarlberg Geschichte unterrichtet. Diese hervorragende Arbeit lie-

ferte uns einen sehr guten inhaltlichen Überblick und gab den Stand der Literatur im Jahr 2006

vor. Dies war einerseits eine unschätzbare Hilfe, andererseits stellte sich die Frage, worin unsere

„Forschungsarbeit“ jetzt noch bestehen könnte, wenn das Thema bereits professionell und erst vor

sechs Jahren bearbeitet worden war.

Unsere Arbeit erschließt neue Quellen und unveröffentlichte Manuskripte regionaler Geschichtsfor-

scher. Sie stützt sich auf von uns erarbeitete Zeitzeugenberichte. Drei SchülerInnen aus unserem

Team interviewten in Vor- und Hauptgesprächen ihre Großeltern. Zusätzlich führten wir alle Zeitzeu-

gengespräche mit drei Regionalhistorikern und Zeitzeugen.

Besonders erwähnenswert sind die in dieser Arbeit enthaltenen Fluchtgeschichten des in Kirchdorf

verhafteten KZ-Kapos Anton Fehringer, des deutschen Gesandten in der Slowakei Hanns Ludin, und

des Polizeimajors Pasquali, der in den letzten Kriegstagen in Windischgarsten erschossen wurde.

Zwei der drei Geschichten sind bislang unveröffentlicht.

Die Flucht- und Verhaftungsgeschichten des Gauleiters von Oberdonau, des KZ-Kommandanten

von Mauthausen und die Geschichte der Todesmärsche sollten aber in einer Untersuchung des

Kriegsendes in Kirchdorf keinesfalls fehlen. Kapitel wurden jeweils von einzelnen SchülerInnen,

!"#$%!"&'()'(*+,-.'/0+1',!'2/&&+3-,4')#5+1+5'67839:;<+#'=)-/1>##+#-+"!5'4+1?"55-@'

Ein großes Problem stellte für uns die Beschränkung auf 30 Seiten dar. Als wir am Ende 90 Seiten

erarbeitet hatten drohte die Frage, wessen Beiträge gestrichen werden sollten. Für eine Teilung der

Arbeit waren Texte zu stark verwoben. Deshalb gilt für den Wettbewerb nur der vorliegende 30-sei-

tige Auszug.

Page 7: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident
Page 8: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

1

1. Interpretation der Zeitzeugenberichte und erforschten Kapitel

Wir haben zuerst versucht, alle Gespräche und erforschten Kapitel zu interpretieren und in der Folge

einzelnen Perspektiven ganz subjektiv nachzuspüren, indem wir versuchten, uns in die Lage der

jeweiligen Person hineinzuversetzen.

1.1. Zusammenhang zwischen Unabhängigkeitserklä-rung und den Ergebnissen unserer Recherchen

Die „Proklamation über die Selbstständigkeit Österreichs“, anerkannt und unterzeichnet am 27. April

1945, war in Österreich ein erster großer Schritt in Richtung Frieden und Wideraufbau. Der aufmerk-

same Leser bemerkt sofort, wie sehr dieses Schriftstück darum bemüht ist, Österreich von Hitler-

Deutschland geistig abzutrennen.

Politische Anführer

Ein Mann, der in „Oberdonau“ eine große Rolle spielte, war Eigruber. Dem Gauleiter des heuti-

gen Oberösterreich und seinen Kollegen, die dasselbe Amt in anderen Bundesländern ausübten,

wird in der Unabhängigkeitserklärung vorgeworfen, dass sie die Macht in den Bundesländern miss-

brauchten und dem Volk unverantwortliches Verhalten entgegenbrachten. Eigruber war ein verant-

!"#$%&'()"(*#+,")-$-.*#+"/&*+012.'#3$4+5*#+6"#+5*&+7))--*#$*&+8"/+%&5+')*-2/9*-$-'+5*&+:*;*/)+'3<4+<-(+

zum letzten Mann weiterzukämpfen. Er suchte Schutz in den „heimatlichen Bergen“, wie auch unter

anderem der slowakische Präsident Tiso oder KZ-Lagerkommandant Ziereis.

Die Bevölkerung

In der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 wird oftmals betont, dass die einfache Bevöl-

.*#%&'+!-))*&)"(+ 9%(*/*&+=%(($*4+!-*+5-*+>3$-"&3)("9-3)-($*&+ -/#+?3&5+1<*#@*)*&+%&5+<*(*$9$*&A+

Allerdings ist zu sagen, dass anhand der Interviews mit Zeitzeugen zu belegen ist, dass viele Ös-

terreicher den „Anschluss“ ihres Landes an Hitler-Deutschland begrüßten und später das Regime

auch aktiv unterstützten. So zum Beispiel erzählt Maria Rührlinger, von ihrem Nachbarn, der immer

auf der Lauer lag, um eventuell ein regimefeindliches Wort zu hören, um dann so die „Verräter“ de-

nunzieren zu können.

Abschließend läßt sich sagen, dass die Verfasser der Unabhängigkeitserklärung Österreich und

seine Bevölkerung bewusst als Opfer des Nationalsozialismus darstellten, um möglichen Repara-

turzahlungen und Schuldzuweisungen vorzubeugen, die die Entwicklung Österreichs mit Sicherheit

beeinträchtigt hätten.

Page 9: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

2

Page 10: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

3

1.2. Mentale Zustände zu Kriegsende

Lisa Haller und Michael Haunschmidt

Wenn man sich intensiv mit der Geschichte und dem Leiden einzelner Menschen während und vor

allem zu Ende des Zweiten Weltkriegs beschäftigt, bemerkt man schnell, dass nicht nur die äußeren

Bedingungen das Leben dieser Menschen geprägt haben, sondern vor allem innere, mentale Zu-

stände. Vieles hat sich seit dem Ende dieses tragischen Krieges geändert, doch heute wie auch im

Jahr 1945 wird der Alltag der Menschen von Hoffnungen, Ängsten und natürlich auch Freude und

?-*<*+<*($-==$B+C*5"2/+<*@&5*$+(-2/+D*5*#+-&+*-&*#+3&5*#*&+,"(-$-"&4+=-$+%&$*#(2/-*5)-2/*&+,#"<-

lemen und einer persönlichen Hintergrundgeschichte. Wirft man einen Blick auf die Schicksale der

Flüchtlinge, werden die facettenreichen Fluchtumstände ersichtlich. Da wäre etwa der slowakische

Präsident, der mit einem Vermögen von über 50 Millionen Schillinge (Wert 1975) nach Kremsmüns-

$*#+8"/B+E=+F*'*&(3$9+539%+($*/*&+5-*+93/)#*-2/*&+G").(5*%$(2/*&+5-*+3%(+5*&+9%6"#+<*(*$9$*&+

:3).3&($33$*&+812/$*&+=%(($*&4+%=+G*#'*)$%&'(3.$-"&*&+5%#2/+,3#$-(3&*&+%&5+5*#+#%((-(2/*&+7#-

mee zu entgehen. Sie kamen oft nur mit dem, was sie am Leib trugen und wurden notdürftig in

Schulen und einfachen Baracken untergebracht. Mit dem Ende des 2. Weltkrieges 1945 änderte

sich die Situation für die gesamte Bevölkerung schlagartig. Der ehemalige Gauleiter von Oberöster-

#*-2/4+7%'%($+H-'#%<*#4+!3#+'*9!%&'*&+?-&9+9%+6*#)3((*&+%&5+0-2/$%&'+IJ-$3)+3=+,K/#&+9%+8-*/*&B+

Dagegen verbesserte sich die Situation für viele Gefangene und KZ-Insassen, da sie von den Alli-

ierten befreit wurden. Auch Kriegsgefangene, wie Herr Stanzel, konnten nun wieder zu ihren Fami-

lien zurückkehren. Für die ländliche Bevölkerung wurden die Gräueltaten, welche das NS-Regime

verübte, erst zu dieser Zeit in vollem Ausmaß ersichtlich. Viele wurden Zeugen des Todesmarsches,

der vom Burgenland nach Gunskirchen führte. Diese Zeitzeugen beschreiben es als furchtbares und

einschneidendes Erlebnis, da sie zum ersten Mal diese Verbrechen persönlich miterlebten.

Ängste und Befürchtungen

„Und wenn sie uns erwischen, schlagen wir so lange mit dem Kopf auf den Boden, bis wir

nichts mehr hören und spüren.“

Inge Lang

Ängste und Befürchtungen ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Erzählungen und Berichte.

Jeder Mensch leidet darunter, doch es ist abhängig von Weltanschauung, Beruf, sozialem Rang und

dem Ort, wo man lebt, wie stark diese Gefühle jeden Einzelnen belasten. Betrachtet man die uns zur

G*#;1'%&'+($*/*&5*&+L&$*#)3'*&4+@&5*$+=3&+6-*)*+6*#(2/-*5*&*+L#(32/*&+%&5+F#1&5*4+!*(/3)<+

jemand leidet.

Da wäre zum Beispiel Franz Horcicka, der im Jahr 1945 ein kleiner Junge war, und der nach einem

Bubenstreich schreckliche Angst hatte nach Hause zu gehen, da er sich vor den Ohrfeigen seines

Vater fürchtete. Das ist eine sehr private Angst, die wohl fast jeder damals kannte. Etwa zur selben

Zeit hatte August Eigruber, der Gauleiter von „Oberdonau“, ganz andere Befürchtungen, die dem

nackten Überleben galten. Und eine Frau namens Inge Lang hatte solche Angst vor den russischen

Besatzungsmächten, dass sie sogar von Selbstmord sprach. Überlebende von Todesmärschen

konnten wiederum nicht begreifen, dass sie nach der Befreiung weiter von Seuchen und völliger

Page 11: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

4

Ungewissheit über ihre Zukunft geplagt wurden. Währenddessen hatte ein junges Mädchen, Maria

Rührlinger, nicht nur vor den Russen Angst, sondern auch vor den freigelassenen KZ-Häftlingen,

5-*+/3)<+6*#/%&'*#$+%&5+6*#($1==*)$+5%#2/+5-*+I$#3M*&+9"'*&4+%=+*$!3(+9%+*((*&+9%+@&5*&B+7&'($+

trieb auch die Soldaten an, die die aussichtslose Lage Hitler Deutschlands erkannten. Angst vor der

Kriegsgefangenschaft, Angst die Familie nie wieder zu sehen. Dies bewegte sie dazu, Fahrzeuge

und Munition in Bäche und Gräben zu werfen und dann zu versuchen, zu Fuß nach Hause zu gelan-

gen. Andere, wie zum Beispiel Herr Rudolf Stanzel, befanden sich aber schon in Kriegsgefangen-

schaft. Ihre Gedanken waren bei den Familien zu Hause, von denen sie oft nichts wussten, oder bei

den Kameraden, die noch im Krieg waren und oft nicht mehr zurückkehrten.

Neugierde

„Und wie wir gesiegt haben, immer haben wir gesiegt.“

Maria Rührlinger

Doch auch damals, trotz der angespannten Situation, trieb einige Menschen die Neugierde an. So

zum Beispiel Otto Kniewasser, der mit dem Rad nach Windischgarsten fuhr, weil dort etwas „los“

sein würde. Auf diese Weise wurde er auch Augenzeuge des Zuges von Juden, der über den Phyrn

getrieben wurde. Obwohl er damals noch sehr jung war, beschreibt er es als furchtbares und ein-

schneidendes Erlebnis. Die Neugierde war nicht nur für Herrn Kniewasser die ausschlaggebende

N"$-63$-"&+;1#+(*-&+O3&5*)&B+G-*)*+N*&(2/*&+/3$$*&+53(+H=J@&5*&+9%+!*&-'+:*(2/*-5+9%+!-((*&4+

von dem eigentlichen Stand des Krieges. So erzählt Maria Rührlinger von ihrem Vater, der immer bei

einem Nachbarn ausländische Sender im Radio hörte, um so auf dem neuesten Stand zu sein. Sie

und andere Nachbarskinder hatten währenddessen die Aufgabe Wache zu stehen, damit niemand

sie überraschen oder sie sogar beim illegalen Radio-Hören erwischen konnte. Es ist absolut nach-

vollziehbar, weshalb die Menschen den Drang hatten an Informationen zu kommen. Jeder hat das

Bedürfnis und auch das Recht sich über die aktuellen Geschehnisse in seinem Land zu informieren.

Das Schreckliche ist jedoch, wenn strengstens verboten ist, sich richtige Daten und Fakten zu be-

schaffen und wenn man auf die gefälschten Informationen einer Partei angewiesen ist.

Zwänge

„Keine Gedanken. Es hat ja nix anderes für uns gegeben.“

Rudolf Stanzel

Zwänge beschränkten die Menschen in ihrem täglichen Leben. So mussten gegen Kriegsende am

Abend immer die Fenster verdunkelt werden, um Luftangriffen der Alliierten vorzubeugen. Und auch

gegen Ende des Krieges wurde der Druck, den das Hitler-Regime auf die Bevölkerung ausübte,

nicht weniger. So kündigte Gauleiter August Eigruber noch am 7. Mai 1945 an, Kirchdorf war zu

dieser Zeit schon in amerikanischer Hand, dass er genug vertrauenswürdige Leute in der ganzen

Gegend verteilt habe, die jeden umbringen würden, der Verrat übte. Bereits hier sieht man, wie weit

die Zwänge und der Druck des Hitler-Regimes in das Leben der Menschen eingegriffen haben. Doch

noch verständlicher wird die Situation, wenn man Herrn Stanzels Eingeständnis berücksichtigt. Er

erklärt, dass auch er ein „kleines Rädchen“ des Systems war und an deren Plänen mitgearbeitet

Page 12: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

5

hatte. Ob jedoch die Angst um das eigene Leben und die Familie der Grund für seinen Gehorsam

war, oder ob er aus wirklicher Überzeugung mitgemacht hatte, bleibt unbeantwortet. Vielleicht war

es aber auch ein Moment des Leichtsinns und eines übereilten Ehrgeizes. Berücksichtigen muss

man dabei sicher das Alter und wieviel man von den Folgen absehen konnte.

Schluss

I"+'#"M+5-*+L&$*#(2/-*5*+9!-(2/*&+*-&9*)&*&+N*&(2/*&+(*-&+.P&&*&4+*-&*(+6*#<-&5*$+(-*+-==*#A+

(-*+!*#5*&+<**-&8%(($+6"&+-/#*&+F*;1/)*&+%&5+F*53&.*&B+Q-*(*+<*($-==*&+-/#+O3&5*)&+%&5+J#R'*&+

ihr Leben. Vor allem in Krisenzeiten, in denen nichts sicher ist und die Willkür den Alltag der Bevöl-

kerung bestimmt, sind die inneren Eigenschaften und Werte das einzig Verlässliche. Wenn man den

Informationen, die man erhält, und vor allem den Menschen die uns umgeben nicht vertrauen kann,

=%((+=3&+)*#&*&+/*#3%(9%@&5*&+!*=+9%+')3%<*&+-($+%&5+!*=+&-2/$B+E&+5*#+/*%$-'*&+S*-$+)*-5*&+!-#+

oft an einer alles umfassenden Langeweile, die hervorgerufen wird durch abgestumpfte Meinungen

und Interessen. Vielleicht wäre es hilfreich sich auf frühere Zeiten zu besinnen und zu begreifen,

dass die eigenen Gedanken das wertvollste Gut sind.

Page 13: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

6

Page 14: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

7

1.3. Ein Pankrazer Junge

Dominik Krisch

Was bewegte einen jungen Pankrazer Burschen in Zeiten des Kriegsendes um den Mai 1945? Er

litt wahrscheinlich unter keinen großen Ängsten oder Befürchtungen, da Pankraz weitgehend vom

Krieg verschont worden war. Es wurde weder zerbombt, noch musste die Bevölkerung Hunger lei-

den, da es viele Landwirtschaftliche Betriebe gab, die ausreichend produzierten. Das Einzige, was

unter Umständen Sorgen breitete, war die Suche nach einer Bezugsperson, weil damals viele Kin-

der ohne Väter aufwuchsen. Diese waren gefallen, im Krieg, oder noch in Gefangenschaft, wenn sie

überhaupt den Weg zur Familie zurück fanden.

In der Schule und zu Hause warnten die Lehrer und Verwandten die Kinder vor dem angeblichen

Feind, wegen dem das Deutsche Reich den Krieg verloren hatte. Doch auch dies vermochte es

nicht einem jungen Buben seine Neugier zu nehmen, er wollte schließlich wissen wie die Amerikaner

wirklich waren, hatte zumindest keine Berührungsängste. Darüber hinaus verstand ein Kind vermut-

lich ohnehin nicht, weshalb diese Männer böse sein sollten. Bedenken beim Kontakt mit den neuen

Menschen gab es höchstens beim ersten Mal, als man noch nicht wusste, wie man dran war, denn

die Besatzungssoldaten waren alle freundlich zu Kindern. Also freute sich ein Bub immer, wenn er

Amerikaner sah. Sei es, dass er noch nie oder selten gesehene Lebensmittel, wie etwa Bananen,

Schokolade oder Orangen von ihnen bekam, oder dass er neue Fahrzeuge wie Jeeps inspizieren

durfte. Darüber hinaus freute sich ein Bursche sicherlich auch darüber, dass einige amerikanische

Besatzungssoldaten bei ihren Spielen mitmachten. Über Verletzungen musste ein Bursche sich

auch keine Sorgen machen, denn die Amerikaner leisteten mit ihren medizinischen Einrichtungen

auch für die Zivilbevölkerung Hilfe, wo sie benötigt wurde. Sogar wenn Soldaten in seinem Haus

einquartiert waren und er und seine Familie nur noch wenig Platz hatten, fand unser Pankrazer Bub

es spannend mit neuen Menschen und Situationen konfrontiert zu werden.

Dass Verwandte und Bekannte Relikte aus der NS – Zeit, wie Pistolen oder Hitlerbilder, vergruben

oder anderweitig verschwinden ließen, machte für ihn keinen Sinn. Er verstand die Symbolik dahin-

ter nicht, er wusste nur, dass die Soldaten das Hakenkreuz getragen hatten. Trotzdem spürte bereits

der sechsjährige Knirps, dass darin eine tiefere Bedeutung stecken musste.

Für einen jungen Pankrazer Burschen war das Kriegsende eine spannende Zeit im positiven Sinne,

ohne große Sorgen, kein Zusammenbruch, kein Umbruch, keine Befreiung.

Page 15: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

8

Page 16: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

9

1.4. Ein amerikanischer Besatzungssoldat

Dominik Krisch

Für einen amerikanischen Besatzungssoldaten in Pankraz war es sicherlich keine so leichte Zeit. Er

war zwar froh, dass der Krieg nun endlich vorbei war und er sein Leben nicht mehr riskieren musste,

oder wenn er Kindern eine Freude bereiten konnte. Doch er hatte sicherlich auch einige Ängste. Er

konnte sich nie wirklich sicher sein, dass sein Leben tatsächlich außer Gefahr war. Jederzeit konn-

te noch irgendein fanatischer Nazi aus dem Gebüsch springen, um wenigstens noch einen Feind

für sein Vaterland zu töten. Außerdem schlug es auf das Gemüt, dass er von den Ortsansässigen,

entgegen seiner Vermutung, statt als Befreier, als Feind angesehen wurde. Wenn der Soldat dann

auch noch schwarz war, sahen ihn die Menschen mit wahrhafter Verachtung an, da erzählt wurde,

Schwarze seien Menschenfresser. Wenn er sich in eine Einheimische verliebte, plagte ihn die Be-

fürchtung, jemand könnte davon erfahren, denn wenn eine Frau sich mit einem Amerikaner einließ,

war diese als „Amihure“ verschrien. Manchen wurden dann sogar die Köpfe geschoren, damit jeder

(3/+%=+!*&+*(+(-2/+<*-+5-*(*#+T#3%+/3&5*)$B+7&5*#*+T#3'*&+5#R&'$*&+(-2/+3%;A+!3&&+!1#5*+=3&+

wieder zuhause sein? Wann würde man Abrüsten können? Wie würde man in das Zivilleben zurück-

@&5*&U

Für einen amerikanischen Besatzungssoldaten überwog wahrscheinlich das Wegfallen des Risikos

von einem Tag auf den anderen nicht mehr zu leben, da der Krieg nun gewonnen war.

Page 17: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

10

Page 18: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

11

1.5. Die ganz großen Nazis

Gregor Auinger

>%#+(2/!*#+ -($+9%+*#3/&*&4+!3(+ -&+5*&+ )*$9$*&+V3'*&+5*(+W#-*'*(+ -&+5*&+WPJ;*&+5*#+'*8"/*&*&+

Nazis im Stift Kremsmünster vor sich ging. Angst hatten sie nie wirklich fühlen müssen, da sie früh

genug über ihre Flucht informiert worden waren. Eben jene war bereits Wochen vorher vorbereitet

worden und so mangelte es den Slowaken in Österreich an nichts. Sogar Luxusartikel wurden aus

dem kleinen Karpatenstaat mitgebracht. Der gesamte Wert der Waren und Geldmittel die man mit-

geführt hatte beträgt heute über 25 Millionen Euro.

Am schwersten glaube ich lastete die Ungewissheit auf ihren Schultern. Sie waren aus der Slowakei

'*8"/*&4+%=+&-2/$+-&+5-*+OR&5*+5*#+0%((*&+9%+;3))*&4+53+5*#*&+0%;+(*/#+(2/)*2/$+!3#B+>%&+6*#!*-)-

ten sie in einem der größten Kloster des Landes mit über tausend anderen Flüchtlingen und muss-

ten auf die Amerikaner warten. Diese kamen über Italien und die Alpenpässe nach Oberösterreich,

ließen sich aber Zeit mit der Eroberung. Die Russen hingegen rollten über die verbliebenen Vertei-

digungstruppen schneller hinweg als jemals zuvor und so wurde der Wettlauf um Oberösterreich zu

einem nervenaufreibenden Ereignis.

Viel mehr aber sollte man auf die Angst vor der Behandlung durch die Amerikaner und deren Be-

wertung ihrer Kriegstätigkeit mit in Erwägung ziehen. Die slowakischen Flüchtlinge waren allesamt

ehemalige hohe Beamte des slowakischen Vasallenstaates und somit in alle Verbrechen und Mis-

setaten der Regierung involviert. Da man bei den Russen sicher mit dem Tod rechnen musste, war

=3&+&32/+W#*=(=1&($*#+'*812/$*$B+Q-*+7%()-*;*#%&'(J")-$-.+5*#+7=*#-.3&*#+3<*#+!3#+(*/#+%&5%#2/-

schaubar und unberechenbar, aber eben um vieles besser als jene der Roten Armee.

Hoffnung auf ein straffreies Entkommen gab es fast nicht mehr. Wer die Gelegenheit hatte, unbe-

obachtet das Land zu verlassen, hatte sich schon sein neues Zuhause in Südamerika oder Süd-

afrika eingerichtet. Da Tiso als Priester gute Kontakte zum Vatikan unterhielt, konzentrierte sich

die Mehrheit der Wünsche auf eine positive Nachricht aus dem Kirchenstaat. Vielen Nazis war es

vorher schon gelungen mit gefälschten Pässen und der Hilfe einzelner kirchlicher Persönlichkeiten

T)%2/$!*'*+3%(+H%#"J3+9%+@&5*&B+Q3+0"=+3<*#+(2/"&+9%=+<*(*$9$*&+F*<-*$+'*/P#$*4+'*($3)$*$*+

sich dies immer schwieriger.

Freude oder andere positive Gefühle waren in jenen Tagen wahrscheinlich rar gesät. Die Politi-

ker hatten zwar nun endlich genügend Zeit für ihre Familien, jedoch glaube ich lasteten die oben

genannten Gefühle zu schwer auf ihrer Seele, um vollkommen ungestört das Ambiente mit ihren

Liebsten zu verbringen.

Bei der ortsansässigen Bevölkerung waren die Fremden sehr beliebt. Man hörte immer wieder Lob

von allen Seiten gegenüber Tiso und seinem Gefolge, da sie wahrscheinlich regen Tauschhandel,

vor allem mit den massenweise mitgeführten Zigaretten, betrieben. Außerdem las Tiso, der Priester

war, regelmäßig die Messe im Stift.

Die Angst vor den begangenen Taten musste aber letztendlich so groß geworden sein, das Tiso

(*)<($+6"#+5*&+7=*#-.3&*#&+812/$*$*B+E&+:3K*#&+6*#(%2/$*+*#+1<*#+*-&*&+<*;#*%&5*$*&+:-(2/";+7%(-

reisepapiere zu erhalten, wurde jedoch von der Besatzungsmacht entlarvt und überführt.

Page 19: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

12

Page 20: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

13

1.6. Ein vierzehnjähriger Windischgarstner

Anna Kirchweger

F#%&5)3'*A+W3J-$*)+XBYB+V"5*(=R#(2/*+%&5+F*(J#R2/+N-2/3*)+O3%&(2/=-5$(+Z[3\+=-$+(*-&*=+F#"M-

vater, Otto Kniewasser, Windischgarsten im Jänner 2012.

April 1945, südliches Oberösterreich. Ein 14-jähriger Bub wird Zeuge der grausamen Realiät des

Zweiten Weltkrieges. Er sieht, wie Menschen getrieben werden, wie Tiere, ihr Ziel ist für die meisten

der sichere Tod. Der Junge weiß, was es mit diesen Menschen auf sich hat, es sind Juden. Etwa 200

oder 300 Menschen, oder das, was von ihnen noch übrig geblieben ist. Er wollte sie sehen, ist dar-

um auf sein Fahrrad gestiegen und hinein gefahren Richtung Spital. Was er da sieht, ist ein langer

Zug von Menschen, die sich weiterschleppen, ihr Hab und Gut bei sich tragend. Judentreiben, so

hat man das damals genannt. So hörte man damals davon. Er fragte sich immer wieder, was diese

Menschen wohl verbrochen haben, denn wieso würde man sie sonst so unmenschlich behandeln.

Er, der Zuschauer dieses Treibens weiß, dass er nichts dagegen tun kann, auch wenn er es wollte.

Die Frage stellte sich gar nicht. Das war die Welt der Erwachsenen.

Sein Vater hätte bei diesem Zug auch dabei sein sollen, als Bewacher. Sein Vater, der „Treiber“?

Was hätte sein Vater wohl getan, wenn er das, was da vor sich ging, mit eigenen Augen gesehen

hätte? Niemals hätte er daran teilnehmen können. Oder doch? Der Bub ist sich nicht sicher. Warum

diese Menschen? Warum werden diese Menschen in den Tod getrieben, was unterschied sie von

ihm? Was konnten Frauen, Kinder, Greise schon verbrochen haben, um so behandelt zu werden?

Er fand keine Antwort.

Er sieht, wie die Gefangenen einander stützen, um ja nicht stehen zu bleiben. Sonst würden sie an

Ort und Stelle erschossen werden, das wussten die Häftlinge und das wusste auch der Bub. Warum

durfte er leben und diese Menschen dort nicht? Und wer entschied darüber? Fragen, die er lieber

keinem stellte, er behielt sie für sich.

Page 21: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

14

Page 22: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

15

1.7. Seiten wechseln

Anna Kirchweger

F#%&5)3'*A+W3J-$*)+XB]B+^E&&*#*+T)%2/$_+5*(+,")-9*-";@9-*#(+,3(`%3)-

Q-*+)*$9$*&+W#-*'(="&3$*4+5*#+W3=J;+-($+)R&'($+6*#)"#*&4+53(+!%(($*+3%2/+5*#+,")-9*-";@9-*#B+H#+!"))-

te auch keinen Sieg mehr. Was hatte dieser Krieg noch für einen Sinn? Fünfzehnjährige werden als

Kanonenfutter an die Front geschickt. Jeder weiß mittlerweile, dass die Meisten wohl nicht mehr zu-

rückkommen werden. Hitler und die Hoffnungen, die er in ihn gesetzt hat, sind tot. Er dachte bereits

an ein Leben nach dem Krieg, denn er wusste, dass dieser bald verloren sein würde. Darum schloss

er sich dem Widerstand an. Er weiß, dass die Meisten dem Nationalsozialismus positiv gegenüber

gestanden waren. Zu Anfang auf jeden Fall, aber auch jetzt noch waren es Viele. Er könnte nun sa-

gen, dass er die Schandtaten der Nazis früher erkannte hatte und auf die richtige Seite gewechselt

war. Auf die Siegerseite. Er wollte auch noch ein Leben nach dem Krieg haben, ein vernünftiges

Leben mit Arbeit und seiner Familie, den Kindern. Seine Nazivergangenheit hinter sich lassen und

nach vorne schauen. Von Durchhalteparolen wollte er nichts mehr wissen, hatte schon genug geop-

fert für Hitler und dessen Krieg. Seiner war es schon lange nicht mehr. Seine Vergangenheit hatte er

dem Führer schon gegeben, seine Zukunft wollte er behalten. Eine Zukunft, die schön werden sollte,

behaglich und ruhig. Der Krieg sollte vergessen sein. Da klopfte es an der Tür. Wer konnte das um

die Zeit sein?

Page 23: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

16

Page 24: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

17

2. Das Kriegsende in Oberösterreich1

Martin Kreuzinger

„Oberdonau wird gehalten!“ Diese Durchhalteparole des Gauleiters, August Eigruber brachte die

Oberdonau-Zeitung am 9. April 1945 auf der Titelseite. In der Folge wurden im Land an wichtigen

Brücken und Straßen Sprengkörper angebracht. Als Propagandaminister Goebbels zum Hecken-

schützenkrieg aufrief, antworteten die Alliierten am 25. April mit schweren Luftangriffen auf Linz, die

den endgültigen Zusammenbruch einleiteten. Einige fanatische SS-Verbände entfernten daraufhin

weiße Fahnen und errichteten Panzersperren. Diese Aktion hätte schwerwiegende Folgen haben

können, wenn sich nicht in einigen Orten Widerstandsgruppen gebildet hätten, die oft erfolgreich

gegen die Verbände ankämpften.

Am 30. April gelang es der US-Army erstmals die Grenzen Oberdonaus zu überschreiten. Aufgrund

des Ablebens Hitlers am selben Tag, herrschte im Land eine ziemlich angespannte Stimmung. Es

war natürlich nichts vom Suizid berichtet worden, laut Medien starb der Führer den Heldentod. Poli-

tisch war für viele der Tod Hitlers eine Erleichterung, da es für möglich gehalten wurde sich mit den

Westgegnern zu verbünden. Als Nachfolger von Hitler wurde Großadmiral Karl Dönitz ernannt, der

im Westen Teilkapitulationen anzubieten versuchte. Im Gegenzug sollte dafür im Osten Widerstand

geleistet werden. Die Hoffnung, dass diese Taktik des „reversement of alliances“ erfolgreich sein

würde, war jedoch bald zerstört.2 Die Amerikaner drangen immer weiter vor und lieferten sich am 2.

Mai in Eferding heftige Kämpfe mit Resten der 2. SS-Panzerdivision, die sich aus Passau zurückge-

zogen hatte.3++7&5*#*+I$R5$*+!%#5*&+.3=J8"(+<*(*$9$B+

Gauleiter Eigruber und andere Parteimitglieder setzten sich am 4. Mai in Richtung Kirchdorf an der

Krems ab. Vom 4. auf 5. Mai wurde Linz mit amerikanischem Artilleriefeuer belegt und die Verhand-

)%&'*&+<*91')-2/+*-&*#+.3=J8"(*&+a<*#'3<*+!%#5*&+*#($+3=+N"#'*&+5*(+bB+N3-+3<'*(2/)"((*&B+

Kurz nach 11 Uhr vormittags rollten die ersten amerikanischen Panzer in Linz ein. Die NSDAP und

damit die bestehende Gesetzgebung wurden von den amerikanischen Besatzungsbehörden aufge-

löst. Des Weiteren beendete am 5. Mai das Wehrbezirkskommando in Kirchdorf an der Krems seine

VR$-'.*-$*&B+H-&-'*+>3$-"&3)("9-3)-($*&+6*#(%2/$*&+9%+8-*/*&4+5*#+F#"M$*-)+3<*#+!%#5*+3=+cB+N3-+-&+

Windischgarsten gefangen genommen.

Die Befehle, die der kommandierende amerikanische General in Linz gab, waren deutlich strenger

3)(+D*&*+-&+W-#2/5"#;A

1. Die Straßen sind bis längstens 13 Uhr vollständig zu räumen. Wer sich nach diesem Zeit-

!"#$%&'"(&)*+&,%+'-*&.*/#)*%0&12+)&*+345633*#7

4. Zwei Tage lang hat die Bevölkerung in ihren Häusern zu verbleiben, ausgenommen 2 Stun-

den am Morgen von 7 bis 9 Uhr und am Abend von 16 bis 18 Uhr. Ausnahmsweise heute von

18 bis 20 Uhr.

5. Wenn aus einem Haus geschossen wird, werden 5 Häuser dem Erdboden gleichgemacht.4

1 Zahlen, Daten und Fakten stammen, wenn nicht anderes angegeben, aus Kurt Cerwenka, Oberöster-reichische Heimatblätter, 49. Jahrgang 1995, Heft 1, 47-52.

2 Vgl. Ebda, 71.d+ N1&5)-2/*+7%(.%&;$A+7&$"&+7(2/3%*#+Z0*'-"&3)/-($"#-.*#\4+deBYBfeYfB4 Kurt Cerwenka, Kriegsende, 92

Page 25: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

18

Noch am 5. Mai wurde das Konzentrationslager Mauthausen befreit und viele Überlebende in Linzer

Krankenhäuser gebracht. Einen Tag später am 6. Mai 1945 fand das letzte Gefecht des 2. Welt-

krieges auf oberösterreichischen Boden statt. Im Verlauf lieferten sich SS-Verbände einen heftigen

Kampf mit einer amerikanischen Panzereinheit im Raum Ennsdorf.5 Währenddessen setzte sich der

Großteil der deutschen Armee nach Westen ab.

An der Ennsbrücke reichten sich am 8. Mai Amerikaner und Russen die Hände und einen weiteren

Tag darauf, wurde der Waffenstillstand in Berlin unterschrieben. Somit wurden die vereinbarten De-

markationslinien, welche die Besatzungszonen voneinander trennten, verwirklicht.

Die 1. Panzerdivision wurde am Abend des 9. Mai in völliger Ordnung an die US-Streitkräfte über-

geben und besonders zu dieser Zeit wurden viele Soldaten einer Frontdivision an die Rote Armee

ausgeliefert, jedoch blieb genau dieses Schicksal der großen Gruppe der 1. Panzerdivision erspart.6

Als sehr feierlich eine Proklamation zur Wiederherstellung der Republik Österreich von allen Vor-

ständen der drei damals zugelassenen Parteien unterschrieben wurde, konnte der Wiederaufbau

Oberösterreichs beginnen. Am 16. Mai wurde Dr. Adolf Eigl zum Landeshauptmann durch die Mili-

tärregierung bestellt und einen Tag später wurde die provisorische OÖ. Landesregierung ernannt.

Q35%#2/+!%#5*&+7%('3&'(6*#<"$*+<*(2/#R&.$+%&5+5-*+?3&5*(#*'-*#%&'+*#)-*M+H&$&39-@9-*#%&'(g

bestimmungen für Landesangestellte.7 Der Krieg war überstanden.

b+ h#$(3&'3<*A+=1&5)-2/*+7%(.%&;$+6"&+7&$"&+7(2/3%*#+Z0*'-"&3)/-($"#-.*#\4+deBCR&&*#+feYfB6 Schriftliche Mitteilung von Ludwig Graf von Zech-Burckersroda an Direktor Rudolf Stanzl vom 20. Mai

1986, Privatarchiv Stanzel.7 Marckhgott, Gerhart, Alois Zauner und Konrad Rauch. Oberösterreich April bis Dezember 1945; ein

Q".%=*&$3$-"&(<*#-2/$B+?-&9A+hPB+?3&5*(3#2/-64+Yc[Y4+YfXB

Page 26: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

19

3. Das Kriegsende im Bezirk Kirchdorf an der Krems

Martin Kreuzinger und Martin Binder

Gauleiter Eigruber traf am 4. Mai 1945 mit einem kleinen Stab in Kirchdorf ein. Auch Regierungs-

präsident Dr. Palten war dem Gauleiter gefolgt und übergab der örtlichen Gendamerie die Verant-

wortung für Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Bezirk zu sorgen. In Weinzierl wurde für Eigruber ein

„Ausweichstudio“ errichtet, von dort aus wandte er sich wenige Stunden bevor er sich nach Win-

dischgarsten absetzte zum vorletzten Mal über den Drahtfunk an die Bewohner von „Oberdonau“. Er

informierte die Bevölkerung über den aktuellen Frontverlauf und mahnte, dass auch in den „letzten

Stunden der Freiheit Ordnung zu halten“8 sei. Wenig später passierte der Konvoi des Gauleiters

Klaus an der Phyrnbahn, wo Eigruber einen jungen Leutnant erschießen ließ, weil sich dieser abfäl-

lig über die Flucht des Gauleiters geäußert hatte.

Am Samstag den 5. Mai 1945 erreichte der Gauleiter Eigruber Windischgarsten, wo er gleich nach

seiner Ankunft in den Amtsräumen der Gemeinde sein Hauptquartier aufschlug.9 Eigruber erklärte,

er werde das Garstnertal auf jeden Fall verteidigen, da dies auch mit geringen Kräften möglich sei.

Nachdem Linz, Wels und Steyr befreit waren, rüsteten sich die Amerikaner nun zum Sturm auf die

“Alpenfestung“ und stellten eine neue Kampftruppe zusammen.10 Am Sonntag, dem 6. Mai 1945,

rückten die Amerikaner über den Magdalenaberg Richtung Kirchdorf vor. Eine SS-Truppe von 3000

Mann sollte ihnen auf der Sattelhald in den Rücken fallen. Fünf Männer der Widerstandsbewegung

-&+N-2/*)5"#;+!"))$*&+D*5"2/+*-&*+.3=J8"(*+a<*#'3<*+W-#2/5"#;(+%&5+N-2/*)5"#;(+*##*-2/*&B11

In der Nacht vom 5. Auf den 6. Mai wurden einige Hitlerjungen, die sich an verschiedenen strate-

gisch günstigen Straßenabschnitten platziert hatten, um von dort aus vorrückende amerikanische

Fahrzeuge mit Panzerfäusten abzuschießen, entwaffnet und nach Hause geschickt. Am 6. Mai fuh-

ren die fünf „Parlamentäre“, darunter Dipl. Kfm. Grosa, der frühere Leiter der Widerstandsbewegung

Fischer, der Micheldorfer Pfarrer Stögmüller, Bezirkshauptmann Hofrat Kienmoser und Hauptmann

Still12 dem amerikanischen Bataillon entgegen um sie vor dem Hinterhalt in Klaus zu warnen. Hofrat

Raimund Kienmoser (Bezirkshauptmann bis 1938) hatte zwar schon weiße Flaggen in Kirchdorf

hissen lassen, doch wollten die fünf Männer auf diese Weise möglicher bewaffneter Gegenwehr

fanatischer Nazis vorbeugen. Die fünf „Parlamentäre“ mussten den amerikanischen Militärkonvoi

an der Spitze, also in erster Position, nach Kirchdorf bringen. Es kam allerdings zu keiner Form des

militärischen Widerstandes seitens der Nationalsozialisten. In Kirchdorf wurden die Amerikaner be-

reits mit weißen Fahnen empfangen. Die „Kreisstadt“ war somit den Besatzungstruppen übergeben.

Als die Amerikaner kurz vor Klaus standen schickte ihnen der in Windischgarsten weilende Gaulei-

ter August Eigruber daraufhin Parlamentäre entgegen um Kapitulationsverhandlungen zu führen.

8 Oberdonau Zeitung vom 9. April 1945, Nr. 82, 8 (18) Jg., Titelseite9 SCHEER – Kriegsende Windischgarsten, 4.10 Vgl. HINDINGER – Kriegsende, 23.11 Vgl. Hans Still, Gedächtnisprotokoll zum 6. Mai 1945 in Kirchdorf vom 10. Mai 1945, Privatarchiv

Aschauer, S. 2. Das Protokoll enthält die Namen der Parlamentäre und stellt einen vierseitigen Detail-bericht dar. Hauptmann Still vom Deutschmeisterregiment war bis 6. Mai 1945 Stadtkommandant von Kirchdorf, 1.

12 Vgl. ebda, 3.

Page 27: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

20

Eigruber versuchte die Amerikaner zu überzeugen, dass man gemeinsam gegen die sowjetischen

Truppen vorgehen könnte.13 Dieser Vorschlag wurde allerdings nicht angenommen und so verließ

H-'#%<*#+3=+iB+N3-+%=+ebAee+T#1/+j-&5-(2/'3#($*&B++7=+>32/=-$$3'+5*((*)<*&+V3'*(+#12.$*&+5-*+

Amerikaner schließlich in der Gemeinde Windischgarsten ein, die von Bürgermeister Scheer per-

sönlich übergeben wurde.

13 BACHNER - Kriegsende Kirchdorf, 26.

Page 28: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

21

4. Flucht als AlltagEvelyn Aigner und Martin Binder

Fluchtversuche und Fluchtbewegungen stellen eine zentrale Thematik bezüglich des Kriegsendes in

Oberösterreich und insbesondere im Bezirk Kirchdorf an der Krems dar. Im folgenden Kapitel wer-

den einige höchst unterschiedliche Fluchtbewegungen behandelt. Keinesfalls darf man annehmen,

dass nur Nationalsozialisten die Flucht ergriffen, als das Ende des Dritten Reichs abzusehen war.

Bei den Todesmärschen durch den Bezirk Kirchdorf an der Krems handelte es sich im engeren Sin-

ne um die Flucht der NS-Täter. Der Plan war, potentielle Zeugen für ihre Taten zu beseitigen und so

schafften sie ihre Häftlinge (meist Juden und Zwangsarbeiter) von der burgenländisch-ungarischen

Grenze durch unseren Bezirk Richtung Mauthausen.

Der damals bekannteste Flüchtling im Raum Kirchdorf war der slowakische Staatspräsident Dr. Jo-

9*;+V-("4+5*#+<*-&3/*+=-$+(*-&*#+'3&9*&+0*'-*#%&'+-&+53(+I$-;$+W#*=(=1&($*#+8"/B+I-*+8"/*&+6"#+5*#+

antifaschistisch gesinnten slowakischen Bevölkerung und den Sowjets.

Der deutsche Gesandte in Pressburg, Hanns Ludin, war ein Freund Hitlers und Mitglied der SA

'*!*(*&B+H#+8"/+-&+53(+I2/)"((+W#*=(*''+&32/+W#*=(=1&($*#+%&5+!%#5*+(JR$*#+6"&+5*&+7=*#-.3-

nern aufgegriffen und in ein Kriegsgefangenenlager gebracht.

Der Gauleiter von Oberdonau, August Eigruber, war schon in seiner Jugend von der nationalsozialis-

tischen Ideologie begeistert, welche er in seinem späteren Leben auslebte. Er und andere Parteimit-

glieder setzten sich am 4. Mai in Richtung Kirchdorf an der Krems ab. Er versteckte sich einige Tage

-=+E==*#)+F("))4+!"+*#+6"&+(*-&*=+I2/!3'*#+%&5+*-&-'*&+Q"#;<*!"/&*#&+&"$51#;$-'+6*#J8*'$+!%#5*B+

Ein Förster bemerkte jedoch die Anwesenheit Eigrubers auf besagter Hütte und informierte den CIC.

Franz Ziereis, Lagerkommandant des KZ – Mauthausen, wurde im Mai 1945 von den Amerikanern

auf einer Hütte am Phyrn bei Spital gestellt und verhaftet.

Eine andere Perspektive gibt die bisher unveröffentlichte Geschichte des Polizeimajors Emil Pas-

quali, der gewissermaßen eine „innere Flucht“ vollzog, als er sich in den letzten Kriegstagen dem

lokalen Widerstand anschloss und daraufhin ermordet wurde.

Daneben gab es noch die tausenden Flüchtlinge aus Ungarn, Jugoslawien, dem Sudetenland und

der Slowakei.

Page 29: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

22

Page 30: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

23

4.1. Die Todesmärsche der ungarischen Juden

Anna Kirchweger und Deborah Größwagen

4.1.1. Vorgeschichte

Zur Geschichte der Todesmärsche ungarischer Juden durch das Kremstal14

Mitte Oktober 1944 gelang es der faschistischen Bewegung der Pfeilkreuzler in Ungarn die Macht

zu übernehmen. Daraufhin wurden 65.000 jüdische Männer und Frauen als sogenannte „Leihjuden“

rekrutiert und dem Deutschen Reich übergeben. Die Rekrutierten sollten den Südostwall (Burgen-

landgrenze) durch Schanzungsarbeiten absichern.

In der Folge wurden mehrere Transportzüge von Budapest nach Hegyeshalom an der ungarisch-

österreichischen Grenze bereitgestellt. Bereits bei diesem ersten Transport waren die Juden dem

Sadismus der Wachmannschaften gnadenlos ausgesetzt. Die Folge waren zahlreiche Opfer, die

die Entbehrungen und Strapazen nicht überlebten. Diejenigen, die lebend am Südostwall ankamen,

mussten schwere Zwangsarbeit verrichten.

Aufgrund der näher rückenden Roten Armee wurden die Lager am Südostwall aufgelöst. Auf den

Befehl Heinrich Himmlers an die Gauleiter von Wien, Niederösterreich, Steiermark und Oberdonau,

sowie Franz Ziereis, dem Kommandanten des KZs Mauthausen, sollten die Häftlinge nach Mauthau-

(*&+'*<#32/$+!*#5*&B+S-*#*-(+'3<+&32/+5*=+W#-*'+;")'*&5*(+9%+,#"$"."))A

“Die Juden vom Stellungsbau Südosten müssen zu Fuß aus allen Orten in Bewegung gesetzt

werden mit dem Ziel Mauthausen. 60.000 Juden sollten in Mauthausen ankommen: Es ist aber

nur ein geringer Bruchteil davon eingetroffen.- Als Beispiel führe ich an: Ein mit 4500 Juden

abgegangener Transporter kam nur mit 180 Häftlingen an. Von welchem Ort dieser Transport

abgegangen ist, weiß ich nicht. Frauen und Kinder waren ohne Schuhe, in Lumpen gehüllt und

verlaust. Bei dem Transport befanden sich ganze Familien. Unzählige waren auf dem Weg

wegen allgemeiner Körperschwäche erschossen worden.“ 15

Ungarische Juden, die am Südostwall Zwangsarbeit verrichteten, mussten die Strecke vom heutigen

Burgenland auf verschiedenen Routen, unter anderem durch die Steiermark und schließlich den

Präbichl beziehungsweise über den Pyhrnpass nach Oberdonau zu Fuß zurücklegen.16

:*-+5-*(*&+V"5*(=R#(2/*&+("))$*&+5%#2/(2/&-$$)-2/+Xe+.=+J#"+V3'+9%#12.'*)*'$+!*#5*&B+Q-*+G*#J8*-

gung war mangelhaft oder fehlte gänzlich. Die Häftlinge ernährten sich von Würmern, Schnecken

oder Grasbüscheln. Ebenso durchwühlten Häftlinge Komposthaufen mit bloßen Händen um darin

nach Kartoffelschalen zu suchen.17 Tote blieben auf Rastplätzen zurück, marschunfähige und gänz-

14+ S3/)*&4+Q3$*&+%&5+T3.$*&+<*#%/*&4+!*&&+&-2/$+3&5*#(+3&'*'*<*&+3%;A+j");#3=+,*$*#+W3($&*#4+7&$"&+Aschauer und Rudolf Stanzel, Furchtbare Wege. Der Todesmarsch ungarischer Juden durch den Be-zirk Kirchdorf, Kirchdorf an der Krems, 2007.

15 O.A., „Beichte des Lagerkommandanten von Mauthausen SS-Standartenführer Franz Ziereis“, Stutt-'3#$A+G*#*-&+^Q3(+?-2/$_4+YcXi4+iB

16+ G')B+V"<-3(+j3)$*#+:32/&*#4+Q*#+:*9-#.+W-#2/5"#;+3&+5*#+W#*=(+YcXbA+W#-*'(*&5*+%&5+>*%<*'-&&+%&5+eine fachdidaktische Einbettung der Thematik, Diplomarbeit, Innsbruck 2006, 56.

17 Vgl. Rudolf Stanzel, Der Todesmarsch der ungarischer Juden über den Pyhrn im April 1945, unveröf-

Page 31: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

24

lich Erschöpfte wurden erschossen und manchmal sogar lebendig verscharrt.

C"/&+N32(3-4+'*<"#*&+3=+feBeXBYcf]+-&+:%53J*($+*#-&&*#$+(-2/A

„Die Deutschen sagten, die Kranken würden von einem Lastwagen aufgelesen, aber wir wuss-

ten, was das bedeutete. Ich hatte die Wahl, bei meinem Vater zu bleiben und zu sterben, oder

ihn alleine sterben zu lassen. Ich traf die Entscheidung, und ich war nicht glücklich darüber. Es

ist schwer darüber zu reden. Das hat mein Leben gerettet. Wäre ich geblieben…“18

Die Bewachungsmannschaft war zusammengestellt aus bewaffneten Zivilisten oder Volkssturmmän-

nern, Mitgliedern der HJ, in geringer Zahl auch aus der örtlichen Gendarmerie. Die Transportleitung

erfolgte durch die Waffen SS. Diese waren es auch die Erschießungen durchführten oder befahlen.

Morde wurden aber auch von lokalen Wachmannschaften – Volkssturmmännern, Gendarmen und

in manchen Fällen auch von HJ- oder SA-Mitgliedern begangen. Klaus Lohrmann, Direktor des Ins-

$-$%$*(+;1#+F*(2/-2/$*+5*#+C%5*&+-&+k($*##*-2/+(2/#*-<$A

„Viele, allzu viele Österreicher waren an den tausenden Morden, die während der Märsche

an den Juden begangen wurden aktiv beteiligt. Mehr noch: Hier war zum ersten Mal evident,

eindeutig überprüfbar und von allen Augenzeugen übereinstimmend belegt, was man nach

1945 immer wieder geleugnet oder auf andere geschoben hatte: Österreicher, biedere Famili-

*#89%*+0&56#6+2:*&;<+:*+0&=*2-2:*&>'#)1*+$*+0&1'+*#&)2*&?@+)*+7A19

Andererseits gab es auch Menschen die sich weigerten die Todesmärsche zu begleiten. So bei-

spielswiese ein Sozialist aus Spital am Pyhrn. In einem Gespräch mit dem Bürgermeister äußerte er

(-2/+;")'*&5*#=3M*&A+^*#+)3((*+(-2/+*/*#+*#(2/-*M*&4+<*6"#+*#+(-2/+<*-=+C%5*&$#*-<*&+<*$*-)-'*B_20

Ihm soll angeblich nichts geschehen sein.

Der Kontakt zu den Häftlingen wurde den Einheimischen von den begleitenden SS-Mannschaften

unter Androhung der Einlieferung in ein KZ strengstens untersagt. Der Bevölkerung wurden die

Marschkolonnen als ein Haufen unverbesserlicher Verbrecher angekündigt, die es nicht anders ver-

dient hätten. Bei den Häftlingen stieß dies auf völliges Unverständnis. Dr. Margot Gonda eine Über-

)*<*&5*+5*#+V"5*(=R#(2/*4+*#-&&*#$+(-2/A

„Ich erinnere mich, es war ein Sonntagmorgen, in einem österreichischen Dorf, und kleine

Mädchen gingen zur Kirche, in weißen Kleidern , ungefähr mein Alter, ich werde das nie ver-

gessen. Und ich sagte zu mir selbst: Wie kommt es, dass man gemacht hat, dass ich hier bin?

Was habe ich getan? Ich konnte mich nicht erinnern, irgendwas getan zu haben, dass ich nicht

so wie dieses Mädchen sein konnte.“ 21

fentlichtes Manuskript, Windischgarsten 2012. 1.18+ S*-$9*%'*&-&$*#6-*!+I$*6*+Q*&*&<*#'+=-$+C"/&+N32(3-B+E&A+j");#3=+,*$*#+W3($&*#4+7&$"&+7(2/3%*#+

und Rudolf Stanzel, Furchtbare Wege. Der Todesmarsch ungarischer Juden durch den Bezirk Kirch-dorf, 2007, Kirchdorf an der Krems, 21.

19+ :*&*5-.$+T#-*5=3&&A+^E!3&4+/3%+5-*+C%5*&l_B+Q-*+V"5*(=R#(2/*+%&'3#-(2/*#+C%5*&+5%#2/+k($*##*-2/+nach Mauthausen in April 1945. St Pölten 1989. Hrsg. vom Institut für Geschichte in Österreich. 22ff.

20 Wolfram P. Kastner/Anton Aschauer, Furchtbare Wege. Der Todesmarsch ungarischer Juden durch den Bezirk Kirchdorf, 2007; 44.

21+ S*-$9*%'*&-&$*#6-*!+ + 0/"53+ Q3%=gW*&&*#+ =-$+ Q#B+ N3#'"$+ F"&53B+ E&A+ j");#3=+ ,B+ W3($&*#m7&$"&+Aschauer, Furchtbare Wege. Der Todesmarsch ungarischer Juden im Bezirk Kirchdorf, 2007, Kirchdorf an der Krems; 11.

Page 32: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

25

4.1.2. Todesmärsche durch den Bezirk Kirchdorf22

Aufgrund von mangelnden Quellen ist es heute schwierig, die Todesmärsche durch den Bezirk Kirch-

dorf zu rekonstruieren. Da nur sehr wenige Eintragungen von Gendarmerie, Gemeinden und Pfarren

überliefert sind, sind die wichtigsten Quellen die Berichte von Zeitzeugen. Laut einer Broschüre zum

Festival der Regionen 200723 war es für die Zeitzeugen wegen der großen Zeitspanne, die seither

vergangen ist, schwierig, die Todesmärsche der Juden von den Märschen von Zwangsarbeitern und

Kriegsgefangenen zu unterscheiden. Das Datum der Todesmärsche ist durch Eintragungen in den

Gendarmeriejournalen eindeutig belegt (16. – 18. April 1945)24. Die Anzahl der Häftlinge wurde von

Zeitzeugen unterschiedlich geschätzt, da sie nicht immer in einer geschlossenen Marschkolonne

gingen.25

Von einem Marsch mit 1000 bis 1200 Personen ist überliefert, dass er am 7. April in Graz startete.

Die Menschen mussten zwei Passhöhen von über 1500 bzw. 1200 Metern überwinden, ehe sie

am 14. April in Liezen eintrafen. Von dort ging es weiter über den Phyrnpass (945 m) in den Bezirk

Kirchdorf. Durch die schwierigen Wegverhältnisse, die hohen Pässe und die schlechte Versorgung

soll der Zug in dieser Zeit auf ca. 800 Personen geschrumpft sein. Elf Tage nach seiner Abreise kam

der Todesmarsch schließlich in Sierning an. Danach verliert sich seine Spur. Wie er genau weiter-

geführt wurde, lässt sich nicht mehr genau festlegen. Sicher ist nur, dass er im Konzentrationslager

Mauthausen endete.

Die Berichte der Zeitzeugen in den verschiedenen Orten ähneln einander, doch gibt es auch immer

wieder Unterschiede. Allgemein war die Bevölkerung vom Zustand der Durchziehenden schockiert

und hatte Mitleid mit den Opfern. Jedoch versuchten nur wenige Einzelpersonen, ihnen mit Nah-

rungsmitteln und Getränken zu helfen, was vielleicht daran lag, dass jegliche Hilfe unter Strafan-

drohung verboten war. In Windischgarsten mussten die Juden zusätzlich noch schwere Steine auf-

nehmen, sodass sie keine Gaben entgegennehmen konnten. Ein Opfer, George Lowy, ist sich nicht

sicher, ob die Bevölkerung wirklich aus Barmherzigkeit half, oder zur allgemeinen Belustigung.26

„Es war schwer zu deuten, was ihr Motiv war: Sie warfen Brotstücke. Aber: Wir waren keine

wirklichen menschlichen Wesen mehr zu diesem Zeitpunkt, und sie beobachteten die Gruppen

von Menschen, die sich auf die Brotstücke stürzten. Haben sie das nun getan, um zu helfen,

oder weil es ein gutes Spektakel für sie war?“27

Nachts wurden sie mit einfachen Mitteln auf engem Raum eingepfercht, wie der damals neunjährige

Grünburger Josef Haunschmidt28+<*#-2/$*$A

B,2*&345C":*#&82*+&D=@4$*&2#&)2*&E+)*0&)2*&F2%&*2#*F&,*2C&8*+."#)*#&1"+)*#0&*2#&G"')+'%&86#&

22+ S3/)*&4+Q3$*&+%&5+T3.$*&+<*#%/*&4+ ;3))(+&-2/$+3&5*#(+3&'*'*<*&4+3%;A+7&$"&+7(2/3%*#mj");#3=+,B+Kastner (Hrsg.), Furchtbare Wege.Der Todesmarsch ungarischer Juden durch den Bezirk Kirchdorf (Ein Projekt im Rahmen des Festivals der Regionen 2007), 2007, Kirchdorf an der Krems.

23 Ebda, 43.24+ F*&53#=*#-*J#"$"."))+W)3%(4+%&J3'-&-*#$4+H-&$#3'%&'+6"=+YiBXBYcXb4+T"$"A+,#-63$3#2/-6+7(2/3%*#B25+ N1&5)-2/*+7%(.%&;$A+7&$"&+7(2/3%*#+Z0*'-"&3)/-($"#-.*#\4+deBYBfeYfB26+ S*-$9*%'*&-&$*#6-*!+:"&&-*+Q!"#.+=-$+F*"#'*+?"!K4+-&A+7&$"&+7(2/3%*#mj");#3=+,B+W3($&*#+ZO#('B\4+

Furchtbare Wege.Der Todesmarsch ungarischer Juden durch den Bezirk Kirchdorf, 18.27 Siehe 4028 Name nachgereicht von Manfred Martin, Regionalhistoriker, am 05.12.2011.

Page 33: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

26

etwa 10x10 m bildend. Darin mussten die Häftlinge, ca. 100-150 Mann, die Nacht verbringen.

Hinlegen war kaum möglich, wohl auch untersagt. Einer Frau, die ihnen eine Schale Milch

reichen wollte, wurde diese aus der Hand geschlagen, sodass diese verschüttet wurde. Sofort

stürzten sich die Häftlinge auf den Boden und versuchten die verschüttete Milch vom Gras

aufzuschlecken. Wir sahen auch, dass sie vor Hunger Gras aßen.“29

Die Reaktionen der am Straßenrand stehenden einheimischen Bevölkerung waren unterschiedlich.

Während einige dem Marsch Hassparolen entgegen schrien, waren selbst linientreue Nationalsozi-

alisten von dem Gesehenen erschrocken und begannen umzudenken. Wieder andere beruhigten ihr

Gewissen indem sie sich sagten, „dass es ja eh nur Juden gewesen seien und ihnen gewiss recht

geschehe.“30+H-&*+T#3%+3%(+IJ-$3)m,/K#&+*#9R/)$A

„Ich war wirklich eine Nationalsozialistin, doch wie ich gesehen habe, wie SSler durch Spital

am Pyhrn gegen Ende des Krieges Leute getrieben haben, war ich entsetzt. Es waren bei 30

Juden in Pyjamas, die man wie Tiere vor sich hertrieb. Das habe ich verurteilt.“31

Von Kirchdorf wird berichtet, dass während des Durchzugs viele Menschen am Straßenrand stan-

den und Totenstille herrschte. Die Bevölkerung war vom Anblick der heruntergekommenen Häftlinge

offenbar so schockiert, dass sich niemand ein Wort zu sagen wagte. Das steht im Widerspruch zu

der Aussage am Beginn des Kapitels 4.1.2., nach der viele Zeitzeugen die Ereignisse mit den Zügen

anderer Gefangener verwechselten. Offenbar waren die Todesmärsche für die Bevölkerung doch

sehr eindrucksvoll, wodurch es unglaubwürdig klingt, dass das Erlebte weitgehend vergessen bzw.

nicht von anderen Marschbewegungen unterschieden wurde. Hier muss allerdings berücksichtigt

werden, dass die Erinnerung und damit verbundene Unschärfen über sechs Jahrzehnte eine Rolle

gespielt haben. Zum Anderen waren die Ereignisse nicht „vergessen“ worden, sondern über diese

lange Zeitspanne verdrängt worden. Das Wachrufen dieser Erinnerungen durch die Interviews setz-

te einen Erinnerungsprozess in Gang, der sich erst langsam an die Ereignisse annäherte und in den

Anfangsstadien unscharf bleiben musste.32

29 Vgl. Anton Aschauer/Wolfram P. Kastner (Hrsg.), Furchtbare Wege. Der Todesmarsch ungarischer Juden durch den Bezirk Kirchdorf, 46.

30 Vgl. ebda., 49.31 Vgl. ebda., 44.32 Kommentar des Interviewers Anton Aschauer in einer Rückmeldung zur Arbeit am 30.1.2012.

Page 34: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

27

4.2. Der KZ-Kapo Anton Fehringer in Grünburg33

Bernhard Forster, Lisa Haller, Michael Haunschmidt

4.2.1. Einleitung

Der KZ-Kapo und Handlanger der SS, Anton Fehringer, welcher in Kirchdorf im Hotel Post verhaftet

wurde, führte ein kriminelles Leben. Er stand dem Leichenausgrabungskommando im KZ Krakau-

Plaszow vor, dem auch der berühmte Nazi-Jäger Simon Wiesenthal angehörte. Dieses Lager diente

außerdem als Schauplatz für den berühmten Film „Schindler´s Liste“. Durchaus von Interesse ist

Fehringers Weg von seiner Geburt in Wien bis zu seiner Verhaftung in Kirchdorf.

4.2.2. Kindheit und Jugend

Anton Fehringer wurde am 16. Juni 1920 in Wien geboren. Bereits 1927 kam sein Vater, ein gelern-

ter Fleischhauermeister, bei einem Autounfall ums Leben. Seine Mutter heiratete daraufhin einen

Tschechen, der die Fleischhauerei des Vaters übernahm. 1934 starb auch die Mutter von Anton

Fehringer. Der Vierzehnjährige musste nun bei seinem Stiefvater und dessen neuer Frau leben. Im

Jahr 193534 wurde er in die Erziehungsanstalt Kaiserebersdorf gebracht, als seine Stiefeltern be-

haupteten, Fehringer habe mehrmals Geld von ihnen gestohlen und sie kämen mit diesem schlech-

ten Verhalten nicht zurecht. Fehringer allerdings bestritt die Vorwürfe und argumentiert, dass seine

Stiefeltern ihn nur loswerden wollten, da er der Erbe der Fleischhauerei sei. Nachdem er in der

Erziehungsanstalt eineinhalb Jahre verbracht hatte, versuchte er sich auf eigenen Beinen zu halten.

Dies gelang ihm jedoch nicht und er musste in den Jahren 1938, 1939 und 194035 diverse Kerker-

strafen absitzen, da ihm Einbruch und Diebstähle zur Last gelegt wurden.

4.2.3. Konzentrationslager und Gefangenschaft

Schließlich wurde er 1940 als krimineller Häftling in das KZ Dachau überstellt. Von dort wurde er

194436 nach Krakau-Plaszow, einem Außenlager von Auschwitz, gebracht, wo er ein Jahr als Kapo

verbrachte. Hier kommandierte er ein Leichenausgrabungskommando, dem auch der berühm-

te Nazi-Jäger Simon Wiesenthal angehörte. Es wird in den Zeugenvernehmungen von mehreren

unabhängigen Quellen behauptet, dass Fehringer stets eine Zange im Stiefel stecken hatte, um

ausgegrabenen Leichen die Goldzähne entfernen zu können. Diese tauschte er mit der SS gegen

Schnaps. Außerdem liegen Aufzeichnungen vor, in denen Fehringer in Krakau-Plaszow gegenüber

seinen Mitgefangenen behauptete, er habe seine Eltern getötet .37 Jedoch ist unklar, warum er diese

Aussage machte, denn sie ist offensichtlich falsch. Man kann nur die Vermutung aufstellen, dass er

sich dadurch als abgebrühter Mörder darstellen wollte, um nicht als Kleinkrimineller entlarvt zu wer-

33+ G')BA+7))*+S3/)*&4+Q3$*&+%&5+T3.$*&+($3==*&4+;3))(+&-2/$+3&5*#(+3&'*'*<*&4+3%(A+hk?7B+I"&5*#'*-richte Linz/Politische Strafakten/Volksgericht, Sch. 367, Vg10 Vs 2047/47. Gerichtsakte Anton Fehrin-ger.

34 Gerichtsakte Fehringer - Hauptverhandlung 265, ebda.35 Gerichtsakte Fehringer - Hauptverhandlung 266, ebda.36 Gerichtsakte Fehringer - Hauptverhandlung 266, ebda.37+ G')BA+I32/()*/&*#4+C"/3&&*(A+Q*#+V"5+-($+*-&+N*-($*#+3%(+j-*&+g+?*<*&+%&5+V3$*&+5*(+7="&+?*"J")5+

Göth, Stiria, Wien, 2008, 287.

Page 35: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

28

den. Es wird ihm in seinem Nachkriegsprozess 1947 vorgeworfen, dass er in diesem Jahr als Kapo

seine Macht missbraucht habe und seine Mitgefangenen gequält haben soll. Schließlich wurde er

194538+-&+53(+WS+N3%$/3%(*&+1<*#($*))$4+3))*#5-&'(+8"/+T*/#-&'*#+3%;+5*=+j*'+5"#$/-&B+H#+=*)5*$*+

(-2/+53#3%;/-&+<*-+*-&*#+j*/#5-*&($($*))*4+!"+*#+3&'3<4+<*-+*-&*#+:3%@#=3+-&+W#3.3%+'*3#<*-$*$+9%+

/3<*&+%&5+53((+*#+6"&+5"#$+6"#+5*&+0%((*&+'*8"/*&+(*-B+7%;+5-*+T#3'*4+!"+5*&&+(*-&*+,3J-*#*+

(*-*&4+=*-&$*+T*/#-&'*#4+*#+/3<*+("+1<*#/3($*$+8-*/*&+=1((*&4+53((+*#+&-2/$+*-&=3)+=*/#+(*-&*+

Papiere mitnehmen konnte. So wurde er in die Wehrmacht eingegliedert und kam über Steyr nach

Grünburg. Dort wurde er nach Kriegsende in amerikanische Kriegsgefangenschaft genommen und

in ein Lager bei Lambach gebracht. Später wurde Fehringer wieder frei gelassen, da den Amerika-

nern von zwei Jugendlichen, die von Fehringer bevorzugt wurden, weisgemacht wurde, dass Fehrin-

ger unschuldig und kein Nazi sei. Es verschlug ihn nach seiner Freilassung zuerst nach Steinbach

an der Steyr und dann nach Kirchdorf, wo er am 31. Dezember 1945 erneut in amerikanische Haft

kam. Zwei Jahre später, am 10. Juli 1947 wurde er frei gelassen, jedoch am 5. September 1947,

nach nur wenigen Monaten Freiheit, wieder festgenommen. Er wurde ins „Lager 2 Pupping“ trans-

J"#$-*#$4+8"/+D*5"2/+3=+Y[B+I*J$*=<*#+YcXi+6"&+5"#$B+W%#9*+S*-$+(JR$*#4+3=+fcB+I*J$*=<*#+YcXi4+

wurde er in Wien abermals verhaftet.

4.2.4. Gerichtsverhandlung

Nach seiner Verhaftung wird Fehringer in Untersuchungshaft überstellt. Am 17. Mai 1950 kam er in

Linz vor Gericht.

Die Anklageschrift beinhaltet einerseits die Anschuldigung, dass Fehringer im KZ Krakau-Plaszow

Dr. Goldblatt, einen Häftling, durch Schläge und schwerste körperliche Arbeit misshandelt hatte und

dies zu Goldblatts Tod führte. Außerdem wurde Fehringer angeklagt, dass er durch Misshandlung

und Quälerei die Menschenwürde diverser Gefangener verletzt habe. Es gab einige Zeugen, die

gegen ihn aussagen und bestätigen, dass Fehringer viele Gefangene ohne Grund und im übertrie-

benen Maße bestraft und gequält habe. Allerdings wurden keine Augenzeugen, die den Mord an

Dr. Goldblatt bezeugen konnten, gefunden. So sagte Gisela Planca, eine Zeugin, vor Gericht aus,

sie habe Dr. Goldblatt auf einer Trage liegen sehen, sei in einem unbeobachteten Moment zu ihm

gegangen und habe von ihm erfahren, dass er strafweise in einem Steinbruch arbeiten musste.

In diesem Steinbruch, so wird Fehringer vorgeworfen, soll er Dr. Goldblatt mit Füßen getreten ha-

ben. Am selben Tag, an dem Gisela Planca mit Dr. Goldblatt sprach, starb dieser auf Grund seiner

schweren Verletzungen. Außerdem meinte die Zeugin gesehen zu haben, wie Fehringer nachts in

die Frauenbaracken schlich und von dort Frauen verschleppte39. Ein weiterer Zeuge, Simon Wie-

senthal, der am 15. September 1944 ins Lager Krakau-Plaszow gekommen war, arbeitete bei einem

Aufräumkommando, das die Leichen in den Massengräbern rund um das KZ ausgraben und ver-

brennen mussten. Er berichtete, dass Fehringer die Gefangenen eines Tages bis 2 Uhr nachts am

Appellplatz Strafübungen machen ließ und dabei auf sie einschlug. Die Hauptverhandlung fand am

bB+C%)-+Ycbe+-&+?-&9+($3$$B+Q3(+L#$*-)+)3%$*$*A+T*/#-&'*#+!%#5*+9%+(-*<*&+C3/#*&+(2/!*#*&+W*#.*#(+

verurteilt und „vierteljährlich“ in ein „hartes“ Lager überstellt.40+7%M*#5*=+!%#5*+*#+539%+6*#J8-2/$*$4+

für die Verhandlungskosten aufzukommen. Das Gericht begründete die Verurteilung Fehringers da-

38 Gerichtsakte Fehringer - Hauptverhandlung 270, 39 Gerichtsakte Fehringer – Zeugenaussagen, ebda.40 Gerichtsakte Fehringer - Urteil 283/284, ebda.

Page 36: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

29

mit, dass er seine Macht gegenüber seinen Mitgefangenen ausgenutzt und deren Menschenwürde

schwer verletzt habe. Vom Mord an Dr. Goldblatt wurde er jedoch freigesprochen.

4.2.5. Tod

In einer Niederschrift vom 28. August 1951 wird erkenntlich, dass Fehringer auf Grund einer fortge-

(2/#-$$*&*&+H#.#3&.%&'+;#*-'*)3((*&+!%#5*4+D*5"2/+%&$*#+5*#+7%83'*4+53((+*#+(-2/+*-&=3)+="&3$)-2/+

bei der Polizei zu melden hat.41 Anton Fehringer starb am 13. Juni 195342 um 20 Uhr im Hotel „Nord“

(zweiter Bezirk in Wien) an einem Herzinfarkt.

41 Gerichtsakte Fehringer - persönliche Niederschrift Fehringers, ebda.42 Gerichtsakte Fehringer - Sterbeurkunde 382, ebda.

Page 37: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

30

Page 38: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

31

4.3. Die slowakische Regierung und andere Nazigrö-ßen in Kremsmünster43

Gregor Auinger

4.3.1. Der slowakische Präsident - Jozef Tiso

Der damals wohl bekannteste Flüchtling im Raum Kirchdorf war der slowakische Staatspräsident Dr.

Jozef Tiso, welcher Anfang April 1945 mit beinahe seiner gesamten Regierung in das Stift Krems-

münster übersiedelte. Tiso war Priester und Mitglied der slowakischen Volkspartei unter Hlinka.

Nach dessen Tod übernahm er den Vorstand der Partei und wurde am 26. Oktober 193944 zum

Staatspräsidenten der ersten slowakischen Republik.

Das Stift war bereits am 3. April 1941 von den Nazis beschlagnahmt und schon am nächsten Tag,

dem 4. April 1941 von der Gestapo besetzt worden. Der Abt und ein Großteil der damaligen Priester

mussten im Zuge dessen das Kloster verlassen und konnten erst nach dem Krieg wieder zurück45.

In Kremsmünster wurde noch gegen Ende 1944 bekannt, dass bei weiterer Verschärfung der Kriegs-

lage die slowakische Regierung im Kloster ihr Lager aufschlagen würde. Am 8. November begannen

dann die Vorbereitungen für den möglichen Umzug, da die sowjetische Armee immer näher Richtung

slowakische Hauptstadt zog. Die Bedeutung des gesamten Vorfalls wird durch den Besichtigungs-

besuch des Gauleiters Eigruber am 6. Februar 1945 in Kremsmünster verdeutlicht. Die militärische

Lage in der Slowakei spitzte sich zu dieser Zeit immer mehr zu. Die Russen marschierten bereits

durch die Mittelslowakei und auch immer mehr Partisanengruppen erschwerten den Verteidigern

den Widerstand gegen die feindliche Armee.

Am 7. Februar 1944, nur einen Tag nach dem Besuch Eigrubers erreichten die ersten Regierungs-

=-$')-*5*#+53(+W)"($*#B+H-&-'*+j"2/*&+(JR$*#4+3=+fB+7J#-)+YcXb4+812/$*$*+3%2/+5-*+F*($3J"+3%(+-/#*#+

Stellung in Wien und belegte die Räume des Schülerheims. Neben den beiden oben genannten

Gruppierungen befanden sich im Stift auch noch über 1000 andere Flüchtlinge aus verschiedenen

Gebieten, unter anderem aus Schlesien, dem Banat oder Ungarn.

Während der letzten Wochen trafen immer mehr Mitglieder der slowakischen Regierung ein. Den

Schluss bildete schließlich am 5. April 1945 der Staatspräsident, Dr. Jozef Tiso, selbst mit seiner aus

40 Mann bestehenden Leibwache. Die Ankunft Tisos erfolgte auf die Stunde genau vier Jahre nach

der Vertreibung des Abtes Ignatius Schachermair am 5. April 1941. Nun war bis auf zwei Minister die

Regierung komplett vertreten. Ihr gehörte unter anderem auch der Cousin des Staatspräsidenten,

Štefan Tiso, damaliger Ministerpräsident, an.

In seiner Zeit in Kremsmünster bemühte sich Tiso gute Kontakte zu den lokalen Priestern im Stift zu

halten und ihnen unter anderem seine Handlungsgründe zu erläutern. Er erklärte ihnen, dass seine

politische Karriere vom Papst persönlich erlaubt worden war und er in Anbetracht der Lage keine

andere Wahl hatte, als die Slowakei an das deutsche Reich heranzuführen, wurde sie dadurch doch

43 Vgl. Tobias Walter Bachner, Das Kriegsende im Bezirk Kirchdorf, Innsbruck 2006, 47.44+ j-.-J3*5-3A+ H-&$#3'+ C"(*;+ V-("+ 6"&+ 0"&N*-*#A+ /$$JAmm5*B!-.-J*5-3B"#'m!m-&5*nBJ/JU$-$)*oC"9*;p

V-("q32$-"&o/-($"#K4+I$3&5+YcB+h.$"<*#+feYY4+9%)*$9$+'*J#1;$+3=+iB+>"6*=<*#+feYY45 Vgl. Rudolf Hundstorfer, Das Stift unterm Hakenkreuz, Kremsmünster 1961, 23.

Page 39: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

32

vor dem Krieg bewahrt.46 Dieses Motiv war durch die aktuellen Ereignisse ad absurdum geführt

worden.

Da die militärische Lage sehr ungewiss war, die Russen waren kaum noch zu stoppen, beschloss

die slowakische Regierung am 16. April 1945, dass man weiter nach Westen fahren und mit den

Amerikanern das Gespräch suche werde. Einer der anwesenden Priester, Pater Rankl, notierte in

seinem Tagebuch47, dass die Regierungsmitglieder wüssten, dass sie bei einer Festnahme in ihrem

Heimatland als Kriegsverbrecher verurteilt werden würden. Die Weiterreise war mit dem Zug ge-

plant, konnte aber aufgrund des Fehlens einer Lokomotive nicht durchgeführt werden. Tiso verließ

daraufhin am 23. April 1945 inkognito Kremsmünster und begab sich nach Bayern in die Stadt Altöt-

ting, wo er hoffte, der Münchner Erzbischof Kardinal Faulhaber könne ihn nach Rom schmuggeln.

Der Eindruck, den der slowakische Präsident in Kremsmünster hinterließ, war bei manchen Krems-

münsterern sehr positiv. Rankl beschrieb ihn als einen Ehrenmann, der es nur gut mit seinem Volk

gemeint habe, und auch vom restlichen Regierungsstab waren die Katholiken sehr angetan.48

Letztendlich wurde Tiso am 13. Juni 1945 vom amerikanischem Geheimdienst CIC (Counter Intel-

ligence Corps) aufgespürt und im Oktober 1945 an die erneut gegründete Tschechoslowakei aus-

geliefert, welche ihn vor ein Nationalgericht stellte. Die Anklage beinhaltete unter anderem das Be-

!-))-'*&+5*#+Q*J"#$3$-"&+6"&+*$!3+]eBeee+C%5*&4+=-$+5*#+I"&5*#3%83'*+J#"+3%('*(-*5*)$*&+C%5*&+

500 Reichsmark an das Deutsche Reich zahlen zu müssen. Damit noch nicht genug, verringerte

die Regierung von sich aus das Mindestdeportationsalter von 18 auf 16 Jahre, später schob man

sogar ganze Familien ab, nur um nicht für deren Unterhalt aufkommen zu müssen. Noch während

des Prozesses behauptete Tiso eine Umgehung des Judenproblems wäre nicht mit den damalig

herrschenden Verhältnissen in der Slowakei möglich gewesen.

Nach einem langwierigen Prozess verhängte das Gericht die Todesstrafe über Tiso. Die Hinrichtung

fand am 15.April 1947 statt. Mit ihm starben 17 der insgesamt 31 zum Tode verurteilten Regie-

rungsmitglieder. Sein Cousin Štefan Tiso, sowie weitere Politiker verbrachten den Rest ihres Lebens

-=+F*;R&'&-(4+!*&&+(-*+&-2/$+<*'&35-'$+!%#5*&B+H-&*=+V*-)+5*#+&32/+W#*=(=1&($*#+'*812/$*$*&+

Staatsmänner gelang die Flucht ins Ausland, vor allem nach Kanada, die USA und Rom.

Der Tod Tisos führte in dem slowakischen Teil der Tschechoslowakei zu Protesten und antitschechi-

schen Randalen, da die Beliebtheit des Präsidenten bei weiten Teilen der Bevölkerung immer noch

sehr hoch war. Von Teilen der westlichen Welt wurde das Todesurteil auch als Produkt eines Schau-

prozesses gesehen, legte die kommunistische Regierung doch großen Wert auf die Unterdrückung

der demokratischen Partei, deren Anhänger immer noch in Scharen Tiso gefolgt wären. So ist es

auch wenig verwunderlich, dass fünf der sieben Richter sowie der Gerichtsvorstand Mitglieder der

kommunistischen Partei waren und die Verteidigung des Präsidenten in ihren Handlungen nach sei-

&*#+H-&(2/R$9%&'+*-&'*(2/#R&.$+!%#5*B+H#(-2/$)-2/+!-#5+5-*(+5%#2/+5-*+)*$9$*&+j"#$*+5*(+,#-*($*#(A+

„Der Zusammenhalt der Nation sei getauft durch mein Opfer. Ich fühle mich als Märtyrer des

46 Rudolf Mundsdorfer, Das Stift unterm Hakenkreuz. Sonderabdruck aus dem 104. Jahresbericht des Gymnasiums zu Kremsmünster, Linz 1961, 77.

47 Ebda, 78.48 Ebda.

Page 40: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

33

slowakischen Volkes und des antibolschewistischen Standpunktes.“ 49

Auch heute wird Tiso von faschistischen und klerikal-konservativen Kreisen noch als slowakischer

Nationalheld gefeiert und speziell die slowakische Priesterschaft verteidigt ihren Märtyrer vehement,

!-*+D*&*(+S-$3$+6"&+r$*;3&+O*#s&K-4+*-&*=+()"!3.-(2/*&+,#-*($*#4+9*-'$A+

„Er war weder ein Mörder noch ein Verbrecher. Er war ein Mann, der sein Leben geopfert

hat.“50

Im Gegensatz zu salbungsvollem Lob Tisos51 stehen die Eindrücke von Prozessbeobachtern, wel-

che ihn als arrogante Persönlichkeit ohne Anzeichen von Reue darstellen.

Pavol Dobis, aus der slowakischen Flüchtlingsgruppe, veröffentlichte 1975 eine Schilderung der Er-

eignisse in Kremsmünster, die Tiso als Wohltäter der Juden in der Slowakei darstellt.52 Bei Bachner

kommt allerdings klar heraus, daß Tiso die Juden in der Slowakei loswerden wollte, an die deut-

schen eine Abschubsteuer entrichtete, obwohl es keinen Druck von deutscher Seite dazu gab.53 Laut

Dobis verloren die Slowaken in Kremsmünster auf ihrer Flucht einen Wert von 50 Millionen Schilling

(Wert 1975) durch Enteignungen seitens der Amerikaner und Einheimische andererseits. Wie sie zu

diesem Vermögen gekommen waren verrät Dobis nicht.54

49+ j-.-J3*5-3A+ H-&$#3'+ C"(*;+ V-("+ 6"&+ 0"&N*-*#A+ /$$JAmm5*B!-.-J*5-3B"#'m!m-&5*nBJ/JU$-$)*oC"9*;pV-("q32$-"&o/-($"#K4+I$3&5+YcBh.$"<*#+feYY4+9%)*$9$+'*J#1;$+3=+iB+>"6*=<*#+feYYB

50+ H63+F#%<*#"634+-&A+Q-*+S*-$A+/$$JAmm!!!B9*-$B5*mfeeimXem7gV-("4+6"=+f]BecBfeeiB51 Pavol Gejza Dobis, Staatspräsident Dr. Jozef Tiso in Oberösterreich. Linz 198252 DOBIS – Tiso in Oberösterreich, 31,32.53 BACHNER – Kriegsende in Kirchdorf, 50.54 DOBIS – Tiso in Oberösterreich, 47.

Page 41: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

34

Page 42: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

35

4.3.2. Der Gesandte des deutschen Reiches in der Slowakei – Hanns Ludin und sein Aufenthalt im Kremstal55

Hanns Elard Ludin kam am 10. Juni 1905 als einziges Kind von Friedrich, einem Gymnasialprofes-

sor, und Johanna Ludin, einer Malerin, zur Welt. Nach einer religiös und sehr deutsch-national ge-

J#R'$*&+W-&5/*-$+<*'3&&+*#+=-$+Yc+C3/#*&+5-*+7%(<-)5%&'+9%=+7#$-))*#-*";@9-*#+<*-=+^YeeBeeegN3&&g

Heer“ der Weimarer Republik. Während dieser Zeit knüpfte er erste Kontakte zu Hitler und als dies

publik wurde, verurteilte ihn das Reichsgericht in Leipzig im Jahr 1930 zu 18 Monaten Haft wegen

Vorbereitung zum Hochverrat und schloss ihn aus der Reichswehr aus, da er mit der NSDAP kons-

piriert hatte.

1932 trat er in die SA ein und arbeitete als Abgeordneter im Reichstag. Im selben Jahr heiratete er

Erla von Jordan, mit der er sechs Kinder hatte. In der kommenden Zeit durchlief er eine typische

SA-Laufbahn und überlebte zudem den Röhm-Putsch im Jahr 1934, bei dem ein großer Teil der SA-

Führung, darunter auch enge Weggefährten, getötet wurde. Hitler persönlich begnadigte ihn und be-

förderte ihn zum SA-Obergruppenführer (Drei-Sterne General). 1939 nahm er am Frankreichfeldzug

als Hauptmann der Wehrmacht teil, wo er bis 1940 diente.

Nach dem Frankreichfeldzug wurde er zum „Gesandten und Bevollmächtigten Minister des Deut-

schen Reiches“ in der Slowakei befördert, wo er die Stelle im Jänner 1941 antrat. Residenz bezog

er mitsamt der Familie in der arisierten Villa des jüdischen Fabrikanten Stein. In der folgenden Zeit

wurden die Straßen rund um das Wohnhaus von allen Juden „gesäubert“.

Als Vertreter des Deutschen Reiches war er maßgeblich an der Deportation von etwa 60 000 Juden

in die Konzentrationslager nach Polen beteiligt. Er erfuhr als Vertreter des Nazi-Regimes im Jahre

1944 eine partielle Entmachtung. Der Grund dafür war der Beginn des Slowakischen Nationalauf-

standes, welcher vom slowakischen Nationalrat geplant und organisiert wurde. Junge Männer ver-

suchten die strategisch wichtigen Pässe und Verkehrsverbindungen vor dem Eintreffen der sowje-

tischen Truppen zu befreien und für die Unterstützer freizuhalten. Aufgrund mehrerer unglücklicher

Umstände musste die gesamte Aktion frühzeitig gestartet werden und verlief deshalb nicht nach

Plan. Nach dem Einsatz von SS-Truppen brach der Widerstand.

?%5-&+(3/+(-2/+'*9!%&'*&+=-$+5*#+()"!3.-(2/*&+0*'-*#%&'+&32/+h<*#5"&3%+9%+812/$*&B+Q3+-=+I$-;$+

Kremsmünster kein Platz mehr für ihn und seine Familie war56, wurde er kurzerhand samt Familie,

Chauffeur und Entourage ins nahegelegene Schloss Kremsegg umquartiert. Um sich vor den geg-

nerischen Truppen zu verstecken, ließ er sich im sogenannten „Teppichkeller“ einem kleinen Dach-

boden, welcher nicht im Gebäudeplan eingezeichnet war einmauern. Nur ein kleines Loch verband

ihn mit der Außenwelt, durch welches er sich über den aktuellen Kriegsstand informieren ließ. Nach

5#*-+V3'*&+5*(+7%(/3##*&(+%&5+:3&'*&(+!"))$*+?%5-&+&-2/$+=*/#+%&5+812/$*$*+-&+5*&+N"#'*&($%&-

den mit dem Fahrrad. Die Tochter des damaligen Hausmeisters erinnerte sich an Ludin als einen

(*/#+&*$$*&+%&5+/P8-2/*&+N3&&4+!*)2/*#+<*-+5*&+N*&(2/*&+(*/#+<*)-*<$+!3#B57

Die amerikanischen Truppen griffen Ludin in den letzten Kriegstagen auf und brachten ihn in ein

Internierungscamp für Kriegsverbrecher. Ludin hatte damals mehrmals die Möglichkeit, aus den

55 vgl. Malte Ludin, Beiheft zur DVD „2 oder 3 Dinge die ich von ihm weiß“, arte, 2005.56 vgl. BACHNER - Kriegsende Kirchdorf, 50f.57+ 6')B+N3)$*+?%5-&A+H-&+"5*#+9!*-+Q-&'*+5-*+-2/+6"&+-/=+!*-MB+QGQ+3#$*4+feebB

Page 43: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

36

Camps auszubrechen. Er unterließ diese Versuche aber, wobei man den genauen Hintergrund dafür

nicht kennt. In einem dieser Lager lernte er Ernst von Salomon kenne, welcher die Begegnungen in

seinem Werk „Der Fragebogen“ verarbeitete.58

1946 lieferte die USA Ludin als Kriegsverbrecher an die neu gegründete Tschechoslowakei aus. In

seinen letzten Notizen hoffte er auf ein mildes Urteil seitens des Gerichtes, war er doch Vater von

sechs Kindern. Insgesamt erhob man 27 Anklagepunkte gegen den ehemaligen deutschen Ge-

sandten. Gleichzeitig fungierte er als Zeuge im Prozess gegen Tiso. Das Todesurteil wurde am 9.

Dezember 1947 vollstreckt.

58+ j-.-J3*5-3A+ H-&$#3'+ C"(*;+ V-("+ 6"&+ 0"&N*-*#A+ /$$JAmm5*B!-.-J*5-3B"#'m!m-&5*nBJ/JU$-$)*oC"9*;pV-("q32$-"&o/-($"#K4+I$3&5+YcBh.$"<*#+feYY4+9%)*$9$+'*J#1;$+3=+iB+>"6*=<*#+feYY

Page 44: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

37

4.4. Der oberösterreichische Gauleiter - August Eigruber59

Michael Haunschmied und Martin Kreuzinger

4.4.1. Biographisches

August Eigruber wurde am 16. April 1907 in Steyr geboren. Nach Abschluss einer vierjährigen Volks-

schule, vier Jahren Realschule und einem Jahr in einer Eisen- und Stahlfachschule absolvierte er

ein Praktikum als Mechaniker und Schlosser und war dann Vermessungsgehilfe und Hilfsarbeiter in

den Reithofferwerken.60 Der spätere Gauleiter von Oberdonau war schon in seiner Jugend von der

NS-Ideologie begeistert. Bereits mit 16 Jahren trat der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterju-

gend bei, 1926 wurde er dann vollwertiges Mitglied der NSDAP. 1928 war er wesentlich an der Grün-

5%&'+5*#+"<*#P($*##*-2/-(2/*&+O-$)*#D%'*&5+<*$*-)-'$B+7<+Ycd]+!3#+*#+";@9-*))+5*#+'*/*-=*+F3%)*-$*#+

von Oberösterreich. Im März 1938 trat Eigruber in die SA ein, wenngleich er wenig später im selben

Jahr zur SS als Standartenführer wechselte. Im Juni 1943 wurde er zum SS-Obergruppenführer

ernannt. Er vermied es, schwarze SS-Uniformen zu tragen, weshalb er in diesen auf Fotos kaum zu

sehen ist. Wesentlich zu seiner Verurteilung im Kriegsverbrecherprozess trug der Umstand bei, dass

er im April 1945 die Ermordung aller inhaftierten politischen Häftlinge, auch aller Oberösterreicher

im KZ Mauthausen anordnete.61

4.4.2. Eigruber in Kirchdorf an der Krems

Am 4. Mai 1945 traf Eigruber mit einem kleinen Stab in Kirchdorf an der Krems, genauer in der „Pöll-

hubervilla“ ein. Mit ihm zog ein letztes Aufgebot der „SS-Kampfgruppe Oberdonau“ (Regimentsgrup-

pe, Major Schlesinger) in die Alpenfestung. Eigruber führte aus Kirchdorf einige Telefongespräche,

unter anderem mit Dr. Ernst Kaltenbrunner, dem Leiter des Reichssicherheitshauptamtes. Mit die-

sem stritt er sich um die Sprengung der Stollen der ehemaligen Salzbergwerke im Salzkammergut.

Dort wurden aufgrund der steigenden Bombengefahr Kunstschätze, darunter die Privatsammlung

Hitlers, eingelagert. Um diese, wie Eigruber sagte, vor den Händen der Sowjets und Juden zu schüt-

zen wurden die Eingänge der Stollen auf Befehl von Eigruber zerstört. Die Kunstschätze konnten

jedoch am 17. Mai 1945 von Amerikanern unbeschadet geborgen werden.

Darüber hinaus befahl Eigruber in einem Telefonat mit Generaloberst Rendulic diesem, den Sender

Linz zu sprengen, wenn dort feindliche Truppen einmarschieren würden.

Außerdem wurde eigens für den Gauleiter beim Bauernhof Radinger62 in Weinzierl (damals „Pöllhu-

<*#6-))3_\+*-&+^7%(!*-2/($%5-"_+*##-2/$*$4+6"&+5*=+3%(+*#+3=+XBN3-+YcXb+%=+feAdd+L/#+9%=+6"#)*$9-

$*&+N3)+1<*#+0%&5;%&.+(J#32/A

„Der Feind steht im Raume Vöcklabruck, in Eferding, Haag am Hausruck und stößt gegen Linz

59+ S3/)*&4+L/#9*-$*&4+Q3$*&4+>3=*&+%&5+S-$3$*+($3==*&4+!*&&+&-2/$+3&5*#(+3&'*'*<*&+3%(A+:32/&*#4+V"<-3(+j3)$*#A+Q*#+:*9-#.+W-#2/5"#;+3&+5*#+W#*=(+YcXbA+W#-*'(*&5*+%&5+>*%<*'-&&4+E&&(<#%2.+fee]B

60+ N1&5)-2/*+7%(.%&;$A+7&$"&+7(2/3%*#+Z0*'-"&3)/-($"#-.*#\4+deBYBfeYfB61+ G')A+/$$JAmm5*B!-.-J*5-3B"#'m!-.-m7%'%($pH-'#%<*#4+'*;%&5*&+3=+bB+Q*9*=<*#+feYY62 Mündliche Auskunft Manfred Martin (Regionalhistoriker) am 7. November 2011

Page 45: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

38

vor. […] Unser Widerstand ist nur schwach und zögernd. Er soll Zeitgewinn bringen für die

Stärkung der Front im Osten. […] Auch in den letzten Stunden unserer Freiheit ist Ordnung zu

halten.“ 63

j*&-'*+I$%&5*&+(JR$*#+3=+bBN3-+YcXb+%=+eeAeb+L/#+*#;")'$*+(*-&+^)*$9$*#+7JJ*))_+1<*#+5*&+I*&5*#+

?-&9A+

„Die nördlich von Linz stehenden Truppen wurden durch die Linzer Flak wirksam bekämpft.

Doch ist Eferding genommen und mit Wels besteht keine Verbindung mehr. Aufgrund dieser

neuen militärischen Lage werden die eigenen Stellungen nördlich Linz geräumt. Dann kann

der Amerikaner in Linz einziehen. Die Stadt geht nach tapferer Gegenwehr verloren.“ 64

Gleich danach fuhr August Eigruber zusammen mit dem Kirchdorfer Kreisleiter Hermann Lacheiner

und Regierungspräsident Dr. Palten nach Vorderstoder. Auf dem Weg dorthin passierte der Konvoi

des Gauleiters die Ortschaft Klaus, wo eine Sperre errichtet worden war. Eigruber ließ einen jungen

Leutnant namens Georg Paul aus Bayern exekutieren, weil sich dieser abfällig über Eigrubers Flucht

geäußert hatte. Leutnant Paul wurde im Klauser Bergfriedhof beigesetzt. Sein Grab wird bis heute

'*J8*'$B+T#3&9+035&*#+3%(+IJ-$3)+3=+,K/#&+6*#=%$*$+*-&*&+3&5*#*&+7<)3%;4+!"<*-+&-2/$+*-&*+3<;R)-

lige Äußerung über Eigrubers Flucht Anlass zur Exekution gewesen sei, sondern Pauls Vorhaben,

den Konvoi näher zu untersuchen.65

4.4.3. Eigruber in Windischgarsten

Am Samstag den 5. Mai 1945 erreichte er Windischgarsten um 16 Uhr mit einigen Gefolgsleuten.

Dort angekommen erklärte er in den Amtsräumen der Gemeinde dem Bürgermeister Scheer, dem

Ortsgruppenleiter und dem Postmeister, dass er Linz aufgrund der geringen Truppenzahl nicht mehr

hätte halten können und dafür jetzt das Garstnertal verteidigen würde, da dies auch mit geringeren

Kräften möglich sei. Das Telefon und der Telegraf mussten ab diesem Zeitpunkt für ihn ständig zur

Verfügung stehen. In den nächsten Tagen telefonierte er lange mit „höheren militärischen Komman-

5*&_+%&5+*=J@&'+=*/#=3)(+h;@9-*#*B

Nachdem Kirchdorf von den Amerikanern besetzt wurde, setzten sie ihren Vorstoß erst am 7. Mai

1945 Richtung Süden fort. Als diese kurz vor Klaus standen, sandte ihnen Eigruber, als einziger

Gauleiter der „Ostmark“, Parlamentäre entgegen, welche die amerikanischen Truppen zu Kapitu-

lationsverhandlungen nach Windischgarsten einluden. Dorthin kamen die beiden amerikanischen

h;@9-*#*+h<*#($)*%$&3&$+T)*-(/*#+%&5+N3D"#+t3##4+3%;+5-*+5*#+S%($3&5+5*#+V#%JJ*&+(*/#+2/3"$-(2/+

wirkte, weil viele Fahrzeuge aufgrund Benzinmangels einfach in den Straßengraben gefahren wor-

den waren. Am Abend des 6. Mai verhandelte Eigruber „bei Sekt und Schnaps“ mit drei amerika-

&-(2/*&+h;@9-*#*&+-&+5*#+F*=*-&5*.3&9)*-B+H-'#%<*#+=*#.$*+'*'*&1<*#+:1#'*#=*-($*#+I2/**#+3&4+

63+ ?3&'"$/4+T#3&9A+Q3(+N-&%$*&J#"'#3==+u+F*53&.*&J#"$"."))+5*(+7<)3%;(+5*#+H#*-'&-((*+-=+03$/3%(+9%+?-&94+6"=+XBN3-+YcXb4+cAfe+L/#+<-(+9%=+H-&=3#(2/+5*#+3=*#-.3&-(2/*&+,3&9*#+3=+bBN3-+YcXb4+YYAei+L/#4+-&+T#3&9+?3&'"$/4+W3=J;+%=+k($*##*-2/B+H#-&&*#%&'*&+*-&*(+,")-$-.*#(B+j*)(A+j*)(*#=1/)+1947, 18.

64+ ?3&'"$/4+T#3&9A+Q3(+N-&%$*&J#"'#3==+u+F*53&.*&J#"$"."))+5*(+7<)3%;(+5*#+H#*-'&-((*+-=+03$/3%(+9%+?-&94+6"=+XB+N3-+YcXb4+cAfe+L/#+<-(+9%=+H-&=3#(2/+5*#+3=*#-.3&-(2/*&+,3&9*#+3=+bB+N3-+YcXb4+YYAei+L/#4+-&+T#3&9+?3&'"$/4+W3=J;+%=+k($*##*-2/B+H#-&&*#%&'*&+*-&*(+,")-$-.*#(B+j*)(A+j*)(*#=1/)+1947, 18.

65+ N1&5)-2/*+7%(.%&;$A+7&$"&+7(2/3%*#+Z0*'-"&3)/-($"#-.*#\4+deBYBfeYfB

Page 46: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

39

dass die Unterredung mit den Parlamentären eine problematische Angelegenheit gewesen wäre.66

Unterdessen offerierte der Reichsverteidigungskommissar laut amerikanischen Quellen, den ge-

samten Reichsgau Oberdonau zu übergeben, unter der Bedingung, den Kampf gegen die Russen

fortsetzten zu dürfen. Dieses Angebot wurde von den amerikanischen Unterhändlern abgelehnt.

Weiters erbat Eigruber eine vierstündige Bedenkzeit, um Generaloberst Rendulic kontaktieren zu

.P&&*&B+Q-*(*#+!3#+9%+D*&*#+S*-$+:*;*/)(/3<*#+5*#+-=+03%=+I15mh($=3#.+<*@&5)-2/*&+V#%JJ*&4+5-*+

.%#9+6"#+5*#+7%8P(%&'+($3&5*&B67

I2/**#+/3$$*+H-'#%<*#+%=+feAee+L/#+<*-+5*((*&+7%$"+'*$#";;*&B+^E2/+;3/#*+D*$9$+9%=+F*&*#3)+%&5+

berichte ihm über die Unterredung mit den Parlamentären, da wird sich endgültig entscheiden, ob

hier gesprengt und verteidigt wird oder nicht. In drei Stunden bin ich wieder hier. Sie und der Orts-

gruppenleiter haben auf mich zu warten. Sie erhalten dann meine weiteren Befehle.“68

Um ein Uhr früh traf Eigruber wieder in Windischgarsten ein. Es darf allerdings in Frage gestellt wer-

den, ob ein Treffen zwischen Eigruber und Generaloberst Rendulic tatsächlich stattgefunden hat,

da die Zeit in der Eigruber abwesend war für die Strecke von Windischgarsten nach Waidhofen an

der Ybbs und wieder retour wohl kaum gereicht hätte. Es ist äußerst wahrscheinlich, dass Eigruber

in der seiner Abwesenheit Vorbereitungen für seine spätere Flucht getroffen hat.

Gleich nach seiner Rückkehr gab Eigruber dem Kommandanten der SS-Kampfgruppe Oberdonau,

Major Schlesinger, den Befehl in Klaus und am Pyhrn zu sprengen, da er ein Einmarschieren ame-

rikanischer Truppen am nächsten Morgen befürchtete.

Aufgrund des heftigen Protests von Scheer konnte die Sprengung am Pyhrn verhindert werden. In

der Konversation kam wieder die Gefährlichkeit und Skrupellosigkeit Eigrubers zum Ausdruck. Auf

I2/**#(+:*5*&.*&+5*&+IJ#*&'%&'*&+'*'*&1<*#+*&$'*'&*$*+*#A+^72/+!3(B+S!3&9-'+,3&9*#;R%($*+

den Leuten in den Bauch geschossen, 200 Tote mehr, was spielt das schon für eine Rolle. Aber geht

ruhig schlafen, es geschieht nichts. Ich mache Euch aber aufmerksam, daß ich verläßliche Leute in

der ganzen Gegend verteilt habe, die jeden – auch wenn die Amerikaner schon hier sind – umlegen

werden der Verrat übt, gleichgültig ob Mann oder Frau.“69

4.4.4. Die Flucht des Gauleiters

Im Morgengrauen des 7. Mai 1945 verließ Eigruber um 5 Uhr Windischgarsten mit einigen seiner

Gefolgsleute in Richtung Pyhrn. Auf seinem Weg nach Vorderstoder begegnete er sogar amerikani-

schen Truppen, die ihn allerdings aufgrund seiner falschen Papiere, auf den Namen Bernhard Gru-

ber lautend, passieren ließen.70 Diese Episode ist von Glanzer allerdings nicht belegt und gilt als un-

sicher, da stark zu bezweifeln ist, dass sich zu diesem Zeitpunkt amerikanische Truppen in diesem

Gebiet aufgehalten haben.71 In Vorderstoder angekommen, versteckte sich Eigruber einige Tage

66 Franz Scheer, Erinnerungen an die letzten Monate des 2. Weltkrieges in Windischgarsten. Unveröf-fentlichtes Manuskript, 1947, Privatarchiv Stanzel,11.

67+ G')A+/$$JAmm5*B!-.-J*5-3B"#'m!-.-m?"$/3#p0*&5%)-24+'*;%&5*&+3=+bB+Q*9*=<*#+feYYB68 SCHEER - Kriegsende Windischgarsten, 11.69 Ebda, S.14.70+ N3#$-&+F)3&9*#A+H&5($3$-"&+F3#($&*#$3)B+Q-*+^W3##-*#*_+5*(+7%'%($+H-'#%<*#4+ -&A+:*$#-;;$+j-5*#($3&5UB+

Zeitschrift des Zeitgeschichtemuseums Ebensee, 43 (1999), 31.71+ N1&5)-2/*+7%(.%&;$A+0%5");+I$3&9*)4+deBYBfeYfB

Page 47: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

40

3%;+5*#+I3%."'*)3)=4+!"+*#+6"&+(*-&*=+I2/!3'*#+%&5+*-&-'*&+Q"#;<*!"/&*#&+&"$51#;$-'+6*#J8*'$+

wurde. Ein Förster bemerkte jedoch die Anwesenheit Eigrubers auf besagter Hütte und informierte

den CIC72. Dieser traf allerdings erst bei der Hütte ein, als Eigruber diese bereits verlassen hatte und

(-2/+!*&-'*+N*$*#+*&$;*#&$+ -&+*-&*=+F*<1(2/+6*#($*2.$+/-*)$B+7<*#=3)(+'*)3&'+*(+ -/=+9%+8-*/*&B+

Folgend stellte ihm die Familie eines Holzarbeiters im Gaisriegl ein Versteck zur Verfügung.73 Von

dort aus kontaktierte Eigruber den ehemaligen Gauinspektor Stefan Schachermayr um einen neuen

Unterschlupf zu beschaffen. Um Pässe und einen Fluchtwagen zu bekommen, wandte sich Eigruber

an zwei ehemalige HJ-Führer aus Steyr. Diese kooperierten jedoch bereits mit den Amerikanern,

wodurch seine weitere Flucht zu einem aussichtslosen Unterfangen wurde. August Eigruber beab-

sichtige sich ins Mühlviertel durchzuschlagen, weil dort noch einige gute Freunde des Gauleiters zu

gegen waren. Er plante von dort aus sich nach Südtirol zu begeben.74

4.4.5. Die Verhaftung Eigrubers

H-&+&3/*+I$B+,3&.#39+6"=+tEt+@&'-*#$*#+7%$"%&;3))4+6*#)*-$*$*+5*&+F3%)*-$*#+539%+(*-&+T)%2/$;3/#-

zeug zu verlassen, worauf unmittelbar seine Verhaftung folgte. Bei seiner Überwältigung biss Eigru-

ber Major Cameron, den Einsatzleiter, beim Versuch sein falsches Gebiss aus seinem Mund zu

entfernen, in die Hand. Der Major wollte verhindern, dass sich Eigruber durch Zerbeißen einer Zy-

ankalikapsel das Leben nahm und somit als wichtiger Zeuge ausgefallen wäre. Unmittelbar nach

seiner Verhaftung äußerte Eigruber noch, dass er „Nationalsozialist war und bleiben werde und

wenn er gekonnt hätte, hätte er sich aus der Affäre herausgeschossen oder Selbstmord verübt.“75

4.4.6. Prozess und Hinrichtung

Nach seiner Verhaftung wurde Eigruber zuerst nach Kirchdorf, später nach Linz überstellt wo der

OSS76 bereits mit den ersten Voruntersuchungen begann. Im Zuge der Voruntersuchung verhielt

sich Eigruber sehr unkooperativ und achtete stets darauf, keine belastenden Aussagen zu tätigen.

Am darauf folgenden Tag überstellte man Eigruber nach Nürnberg. Dort musste er sich für seine Ver-

brechen im Rahmen des Mauthausen Prozesses verantworten. Am 13. Mai 1946 wurde er zum Tode

durch den Strang verurteilt. Die Urteilsvollstreckung erfolgte am 27. Mai 1947 in Landsberg am Lech.

72 Das Counter Intelligence Corps (CIC) war ein Nachrichtendienst des Heeres der Vereinigten Staaten von Amerika, der während des Zweiten Weltkrieges als polizeiähnliche Spionage-Abwehrabteilung 5*(+O**#*(+'*'#1&5*$+!%#5*B+v%*))*A+j-.-J*5-34+9%)*$9$+'*J#1;$+3=+fiBYYBfeYYB

73 Vgl. GLANZER 1999, 32.74 Ebda.75+ G')A+F?7>SH0+Yccc4+ddB76 Das !"#$%&'"&()*+)%,-$&(%*.-$%/+ZhII\4+5*%$(2/A+Amt für strategische Dienste, war ein Nachrichten-

5-*&($+5*(+W#-*'(=-&-($*#-%=(+5*#+G*#*-&-'$*&+I$33$*&+6"&+YcXf+<-(+YcXbB+v%*))*A+j-.-J*5-34+'*;%&-den am 27.11.2011.

Page 48: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

41

4.5. Der Lagerkommandant des KZ Mauthausen - Franz Ziereis

4.5.1. Beichte des Lagerkommandanten von Mauthausen SS- Stan-dartenführer Franz Ziereis

Franz Ziereis wurde am 13. August.1905 geboren und wurde am 23.Mai. 1945 um 18 Uhr auf einer

Hütte am Phyrn bei Spital von amerikanischen Soldaten festgenommen und dabei durch einen

Schuss in der Bauchgegend verletzt.77++H#+!%#5*+3&(2/)-*M*&5+%=+fYAde+-&+53(+LI+7#=K+YdY($+H632+

Krankenhaus gebracht, wo er medizinisch betreut wurde und bis weiteres am Leben gehalten wer-

5*&+."&&$*B+7=+fXB+N3-+YcXb+%=+iAde+($3#<+S-*#*-(+3&+5*&+T")'*&+(*-&*#+G*#)*$9%&'*&B+0%((-(2/*+

und polnische Häftlinge forderten seinen Leichnam, um ihn auf dem Lagergelände von Mauthausen

zur Schau zu stellen.78 In einem schriftlichen Totenbettgeständnis spricht er von vielen schockieren-

den sowie interessanten Details.

Das „Totenbettgeständnis“ von Franz Ziereis ist das Protokoll des Verhörs, das mit ihm kurz

vor seinem Tod am 24.5.1945 in Gusen geführt wurde. Der oder die Autoren der Schrift bleiben

ungenannt. Das Dokument wurde allerdings von mehreren Personen unterschrieben. Es exis-

tieren mehrere Fassungen, die aber in den wesentlichen Aussagen übereinstimmen.79

Über diese Unklarheiten hinaus lässt dieses Geständnis viele Spekulationen zu. Besonders der Brief

an seine Frau enthält am Beginn eine Passage, die mysteriös erscheint. Ziereis beschreibt detailliert

5*&+j*'+9%+*-&*#+3&'*<)-2/+6*#($*2.$*&+,-($")*A

„Liebe Frau!

Ich wurde am 23.5.1945, während du einholen warst, von den Amerikanern gestellt und ver-

haftet. Ich legte meine Pistole hinter einen Baum, der vier Meter von der Hütte entfernt ist,

etwa Richtung Hütte, entlang des Weges der am Bach entlang Richtung Liezen führt.“ 80

Q-*(*#+:#-*;+@&5*$+(-2/+3%2/+-&+*-&*=+7#$-.*)+5*#+h<*#P($*##*2-/-(2/*&+>32/#-2/$*&+6"=+dYB+7%'%($+

1945 wortwörtlich.81

Für den Leser scheint es unverständlich, dass Ziereis‘ letzte Worte an seine Frau am Beginn des

Briefes von einer Pistole handeln. Die exakte Wegbeschreibung lässt Spekulationen über ein trans-

portables Vermögen, das er seiner Frau hinterlassen wollte, zu. Außerdem stellt sich die Frage, was

Franz Ziereis mit „(…) während du einholen warst (…)“82 meinte. Am wahrscheinlichsten scheint

die Deutung, dass es sich dabei um das Besorgen von Lebensmitteln bei zuverlässigen Quellen

handelte.

77 Vgl. o.N, „Beichte des Lagerkommandanten von Mauthausen SS-Standartenführer Franz Ziereis“. I$%$$'3#$A+G*#*-&+^Q3(+?-2/$_4+YcXi4+IB+dB+E&+5*#+T")'*+9-$-*#$+3)(+^SEH0HEI+u+:*-2/$*_B

78+ G')B+ LIgG*$*#3&*&!*<(*-$*4+ /$$JAmm!!!B2"=J3&KiB2"=m<"(*&5"#;*#m=3%$/3%(*&m9-*#*-(p$*($-="&KB/$=)4+'*;%&5*&+3=+Y]BYBfeYf4+a<*#(*$9%&'A+7&$"&-3+I2/&*-5*#B

79 Siehe E-mail von Christian Angerer von der pädagogischen Abteilung der Gedenkstätte Mauthausen im Anhang.

80 Ziereis – Beichte, 10.81 OÖNachrichten, 31. August 1945, 8.82 ZIEREIS – Beichte , 10.

Page 49: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

42

4.5.2. Die Suche nach Schuldigen

Interessantes birgt auch Ziereis‘ Verhalten in puncto Schuldzuweisung. Er versucht durch Ankla-

gen und Vorwürfen gegen andere von seinen eigenen Gräueltaten abzulenken, wie man aus der

„Beichte des Lagerkommandanten von Mauthausen SS-Standartenführer Franz Ziereis“ entnehmen

kann. Neben einer juristisch verständlichen Ablenkungsstrategie könnte ein mögliches Motiv für sei-

ne Schuldzuweiseung auch der dabei zu erzielende Zeitgewinn für Ziereis eine bedeutende Rolle

gespielt haben. Im Fall einer Genesung hätte Ziereis sicher an Flucht gedacht. Darüberhinaus ist es

immer leichter die Fehler bei anderen zu suchen, als bei sich selbst. Belege der Schuldsuche lassen

(-2/+%&$*#+3&5*#*=+-=+:#-*;+3&+(*-&*+T#3%+@&5*&A

„Bitte, komme und sage den Herren, wie schäbig sich die Berliner einschließlich des Reichs-

führers SS verhalten haben. Sage den Herren, wie sich insbesondere der SS-Obergruppen-

führer Pohl gemein verhalten hat.“83

Auch hier kommen beim Lesen wieder Fragen auf. Warum war SS-Obergruppenführer Pohl gemein?

Hatte er einen Verrat gegen Ziereis begangen? Außerdem äußert Ziereis einen letzten Wunsch, in

dem er dem Reichsführer Himmler, dem SS-Obergruppenführer Pohl und Glücks gegenüberge-

stellt werden will.84 Ziereis gibt sogar einen Aufenthaltsort von Pohl und von SS-Obergruppenführer

Glücks an. Die beiden sollen sich angeblich in der Krebenzenhütte im Gebirge bei St.Lambrecht

befunden haben.85

SS-Gruppenführer Glücks gab laut Ziereis die Anordnung Häftlinge in Hartheim zu vergasen. Insge-

samt starben dadurch etwa 30000.86

Aber nicht nur SS-Obergruppenführer Pohl kommt in dem Geständnis von Franz Ziereis schlecht da-

von. Auchgegen den Lagerarzt und SS-Sturmbandführer Dr. Kirchner und gegen SS- Hauptsturm-

;1/#*#+Q#B+W#*<(<32/+*#/*<$+S-*#*-(+(2/!*#*+G"#!1#;*A

„Der seinerzeitige Lagerarzt und SS-Sturmbandführer Dr. Kirchner, hat in seiner Eigenschaft

als Psychiater eine große Anzahl Häftlinge beseitigt unter der Voraussetzung der geistigen

Minderwertigkeit.“ 87

„Im Lager Mauthausen wurde auf Anordnung des damaligen SS-Standortarztes, SS-Haupt-

sturmführer Dr. Krebsbach, eine Vergasungsanstalt gebaut, die als Baderaum getarnt war.“88

83 ZIEREIS – Beichte, 11.84 Vgl. OÖNachrichten, 31.August, 1945, 8.85 ZIEREIS – Beichte, 5.86+ G')+j*<(*-$*+5*#+F*5*&.($R$$*+O3#$/*-=4+!!!B(2/)"((g/3#$/*-=B3$m-&5*nB3(JUJ*2"oqI*-$*odiXq?'

oYqtKoYqLEQo4+'*;%&5*&+%&5+9%)*$9$+'*J#1;$+3=+cBYBfeYf87 Ebda, 12.88 Ebda, 3.

Page 50: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

43

4.5.3. Die Verteidigungsstrategie des KZ-Kommandanten

Ziereis weist unter anderem auch auf Befehlsverweigerungen seinerseits hin. Eine von vielen Be-

;*/)(6*#!*-'*#%&'*&+@&5*$+(-2/+-&+5*&+hk+>32/#-2/$*&A

„Dem Befehl des Reichsministers Himmler nach sollte ich alle Häftlinge (der Lager Gusen 1

und 2) im Auftrage des SS-Obergruppenführers Dr. Kaltenbrunner umbringen und zwar die

Häftlinge den Stollen zugeführt werden. Die Türen der Stollen sollten schon vorher vermau-

ert werden sodass nur ein Eingang blieb; den Stollen sollte ich mit irgendeinem Sprengstoff

sprengen. Ich habe mich geweigert, diesem Befehl Folge zu leisten.“89

Auch in „Beichte des Lagerkommandanten von Mauthausen SS-Standartenführer Franz Ziereis“

@&5*$+(-2/+*-&*+:*;*/)(6*#!*-'*#%&'A+

„(…) Auch war ein geheimer Befehl vorhanden, alle gefangenen Ärzte und Sanitäter, die im

Revier arbeiteten, umzulegen. Ich habe die Ausführung verweigert.“90

4.5.4. Weitere Versuche der Rechtfertigung

Der ehemalige KZ-Kommandant gibt auch an, bezüglich des Todes von rund 800 Häftlingen unwis-

send zu sein, die in Gusen 2 mit einer Axt oder einem Knüppel erschlagen und ertränkt wurden.91

Auch von den Häftlingen in Gusen 1 und dem Aufenthaltsort von SS-Oberscharführer Jaentzsch und

Q#B+W-*(*!*$$*#+'-<$+*#+3&4+&-2/$(+'*!%(($+9%+/3<*&A

„Auch von den 640 Häftlingen, die zuletzt in Gusen 1 auf Block 31 durch die Häftlinge Figel,

Amelung und Lisberg (…) auf Befehl des Schutzhaftlagerführers SS-Hauptsturmführer Fritz

Seidler und Rapportführer Michael Killermann vergast wurden, weiß ich nichts.“92

„Wo SS-Oberscharführer Jaentzsch ist, der in Gusen 1 ungefähr 700 Häftlinge ermordet hat,

und zwar dadurch , dass er sie bei 12 Grad Frost nachts unter eiskaltem Wasser ein oder

mehrere Stunden stehen ließ, weiß ich nicht.“93

„Ich weiß auch nicht, wo sich Dr. Kiesewetter, Lagerarzt in Gusen 1, der mehrere hundert

Häftlinge durch intravenöse Spritzen mit Benzin, Wasserstoff (40ccm), Kalzium-Sulfuricum,

E"#'+46#&"#)&E82!'#&:*%@%*%&5'%0&.*/#)*%7A94

Unwissend zeigt er sich auch gegenüber dem Tod 15 kranker Häftlinge, welche SS-Untersturmfüh-

rer Miroff erschossen hatte.95

89 OÖNachrichten, 27. August 1945, 8.90 ZIEREIS – Beichte, 5.91 Vgl. OÖNachrichten, 27. August 1945, 8.92 ZIEREIS – Beichte, 4.93 OÖNachrichten, 27.August.1945, 8.94 ZIEREIS – Beichte, 4.95 Vgl. ZIEREIS – Beichte, 4.

Page 51: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

44

4.5.5. Details und Widersprüche im Text der „Beichte“

Ziereis gab an, nur ein Vermögen von etwa 13.000 RM zu besitzen und in einer Bank 6000 RM hin-

terlegt zu haben. Er behauptet Gold, Diamanten, Brillanten usw. nie besessen zu haben.96

„Die Messerschmittwerke zahlten nach Aussagen des Ziereis täglich pro Häftling in der Rüs-

tung an die Verwaltung in Oranienburg acht Mark aus, aber nur fünfzig Pfennig wurden für

diese Art von Häftlingen pro Kopf ausgefolgt. Ziereis weist entrüstet auf die Korruption hin.“97

7%M*#5*=+=*-&$+S-*#*-(A

„In Buchenwald war ich Zeuge, als ich noch bei der Truppe war, wie den jüdischen Häftlingen

das ganze Geld und die Wertsachen abgenommen wurden. Dort haben sich die SS-Führer,

insbesondere der Obersturmführer Hadmann sowie der Untersturmführer Meyer,der ein weit-

schichtiger Verwandter des Himmler war, besonders hervorgetan. (…) Mit dem Vermögen der

jüdischen Häftlinge wurde bedeutender Handel getrieben.“98

Darüber hinaus behauptete Ziereis, dass er selbst nie das Gas in die „Baderäume“ sowie den Autos,

die von Mauthausen nach Gusen fuhren, gegeben habe. Er war sich aber bewusst, dass Häftlinge

vergast wurden. Außerdem hat Ziereis oft nur aus bloßer Wolllust zugeschlagen, obwohl jede Prü-

gelstrafe von Berlin bestätigt werden musste. In den letzten zwölf Tagen hatten Gefangene weder

Brot noch Fleisch zu essen, berichtet er.99 Die Artikel aus den Oberösterreichischen Nachrichten

zeigen die Situation im KZ Mauthausen sehr gut auf und hinterlassen ein klares Bild der Machtver-

hältnisse und dem Alltag in Mauthausen.

Außerdem kann man bezüglich der Exekution der 38 Österreicher am 29. April 1945 aus der „Beich-

$*+5*(+?3'*#."==3&53&$*&+6"&+N3%$/3%(*&+IIgI$3&53#$*&;1/#*#+T#3&9+S-*#*-(_+*&$&*/=*&A

„Mit dieser Exekution wurde der Gestapoagent Prohaska beauftragt. Dieser Gestapoagent soll

auch mit zwei Mauthausener Blockführern die Exekution durchgeführt haben.“

7)(+7&=*#.%&'+@&5*$+(-2/+53#%&$*#A

„Als Lagerkommandant hat Ziereis nicht gewusst, wer diese Aktion durchgeführt hat! Er selber

war fast immer dabei!!“100

Ein weiterer Aspekt ist die Genauigkeit der Berichterstattung. In einem Artikel vom 31. August. 1945

aus den Oberösterreichischen Nachrichten kann man eine detailliertere Beschreibung der Ereignis-

(*+6"#@&5*&+3)(+-&+^:*-2/$*+5*(+?3'*#."==3&53&$*&+6"&+N3%$/3%(*&+IIgI$3&53#$*&;1/#*#+T#3&9+

Ziereis“.

9B:+<*#-2/$*$*&+5-*+h<*#P($*##*-2/-(2/*&+>32/#-2/$*&A

96 Vgl. OÖNachrichten, 27.August 1945, 8.97 OÖNachrichten, 29.August 1945, 8.98 OÖNachrichten, 31.August 1945, 8.99 Vgl. OÖNachrichten, 27.August 1945, 8.100 O.A., „Beichte des Lagerkommandanten von Mauthausen SS-Standartenführer Franz Ziereis“,

I$%$$'$3#$A+G*#*-&+^Q3(+?-2/$_4+YcXi4+[B

Page 52: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

45

„(…)Der seinerzeitige Lagerarzt, Sturmbannführer Dr. Kirchner, hatte in seiner Eigenschaft als

Psychiater eine große Anzahl Häftlinge beseitigt, unter bekannter Voraussetzung der geistigen

Minderwertigkeit. Die ganze Aktion, auch in den anderen Lagern, wurde unter dem Aktenzei-

chen 14 F 13 durchgeführt, angeblich zur Verhütung erbkranken Nachwuchses.“101

Aus der „Beichte des Lagerkommandanten von Mauthausen SS-Standartenführer Franz Ziereis“ ist

;")'*&5*(+9%+*&$&*/=*&A

„SS-Gruppenführer Glücks hat die Anordnung gegeben, schwache Häftlinge als geisteskrank

zu bezeichnen und sie in einer großen Anlage durch Gas umzubringen.“102

Ein weiteres interessantes Detail seines Lebens birgt die Beförderung zum Lagerkommandanten

von Mauthausen. Franz Ziereis musste erst ein ärztliches Attest vorzeigen, dass seine Frau seine

drei ehelichen Kinder mit je einem Kaiserschnitt gebar und dass eine weitere Geburt tödlich enden

würde. Erst nach dem Vorzeigen dieses Attests wurde Ziereis zum Lagerkommandanten von Maut-

hausen befördert.

Q-*(*(+Q*$3-)+9*-'$+5-*+F*J8"'*&/*-$*&+5*#+II+3%;+%&5+5*#*&+J*53&$-(2/*+F*&3%-'.*-$4+!*&&+*(+%=+

5-*+H-&/3)$%&'+5*#+0*'*)&+-&+J%&2$"+T"#$J83&9%&'+5*#+^5*%$(2/*&+03((*_+'-&'B++

Während meiner Recherche fand sich auch ein Widerspruch, der von rechtsradikaler Seite benützt

!-#54+%=+5-*+F)3%<!1#5-'.*-$+3))*#+7&'3<*&+1<*#+N3%$/3%(*&+3)(+V"5*()3'*#+-&+S!*-;*)+9%+9-*/*&A

hk>32/#-2/$*&+YcXbA

„60.000 Juden sollten so durch Himmlers Befehl nach Mauthausen kommen. Ein geringer

Bruchteil ist tatsächlich angekommen. Als Beispiel führe ich einen mit 450 Juden abgegange-

nen und mit 180 in Mauthausen angekommenen Transport an.“103

^:*-2/$*+5*(+?3'*#."==3&53&$*&+6"&+N3%$/3%(*&+IIgI$3&53#$*&;1/#*#+T#3&9+S-*#*-(_A

„60.000 Juden sollten in Mauthausen ankommen: Es ist aber nur ein geringer Bruchteil davon

eingetroffen. - Als Beispiel führe ich an: Ein mit 4500 Juden abgegangener Transport kam nur

mit 180 Häftlingen an.“104

Die unterschiedlichen Zahlenangaben sind wahrscheinlich darauf zurück zu führen, dass es so kurz

nach Befreiung der Lager keine verlässlichen Zahlen geben konnte bzw. es neben solchen auch

grobe Schätzungen, sowie Abschreibfehler (Weglassen einer Null) gab. Letzteres dürfte wohl im

angeführten Fall Ursache der Differenz gewesen sein.

101 OÖNachrichten, 31.August 1945, 8.102 ZIEREIS- Beichte, 4.103 OÖNachrichten, 29.August 1945, 8.104 ZIEREIS – Beichte, 7.

Page 53: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

46

Page 54: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

47

4.6. Die „innere Flucht“ des Emil Pasquali

Michael Haunschmidt und Lisa Haller

Emil Pasquali, Edler von Farrawell, wurde kurz vor Kriegsende in Windischgarsten von drei SS-

Leuten von seinem Haus in abgeholt. Anführer der Gruppe soll ein unbekannter Ritterkreuzträger

gewesen sein. Am nächsten Morgen, dem 7. Mai 1945 wurde seine Leiche unweit des Hofes „Bauer

am Pyhrn“ im Straßengraben gefunden. Der Leichnam wies drei Schussverletzungen, rechts und

links in der Brust und beim linken Auge auf.105

7=+dB+C%)-+YceY+-&+h)=1$9mNR/#*&+-&+*-&*+3)$P($*##*-2/-(2/*+h;@9-*#(;3=-)-*+'*<"#*&4+!3#+(*-&+j*'+

zu einer soliden Ausbildung vorgezeichnet. Er studierte in Wien und Graz Rechts- und Staatswis-

senschaften und landete bei der Polizeidirektion in Wien als Jurist. Von 1924 bis 1938 war er Lehrer

an der dortigen Polizeischule. Unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme in Österreich wurde er

Major der Sicherheitspolizei und kümmerte sich um die „Errichtung der Reichsverteidigung“ und

den Luftschutz. 1943 wurde er Abschnittskommandant in Essen, wo er sich vor der Besetzung der

Stadt am 10. April 1945 in das Kremstal absetzte.106 Hier angekommen nahm er angesichts der

aussichtslosen Kriegslage Kontakt mit dem lokalen Widerstand auf. Die damaligen Führungsleute

waren froh, den geschulten Organisator und Experten für innere Sicherheit zu den Ihren zählen zu

.P&&*&B+Q3+*(+(-2/+3<*#+";;*&<3#+/*#%=(J#32/4+53((+5*#+,")-9*-";@9-*#+";;*&<3#+53<*-+!3#4+5-*+I*--

ten zu wechseln und sich dem Widerstand anzuschließen, geriet er auf die schwarze Liste der noch

immer linientreuen Nationalsozialisten in der Gegend, die ihn schließlich töteten. Pasquali hinterließ

eine Frau und drei Söhne.107

I*-&+F#3<+<*@&5*$+(-2/+3%;+5*=+T#-*5/";+5*#+?*"&/3#5-.-#2/*+-&+IJ-$3)B+H(+'-)$+<-(+/*%$*+3)(+'*(--

chert, dass er von der SS hingerichtet wurde.108

105 O.A., Gendarmeriebericht des Postens Spital am Pyhrn vom 24. Juni 1945.106 Personalbogen bei der Polizeidirektion Wien/Inspektorat Sicherheitswache, Archiv – Emil Pasquali.107 Erna Pasquali, Ansuchen um gnadenweise Zuerkennung einer Witwenpension. Schreiben an den Po-

lizeipräsidenten von Wien vom 14. Dezember 1945 über die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Ignaz Brands-tetter, Wien, Privatarchiv Stanzel.

108 Vgl. Niederschrift einer Einvernahme der Angehörigen des österreichischen Widerstandes auf dem Gemeindeamt Spital am Pyhrn vom 26. Juli 1946, Privatarchiv Stanzel.

Page 55: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

48

Page 56: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

49

5. Die Transkripte der Gespräche mit den Zeitzeugen

5.1. Otto und Maria KniewasserGespräch mit Otto und Maria Kniewasser, Jahrgänge 1931 und 1932,geführt in Windischgarsten im November 2011 und Jänner 2012 von Michael Haunschmidt

Michael: Was war für dich ein einprägsames Ereignis zum Kriegsende hin?

h$$"A+E2/+!*-M+D3+5*(+&%#+6"&+5*=+C%5*&$#*-<*&4+("+/3$+=3&+53=3)(+'*(3'$B+Die sind über den Pyhrnpass umma gekommen und ich war halt 14 Jahre alt%&5+<-&+&3$1#)-2/+=-$&+035)+3%;@+'*;3/#*&4+!*-)+!-#+*(+'*!%(($+/3<*&4dass die dort kommen, weil mein Vater dort dabei sein hätte sollen,aber dadurch (dass) er Invalide war, hat er nicht gekonnt.Und dann hab ich mir halt als Bub das angeschaut.Es war a furchtbares Erlebnis.Die Leute, ich kann das heute nicht mehr genau sagen,waren es 200 oder 300, auf jeden Fall war es ein langer Zug.Frauen, Kinder, alles.Die haben ihr ganzes Gut mitgehabt. Zum Teil am Rücken getragen,zum Teil haben sie es auf einem Wagerl gefahren, oder auf einem Schubkarren.So sind sie dort dahin gegangen. Wenn einer nicht mehr konnte, aus Schwäche, dann haben ihn die anderen noch irgendwie getragenoder auf den Radlbock draufgelegt und mitgefahren bis zur nächsten Versorgungsstationwei wenn er liegen geblieben ist, haben sie (die Bewacher) sofort erschossen.Und das wussten sie, dass ist ihnen eh immer wieder passiert.Und in Spital am Pyhrn haben sie eine Suppe bekommen und bis dort haben sie ihn mitgeschleppt,weils gsagt haben, vielleicht kann er ja dann wieder weiter.Und geschlafen habens ja auch dort, oder zumindest gerastet.Das war ja stark, das Gehen, die sind ja weit gegangen. Ich war ja so ein Bub, ich kann das gar nicht sagen, von wo sie sie hergetrieben haben,das Endziel, kommt mir vor, hat es geheißen „Ernsthofen“ oder so.L&5+5"#$+-&+IJ-$3)+/3<*&+(-*+D3+53&&+*-&*+G*#J8*'%&'+<*."==*&+und auch über Nacht geblieben.Dort war es dann für mich wieder aus.Den anderen Tag ist es dann wieder weiter gegangen, aber da war ich nicht mehr dabei.Das war alles auf dem Truppenübungsplatz in Spital am Pyhrn,vom Arbeitsdienst war der Truppenübungsplatz.Das ist dann auch alles im Laufe des Jahres geräumt worden.Der Arbeitsdienst hat sich aufgelöst, das ist ja dann auch schon Kriegsende gewesen.Dann ist das natürlich alles mit lauter Flüchtlingen aufgefüllt worden.Da hat es ja alle Nationen gegeben.N3#-3A++>3+!*-M$4+!-*+(-*+5-*+C%5*&+53+5%#2/'*$#-*<*&+/3<*&4+!-#+/3<*&(+D3+3%2/+'*(*/*&+6"&+daheim. Dort hat ja einer schon nicht mehr recht weiter können,und der Volkssturm hat ja in gewissen Abständen immer so Löcher gegraben,h$$"A+53(+!3#*&+5-*+I2/1$9*&'#R<*&4N3#-3A+%&5+53+/3<*&+5-*+("+*-&*&+C%5*&+/-&*-&'*(2/"((*&4+!*-)+*#+&-==*#+.-&&3+/3$4und dann zugmacht. Der ist aber dann später exekutiert worden.h$$"A+Q-*(*+I2/1$9*&)P2/*#+/3<*&+(-*+&%#+'*'#3<*&4 weil sie ja geglaubt haben, dass da noch verteidigt wird.

Michael: Von wo kamen die Flüchtlinge, die du zuerst erwähnt hast?

Page 57: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

50

h$$"A+Q3+/3$+*(+3))*(+'*'*<*&BUngarn, sehr viele Ungarn, das waren dann Leute, wie soll ich sagen,wir haben Frankreich besetzt gehabt, Ungarn besetzt gehabtund dort gab auch sehr viele Nazis. Aber wie, zum Beispiel Frankreich, es dann retour gegangen ist, haben diese Nazis in Frankreich davonlaufen müssen.Weil sie Angst hatten, sie waren ja für den Hitler.Bei uns selbst am Schanzbichl hatten wir einen Major, einen deutschen Major,er war Franzose, aber er war bei der deutschen Wehrmacht,er hat ja praktisch gegen seine Leute gekämpft.Er hat dann in Russland gekämpft, aber er hat sich den Deutschen angeschlossen.Und dann ist das aber alles zurückgegangen, ich weiß nicht wer Russland besetzt hat, die haben sich dann alle umgedreht.Jugoslawien war dann wieder gegen uns. Zuerst sind die mit uns gegangen, die große Masse.Und die, die für den Hitler waren, haben davonlaufen müssen.Der Miklosch, der Major, der hat Sachen gehabt, der hat gut gelebt.Q-*+(-&5+D3+6"&+5*#+5*%$(2/*&+j*/#=32/$+'%$+6*#J8*'$+!"#5*&B+Der war bei uns einquartiert. Fett, Mehl, Gries und alles haben die gehabt.Wir hatten auch Flüchtlinge aus Wien, Wiener. Die haben wieder gar nichts gehabt. Die waren ja neidisch auf die.Aber für die war es dann schlecht, der Krieg ist dann aus gewesen und dann war er natürlich schön heimlich dort, ist ihm eh nichts passiert. Mittlerweile hat sich dann eh alles gelegt. Er hat dann arbeiten müssen, er ist zum Ecker hinauf, Sensen schmieden. Ist er dann arbeiten gegangen, hat sein Lebtag nichts getan der Mann.

Michael: Ist er dann wieder zurück gegangen, oder weiß man das nicht?

h$$"A+H#+-($+53&&+!-*5*#+9%#12.B+Das hat sich dann eh durch die Monate gelegt.In Frankreich hat er dann nicht mehr recht landen können, sie wären dann nach Amerika,aber bei der Überfahrt, die hatten einen Sohn,der war ein bisschen jünger als ich, bei der Überfahrt ist der Bub ertrunken.Das haben sie uns irgendwann mal geschrieben.Wir hatten noch ein bisschen Kontakt mit ihnen, das waren ja keine zwideren Leute. Sie waren halt Nazis, das war ja nicht so leicht.Das waren ja Verhältnisse, das kann sich ja heute keiner mehr vorstellen.Die guten Nazis sind auch alle verschwunden.Die sind halt dann ein bisschen untergetaucht, aber zum Beispiel der Eigruber, der hat ja Juden erschossen und erschießen lassen, solch einer hätt es schwierig gehabt.Ich weiß ned was dann mit dem Eigruber passiert ist.Der war ja für Oberdonau, wie es damals geheißen hat, zuständig.Den Bürgermeistern ist ja selten was passiert.Manche sind in Lager gekommen, manche hat man eingesperrt.

Michael: Habt ihr vom Rückzug der Deutschen Wehrmacht auch etwas mitbekommen?

N3#-3A+E2/+')3%<*4+53((+53+<*-+%&(+3%2/+*-&+J33#+I")53$*&+!3#*&4+53(+!3#+D3+-=+T#1/D3/#BWeil die Erdäpfel waren im Keller Und die haben bei uns, beim Leeb, im Baumanger hinten, dort wo jetzt die Silos sind, gerastet. Weil da Vater is im Keller gewesen und ich glaub die Christl war bei ihm und jeder hat sich mit seim Kapperl angestellt, in den Keller eini, wo wir Most hatten und mein Vater hat ihnen jeden, 3-4 Erdäpfel einigetan.Und der Nächste und der Nächste.Und die waren dann da draußen unter den Bäumen und da haben ein Lagerfeuer gemacht und da haben sie die Erdäpfel gebraten. Dass was zum Essen gehabt haben.Ende des Gesprächs.

Page 58: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

51

5.2. Maria RührlingerGespräch mit Maria Rührlinger, Jahrgang 193x aus Viechtwang (Großmutter)Lisa Haller (L) Maria Rührlinger (M)

L: Wo hast du 1945 zu Kriegsende gelebt?

NA+C34+53+!3#+-2/+-&+F=%&5*&+%&5+9!3#+!3#+-2/+?*/#=R52/*& Kaufmännisch im Einzelhandel, und direkt zu Kriegsende,da sind wahnsinnig viele Lastwägen und alle militärische Geräte durch Gmunden gefahren, weil sie waren alle am Rückzug. Da fuhren sie durch Gmunden in Richtung Steyr. Und zu dieser Zeit hatte nicht jeder ein Telefon, aber in der Stoiberau war eines und da ging meine Mutter hin und erzählte, ich solle sofort nach Hause kommen, denn man hatte Angst, dass jetzt etwas passiert. Und es hatte sowieso das Geschäft zugesperrt, weil es war eh nichts, die Lebensmittelkarten - wir hatten Lebensmittelkarten und es war Schluss, die waren verfallen, da bekamen die Leute auch nichts mehr. Und so ging ich dann nach Hause. Bei den Soldaten bei den Autos vorbei. Natürlich hatte ich furchtbare Angst, kannst du dir vorstellen. Und dann war ich schon herraußen, Dosselberg heißt es da, und da hat ein Soldat geschrien, „Wo gehts denn hin Dirndl?“ und ich sagte „Ich gehe nach Hause“. Weil es die Mutter so wollte. Die Mutter hatte ja nicht gewusst, 53((+5-*+I$#3M*&+("+6*#($"J;$+!3#*&B+L&5+53+(3'$*+*#A „Sitz dich hier hinten rauf, da kommst du schneller voran, als wie zu Fuß“. Es ging aber nicht schneller, denn es war so eine Kolonne und dann sind sie, da war wieder ein Stau, sind sie wieder gestanden, und so, und dann bin ich wieder herunter vom Auto, denn ich kam zu Fuß schneller weiter. Und ziemlich weit vorne dann da sagte einer „Wo geht es denn hin?“ und ich sagte „Ich gehen heim nach Viechtwang“. „Nach Viechtwang !“ sagte er „Komm her“ sagte er „Sitz dich bei uns hier herauf, ich kenne Viechtwang“. Er sprach zwar nach der Schrift, es war ein Deutscher „Ich war dort im Arbeitsdienstlager“. In Viechtwang war ein Arbeitsdienstlager. Und dort haben sie Straßen gebaut und er kennt sich da aus. Und dann bin ich dort hinten oben gesessen, hatte die Füße hinunterhängen, denn da war ja kein Platz. Und dann sagte er „Ich solle es sage, wenn dann die Straße, damit wir es nicht übersehen, wenn dann die Straße nach Viechtwang geht“ denn sie fuhren nach Steinfelden. Und als wir dann bei der Rauhleitn draußen waren, sagte ich „So, da könnten wir jetzt hinunterfahren“. „Ja“, sagte er, „dass kenn ich, dass kenn ich alles“. So fuhren sie hinunter und bei der Almbrücke ließen sie mich aussteigen, denn ich sagte „ich gehe in die andere Richtung“. Und sie sind da in Richtung Almau zurückgefahren und dort haben sie das Auto stehengelassen. Und das habe ich natürlich vorher nicht gewusst, dass sie viele Lebensmittel dabei hatten. Und dann haben sie mir in so einem Sack, in so einem Jutesack, etwas hineingegeben. j3#+*/+("+(2/!*#+9%+$#3'*&B+>%#+Q"(*&4+53+!3#+*-&+I2/!*-&*8*-(2/+5#-&&*&+und viel Schweineschmalz und das habe ich dann nach Hause geschleppt. Und da sind zwei Soldaten davon und die sind dann dort in der Bruckworth untergeschloffen. Denn die sind einfach desertiert. Und ich bin Gott sei Dank gut heimgekommen, aber es war schon Mitten in der Nacht. Das war, da war der Krieg noch nicht ganz aus, aber es war das Kriegsende. Dann war die Zeit sehr schlecht.

Page 59: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

52

L: Welche Atmosphäre war hier im Dorf?

NA+O-*#U

L: Ja.

NA+7=+?3&5+!3#+*(+'%$B+H(+!3#+'3&9+-&+h#5&%&'4+53(+!3#+'3#+&-2/$+("B+Nur, mein Vater war damals schon gegen 60 und die Männer mussten dann zum Volkssturm, sind sie abgerufen worden und er kam noch bis Wien. Von dort ging er dann zu Fuß nach Hause. Und mein späterer Mann, der ging von Hainburg herauf und der musste dann nach Mauerkirchen, denn dort war das Entlassungslager. Und nachdem er erst 17 Jahre alt war, ist er dort sehr gut behandelt worden und er bekam Papiere, so dass er nach Hause konnte. Aber die haben ihm sogar die Marken abgenommen, die Soldaten hatten ja Marken, die haben ihm sogar die Marken abgenommen und nach Amerika geschickt. Das war dann Kriegs…- die zeigten dann dort, welche Kinder einrücken mussten. Ja das war dann gerad zum Schluss.

L: Und hattest du Kontakt mit den Besatzungsmächten?

NA+E2/+/3$$*+&-2/$+6-*)4+*/#)-2/+'*(3'$+-2/+!3#+D3+*-&*+j"2/*+9%+O3%(*+und dann bin ich wieder nach Gmunden. Aber es gab ja keinen Autobus, du musstest alles zu Fuß gehen. Der Autobus ist das ganze 45er Jahr erst im August ein Autobus eingesetzt worden, da sie keine hatten. Von Gmunden ins Almtal herüber. Ja, und dann in Gmunden waren sehr viel Neger und wir hatten blödsinnigerweise Angst vor den Negern. Aber sie waren sehr freundlich, sie teilten Schokolade aus für die Kinder und sie kamen zu uns ins Geschäft und bei uns war ja nicht viel da zum kaufen. Und die hatten Kekse dabei und dann sind auch Kekse geschickt worden von Amerika. Da bekamen wir dann Sachen.

L: Und war das mit den Besatzungsmächten überall gleich, dass die so freundlich waren?

NA+F=%&5*&+!3#+*-&*+I$35$4+5-*+!%#5*+1<*#/3%J$+6*#(2/"&$B+Es ist keine einzige Bombe gefallen. Und die Besatzungsmächte waren wirklich - ich kann mich nicht beklagen. Die Neger kamen zu uns herein, mir blieb fast das Herz stehen im Geschäft. Aber die waren freundlich, also waren auch wir freundlich. Ich konnte nicht Englisch.Ich hatte nur ein paar Englisch-Stunden, dann mussten die Lehrer einrücken in der Hauptschule, damals. Aber ich war auch nicht so ein Madl, wie andere,die sich mit den Besatzungssoldaten eingelassen haben. Das hätte ich nie getan, das war nicht meins. Aber das ist so.

L: Und welche Stimmung war in der Bevölkerung gegenüber den Besatzungsmächten?

NA+Q-*+?*%$*+!3#*&+D3+(*/#+;#"/4+53+(-*+("+6-*)*+?*<*&(=-$$*)+=-$<#32/$*&B+Aber ich hab auch vieles Schlimmes erlebt. Das schreiben wir hier nicht hinein, denn das war sehr schlimm. Ich fuhr mit dem Zug nach Wels und da hab ich gesehen, wie sich die Frauen mit den Soldaten, mit den amerikanischen Soldaten, Gott sei Dank waren da die Amerikaner, wie sie sich mit denen abgegeben haben. Sind auch viele krank geworden, viele Frauen, genügend Leute. Aber sonst, ich - man ging einfach am Abend nicht mehr fort. Du konntest nicht ins Kino gehen, denn es gab keinen Film, den sie spielen konnten. Der erste Film, der gespielt wurde, war die Geierwally, und da haben sie eh nichts anderes gehabt. L&5+&32//*#+!3#+*-&+7%;.)R#%&'(@)=4+5*&&+*(+!3#*&+D3+("+6-*)*+3&'*($*2.$B+

Page 60: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

53

L&5+53+/3<*&+(-*+*-&*&+7%;.)R#%&'(@)=4+!*#+53(+-&+5-*+j*'*+'*)*-$*$+/3$4+!*-M+-2/+&-2/$4+%&5+53+haben wir uns in Gmunden im Kino den Film angeschaut. Und es gab zum Beispiel auch keine Schule für mich. Ich habe dort gelernt, aber es waren dort keine Lehrer da für die Berufsschulen. Und dann war ich eben schon älter und ging gerade mal ein paar Monate in die Berufsschule und durfte dann schon die Prüfung machen. Ja, ich, ich müsste lügen, wenn ich jetzt irgendetwas Schlechtes über die Besatzung sage.Das können nur die sagen, die bei den Russen waren. Da sind wir einmal ins Mühlviertel gefahren, da waren noch die Russen da, da kannte ich schon meinen Mann und die haben in Urfahr, auf der Brücke, da war ein Schranken, zuerst die Amerikaner herüben, die haben unseren Pass, es war eine Kennkarte und kein Pass, die haben unsere Kennkarte angesehen, da war alles in Ordnung. Und dann sind wir zu den Russen hinüber, die haben dann wieder. Auf dem Foto hab ich noch sehr gut ausgeschaut und zu der Zeit war ich dann schon schmäler, das war ja dann schon eine schlechtere Zeit, da war ich dann schon schmäler. Da wollten sie mich gar nicht hinüber lassen, weil sie dachten, ich hab ein Falsches, aber es war kein Falsches. Es war schon mein Pass. Also Pass hat es damals noch nicht gegeben, eine Kennkarte.

L: Wie hat sich das Leben verändert bezüglich dem elektrischen Strom?

NA+C34+53(+.3&&+-2/+(2/"&+*#9R/)*&B+L&5+9!3#B+T#3&9"(*&+!3#*&+(*/#+6-*)*+534+W#-*'('*;3&'*&*B+Franzosen waren ja schon so lange Kriegsgefangen, weil der Krieg mit Frankreich war ja früher schon und der Krieg mit Russland erst viel später. Je-denfalls waren da Franzosen da und das waren Elektriker. Und in der Almau war ein E-Werk und von dort, also 44, haben wir den Strom bekommen. Es gab zum Beispiel fast keine Radios, das war nur ein Volksempfänger. Was wir hörten, das war nur Propaganda. Und wie wir gesiegt haben, immer haben wir gesiegt. Mein Bruder war in Kiew und er schrieb nach Hause, dass so viele gefallen waren. Da muss der Brief einmal nicht kontrolliert worden sein. Und dadurch wussten wir, dass das gar nicht wahr ist, was sie da immer propagiert haben, dass wir schon so weit drinnen sind in Russland. Bei Stalingrad war er Gott sei Dank nicht dabei. Bei Stalingrad sind so viele Leute gefallen. Nicht nur gefallen, sonder auch verhungert. Nicht nur unsere Leute, sonder auch die Russen. Die waren arm. Wir hatten sogar gefangene russische Frauen, die bei den Bauern arbeiten mussten, daran kann ich mich erinnern.

L: Hattet ihr Zugang zu einem Radio, der kein Volksempfänger war, wo man auch andere Sender empfangen konnte.

NA+C34+/3$$*&+!-#B+Q3(+!3#+("B+E2/+*#9R/)$*+*(+5-#+*/+*-&=3)B+Der Bruckwortha hat eine Kuh, also ein Kalb, und hat sich einen größeren Radio gekauft und da hörte er die ausländischen Sender, die russischen nicht. Aber Frankreich, die haben wir. Damals musste man ja alles verdunkeln. Wie ich von herausgefahren bin, das muss ich auch noch schnell sagen, das war mir ein Rätsel, die Autos fuhren ohne Licht, in der Nacht. Darum ist es auch so langsam gegangen. Und damals, mein Vater und der Nachbar haben Radio gehört, und da sind aber Leute gegangen, die nachsehen mussten, ob ordentlich verdunkelt ist. Und da sind wir Kinder herraußen gestanden und haben gepasst, wann wer kommt, dann sind wir rasch hineingelaufen und haben umgeschaltet und dann haben die den deutschen Sender genommen. Sonst wären wir angezeigt worden. Da wärst du ja auch ins KZ gekommen. Aber dadurch hat der Vater, mein Vater, dein Urgroßvater, auch sehr viel gewusst über den Krieg.

Page 61: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

54

L: Hast du Angehörige verloren im Krieg?

M: Ja, und zwar einen Bruder, den Gustel. Den hat ein deutscher Soldat so geschliffen, weil er war krank. Eigentlich hätte er gar nicht einrücken dürfen, aber er hat ja müssen, das war ja so, du bekamst die Einberufung und musstest gehen, nicht. Und dann wurde er ganz, ganz schwer krank. Er kam dann nach Hause und ist zu Hause gestorben. Deutsche Soldaten brachten ihn um, die hatten Schuld. Der Ausbildner ist dann sofort nach Russland geschickt worden, aber was half das. Gustl konnte nicht mehr gesund werden. Das war für meine Mutter ganz etwas Furchtbares. Kannst du dir vorstellen, nicht. Ich rede hier von deiner Urgroßmutter, nicht, na klar, von deiner Urgroßmutter. Ja, es ist so, du weißt, wir hatten eine kleine Landwirtschaft dabei und die Leute, die eine kleine Landwirtschaft dabeihatten, die haben ja nicht so hungern müssen, denn da hat man sich Kartoffeln selber eingelegt und Gemüse und Hühner und so. Also, die mussten nicht so hungern, aber die Leute in der Stadt das war arg.Ich kannte eine Frau, die kam zu uns ins Geschäft und sagte, sie hätte nicht einmal ein Steiberl Mehl, sie könnte den Kindern nicht einmal eine Suppe kochen. Weil sie nichts mehr bekommen hat, auf die Karten.

L: Wie bekam man sonst etwas, wenn man in der Stadt wohnte?

NA+j-*U

L: Ja, wenn man auf Karten nichts bekommen hat.

NA+C34+!*-)+&-2/$(+53+!3#B+Q-*+'-&'*&+53&&+9%+5*&+:3%*#&+/-&3%(B+Richtig betteln, naja, die Bauern nutzten das aus. Da haben Frauen ihren Schmuck her, damit sie für die Kinder etwas zu essen haben. Es war auch das Geld nichts mehr wert, als der Krieg aus war, hat das keinen Sinn mehr gehabt. Und da hatten wir die deutsche Mark, die wurde umgewechselt auf Schillinge und zwar da konnte wer noch so viel Geld haben. Du konntest nur hundert Mark umwechseln können und bekamst hundert Schilling dafür. Alles andere...

L: War das direkt nach Kriegsende?

NA+Q3(+!3#+&32/+W#-*'(*&5*B+Q3+."&&$*+&-*=3&5+6-*)+F*)5+/3<*&4+53=3)(B+Es konnte keiner mehr als hundert Schilling haben. Da sind Bauern gegangen, die hatten einen ganzen Haufen Geld, weil sie den Leuten Sachen verkauft hatten, du hast ja für das Geld nichts bekommen, die durften auch nur einen Hunderter umtauschen, so war das. Ja, es war eine schlimme Zeit. Aber es nutzte e nichts, es gab keine Kleider, keine Stoffe, das ist dann wieder ganz langsam angelaufen.?A+j3&&+(-&5+*-'*&$)-2/+5-*+*#($*&+V#3.$"#*&+-&+5-*+?3&5!-#$(2/3;$+'*."==*&4+also die Technik eingezogen?NA+G-*)+(JR$*#B+E=+Xb*#+C3/#*+&-2/$(4+&*-&B+Da hatten die Bauern größtenteils noch Ochsen, Ochsenfuhrwerke. Und wenige hatten Pferde, Pferdefuhrwerke wenig. Weil das gab es dann noch nicht, aber ich war ja bei einer Kinderlandverschickung in Deutschland. Ich habe keine Traktoren gesehen, aber ich habe gesehen, wie sie maschinell Kartoffeln eingelegt haben. Das war schon anders wie bei uns. Und eins war dann, als ich meiner Mutter dann erzählt habe „Du kannst dir nicht vorstellen“ das war ein Gutshof wo ich war, „und beim Stall hat es so gestunken, das hab ich nicht vertragen, da wurde mir direkt immer schlecht.“

Page 62: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

55

Und zwei Jahre später hatten die in der Almau ein Silo und da hatten die da draußen schon Silofutter und dann hab ich das eben erkannt und hab ihr gesagt „Genau so hat es in Hannover gestunken.“ Ich war da in der hannoveranischen Gegend. Aber ich habe da draußen auch nur Pferdefuhrwerke gesehen, das war ja unter dem Krieg, da hab ich noch keine Traktoren gesehen. Aber bei uns dann später, zuerst einmal so Leute wie die Almau, die eine große Landwirtschaft hatten, das waren so ziemlich die ersten Traktoren. Und die Lastwägen vom Militär solche Lastwägen haben manche gekauft dann, waren eh desolate, die haben sie dann hergerichtet die Mechaniker. Sind dann Lastwagen gefahren.

L: Welche Berufsverbote gab es eigentlich für Nazis direkt nach Kriegsende?

NA+T1#+>39-(U+C*5*&;3))(+5-*+F*=*-&5*3&'*($*))$*&4+5-*+=%(($*&+3))*+'*/*&B+Die sind dann alle umbesetzt werden, aber die Nazis die sind dann nach Glasenbach gekommen eine Zeit lang. Aber nachher ist es eigentlich wieder so weitergegangen, als wäre eh nichts gewesen. Und da hatten dann auch wieder diese Leute die Oberhand. Wenn ich da an den (Name der Interviewerin bekannt) denke, die da die Obernazis waren und nie eingerückt sind. Die, die so richtig die Parteigenossen waren, die haben ihre Leute richtig schützen können, das war ungerecht damals.

L: Hattest du Kontakt mit Heimkehrern, nicht nur aus deiner Familie, sondern überhaupt, aus Russland?

NA+C34+&%#+5*#+h&.*)4+5*#+W)-&(&*#4+5*#+.3=+*#($+-=+be*#+C3/#+&32/+O3%(*4+"5*#+bfB+Jedenfalls, die Soldaten, die in Russland gefangen wurden, die kamen ja alle nach Sibirien. Und das hat, vielleicht 49, 50 da sind die erst dann heim gekommen. Die waren arm, so ausgehungert und so augeschunden. Die waren richtig arm.Und dann kamen oft auch welche nach Hause, bei denen die Frau einen anderen Mann da hatte. Es war schon elendig. Es war ein Elend. Das kann man sagen. Und es waren auch die Kinder unterernährt.

L: Du auch?

NA+>*-&4+-2/+/3<+5-#+*+(2/"&+'*(3'$4+-2/+/3<*+&-*+'*/%&'*#$4+weil wir da ein bisschen Landwirtschaft hatten und dann war ich in einem Lebensmittelgeschäft. Ich kann nicht irgendetwas sagen, was ich nicht weiß, nur was ich halt so mitbekommen habe.

L: Hattest du Kontakte mit KZ-Entlassenen?

NA+>*-&4+=3&+=%((+53+=3)+<*5*&.*&4+!-#+!3#*&+-&+F=%&5*&+und kein Mensch hat gewusst, dass da in Ebensee ein KZ-Lager ist, und zwar da im Salzberg, das war ja eine Höhle hinein, ich war nie dort, ich sah es mir nie an. Und dann sind die, es ist aufgemacht worden, und dann sind die KZler gekommen. Na die sahen aus. Erstens mal das Gewand das hässliche, das gestreifte und ganz mager und wir im Geschäft konnten ihnen auch nicht viel geben. Sie sind sogar bis daher, denn meine Mutter erzählte das auch. Sie gab ihnen halt ein paar Eier. Und die glaubte dann, wir hätten Schuld gehabt. Wir hatten nicht Schuld, wir haben nicht gewusst, dass da in Ebensee ein KZ-Lager ist. Kannst du dir das vorstellen? Ich weiß nicht, was die da machen mussten, sicher irgendetwas für Munition, irgendetwas mussten die da tun. Aber sie waren sehr, sehr arm. Weil, wenn du sie so angesehen hast, wir haben uns richtig gefürchtet vor ihnen. Und sie natürlich, die waren dann auch sehr aggressiv.

Page 63: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

56

Kein Wunder, euch geht es gut da herraußen. Das hast als gewöhnlich Sterblicher gar nicht gewusst. Wir wussten nur von Mauthausen. Und das, es ist nichts propagiert worden, im Radio hast du davon nichts gehört, aber dein Urgroßvater, mein Vater, der war bei der Eisenbahn und da war einmal eine Lok kaputt, da unten in Mauthausen, und da mussten die Eisenbahner da hinunterfahren, er war Schmied, er war Schmiedmeister und hat da bei der Eisenbahn einen Trupp zusammenstellen müssen. Die fuhren da hinunter, die Lok wieder herrichten. Und da sagte er, er hat sich das angesehen und er hat das meiner Mutter erzählt und dann hat er gesehen, dass ich das gehört habe und da hat er zu mir gesagt „Bitte, sag das niemanden, was ich euch da über das Mauthausen erzählt habe, du darfst zu niemanden etwas sagen, weil sonst werde ich eingesperrt.“ Es hieß immer „Feind hört mit“ da durftest du nicht darüber reden. Aber er hat das gewusst von Mauthausen. Das hat man dann erst nach dem Krieg gehört. Wie ich dann wieder angefangen habe zu arbeiten, da sind zwei Soldaten, die noch nicht in Mauerkirchen waren wegen der Entlassungspapiere, aber sie sind auch mit dem Track gefahren. Die haben sich was versteckt. Lebensmittel und so. Da hat dann eh meine Mutter auch etwas bekommen und die sind mit mir nach Gmunden gegangen. Aber da waren jetzt dann keine Deutschen Soldaten mehr, da sind jetzt schon die Amerikaner gefahren. Wir sind grade durch den Wald, ich wusste ja Abkürzungen, weil ich den Weg oft gegangen bin. Wir sind grade im Wald drin gegangen, da kam ein Trupp amerikanische Autos daher. Um Gottes Willen, dachte ich mir, denn die zwei, wenn sie die gefangen hätten, die hatten keine Papiere, ich hatte ja meinen Ausweis mit, aber dann hätten sie mich wahrscheinlich auch. L&5+53(+/3<+-2/+D3+("+'*;1#2/$*$B+L&5+5-*+!3#*&+3<*#+3))*+("+&*$$4+5-*+J@;;*&+und haben gewunken und sind vorbeigefahren. Und die zwei, die haben ein altes Gewand angehabt, was sie ihnen in der Bruckworth gegeben haben, die haben kein Militärgewand angehabt. Und das war unser Glück, denn sonst wären sie nach Mauerkirchen gekommen, das wär ja, aber ich hab mich gefürchtet, aber es hat ja Gott sei Dank nichts gegeben. Drum, ich hab nie Schwierigkeiten gehabt mit den Besatzungsmächten, andere schon. Es ist so, so wie du in den Wald hinein rufst, so kommt es zurück. Nein, das nehmen wir hier nicht auf, da sind zwei Soldaten, amerikanisch, und die mussten ja immer patrouillieren, nicht, das war, die haben ja da. Und die Geschäftstür war offen, „Kommen sie herein!“, der eine war e schon öfter da, und schenken mir eine wunderschöne Ledertasche. Und ja, was sollst du tun, ich hab sie angenommen. L&5+53+(3'$+5-*+t/*@&+9%+=-#„Die versteckst du jetzt aber, die haben die Tasche irgendjemanden weggenommen, die haben sie sicher irgendwo gestohlen.“ Aber die Tasche hab ich nachher Jahre gehabt, es war eine schöne Ledertasche. Also, wie gesagt, ich bin aber abends nie irgendwo hingegangen, wie die Besatzungsmächte da waren, erst später, da gingen wir in Gruppen. Da war dann schon wieder, da sind wir in Gruppen. Neben uns war ein Großhandelskaufhaus und die Lehrbuben und die Lehrmadeln und so sind wir wieder zusammengekommen und sind miteinander ins Kino, aber das war auch schon wieder alles. Das war eine Zeit, da man sich auf der Esplanade nicht spazieren gehen traute, weil man sich dachte, es kommt vielleicht ein Neger, oder was, dabei waren sie sehr nett und es hat überhaupt nichts gegeben. In Gmunden hat es nichts gegeben. Und zu Weihnachten hätten die Leute Bratwürstel, das kannst du dir nicht vorstellen, die haben wir in Wels holen müssen, die Bratwürstel,

Page 64: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

57

und wie wir dann zu Hause. Zu der Zeit, da hat es nicht so viele Kühlschränke gegeben, so etwas hat es nicht gegeben. Da hatten wir einen riesigen Eiskasten im Geschäft hinten in einem Raum, und da waren große Eisblöcke, waren da drinnen und da gaben wir die Würstel hinein, denn morgen bekommen sie alle Würstel. Die Leute haben sich angestellt. Und dann wollen wir sie verkaufen und die Würstel haben gelebt innen. Das war furchtbar. Da kommt Weihnachten und die Leute haben sich auf die Würstel gefreut, wir natürlich auch, nicht, du hast sie aber nicht verwenden können. Q-*+t/*@&+/3$+53&&+')*-2/+5-*+?*<*&(=-$$*)J")-9*-+3&'*#%;*&B…

Page 65: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

58

Page 66: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

59

5.3. Inge LangFrau Lang unterrichtete unmittelbar nach ihrer Matura (Lehrerbildungsanstalt, 1943) in der Volks-schule Inner-Breitenau in Molln. Q3(+E&$*#6-*!+/3$+'*;1/#$A++:*#&/3#5+T"#($*#+Z:A+\B+F*'*&'*)*(*&+-=+T*<#%3#+feYfE&$*#6-*!$3'A+YbB+h.$"<*#+feYY

B: Gibt einen Überblick über die Fragen. U. a. über die Amerikaner, Freundlichkeit und so?

Q-*+-&+%&(*#*#+j"/&%&'+*-&`%3#$-*#$*&+7=*#-.3&*#+!3#*&+&-2/$+%&/P8-2/B+7<*#+*(+'3<+3%2/+-&+unserem Ort Willkür und schlimme Übergriffe.

B: Familiensituation gegen Kriegsende?

Ich war noch ledig und in der Breitenau als Lehrerin eingesetzt. Meine Familiehat um den in Russ-land beim Rückzug gefallenen Sohn getrauert. Wir habenwährend des Krieges keinenHunger lei-den müssen, denn meine Mutter hat von Bekannten aus der Jugendzeit Milchprodukte, Eier, Mehl und Obst bekommen. Gemüse haben wir in unserem eigenen und einem zusätzlich gemieteten Garten gezogen. Aber es hat auch viele Leute gegeben, die wirklich in Not waren. Die haben ihre Wertsachen „verhamstert“, um dafür Lebensmittel zu bekommen.Ich selbst habe mit 18 einen Musikwettbewerb gewonnen und die Professoren, die mich kannten,haben sich stark gemacht,dass ich vom Lehrberuf freigestellt werde. Damals durfte näm-lich niemand weiterstudieren, weil alle Männer eingerückt waren und es nicht genug Lehrkräfte gab. Ich bin also freigestellt worden vom Lehrberuf und hätte meinen Preis, ein Gratisstudium in Graz, antreten können, aber eine Woche vor Schulanfang hat mich der Bezirksschulinspektor zu sich gerufen und mir gesagt, dass in der Innerbreitenau 85 Kinder ohne Lehrer sind und mich 5#-&'*&5+<#3%2/*&B+7)("+-($+F#39+-&(+j3((*#+'*;3))*&+%&5+-2/+!3#+3=+H&5*+5*#+j*)$A(-*<*&+W-)"-meter von Molln und einer richtigen Straße entfernt, aber es war sehr schön dort und es hat keinen Hunger gegeben, denn die Nachbarn waren Bauern und Forstleute.Meine Klasse war in einem Bauernhaus untergebracht.Die 85 Schüler waren in zwei Gruppen ge-teilt. Am Vormittag unterrichtete ich „die Großen“ und zu Mittagdie erste bis dritte Klasse. Mühsam! Denn ich war ganz neu im Schulbetrieb und esgab nichts, woran ich mich halten hätte können. Ich habe dann die Eltern gebeten, mir dieErstklassler eine halbe Stunde früher zu schicken, um ihnen die Grundbegriffe beibringen zu können. So wurdeim Abteilungsunterricht Selbstständiges Arbei-ten möglich.Das hat ganz gut funktioniert, die Kinder haben den Bleistift richtig gehalten usw. und konnten nachmalen, was ich ihnen vorgeschrieben und vorgezeichnet hatte.Es war dort alles sehr primitiv, die Kinder kannten nicht einmal ein WC. Am Anfang haben sie sich gefürchtet, sie sind ja von weiß Gott wo hergekommen. Aber sie sind dann gerne in die Schule gegangen.

B: Wie ist es deinem Vater gegangen?

Mein Vater war Hauptmann und wurde wegen seines fortgeschrittenen Alters erst gegen Ende des Krieges in einem Büro eingesetzt.

B: Gegen Ende des Krieges?

Als das Gerücht umging, dass die Russen kommen, waren wir voll Angst. „Wann de kuman, was tan ma?“ Von den Russen hat man ja das Ärgste gehört, was die mit den Frauen und Mädchen $#*-<*&B+Q3+/3<*&+!-#+%&(+*-&*+>"$%&$*#.%&;$+-&+*-&*#+7)=/1$$*+'*#-2/$*$+%&5+'*(3'$A+j*&&+5-*+kommen, dann sind wir da oben. Und wenn sie uns erwischen, schlagen wir solange mit dem Kopf auf den Boden, bis wir nichts mehr hören und spüren. Aber es sind nicht die Russen gekommen, sondern die Amerikaner.

B: War es dann leichter mit den Amerikanern?

Wir hätten geglaubt, dass es leichter ist mit den Amerikanern, aber sowar es nicht. Die haben ge-nauso vergewaltigt wie die Russen.Ja, in meine Klasse sind dann die Ungarn-Flüchtlinge gekommen. Also habe ich mit den Schülern Strohsäcke gestopft. Ich glaube, 30 haben dort ihre Liegestatt in Sicherheit gehabt. Und die haben neben Wertsachen auch viele Lebensmittel mitgeführt. Die hat man ihnen weggenommen. Zu Mit-

Page 67: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

60

tag haben sie von den mitgebrachten Lebensmitteln Essen bekommen. Aber was war vorher und nachher? Ja, in der Früh haben die Kinder geweint, weil sie so hungrig waren. Also die Jägersfrau, bei der ich gewohnt habe, hat ihnen immer etwas gegeben. Und ein Baby ist dort zur Welt gekom-men. Die Ungarn waren sehr lieb. Und so arm! Sie haben sich auf der Wiese gesunde Kräuter ge-sucht. Und haben bei den Bauern ihre mitgebrachten Schätze, Schmuck usw., gegen Lebensmittel getauscht, damit sie nicht verhungern. In einem Bauernhof habe ich einmal einen schönen Per-serteppich hängen sehen von einem Ungarn, den ich gekannt habe.Ja, das war so üblich. Und ich habe Ihnen gesagt, sie sollen zu meinen Eltern gehen, dort bekommen sie ganz bestimmt etwas. Meine Eltern waren recht hilfsbereit, sie haben geholfen, wo sie nur konnten, obwohl sie auch nicht so viel hatten. Sie waren ja keine Bauern. Meine Eltern haben nie etwas dafür genommen.

B: Und bist du auch in dieser Zeit nach Kirchdorf gekommen?

Nein, zu dieser Zeit gab es keinen Schulbetrieb. Es war kein Platz da. Und die Flüchtlinge in der Breitenau brauchten Betreuung.

B: Waren da noch ältere Kinder dabei, so 15 Jahre?

Nein, 8 – 14 Jahre.

B: Haben sie die 15jährigen dann auch noch eingezogen?

C34+53(+!3#+3#'B+E&+5*#+)*$9$*&+S*-$4+*/+(2/"&+<*-=+012.9%'l+H(+/3$+'*/*-M*&A+^j-#+=1((*&+&"2/+alles tun, dass wir´s retten, das Land “. Ich war ja nicht Parteigenossin und zwar strafweise, weil ich bei einer weltanschaulichen Schulung nicht erschienen bin.Auf die Frage, warum ich nicht hin-."==*4+/3<*+-2/+'*3&$!"#$*$A+^j*-)+-2/+')3%<*4+53((+-2/+5-*+F#%&5)3'*+%&(*#*#+j*)$3&(2/3%%&'+.*&&*_B+E2/+!3#+&R=)-2/+<*-+5*#+I-&'g+%&5+IJ-*)(2/3#+%&5+53+'3<+*(+N"&$3'A++N35#-'3)*4+N-$$!"2/A+G").()-*5*#4+T#*-$3'A+G").($3&9B+:*-+P;;*&$)-2/*&+G*#3&($3)$%&'*&+%&5+5*&+T*($*&+5*(+F3%)*-$*#(+haben wir auftreten müssen. Wir sind auch nach Ostpreußen und nach Südfrankreichgereist zur Soldatenbetreuung. Da haben wir manches erlebt, was wir vorher nicht für möglich gehalten hat-ten, zB. dass für 1 erschossenen Deutschen 60 Franzosen auf der Straße sterben mussten.

B: In April – Mai – Juni 1945, warst du da noch in der Breitenau?

Ja, von 1944 bis Kriegsende. Es gab so viel Arbeit in der Schule, weil ich ja alleine war, und als ich 53&&+9%#12.+&32/+W-#2/5"#;+!"))$*4+(3'$*+5*#+:#-*;$#R'*#A+^E2/+;3/#+=-$+E/&*&4+;3/#*&+!-#+=-$+5*=+Radl“.Auf der Hauptstraße sind uns auf einmal Panzer entgegen gekommen. Da hab ich zum ers-ten Mal in meinem Leben Panzer gesehen.

B: Amerikanische?

7=*#-.3&-(2/*4+D34b+I$*#&*+!3#*&+3%;+5*=+,3&9*#B+7<*#+53=3)(+/3<*+&-2/$+'*!%(($A+7=*#-.3&*#+oder Russen?Jedenfalls war der Briefträger immer ganz nahe bei mir, damit mir ja nichts passiert. Ganz stur sind (-*+53+"<*&+'*(*((*&4&%#+/-*+%&5+53+/3$+*-&*#+/*#%&$*#+'*!-&.$B+Q3+/3<+-2/+=-#+'*532/$A+;#*%&5-lich den Frauen gegenüber.Zu Hause standenalle Fenster offen. Und aus jedem Fenster ist amerikanische Musik gekommen, „Negermusik“ haben wir sie genannt. Laut haben sie gesungen! Auch die Wohnungstür stand offen %&5+3)(+=-#+*-&+7=-+*&$'*'*&+.3=4+/3<*+-2/+5*%$(2/+'*#*5*$4+!*-)+-2/+=-#+'*532/$+/3<*A+!*&&+-2/+Englisch rede, dann wissen sie, dass ich sie versteh. 7)("+/3<*+-2/+5*%$(2/+'*(3'$A+^G3$*#4+N%$$*#4+!"+(-&5+(-*U_+E=+j"/&9-==*#+(3M*&+-&+5*&+?*5*#-sesseln und auf dem Sofa Soldaten, einer lag auf dem Perserteppich. Und dann habe ich die Tür zum Schlafzimmer aufgemacht. In den Ehebetten lagen auch einige, aber mit den Stiefeln auf der Bettoberkante. Also sie sind nicht mit den Stiefeln ins Bett hinein. (Lacht!). In der Küche haben einige Amis Karten gespielt.In unserer Wohnung waren 31 Soldaten einquartiert. Während der ersten Besatzung haben meine Eltern noch im kleinen Zimmer wohnen dürfen.

B: Wie ist dir die Situation in Kirchdorf vorgekommen. Gegen Kriegsende waren ja in OÖ 1 Million Flüchtlinge? Wie war dies in Kirchdorf, waren da viele Flüchtlinge?

Page 68: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

61

Ich glaube schon, jedenfalls haben meine Eltern Flüchtlinge aufgenommen, eine nette Familie. Der Mann war Schuster und hat mir fesche Stiefel gemacht. Die Soldaten waren sehr freundlich. Aber ich wollte nicht, dass sie wissen, dass ich sie verstehe. Sie haben ja alle den Kopf umgedreht, wenn ich in oder durch die Küche gegangen bin. Einmal /3<*+-2/+*-&*+:*=*#.%&'+'*/P#$A_+Q3(+!R#+*-&*+9%=w+j-*+$%&+!-#+5*&&U_+Q3+/3<+-2/+=-2/+%=-gedreht und ihm „das Gstell putzt“. Ab diesem Zeitpunkt haben sie natürlich gewusst, dass ich sie verstehe.Im Garten haben wir später ein Heft gefunden, das die Soldaten bekommen /3$$*&A^Q"&x$;#3$*#&-(*_BMeine Mutter hat für sie einmal Erdäpfelsuppe gemacht mit Porree. Sie hat sie kosten lassen und ja, die wollten sie alle. Dafür haben wir Blini, so eine Art Omeletten gekriegt. Gezuckerte, das war etwas Besonderes.

L&$*#<#*2/%&'+g+W%#9*+,3%(*+!*'*&+V*)*;"&3&#%;(+u+T"#$(*$9%&'A+7<.)R#%&'+!3(+/3$+T#3%+?3&'+kurz nach dem Krieg gemacht

Bis 1946 war ich in der Breitenau, dann bin ich nach Micheldorf gekommen

B: Wichtige und öffentliche Ereignisse?

C34+6"#+5*=+W#-*'(*&5*A+Q-*+j-#$-&4+<*-+5*#+-2/+N-$$3'+'*'*((*&+/3<*4*-&*+(*/#+&*$$*+T#3%4+/3$+einen polnischen Kriegsgefangenen zur Hilfe gehabt. Einen Zwangsarbeiter. Und die zwei haben sich verliebt. Daraufhin hat man ihn in Molln öffentlich gehängt. Arg, arg, arg. Was mit der Frau passiert ist, weiß ich nicht.

B: Wer hat dies veranlasst?

Irgendwer hat sie verraten. Und dann ist er von den Nazis abgeholt und aufgehängt worden. Es war eine ganz schlimme Zeit, man hat mit allem rechnen müssen. Manche Männer waren ja nicht eingerückt, da hat es so „Türln“ gegeben. Das waren dann die Macher, Ortsgruppenleiter, Kreislei-$*#+%(!B+Q-*+/3<*&+&-2/$+)3&'+'*;32.*)$4+("&5*#&+^-/#*+,8-2/$+*#;1))$_BL&5+9%#+S*-$+5*(+012.9%'(4+*/+(2/"&+3))*(+6*#)"#*&4+/3<*&+(-*+&"2/+5-*+C%'*&5+539%+6*#J8-2/$*$4+den Kopf hinzuhalten. Auch ich wurde vom BDM aus nach Kirchdorf geholt und habe Schießen %&5+7&(2/)*-2/*&+'*)*#&$4+^SR/+!-*+?*5*#4+/3#$+!-*+W#%JJ($3/)+%&5+8-&.+!-*+5-*+j-&5/%&5*_B+N*-&+Vater hat das aber nicht erfahren dürfen, das haben wir niemand sagen dürfen. Er hat aber ge-!%(($4+53((+3))*4+5-*+&"2/+'*/*&+."&&$*&4+-&+5*&+W#-*'+=%(($*&B+Q3+/3$+*#+'*(3'$A+_C*$9$+($*/$+5*#+Feind schon vor der Tür und ihr sollt den Kopf hinhalten.“Nach dem Abzug der ersten Gruppe der Besatzer wurde unsere Wohnung an einen Major weiter-gegeben. Wenn dermit seinen Frauenbesuchen gefeiert hat, ist so manches kaputt gegangen oder auf andere Weise verschwunden.Meine Eltern haben im Erdgeschoß ein Zimmer bekommen. Aber ein Soldat, ein Konzertgeiger, hat sich bei der Zentrale erkundigt, wer in Kirchdorf gut Klavier spielt. Meine Schwester hat ihn dann 3%;+%&(*#*=+T)1'*)+<*')*-$*$A+:**$/"6*&g+I"&3$*&+;1#+G-")-&*+%&5+W)36-*#B+E2/+!3#+D3+&"2/+-&+5*#+Breitenau und konntenur am Wochenende mit ihm musizieren. Er war ein sehr anständiger und lieber Kerl wie viele, die bei uns einquartiert waren.Aber dann habe ich erfahren, dass die Amis meine Freundin geschnappt haben, ein Jeep mit Sol-daten, und die haben dann das Mädchen vergewaltigt, ein jeder, der da drinnen war. Und das war arg.Meine Mutter hat den Amis in unserer Wohnung die Wäsche gewaschen. Ich habe da auch oft mitgeholfen, wenn ich heimgekommen bin zum Wochenende. Und dafür hat sie Seife bekommen, grüne Seife mit Sand drinnen. Aber immerhin war es ein Waschmittel, eine Militärseife. Auch vom Essenhaben sie etwas abgezweigt und meiner Mutter gebracht. Aber einerist mit einem Sack voll Wäsche gekommen, die bis zu einem gewissen Datum fertig sein musste und wir haben alle zusammengeholfen. Beim Abholen hat er nur„dankeschön“ gesagt. Er hat uns nichts gegeben, obwohl er uns Seife versprochen hatte. Also auch das hat es gegeben.

B: Gegen Kriegsende hat sich ja die Wehrmacht aufgelöst

Das habe ich nicht miterlebt, weil ich war ja meistens in der Breitenau war. Es gab so viele Flücht-linge dort, nicht nur die Ungarn, sondern auch Wiener. Ich war beauftragt, Unerlaubtes zu melden. Die Flüchtlinge hätten z.B nicht vom Bauern Milch holen dürfen für die kleinen Kinder. Aber ich

Page 69: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

62

/3<*+'*(3'$A+^E2/+(*/*+&-2/$(l+I-*+.P&&*&+/")*&4+!3(+(-*+<#3%2/*&B_++j3#%=+53(+&-2/$+*#)3%<$+gewesen wäre, weiß ich nicht.Auch die Zeit nach dem Krieg war arg und ziemlich chaotisch.Diese Aufregung wegen der Amerikaner! Meine Schwester und ich haben uns einmalüber die Amis %&$*#/3)$*&+%&5+'*(3'$A+^L&(*#*+W-&5*#+!*#5*&+(2/P&+(2/3%*&4+!*&&+!-#+-/&*&+*#9R/)*&4+53((+53+*-&+>*'*#+53<*-+!3#+Z)32/$\l_%&5+;*($+1<*#9*%'$AI"+*$!3(+!*#5*&+!-#+&-*+!-*5*#+(*/*&BJedenfalls war auch die Zeit nach dem Krieg noch eine Notzeit mit Lebensmittelmarken und so weiter. Als Siegfried abgemagert aus der Gefangenschaft zurückgekommenwar, haben wir 1948 geheiratet.An den Hochzeitsgeschenken hat man gesehen, wie arm die Leute noch waren. Meine Hochzeitsschuhe waren das Geschenk von meiner Schwester, die schon in der Schweiz gearbeitet hat. Und ich bin zu den Bauern gegangen um Schafwolle. Dafür habe ich im Ennstal beim Loden Steiner Stoff für ein Hochzeitskostüm bekommen. Mein Vater hat einem Hausierer Stoff für Sieg-frieds Hochzeitsanzug abgekauft. Und den hat dann der Schneider so verpfuscht, dass ich gesagt /3<*A+^N-$+5*=+/*-#3$*+-2/+5-2/+&-2/$4+=-$+5*=+<-($+5%+1<*#/3%J$+&-2/$+;*(2/l_++Q3(+I3.."+!3#+9%+kurz und recht breit. Also hat er dann seinen Maturanzug angezogen! (lacht!).Ein Kohlebügeleisen und ein paar gebrauchte Keramiksachen waren weitere Hochzeitsgeschen-ke. Von meinem Cousin habe ich Holz bekommen für die Küche.

B: Wie haben sich nach Kriegsende die nationalistischen Funktionäre verhalten? Z. B. der Eigruber ist ja nach dem Krieg nach Kirchdorf gekommen?

Ja, in Hinterstoder hat er eine Alm gehabt.

B: Wie haben sich die Funktionäre verhalten, Durchhalteparolen?

j3/#(2/*-&)-2/+(-&5+*-&-'*+'*812/$*$4+3<*#+53(+!*-M+-2/+&-2/$Bj-*+(-2/+5-*+T%&.$-"&R#*+6*#/3)$*&+/3<*&U+7)("A+>*<*&+%&(*#*=+h<($'3#$*&+!3#+*-&+IJ3#.3(-sengrund mit einem kleinen Haus, den meine Eltern vom Erbe meiner Mutter kaufen wollten. Mein Vater hätte als Sparkassenleiter das Vorkaufsrecht gehabt. Als er einmal ein paar Tage krank und daher nicht im Dienst war, hat der Ortsgruppenleiter sich den Grund geholt. Er hat das Vorkaufs-recht einfach ignoriert. Jedenfalls haben die Funktionäre zu ihrem Vorteil gewirtschaftet.

B: Wie war das mit dem Geld?

Ich habe damals sehr wenig Lohn bekommen. Ich glaube 130 Mark, ein Lehreranfangsgehalt. Außerdem hat man ohnehin fast nichts kaufen können. Einen Gutschein für Schuhe hat es einmal gegeben und für Radlschläuche zum Beispiel. Das wenige Ersparte ist dann in Schilling umge-tauscht worden.

B: Was ist aus der Jägerfamilie geworden, wo du gewohnt hast?

Die Jäger ist bald gestorben. Seine Witwe ging zurück in ihre Heimat am Chiemsee.

01&2*%3456-$78%-)&5%*&!"#9-%*%1

Freundlich waren sie, wir auch. >%#A+N*-&*+H)$*#&+/3<*&+V*JJ-2/*+%&5+j*#$(32/*&+-=+W*))*#+%&$*#+5*=+O")9+6*#($*2.$+'*/3<$B+7)(++der Majorausgezogen war und es hieß, wir könnten wieder den Normalzustand herstellen, haben meine Eltern die Zimmer ausgemalt und geputzt, die Teppiche wurden aufgelegt und die Bilder aufgehängt. Als die Mutter einmal alleinzu Hause war, haben Soldaten geläutet und sind sofort in die Wohnung gestürmt. Meine Mutter war verzweifelt und hat geschrien. Dahat einer der Solda-ten sie an die Wand gestellt und ihr eine Waffe angesetzt. Wenn sie noch einmal einen Muckser macht, dann schießt er. Und da hat meine Mutter beim Plündern zuschauen müssen. Einer hat sich ausgekannt, was wertvoll ist und was nicht. Und dann haben sie alles Schöne und Wertvolle 3%('*#R%=$B+N*-&+G3$*#+/3$+(-2/+<*-+*-&*=+5*#+h;@9-*#*4+5-*+-&+%&(*#*#+j"/&%&'+'*!"/&$+/3<*&4+erkundigt und ist mit mir nach Linz gefahren. Unter Möbelraub ist der Akt dann gelaufen. Bei einem /"/*&+h;@9-*#+/3<*&+!-#+%&(*#*&+(2/P&($*&+,*#(*#$*JJ-2/+'*;%&5*&B+H#+/3$+6*#(J#"2/*&4+-/&+wieder zurückzugeben, wenn er ihn nicht mehr braucht, aber wir haben ihn ebenso wenig wieder-gesehen wie die anderen Teppiche, Möbel und Bilder. Als Entschädigung haben wir viel weniger bekommen ais den Schätzwert. Aber es hat geheißen, wenn wir das nicht nehmen, bekommen wir gar nichts.

Page 70: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

63

7<*#+-=+G*#')*-2/+9%=+V"5+=*-&*(+:#%5*#(+/3$$*+53(+.*-&*+:*5*%$%&'B+N*-&+G3$*#+/3$+'*(3'$A_j-#+brauchen nichts. Hätten sie uns doch den Bruno gelassen!“. Meine Mutter hat innerhalb einer Woche nach seinem Tod weiße Haare bekommen und hat von „Hitler, dem Mörder“ geredet. Mein Bruder war erst 18 Jahre alt und ist gleich nach der Matura eingerückt. In Kirchdorf hat es kein Gymnasium gegeben, daher sind mein Bruder, meine Schwester und ich in Orte mit höheren Schulen gekommen. Mein Bruder war im Internat in Kremsmünster und ich bei einer Kostfrau in Linz. Er wollte Priester werden, weil er da viel helfen hätte können.

B: Was hat für dich der Krieg verhindert?

Ich bin Lehrerin geblieben und habe nicht weiterstudieren können. In der Breitenau hat es ja kein Klavier gegeben zum Üben, und wenn ich heimgekommen bin zum Klavier, sind die Finger nicht mehr so gelaufen wie früher. Das hat mich fürchterlich geärgert.Dabei war ich einmal so gut, dass ich einen Preis gemacht habe, eben das Gratis- Musikstudium in Graz. Ich hatte den Preis ja nicht nur wegen dem Klavierspielen gemacht, sondern auch wegen der Musikalität. Wir haben ein im Nebenzimmer gespieltes Musikstück aufschreiben müssen. Ich kann das und die anderen haben das nichtgekonnt, darum habe ich gewonnen. Aber das Studium ist verhindert worden.Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.

Page 71: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

64

Page 72: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

65

5.4. Rudolf StanzelGespräch mit Herrn OSR Rudolf Stanzel aus Windischgarsten -=+:0F+W-#2/5"#;+3=+deBeYBfeYfB+Q3%*#A+bXAXYN-&%$*&Geführt von Michael Haunschmidt, Deborah Größwagen und Gregor AuingerGegengelesen von Herrn Stanzel am 5. Februar 2012

Michael: Wo waren Sie im Mai 1945?

I$3&9*)A+N3-+xXbwBB-&+>"#5-#)3&5B

Michael: Wie kamen Sie dort hin?

I$3&9*)A+?32/$w'%$*+T#3'*B+E2/+!3#+-=+S!*-$*&+j*)$.#-*'+I")53$+5*#+Q*%$(2/*&+j*/#=32/$4+9%-erst beim Heer, dann bei der Waffen-SS, und wurde im September 1944 an der Westfront von einer schottischen Einheit zum Royal British Prisoner of War gemacht, d. h. gefangen genommen und nach Nordirland gebracht. Wir haben die Baracken bezogen, die für die amerikanischen Soldaten errichtet worden waren. Sie waren ja schon in Frankreich.

Michael: Wie kommt man zur SS?

I$3&9*)A+Q3(+-($+*-&*+(2/3#;*+T#3'*B+h<!"/)+!-#+I$%5*&$*&+5*#+Q*%$(2/*&+O*-=(2/%)*+-&+W#*=(-münster, keine Antinazi waren,waren wir uns einig, uns nicht zur SS zu meldenund nachdem ich mehrere trickreiche Werbeveranstaltungen mit Glück überstanden hatte, rückte ich im April 1944 ganz normal zur Wehrmacht ein. Ich war bissl ein goscherter Student und auch ein goscherter Rekrut, ich hab halt durch die vormilitärische Erziehung bei der Hitlerjugend a bissl mehr gewusst wie un-(*#*+L&$*#";@9-*#*4+5-*+%&(+3%('*<-)5*$+/3<*&B+Das hat mich nicht zum Liebkind gemacht und immer stand die Drohung im Raum, mich nicht zum 0*(*#6*gh;@9-*#(<*!*#<*#+9%+=32/*&B+In Dänemark, wohin wir nach der Ausbildung in Mödling verlegt wurden, (am 20. Juli 1944 waren wir gerade in Berlin!) war ich festüberzeugt, dass ich nicht zum ROB ausgewählt worden war und ich dachte mir, !*&&+(2/"&+&-2/$+<*-+5*#+j*/#=32/$4+53&&+<*-+5*#+II+h;@9-*#+9%+!*#5*&B+Unter uns Studenten war das ein selbstverständliches Ziel. Da war dann ein Appell und es ist gefragt worden, ob sich jemand zur SS meldet.Da habe ich die Hand gehoben und ich übertreibe nicht, ich habe eigentlich zu meiner Hand hinaufg´schaut, als wenn sie nicht zu mir gehörte. Dass es so was gibt. Und meine Spezl alle, Kal-ab Bruno, der pensionierte Direktor von Micheldorf, hat dann noch gesagt „Bist deppat, spinnst du?“ Und dann bin ich weggekommen. Ich war dem Weinen nahe, es meinen Eltern mitzuteilen habe ich auch nicht übers Herz gebracht. Wie Günter Grass wurde ich in ein Ausbildungslager der SS in Böhmen überstellt, mit mir eine ganze Kompagnie alter Soldaten der Luftwaffe. Die hat man gar nicht gefragt, das war die Her-mann-Göring-Spende. Wie entscheidend das nächste Ereignis war, konnte ich erst viel später erkennen. Bei der SS war es üblich, die Blutgruppe auf die Innenseite des Oberarmes zu tätowieren. Man gab vor, das könnte lebensrettend sein, aber es ging darum, die SS-Leute für ihr Leben zu markieren. Für manchen wirkte sich das nicht lebensrettend sondern todbringend aus.j-#+!%#5*&+-&+*-&+'#"M*(+S*)$+'*;1/#$+%&5+53+;#3'$+D*=3&5A^j*#+.3&&+Q*%$(2/+%&5+(2/#*-<*&U_+H(+waren da nämlich viele Rekruten aus dem Osten, die man einfach zusammengefangen hat, deutsch oder nicht. Ich habe michgemeldet. Ich musste die Liste der Geimpften führen. 7)(+*(+53&&+^I$3&9*)_+'*/*-M*&+/3$4+/3<*+-2/+'*#%;*&A+:)%$'#%JJ*+:4+5*#+>R2/($*l_+%&5+("+<-&+-2/+ohne dieses Kainszeichen davongekommen. Das war mein Glück, als ich dann in der Gefangen-schaft meine 5-wöchige SS-Zugehörigkeit zu vertuschen suchte. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Michael: Wann und warum begannen Sie sich vom Nationalsozialismus abzuwenden?

Page 73: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

66

I$3&9*)A+a<*#+>32/$+'-&'+53(+&-2/$B+E=+?3%;*+=*-&*#+9!*-DR/#-'*&+F*;3&'*&(2/3;$+/3$$*+-2/+*-&-'*+Erlebnisse, die meine Hochachtung vor den Engländern und ihrer Demokratie steigerten und den Nationalsozialismus in ein immer klareres, schlechteres Licht brachte. Bei meiner Gefangennahme, noch als SS-ler, blickte ich eine Zeitlang in ein Dutzend Mündungen entsicherter Gewehre und Pistolen, ringsum krachte es und ein Bewacher vor mir sackte plötzlich verwundet zusammen. E2/+<-<<*#$*+6"#+7&'($+%&5+8*/$*A+^E+3=+7%($#-3&B+j/*&+K"%+.-))+=*4+.-))+=*+`%-2.l_+Q3+(3'$*+D*=3&5+-&+'%$*=+Q*%$(2/A+_j*&&+I-*+(-2/+#%/-'6*#/3)$*&4+'*(2/-*/$+E/&*&+&-2/$(yB+Q3+hatte mich die Erde wieder. Das war nur das erste Erlebnis mit britischer Korrektness. Q*#+?3'*#."==3&53&$+-&+>"#5-#)3&5+1<*#J#1;$*+J*#(P&)-2/4+!3(+;1#+%&(*#*+G*#J8*'%&'+3&'*)-*;*#$+wurde und das war genau das gleiche, wie für britische Soldaten. Es ging uns also ausgezeichnet. Ich konnte auch viel lesen und erkannte, dass wir mit sehr viel Einseitigkeit, eigentlich nur mit Pro-paganda erzogen worden sind. Nachrichten von den Konzentrationslagern erreichten uns. Lang-sam musste ich erkennen, dass wir mit Lügen gefüttert worden sind, von der Wunderwaffe bis zum Heldentod des Führers. Ich hielt mich auch für einen unschuldigen Mitläufer, bis mir nach einer Aussprache klarwurde, dass wir Mitläufer durch unser Funktionieren als kleine Rädchen ein verbrecherisches System unterstützt haben. Das werfe ich mir heute noch vor.

Michael: Wo genau waren denn Sie wie sie da gefangen genommen worden sind?

I$3&9*)A+C3+!*&&+-2/+53(+(*)<*#+!1(($*wBW"JJ)"+"5*#+("+R/&)-2/+/3$+53(+Q"#;+'*/*-M*&B+E2/+/3<+es nie genau lokalisieren können. Es muss westlich Maastricht in Belgien gewesen sein.

Michael: Was wussten Sie damals über die Todesmärsche?

Damals wusste ich davon gar nix. Wie ich aber dann heimgekommen bin, Juli 46, da hat mir meine Mutter oder mein Vater von diesem Todesmarsch erzählt. N*-&*+H)$*#&+!3#*&+'3&9+*&$(*$9$B+E/#+=1(($+*%2/+6"#($*))*&A+H(+!3#+N-$$*+7J#-)+Xb4+D*5*#+&"#=3)*+Mensch hat gewusst, der Krieg ist verloren. Werden sich die Sieger an uns rächen? Meine Eltern haben direkt an der Straße gewohnt. Die Juden haben sich sofort auf den Komposthaufen gestürzt und mit bloßen Händen nach Kartof-felschalen gesucht.Die meisten Todesmärsche wurden über den Präbichl und das Ennstal nach Mauthausen geführt. Bei uns im Bezirk Kirchdorf ist nur ein einziger Zug durchgegangen. Symbolisch ersuche ich nun Michael, im Bezirk für ein Denkmal des Todesmarsches der ungarischen Juden zu sorgen. E2/+/3<*+&"2/+9!*-+O*#9*&(!1&(2/*A+H-&+Q*&.=3)+;1#+5-*+?*-5*&+5*#+T#3%*&+-=+W#-*'+%&5+*-&+Denkmal für den tüchtigen Sensenschmied Konrad Eisvogel.

Michael: Weiß man, wo sich Eigruber versteckt hat und wie er gefasst wurde?

I$3&9*)A+C34+53(+-($+*-&-'*#=3M*&+5".%=*&$-*#$B+H-'#%<*#+-($+'*812/$*$+6"&+?-&9+&32/+W-#2/5"#;+%&5+dann nach Windischgarsten. Er träumte davon, dass man einen Waffenstillstand mit den Westmächten aushandeln könnte und weiterkämpfen gegen die Russen, das war seine letzte Hoffnung. Wann einem nichts mehr anderes übrig bleibt, dann hofft man den größten Blödsinn.Er ist von Windischgarsten am 6. Mai in aller Früh weg. Dass er von den Amerikanern auf seinem Weg nach Vorderstoder kontrolliert und nicht erkannt worden ist, halte ich für ein Märchen.Er ist jedenfalls auf den Tamberg, in die Jagdhütte Immerl Gsoll. Dort hat ihn dann später ein Förs-ter angetroffen. Die Amerikaner wollten ihn dort festnehmen, kamen aber in ein leeres Nest. Eigruber hatte sich erkannt gefühlt und war auf die Pankrazer Seite 5*(+V3=<*#'*(4+-&+5-*+I3%."')3)=+'*812/$*$B+I-*+)3'+'3&9+6*#($*2.$+-=+j3)5+"<*#/3)<+5*(+W#*&-grabens.

Michael: Wann war des nach dem Krieg?

I$3&9*)A+Q-*+T*($&3/=*+;3&5+N-$$*+C%)-+YcXb+($3$$4+3)("+;3($+9!*-+N"&3$*+&32/+5*=+S%(3==*&-bruch und ihn so lange zu versorgen, das ist allerhand.

Page 74: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

67

Michael: Muss er noch Freunde ghabt haben…

I$3&9*)A+C3D34+%&5+5-*+(-&5+/3%J$(R2/)-2/+-&+I$B+,3&.#39+9%+(%2/*&B+Die Umstände, die zu Eigrubers Verhaftung geführt haben, sind mysteriös. Wir wissen nicht, wie es dem CIC gelungen ist, Eigruber aus seinem Versteck zu locken. Angeblich haben ihm zwei bis jetzt unbekannte HJ-Führer versprochen, ein Fluchtauto zu besorgen. Eigruber ging darauf ein und kam zu dem ausgemachten Zeitpunkt zur Krengrabenbrücke der B 138 herunter. Hinter einer unübersichtlichen Kurve in Steyrling hatten die Amis durch Vortäuschung eines Ver-kehrsunfalles eine Barrikade errichtet. Eigruber soll ausgestiegen sein und damit einen Zugrifferleichtert haben. Er konnte sich weder mit der Waffe verteidigen noch Selbstmord begehen. Viele Dinge sind da noch zu hinterfragen.Eigruber wurde im Kleinen Kriegsverbrecherprozess zum Tode verurteilt und 1946 in Landsberg durch Erhängen hingerichtet. Sein Befehl, alle politischen Häftlinge aus Oberösterreich in Mauthausen zu vergasen, war ihm zum Verhängnis geworden.

Michael: Weiß man wo Ziereis sich versteckt hielt?

I$3&9*)A+j-#+&*/=*&+3&4+53((+*#+(-2/+=-$+(*-&*#+T#3%+-&+5*#+V#3n)3&'*#+O1$$*+-&+5*#+>R/*+5*#+V3)-station der Wurzeralm-Seilbahn aufgehalten hat.

Michael: Warum genau dort?

I$3&9*)A+H-&-'*+WSgE&(3((*&+!%(($*&+6"&+*-&*#+C3'5/1$$*4+!"+(-2/+S-*#*-(+P;$*#+3%;'*/3)$*&+/3$B+Das könnte auf den Umstand zurück gehen, dass Anfang der 40er Jahre dort mit KZlern Marmor für den Bau der Reichskanzlei gebrochen worden ist. Die Draxlangerhütte steht nicht mehr, und der geheimnisvolle Hinweis an seine Frau, wo er seine Pistole versteckt hat, dürfte schon Schatz-sucher angelockt haben.

Michael: Wie empfand die Bevölkerung die Befreiung durch die Amerikaner?

I$3&9*)A+7)("4+-2/+!3#+D3+&-2/$+53B+Q3(+=%((+-2/+')*-2/(3'*&B+Und ich war in der Gefangenschaft sehr, sehr erleichtert, wie ich dann endlich erfahren hab, dass die Amerikaner in unser Gebiet gekommen sind und nicht die Russen. Die meisten Leute haben vor allem begrüßt, dass der Krieg zu Ende ist, befreit hat man sich gefühlt, weil jetzt der Druck der Partei, der Meinungsterror vorüber war.Wer einen Tag vor dem Zusammenbruchgesagt hat, der Krieg ist verloren, der musste um sein Leben bangen. Da kommen wir eh noch zu einer anderen Tragödie, dem Fall des Polizeimajors Pasquali, der von der SS in Spital am Pyhrn erschossen worden ist.Ende des Gesprächs

Page 75: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

68

Page 76: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

69

5.5. Franz HorcickaGespräch mit Mag. Franz HORCICKA, Jahrgang 1939, geboren in St. Pankraz, aufgewachsen ebenda und in Linz,Studium der Germanistik und Geschichte in Wien, Schauspiel- und Sprachstudium in der Sowjetunion, AHS-Lehrer in Kirchdorf, Theaterautor und Regisseur, in der Ausländerintegration und im Theaterbereich tätig.Das Gespräch führten Martin Binder, Peter Gappmaier und Martin KreuzingerV#3&(.#-J$-"&A+N3#$-&+W#*%9-&'*#

Peter: Wo waren Sie im April, Mai, Juni 1945. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit und an durchziehende Flüchtlinge?

Also zu dem Zeitpunkt war I sechs Jahr alt, bin in St. Pankraz geboren (…) ich muass dazu sagen, ich habe keinen Vater g´habt, weil die waren ja im Krieg, wir waren die Generation, die vaterlos aufgewachsen ist. E2/+812/$*$*+9%+=*-&*=+F#"M63$*#+%&5+<-&+-&+*-&*=+(*/#+!"/)($3&5('*=RM*&+L=;*)5+3%;'*!32/(*&A+es war a Bauernhof, a Wirtshaus, a Alm, also a Riesenbetrieb eigentlich… mit viel Tieren, also Rindviecher, Pferde, später dann Traktor und so weiter und so fort. Der Großvater war ein Monarchiemensch, 5*#+=-#+(2/"&+=-$+5#*-4+6-*#+<*-<#32/$+/3$A+„Du, sag ned Krowodn, des is a Schimpfwort, sog „Kroaten“, des san Leid wie du und i.“ Und der Hitler, hat er ma erklärt und eingeschärft, wird der ganzen Menschheit am Schedl falln. Er hat sogar dann an jüdisch-stämmigen Menschen bei eam arbeiten lassen, der bei der Bahn entlassen worden ist, bei der „ÖBB“, ist dafür belangt worden. Da Großvater war Monarchist, hat a paar Spachen kenna. O3$+=-+3+<**-&8%(($4+!*-)+-+/3<+53&&+3+IJ#32/*&+')*#&$+und hab Russisch studiert zum Beispü und hab …D3+!3#+(*/#+<**-&8%(($+6"&+5*=wer hat so erzogen, dass er gsagt hat, „Du I geh jetzt Hoiz schlichten.“ Q3&&+-(+*#+!-*53+'3%&'3B+E+/3<+=3+'*532/$A+„Soi i jetzt geh, soi i net geh?“ Wahrscheinlich bin i eam meistens nachigrennt. I woass ned …(lacht). Er hat a nie die Hand erhoben gegen mi, was dann später anders war, wie der Vater vom Kriag zruckkumma is….mei Opa war, war einfach die Person für mi, die Bezugsperson, die i ma eigentlich söwa ausgsuacht hab. Und er hat ned „Na!“ gsagt.So, zu dem amoi!Die Amerikaner….oiso zuerst amoi hat´s in da Schui ghassen, =-3+=-3((&+W3$";@.R;3+.)3%<=+'*/B+Q*(+/3$+53+T*-&54+(J#-2/+53+7=*#-.3&34+aus Amerika mitbracht, damit die Wehrkraft der Deutschen Wehrmacht zersetzt wird. Recht vü hab i ned vastaunden damals vo den, kannst da eh voastön, 3<*#+-+<-&+/"-5+3+W3$";@.R;3+.)3%<=+'3%&'3B…und ah…ja, was hamma nu gheat? >"D"A+5-*+I2/!"399&+ZT3#<-'*\+(3&+'3%&9+<*(*+?*-$B+Des hat ma scho gheat. Und i kann mi erinnern nach dem Kriag, wie die Amerikaner … war i sechs und nachm Kriag hat ma öfta a Mädchen gseng mit ana Glatzn

Page 77: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

70

und die Einheimischen ham die Mädchen die Haare geschoren, weil sie si mit Amerikanern einglassen ham und sie san allgemein also verrufen gwesen als „Amihuren“

Peter: Mhm.

….also des alloa is jo schau a wüde Gschicht jetzt…aber, naja, dann san de Ami da gwesen. Mia mussten alle zsammziang auf drei, vier Räume. Wir waren ja viele Leute, oiso meine Vawaundtn olle, Schwestern, a aundare Familie, die dort gwohnt hat, die Familie Hübsch, wo er dann Bürgermasta gwesen is und ziemlich a Blaua war.Die Familie Soundso, dann im Saal hinten, da hat´s a an Kinosaal gebm in dem Haus, wo i aufgwachsen bin, hamma Flüchtlinge ghabt, aus Wien, a Menge…und es war ois eigentlich ziemlich aufgregt, weil wir waren des net gwohnt, dass ma in so an Riesenhaus auf drei Räume zsaummziang. Aber die Ami haben ois beschlagnahmt, haum gsuacht nach Hitlerbüdern, haum gsuacht nach Hakenkreuzen, haum gsuacht nach Relikten, wo ma sagen kann, dass de „Nazigläubige“ brauchen und dann samma, haumma dort ghaust. Für uns Kinda woa´s a Gaudi, weils wieda a vaänderte Situation war, wobei mia haum goa ned gscheid begriffen, worum´s da geht, goi.

Peter: Ja.

+L&5+-+!"3(+&%+3&(A+-+/3<+3+I2/!*($3+'/3<$4+5-*+/3$+Q-J/$*#-*+'*/3<$4+und es gab kein Penicillin bis die Amerikaner kumma san im 45er Jahr, im Mai sans kumma. Die musste sterben, die Schwester, weils kein Penicillin gab, erst die Ami ham Penicillin bracht. Und i kann mi erinnern, i bin amoi aussigrent in Hof, da san die Ami und die Jeep herumgstanden, mia natürli die Buam, wasd eh, die Jeep, des woa intressant, mia haum übahaupt ka Scheu ghabt vor denen und Nega woan uns völlig wuascht, die haumma so gnumma wias san, ned. Des woa uns völlig egal. Kinda san völlig aundas…

Peter: Ja.

Ja. Auf jeden Foi renn i amoi aussi von da Haustia, na, i renn eini in die Küch und wü ma wos zum essen hoin. i hab nie Hunger glitten, i hab nie an Luftangriff erlebt, i hab nie kaputte Häuser gseng, i hab nie ….also i bin wirklich verschont aufgwachsen dort – vom kriag. Und wü ma wos zum Essen hoin, kumd a Frau aussa, a Hochschwangare, direkt an der Tür stess i mit ihr zsaumm, =-5+3&+#-*(*&+W*((*)+=-$+/3((&+j"((3+%&5+(2/1$$+=3+"-(+3%;@4+des hasse Wossa. A Ami hat des gseng und a zweita, a zweita war dabei, a Ami, hat mi gschnappt und in Jeep eini, i hab gschrian, kaunst da eh voastön – i hab heit nu de wundn, da also die narbn da und obi zum Verbandsplatz bei da Steyrbruck ihr kennt´s d´ Steyrbruck, wo ma einifahrt nach Hinterstoder, dort is´d Steyrbruck.

Peter: Ja, kenn i.

Steyrbruck, dort war der Verbandsplatz von den Amerikanern.

Page 78: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

71

Und da unten dann bin i daun erstversorgt worden…was hat ma früher tau?man hat so Brandwunden nicht luftgetrocknet, sondan ma hat´s vabunden. Des haast, alle zweiten Tag haumma Verbandswechsel ghabt und die frische Haut hat´s wieder obagrissen. Die haben mi aufm Tisch auffglegt und haum mi rechts und links niederghoidn, damit i ned, weil i so gschrian hob, ned.

Peter: Ja.

Oiso es miassn höllische Schmerzen gwesen sein. L&5+-+!"3((+<-(+/*-5A+"-((+!3(+=-5x&+63<#*&&3+%&5+!3(wBbin I so hoaglich des muass von dort nu kumma. Des woa domois a Schock. Aber guad, die Ami waren´s die da ghoifm haum.Was war nu?7/+D"A+5*(+E&$*#*((3&$*($*+;1#+%&(+!3#+53&&+*$!3(+(JR$*#4+!-*+F*&*#3)+N3#.+t)3#.4+5*(+!3#+3+53=3)-'*#+'#"M*#+3=*#-.3&-(2/*#+h;@9-*#4+der glaub i im Koreakrieg dann gedient hat und der war leidenschaftlicher Jäger und der kam nach Hinterstoder, kannst da vorstön, dort wo Wüd auf offener Strassen umanaund rennt, weil´s ned umdrahn kau, weil´s ja a Abschlusstal is. Und der kam am Bahnhof Hinterstoder, den kennt´s ja alle, goi –

Peter: Ja.

L&5+53&&+(3'+-+3="-A+fee+N*$*#+?%;$)-&-*+6"=+:3/&/";4+dort steht ja unser großes, steht heit nu, a großes Bauernhaus mit da Wirtschaft. Die Grossen ham gsagt, geht´s jo ned owi, do san de Feinde unten, goi. Und was war? Des erschte was mia tau haum, mia Buaschn, dass ma do owi san, mia haum jo die Ami scho kennt, uns woa ja des wuascht, haum des goa ned vastaundn und goa nix, mia haum glei amoi „Yes“ glernt und „Okay“ oder wos waas I, wos. Aber ansunsten haben wir völlig unbedarft….in uns hat ma des ja hineingeprügelt …von den Juden hamma goa nix gheat, zum Beispü, net, kaun mi an goa nix erinnern, weil da Großvater hat gschaut, dass i abgschirmt bin…..naja, daunn samma owigaunga do zu den Zug, waren da schätzungsweise zwanzig Amerikaner, Schwarze a dabei und die ham uns dann mit Sachen konfrontiert, 5-*+=3+'"3+&*$+.*&&$+/3=A+=-3+/3=+.3&*+:3&3&*&+.*&&$4+natürlich,net, hat´s ja a Blockade geben, a wirtschaftliche, damals in Europa, net, mia ham kane Orangen kennt, ziemlich … und andere Früchte nu, i woass net was nu oiss, des hat´s nicht gegeben. Mia waren die ersten, die des daunn kriagt ham. Voller Freud hamma die Höfte daunn glei zsaummghawat. Kummama auffa daunn ins Haus, haums unsas weggnumma und söwa gfressen. (lacht)Die Erwochsenen!O3<+-+=3+5*&.$A+^>3+-#'*&5!3(+($-==$+53+&*$l_+Mia deaffn net owigeh, daunn griang ma wos – vom Schocklad red i goa net , den´s uns natürle a gebm haum. 7%;+D*5*&+T"-+/3%==3+53%&+'!%(($A+„Hoitaus, so geht´s net!“ Des tamma nimma.(lacht)

Page 79: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

72

Samma dann wieda unten gwesen und wieda unten gwesen und wieda unten gwesen. Und mia haum mit denen a sehr amikales Vahältnis ghabt, a freundschaftliches. De haum si gfreit , dass Kinda da waren, Erwachsene san net kumma, die waren ja voi mid Vorurteilen.

Peter: Ja.

De Schwoazzn san Menschenfressa und lauta so Bledsinn, wos i daunn glesen hab, wie i daunn erwachsen war. Wir haben dort oiso a paradiesisches Leben ghabt, san do bei de Waggon auf und ab grennt, haum faunga gschbüd, die Ami haum glei midtau, es war herrlich da unten und was da gredt worden is von da Propaganda und…is eigentlich a Bledsinn, totaler Unsinn.In Großvatern hab i´s natürlich erzöd.Ja des war die Begegnung mit denen. Und i wass da General Mark Clark is sogar Ehrenbürger von Hinterstoder, bis heute – wer´s amoi durchchecken wü – er lebt nimmer, aber..er is Ehrenbürger. %&5+5*#+/3$+53+8*-((-'+'D3'$+5#-&&*&+%&5+-(+-==*#+!-*5*#+.%==3B+L&5+=-3+:%3=+/3%=+(2/"+'!%(($A„Hoitaus, hiaz kumda wida, da General Mark Clark!“Der Zug is dann auf an Nebengleis abgstöt gwesen, is daunn vierzehn Tag bliebm, is daunn wieda gfoan und nach drei, vier Monat is er wieda kumma. Woan mia scho wieda unten, net.Ja, Zigaretten! Oiss haums uns angeboten.

Martin Binder: (lacht wissend)

De woan do überhaupt net, des woa do völlig, net jo, des woa die Sache mit den Amerikanern. Oiso des woa des Feindbüd, wia´s I erlebt hab. I war sechs Jahr alt, aber immerhin, vastaundn hab i´s a schau…um wos do geht. So deppat woama aa net.

Peter: Ja.

…um wos´s do geht, net. I hob mein Grosvodan gfrogd, „Wiaso vasteckst denn des oiss jetzt doda?“ Pistoin hoda vagrobm, Hitlabüda hod a vagrobm, do woa i dabei. Sog I “Wiaso duasd´n denn des jetzt oiss weg? Is jo do eh wuascht!“ ^>34+5*(+-(+&*$+!%3(2/$l+j3%&&(+5*(+@&5*&+<*-+%&(l+^G3/";$&_+%&5+("wyAh net vastaunden, net. Sechs Jahr. j-*+("-+E+5*(+63($*/U+Q3((+("-2/*+IK=<")*A+O3.*&.#*-9+/3$+=3+D"+3+&-n+'(3'$4+i hab nur gsegn de Soidoten de haum des hoid ghobt, aber aunsunzten haum mia net fü midgriagt vo den Gaunzen…Oisa so hob i den kriag erlebt, oiso erlebt is guad gsogt, wäu mia iss guad gaunga und i hob in Grossvoda zur Seiten ghobt, der mia vü erklärt hat, aber i glaub, dass i do net vü vastaundn hob.

Peter: Mhm. Binder: Jo, und haum Sie iagendwöche Erinnerungen an Flüchtlinge oder durchziehende Menschen oder was…

Oiso des net. I hab nua a Erinnerung, die mi sehr verwundat hat diesen Judentransport, den du vielleicht jetzt ansprichst, den hab i net wahrgnumma.

Page 80: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

73

Wahrscheinlich hat da da Großvata auch dafür gesorgt, daas i do net dazuakum. Weil iagendwie hat er dann erzöd, daran kaunn i mi nu gaunz dunkel erinnern, dass Juden durchgetrieben wurden san und unten, wieder bei der Steyrbruck 53+%&$*&4+!-*+("))+-+5*&&+("&'A+5-*+I$*K#+8-*M$+-&+0-2/$%&'+V*-2/)4+die Teichl mündet ja dort in die Steyr und rechtsufrig, !*&&+-+5*(+D*$9$+#-2/$-'4+D3+#*2/$(%;#-'+-(+3+'#"((*(+TP5+%&$*&+'!*(*&A+Wiese. San kloane Heisa unten gstanden zwoa, oda drei…owa sunzt nix….und do haums erzöd, dass do „gegrast“ haum, des hob i so aufgfaungt, de…

Martin Binder: Okay, jo…

…de ungarischen Juden. „Ungarisch“ sag i jetzt, weil durch die Oawad vom Aschauer und so weiter und so fort…und dass viele, viele Züge gebm hat. Des woa ana von de vielen, die da gwesen….owa i hob´s ned gseng. I glaub, dass er mi do vaschont hod.

Martin Binder: Mhm.

Und, was i owa aa nu midgriagt hob, des woa de Soche, dass ma einfach …ja…Amerikaner san…san…&32/+!-*+6"#w5*(+/3$+(-+*-'*&$)-2/+&-*+'*R&5*#$A+ois gering geschätzt worden, als lästige Besatzung (ein)geschätzt worden. Net ois Befreier, des hab i net erlebt. Q*+/3%=+&*$+'("'$A+^Q*+<*;#*-*&+%&(l_+In da Schui hat´s auf amoi so komische, amerikanische CARE-Pakete gegeben, goi, de wos wahrscheinli mia am Laund eh net braucht hädn, mia haum jo oiss ghobt…i maan, des Brod is do backn worden, Fleisch haumma ghobt, wie da Stoi voi woa mid Viecha…nua ans hob i daun erlebt, des hot mi frappiert, 5*(+!"-$+-+9*#(2/$+(2/"+*#9P&A+53+F#"M63$3+%&5+-4+mia gengan da auf amoi in Richtung Hoiz. Er hat so an Woid do ghobt, goi, des is vis-a-vis vom Haus gwesen do, und do woa so a Wald, goi, und da siecht a wie von Gaschtn (Windischgarsten) aussa eine große Viehherde getrieben wurde. Des is owa schau voa den Amerikanern gwesen. Und do bleibt er steh und mia schaun uns des aun und plötzlich springt er do ausn Gebüsch, do ausn Woid do aussa=-3+/3%=+%&(+5"+3+<-(()+63($*2.$4+53((+%&(+5*+&*$+(*&'+%&5A+G-*2/34+-+(2/R$9+0-&56-*2/3+*(+!"3&A+6-*#g+;1&;/%&5*#$wBB3%;+53+I$#3((*&wes woa nix asphaltiert, wie´s früher war, hoid, rechts und links die Obstbam, wias hoid früher woa …und do san de dahintrieben worden….und plötzlich haud a si ausse…i hab goa net so schnö schaun kina…nimmd natürli zielbewusst, er hot si natirle auskennt, woa a Baua,…nimmt a junge Kua…zweigt de ab und do ins Vasteck mid eana. Sog i „Großvata, de hosd owa jetzt scho gstoin, goi?“ Sogta, „Na!“, hoda gsogt, „De hob i net gstoin, de hab i oaganisiad!“ „Jo, sog i, wieso sogst, des is ned gstoin, ob i jetzt „oaganisian“ sog oda „gstoin“ is jo wuascht, ned.I"'$3A+^>3334+5%+=-3+/3%=(+("+61+G-*2/3+3%(&+I2/5"-+3%((34+wos´s schau brauchd haum wengan kriag, dass i ma jetzt oans zruckghoid hab!“ (lacht) Und des wird i nie vagessn, wäu des woa a jungi Kua und a guadi Kua und de haumma daunn auf da Oim so a bissl gehätschelt. I hab des imma gwusst, wo´s her is, hab des imma erzöd, wo´s her is, de Kua

Page 81: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

74

und eines Tages hot´s sogoa alleine Zwillinge geboren auf da Oim, de Kua. Jojo, des woa eastaunlich…des jojo…des woa eastaunlich, des woa owa bevor de Ami kumma san…5"+/"<+-+(2/3%+'!%(($4+^O"-$3%(l+E3'*&5!"(+($-==5+5"+&*5A+5"+5#*-=(+G-*2/3+5%#2/+%&5+5*3+8353$+"3&(l_>3D34+'-<$x(+D3+&*5l+H#l+Q*3+("+*/#)-2/+"-!*-+5%35A+„Du deafst des net und dos soi ma aa ned duan!“ Naja, eazogn had a mi.

Peter: No des mid de Besatzungssoidoten, haum Sie do nu iagendwöche Erinnerungen, wie de woan vom Umgang.

Oiso, zu uns Kindan woan´s irrsinnig nett, de Ami, hod´s nix gebm.

Martin Binder: Und de Erwachsenen waren wahrscheinlich mid Vorurteilen belastet, oiso wie woan de Besatzer, de Soldaten gegenüber de Eawochsenen? Oda hat´s do üwahaupt kann Kontakt gebm?

Fast kann Kontakt gebm. I kaunn mi erinnan, de haum so dau, wia waun de Amerikaner schuid gwesen waan, aun dem…aun da Niederlage, so haums dau, genauso haums dau. Oiso, i hab des üwahaupt net vastaundn, wäu i gsogt hab…i bin jo schbeda in die russische Zone kumma, wäu i ind´Schui kumma bin, ned, in Urfahr, und da hab i gaunz was aundas gseng, net. Do hab i a Russisch glernt dann, woa i da oanzige, der Russisch glernt hat, weil i net gwusst hab, dass de de net megn, de Russn.Aber de haum kann Kontakt ghobt, de Amerikaner. (in St. Pankraz)N3&+5*3;+33+&*5+63'*((&A+5*+j"2/3+!"3+5*+N3&&(2/3;$+534+de nächste Wocha is de nächste Mannschaft kumma und dann is de nächste Mannschaft kumma, oiso de haum dauand gwechslt. De san natürlich durchzong, die erschtn de woan natürli eh die kämpfende Truppe, eh klar, die Säubernde, 5-*+!3#*&+1<*#/3%J$+&%#A+5*+/3%=+5*+0R%=*+<*(*$9$+und dann waren de scho wieda dahin. Und dann san de kumma, die waren nua a Wochen blieben san, dann san de wieder weg, oiso hat si da gar nix entwickln kinna. 7<*#+@3+%&(+W-&53+/3%==3+5*&+*3($&+W"&$3.$+'/"<$+=-$+5*&+7=*#-.3&*#&+3=+:3%&/";+%&$&4+5*+@3&+F*&*#3)+N3#.+t)3#.+5*+N3%&&(2/";5+'!*(&+(3&i schätz so amoi, so a um de 20 Soidodn.

Martin Binder: Se haum vazöd, dass Sie daunn nocha in da russischen Zone waren, dann, woa des Vahötnis daunn aundas zu die Soldaten, oda…

Des woa sehr feindlich. Erstens hat ma an I-Ausweis braucht, um von der einen Stadthälfte in die andere zu kommen. Oiso „I-Ausweis“ hat „Identitätsausweis“ ghoassn. I war damals vierzehn Jahr…san meine Ötan nach Linz übersiedelt. Ich kam von dem wohlbehüteten Landleben weg, was mir sehr gfallen hat, habt´s eh jetzt gseng in Herrn Stanzel, der ja Lehrer drinnen war in Windischgarsten. I bin in Windischgarsten in d´Schui gaunga, zwaa Joa, und zwaa Joa daunn in Urfahr. Und da hab i dann erlebt, dass wirklich do oiso von…net nur a feindliche Einstellung, sondan a bewusster Affront woa. 7<*#+(-*+!"3&+3+(P!3+I2/%-54+(*+/3%=+53%&&+("+5*JJ3$+."&$#"))-*#$A+bei da Strassenbahn, die is stehengeblieben, dann mussten alle aussteigen, in Ausweis herzang, dann mussten alle wieder einsteigen,

Page 82: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

75

daunn sans nu amoi kumma, haum nu amoi üwaprüft in da Strossnbau dann und auf da aundan Seiten san die Ami gwesen, haum die Haxen am Tisch ghobt und mia san ummi gfoan und wieda umma gfoan, koa Mensch hot si gschert drumm. Und bei de Russen musste jeder, ob du midn Radl gfoan bist, oda z´Fuas gaunga, jeder is kontrolliert worden, daher I-Ausweis, Identitätsausweis. E+!"3+53%&&+(2/<*53w!*-)+=*-+F#"M63$3+'(3'$+/3$A“Lern so vü Sprachen wie möglich!“ Er söwa hat Italienisch kinna, Slowenisch kinna. Mei Großmutter is sogoa Italienerin gwesen, Rosalie Cainelli hod de ghoassn, waunns woin haum, dass mas ned faschdengan haums Italienisch gredt de zwoa Oidn, i hob des lessig empfunden, dass der ton, der ja aundas woa, ois Kind nimmst des jo auf, net,

Martin Binder: Jo.

Und bleibt irgendwo im Hintakopf sitzen und des hat ma irrsinnig taugt. Drumm hab i söwa a Sprachen glernt. Und dort woa des so, dass des richtig a gegen die Besatzung a Affront war. Die Russen hat man et aungschaut, die Russen hat man, musste man hassen, warum auch immer. I hab´s damois a wieda net vastaundn, ned. Wei Schuid woan jo ned de Russen oder de Ami aun dem gaunzen Schlamassel, wäu wea hodn den Kriag augfaungt? Entschuidigung!Des sag i jetzt im Nachhinein, des hab i domois ois Vierzehnjähriger net vaschdaunden.E/#+5*3;$(+&*$+63'*((*&A+E/#+G-*#9*/&DR/#-'*4+oiso meine Kinda, de Enkelkinda de i hab, des san ja gaunz aundas aufgeklärt.

Martin Binder: Jo.

Uns hat ma ja nie aufgeklärt. „Des deaffns ned, des intressiats ned, des vastengans ned“, haums oiwei gsogd. De haum glaubt, Kinda san deppat.

Martin Binder: lacht.

Na, wirkli. Na, wirklich! I hätt gern gwusst, warum…. I hätt gern des in d´Haund gnumma und wann des a Begriff gwesn waa. Und wann i des in da Praxis bestätigt bekommen hätte…Hab i owa ned. Muass i söwa draufkumma, wie des woa domois.Eich tät i heit song, des is so und so, des is so und so, des is so und so….von da sexuellen Aufklärung red i goa ned. Des woa üwahaupt tabu. Da hat´s üwahaupt ka zuwischnaufm gebm. Jo, üwahaupt nix! Und owa i hob des a wieda so gnumma, wie´s woa, i bin a Aussenseita gwesen in da Schui, in Urfahr, wäu erstens woa i vom Laund, des haums glei gseng vom Anziang her, haums mi scho gemobbt, sozusogn, des oanzige woa, dass i a guada Schüla woa, i hab Gott sei´s gedankt,

Page 83: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

76

i hab nie Schwierigkeiten ghobt…des woa da anzige Kontakt…“Du hüf ma do in Rechna oder in Mathematik oda do in Geographie, du wie gehtn des do und wos manda denn do?“E&+H&')-(2/+"5*#+("w"!3+5*(+!"3+5*(+3&9-'*A+es is mid mia koana hamgaunga von den Mitschülern, die haum a gaunz a aundare Einstellung scho mitgriagt, wäu se san doat aufgwoxn owa i ned! I bin doat einigstessn worden in die Sowjetzone, sozusagen, net, i hab mi do net recht auskennt…hab a daunn schbeda weita Russisch glernt und studiert …i hab a heid kane Vorurteile…a ned gegen Slowenen oder Kroaten …um Gott´s Wünn….aber des is Erziehung des Großvaters gwesen…der hat des bewerkstelligt, dass des so worden is.I hab vasuacht dass des a bei meine Kinda so is und bei meine Enkelkinder…

Peter: Mai 1945, was is für sie da der richtige Begriff für die Ereignisse in diesem Monat: Umbruch, Zusammenbruch, Befreiung…

Du Peter, i hab von dem nix gschbiad und nix gwusst. Wie gsagt, keine Ahnung. I hab ja daunn amoi was gschrieben, da kummd am Schlluss diese Szene vor „Parteigenosse“, vom 4., 5. Mai….und des haumma daunn a gschbüd….und da biin i daunn a aungriffen worden vo de Freiheitlichen, weil ma den Eigruawa bsoffm dargstöt haum und so weida und so foat…"!3+5"+!"3+-+*#!32/(*&4+6*#($*/($+=-B+7<*#+3)(+W-&5A+.*-&*+7/&%&'+'/3<$wBi hab nua gseng wia a de Pistoin eingrobm hod, de Hitlabüda und de Hakenkreiz. Ma deaf jo ned vagessn, da Grossvater war ja da anzige Mau dort. De Männer woan jo olle im Kriag. Großvater war der Mann, dann waren viele, viele Frauen, Cousinen wie man dort zaummglebt haum und er war der anzige Mau, den haums ned einziang kinna, dea woa scho oid gnuag.(…)„Umbruch“ wie du sagst, hab i ned kennt des Wort, „Umbruch“ haast es gibt a neiche Zeit. h!3+5*(+/"<+-+&*5+'(2/<-35A+3+&*-2/*+S*-$B+Eigentlich goa net. No, Gottseidank. Es is ja ein Glück der Geburt, dass i ned eirucken miassn hob, zehn Jahr früher….es is ja ein Segen….es gibt so vü Leit, de reden so leicht drüber, andere haum an nu drei, vier Kinder ghabt, und san ausgsteuert worden, wias woa in den zwanzga Jahr, in de dreißga Jahr, 40 % Oaweidsloseja dea muass ja von iagendwos lebm. Das dea dann gsagt hat, waun i von da Partei was kriag, nojo, daunn dua is hoid. I wü des jetzt ned vaoigemainan. h!3+=3+.3%&&+&*5+6"&+D*5*&+("&'A+ea is a so a Nazi und a Mörder gwesendes kaunn man ned von Jedem songgauwi sicha neddes soi ma ned, glauwi den Fehler mochndass ma des bauschaliert

Peter: Mhm.

Glauwi sicha ned.

Peter: Jo, und wie woa des daunn, wie ihr Vota wida zruckkumma is?

Böses Erwachen.Erstens war a in Gefangenschaft und is relativ spät kumma,

Page 84: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

77

zweitens war a mei Stiefvatawoa psychisch und physisch gaunz schlecht beinaundahod sofort Fozzna gebm, sofoatwas i üwahaupt ned gwohnt warWos is a…48 isa hamkumma, 45 woa da Kriag ausNja, do woa i nein (9) JoaScho oiss vastaunden, hob scho kapiat L=+!"(x(+5"+'3%&'3+-(+5*(+!"34+53((+E+'("'5+/"<A+“Waunsd jetzt nu amoi heahaust, daunn sogis in Großvotan!“Hob i glei wieda oani griagt…(lacht)Wei der genau gwusst hod, des is mei Freind

Peter: Jo.

Und i kau mi erinnan, i woa in Windischgastn, im Schülerheimin da Hauptschui in da zweitn Klassund do samma do am Glo untn gwesnund do woa so a Trennwaund, goiund do drum woan de Mädchen,woan Mädchen ah in dem..woa zwöf Joa, nojo…Daun sogt ana, „Du do sitzt jetzt de Luci drüm, des wissma, dass de jetzt aufs Glo gaunga is“de is vo Molln gwesen,„Traust di eh ned ummi schaun!“I"'+-A+^I"!-*("+(2/3%+-+5"+%==-l_I$*-'+3%;@+3%;+5*+,-((=%(2/*)4+'"-Fliag owi und oiss is hin…

Interviewer lachen.

Daun hat´s dort a Schdiang gebm,des woa so a Wendltreppe, %&5+=-3+/3%=+3&+N3D"#+"-(+H#9-*/*#+'/"<5A„Major Drescher“, haumma song miassn,„Drescher“! Und die Stiege hast du nicht…weder hinunterstürmen und laufen dürfenNoch hinaufstürmen und laufen dürfen.Des erste, nachdem i do owigfoin bin Und die zwa Buam sich köstlich untahoidn haum do drüber, goiI";"3$+=P5&4+!"(-+53%+/"<4+'"-4+,3((+3%;AE+($13=+5"+3%;@4+53+Q#*(2/*#+($*/$+"<=4+(2/&3JJ$+=-A„Weißt du nicht, dass man da nicht laufen darf!“ Zack! De erste Watschn!O"<+-+'("'$A+^I-*4+-(+=3+5"+%&$*&+5*(+<3((-354<-&+3%;+5xN%(2/*)+3%;@'($-*'&4+<-&+"!-';"-&4+"-((+-(+.3<%$$B_Bumm, bumm! De zweite Warschn!Bini hamkumma, zum Zoin natirli gwesen,„Wos hosd du dau?“ Zack, zack! De dritte Watschn!Q#*-="-+/"!-+@3+5*(+(P!*+I2/)*'+'#-3'5O"!-+'("'5A+^Q*+jPP5+.3%+5"+&*5+'*#*2/$+(*-l+Des gibt´s do ned“ Q#*-="-+@3+5*(+IP!*:-&+9%=+F#"(6"53+'3%&'34+5*3+/"5+'("'5A+_Q%4+("+-((+?**=lyh!3+5#*-="-+@3+5*(+IP!*4+Howi gsogd, des is ned gerecht.Des woa jo ka Vabrechen, um Gott´s Wünn,i hob nua des Bech ghobd, dass i owigfoin bin mid den Glump

Page 85: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

78

und dass des glei hi woa, nedSo iss gwesen, goi…Du, Prügelschdrofm in Heim wo i woa,woan gauns noamal, hod koana wos gsogd.E+/"<+&%3+"3&(+'("'54+!-#-+-&+?*/#<*#%;+'!*(*&+<-&A„Ich greife einen Schüler nie aun!“I hab nie an Schüler augriffm

I hab 35 Joa untarrichtI hob kann einzigen Schüler augriffmj*-+-+'!%(($+/"<A+^E+/"<+&*5+5*(+0*2/$4+53((+-+3&+T#*=5*&BB3%;+5-*+z7#$wes is jo eigentlich a Denütigung, jemanden ins Gsicht zu schlong…oder?Is jo a grosse Demütigung, oder?

h!3+5*(+/"!-+'!%(($A_Q*(+5%3+-+&-*l_I hobs ausghoitn, ned…Owa aundare haums ned ausghoitnDe san zerbrochen drau goiDe haumd Schui aufgebm undBettnässer wordn,Und woswasi wos´s do nu oiss gebm hod ba uns im HeimOwa de san zerbrochen.

Peter: Und wos hod ia Großvota zum Vahoitn vo ian Stiefvata gsogt?

Machtlos.

Peter: Kannten Sie Friedrich Peter.

Natürlich, des woa mei Volksschullehrer.

Peter: Wie schätzen Sie seine Rolle in der österreichischen Politik ein?

Naja, mit da Politik, da muass i da aa gaunz ehrlich song, -+.3%&&+53+&%3+("&'4+!-*x(+3%(&+>32//-&*-&+-(AI hobm ois Lehrer ghobt, hob aa von ihm auch (Schleg) kriegt, nedSelbstverständlich, des woa domois üblich, dass ma zuaghaut hod, nedBuam ghean sowieso gwatscht, des is eh kloaOwa ea woa a guada Lehra muass i songEa woa a gerechta LehraI hob nemli die ersten zwaa Joa sei Frau ghobd,die zweitn zwaa Joa eam,und ea woa a Freund der Familie,oiso i hob goa ned auskinna, diesbezüglich, goih!3+5*(+(3&+L=($R&5*+@3+5-*(5+D"+&-n+.3%&&($4+&*5I hobn empfunden ois objektiven, guaden, gerechtn LehrerHab aber nicht geahnt, oder nicht gwusst,welche Rolle der im Kriag gschbüd hod.Hat da kana gsogt, glaubst du dass im 46a,47a,48a (Jahr)Do woan nu imma de aundan Schuid,nua mia net!Des is jo oiss vadrängt worden, sogar medial verdrängt wordenlies amoi de Presse aus der ZeitNa, die Aufarbeitung, a objektive Aufarbeitung kanns sowieso ned unmittelbar nachher gebm, des sowieso …aber des scho gar ned, domoisJa und dann hab i, hab i meine Schulen fertig ghabt,Mittelschui a fertig gmocht, die hab i in Linz dann gmacht, und daunn bin in noch wien kumma,nicht wissend, wo i do jetzt wohna soi

Page 86: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

79

daunn howin augruaffmdo woa ea scho NationalratHowi gsogt „Du!“, mia woan per Du domois scho…„I brauchad an Heimblotz“.Q"+/"53=3#3&+<*("3'5A+!"x(+)3%$3+I2/)"'*&5*+'*<=+/"54oisa waasd eh, de mied de Schmiss in Gsicht,de Deppadn, de si do de Bian einhaun und so weida…Do woa i nua ein Semester, bin i sofoat auszognWeil i sned ausghoitn hob, des woan lauta VaruckteDes woan wirkli VaruckteErschtens is de Ideologie mir fremd und verhasst gwesenVon Seiten des Großvaters her scho, die die vertreten haumS!*-$*&(A+*(+!"3+("+3+."=-(2/*+:*(3$9%&'+5"#$+6"&4+6"&+4+6"&Heimmenschen, des kaunn man si üwabaupt ned voastönWödfremd bis waasi wohiinDaunn hobi gewechselt in a Studentenheim des Asylvereins der Stadt Wien,da bin i daun bliebm bis zu mein EndeDa hab i daunn a fertig gmocht, aus, de Gschicht woa erledigtEs woa a schwoazzes Heim, owa des woa mia wuaschdWaunsd du heid noch Wien kummst, und sogst „I brauch unbedingt wos zan Wohna“Frogst du ob de rot oda schwoaz oda göb oda blau oda rosa san?Na, frogst du wirkli ned. Na wirkli ned.Weu i muass mi jo den ned aunhängen, wos de do san.Weu i brauch zerscht amoi a Quartier, i muass jo wo wohna.……

Martin Binder: Und waun haum Sie zum ersten Moi von den Personen irgendwos ghead? Ois Kinda oda Jugendliche wean Sie jo üwahaupt nix kennenglernt haum.

Vo denen? Na, Namen, gar nix, söbst, in da Mittelschui nix, mia haum ja daunn Lehra ghobt, die aus da Gefaungenschofd zruck kumma san, des deaf ma jo ned vagessen, die haum jo oiss vadrängt.E+.3%&&+=-+*#-&&*#&AN-3+/3%=+3&+?3$*-&)*/#3+'/"<5A+*-&*+'1$-'*+,*#("&H-&*+I**)*+6"&+*-&*=+N*&(2/*&A+,#";*(("#+N3-#Ein wirklich…der woa in russischer Gefangenschaft,dea hot perfekt Russisch kinna, des hod mi schau amoi fasziniert, goiDer Hund hod des Russisch und Latein in oan Satz owagsogd,des kaunn ned wahr sein……(spricht über Latein und Russisch)Da Mair hat ab und zua was von da Kriegsgefangenschaft erzödHat imma nua erzöd, wie er dort Russisch glernt hat, des woa des WichtigsteEr woa a Humanist von obm bis unt Ohne den waa i eh nie duachkumma in Latein …moan iL&5wh!3+5*(+!"3+@3+=-+*-&+'3%&9+*-&+&*$$*#+W*#)+%&5Daunn, der auch Wehrmachtssoldat gwesen ist, sunzt goa nix, der in Gefangenschaft gwesen ist.Daunn haumma an ghabt aus Windischgasten, der dem System scho a bissl näher gstandn is, owa sie haum nix erzöd, fast nix erzödWarum?Die Zeit woa nu ned reif zum AufoaweitnAa die ned im System waren, die Schar von zurückgebliebenen Halbwüchsigen, die Schar von Frauen die zurückblieben san,

Page 87: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

80

ja, was soll i den denen song,die haum ja andare Sorgn ghabd, wie bring i denn mei Familie über die Runden,in die fuchzga, sechzga Joa, des woa jo ned so aafoch,dass ma a Aunstellung griagd, die haum jo kane Auto ghobd, meine Ötan haum nedamoi an Führerschein ghobd, des woa jo nedamoi zan denga drau!Des is jo ned so wie heit,dass des oiss scho wirklich geregelt istOwa des woa a völlig aundare ZeitUnd i glaub es hat viele Jahre braucht, bis ma des auforweitn kau.

(berichtet über fehlende Aufarbeitung der Stalinära in Russland)

Aber des woa die Zeit des Schweigens, mecht i aa song…

Peter: Hat ma do ois Jugendlicha untaranaund gredet drüber, wie des vielleicht dozumois woa, wei de Erwochsenen ned gredt haum…

C"4+5*+C%'*&5)-2/*&+/3%=+'#*5$A+„Wo woa denn die Vota im Kriag?“ „Wo woa denn deina?“ „Woa des a Nazi?“„Dea woa a Nazi, na eh kloa, suppa, wos hod denn dea dau?“„Jo, nix hod dea dau, dea woa a Nazi, und fertig!“De woan schdoiz drauf, so haum de gredtI hob üwahaupt ka Beziehung ghobd,i hob mein Großvoda, mein, mein, woswasi, Monarchisten angführt,owa mid den hosd jo kann Staat gmochd dort, nedDe woa vorbei, de Zeid.Wo i gsogd hob, do haum öf Nationen in an Staat glebt %&5+5*+/3%=+(-+&*5+9*#8*-(2/$4I hab´s aa ned vastaunden richtigOwa, de haum nix gredt undVon de Ötan haumma nix erfahrenDes woa de Zeit des Schweigens, die haum des wirklich totgschwiegen, haum glaubt des kaumma totschweigenDes kaumma wirklich ned, Soimma imma wieda hinweisen, hallo dort wor des und desin Mauthausen und in Hartheim und so

Martin Binder: Und waunn haum Sie mitkriagd, dass sich die Stimmung da a wengl gendat hod, dass ma si wirkli jetzt mit den ausanaundasetzt?

Jo, nachn Studium.

Martin Binder: Nachn Studium.

Jo, in da Schui, in da Mittlschui haumma jo aa need vü ghead davau, weil die Leid haum ja nix erzöd. Q*+/3%=+'("'5A+„Vü wichtiga is, dass ia wos learnz und des und des…“

Martin Binder: Und im Geschichteunterricht is do zu dera Zeit irgendwos erwähnt wordn?

In da Mittlschui ?

Page 88: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

81

Martin Binder: Jo,…

Na, erst auf da Uni

Martin Binder: Und is des auf da Uni daunn objektiv beurteilt worden?

Des waas i ned, ob des dort objektiv beurteilt worden is,Weil da Kreisky woa jo einer, der des sehr zurückgehalten hat, die Aufarbeitung, der hat ja auch den Peter immer gschützt. Wir haum daunn erfahren, der war bei da Waffen-SS. Aber da haum vü gsogt, des woan gauns noamali Einheiten, aber bitte. Ois Mensch howiin g´schätzt, des waas i ned, owa in Kriag was dau hod oda nix dau hod. Owa des kau i ned beurteilen.

Page 89: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

82

Page 90: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

83

6. Literaturverzeichnis

MONOGRAPHIEN

E(3<*))3+72.*#)+%&5+O3&(+G3{*.4+k($*##*-2/(+j-*5*#'*<%#$B+j-*&A+:%&5*(.3&9)*#3=$+g+:%&5*(-presse-dienst, 1995.

Anton Aschauer und Wolfram Kastner, Furchtbare Wege. Der Todesmarsch der ungarischen Juden durch den Bezirk Kirchdorf, Dokumentationsband zum Projekt „Festival der Regionen“ in OÖ, Linz 2007.

Christian Haider, Kriegsende 1945. NS-Terror, Befreiung und Republiksgründung in den Akten des QkjB+j-*&+A+Q".%=*&$3$-"&(3#2/-6+5*(B+k($*##*-2/-(2/*&+j-5*#($3&5*(4+Ycc]B

Gabriele Hindinger, Das Kriegsende und der Wiederaufbau demokratischer Verhältnisse in Ober-österreich im Jahre 1945. Wien 1968, Hollinek.

Gerhart Marckhgott, Kriegsende und Neubeginn in Oberösterreich. Ausstellung des Oberösterrei-chischen Landesarchivs Linz; Dokumente des Oö. Landesarchivs 1944 - 1947. Linz 1985, Oberös-terr. Landesarchiv.

Gerhart Marckhgott, Alois Zauner und Konrad Rauch, Oberösterreich - April bis Dezember 1945; ein Dokumentationsbericht. Linz 1991, Oö. Landesarchiv.

Tom Segev, Die Soldaten des Bösen, Zur Geschichte der KZ-Kommandanten. Hamburg 1992.

Rudolf Hundstorfer, Der Stift unterm Hakenkreuz. Auszug aus dem Jahresbericht des Stiftsgymna-siums Kremsmünster, Linz 1961.

Hans Maršálek, Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen. Wien 1995.

Pavol Gejza Dobiš, Staatspräsident Dr. Jozef Tiso in Oberösterreich. Linz 1982.

DIPLOMARBEIT

V"<-3(+j3)$*#+:32/&*#4+Q*#+:*9-#.+W-#2/5"#;+3&+5*#+W#*=(+YcXbA+W#-*'(*&5*+%&5+>*%<*'-&&B+Q-J-lomarbeit. Innsbruck 2006.

ZEITSCHRIFTENARTIKEL

W%#$+t*#!*&.34++Q3(+W#-*'(*&5*+-&+h<*#P($*##*-2/4+-&A+h<*#P($*##*-2/-(2/*+O*-=3$<)R$$*#+O*;$+Y4+Nr. 49 (1995), 88 - 94.

N3#$-&+F)3&9*#4+H&5($3$-"&+F3#($&*#$3)B+Q-*+W3##-*#*+5*(+7%'%($+H-'#%<*#4+-&A+S*-$(2/#-;$+5*(+S*-$'*-schichtemuseums Ebensee - Betrifft Widerstand? 43 (1999), 29 - 35.

ZEITUNGSARTIKEL

OÖ Nachrichten, 16. 8. 1945; Das war Österreichs Gauleiter- August Eigruber seine Politik und (*-&*+V3$*&4+bimYcXb+7%83'*B

W#*=($3)g:"$*4+]B+YB+YcXb|+>*%D3/#(3%;#%;+%&(*#*(+F3%)*-$*#(gH(+=%*M+(*-&4+YmYcXb+7%83'*B

hk+>32/#-2/$*&4+YdB+[B+YcXb|+H-'#%<*#+6*#/3;$*$B+bXmYcXb+7%83'*4+7<(2/&B+V-$*)<)3$$B

hk+>32/#-2/$*&4+YXB+[B+YcXb|+W#-*'(6*#<#*2/*#+H-'#%<*#+'*($*/$4++bbmYcXb+7%83'*4+7<(2/&B+V-$*)-blatt.

hk+>32/#-2/$*&4+Y]B+[B+YcXb|+>*%*#)-2/*+:*((*#%&'+5*#+?*<*&(=-$$*)6*#("#'%&'4+bimYcXb+7%83-ge, Abschn. Allgemein.

OÖ Nachrichten, 29. 8. 1945; Neues aus Kirchdorf.

Page 91: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

84

Page 92: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

85

W#*=($3)g:"$*4+YcXb|+>*%*(+j3#&(-'&3)A+7.%$*+?%;$'*;3/#4++YXmYcXb+7%83'*4+7<(2/&B+7%(+5*#+Heimat.

OÖ Nachrichten,27. 8. 1945; Totenbettgeständnisse des Kommandaten von Mauthausen.

Kremstal-Bote, 14. 4. 1945; August Eigruber, Der Führer kann sich auf Oberdonau verlassen! F3%)*-$*#+H-'#%<*#+1<*#+5-*+?3'*g+E&+h<*#5"&3%+!-#5+($*/*&'*<)-*<*&4+YbmYcXb+7%83'*4+7<(2/&B+Titelblatt.

Kremstal-Bote, 10. 2. 1945; H.W. Fischer, Wenn nötig unter dem Einsatz unseres Lebens, e]mYcXb+7%83'*B

Kremstal-Bote, 6. 1. 1945; G.Schrammel, Des Führers Glaube ist unerschütterlich.

hk+>32/#-2/$*&4++bB+bB+feeb|+N3#.%(+I$3%5-&'*#4+LIgH-&=3#(2/+-&+W-#2/5"#;A+O3<*&+%&(+<*;#*-$+gefühlt, sagt Zeitzeugin, Abschn. Lokal.

OÖ Nachrichten, 30. 4. 2005; Volker Weihbold, Jungs, ihr müsst hart werden, Abschn. Magazin.

E-MAIL

I-*';#-*5+W#-($P8+Z0*'-"&3)/-($"#-.*#\4+HgN3-)B+^W#-*'(*&5*+W#*=(=1&($*#_4+h.$"<*#+Yf4+feYYB+ Mailarchiv Daniel Sehr

DOKUMENTE

OÖLA. Sondergerichte Linz/Politische Strafakten/Volksgericht, Sch. 367, Vg10 Vs 2047/47. Gerichtsakte Anton Fehringer.

Rudolf Stanzel, Der Todesmarsch der ungarischen Juden über den Pyhrn im April 1945. Unveröffent¬lich-tes Manuskript. Windischgarsten, 2012.

Anton Aschauer, Das Kriegsende in Kirchdorf. Unveröffentlichtes Manuskript. Kirchdorf 2012.

O.A. „Beichte des Lagerkommandanten von Mauthausen SS-Standartenführer Franz Ziereis“, I$%$$'3#$A+G*#*-&+^Q3(+?-2/$_4+YcXiB

O.A., Gendarmeriebericht des Postens Spital am Pyhrn vom 24. Juni 1945.

Personalbogen bei der Polizeidirektion Wien/Inspektorat Sicherheitswache, Archiv – Emil Pasquali, Kopie Privatarchiv Stanzel.

Erna Pasquali, Ansuchen um gnadenweise Zuerkennung einer Witwenpension. Schreiben an den Polizeipräsidenten von Wien vom 14. Dezember 1945 über die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Ignaz Brandstetter, Wien, Privatarchiv Stanzel.

Niederschrift einer Einvernahme der Angehörigen des österreichischen Widerstandes auf dem Gemeindeamt Spital am Pyhrn vom 26. Juli 1946, Privatarchiv Stanzel.

Page 93: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident
Page 94: Vom Kreis zum Bezirk - Kirchdorf an der Krems von April ...treff.gym-kirchdorf.at/DATEN/SJ2011_12/1205/BUCHKriegsende.pdf · Der Anlass für die vorliegende Arbeit war ein von Bundespräsident

DankGroße Unterstützung, für die wir uns herzlich bedanken, erhielten wir unter anderem von den Regi-

onalhistorikern und Zeitzeugen OStR. Dir. i. R. Rudolf Stanzel und OStR. Dir. i. R. Anton Aschauer,

welche uns mit wertvollen Materialien und ihrem breitgefächerten Wissen bezüglich des Kriegsende

versorgten. Auch Prof. Tobias Walter Bachner lieferte uns bedeutsame Informationen, nicht zuletzt

durch seine Diplomarbeit „Kriegsende in Kirchdorf“ und Zeitungsausschnitten aus dem Jahre 1945.

Darüber hinaus teilte Prof. Franz Horcicka, Regisseur und Zeitzeuge seine wissenswerten Erinne-

rungen an diese Zeit mit uns. Ein großes Dankeschön gilt auch den Großeltern einiger Mitschüle-

rInnen, Frau Maria Rührlinger, Frau Inge Lang, Frau Maria Kniewasser und Herrn Otto Kniewasser,

durch deren Gespräche mit ihren EnkelInnen uns viel Wissen zuteil wurde.