vogelwelt im wandel. trends und perspektiven. von d. lingenhöhl

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MAGAZIN BÜCHER 342 Biol. Unserer Zeit 5/2011 (41) www.biuz.de © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim BIONIK Vom Erkennen zum Umsetzen Der Buchtitel Bionik erweckt viel- leicht die Erwartung eines bunten Kaleidoskops mitreißender Illustra- tionen der Umsetzung biologischer in technische Konstruktionsprinzi- pien. Sie sind auch alle da, die bekannten Beispiele: Seeigel } Eissporthalle, Wasserkäfer } Haft- Pad, Heuschrecke } Laufmaschine, Grashalm } Fernsehturm, Säuger- rumpf } Bogensehnen-Brücke, Bauchschuppen einer Schlange } Langlaufski-Schuppen, Lotus-Blatt } wasserabstoßende selbstreini- gende Oberflächen u.v.a. mehr. Schon der nähere Blick auf den Titel und Untertitel zeigt aber, dass wir hier wesentlich mehr geboten bekommen. Dies wird im Vorwort sehr deutlich, das die drei großen Teile (A, B, C) des Buches unterein- ander abgrenzt. Bionik wird grund- legend als eine spezifische Wissen- schaft vorgestellt. Teil A analysiert das Erkennen technischer Lösungen in wichtigen Funktionen von Tieren und Pflan- zen. Das ist Technische Biologie und Grundlagenforschung als wich- tiges Kulturgut, wie der Autor im- mer wieder betont. Aber was haben das Springen eines Koboldmakis und der Antrieb einer Dampfloko- motive, die Grabbewegungen eines Maulwurfs oder der Gleitflug eines Adlers mit Erkenntnistheorie zu tun? Man kennt da trockene Lehr- sätze und kategorische Imperative. Hier zeigt sich nun die Meister- schaft des Autors: Im letzten Kapi- tel 4 des Teils A bezieht er Wissen- schaftstheorie auf Bionik anhand von konkreten Beispielen so leben- dig und greifbar, dass man dieses Buch ganz unabhängig von der Bio- nik unbedingt jedem jungen Biolo- gen zur Lektüre empfehlen möchte. Teil B weist dann mit dem Ab- strahieren den weiteren Weg. Aus dem Erkennen von A wird hier das Erarbeiten allgemeiner Prinzipien. Sie können, müssen aber nicht in Technik umgesetzt werden. Also ist dies ist noch keine Bionik. Es zeigt aber auf, wie zur Bionik fortge- schritten werden kann. Bionik ist dann das in Teil C erläuterte Um- setzen. Also noch einmal, denn es ist wichtig hier zu insistieren: Teil A Erkennen ist Technische Biolo- gie, Teil B Abstrahieren verknüpft A mit C, wo dann das Umsetzen erst Bionik ist. Dies zieht sich als roter Faden durch das ganze Buch. Bionik bedeutet nicht reine Nach- ahmung durch Kopieren der Natur, sondern Übertragung von Natur- prinzipien in eine technikrelevante Realisation durch den konstru- ierenden Ingenieur. Bionik ist grundsätzlich ein in- terdisziplinäres Unterfangen zwi- schen Naturwissenschaftlern und Ingenieuren. Eine allgemeine For- derung nach interdisziplinärer Zu- sammenarbeit wird hier besonders deutlich, und da wird das Buch abermals zum Lehrstück weit über die Bionik hinaus. Es reicht nicht oberflächliches Aufeinander-Zuge- hen-Wollen. Der jeweilige Partner muss zuallererst in seiner jeweils eigenen Disziplin (Technischer Bio- loge, Ingenieur im konkreten Fall) firm sein. Beim Aufeinander-Zuge- hen wird es dann wichtig, zuerst die Sprache des jeweiligen Partners verstehen zu lernen. Das kann schon sehr weit führen, bevor das ultimative Ziel erreicht wird, eine gemeinsame Sprache zu ent- wickeln. Auch gelegentlicher Aus- tausch reicht nicht. Es muss mit kontinuierlicher Vernetzung in ite- rativ rückgekoppelten Vorgehens- weisen gearbeitet werden. Die Preise für solche Bücher sind heute oft unangenehm hoch. Doch überlege man sich, wofür man sonst Geld auszugeben bereit ist, gegenüber dem, was man hier geboten bekommt durch die span- nende Vorstellung der Wissen- schaft Bionik mit weitreichenden Ausblicken für die Lösung von Zu- kunftsproblemen und tiefem Ver- stehen grundlegender Ansprüche von Wissenschaft und Technik. Mit den Worten des Buchautors: „Für eine Bioniklehre … … … ist es unmöglich, dass sie nicht Spuren in der geistigen Grundeinstellung und im konstruktiven Vorgehen des zukünftigen Ingenieurs, Na- turwissenschaftlers, Technikers, Wirtschaftlers oder Politikers hin- terlässt.” Bionik als Wissenschaft: Erken- nen – Abstrahieren – Umsetzen W. Nachtigall, Springer Heidel- berg, 2010. 236 S., 79,95 1. ISBN 978-3-642-10319-3. Ulrich Lüttge, TU Darmstadt ORNITHOLOGIE Tragödie Arten- schwund Dieses faktenreiche und mit über 80 Farbfotos ausgestattete Werk enthüllt eine traurige Geschichte: die Beeinträchtigung der europäi- schen Vogelwelt durch diverse Fehlentwicklungen in- und außer- halb unseres Kontinents. Der Autor ist Wissenschaftsjournalist, ornitho- logisch besonders interessiert sowie versiert und hat sich unter anderem in seiner Dissertation mit Artenvielfalt beschäftigt. In neun Kapiteln, die jeweils mit einem ausführlichen Schriftenverzeichnis enden, werden die Gründe für den Artenwandel (eigentlich ein Euphe- mismus) detailliert und wohlbe- gründet geschildert, teilweise mit Erfahrungen, die der Autor selbst

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Page 1: Vogelwelt im Wandel. Trends und Perspektiven. Von D. Lingenhöhl

M AG A Z I N B Ü C H E R

342 Biol. Unserer Zeit 5/2011 (41) www.biuz.de © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

B I O N I K

Vom Erkennen zum Umsetzen

Der Buchtitel Bionik erweckt viel-leicht die Erwartung eines buntenKaleidoskops mitreißender Illustra-tionen der Umsetzung biologischerin technische Konstruktionsprinzi-pien. Sie sind auch alle da, diebekannten Beispiele: Seeigel }Eissporthalle, Wasserkäfer } Haft-Pad, Heuschrecke } Laufmaschine,Grashalm } Fernsehturm, Säuger-rumpf } Bogensehnen-Brücke,Bauchschuppen einer Schlange }Langlaufski-Schuppen, Lotus-Blatt} wasserabstoßende selbstreini-gende Oberflächen u.v.a. mehr.Schon der nähere Blick auf denTitel und Untertitel zeigt aber, dasswir hier wesentlich mehr gebotenbekommen. Dies wird im Vorwortsehr deutlich, das die drei großenTeile (A, B, C) des Buches unterein-ander abgrenzt. Bionik wird grund-legend als eine spezifische Wissen-schaft vorgestellt.

Teil A analysiert das Erkennentechnischer Lösungen in wichtigenFunktionen von Tieren und Pflan-zen. Das ist Technische Biologieund Grundlagenforschung als wich-tiges Kulturgut, wie der Autor im-mer wieder betont. Aber was habendas Springen eines Koboldmakisund der Antrieb einer Dampfloko-motive, die Grabbewegungen einesMaulwurfs oder der Gleitflug einesAdlers mit Erkenntnistheorie zutun? Man kennt da trockene Lehr-sätze und kategorische Imperative.Hier zeigt sich nun die Meister-schaft des Autors: Im letzten Kapi-tel 4 des Teils A bezieht er Wissen-schaftstheorie auf Bionik anhandvon konkreten Beispielen so leben-dig und greifbar, dass man diesesBuch ganz unabhängig von der Bio-nik unbedingt jedem jungen Biolo-gen zur Lektüre empfehlen möchte.

Teil B weist dann mit dem Ab-strahieren den weiteren Weg. Ausdem Erkennen von A wird hier das

Erarbeiten allgemeiner Prinzipien.Sie können, müssen aber nicht inTechnik umgesetzt werden. Also istdies ist noch keine Bionik. Es zeigtaber auf, wie zur Bionik fortge-schritten werden kann. Bionik istdann das in Teil C erläuterte Um-setzen. Also noch einmal, denn esist wichtig hier zu insistieren: TeilA Erkennen ist Technische Biolo-gie, Teil B Abstrahieren verknüpftA mit C, wo dann das Umsetzenerst Bionik ist. Dies zieht sich alsroter Faden durch das ganze Buch.Bionik bedeutet nicht reine Nach-ahmung durch Kopieren der Natur,sondern Übertragung von Natur-prinzipien in eine technikrelevanteRealisation durch den konstru-ierenden Ingenieur.

Bionik ist grundsätzlich ein in-terdisziplinäres Unterfangen zwi-schen Naturwissenschaftlern undIngenieuren. Eine allgemeine For-derung nach interdisziplinärer Zu-sammenarbeit wird hier besondersdeutlich, und da wird das Buchabermals zum Lehrstück weit überdie Bionik hinaus. Es reicht nichtoberflächliches Aufeinander-Zuge-hen-Wollen. Der jeweilige Partnermuss zuallererst in seiner jeweilseigenen Disziplin (Technischer Bio-loge, Ingenieur im konkreten Fall)firm sein. Beim Aufeinander-Zuge-hen wird es dann wichtig, zuerstdie Sprache des jeweiligen Partnersverstehen zu lernen. Das kannschon sehr weit führen, bevor dasultimative Ziel erreicht wird, einegemeinsame Sprache zu ent-wickeln. Auch gelegentlicher Aus-tausch reicht nicht. Es muss mitkontinuierlicher Vernetzung in ite-rativ rückgekoppelten Vorgehens-weisen gearbeitet werden.

Die Preise für solche Büchersind heute oft unangenehm hoch.Doch überlege man sich, wofürman sonst Geld auszugeben bereitist, gegenüber dem, was man hiergeboten bekommt durch die span-nende Vorstellung der Wissen-schaft Bionik mit weitreichendenAusblicken für die Lösung von Zu-kunftsproblemen und tiefem Ver-

stehen grundlegender Ansprüchevon Wissenschaft und Technik. Mitden Worten des Buchautors: „Füreine Bioniklehre … … … ist esunmöglich, dass sie nicht Spurenin der geistigen Grundeinstellungund im konstruktiven Vorgehendes zukünftigen Ingenieurs, Na-turwissenschaftlers, Technikers,Wirtschaftlers oder Politikers hin-terlässt.”

Bionik als Wissenschaft: Erken-nen – Abstrahieren – UmsetzenW. Nachtigall, Springer Heidel-berg, 2010. 236 S., 79,95 1. ISBN 978-3-642-10319-3.

Ulrich Lüttge, TU Darmstadt

O R N I T H O LO G I E

Tragödie Arten-schwund

Dieses faktenreiche und mit über80 Farbfotos ausgestattete Werkenthüllt eine traurige Geschichte:die Beeinträchtigung der europäi-schen Vogelwelt durch diverseFehlentwicklungen in- und außer-halb unseres Kontinents. Der Autorist Wissenschaftsjournalist, ornitho-logisch besonders interessiertsowie versiert und hat sich unteranderem in seiner Dissertation mitArtenvielfalt beschäftigt. In neunKapiteln, die jeweils mit einemausführlichen Schriftenverzeichnisenden, werden die Gründe für denArtenwandel (eigentlich ein Euphe-mismus) detailliert und wohlbe-gründet geschildert, teilweise mitErfahrungen, die der Autor selbst

Page 2: Vogelwelt im Wandel. Trends und Perspektiven. Von D. Lingenhöhl

B Ü C H E R M AG A Z I N

© 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.biuz.de 5/2011 (41) Biol. Unserer Zeit 343

gemacht hat. Vogelzug, industriali-sierte Landwirtschaft, Pestizideund Schwermetalle, Forstwirt-schaft, Jagd, Klimawandel, „künst-liche Auslese“, Bedeutung der vonvielen so geliebten Hauskatzenund Vogelschutz sind die abgehan-delten Themen.

Der Autor lässt seine Betroffen-heit spüren, bleibt aber immersachlich, belegt seine Ausführun-gen mit durchnummerierten Zita-ten von Originalarbeiten und be-tont, dass das Wissen vorhandenist, um die zum Teil dramatischenFehlentwicklungen zu stoppen.

Eine wichtige Lektüre für alle,auch für Freunde von Biokraftstoff,Jäger, die nicht auf Bleimunitionverzichten wollen, Reisende(„Kein Urlaubsort, wo Vogel-

mord“) und Kat-zenhalter. Unsallen wird indiesem Buch einSpiegel vorge-halten, in demwir den Homosapiens schwer-lich erkennen.

Vogelwelt im WandelTrends und Perspektiven.D. Lingenhöhl, Wiley-VCH, Wein-heim, 2010. 282 S., 14,90 1.ISBN 978-3-527-32712-6.

Volker Storch, Universität Heidelberg

M U LT I M E D I A

Die Welt im Ohr Seit einiger Zeit sind auf dem Marktverschiedene CD-Serien zu entde-cken, die von dem bekanntenOrnithologen und BioakustikerMichael Schubert herausgegebenwerden und durchaus als akusti-sche Kostbarkeiten bezeichnetwerden dürfen. Dies sind Hör-exkursionen im wahrsten Sinne desWortes. Zu hören sind eben nichtnur Tierstimmen, wie man sieseparat auf vielen speziellen CDsanderer Autoren hören kann,sondern es wurde die ganze akus-tische Naturszene, wie sie deraufmerksame Naturbeobachterwahrnehmen kann, als wunderbareKlang- und Geräuscharrangementseingefangen. Da der Autor bei denAufnahmen eine ausgezeichneteTechnik verwendet hat, sind dabeigeradezu akustische Kleinodienentstanden. Die beigefügten Be-schreibungen geben dem Hörer dieMöglichkeit, die eingefangenenakustischen Szenen in ihrer ganzenFülle wahrzunehmen. Die großarti-gen Aufnahmen geben dem Hörerdas Gefühl, direkt im Geschehen zusein – und das nicht nur, wenn mandie CDs mit Kopfhörern auf sichwirken lässt. So ist eine ältere Serieunter dem Titel „Hörexkursion“entstanden mit den CDs „Sommer-tag im Dorf“, „Ein Jahr im Wald“,

„Durch Feld und Flur“, „Nun willder Lenz uns grüßen“ oder auch„An Haff und Küste“.

In neuerer Zeit sind unter demThema „Naturklänge Nordeuro-pas“ drei CDs erschienen mit denTiteln „In Schwedens Taiga“, „AnKüsten und Gewässern“ und „ImFjäll“. Weitere Aufnahmen sind inArbeit, wie man vom Autor erfah-ren kann. Er betreibt ein eigenesTonstudio, in das man auf seinerHomepage Einblick nehmen kann(www.syrinx-ton.de). Auch Bestel-lungen sind dort möglich. MichaelSchubert macht sich mit diesenHör-CDs sehr verdient. Dem auf-merksamen Naturbeobachter bie-tet er den Genuss wunderbarerKlangszenarien aus den verschie-denen Naturbereichen; den aufdem Gebiet der Umwelt- und Na-turerziehung Tätigen sehr interes-sante akustische Lehrmittel.

„Hörexkursionen“ und „Natur-klänge Nordeuropas“ – verschie-dene CDsBezug über Dr. M. Schubert,www.syrinx-ton.de. Die CDskosten zwischen 9,90 und 12,40 1inkl. Versand.

Jochen Oehler, Am Mellensee