verordnung der landesregierung zur bestimmung der gebiete
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Verordnung der Landesregierung zur Bestimmung der Gebiete mit verlängerter Kündigungssperrfrist bei
Wohnungsumwandlungen in Eigentumswohnungen
(Kündigungssperrfristverordnung Baden-Württemberg − KSpVO BW )
Vom
Auf Grund von § 577a Absatz 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der
Fassung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, ber. 2003 S. 738), das zuletzt durch
Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2911) geändert worden
ist, wird verordnet:
§ 1
Anwendungsbereich
Die Städte und Gemeinden Backnang, Bad Bellingen, Bad Krozingen, Badenweiler,
Balgheim, Bietigheim-Bissingen, Bodelshausen, Breisach am Rhein, Bretten,
Bubsheim, Büsingen am Hochrhein, Denkendorf, Denzlingen, Dettingen an der
Erms, Ditzingen, Eichstetten am Kaiserstuhl, Eigeltingen, Eislingen/Fils,
Emmendingen, Eningen unter Achalm, Esslingen am Neckar, Ettlingen, Fellbach,
Filderstadt, Fischingen, Freiburg im Breisgau, Friedrichshafen, Grenzach-Wyhlen,
Güglingen, Gundelfingen, Hartheim am Rhein, Heidelberg, Heilbronn, Heimsheim,
Kandern, Kappel-Grafenhausen, Karlsruhe, Kehl, Kernen im Remstal, Kirchheim
unter Teck, Kirchzarten, Konstanz, Kornwestheim, Lahr/Schwarzwald, Lauchringen,
Leinfelden-Echterdingen, Leonberg, Lörrach, Ludwigsburg, Mannheim, March,
Meißenheim, Merzhausen, Möglingen, Müllheim, Neckarsulm, Neuenburg am
Rhein, Neuried, Nürtingen, Offenburg, Pliezhausen, Radolfzell am Bodensee,
Reichenau, Remseck am Neckar, Reutlingen, Rheinfelden/Baden, Riegel am
Kaiserstuhl, Rümmingen, Schallbach, Schallstadt, Sindelfingen, Singen/Hohentwiel,
St. Blasien, Staufen im Breisgau, Stuttgart, Tübingen, Überlingen, Ulm, Umkirch,
Waiblingen, Waldkirch, Wannweil, Weil am Rhein, Weingarten, Weinheim,
Weinstadt, Wendlingen am Neckar, Wernau/Neckar und Winnenden sind Gebiete
im Sinne des § 577a Absatz 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
§ 2
Dauer der Kündigungssperrfrist
Die Kündigungssperrfrist bei Wohnungsumwandlungen beträgt in den in
§ 1 bezeichneten Gebieten fünf Jahre.
§ 3
Inkrafttreten, Außerkrafttreten
Diese Verordnung tritt am 1. Juli 2020 in Kraft und mit Ablauf des 30. Juni 2025
außer Kraft.
Stuttgart, den
Die Regierung des Landes Baden-Württemberg:
Begründung
A. Allgemeiner Teil I. Zielsetzung
Ist nach § 577a Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) an vermieteten
Wohnungen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet
und das Wohnungseigentum veräußert worden, so kann sich ein Erwerber auf
berechtigte Interessen zur Rechtfertigung einer Kündigung des Mietverhältnisses
erst nach Ablauf von drei Jahren seit der Veräußerung berufen
(Kündigungssperrfrist).
Nach § 577a Absatz 2 Satz 2 BGB sind die Landesregierungen ermächtigt, durch
Rechtsverordnung Gemeinden oder Teile von Gemeinden zu bestimmen, in denen
die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnraum zu
angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist und in denen deshalb die
Kündigungssperrfrist bei Umwandlung vermieteter Wohnungen in Eigentums-
wohnungen von drei auf bis zu zehn Jahre verlängert werden kann. Damit kann sich
der Vermieter erst nach Ablauf dieser Zeit auf berechtigte Interessen zur
Rechtfertigung einer Kündigung des Mietverhältnisses berufen.
Die Verordnung darf auf jeweils höchstens zehn Jahre befristet werden. Nach
Ablauf dieser Frist kann die Verordnung wiederum für die Dauer von höchstens
zehn Jahren verlängert werden.
Zielsetzung der Verordnung ist somit, in Gebieten mit angespannten
Wohnungsmärkten den Mieterinnen und Mietern, die infolge einer nach
Überlassung erfolgten Umwandlung des Mietwohnraums in Wohnungseigentum
und durch dessen Veräußerung erhöhter Verdrängungsgefahr ausgesetzt sind,
einen längeren Bestandsschutz zu gewähren. Die Mieterinnen und Mieter sollen in
den betreffenden Gebieten mehr Zeit für die Suche einer neuen Wohnung erhalten
(Schutzwirkung). Auch sollen längere Sperrfristen Interessenten für umgewandelte
Wohnungen stärker abschrecken und spekulative Umwandlungsaktivitäten
wirksamer eindämmen (wohnungswirtschaftlicher Effekt).
II. Wesentlicher Inhalt Wie bereits bei der Kündigungssperrfristverordnung vom 9. Juni 2015 wird auch bei
dieser Verordnung dieselbe Gebietskulisse wie bei der ebenfalls neu zu
erlassenden Kappungsgrenzenverordnung zugrunde gelegt.
In dem Verordnungsentwurf werden deshalb die 89 Städte und Gemeinden
benannt, die als Gebiete klassifiziert werden, in denen die ausreichende
Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen
besonders gefährdet ist, also ein angespannter Wohnungsmarkt vorliegt. In diesen
89 Städten und Gemeinden besteht die Kündigungssperrfrist bei Umwandlung
vermieteter Wohnungen in Eigentumswohnungen fünf Jahre.
Der Verordnungsentwurf wird ausführlich begründet. In der Begründung werden
insbesondere die Indikatoren, die auf einen angespannten Wohnungsmarkt
hinweisen sowie deren Bewertung durch die Landesregierung aufgeführt.
In der Anlage 1 zur Begründung ist die Gesamtübersicht zum Ergebnis der
Indikatoren, in den Anlagen 2 bis 6 zur Begründung sind die jeweiligen Einzeldaten
zu den fünf Indikatoren für die 89 Städte und Gemeinden dargestellt.
III. Regelungsfolgenabschätzung und Nachhaltigkeitsprüfung
Durch die Verlängerung der Kündigungssperrfrist von drei auf fünf Jahre wird den
Mieterinnen und Mietern in den Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten die
Möglichkeit eingeräumt, bei Umwandlungen vermieteter Wohnungen in
Eigentumswohnungen länger geschützt, insbesondere vor Eigenbedarfs-
kündigungen, in ihren angestammten Wohnungen zu verbleiben. Damit wird
verhindert, dass Mieterinnen und Mieter in begehrten Wohnlagen aufgrund eines für
sie unbezahlbaren Wohnraums aus ihren Wohnungen verdrängt werden. Die
jeweilige Quartierstruktur wird nachhaltig gestärkt.
IV. Finanzielle Auswirkungen
Keine
V. Kosten für die öffentlichen Haushalte und für Private, Erfüllungsaufwand
Durch die Verordnung ergeben sich keine Änderungen der Kosten für die
öffentlichen Haushalte und kein Erfüllungsaufwand. Die Neufestlegung der
Gebietskulisse zur Kündigungssperrfristverordnung füllt die bundesrechtliche
Verordnungsermächtigung aus.
VI. Alternativen
Alternativen, mit denen die Regelungsziele in gleicher Weise erreicht werden
können, sind nicht ersichtlich.
B. Besonderer Teil I. Ausgangslage
Nach § 577a Absatz 2 Satz 2 BGB sind die Landesregierungen ermächtigt, durch
Rechtsverordnung Gemeinden oder Teile von Gemeinden zu bestimmen, in denen
die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu
angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist und in denen deshalb die
Kündigungssperrfrist bei Umwandlung vermieteter Wohnungen in Eigentums-
wohnungen von drei auf bis zu zehn Jahre verlängert werden kann. Baden-Württemberg hat von der Ermächtigung nach § 577a Absatz 2 Satz 2 BGB
bereits Gebrauch gemacht und die Kündigungssperrfristverordnung vom 9. Juni
2015 (GBl. S. 346) mit derselben Gebietskulisse wie zur Kappungs-
grenzenverordnung vom 9. Juni 2015 (GBl. S. 346) erlassen. Die
Kündigungssperrfrist bei Wohnungsumwandlungen beträgt in den 44 Städten und
Gemeinden der Gebietskulisse fünf Jahre. Die Geltungsdauer der
Kündigungssperrfristverordnung vom 9. Juni 2015 ist bis zum 30. Juni 2020
befristet.
Da sich die Situation auf den Wohnungsmärkten in den vergangenen fünf Jahren
nicht entspannt, sondern tendenziell eher verschärft hat und das Schutzbedürfnis
der Mieterinnen und Mieter vor erhöhter Verdrängungsgefahr bei Umwandlung des
Mietwohnraums in Wohnungseigentum weiterhin besteht, ist es geboten, die
Kündigungssperrfristverordnung neu zu erlassen und eine neue Gebietskulisse auf
der Grundlage aktualisierten Datenmaterials zu bestimmen.
II. Rechtsgrundlagen
Nach der Legaldefinition des §577a Absatz 2 Satz 1 BGB liegt ein angespannter
Wohnungsmarkt vor, wenn die „ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit
Mietwohnungen“ zu „angemessenen Bedingungen“ „besonders gefährdet“ ist.
Ansatzpunkt der Kündigungssperrfristverordnung ist damit wie bei der
Mietpreisbegrenzungsverordnung ein angespannter Wohnungsmarkt in einer
Gemeinde oder einem Teil der Gemeinde. Die Legaldefinition des angespannten
Wohnungsmarkts zur Kündigungssperrfristverordnung entspricht der Legaldefinition
des angespannten Wohnungsmarktes zur Mietpreisbegrenzungsverordnung in
§ 556d Absatz 2 Satz 2 BGB.
Ein konkretes Verfahren zur Festlegung der Gebiete mit angespannten
Wohnungsmärkten ist vom Gesetz her nicht vorgegeben. Weder zur Bestimmung
der Gebiete nach § 556d Absatz 2 Satz 2 BGB noch zur Festlegung der Gebiete
nach § 577a Absatz 2 BGB gibt somit das Gesetz feste Kriterien vor.
Lediglich der die Mietpreisbegrenzungsverordnung betreffende § 556d Absatz 2
Satz 3 BGB nennt beispielhaft vier Kriterien, die auf einen angespannten
Wohnungsmarkt hindeuten können.
Ein angespannter Wohnungsmarkt kann nach der Regelung des § 556d Absatz 2
Satz 3 BGB insbesondere vorliegen, wenn
1. die Mieten deutlich stärker steigen als im bundesweiten Durchschnitt,
2. die durchschnittliche Mietbelastung der Haushalte den bundesweiten
Durchschnitt deutlich übersteigt,
3. die Wohnbevölkerung wächst, ohne dass durch Neubautätigkeit insoweit
erforderlicher Wohnraum geschaffen wird, oder
4. geringer Leerstand bei großer Nachfrage besteht.
Der Bundesgesetzgeber hat in seiner Begründung zu § 556d BGB deutlich
gemacht, dass in § 556d Absatz 2 Kriterien ausgeführt seien, die in Bezug auf eine
Unterversorgung aussagekräftig sein können. Ob im Einzelfall eines oder mehrere
dieser Kriterien ausreichen würden oder trotz Vorliegens solcher Kriterien eine
Anspannung zu verneinen sei, könne sich nur aus einer Gesamtschau unter
Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten ergeben. Aus diesem Grund
werde von starren Vorgaben abgesehen. Damit hat der Landesverordnungsgeber
einen Gestaltungsspielraum. Dieser gilt insbesondere bei der Beurteilung der
Frage, ob ein angespannter Wohnungsmarkt existiert oder nicht und nach welchen
Kriterien der Landesverordnungsgeber das Vorliegen einer Mangelsituation
beurteilt.
III. Bestimmung der Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten in Baden-Württemberg
1. Einholung eines Gutachtens zur Identifikation der Gebiete mit angespannten
Wohnungsmärkten in Baden-Württemberg
Im Einklang mit den Empfehlungen der Wohnraum-Allianz Baden-Württemberg
wurde ein externes Gutachten an das F+B-Institut – Forschung und Beratung für
Immobilien, Wohnen und Umwelt GmbH – zur Identifizierung von Gebieten in
Baden-Württemberg mit angespannten Wohnungsmärkten in Auftrag gegeben.
Das Gutachten findet gleichermaßen auf die Mietpreisbegrenzungsverordnung, die
Kündigungssperrfristverordnung und die Kappungsgrenzenverordnung Anwendung,
da alle Verordnungen als Tatbestandsmerkmal das Vorliegen sogenannter
„angespannter Wohnungsmärkte“ erfordern.
In Ziffer 1 des Gutachtens, Problemdarstellung und Untersuchungsauftrag, ist
deshalb neben der Rechtsgrundlage des § 556d Absatz 2 BGB zur
Mietpreisbegrenzungsverordnung und der Rechtsgrundlage des § 577a BGB zur
Kündigungssperrfristverordnung auch die Rechtsgrundlage des § 558 Absatz 3
Satz 2 und 3 BGB zur Kappungsgrenzenverordnung aufgeführt.
Das Gutachten sowie dessen Ergebnisse mit Blick auf die Gebietskulisse der neuen
Landesverordnungen wurden im Spitzengespräch der Wohnraum-Allianz Baden-
Württemberg am 14. Oktober 2019 vorgestellt. Das Gutachten sowie die
Einzeldaten aller Städte und Gemeinden zu den verwendeten Indikatoren sind im
Internetauftritt des Wirtschaftsministeriums unter https://wm.baden-
wuerttemberg.de/ abrufbar.
Zur Ermittlung der angespannten Wohnungsmärkte hat das F+B-Institut die in
§ 556d Absatz 2 Satz 3 BGB genannten vier Kriterien durch fünf Indikatoren
präzisiert, die sachlich und mit Blick auf die Legaldefinition der Kriterien in § 556d
Absatz 2 Satz 3 BGB für die Identifizierung angespannter Wohnungsmärkte in
Baden-Württemberg geeignet sind.
Zwar sind die in § 556d Absatz 2 Satz 3 BGB aufgeführten Kriterien zur
Bestimmung der Anspannung des Wohnungsmarkts als Nachfrage-, Angebots- und
Marktkriterien aussagekräftig, sie müssen jedoch durch ökonomische Indikatoren
operationalisiert werden. Sie werden dadurch messbar und beurteilbar.
Des Weiteren ist zu fragen, wann die jeweiligen Kriterien zur Annahme eines
angespannten Wohnungsmarkts erfüllt sind.
Nach dem Wortlaut der Ziffer 1 des § 556d Absatz 2 Satz 3 BGB ist für die
Annahme des Kriteriums ein im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt „deutlich
stärkerer“ Anstieg der Mieten in der Gemeinde erforderlich. Im Hinblick auf den
deutlich stärkeren Anstieg bei den Mieten ist maßgeblich, welches Ausgangsniveau
vorlag und welche (absolute) Änderung eingetreten ist.
Nach dem Wortlaut der Ziffer 2 des § 556d Absatz 2 Satz 3 BGB ist zudem ein
„deutliches Übersteigen der bundesweiten Mietbelastung“ erforderlich.
Gemäß Ziffer 3 des § 556d Absatz 2 Satz 3 BGB ist ein Wachstum der
Wohnbevölkerung erforderlich, ohne dass durch Neubautätigkeit insoweit
erforderlicher Wohnraum geschaffen wird. Bei diesem Kriterium ist es ausreichend,
wenn das Wachstum der Bevölkerung auch nur geringfügig über der
Neubautätigkeit liegt.
Nach Ziffer 4 des § 556d Absatz 2 Satz 3 BGB muss ein geringer Leerstand bei
großer Nachfrage vorliegen. Ein geringer Leerstand wird in der Fachwissenschaft
angenommen, wenn der Leerstand unter drei Prozent sinkt (Fluktuationsreserve).
Eine große Nachfrage liegt vor, wenn diese Fluktuationsreserve von drei Prozent
unterschritten wird.
Als Indikatoren wurden deshalb der Wohnungsversorgungsgrad, die
Wohnungsversorgung für Neubürger, die Mietbelastungsquote (Bruttowarm), die
Höhe und Entwicklung der Angebotsmieten in den letzten fünf Jahren sowie die
Mietpreisdifferenz bzw. alternativ die Höhe der Angebots- und Vergleichsmieten
gewählt. Diese fünf Indikatoren, die im Nachfolgenden ausführlich dargestellt sind
und die verschiedenen Dimensionen der Tatbestände „besondere Gefährdung“ und
„angemessene Bedingungen“ repräsentieren, sind aus ökonomischer Sicht
geeignet, jeweils bestimmte Aspekte angespannter Wohnungsmärkte zu
verdeutlichen und für das Land Baden-Württemberg mit der verfügbaren Datenlage
zu quantifizieren.
Als Datenmaterial wurden die jeweils zum aktuellsten verfügbaren Zeitpunkt
vorhandenen Daten des Statistisches Landesamts Baden-Württemberg, der
Bundesagentur für Arbeit, der F+B-Mietdatenbanken, der Gesellschaft für
Konsumforschung und des Zensus 2011 verwendet.
Zur Erfüllung eines Indikators mussten daraufhin geeignete Grenzwerte festgelegt
werden, bei deren Überschreitung oder Unterschreitung ein Indiz für einen
angespannten Wohnungsmarkt angenommen werden kann. Die Indikatoren sind
jedoch einzeln betrachtet nicht hinreichend, um aus ökonomischer Sicht das
Vorliegen angespannter Wohnungsmärkte gesichert zu begründen. Erst im
Zusammenspiel der verschiedenen Indikatoren kann die Situation örtlicher
Wohnungsmärkte beurteilt werden. Um eine hinreichend begründete Feststellung
der angespannten Wohnungsmärkte sicherzustellen, müssen daher mindestens
vier von fünf Indikatoren bejaht werden, d.h. kumulativ bei der jeweiligen Stadt
beziehungsweise Gemeinde vorliegen. Erst dann liegt ein angespannter
Wohnungsmarkt vor.
Die Regelung des § 556d Absatz 2 Satz 3 BGB stellt die dort genannten Kriterien
alle in eine Reihe und hebt keines hervor. Aus der Gesetzesbegründung ist nicht zu
entnehmen, dass einem Kriterium mehr Gewicht zugemessen werden sollte als
dem anderen. Aus diesem Grund werden bei der Bestimmung eines angespannten
Wohnungsmarktes die fünf Indikatoren gleichgewichtet.
Im Ergebnis identifiziert das Gutachten insgesamt 89 Städte und Gemeinden mit
angespannten Wohnungsmärkten. Die 89 Städte und Gemeinden sind in Anlage 1
in der Übersicht dargestellt, Einzeldaten zu den fünf Indikatoren dieser 89 Städte
und Gemeinden sind in Anlage 2 bis 6 enthalten.
a) Indikator 1: Wohnungsversorgungsgrad
Der Wohnungsversorgungsgrad ist ein zentraler Komplexindikator für die regionale
Situation auf dem Wohnungsmarkt. Er bildet das in Ziffer 3 des § 556d Absatz 2
Satz 3 BGB aufgeführte Kriterium und damit die ausreichende Versorgung mit
Mietwohnungen ab. Der Wohnungsversorgungsgrad ist damit das Verhältnis von
Wohnungsnachfrage (Anzahl der Haushalte) unter Berücksichtigung der
Fluktuationsreserve zum Wohnungsangebot (Wohnungsbestand).
Für die Wohnungsnachfrage wurden als Datengrundlage die Haushaltszahlen der
Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zum Stichtag 31. Dezember 2017 unter
Verwendung der Bevölkerungszahl zum Stichtag 31. Dezember 2018
herangezogen.
Beim Wohnungsangebot wurde auf die Daten der Gebäude- und Wohnungsstatistik
des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg (Datenstand: 31. Dezember
2018) zurückgegriffen.
Die Fluktuationsreserve ist für das Funktionieren des Wohnungsmarktes von
Relevanz und resultiert aus Leerständen, um Umzüge und Baumaßnahmen im
Bestand zu gewährleisten. Die sich aus der Fachliteratur ergebende erforderliche
Höhe der Fluktuationsreserve von 3 Prozent bezieht sich auf das
Wohnungsangebot und wird bei der Saldierung von Angebot und Nachfrage
rechnerisch zu den Haushalten hinzugezählt. Durch diese Fluktuationsreserve wird
insbesondere das Kriterium des § 556d Absatz 2 Satz 3 Ziffer 4 BGB, geringer
Leerstand bei großer Nachfrage, abgedeckt.
b) Indikator 2: Wohnungsversorgung für Neubürger
Die Wohnungsversorgung für Neubürger bildet das Verhältnis von
Wohnungsneubau zur Haushaltsentwicklung ab. Das Verhältnis von
Wohnungsneubau zur Haushaltsentwicklung ist eines der im Gesetz aufgeführten
möglichen Kriterien zur Identifikation von angespannten Wohnungsmärkten, hier
Ziffer 3 des § 556d Absatz 2 Satz 3 BGB, wonach die Wohnbevölkerung wächst,
ohne dass durch Neubautätigkeit insoweit erforderlicher Wohnraum geschaffen
wird. Zusätzlich ist dies ein wichtiger Hinweis für eine besondere Gefährdung der
Versorgung mit Mietwohnungen, dass eine unzureichende Versorgung neuer
Haushalte durch entsprechenden neuen Wohnraum, unter Berücksichtigung des
vorhandenen Wohnungsleerstands, auch zukünftig nicht zu einer Entspannung auf
dem Wohnungsmarkt führen wird.
Die „neue Wohnungsnachfrage“ stellt die zusätzliche Nachfrage auf dem
Wohnungsmarkt resultierend aus einer positiven Haushaltsentwicklung dar und
wurde aus der Differenz der Haushaltszahlen der GfK im Jahr 2013 zum Jahr 2018
ermittelt.
Das „neue Wohnungsangebot“ bildet die Wohnungsbestandsentwicklung im
Zeitraum von 2013 bis einschließlich 2018 in einer Gemeinde ab und wurde aus der
Differenz aus dem Wohnungsangebot 2013 und 2018 ermittelt. Als Datengrundlage
dienen die Daten der Gebäude- und Wohnungsstatistik des Statistischen
Landesamtes Baden-Württemberg (Datenstand 31. Dezember 2012 und 31.
Dezember 2018).
Bei der Stichtagsberechnung zur Entwicklung der Wohnungsversorgung ist die
Einbeziehung des Wohnungsleerstands und der Fluktuationsreserve in Höhe von
3 Prozent notwendig, um die tatsächliche Wohnungsversorgung auf den regionalen
Wohnungsmärkten abzubilden. Bei der Wohnungsbestandsentwicklung sind daher
nicht nur die Wohnungen, die aufgrund Neubautätigkeit hinzukommen, sondern
auch die Wohnungen, die im Jahr 2013 leer standen, zu berücksichtigen. Die
Fluktuationsreserve ist dagegen vom Wohnungsbestand abzuziehen.
c) Indikator 3: Mietbelastungsquote (Bruttowarm)
Die Mietbelastungsquote bildet das Verhältnis von verfügbarem Nettoeinkommen
zur Bruttowarmmiete ab. Der Indikator gibt Aufschluss darüber, wie stark die
Haushalte durch die Wohnkosten belastet werden und wie viel Einkommen nach
den Mietzahlungen für den Lebensunterhalt zur Verfügung steht. Er deckt damit das
Kriterium des § 556d Absatz 2 Satz 3 Ziffer 2 BGB ab. Die Bruttowarmmiete setzt
sich aus der Nettokaltmiete, den Betriebskosten und den Heiz- und
Warmwasserkosten zusammen. Kosten für Heizung und Warmwasser sind wichtige
Faktoren bei Betrachtung der Mietsituation. Bereits deswegen wurde bei der
Kündigungssperrfristverordnung vom 9. Juni 2015 die Warm- und nicht die
Kaltmiete zugrunde gelegt. Danach wird die durchschnittliche Wohnungsfläche mit
der durchschnittlichen Bruttowarmmiete multipliziert, auf das Jahr hochgerechnet
und anschließend mit dem Haushaltseinkommen ins Verhältnis gesetzt.
Für die Nettokaltmiete wurden die Angebotsmieten pro Quadratmeter aus dem
F+B-Datenbestand aus den Jahren 2017/2018 zugrunde gelegt, der auf einer
umfassenden Auswertung der Wohnungsinserate für vermietete Wohnungen in den
einzelnen Städten und Gemeinden beruht. In einem mehrstufigen Verfahren wurden
zunächst die Angebotsmieten für verschiedene Wohnungsgrößen (bis 45
Quadratmeter, 45 Quadratmeter bis 75 Quadratmeter und größer als 75
Quadratmeter) ermittelt, die dann anhand der regionalen Verteilung des
Wohnungsbestands nach Größenklassen auf der Grundlage des Zensus gewichtet
wurden.
Die kalten Betriebskosten und die Kosten für Heizung und Warmwasser weisen
deutliche regionale Unterschiede auf. Daher wurden hierfür regionalisierte Daten
auf der Grundlage einer Auswertung der Sozialstatistik nach dem zweiten
Sozialgesetzbuch (SGB II) verwendet, die für jeden Stadt- und Landkreis
tatsächliche Kosten ausweist.
Für das Haushaltseinkommen wurde auf die aktuellen Kaufkraftdaten der GfK aus
dem Jahr 2019 zurückgegriffen. Die Daten liegen für alle Städte und Gemeinden in
Baden-Württemberg vor und bilden das Haushaltseinkommen ab.
d) Indikator 4: Höhe und Entwicklung der Angebotsmieten 2012/2013 bis 2017/2018
Hier wird, wie gesetzlich in § 556d Absatz 2 Satz 3 Ziffer 1 BGB normiert, auf den
deutlichen Anstieg der Mieten, genauer auf die Entwicklung der Angebotsmieten in
den letzten fünf Jahren sowie alternativ auf die absolute Höhe der Angebotsmiete
abgestellt. Die Alternative war deswegen erforderlich, da ansonsten Gebiete mit
hohen Ausgangsniveaus von Angebotsmieten, die mit Blick auf das verfügbare
Einkommen nur noch geringe Steigerungen zulassen, nicht adäquat berücksichtigt
werden.
Die Angebotsmieten basieren auf den Angebotsdaten der ImmoDaten GmbH, die
von F+B seit dem Jahr 2005 aufbereitet werden. Für die Auswertung wurden die
Wohnungsinserate für vermietete Wohnungen in Ein-, Zwei- und
Mehrfamilienhäusern der Jahre 2012, 2013, 2017 und 2018 herangezogen. Die
fehlenden Mietwerte bei Städten und Gemeinden mit weniger als zehn Inseraten
wurden mit Hilfe eines bewährten Schätzverfahrens ermittelt. Als Schätzgrundlage
wurden die aktuellen Wohngeld-Mietenstufen, der Bevölkerungstand 2017, die
Bevölkerung im Alter von 25 bis 29 Jahren, die Kaufkraft 2017 sowie die Miethöhen
der drei Wohnungsgrößenklassen bis 45 Quadratmeter, 45 Quadratmeter bis 75
Quadratmeter und mehr als 75 Quadratmeter herangezogen. Im Ergebnis lag für
jede Stadt und Gemeinde in Baden-Württemberg für die Jahre 2012/2013 und
2017/2018 für jeden Teilmarkt der Wohnungsgrößen (bis 45 Quadratmeter, 45
Quadratmeter bis 75 Quadratmeter und größer als 75 Quadratmeter) eine
Angebotsmiete vor.
e) Indikator 5: Mietpreisdifferenz sowie absolute Höhe der Angebots- und
Vergleichsmieten
Bei der Mietpreisdifferenz wird die Differenz zwischen Bestandsmietverträgen
(Vergleichsmieten) und Angebotsmieten für Neuverträge ermittelt. Die
Mietpreisdifferenz ist also Ausdruck des Verhältnisses von Bestandsmieten zu
Neumieten. Hohe Differenzen weisen auf angespannte Wohnungsmärkte hin. Dies
ist ein ergänzender Indikator für das Kriterium gemäß § 556d Absatz 2 Satz 3 Ziffer
1 BGB.
Alternativ wird auf die absolute Höhe der Angebots- und Vergleichsmieten
abgestellt, da ansonsten Gebiete mit hohen Ausgangsniveaus von Angebots- und
Vergleichsmieten nicht adäquat berücksichtigt werden. Die Angebotsmieten, Stand
2018, werden aus der Auswertung der angebotenen Mietwohnungen aus der
Datenbank der ImmoDaten ermittelt.
Die Höhe der Vergleichsmiete wird anhand der vorliegenden Mietspiegel
differenziert nach Baualtersklassen für eine Normalwohnung mittlerer Größe (65
Quadratmeter) ermittelt, wobei regionalisiert eine Gewichtung der
baualtersspezifischen Mietwerte auf Basis der örtlichen Wohnungsstruktur anhand
einer Fortschreibung auf Basis des Zensus 2011 und des Neubaus erfolgt. Bei
Fehlen eines Mietspiegels wird ein bewährtes Schätzmodell angewandt, das
insoweit auch die Ermittlung einer belastbaren durchschnittlichen Vergleichsmiete
ermöglicht.
Bei den Angebotsmieten handelt es sich um die Nettokaltmieten angebotener
Mietwohnungen mit einer Wohnungsgröße 45 Quadratmeter bis 75 Quadratmeter
der Jahre 2017/2018. Die Höhe der Angebotsmiete wird dabei lediglich für diese
Wohnungsgrößen ermittelt, denn eine entsprechende landesweite Datenbasis für
die Vergleichsmieten gibt es nicht unterteilt nach Wohnungsgrößen, sondern nur
nach Baualtersklassen.
f) Festlegung der Grenzwerte der einzelnen Indikatoren
Die Festlegung der Grenzwerte bedeutet, wie hoch ein Wert sein muss, damit für
den Indikator ein Indiz auf einen angespannten Wohnungsmarkt angenommen
werden kann. Hierdurch werden die einzelnen Indikatoren miteinander vergleichbar.
Für die einzelnen Indikatoren wurden folgende Grenzwerte festgelegt:
− Beim Wohnungsversorgungsgrad müssen sich die Nachfrage und das Angebot
zumindest decken, um ausgeglichen zu sein. Das heißt liegt der
Wohnungsversorgungsgrad unter 100 Prozent, ist dies ein Indiz für einen
angespannten Wohnungsmarkt.
− Ist bei der Wohnungsversorgung für Neubürger jeder zusätzliche Haushalt der
letzten fünf Jahre mit einer Wohnung versorgt, entspricht die Anzahl der
zusätzlichen Haushalte der Anzahl des vorhandenen Wohnungsangebots. Ab
einer Wohnungsversorgung von 1,0 wird damit der Bedarf an Wohnungen für
zusätzliche Haushalte durch ein ausreichendes Wohnungsangebot für neue
Haushalte gedeckt.
− Bei der Mietbelastungsquote wird auf die durchschnittliche Mietbelastungsquote
in Baden-Württemberg in Höhe von 19,6 Prozent Bezug genommen. Liegt die
Mietbelastungsquote der einzelnen Stadt oder Gemeinde über diesem
Prozentsatz, ist dies ein Indiz für einen angespannten Wohnungsmarkt.
− Bei der Entwicklung der Angebotsmieten wird auf die durchschnittliche
Mietpreisentwicklung in Baden-Württemberg in den letzten fünf Jahren in Höhe
von 25,4 Prozent Bezug genommen. Liegt die Steigerung der Angebotsmieten
der einzelnen Stadt oder Gemeinde über diesem Prozentsatz, ist dies ein Indiz
für einen angespannten Wohnungsmarkt.
Alternativ wird die absolute Höhe der Angebotsmieten aus den Jahren 2012/2013
und 2017/2019 der jeweiligen Stadt oder Gemeinde mit der durchschnittlichen
Miethöhe in Baden-Württemberg in den Jahren 2012/2013 in Höhe von 7,36 Euro
pro Quadratmeter beziehungsweise in den Jahren 2017/2018 in Höhe von 9,23
Euro pro Quadratmeter verglichen. Ein Indiz für einen angespannten
Wohnungsmarkt wird angenommen, wenn die absolute Höhe der
Angebotsmieten der jeweiligen Stadt oder Gemeinde über dieser
durchschnittlichen Miethöhe liegen.
− Bei der Mietpreisdifferenz wird auf den Landesdurchschnitt in Baden-
Württemberg in Höhe von 2,58 Euro pro Quadratmeter Bezug genommen. Liegt
die Mietpreisdifferenz der einzelnen Stadt oder Gemeinde über diesem Wert, ist
dies ein Indiz für einen angespannten Wohnungsmarkt.
Alternativ wird die absolute Miethöhe der Angebots- und Vergleichsmieten 2018
mit den jeweiligen Landesdurchschnittswerten in Höhe von 9,61 Euro pro
Quadratmeter (Angebotsmiete) beziehungsweise von 7,03 Euro pro
Quadratmeter (Vergleichsmiete) verglichen. Liegt die absolute Höhe der
Angebotsmieten in der hier zugrundeliegenden Wohnungsgröße zwischen 45
Quadratmeter und 75 Quadratmeter unter dem Landesdurchschnitt von 9,61
Euro pro Quadratmeter, wird hilfsweise auf die absolute Höhe der Angebotsmiete
im Gesamtmarkt beim Indikator 4 zurückgegriffen, die insoweit aussagekräftiger
ist. Liegt die absolute Höhe sowohl der Angebots-, als auch der Vergleichsmieten
der jeweiligen Stadt oder Gemeinde über der durchschnittlichen Miethöhe, ist
dies ein Indiz für einen angespannten Wohnungsmarkt. Daraus ergibt sich
folgende Übersicht:
Indikator
Keine Anspannungstendenz Anspannungstendenz
Grenzwert Grenzwert
Wohnungs-versorgungsgrad
100 Prozent oder höher unter 100 Prozent
Wohnungsversorgung für Neubürger
1,0 oder höher unter 1,0
Mietbelastungsquote (Bruttowarm)
bis einschließlich 19,6 Prozent
über 19,6 Prozent
Höhe und Entwicklung Angebotsmieten 2012/13 bis 2017/18
Mietsteigerung bis einschließlich
25,4 Prozent
oder absolute Höhe bis einschließlich
dem gewichteten
Landesdurchschnitt
2012/13 und 2017/18
(7,36 Euro pro Quadratmeter
beziehungsweise 9,23 Euro pro
Quadratmeter)
Mietsteigerung über
25,4 Prozent
oder absolute Höhe über dem gewichteten
Landesdurchschnitt
2012/13 und 2017/18
(7,36 Euro pro Quadratmeter
beziehungsweise 9,23 Euro pro
Quadratmeter)
Mietpreisdifferenz bzw. Höhe Angebots- und Vergleichsmiete
Mietpreisdifferenz bis einschließlich
2,58 Euro pro Quadratmeter
oder absolute Angebots- und
Vergleichsmiete
2017/18 bis einschließlich
Landesdurchschnitt
Mietpreisdifferenz über
2,58 Euro pro Quadratmeter
oder absolute Höhe der Angebots-und
Vergleichsmiete
2017/18 über dem
Landesdurchschnitt
Indikator
Keine Anspannungstendenz Anspannungstendenz
Grenzwert Grenzwert
(9,61 Euro pro Quadratmeter
beziehungsweise 7,03 Euro pro
Quadratmeter)
(9,61 Euro pro Quadratmeter
beziehungsweise 7,03 Euro pro
Quadratmeter)
Im Ergebnis kann für 89 Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg ein
angespannter Wohnungsmarkt nachgewiesen werden. Bei 31 Städten und
Gemeinden weisen alle fünf Indikatoren auf einen angespannten Wohnungsmarkt
hin. Bei den übrigen Städten und Gemeinden sind mindestens vier der fünf
Indikatoren erfüllt.
2. Bewertung durch die Baden-Württembergische Landesregierung
Die Methodik der Gutachter sowie die Auswahl und Gewichtung der Indikatoren
sind plausibel und aussagekräftig. Der Empfehlung des F+B-Gutachtens und
dessen Anwendung auf die Mietpreisbegrenzungsverordnung, die
Kündigungssperrfristverordnung und auf die Kappungsgrenzenverordnung wird
nach Bewertung durch die Landesregierung vollumfänglich gefolgt.
Das Gutachten hat zu Recht die Gemeindeebene als Analyserahmen zugrunde
gelegt, insbesondere auch weil die Gemeindeverteilung in Baden-Württemberg
äußerst kleinteilig ist. Eine Differenzierung unterhalb der Gemeindeebene war
deshalb sachlich nicht geboten. Zudem standen unterhalb der Gemeindeebene
keine landesweit vergleichbaren Daten für die Untersuchung von Gemeindeteilen
bezüglich der Indikatoren zur Verfügung.
Mietspiegel sind nur in bestimmten Städten und Gemeinden vorhanden.
Aufgeworfen wurde die Frage, ob die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete
als Grundlage für die Anwendung der Mietpreisbegrenzungsverordnung (und damit
auch für die Kündigungssperrfristverordnung) in Städten und Gemeinden, die in die
Gebietskulisse aufgenommen wurden, aber in denen kein (qualifizierter) Mietspiegel
vorliegt, überhaupt zumutbar ist.
Gemäß der Gesetzesbegründung zu § 556d BGB (BT Drucksache 18/3121, S. 29)
soll bei der Entscheidung, ob eine Stadt oder Gemeinde als Gebiet mit einem
angespannten Wohnungsmarkt ausgewiesen werden soll, auch berücksichtigt
werden, ob die Vertragsparteien die nach Inkrafttreten einer Verordnung zulässige
Miete mit zumutbarem Aufwand ermitteln können. Steht kein örtlicher Mietspiegel
zur Verfügung, kann der Vermieter Schwierigkeiten bekommen, die zulässige Miete
zu ermitteln. Auch für den Mietinteressenten können Probleme entstehen, die
Berechtigung der Mietforderung zu überprüfen. § 558c Absatz 4 Satz 1 BGB
bestimmt bereits nach geltendem Recht, dass Städte und Gemeinden einen
Mietspiegel erstellen sollen, wenn hierfür ein Bedürfnis besteht und dies mit einem
vertretbaren Aufwand möglich ist. Jedenfalls dürfte ein Bedürfnis bestehen, einen
Mietspiegel zu erstellen, sobald ernsthaft erwogen wird, die entsprechende Stadt
oder Gemeinde als Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt auszuweisen.
Es handelt sich bei der Erstellung von Mietspiegeln um eine im Ermessen der
einzelnen Stadt bzw. Gemeinde liegende Aufgabe.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2019, Az.: 1
BVL 1/18, dort RN 58, zur Landesverordnung in Berlin ist grundsätzlich auch der
Erlass der Mietpreisbegrenzungsverordnung in den Gebieten zulässig, in denen
kein (qualifizierter) Mietspiegel vorliegt. Denn die Ermittlung der ortsüblichen
Vergleichsmiete ist nach § 558a Absatz 2 BGB auch auf andere Weise möglich.
Danach kann ein Mieterhöhungsverlangen mit einem Mietspiegel, einer Auskunft
aus einer Mietdatenbank, einem Gutachten eines öffentlich vereidigten
Sachverständigen oder der Benennung von Entgelten von mindestens drei
vergleichbaren Wohnungen begründet werden.
Entscheidend für die Anwendung der Mietpreisbegrenzungsverordnung ist deshalb
nicht, ob in der jeweiligen Stadt oder Gemeinde ein Mietspiegel erstellt wurde,
sondern ob ein angespannter Wohnungsmarkt vorliegt. Der Landesverordnungs-
geber ist hierbei nach Artikel 3 Grundgesetz zur Gleichbehandlung der Einwohner
in allen Städten und Gemeinden Baden-Württembergs verpflichtet. Die Mieterinnen
und Mieter in Städten und Gemeinden ohne Mietspiegel sind nicht weniger
schutzwürdig als die Mieterinnen und Mieter in Städten und Gemeinden mit
Mietspiegel, zumal die Entscheidung über die Erstellung eines Mietspiegels im
kommunalen Ermessen liegt.
Diese Ausführungen sind bei Erlass der Kündigungssperrfristverordnung
entsprechend anwendbar.
Das Gutachten hat sich deshalb bei Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete
nicht auf die Städte und Gemeinden beschränkt, die einen Mietspiegel veröffentlicht
haben. Für die übrigen Städte und Gemeinden erfolgte eine Schätzung auf Basis
eines seit Jahren bewährten Schätzmodells (multivariable Regressionsschätzung
mit Dummy-Variablen). Bei diesem Schätzmodell wurden folgende Parameter
verwendet: Mietenstufen, Bodenrichtwert, Bevölkerung 2017, Bevölkerung der
Altersgruppe 25 bis 29 Jahre. Nach Abschluss der Schätzung lagen für alle Städte
und Gemeinden Mietwerte vor. Zur Bildung einer durchschnittlichen
Vergleichsmiete erfolgte eine Gewichtung der baualtersspezifischen Mietwerte auf
Basis der örtlichen Wohnungsstruktur nach Baualter.
Die Mieten der kommunalen Wohnungsunternehmen und der Genossenschaften
konnten aus Gründen der Datenqualität in dem Gutachten nicht berücksichtigt
werden. Diese Daten standen nicht flächendeckend zur Verfügung und konnten
auch nicht zweifelsfrei einer bestimmten Stadt oder Gemeinde zugeordnet werden.
Außerdem hat die Besorgnis bestanden, dass diese Daten teilweise doppelt
einfließen würden, weil sie auch in der Auswertung der entsprechenden Print-und
Onlinemedien mitenthalten sind (Gefahr von Dubletten).
Die Verwendung des Indikators der Bruttowarmmiete statt der Nettokalt- oder auch
Bruttokaltmiete ist sachlich begründet. Die Bruttowarmmiete inkludiert die
Heizkosten und somit einen weiteren Hauptbestandteil der Wohnkosten für
Mieterinnen und Mieter. Damit wird die Gesamtbelastung für die Mieterinnen und
Mieter nachvollziehbar dargestellt. Zudem stellt dies eine Fortführung der Methodik
dar, die bereits für die Kündigungssperrfristverordnung Baden-Württemberg vom 9.
Juni 2015 verwendet wurde. Auch hier ist die Bruttowarmmiete für den Indikator der
Warmmietenbelastungsquote verwendet worden.
Für die Gebietskulisse der Kündigungssperrfristverordnung Baden-Württemberg
vom 9. Juni 2015 wurden seinerzeit nur die Indikatoren Wohnungsversorgungsgrad
und Mietbelastungsquote (Warmmietenbelastungsquote) zugrunde gelegt, die
kumulativ erfüllt sein mussten. Die Ergänzung um drei weitere Indikatoren und die
Festlegung, dass von den fünf Indikatoren mindestens vier erfüllt sein müssen,
damit der Tatbestand des angespannten Wohnungsmarkts erfüllt ist, ist
sachgerecht und gut begründet. Insbesondere folgt diese Methodik enger der
beispielhaften Aufzählung geeigneter Kriterien gemäß § 556d Absatz 2 Satz 3 BGB.
Der Vorschlag der Gutachter zur Festlegung der Grenzwerte erfolgt anhand des
Landesdurchschnitts (also nicht Bundesdurchschnitt). Dies ist sachgerecht und
stellt zur Mietbelastungsquote eine Fortführung der Methodik zur
Kündigungssperrfristverordnung vom 9. Juni 2015 dar.
Nach dem Wortlaut der Ziffer 1 des § 556d Absatz 2 Satz 3 BGB zur
Mietenentwicklung ist für die Annahme des Kriteriums ein im Vergleich zum
bundesweiten Durchschnitt deutlich stärkerer Anstieg der Mieten in der Gemeinde
erforderlich. Davon ist jedenfalls bei einer Mietensteigerung von mehr als 10
Prozent über dem Bundesdurchschnitt auszugehen.
Durchschnittlich wurde im Rahmen der Datenanalyse eine Mietpreisentwicklung von
25,4 Prozent in Baden-Württemberg festgestellt. Die durchschnittliche
Mietenentwicklung in den letzten fünf Jahren in Deutschland weist dagegen nur
eine Steigerung von knapp 12 Prozent auf. Mit Blick hierauf wurde nicht auf den
Bundesdurchschnitt plus x Prozent, sondern auf den Landesdurchschnitt abgestellt,
der um 13,4 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegt.
Nach dem Wortlaut der Ziffer 2 des § 556d Absatz 2 Satz 3 BGB ist zudem ein
deutliches Übersteigen der bundesweiten Mietbelastungsquote erforderlich. Davon
ist jedenfalls bei einer Mietbelastungsquote von mehr als fünf Prozent über dem
Bundesdurchschnitt auszugehen.
Für Baden-Württemberg wurde eine Mietbelastungsquote (Bruttowarm) von
durchschnittlich 19,6 Prozent ermittelt. Für Deutschland ergibt sich aus den Daten
des Statistischen Bundesamtes und des durchschnittlichen Haushalteinkommens
der GfK eine durchschnittliche Mietbelastungsquote von 14 Prozent. Mit Blick
hierauf wurde nicht auf den Bundesdurchschnitt plus x Prozent, sondern auf den
Landesdurchschnitt abgestellt, der um 5,6 Prozent über dem Bundesdurchschnitt
liegt.
Der Grenzwert in Höhe des Landesdurchschnitts ist zu beiden Indikatoren wegen
seiner höheren Transparenz und Treffsicherheit für Baden-Württemberg
vorzuziehen.
Zudem wurden schärfere Differenzierungen regionaler Daten, die 2015 noch als
landesweiter Durchschnitt verwendet wurden, vorgenommen, zum Beispiel
hinsichtlich der Nebenkosten im Rahmen der Bruttowarmmiete zur Berechnung der
Mietbelastungsquote, hinsichtlich der durchschnittlichen Wohnungsgröße der
jeweiligen Stadt beziehungsweise Gemeinde und bezüglich des qualifizierten
Schätzverfahrens für kleinere Städte und Gemeinden, in denen kein Mietspiegel
und auch keine statistisch ausreichende Anzahl von Wohnungsangeboten zur
Ermittlung der Vergleichs- und Angebotsmieten zur Verfügung stand.
Zum Indikator 4 Höhe und Entwicklung der Angebotsmieten 2012/2013 bis
2017/2018 wurde in einem ersten Schritt (in Anlehnung an § 556d BGB) zunächst
nur die Entwicklung der Angebotsmieten zwischen 2012/2013 und 2017/2018
ermittelt. Dies würde allerdings dazu führen, dass teilweise Gemeinden mit einer
hohen Ausgangsmiete 2012/2013, die bis 2017/2018 keine erhebliche
Steigerungsrate aufweisen, nicht als angespannter Wohnungsmarkt identifiziert
werden, obwohl die Mieten 2012/2013 und 2017/2018 jeweils weit über dem
Landesdurchschnitt liegen.
Daher wurde seitens der Gutachter als Alternativindikator die absolute Miethöhe
ergänzt, denn auch ein hohes Mietniveau als solches ist ein wichtiger Indikator für
eine Anspannungssituation auf dem Wohnungsmarkt. Dies kann in Einzelfällen
vermeiden, dass in einer Stadt eine Anspannung verneint, in den
Umlandgemeinden dagegen bejaht würde. Die Anwendung des Alternativindikators
kann dazu führen, dass großräumig Städte und umliegende Ballungsräume eine
gleiche Bewertung erfahren.
Entsprechend aus denselben nachvollziehbaren Gründen wurde zum Indikator
Mietpreisdifferenz ein Alternativindikator zur Miethöhe ergänzt.
Das Ergebnis einer Gebietskulisse für die Kündigungssperrfristverordnung von 89
Städten und Gemeinden (im Vergleich zu 44 Städten und Gemeinden im Jahr 2015)
ist plausibel und bildet die Entwicklung der Wohnungsmärkte in Baden-
Württemberg zwischen 2015 und 2019 mit einer tendenziellen stärkeren
Anspannung regionaler Wohnungsmärkte realistisch ab.
C. Einzelbegründung
Zu § 1
Die Bestimmung regelt den räumlichen Geltungsbereich der Kündigungs-
sperrfristverordnung.
Die Gebietskulisse der Kündigungssperrfristverordnung entspricht der
Gebietskulisse der ebenfalls neu zu erlassenden Kappungsgrenzenverordnung.
Der räumliche Geltungsbereich erstreckt sich damit auf die 89 Städte und
Gemeinden, die nach der Untersuchung des F+B-Instituts Gebiete sind, in denen im
Sinn von § 577a Absatz 2 Satz 1 BGB und damit auch im Sinn von § 558 Absatz 3
Satz 2 BGB die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu
angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, mithin ein angespannter
Wohnungsmarkt vorliegt.
Zu § 2
Die Bestimmung regelt die Dauer der Kündigungssperrfrist.
Die Landesregierung wird in § 577a Absatz 2 Satz 1 BGB ermächtigt, die
Kündigungssperrfrist bei Wohnungsumwandlungen in Eigentumswohnungen von
drei auf bis zu zehn Jahre zu verlängern. Zum Schutz von Mieterinnen und Mietern
wird, wie bereits bei der Kündigungssperrfristverordnung vom 9. Juni 2015, eine
Kündigungssperrfrist von fünf Jahren als hinreichend, aber in den betroffenen
Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten auch als notwendig angesehen.
Zu § 3
Die Bestimmung regelt das In- und Außerkrafttreten der Kündigungs-
sperrfristverordnung.
Die Landesregierung wird in § 577a Absatz 2 Satz 2 BGB ermächtigt, die
betroffenen Gebiete für die Dauer von jeweils höchstens zehn Jahren zu
bestimmen. Angesichts der identischen Gebietskulisse der vorliegenden
Kündigungssperrfristverordnung und der Kappungsgrenzenverordnung und der dort
gegebenen gesetzlichen Begrenzung der Geltungsdauer der Rechtsverordnung auf
fünf Jahre wird die Geltungsdauer der Kündigungssperrfristverordnung ebenfalls auf
fünf Jahre begrenzt.
Die Geltungsdauer der Kündigungssperrfristverordnung vom 9. Juni 2015 endet am
30. Juni 2020. Die vorliegende Verordnung tritt deshalb nahtlos am 1. Juli 2020 für
weitere fünf Jahre in Kraft.
Die Sperrfristverlängerung auf fünf Jahre nach § 2 gilt demnach für alle Fälle einer
ersten Veräußerung des Wohnungseigentums nach dem Inkrafttreten und vor
Außerkrafttreten der Kündigungssperrfristverordnung. Auf diese Weise ist
gewährleistet, dass auch Mieterinnen und Mietern einer erst kurz vor Ablauf der auf
fünf Jahre begrenzten Geltungsdauer dieser Verordnung der ungeschmälerte
Schutz der Verlängerung der Kündigungssperrfrist auf fünf Jahre zuteil wird.