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1. Wo möchten Sie im Moment gerne sein? Auf einem Schachturnier in südlicher, sonniger Um- gebung. 2. Was würden Sie tun, wenn es ab morgen absolut kein Schach mehr in Ihrem Leben geben würde? Schach ist für mich zentral und kann nicht durch mehr Lesen oder Reisen ersetzt werden. Vielleicht würde ich mich dem Go zuwenden, was eine ähnli- che geistige Herausforderung verspricht. 3. Was halten Sie a) für die schädlichste und b) für die beste Entwicklung im modernen Schach? a) Schädlich ist eine intransparent handelnde und nur an der Mehrung eigener Einnahmen interessierte FIDE, die irgendwo zwischen Oligarchie und Cama- rilla verfasst zu sein scheint. b) Positiv sehe ich das zunehmende Angebot an offenen Turnieren, auch und vor allem im Senioren- bereich, aber auch die zunehmende Computerisie- rung, die den Vorteil der Profis gegenüber den Ama- teuren verringert. 4. Wer ist Ihrer Meinung nach die a) am meisten über- und die b) am meisten unterbewertete Persön- lichkeit der Schachgeschichte? a) Durch die Elowertung, die die tatsächlichen Leistungen am Brett objektiviert, sehe ich bei heuti- gen Spielern keinen Raum für eine Über- oder Un- terbewertung. b) Von den Größen der Vergangenheit scheint mir Lasker unterschätzt, dessen Können zu sehr auf psy- chologische Raffinesse und reinen Kampfgeist zu- rückgeführt wird. 5. Mit welchen Klischees über Schachspieler sehen Sie sich konfrontiert und wie kommentieren Sie diese? Schachspielern wird gern Weltfremdheit nachge- sagt, mit dem Hang zu absonderlichem Verhalten. Mehr und mehr neige ich dazu, dem nicht mehr zu widersprechen. Je mehr Turniere man spielt, umso mehr wird einem der von der Wirklichkeit abge- trennte Kosmos des Schachs bewusst. 6. Mit welchen Vorurteilen über Ihr Schach oder Ihre Person würden Sie gerne aufräumen? Dass ich Chaos auf dem Brett liebe, ist mir lange zurecht zugeschrieben worden, aber ich habe mich mit zunehmendem Alter diszipliniert. 7. Was möchten Sie in Ihrem Leben unbedingt noch erlernen bzw. bedauern, es nie erlernt zu haben? Ich bedauere, nicht mehr Fremdsprachen erlernt bzw. Grundkenntnisse (französisch, spanisch, serbo- kroatisch) nicht ausgebaut zu haben. 8. Was ist Ihnen peinlich? Mir ist es peinlich, wenn ich andere verletze, vor allem wenn Ironie als Sarkasmus oder gar Zynismus missverstanden wird. 9. Was gefällt Ihnen an sich und was missfällt Ihnen an sich? Ohne selbstgerecht sein zu wollen, gefällt mir meine Grundausstattung an Intelligenz, die allerdings von Einschränkungen beim sozialen Verhalten begleitet wird. 10. Welchen Missstand würden Sie in Ihrem Land beseitigen, wenn es in Ihrer Macht stünde? Matthias Kierzek Obwohl seit Jahren im Vormarsch begriffen, wird das Seniorenschach von der Schachpresse immer noch stiefmütterlich behandelt. Matthias Kierzek, 1950 in Fulda geboren, bildet zusammen mit seiner Frau Mira Deutschlands aktivstes Pärchen auf diesem Gebiet. Bei der WM im No- vember in Acqui Terme wurde er (65+) 16., sie (50+) belegte Rang 10. Der Hesse studierte Wirtschaftswissenschaften, promovierte mit 25 Jahren zum Dr. rerum politicarum und startete 1975, väterlich vorbela- stet, eine Verlegerkarriere mit der Fuldaer Verlagsanstalt. Alle schachli- chen Aktivitäten, die ihn 1977 zu einem Sieg beim Dortmunder Open und der Teilnahme am GM-Turnier der »Schachtage« im Folgejahr trugen, wurden für Jahrzehnte auf Eis gelegt – Mannschaftskämpfe ausgenom- men. Ende der 1980er verlegte er das unter Daniel Cohn-Bendit bekannt gewordene Frankfurter Sponti-Blatt Pflasterstrand, Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn aber war die Mitbegründung des Eichborn Verla- ges 1980, dem er bis 2007 in verschiedenen Funktionen verbunden blieb. Seitdem ist Kierzek Pensionär – und spielt Schach! Seite 64: Schach-Fragen 64 Schach 1/18

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1. Wo möchten Sie im Moment gerne sein?

Auf einem Schachturnier in südlicher, sonniger Um-gebung.

2. Was würden Sie tun, wenn es ab morgen absolutkein Schach mehr in Ihrem Leben geben würde?

Schach ist für mich zentral und kann nicht durchmehr Lesen oder Reisen ersetzt werden. Vielleichtwürde ich mich dem Go zuwenden, was eine ähnli-che geistige Herausforderung verspricht.

3. Was halten Sie a) für die schädlichste und b) fürdie beste Entwicklung im modernen Schach?

a) Schädlich ist eine intransparent handelnde undnur an der Mehrung eigener Einnahmen interessierteFIDE, die irgendwo zwischen Oligarchie und Cama-rilla verfasst zu sein scheint.

b) Positiv sehe ich das zunehmende Angebot anoffenen Turnieren, auch und vor allem im Senioren-bereich, aber auch die zunehmende Computerisie-rung, die den Vorteil der Profis gegenüber den Ama-teuren verringert.

4. Wer ist Ihrer Meinung nach die a) am meistenüber- und die b) am meisten unterbewertete Persön-lichkeit der Schachgeschichte?

a) Durch die Elowertung, die die tatsächlichenLeistungen am Brett objektiviert, sehe ich bei heuti-gen Spielern keinen Raum für eine Über- oder Un-terbewertung.

b) Von den Größen der Vergangenheit scheint mirLasker unterschätzt, dessen Können zu sehr auf psy-chologische Raffinesse und reinen Kampfgeist zu-rückgeführt wird.

5. Mit welchen Klischees über Schachspieler sehenSie sich konfrontiert und wie kommentieren Sie diese?

Schachspielern wird gern Weltfremdheit nachge-sagt, mit dem Hang zu absonderlichem Verhalten.Mehr und mehr neige ich dazu, dem nicht mehr zuwidersprechen. Je mehr Turniere man spielt, umsomehr wird einem der von der Wirklichkeit abge-trennte Kosmos des Schachs bewusst.

6. Mit welchen Vorurteilen über Ihr Schach oderIhre Person würden Sie gerne aufräumen?

Dass ich Chaos auf dem Brett liebe, ist mir langezurecht zugeschrieben worden, aber ich habe michmit zunehmendem Alter diszipliniert.

7. Was möchten Sie in Ihrem Leben unbedingt nocherlernen bzw. bedauern, es nie erlernt zu haben?

Ich bedauere, nicht mehr Fremdsprachen erlerntbzw. Grundkenntnisse (französisch, spanisch, serbo-kroatisch) nicht ausgebaut zu haben.

8. Was ist Ihnen peinlich?

Mir ist es peinlich, wenn ich andere verletze, vorallem wenn Ironie als Sarkasmus oder gar Zynismusmissverstanden wird.

9. Was gefällt Ihnen an sich und was missfällt Ihnenan sich?

Ohne selbstgerecht sein zu wollen, gefällt mir meineGrundausstattung an Intelligenz, die allerdings vonEinschränkungen beim sozialen Verhalten begleitetwird.

10. Welchen Missstand würden Sie in Ihrem Landbeseitigen, wenn es in Ihrer Macht stünde?

Matthias KierzekObwohl seit Jahren im Vormarsch begriffen, wird das Seniorenschachvon der Schachpresse immer noch stiefmütterlich behandelt. MatthiasKierzek, 1950 in Fulda geboren, bildet zusammen mit seiner Frau MiraDeutschlands aktivstes Pärchen auf diesem Gebiet. Bei der WM im No-vember in Acqui Terme wurde er (65+) 16., sie (50+) belegte Rang 10.

Der Hesse studierte Wirtschaftswissenschaften, promovierte mit 25Jahren zum Dr. rerum politicarum und startete 1975, väterlich vorbela-stet, eine Verlegerkarriere mit der Fuldaer Verlagsanstalt. Alle schachli-chen Aktivitäten, die ihn 1977 zu einem Sieg beim Dortmunder Open undder Teilnahme am GM-Turnier der »Schachtage« im Folgejahr trugen,wurden für Jahrzehnte auf Eis gelegt – Mannschaftskämpfe ausgenom-men. Ende der 1980er verlegte er das unter Daniel Cohn-Bendit bekanntgewordene Frankfurter Sponti-Blatt Pflasterstrand, Höhepunkt seinerberuflichen Laufbahn aber war die Mitbegründung des Eichborn Verla-ges 1980, dem er bis 2007 in verschiedenen Funktionen verbunden blieb.

Seitdem ist Kierzek Pensionär – und spielt Schach!

Seite 64: Schach-Fragen

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Page 2: Ventura - SEITE64 - chess-international.de · 1. Wo möchten Sie im Moment gerne sein? Auf einem Schachturnier in südlicher, sonniger Um - gebung. 2. Was würden Sie tun, wenn es

Den Mangel an Bildung durch alleBevölkerungsschichten.

11. Wer sind Ihre Helden in derGegenwart?

Helden sind für mich niemalsstrahlend, auch wenn ihnen diesesAttribut oft zugeschrieben wird.Notwendig ist eine irgendwie ge-brochene Biographie. Deshalbfällt mir vor allem ein Name ein:Nelson Mandela.

12. Welche drei Bücher könnenSie empfehlen?

An Schachbüchern alles vonDworezki und Aagard, weil diesebeiden Autoren selbst dem fortge-schrittenen Spieler wertvolleHandreichungen zur Weiterent-wicklung bieten.

In der Belletristik Marquez,Hundert Jahre Einsamkeit, wasuns Lateinamerika als viel reiche-ren Kosmos verglichen mit demdrögen Mitteleuropa erschließt.

Im Sachbuch-Bereich Kahne-man, Schnelles Denken, langsa-mes Denken, was uns die eigenengeistigen Prozesse verstehen hilft.

13. Welches ist die interessantesteSchachpartie, die Sie je gespielthaben?

Die aus 2013 gegen den jüngst ge-kürten deutschen SeniorenmeisterJefim Rotstein.

14. Welche Spieler würden Sie zueinem Turnier einladen und nachwelchem Modus würde dieses aus-gerichtet werden, wenn ein Spon-sor Sie mit der Ausrichtung einesTurniers beauftragen würde?

Da die Weltspitze ohnehin häufig aufeinandertrifft,fände ich es als engagierter Seniorenspieler span-nend, die weltweit besten (sprich: wertungshöch-sten) zehn Spieler der Kategorie 65+ einzuladen undjeder gegen jeden doppelrundig antreten zu lassen.Eine bessere Werbung für das Seniorenschach alszum Beispiel die Mitwirkung von Anatoli Karpowkann ich mir nicht vorstellen.

15. Auf welche eigene Leistung sind Sie besondersstolz und warum?

Geschäftlich, den Eichborn Ver-lag mitgegründet und über 27 Jah-re geführt zu haben. Privat, mir dieGeneigtheit meiner Frau jetztschon mehr als 40 Ehejahre erhal-ten zu haben.

16. Aktuelle Frage: Was reizt Siean Seniorenturnieren und wie se-hen Sie die Fragen der Altersein-teilung, des Früh- bzw. Nachmit-tagspielens und der Computeraffi-nität?

Der Reiz des Seniorenschachsliegt für mich in der Vertrautheitmit den auch international häufigimmer gleichen Personen, die oftzu Freunden geworden sind, undin der Tatsache, dass mehr »rei-nes« Schach in dem Sinne gespieltwird, dass der Erfolg nicht vonausgefuchster Eröffnungsvorbe-reitung abhängt.

Ich habe es lange für einen Feh-ler gehalten, die bewährte 60er-Klassifizierung zugunsten von50+ und 65+ aufzugeben, ja, ichkonnte die Notwendigkeit dieserÄnderung nicht einmal nachvoll-ziehen. Inzwischen ist die neueRegelung etabliert, ein neuerFIDE-Beschluss illusorisch, undlangsam beteiligen sich auch stär-kere Spieler an den 50+-Turnie-ren. Gleichwohl ist die 65+-Grup-pe – wir verstehen uns als die »ei-gentlichen« Senioren –, zahlen-mäßig deutlich stärker. Offenbarwerden die Senioren immer älter(in Deutschland habe ich schonTurniere mit mehr 75+-Teilneh-

mern erlebt als 60+), so dass schon eine Debatte übereine zusätzliche Kategorie anhebt (zum Beispiel50+, 60+, 70+ oder 50+, 65+, 75+).

Da für mich Schachturniere auch immer durchihren Freizeitwert leben und meine Frau und ich sehrgerne (berg-)wandern, ziehen wir den Partiebeginnam Morgen vor. Normale Open sind auch reizvoll,bieten aber ob ihrer Doppelrunden diese Möglichkeithäufig nur eingeschränkt.

Auch unter Senioren ist die Computeraffinitäthoch. Stundenlange Vorbereitung ist die Regel –aber sie bleibt oft genug fruchtlos (siehe oben).

Réti-System (A 09)

J. Rotstein 2313M. Kierzek 2195

Bad Neuenahr (Sen-Op) 2013

1. Ìf3 d5 2. c4 d4 3. b4 f6 4.e4 e5 5. a3 Íe6 6. d3 a5 7. b5Ìd7 8. Íe2 Ìc5 9. a4 Íd610. 0-0 Ìe7 11. Ìbd2 g5 12.Ìe1 Ëd7 13. h3 Ìg6 14.Íg4 Í:g4 15. h:g4 Ìf4 16.Ìb1

r+-+k+-t+pzq+-+p-+-v-z-+zPs-z-z-P+PzPsP++-+P+-+--+-+-ZP+TNVQSRM-

16... h5 17. Í:f4 e:f4 18. f3h:g4 19. f:g4 Îh4 20. Ìf3Î:g4 21. Îa2 0-0-0 22. Ì:d4Íe5 23. Ìf5 Íd4+ 24. Îaf2

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24... Îg3 25. Ëe1 Ì:d3 26.Ë:a5 Êb8 27. Ì:d4 Ë:d428. Ìd2 b6 29. Ìb3 Ë:f2+

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