untersuchungen über die zellenfunction mit hilfe der vitalen fÄrbung

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XXVI. Aus der II. medicinischen Klinlk der Charit4 zu Berlin. Untersuchungen tiber die Zellenfunction mit Hllfe der vitalen Fflrbung. II. Mittheilung. Von N. lVlasuda (Tokio). ('ttierzu 'l'afel XXIX.) In einer friiher ersehienenen Arbeit~) haben wir die speeifisehen Gewebszellenseh/~digungen dureh verschiedene medieamentSse Einwirkungen mittels der vitalen F'arbung naehgewiesen und gefunden, dass die ver- schieclenen Farbstoffe (Lithionearmin, Pylorsblau u.a.) in physiologisehen Gewebszellen kSrnig, aber unter verschiedenen medieamentSsen gewebs- schiidigenden Einfliissen in den speciell erkrankten Gewebszellen diffus auftreten (s. Arbeit). Hinsiehtlieh dieser funetionellen Veriinderungen der Zellen batten wir angenommen, dass, wenn die Zellen ihre Lebenskraft verlieren, wahrscheinlich die Reaction tier Zellen sich ii.ndert, wodurch die k6rnige Ausscheidung der Farbstoffe im Zellleib nicht mOglich wird. Dass todtes Gewebe seine Reaction schnell /i, ndert, ist ja auch eine bekannte Thatsache. Bezfiglich tier Reactions/i.nderung hat uns insbesondere interesstrt, die Schleimhautzellen der Verdauungsorgane zu untersuchen, ferner auch die der Gehirnrinde unter dem Einflusse der starken Narkose zu studiren, wail die Ver/inderungen der Reaction dort besonders auffallend sind. Bevor wir unsere Experimente beschreiben, m@hten wir den Eigen- schaften des angewandten Farbstoffrnittels, des Alizarins, ein paar Worte widmen. Dies ist als Reactionsmittel ausserordentlich empfindlich. Nach Angabe yon Schaal kann freies Alizarin noch 1/3oooo Alkali (rot) und die neutrale L/Ssung noch 0,0007 HCI (gelb) nachweisen. Der bei An- si~uerung des Alizarins fallende Kiirper ist gallertig. Was die fi~r unsere Experimente benutzte Alizarinl~sung betrifft, so wird das Pulver des Flavopurpurins in normaler Natronlauge und in warmem Wasser geliSst (10,0 Flavopurpurin --1- 2 NaOII -+- 100,0 Aq.). DiG sehwach alkalische Flfissigkeit wird abfiltrirt, vor Gebraueh auf tr temperatur erw/irmt, und in eine mit einem Gummischlauch und mit einer CaniiIe verbundene B/irette hineingegossen. Die frei pr@arirte Vena jugularis des Thieres ist oralw/irts test ab- gebunden und distalw~rts festgeklemmt; in das so abgegrenzte St~iek 1) Dieso Zeitschr. 1911. Bd. 9.

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Page 1: Untersuchungen über die zellenfunction mit hilfe der vitalen fÄrbung

XXVI.

Aus der II. m e d i c i n i s c h e n K l i n l k der Char i t4 z u B e r l i n .

Untersuchungen tiber die Zellenfunction mit Hllfe der vitalen Fflrbung.

II. Mi t the i lung .

Von

N. lVlasuda (Tokio). ('ttierzu 'l'afel XXIX.)

In einer friiher ersehienenen Arbeit~) haben wir die speeifisehen Gewebszellenseh/~digungen dureh verschiedene medieamentSse Einwirkungen mittels der vitalen F'arbung naehgewiesen und gefunden, dass die ver- schieclenen Farbstoffe (Lithionearmin, Pylorsblau u.a.) in physiologisehen Gewebszellen kSrn ig , aber unter verschiedenen medieamentSsen gewebs- schiidigenden Einfliissen in den speciell erkrankten Gewebszellen d i f fus auftreten (s. Arbeit). Hinsiehtlieh dieser funetionellen Veriinderungen der Zellen batten wir angenommen, dass, wenn die Zellen ihre Lebenskraft verlieren, wahrscheinlich die R e a c t i o n tier Zellen sich ii.ndert, wodurch die k6rnige Ausscheidung der Farbstoffe im Zellleib nicht mOglich wird. Dass todtes Gewebe seine Reaction schnell /i, ndert, ist ja auch eine bekannte Thatsache. Bezfiglich tier Reactions/i.nderung hat uns insbesondere interesstrt, die Schleimhautzellen der Verdauungsorgane zu untersuchen, ferner auch die der Gehirnrinde unter dem Einflusse der starken Narkose zu studiren, wail die Ver/inderungen der Reaction dort besonders auffallend sind.

Bevor wir unsere Experimente beschreiben, m@hten wir den Eigen- schaften des angewandten Farbstoffrnittels, des Alizarins, ein paar Worte widmen. Dies ist als Reactionsmittel ausserordentlich empfindlich. Nach Angabe yon Schaa l kann freies Alizarin noch 1/3oooo Alkali (rot) und die neutrale L/Ssung noch 0,0007 HCI (gelb) nachweisen. Der bei An- si~uerung des Alizarins fallende Kiirper ist gallertig.

Was die fi~r unsere Experimente benutzte Alizarinl~sung betrifft, so wird das Pulver des F l a v o p u r p u r i n s in normaler Natronlauge und in warmem Wasser geliSst (10,0 Flavopurpurin --1- 2 NaOII -+- 100,0 Aq.). DiG sehwach alkalische Flfissigkeit wird abfiltrirt, vor Gebraueh auf tr temperatur erw/irmt, und in eine mit einem Gummischlauch und mit einer CaniiIe verbundene B/irette hineingegossen.

Die frei pr@arirte Vena jugularis des Thieres ist oralw/irts test ab- gebunden und distalw~rts festgeklemmt; in das so abgegrenzte St~iek

1) Dieso Zeitschr. 1911. Bd. 9.

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wird die Caniile eingcbracht und fixirt; dann crst wird die Klemme fort- genommen und die Pliissigkeit lg.uft langsam in den ThierkSrper in kleincr Pause durch die Klemme des Gummi~chl~uchs unter geringem Druck (etwa 70 cm Wasserdruek) bis zum Tode des Tiercs. Die Menge betrggt gewiShnlieh 40 bis 60 eem (20--100 ecru). Als Versuehsthier benutzte ieh meist Kaninehen, die innerhalb des Versuehes 5 Minuten unter lebhaften tonischen und klonisehen Kr'ampfen und fibrilliiren Zuekungen starben. Dann wird das Tier schnell untersueht, well die saute Reaction beim Absterben raseh versehwindet.

Als Controle miichte ich zun'~chst die physiologischen Befunde nach einfaeher Infusion schildcrn:

Magen. Die Serosa zeigt sieh etwas br/iunlieh, die Musculatur grau-gelblieh, und die Sehleimhaut zeigt nach Abspiilen des lnhaltes gelbliehes, getleektes Aussehen. Die stark gelbliehe Flccke zeigenden Driisengruppen lassen sieh dutch briiunliehe Faserziige yon einander ziem- lich seharf abtrennen oder pr~isentiren sieh diffus confluirend, besonders an der Curvature major. Die Pylorussehleimhaut erseheint gleiehm/issig gelb, br/iunlieh und faltenlos, obgleieh sic in der N/i.he des Fundustheiles die gelbliehen H6ekerehen nur zerstreut in sieh birgt. Die saute Reaction der Sehleimhiiute findet sieh bis in verschiedener Tiefe; diese gelben Flecke werden mit Alkalien wieder riithlieh. Die G e h i r n r i n d e und des Riickenmark zeigen sieh gelblich, wogegen die Pia mater gelblieh- briiunlieh und die Dura mater br/iuniieh ist. Die N e b e n n i e r e ist ebenso stark gelblieh, das Ovarium aueh gelblich mit hellen und briiunliehen Pleeken. A n d e r e Organe sind fast gleieh alkalisch reagirend (Sehleim- Mute, Muskel, Knoehen, innere Organe u.a.) . Der Diinndarm wird eaudalwiirts immer starker r~Sthlieh und der Diekdarm zeigt sich briiunlieh violett.

Die Befunde waren bei allen Controlen nahezu immer dic gleiehen~ obgleieh nur der niiehterne Magen alkalisch reagirte.

Die Fixirung der Priiparate ist ausser mittelst Kupfernitratl6sung nieht gelungen: (neutrales Formol, Alkohol, Kalkwasser, Alaun u. a.) und stimmtliehe Pr/iparate mit Gefriersehnitten untersucht.

Wit gehen jetzt zur Besehreibung der Versuehe an mit Medicamenten vorbehandelten Thieren iiber.

Versuch I. Karlsbader Salz-, Natriumbiearbonat- und Natriumchloridfiitterung. Des kiiuflieho natiirliche Karlsbader Salz-Pulver wurde zu 5 pCt. in Wassor geliist und tiiglioh 2 real drei Tago lang aufsteigend (1--3 g pro g.ilo) mit oiner Sonde verf~ttert. Dann naeh einem Tage, an welchem alas Thier normal gefiittcrt und der Versuch angestelit wurdo, zeigte sich die Magensehleimhaut bis zum Muskel sehr stark diffus br~unlich, besondors im Fundustheil stiirker. Katarrhalische Erschoinungen an der Magensehleimhaut fehlen. In fast allen P~illen fend ich die gleichen Befunde. Natriumbicarbonat (1,0--7,0 g pro Kilo) in Warmwasser geliist, per os in versehiedenen Doson verabreieht. Die letzten Gaben einige Stunden (his 6 Stundon) vor der Section *nit einor Schlundsonde verabreieht. Die Magenwand, besonders die Schleimhaut, ist immer tief-br~iunlieh bis grau-violett, zeigt abor manohmal am Fundus ein kleines rundes gelbliehes Peld. Der lange Blinddarmfortsatz war oft gelblieh.

NaCI ist fiir das Kaninehen sehr schS.dlieh,-- so dass es manchmal schnell starb. Pro Kilo 0,5--2,0 g (5 prec. Liisung) oder 2,0--6,0 g wurden t[iglich zweimal mit der

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Schlundsonde verffittert. Das Thier wurde naeh einem halben oder ganzen Tag ge- tSdtet (Infusion). Die Magenschleimhaut zeigte stark briiunlieho Flocken und diffus briiunlicho Farbe ohne katarrhalische Erseheinungen. Der Pylorustheil war eher blass. Die Befunde waren immor die gleichen.

Versuch II. Chloralhydrat und Aethernarkose. 50 prec. ChloralhydratlSsung tSglich 2--3real 3 Tago lang (2~0--5,0 ccm) suboutan eingespritzt, dann am nachsten Tage mit kloiner Pause 3--8 real (10,0 ccm) his zum schweren Coma. Als das Thief die gestrecktcn ExtremitSten schlaff herunterhS.ngcn liess und die Cornea[refiexe fast verschwandcn, geschah die Infusion, die ohno Kr~i.mpfo his zum Tode des Thiercs erfolgtc.

Das Gehirn zeigte sich an der Rindo braunlich, die mit stark verdiinnter Siiure gelblich wird. Pia mater ist ebenso br~unlich. Die Lunge ist etwas holier, sonst die Organe wie gewShnlich.

Bei tiefer Narkose (Aether), his der Corncalreflox fast verschwunden ist, zeigt das Gehirn den gleichen Befund.

Versuch III. Durchschneidung des Riiekenmarks. 24 Stunden vor der Infusion wurde die eine H~lfto des dorsalen Marks total durchgeschnitten. Bei dcr Section ist das Rfickenmark im geschnittenen Segment stark angeschwollen, und die graue Substanz der betreffenden Partie mehr br~iunlieh als in anderen Partien. Die Befunde sind boi allen Experimenten ~.hnlich.

Dass das Gewebe der zwischen blauem Lackmuspapier zerquetsehten Magensehleimhaut alkalisch reagirt, hat schon Br f ieke 1) bei einem eben getSdteten Kaninehen nachgewiesen. Sp'ater haben K iem en s i ew icz - " ) und l f e i d e n h a i n 3) bewiesen, dass die Sehleimhaut der Pylorusgegend ein alkalisches Secret, und die Driisen der fibrigen Schlejmhaut ein sautes Secret (freie Salzs/i.ure) liefern, l)icse Befunde wurden auch mit Iiiilfe dcr Farbcnver';inderungen, vital oder postmortal, best~ttigt. C l a u d e B e r n a r d hat die saure Reaction dutch die Berlinerblaubildung auf der Oberfl~iche der lebenden Magenschleimhaut nachgewiesen (Blutlaugensalz und Infusion yon milehsaurem Eisen in Venen). L i e b e r k i i h n 4) untcrsuehte im Jahre 1874 mit Alizarin die Reaction der thierischen Gewebe, aueh der Magenschleimhaut. Dann begann E. E d i n g e r 5) mit Alizarinnatrium die Reaction der Magenschleimhaut der normalen Thiere mittelst Infusion zu priifen.

Bei unseren Untersuehungen ist die saure Reaction des Magens, des Centralnervensytems und der Nebenniere und des Ovariums im physio- logisehen Zustande in erster Linic in Beriieksichtigung gezogen. Diese sauer reagierenden Organe (Magen, Gehirn und Riickenmark) itndern dureh einen Angriff ihre Reaction. Die gesunde nichtkatarrhalische

1) Sitzungsber. d. Wiener Akademie. 1859. Bd. 37. S. 131. 2) Ebenda. Math.-Nat. Klasse. 1875. Bd. 71. 3) Pflfiger'sAreh. 1878. Bd.18. S. 169; 1879. Bd.19. S. 148; 1875. hbth. 3.

S. 249. 4) Sitzungsber. d. Ges. z. Bef6rder. d. ges. Naturwissensch. zu Marburg. 1874.

Bd. I04. S. 3374. 5) Ueber die Reaction der lebendcn Magenschleimhaut. Pfliiger's Arch. f. d.

ges. Physiol. 1881. Bd. 29.

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Magcnschlcimhaut reagirt gleichwohl bei Anwendung verschiedener an- organischer SalzlSsungen alkalisch (~Natriumbicarbonat, Karlsbader Salz, Natriumchlorid).

Es ist wohl anzunehmen, class die SalzlSsung unter Ausschaltung tier HCI-Secretion direct in der Magenwand die Reaction der Schleimhaut- gewebe iindert: dadurch, dass die SalzlSsung direct in Schleimhautzellen resorbirt wird und l~ingere Zeit die Einfliisse der Secretion beherrscht. I)ass die Narcotica und mechanische Sch/idigung die Reaction der Rinden- substanz /indern, ist auf leichte oder schwere Schiidigung des Central- nervengewebes zuriickzufiihren.