untersuchungen über den formalen zusammenhang zwischen einer struktur und deren entwicklung am...

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Roux' Archly fiir En~wicklungsmechanik 152, 585--592 (1960) Aus dem Botanischen Institut K(iln, Abteflung fiir Mikrobiologie UNTERSUCHUNGEN UBER DEN FORMALEN ZUSAMMENHANG ZWISCHEN EINER STRUKTUR UND DEREN ENTWICKLUNG AM GEF~SSNETZ DER ttUHNEI~KEIMSCHEIBE* Von HANS BREMEI~ Mit 5 Textabbildungen (8 Einzelbilder) (Eingegangen am 16. April 1960) In der Ontogenese sind 2 differenzierende Vorgange begrifflich zu unterscheiden: die beding~ reversible und daher determinierte ,chemi- sche" Differenzierung und das jederzeit reversible funktionelle und morphologische Verschiedenwerden der Zellen, das normalen physiologi- schen Vorgiingen wie den Gestalt- und Verhaltens/inderungen yon Einzel- ]ern, z. B. AmSben, entspricht. Die Besonderheit dieser physiologdsehen Vorg/~nge in der Entwicklung gegeniiber/~hnlichen Vorgangen bei organi- sehen Funktionen oder in Zellkulturen liegt in der Kooperation r/iumlich zusammengehSriger Zellen, die zur Entstehung spezifischer Strukturen lfihrt. Ein Blutkapillarnetz wird yon gleichar~igen Zellen, den Endothel- zellen, gebfldet, und es gibt keine Anzeichen ffir die Betefligung chemi- seher Differenzierung an den Gliederungsvorg/ingen im Gefal3netz; des- halb ist das Gef/il3netz zur Untersuchung strukturbfldender physiologi- seher Prozesse geeignet. Ein Entwicklungsgesehehen dieser Art, eine Strukturbildung aus gleichartigen Zellen, ist auf 2 Ebenen zu untersuchen, zellphysiologisch -- spontane Aktivit/~t und Reaktionen der Zellen auf AuBenbedingungen -- und formal-analytiseh -- die formalen Prinzipien der Ge.websstrukturierung betreffend. Die ffir die Kapillarnetzentwicklung wiehtigsten zellphysiologischen Phanomene der Endothelzellen sind 1. die Aufrechterhaltung der Polarit/~t Aul3enseite/Innenseite; 2. eine geringe Wahrseheinlichkeit ffir die Entstehung plasmatischer Zellforts/~tze, der Sprosse, an der Aul3enseite, und die anschliel3ende Verlagerung der betreffenden Endothelzelle in den SproB, ein Vorgang, der als teilweise Auswanderung einer oder im Gefolge mehrerer Zellen aus dem Epithelverband zu beschreiben ist und der zur Entstehung yon Seitengefi~Ben fiihrt; 3. das Verm6gen zum vollst/indigen Wiedereinziehen yon Sprossen; * Die Untersuchungen wurden mi~ Unterstiitzung der Deutschen Forschungs- gemeinschaft durchgefiihrt. Wilhelm Ir Arch. EntwicM.-Mech. Org., Bd. 152 39~

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Page 1: Untersuchungen über den formalen Zusammenhang zwischen einer Struktur und deren Entwicklung am Gefässnetz der Hühnerkeimscheibe

Roux' Archly fiir En~wicklungsmechanik 152, 585--592 (1960)

Aus dem Botanischen Institut K(iln, Abteflung fiir Mikrobiologie

UNTERSUCHUNGEN UBER DEN FORMALEN ZUSAMMENHANG ZWISCHEN E I N E R STRUKTUR UND DEREN ENTWICKLUNG

AM GEF~SSNETZ DER t tUHNEI~KEIMSCHEIBE*

Von HANS BREMEI~

Mit 5 Textabbildungen (8 Einzelbilder)

(Eingegangen am 16. April 1960)

In der Ontogenese sind 2 differenzierende Vorgange begrifflich zu unterscheiden: die beding~ reversible und daher determinierte ,chemi- sche" Differenzierung und das jederzeit reversible funktionelle und morphologische Verschiedenwerden der Zellen, das normalen physiologi- schen Vorgiingen wie den Gestalt- und Verhaltens/inderungen yon Einzel- ]ern, z. B. AmSben, entspricht. Die Besonderheit dieser physiologdsehen Vorg/~nge in der Entwicklung gegeniiber/~hnlichen Vorgangen bei organi- sehen Funktionen oder in Zellkulturen liegt in der Kooperation r/iumlich zusammengehSriger Zellen, die zur Entstehung spezifischer Strukturen lfihrt. Ein Blutkapillarnetz wird yon gleichar~igen Zellen, den Endothel- zellen, gebfldet, und es gibt keine Anzeichen ffir die Betefligung chemi- seher Differenzierung an den Gliederungsvorg/ingen im Gefal3netz; des- halb ist das Gef/il3netz zur Untersuchung strukturbfldender physiologi- seher Prozesse geeignet. Ein Entwicklungsgesehehen dieser Art, eine Strukturbildung aus gleichartigen Zellen, ist auf 2 Ebenen zu untersuchen, zellphysiologisch - - spontane Aktivit/~t und Reaktionen der Zellen auf AuBenbedingungen - - und formal-analytiseh - - die formalen Prinzipien der Ge.websstrukturierung betreffend.

Die ffir die Kapillarnetzentwicklung wiehtigsten zellphysiologischen Phanomene der Endothelzellen sind

1. die Aufrechterhaltung der Polarit/~t Aul3enseite/Innenseite;

2. eine geringe Wahrseheinlichkeit ffir die Entstehung plasmatischer Zellforts/~tze, de r Sprosse, an der Aul3enseite, und die anschliel3ende Verlagerung der betreffenden Endothelzelle in den SproB, ein Vorgang, der als teilweise Auswanderung einer oder im Gefolge mehrerer Zellen aus dem Epithelverband zu beschreiben ist und der zur Entstehung yon Seitengefi~Ben fiihrt;

3. das Verm6gen zum vollst/indigen Wiedereinziehen yon Sprossen;

* Die Untersuchungen wurden mi~ Unterstiitzung der Deutschen Forschungs- gemeinschaft durchgefiihrt.

Wilhelm Ir Arch. EntwicM.-Mech. Org., Bd. 152 39~

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586 ttA~s B~M~R.

4. die Haftung der Zellen aneinander und das Verwachsen tier Sprol3spitze mit der Oberfl/~ehe ausschlieBlich gleichartiger Zellen, das

die Ne~zbildung erm6g- licht und die Trennung yon anderen Geweben garan~iert;

5. dasVermSgen zum geriehteten Transport yon der Augenseite in den Innenraum, das die Lumenbildung und -ver- gr58erung und damit aueh die passive Ober- fl~ehenvergrSBerung der Kapillaren bedingt;

6. die elastisehe Spannnung in der En- dothelebene, die deren

Fl~ehenkriimmung (Minimalfl~ehen bei ge- gebenem Volumen) be- stimmt and die Ober- fl/~ehenvergrSBerung so- wie die SproB- und Riiekbildung der Ge- fi~Be beeinfluBt.

Daneben spielen Stoffweehsel, Zelltei- lung, Plasmakontraktili- t/~ u.a. eine golle, Eigensehaften, die mehr oder weniger bei allen Zellen zu finden sind. Aueh die seehs genann- ten Eigensehaften sind nieht auf die Endothel- zellen beschr/~nkt, je-

Abb, 1. Linke H~lfte der Gef~lBzone einer Keimscheibe m i t 14 U r s e g m e n t e n kurz vor Beginn der Zirkulat ion. doeh kommen sie bei KapillargefglBe schwarz, gef~l~freie IRgunae weiB. A m a n d e r e n Zellen in ande- Gef~gzonenrand werden s t~ndig neue Masohen angefi igt

rer Ausprggung oder in anderer Kombination vor. Die Untersuchung dieser Phgnomene ist heur erst in den Anfgngen m5glich, da sie letztlich auI molekuiare Eigentiim]iehkeiten der Zellorganisation zur/ickgehen.

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Struktur und En~wicklung am Gefi~13negz der H/ihnerkeimscheibe 587

Fiirdas Verst/~ndnis des Zusammenhanges zwischen der zu beobach- tenden Kapillarne~z-Struktur und den physiologischen Eigenschaften der Endothe]zellen ist das Prinzip wich~ig, das der Strukturbildung zugrunde liegt. Im folgenden wird versucht, den formelma~igen Zusammenhang zu linden, dutch den Entwicklung und S~ruktur eines Kapillarnetzes miteinander verknfipf~ sind.

Ausgangspunkt der Untersuchung bildet ein charakteristisches Merk- real des Kapillarnetzes, die GrSSenverteflung (Hgufigkeitsverteilung)

o,r

o)

o,/

Y

/o~ #eseTente &, 2zlTMasgTgn = /O0%

o,1

10 15 20 ~ " 0 ~c

1r Lleseqrnentg ,Za'J M&eclTen: /O0%

J" ~ 72 20 ,Z"

I 2s

Abb. 2. t tguf igkei t (y) cler gefgl~freien l~gmne in Abh~ngigkeil~ yon deren Flgche (x)

der gefgl3freien Rgume. Bei Betrachtung lgl3t das Kapillarnetz (Abb. 1) keine besondere Gesetzmgl~igkei~ erkennen, abgesehen yon gewissen regionalen Unterschieden, die hier nicht beriicksichtig~ werden sollen. Mil~t man jedoch in der zweidimensionalen Projektion des GefgBnetzes (Abb. 1) die Flgchen (x) der gefgl3freien R~ume und trggt ihre H~ufigkeit (y) pro KlassengrSBe (= 1 Einheit yon x) in einem Diagramm auf, so erhgl~ man eine Ver~eilung mit einer bei gro~em Untersuchungsmaterial auffglligen RegelmgI3igkeit, d. h. die Verbindung der tIgufigkeiten iiber den KlassenInittelwerten fiihrt zu einem gleichm~igen Knrvenzug (Abb. 2), der, wie sich zeigte, einer komplizierten Funk~ion en~spricht nnd daher in friiheren Untersuchungen nur quali~a~iv zu deuten war.

Die Analyse dieser Funktion beruh~ auf folgender Uberlegung. Bei Aufgliederung des Gefg~netzes in eine zunehmende Anzaht immer enger werdender GefgBmaschen werden Flgchen, die gefgl3freien l~gume, un~er-

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588 HAxs B ~ n :

veilt. Nach der einfachsten Annahme erfolgt die Unterteilung zufgllig in Bezug auf die GrSl~e der Ausgangs- und der Teilfl~chen, d.h., jede

57 I y o

0

k

1

T

M

Abb. 3. Die Ver te i lungen

Y g = a (n~-- 1)1

fiir n = 1, 2, 3, 4. Diese Verteilmaffen ergeben sich bei

n-mal iger zufal lsmg2iger Tei lung wrsprfinglich gleicher GrSl~en a

Gr5f30 wird mit gleicher W~hrschein- lichkei~ geteilt, und die bei jeder Tei- lung entstehenden 2 Teflflgchen haben jedes m6gliche GrSBenverhgltnis (Tell-/ Ausgangsflgche) mit gleicher Wahr- scheinlichkeit. Die mathema#ische Be- handlung ergib~ ffir eine Menge gleicher GrSl3en (a), deren jede in n Teilungs- generationen zufallsmgl3ig im ganzen in 2 n Teile geteilt wurde, eine Hgufig- keitsver~eilung

Yn -- a(n--l)! In

Die Kurven, die man ftir verschiedene n (> 1) erhalt (Abb. 3), haben auf den ersten Blick tt~hnlichkeit mi~ den ge- fundenen Vertdlungen: die Asymme-

trie, grSSte Hgufigkei~ der kleinen, geringe H/~ufigkeit der groi3en TeilgrSf~en x und die asymptotische Ann~herung an die Achsen. Den genauen Vergleich der beobachteten Verteilungen mit der theoretischen

g Y

:,,s~ 4s :,s

:fL~ :LI/'ssgine:Tl: :.2

:,11 ~ . :,1

o o :

/:,~ tlr88#mgn/: & bG;q Mascheo = 700 %

sr L/rs~m:z/: r zoo

: 7: :: :Q : ./# :: 20

Abb. 4. Hguf igke i t der gefg13freien ~ g u m e in e inem mit t le ren , zwisehen I~eimachse u u d GefgBzone~r~nd gelegenen Bereich

die Darstdlung der Funktion ~ in Ab- Zufallsver~eilung ermSglicht

hgngigkeit yon ]n x. H~ndelt es sich um eine Verteilung entsprechend der abgeleiteten •ormel, so ergibt diese Auftragung eine Gerade mit

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Struk~ur und Entwicklung am Gef/il3netz der ttfihnerkeimscheibe 589

positivem Anstiegswinkel. Die Gerade ist durch 2 Parameter bestimmt,

die Ausgangsgr68e a und den Unterteilungsgrad n (SchnRtpunkt mit I

der x-Achse = lna, Rieh tungsgr58e - n - - 1 )" Bei Abweiehungen yon

der Zufallsverteilung treten gekrfimmte Kurven auf. Ausgewertet wurden die in Abb. 4 wiedergegebenen Verteilungen,

die sich auf einen zwisehen Keimaehse und Gef/iBzonenrand ge]egenen mittleren Ausschnitt der Area vas- /zz eulosa beziehen. Die Besehr/~nkung -z ~ ~ z s ~ r auf eine kleinere Teflmenge gegen- ol ' ' / I fiber den Verteilungen in Abb. 2 war ~ / r notwendig, nm die regionalen Unter- ' ; ~ " / sohiede innerhalb des Kalofllarnetzes _~ und den Randzuwaehs beim Ver- gleich verschiedener Entwicklungs- -s / s~dien naeh M6gliehkei~ aus der [ Betraehtung auszuschlieBen. ~ - r t _

Die Auswertung (Abb. 5) zeigt "~ ~segz eine nicht zufallsgem~$e Unterteilung. -s F/~.e//m]~ Wegen der graphisehen Bestimmung yon y' aus den Kurven in Abb. 4 -s streuen die Punkte z. T. nm die gezeiehneten Ausgleiehskurven; der typisehe Kurvenverlatff ist jedoeh ein- deutig, erst steil (kleines n) und mit zunehmendem in x flaeher ansteigend (gr5geres n); die Abszisse wird bei

T einem Wert zwisehen 3 und 4 ge- Abb. 5. t I ~ l g k e i ~ s v e r t e i l u n g e n aus

sehnitten. Die 14-Ursegment-Kurve Abb. ~, 4argestel l t Y du tch als x. y'

hat ein Minimum und f~llt zuers~ ab. Ordinate un4 In x als Abszisse Ein derar~iger Verlau/ der Kurven entspricht einer unterschiediichen Unterteilung groBer und kleiner gefs freier Rs und zwar sind gro/~e h~ufiger als kleine unterteilk Im Verlauf der Entwicldung zwischen 6 und 14 Ursegmenten bleibt der Unterteilungsgrad der groBen gef~Bfreien Riiume ann~hernd unver/in- dert, w/~hrend er bei den kleinen abnimmt. Das bedeutet eine Aggregation kleiner gefggfreier /%gume. Auch die kleine negative /%iehtungsgr6t~e der 14-Ursegment-Kurve (--1 < R G < 0 ) bedeutet negatives n, d. h. Aggregation. - - Mit 3 < lna < 4 liegt a zwischen 20 und 50 bzw. (1 Ein- heir ~ 900 te e) zwisehen 1,8 und 4,5- 102 te2, entspreehend einem primgren Masehendurehmesser yon 150--240/~.

Die I-I~ufigkeitsverteilungen in Abb. 4 resultieren somit bei folgender Entwieklung: Zu Beginn, vor dem 6-Ursegment-Stadium, liegt ein regel-

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590 ~ s B ~ :

mal3iges Netz aus ann~hernd gleich grof~en Maschen yon 150--240 # Durchmesser vor. Diese Maschen werden z. T. unterteilt, so dab kleine und groBe Maschen nebeneinander entstehen. Die weitere Teilung h~ngt yon der GrSl3e der Maschen ab, sehr kleine werden nicht mehr geteJlt, grSl3ere mit zunehmender GrSl3e h~ufiger. Dabei werden grol3e Maschen seltener und kleine hgufiger, es entsteht die asymmetrische Verteilung der Keimscheibe mit 6 Ursegmenten in Abb. 4a. Diese Verteflung unter- scheidet sich yon der abgeleiteten theoretischen Ver~eilung durch die rela~iv geringere tts der kleinsten GrSf~en, denn bei der dort vorausgesetzten Teilungsweise werden die entstehenden kleinen Toil- grSl3en genauso schnell wie grSl~ere in noch kleinere welter zerteil~, wghrend hier die Teilung mit abnehmender GrSSe seltener wird. Mi~ dem 6-Ursegment-Stadium endet die Unterteflung des Netzes, und es beginn~ eine Aggregation der Maschen. Die Aggregation is~ ebenfalls gr6J3enabh~ngig, kleine GrS$en aggregieren bevorzugt. Dadurch nimm~ die It~nfigkeit der kleinen GrSl3en zugunsten der grSBeren ab, die Ver- teilung wird ilacher, und es deute~ sich ein Maximum bei den mittleren GrSf~en an; es ents~ehen die Ver~eilungen der Keimscheiben mit 10 und 14 Ursegmen~en in Abb. 4b undc.

Da es denkbar is~, dalt eine andere Entwicklung yon einer anderen Ausgangssitua$ion zum gleichen Ergebnis fiihrt, erheb~ sich die Frage nach der Wahrscheinlichkei~ anderer Bildungswege. Die Frage kann far den vorliegenden Fall nicht definitiv entschieden werden; man darf je4och annehmen, je mehr Elemen~e eine Struktur bflden und je kom- plizierter deren formelms Beschreibung ist, desto unwahrscheinlicher sind mehrere gleichberechtigte BJldungswege.

Im vorliegenden Fall besteh~ die MSglichkeit, die Rich~igkeit der aus den Kurven in Abb. 5 gezogenen Schlfisse durch andere Beobachtungen zu iiberprfifen.

1. Regelm~$ige Ausgangsverteflung mit einem Maschendurchmesser yon 150--240 #. Die Querschnit~e des primgren Angioblas~ennetzes in Querschni~en entsprechend junger Keimscheiben (4--5 Ursegmente) haben auffallend regelm~$ige Abst~nde; am lgand der Gef/iBzone betragen sie 100--110#. Der Gef~tl3zonenrand bei 5 Ursegmenten ent- sprich~ der mi~tleren Gef~l~zone bei 10 und 14 Ursegmen~en. Wenn man beriicksichtigt, dab die gauze Struktur w/~hrend der weiteren Aufgliede- rung zugleich w/~chs~, ist die Ubereinstimmung geniigend.

2. Unterteilung gefSl3freier R~ume gleicher GrSSe. Die H/~ufigkefl, gef~tl~freier R/~ume gleicher GrSl~e mit 0, 1, 2, 3, ... Sprossen en~spricht einer Poisson-Verteilung, d.h., die Sprosse ents~ehen an gefgSfreien R/~umen gleicher Gr5$e mit gleicher Wahrscheinlichkeit ( B ~ 1959). Durch zufgllige Unterschiede des Teilungszeitpunktes entstehen unter- schiedliche Flgchen nebeneinander.

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Struktur und Entwicklung am Gef~13netz der ttiilmerkeimscheibe 591

3. Bevorzugte Unter~eilung groBer und bevorzugte Verschmelzung kleiner gefaBfreier l~aume. I)iese Beziehung wurde ~us der Abh~ngigkeit der Spro~dichte yon der GrSBe der gefal3freien l~aume und aus den zeit- lichen Anderungen yon deren Haufigkeitsverteilungen erschlossen (B~EM~ 1958).

4. Die Aufeinanderfolge Unterteilungsphase (vor 6 Ursegmenten) - - Verschmelzungsphase (ab 6 Ursegmenten) wurde aus der ~nderung der Maschendichte im Verhaltnis zum l~liichenwachstum der Keimscheibe erschlossen ( B ~ 1958).

Dutch die vorliegenden Untersuchungen werden somit die Ergebnisse friiherer Untersuchungen bestatigt, dariiber hinaus wird ein besseres Verstandnis einer Charakteristik des Kapillarnetzes, der Gr6]]envertei- lung der gefat3freien Raume erm6glicht.

Ffir die vollstandige, formelmaBige ]~eschreibung der Gr6Benvertei- lung der gefal3freien l~aume ist die Funktion n (x), die Abhangigkeit der Unterteilung (n) yon der Gr613e (x) wichtig. Von der Darstellung dieser aus Abb. 5 zu entnehmenden Funktion wurde abgesehen, weft sie nur sinnvoll ist, wenn das Flachenwachstum des Netzes und das Dicken- wachstum der Gefal3e beriicksichtigt werden. Die Korrektur ffir das Flachenw~chstum ist einfach und ffir das Teilungsprinzip nicht so wesent- lieh, dagegen ist die Berficksichtigung des I)iekenwachstums kompliziert, well dabei grol3e und kleine gefai~freie Raume unproporMonM verkleinert werden. Am meisten sind kleine gefa~freie Raume betroffen, die durch das Dickenw~ehstum der umgebenden Gefal~e vSllig zusammengedriickt werden kSnnen, wodureh sie yon weiteren Umwand]ungen, aueh Ver- schmelzungen, ausgeschlossen sind. Auf diese Weise kommt der steile tIaufigkeitsanstieg bei den kleinsten gefal~freien Raumen in Abb. 4c zustande. Generell erzeugt das I)ickenwachstum eine Zunahme kleiner und Abnahme grol3er gefal3freier Raume, es wird also ein hSherer Unter- teilungsgr~d vorgetauscht. Auf dem 6-Ursegment-Stadium ist das Dickenwachstum der Gefai3e noch gering, die Ver~eilung in Abb. 4~ bedarf daher nur geringer Korrektur; dagegen isr die bus den Verteilun- gen der alteren Keimscheiben in Abb. 4b u n d c abgeleitete Aggregation in Wirklichkeit starker, als es den J~nderungen der Kurven in Abb. 5 ent- spricht. - - Auf Grund friiherer Untersuehungen (B~EMEa 1959) ist zu erwar~en, dal3 der Unter~eilungsgrad n, der durch die Sprossungsaktivi- ta t im GefaBnetz beding~ ist, ahnlich wie die Sproi~dichte mi~ dem in der Netzebene gemessenen Kriimmungsradius der Gefal3wandungen zunimmt.

Zusammenfassung Die Bildung eines Blu~kapfllarnetzes wird als physiologischer ProzeI~

aufgefa~t, bei dem gleich~r~ige, nicht zu bestimmten Strukturelementen determinierte Zellen (Endothelzellen) zusammenwirken. Die I%tz-

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592 H. B~M~R: Struktur undEntwicklung am Gefal3netz der Hiihnerkeimscheibe

entstehung wird u. a. durch die relativ seltenen, spontanen Sproi~bildun- g e n d e r Endothelzellen erm6glicht. Formal ist die Fl~chengliederung der Kapfllarnetzentwicklung als fortw~hrende Fls durch neu entstehende Seitensprosse zu beschreiben. Durch Aufstellung der theore- tischen Erwartung ffir das Ergebnis for~w~hrender, zufallsm~Biger l~l~chenteflung und dutch Vergleich dieser Erwartung mit beobachteten Gr613enverteilungen der gef~Bfreien R~ume in Kapillarnetzen verschie- den alter Keimscheiben wird die Strukturabh~ngigkeit der Gefi~]3netz- entwicklung ermittelt . Die erhaltenen Befunde besti~tigen Ergebnisse friiherer Untersuchungen und verdeutlichcn den Zusammenhang zwischen den Gesetzm~l~igkeiten der Gef~13bildung und der zu beobachtenden GefgBnetzstruktur.

Literatur B~E~ER, H. : Das Do~terge~Bsystem beim Hfihnchen als Beispiel einer Struktur-

entwicklung. Wilhelm Roux' Arch. Entwickl.-Mech. Org. 150, 702 (1958). BI~]~I]~, H. : Einflul~ der Gef~Skrfimmung auf die Entwicklung yon Seitengef~l~en

in einem Blutkapillarnetz. Biol. Zbl. 78, 107 (1959).

HANS BREMER~ Botanisches Institut der Universit~t K61n-LindenthM, Gyrhofstr. 15