untersuchungen über das vitamin a bei chronischen nephriten

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(Aus der Medizinischen Klinik des Akademischen Krankenhauses, Uppsala). (Direktor: Prof. Dr. G. Bergmark.) Untersuchungen uber das Vitamin A bei chronischen Nephriten. Von JOHAN HEDBERG und TORSTEN LINDQVIST Im Urin gesunder Personen hat man auch nach Zufuhr betracht- licher Mengen von Vitamin A dieses niemals gefunden [v. Dri- galski (1); Schneider und Weigand (2)]. Nachdem Boller und Brunner (3) 1936 bei einigen Fallen von malignen Tumor aus dem Urin der Patienten eine Substanz isolieren konnten, die unter den Bedingungen der Carr-Price-Reaktion auf Vitamin A starke Blaufarbung ergab, haben sich unsere Kenntnisse uber die patho- logische Ausscheidung von Vitamin A im Urin wesentlich erweitert. Sie konnte bei einer grossen Anzahl von Graviden nachgewiesen werden [Gaehtgens (4); Schneider und Weigand (2)] ferner bei malignen Tumoren [Boller, Brunner und Brodaty (5); Schneider (6)], doch hier nur bei etwa 20 yo der Falle und erst im vorgeschritte- neren Stadium mit ausgesprochener Kachexie, weiterhin bei chi- rurgischen Infektionen [Schneider und Weigand, 1. c.], regelmassig bei crouposer Pneumonie [Lindqvist (7); Boller, Brunner und Brodaty l.c.1 und schliesslich bei gewissen Leber- und Gallenwegs- erkrankungen samt chronischen Nephriten [Boller, Brunner und Brodaty, 1.c.; Schneider und Weigand (S)]. Wahrend unsere Kenntnisse in Bezug auf die klinischen Zustande, bei denen eine Ausscheidung von Vitamin A im Urin erfolgt, also ziemlich weit gehen, so ist die Frage der Pathogenese immer noch unklar. Wir mochten dem Nordischen Insulinfonds fur die Gewahrung einer Unterstiitzung fiir diese Untersuchung uiiseren besten Dank aussprechen.

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Page 1: Untersuchungen über das Vitamin A bei chronischen Nephriten

(Aus der Medizinischen Klinik des Akademischen Krankenhauses, Uppsala). (Direktor: Prof. Dr. G. Bergmark.)

Untersuchungen uber das Vitamin A bei chronischen Nephriten.

Von

JOHAN H E D B E R G und TORSTEN LINDQVIST

Im Urin gesunder Personen hat man auch nach Zufuhr betracht- licher Mengen von Vitamin A dieses niemals gefunden [v. Dri- galski (1); Schneider und Weigand (2)]. Nachdem Boller und Brunner (3) 1936 bei einigen Fallen von malignen Tumor aus dem Urin der Patienten eine Substanz isolieren konnten, die unter den Bedingungen der Carr-Price-Reaktion auf Vitamin A starke Blaufarbung ergab, haben sich unsere Kenntnisse uber die patho- logische Ausscheidung von Vitamin A im Urin wesentlich erweitert. Sie konnte bei einer grossen Anzahl von Graviden nachgewiesen werden [Gaehtgens (4); Schneider und Weigand (2)] ferner bei malignen Tumoren [Boller, Brunner und Brodaty (5); Schneider (6)], doch hier nur bei etwa 20 yo der Falle und erst im vorgeschritte- neren Stadium mit ausgesprochener Kachexie, weiterhin bei chi- rurgischen Infektionen [Schneider und Weigand, 1. c.], regelmassig bei crouposer Pneumonie [Lindqvist (7); Boller, Brunner und Brodaty l.c.1 und schliesslich bei gewissen Leber- und Gallenwegs- erkrankungen samt chronischen Nephriten [Boller, Brunner und Brodaty, 1.c.; Schneider und Weigand (S)].

Wahrend unsere Kenntnisse in Bezug auf die klinischen Zustande, bei denen eine Ausscheidung von Vitamin A im Urin erfolgt, also ziemlich weit gehen, so ist die Frage der Pathogenese immer noch unklar.

Wir mochten dem Nordischen Insulinfonds fur die Gewahrung einer Unterstiitzung fiir diese Untersuchung uiiseren besten Dank aussprechen.

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232 JOHAN H E D B E R G und TORSTEN LINDQVIST.

Besonders nahe liegt die Annahme, dass in gewissen Fallen ein vermehFter Vitamin M e h a l t des Blutes vorliegen konnte &ass eine bestimmte Nierenschwelle uberschritten wird. Es hat sich indessen erwiesen, dass diese Annahme nicht haltbar ist. In den urinpositiven FBllen, in denen A-Vitaminbestimmungen im Blute durchgefuhrt wurden, haben diese Bestimmungen keine uber- normalen, sondern in der Mehrzahl sehr niedrige Werte ergeben [Gaehtgens; Schneider und Weigand; Lindqvist; Schneider; Grant (9)]. Eine Ausscheidung infolge eines Ueberschusses im Blut liegt also nicht vor.

Es liegt nun als zweite Moglichkeit die Annahme einer erhohten Permeabilitat der Niere vor. Gewisse klinische Erfahrungen spre- chen zugunsten dieser Annahme. Boller, Brunner und Brodaty finden bei Nephrosen (6 Falle), chronischer Nephritis (3 Falle) und maligner Nephrosclerose (2 Falle) regelmassig grosse Vitamin A-Mengen im Urine, ebenso Schneider und Weigand (8) bei zwei Fallen chronischer Nephritis. Wahrend Boller, Brunner und Brodaty sich zu den1 Schluss berechtigt ansehen, dass bei chro- nischen Nierenaffektionen (wie bei einer Anzahl anderer Krank- heiten) der Nierenschaden als die Ursache der Vitamin A-Aus- scheidung im Urin anzusprechen ist, konnen Schneider und Weigand diese Ansicht in ihrer letzten Arbeit nicht teilen. Bei experimentell bei Tieren hervorgerufenen Nierenschaden (Sublimat-, Silber- nitrat- und Phosphorvergiftung) konnten sie namlich im Urin kein Vitamin A nachweisen, ebensowenig bei Nephropathien' in- folge von Prostatahypertrophie. Sie nehmen statt dessen eine spezielle Storung der Nierenpermeabilitat durch gleichzeitig be- stehenden Vitamin C-Mange1 an, da die veranderte Permeabilitat bei Krankheiten auftritt, die erfahrungsgemass mit einem Defizit an Vitamin C einhergehen. Bei je einem Fall von cavernoser Lungentuberkulose, Gallenblasenempyem und komplizierter Frak- tur konnten sie nach taglicher Zufuhr von 300 mg Vitamin C einen von Vitamin A freien Urin erhalten. Die mitgeteilten Falle liegen jedoch so, dass es nicht als ausgeschlossen erscheint, dass das Ver- schwinden des A-Vitamins im Urin andere Ursachen hat, als die Zufuhr von Vitamin C.

Da also das Problem der Rolle eines Nierenschadens fur die Ausscheidung des Vitamins A im Urin noch als unentschieden angesehen werden muss, haben wir es fur angezeigt gehalten, uns

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an der Hand eines grosseren und langere Zeit beobachteten Materials v m NephFiten eine erh6hte Kenntnis vom Vitamin A-Stoffwechsel bei dieser Krankheit zu verschaffen und damit eine festere Grund- lage fur die Diskussion dieser Probleme zu schaffen.

Unser Material an akuten Nephriten ist noch zu klein, um Schlusse zuzulassen, und wir beschranken uns hier deshalb darauf, die Ergebnisse unserer Untersuchungen bei chronischer Nephritis mitzuteilen.

Methodik.

Fur die quantitative Besiimmung des Vitamins A und der Carotinoide im Serum haben wir uns im Prinzip der von van Eekelen und Emmerie (10) vorgeschlagenen Methode bedient, die wir etwas modifiziert haben.

Die Ausfuhrung der Bestimmung sei im folgenden kurz be- schrieben: 10 cm3 Serum werden mit 1 cm3 60 yo Kalilauge ver- setzt und 1/2 Stunde auf dem Wasserbad erhitzt. Nach dem Ab- kuhlen werden 5 cm3 Alkohol zugesetzt, danach wird im Scheide- trichter zuerst mit 50, danach mit 25 cm3 Ather extrahiert. Die vereinigten Atherextrakte werden 2 ma1 mit je 10 cm3 Wasser gewaschen, danach 1 ma1 mit 20 cm3 3 proc. Kalilauge und schliess- lich 2 ma1 mit je 50 cm3 Wasser. Der Ather wird mit wasserfreiem Natriumsulfat getrocknet und im Kohlensaurestrom abgedampft. Der Ruckstand wird in 2 cm3 Petrolather gelost und der Gelbwert wird im Stufenphotometer (1/2 cm3-Cuvette, Filter S 43) bestimmt. Danach wird wiederum im Kohlensaurestrom zur Trockne einge- dampft. Zum Ruckstand werden nach Zusatz von 0.2 cm3 Chloro- form und 1 Tropfen Essigsaureanhydrid 2 cm3 einer gesattigten Losung von Antimontrichlorid in Chloroform gefugt. Die Intensi- t a t der auftretenden Blaufarbung wird nach 15 Sekunden im Stufen- photometer ('/2 cm3-Cuvette, Filter S 57 oder S 61) bestimmt.

Als Vitamin A-Standard fur die Beurteilung der Blaufarbung haben wir das Praparat Vogan von Merck benutzt. Die Werte in dieser Arbeit werden stets in internationalen Einheiten pro 100 cm3 Serum angegeben. Als Standard fur die Beurteilung des Gelb- wertes diente Carotin von Hoffmann-La Roche.

Die Bestimmung des Vitamins A im Urin ist von allen fruheren Autoren so ausgefiihrt worden, dass eine abgemessene Urinmenge mit etwa dem halben Volumen Ather geschuttelt wurde. Der

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234 J O H A N HEDRERG und T O R S T E N L I N D Q V I S T .

Extrakt wurde dann mit Alkali gewaschen und eingedampft. An dem in Chloroform aufgenommenen Ruckstand erfolgte dann die Bestimmung der auf Zusatz von Antimontrichloridreagens auf- tretenden Blaufarbung. Die genannte Extraktionsmethode ist indessen sehr unbefridigend, da nur ein geringer Bruchteil des im Urin enthaltenen Vitamins dabei erfasst wird. Zusatz geeigneter Mengen Alkohol zum Urin erhoht die Ausbeute sehr wesentlich. So erhielten wir z. B. aus 25 cm3 Urin von einem Patienten rnit crouposer Pneumonie bei zweimaligen Ausschutteln rnit je 25 cm3 Ather 23 I. E. Vitamin A, nach Zusatz von 10 cm3 96 %igem Alkohol zum Urin wurden bei sonst unveranderter Arbeitsweise nicht weniger als 130 I.E. gefunden, also 5- bis 6-ma1 soviel. Bei anderen Versuchen waren die Unterschiede nicht ganz so ausgesprochen, jedoch immer betrachtlich. Wir haben gefunden, dass die geeignete Alkoholmenge 20-25 cm3 auf 50 cm3 Urin betragt. 1st der Urin eiweisshaltig, so wird die Ausbeute erhoht, wenn er vor der Extrak- tion 1/2 Stunde auf dem Wasserbad mit Alkali erhitzt wird (wir pflegen 3-5 cm3 60 %iger Kalilauge auf 50 cm3 Urin anzuwenden). Wahrscheinlich beruht die geringere Ausbeute aus nicht alkali- behandelten Proben darauf, dass das Vitamin zum Teil so fest an Eiweiss gebunden ist, dass es nicht vor dessen Zerstorung extra- hiert werden kann. Bei nicht albuminhaltigen Urinen hat sich das Kochen in einem Teil der Falle als ohne Einfluss erwiesen, manch- ma1 sogar eine Verminderung der nachweisbaren A-Vitaminmenge hervorgerufen. In manchen Fallen haben wir deshalb die Zer- storung der Eiweisstoffe durch zweitagiges Stehenlassen rnit Alkali im Eisschrank durchgefuhrt. Die Ausbeute bei diesem Verfahren ist jedoch eher etwas niedriger als bei dem gewohnlichen Kochver- fahren. Wir haben also Anlass, anzunehmen, dass die gefundenen Werte etwas zu niedrig sind. Es durfte sich jedoch hierbei nur um eine geringe Differenz handeln.

Die Bestimmung wurde also folgendermassen durchgefuhrt. Nach beendeter Hydrolyse von 50 cm3 Urin (bei Wasserbadtem- peratur oder im Eisschrank, vgl. oben) rnit 3-5 cm3 60 %iger Kalilauge, setzt man 20-25 cm3 Alkohol zu und extrahiert zwei- ma1 mit je 50 cm3 Ather. Bei Neigung zur Emulsionsbildung er- hoht man die Alkohol- und Athermengen. Der erhaltene Extrakt wird dann weiterverarbeitet, wie es oben fur den aus Blutserum erhaltenen Estrakt beschrieben ist.

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In einer Anzahl Falle haben wir im Spektroskop die Lage der Absorptionsbanden der blaugefarbten, nach Zusatz von Antimon- trichlorid erhaltenen Losungen untersucht und dabei die fur A-Vitamin typischen Absorptionsmaxima gefunden.

Die Bestimmung von Carotinoiden und Vitamin A in Leber er- folgte durch Hydrolyse von 2 - 4 g schweren Stucken wahrend 1/2 Stunde auf dem Wasserbad mit 15 cm3 20 %iger Kalilauge. Danach wurde wie bei Blut verfahren. Mit dieser Methode werden etwas hohere Werte erhalten, als mit dem von Davies (11) empfoh- lenen. Wir haben jedoch die Angabe von Moore (12) nicht besta- tigen konnen, dass der Vitamin A-Gehalt in der Leber in den ver- schiedenen Teilen stets gleich ist. In den meisten Fallen ist der Gehalt im linken Leberlappen niedriger als im rechten. Die unten angegebenen Werte grunden sich samtlich auf Analysen von Leber- stucken aus dem rechten Leberlappen und sind deshalb vielleicht etwas zu hoch.

Ergebnisse.

Unsere Befunde bei der Untersuchung des Carotinoid- und Vitamin A-Gehaltes in Blut samt des Vitamin A-Gehaltes in Urin gehen aus Tabelle 1 hervor, die auch uber die wichtigsten klini- schen Eigenschaften in jedem Fall unterrichtet.

Vitamin A im Urin.

Bevor wir als feststehend betrachten konnen, dass die patho- logischen Befunde bei unseren Fallen wirklich mit den nephri- tischen Veranderungen in Zusammenhang stehen, miissen wir untersuchen, inwieweit in einem oder einigen Fallen andere Fakto- ren eine Ausscheidung von Vitamin A im Urin hervorgerufen haben konnen. Eine nachweisbare Leberaffektion hat bei keinem unserer Falle vorgelegen. Wir hatten keine graviden Patienten und keinen Fall von malignem Tumor. Da der eine von uns [Lindqvist (13)] bei einer grossen Anzahl Fieberfalle (Pneumonie, Bronchopneumonie, Lungentuberkulose. Erysipelas, Angina, Influenza, Polyarthritis, Poliomyelitis, Typhus, Malaria und Cystopyelitis) das Auftreten von Vitamin A im Urin konstatierten konnte (zum Teil im Gegen- satz zu Boller, Brunner und Brodaty, aber in Ubereinstimmung mit Schneider und Weigand, deren Erfahrungen er bestatigen und

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wesentlich erweitern konnte) haben wir unser Krankenmaterial besonders mit Hinblick auf diese Erklarungsmoglichkeit fur posi- tive Befunde durchgepruft. Nur in einem einzigen Falle ist eine solche Deutung moglich (ein positiver Befund bei Fall Nr. 23). Auch acidotische Falle von Diabetes mellitus weisen regelmassig Vitamin A im Urin auf [Lindqvist (13)]. Einer unsere Falle war diabetisch, wies aber wahrend der Beobachtungszeit keine Acidose auf. Wir haben also anzunehmen, dass die pathologischen Befunde bei unseren Fallen auf Veranderungen zuruckzufuhren sind, die mit der Nephritis in Zusammenhang stehen.

Aus Tabelle 1 geht hervor, dass das Vorkommen von A-Vitamin im Urin bei chronischer Nephritis keinen obligaten Befund dar- stellt. Nur 11 von den untersuchten 26 Fallen gaben bei mehr- fach wiederholter Untersuchung regelmassig eine positive Anti- montrichloridreaktion im Urinextrakt. Ein Fall, Nr. 16, gab fast regelmassig positive Reaktion, namlich 19mal bei 23 Untersuchun- gen, dabei waren die ersten 16 Reaktionen ununterbrochen positiv. Unter den iibrigen fanden sich nur zwei, die uberhaupt niemals Vitamin A im Urin aufwiesen, und von diesen beiden Fallen ist der eine nur einmal untersucht, der andere achtmal. Die ubrigen 13 Falle gaben abwechselnd positive und negative Reaktion, meist letzteres.

Auch die konstant positiven Falle zeigen starke Schwankungen der A-Vitaminmenge im Urin von Tag zu Tag.

Die Kenntnis dieser spontanen Schwankungen ist von grosser Bedeutung fur die Beurteilung der Wirkung von Massnahmen, die auf eine Beeinflussung der Vitamin A-Ausscheidung im Urin abzielen.

Da die von uns angewandte Methode eine recht genaue quanti- tative Bestimmung der ausgeschiedenen Mengen gestatten durfte, haben wir bei jeder positiven Reaktion die Tagesausscheidung berechnet. Die hochste von uns beobachtete Tagesausscheidung betragt 1900 I. E. Sie ist also von der Grossenordnung, die nach Ansicht mancher Autoren den minimalen Tagesbedarf eines Men- schen darstellt [vgl. z. B. Orr (14)]. Im Durchschnitt sind die ausgeschiedenen Mengen bedeutend niedriger.

Die Bestimmung der wahrend einer langeren Periode ausge- schiedenen Vitaminmenge gibt eine besseres Bild uber die Bedeu- tung der Verluste fur den Vitaminhaushalt des Korpers als eine

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Einzelbestimmung. Wir haben solche Berechnungen bei zwei Fallen durchgefiihrt, die wir iiber eine langere Zeit mit haufigen Analysen beobachten konnten. Fall Nr. 18 schied vom 12. VII. bis 4. XI. durchschnittlich 650 I. E. pro Tag aus, innerhalb dieser Gesamtdauer von drei Monaten und 23 Tagen etwa 75,000 I.E. Fall Nr. 2 schied vom 17. XII. 37 bis 3. 11. 38 durchschnittlich 1,100 I.E. pro Tag aus. Fur die Gesamtperiode von 1 1/2 Monaten betragt die Ausscheidung also etwa 53,000 I.E. Diese Mengen sind von einer Grossenordnung, die es denkbar erscheinen Iasst, dass der durch Ausscheidung bedingte Verlust bei Personen, deren Zufuhr an Vitamin sich in der Gegend des Minimalbedarfs bewegt, zu einer negativen Bilanz fiihren konnte.

Um zu entscheiden, inwieweit eine solche negative Bilanz wirklich vorkommt, wollen wir unsere Befunde in Blutserum und in Leber naher betrachten.

Vitamin A und Carotinoide in Blutserum.

Meistens wurden mehrfache Bestimmungen des Vitamin A- und Carotinoidgehaltes im Serum durchgefuhrt. Aus Raumgrunden konnten hier nur die hochsten und niedrigsten Werte aufgefuhrt werden. (vgl. Tabelle 1).

Zur Beurteilung der gefundenen Werte ware die Kenntnis der Normalwerte wunschenswert. Ein fester, fur verschiedene Menschen gemeinsamer Normalwert existiert nicht. Die in der Literatur mitgeteilten sogenannten Normalwerte [z. B. Schneider und Wid- mann (15); Wendt (16)] stellen nur die Mittelwerte einer Anzahl von untersuchten Versuchspersonen dar, ohne dass man sich eine Ansicht dariiber bilden kann, ob diese Werte einem Mangel- oder einem Luxusstandard entsprechen. Lindqvist (13) hat bei einer grosseren Anzahl Falle, bei denen gleichzeitig der Vitamin- Gehalt im Blute und das Vorkommen von Hemeralopie untersucht wurde, den Befund erhoben, dass Hemeralopie auftritt, wenn der Vitamin A-Gehalt im Serum auf 70 I.E. pro 100 cm3 oder darunter sinkt. Geringere Werte bedeuten also sicher Mangelwerte.

Unter den von uns untersuchten Fallen kommen nur zwei, namlich Nr. 25 und Nr. 6, in die Nahe der genannten Grenze. Alle anderen liegen in sicherem Abstand von der Mangelgrenze. Bei

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einer Anzahl Falle liegen sogar recht hohe Wcrte vor. Z. B. weist Fall 18 bei einer Gelegenheit nicht weniger als 750 I.E. pro 100 cm3 Serum auf und Fall Nr. 19 550 I.E. Diese Werte sind die hochsten, die der eine von uns (T. L.) bei etwa 2,000 Bestimmungen an ge- sunden und mit den verschiedensten Krankheiten behafteten Personen gefunden hat.

Vergleichen wir den Vitamin A-Gehalt des Rlutes bei den Fallen, die konstant Vitamin A im Urin ausscheiden, mit den Werten bei anderen Fallen, so finden wir, dass die konstant ausscheidenden Falle im Mittel einen Gehalt von 430 I. E. pro 100 em3 Serum auf- weisen, wenn wir nach den in jedem Fall gefundenen hochsten Werten rechnen, und von 240 I. E., wenn wir mit den entsprechen- den niedrigsten Werten rechnen. Bei den anderen Fallen liegen die entsprechenden Werte bei 210 bezw. 160 I. E. Die Falle, die die grossten Mengen ausscheiden, haben durchgangig auch er- hohte Werte im Blut. Wir mochten jedoch hervorheben, dass dies nicht auch fur andere Krankheitszustande gilt, bei welchen eine Vitamin A-Ausscheidung im Urin erfolgt, z. B. Infektionskrank- heiten. Hier finden wir im Gegenteil in der Regel niedrige Serum- werte bei den urinpositiven Fallen.

Das Ergebnis, dass diejenigen unserer Falle, die Vitamin A am regelmassigsten und in den grossten Mengen ausscheiden, gute und zuweilen besonders hohe A-Vitaminwerte im Blut aufweisen, legt die Deutung nahe, dass die Ausscheidung nicht zu einer nega- tiven Bilanz im Vitamin A-Haushalt des Korpers fiihrt. van Ee- kelen, Emmerie und Wolff (17) vertreten die Ansicht, dass ))die Konzentration an Vitamin A im Serum durch die Grosse der im Korper vorhandenen Vitamin A-Vorrate bestimmt wird.)) Es ist indessen unsicher, ob dieser Satz zu Recht besteht, auch wenn man nur gesunde Personen betrachtet. Unter pathologischen Bedingungen ist er sicher falsch. Lindqvist (7) hat gezeigt, dass der Vitamin A-Gehalt im Serum sich bei Pneumonie der O-Grenze nahern kann, trotzdem in der Leber recht gute A-Gehalte noch vorhanden sind. Eine derartige mangelnde Parallelitat, jedoch in umgekehrter Richtung, konnte auch in den hier untersuchten Fallen vorliegen. Es wurde dann den hohen Serumwerten kein entsprechend hoher Vitamin A-Gehalt im Hauptreservoir des Korpers, der Leber, entsprechen.

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240 J O H A N H E D B E R G und T O R S T E N L I N D Q V I S T .

Viiamin A-Gehalt der Leber.

Die Ergebnisse, die fruhere Autoren bezuglich des Vitamin A-Gehaltes der Leber bei solchen Fallen erhalten haben, die in chronischer Nephritis ad exitum gingen, erweckt weitere Zweifel daran, dass der hohe Serumspiegel in unseren Fallen wirklich ein Ausdruck fur einen entsprechenden Standard in der Leber ist. Kerppola (18) findet in sieben Fallen von Uramie nur Spuren von Vitamin A in der Leber und in einem Fall 0, Breusch und Scala- brino (19) finden in vier von sechs uramischen Fallen 0, in den ubrigen normale Werte, Wolff (20) findet bei 54 Fallen von chro- nischer Nephritis stets niedrigere Werte als bei durch Unglucks- fall verstorbenen Personen und Moore (12) erhalt in 58 Fallen von chronischer Nephritis Werte, die in der Regel bis lil0 der- jenigen von verungluckten Personen betragen. In keinem dieser Falle erfolgte jedoch eine Bestimmung des Vitamingehalts im Blut.

Um nahere Kenntnisse uber den Zusammenhang zwischen Vitamin A im Serum und in der Leber zu erhalten, haben wir in solchen Fallen, bei denen es zur Obduktion kam, den Vitamin A-Gehalt der Leber untersucht, und haben uns gleichzeitig be- strebt, so dicht als moglich vor dem Tode eine Bestimmung im Serum auszufuhren. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in Tabelle I1 verzeichnet.

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Blut Fall Nr. -

Datum Vitamin A

2 412 38 110 10 12/11 37 260 11 17/1 38 310 12 13/1 38 190 13 4/11 37 250

Leber

Datum Vitamin A (total)

512 38 85,500 16/11 37 1,458,000 19/1 38 427,000 13/1 38 354,000 5/11 37 56,300

Aus dieser Zusammenstellung geht klar hervor, dass eine be- stimmte Beziehung zwischen dem Vitamin A-Gehalt des Blutes und der Leber hier nicht besteht. Fall Nr. 10 und Nr. 13 haben etwa den gleichen Wert im Blut, aber in der Leber hat der erste 26 ma1 mehr Vitamin A als der zweite.

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C N T E R S I J C H U N G E N C B E R D A S V I T A M I N A B E I C H R O N I S C H E N N E P H R I T E N . 241

Unsere Befunde uber oft bemerkenswert hohe Vitamin A-Werte in Serum und diejenigen anderer Autoren uber niedrige Gehalte an Vitamin A in der Leber bei chronischer Nephritis brauchen also nicht in einem gegensatzlichen Verhaltnis zu stehen. Die vorliegenden Tatsachen sind eher so zu deuten, dass das Serum trotz der Verarmung der Leber an Vitamin wahrend der Krankheit imstande ist, den Vitamin A-Spiegel aufrecht zu halten. Es mussen demnach die Loslichkeitsverhaltnisse fur das Vitamin A des Serums bei der chronischen Nephritis verandert sein.

Versuche zur Beeinflussung der Ausscheidung. a. Belastung mit Vitumin A . Eine Anzahl Autoren glauben

Vitamin A im Urin vorher negativer Personen bezw. eine erhohte Menge Vitamin A im Urin vorher positiver Personen nach Be- lastung mit grossen Dosen Vitamin A festgestellt zu haben. Um die Stichhaltigkeit solcher Annahmen zu prufen, haben wir in drei Fallen solche Belastungen durchgefuhrt und dabei die Vitamin- mengen in Blut und Urin sowohl vor als auch wahrend der Belastung genau verfolgt. Zwei der Faille wiesen vor der Belastung nur gelegentlich Vitamin A im Urin auf. Wahrend einer 14- bezw. 28-tagigen Periode taglicher Belastung mit 50,000 I. E. anderte sich die relative Anzahl der positiven Befunde nicht. Bei dem einen Fall hIelten sich die Serumwerte konstant, bei dem anderen sanken sie. Der dritte bela stete Fall schied schon vor der Belastung dauernd Vitamin in einer Menge von 200-750 I. E . pro Tag aus. Wahrend einer lktagigen Belastung mit 50,000 I. E. Vitamin A pro Tag variierte die Ausscheidung im Urin von 320 his 1,400 I. E. pro Tag, wies also eine steigende Tendenz auf, die aber nicht starker ausgesprochen war, als dass sie auch ohne Belastung hatte auf- treten konnen. Bei dem gleichen Fall wiesen namlich sieben Pro- hen, die lange nach beendeter Belastung untersucht wurden, Werte zwischen 650 und 1.800 I. E. pro Tag auf.

Wir finden also bei diesen Belastungsversuchen keine Ver- anderungen, die der erhohten Zufuhr von Vitamin A zugeschrieben 3verden miissten. Die gefundenen Schwankungen liegen samtlich innerhalb der Grenzen der spontanen Variationen. Wir glauben, dass auch in den Fallen, in denen andere Autoren glauben, einen Einfluss der Belastung mit Vitamin A auf die husscheidung fest- gestellt zu haben, spontane Variationen vorgelegen haben.

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JOHAN H E D B E R G und TORSTEN LINDQVIST. 242 b. Belastung mif Vitamin C.

Schneider und Weigand (8) haben die Theorie vertreten, dass die Ausscheidung von Vitamin A im Urin auf einer mangelnden Nierendichte auf Grund von Mange1 an Vitamin C beruht, und sie fuhren als Stutze fur diese Annahme unter anderem an, dass sie in drei Fallen fast unmittelbar nach Belastung mit Vitamin C das Verschwinden des Vitamins A aus dem Urin beobachteten. Es erschien uns unwahrscheinlich, dass ihre Erklarung auch fur unsere Falle zutrifft, da sie auf einer Kost rnit gutem Vitamin C-Gehalt stehen und im Allgemeinen lange gestanden haben. In zwei Fallen (Nr. 11 in Tabelle 1 samt einem Fall von chro- nischer Myocarditis mit dauernder Ausscheidung grosser Vitamin A-Mengen) haben wir auch die Schwankungen der Ausscheidung von Vitamin A nach Belastung mit Vitamin C gepruft. Beide Falle wiesen unmittelbar vor der Belastung normalen Kapillar- resistenztest nach Gothlin (21) auf. Wir hatten also keinen Grund zur Annahme latenten Scorbuts. Beide Falle wurden wahrend einer Woche mit 300 mg Ascorbinsaure pro Tag belastet. Wahrend dieser Zeit wurden keine Werte beobachtet, die die Grenzen der vorher festgestellten Variationen uberschritten, das Vitamin A verschwand nicht aus dem Urin. Auch hier sind wir geneigt, die Befunde anderer Autoren eher auf andere Faktoren ())Spontan- variationen))) zuruckzufiihren, als auf die Belastung.

c. Pyramidonversuche. Boller, Brunner und Brodaty geben an, nach Zufuhr von Pyramidon ein Aufhoren der Vitamin A-Aus- scheidung im Urin beobachtet zu haben. Sie deuten ihren Befund so, dass das Pyramidon eine ))Dichtungo der pathologisch per- meablen Nieren bewirkt. In einem Fall, Nr. 21, haben wir inner- halb 9 Tagen insgesamt 11.5 g Pyramidon zugefuhrt. Der Mittel- wert von 8 Proben vor der Pyramidonbehandlung war 625 I. E. pro Tag (500-850). 6 Proben wahrend der Pyramidonbehandlung ergaben einen Mittelwert von 570 I. E. pro Tag. (400-880). Eine verminderte Vitamin A-Ausscheidung erscheint also nicht er- wiesen. Hatten wir vor der Belastung nur eine Probe untersucht und dabei z. B. 850 gefunden und nach der Belastung ebenfalls nur eine Probe und dabei den Wert 400 erhalten, so hatten wir geglaubt, eine senkende Wirkung des Pyramidons auf die Vitamin A-Ausscheidung festgestellt zu haben.

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U N T E R S U C H U N G E N U B E R DAS VITAMIN A BE1 CHRONISCHEN N E P H R I T E N . 243

Ausscheidung von Vitamin A im Vergleich mit Minischen S ymptomen.

Da nicht .alle Falle konstante Vitamin A-Ausscheidung im Urin aufweisen, ergibt sich die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen konstanter Ausscheidung und gewissen Zugen im klinischen Bild konstatierbar ist.

a. Albuminurie. Bei einer grossen Anzahl Untersuchungen konnte trotz vorhandenen Eiweisses kein Vitamin A im Urin ge- funden werden. Die Vitamin A-Ausscheidung ist also keine zwangs- laufige Folge der Albuminurie. Es konnen sogar besonders hohe Eiweisssmengen vorliegen, ohne dass Vitamin A im Urin auftritt, z. B. Fall 26 rnit Eiweiss und fast konstant negativem Vitamin A-Befund. Auf der anderen Seite stehen Falle wie Nr. 14 mit einer maximalen Eiweissmenge von 0.3 Oleo und regelmassiger Vitamin A-Ausscheidung. Auch ganz eiweissfreie Proben konnen Vitamin aufweisen, beispielsweise Fall Nr. 13 mit einer Tagesausscheidung von 470 I. E. Ein bestimmter Eiweisswert, oberhalb dessen eine Vitaminausscheidung erfolgt, ist also nicht nachwcisbar. Eine gewisse Korrelation zum Eiweissgehalt besteht indessen. Be- rechnen wir den Mittelwert fur den Eiweissgehalt bei den konstant positiven Fallen (die Berechnung ist fur den hochsten, bezw. niedrigsten beobachteten Wert in jedem Einzelfall durchgefiihrt), so erhalten wir einen Mittelwert von 3.7 bezw. 2.1 O i o 0 . Fiihrt man die gleiche Berechnung fur die negativen und nicht konstant positiven Falle, so erhalt man einen Mittelwert von 1.8 Oleo, fur die hochsten Werte berechnet. Die konstant positiven Falle haben also durchschnit-tlich einen bedeutend hoheren Albumingehalt, als die iibrigen.

b. Resfsticksfoff im Blut. Die konstant positiven Falle weisen mit Ausnahme von einem erhohten Reststickstoff im Blut auf. Rei fiinf dieser Falle liegt eine ausgesprochene Uramie vor. Von den ubrigen zeigen nur drei einen Reststickstoff von mehr als 40 mg%. In allen drei Fallen ist die Steigerung nur geringfugig (67, 52, 46 mg%) und nur in einer Probe nachweisbar, wahrend bei anderen Gelegenheiten normale Werte erhalten wurden.

Eine Steigerung des Reststickstoffs im Blut ist also fast stets von einer Vitamin A-Ausscheidung im Urin begleitet.

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244 J O H A N H E D B E R G und T O R S T E N L I N D Q V I S T .

c. Retinitis alburninica. Unter den Fallen rnit konstanter Vitamin A-Ausscheidung wiesen nur drei normalen Augenhinter- grund auf, wahrend drei eine gelinde und fiinf eine hochgradige Retinitis aufwiesen. Unter den ubrigen 15 Fallen wiesen 9 normalen Augenhintergrund auf, drei hatten eine gelinde und drei eine ausgesprochene Retinitis.

Die Uetinitis albuminica ist also haufiger bei den Fallen mit konstanter Vitamin A-Ausscheidung.

d. Blutdruck. Die konstant ausscheidenden Falle weisen durch- schnittlich einen systolischen Blutdruck von 213, bezw. 16.4 mm Hg auf. (dieser Berechnung liegen die maximalen und minimalen Werte jedes einzelnen Falls zugrunde). Bei den ubrigen Fallen finden wir Werte von 188 bezw. 152 mm Hg. Bei den konstant positiven Fallen besteht also eine Tendenz zu hoherem Blutdruck, aber die Differenz ist wenig ausgepragt.

Aus der obigen Zusammenstellung geht also hervor, dass eine konstante Ausscheidung von Vitamin A im Urin vor allem bei schweren Fallen chronischer Nephritis zu erwarten ist, Fallen rnit Steigerung des Reststickstoffs, mit Retinitis und rnit Tendenz zu hoher Eiweissausscheidung. Eine feste Beziehung zur Albumin- menge besteht jedoch nicht.

Diskussion der Pathogenese der Vitamin A- Ausscheidung.

Bei unseren oben wiedergegebenen Untersuchungen lagen die Serumwerte fur Vitamin A bei den konstant ausscheidenden Per- sonen durchweg hoch. Wir legen jedoch diesem Umstand keine Bedeutung fur die Ausscheidung mit dem Urin bei, da bei Infek- tionskrankheiten wechselnder Art trotz besonders niedrigen Vita- minspiegels im Serum grosse Vitaminmengen im Urin abgehen.

Welchen Beitrag liefern unsere Untersuchungen zur Frage einer veranderten Nierenpermeabilitat als Ursache der positiven Be- funde? Die Annahme, dass eine erhohte Durchlassigkeit der Niere die Ursache der pathologischen Ausscheidung des Vitamins A darstellt, liegt nahe, da ja bei di diesen Kranken eine auf- fallende Erhohung der Permeabilitat fur Eiweiss besteht. Diese Tatsache lenkt leicht die Aufmerksamkeit davon ab, dass fur die meisten Substanzen die Permeabilitat bei dieser Krankheit nicht erhoht, sondern erniedrigt ist.

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U N T E R S U C H U N G E N ClBER D A S V I T A M I N A B E 1 C H R O N I S C H E N N E P H R I T E N . 245

In den von uns untersuchten Fallen und praktisch in allen unter- suchten Proben besteht eine erhohte NierenpermeabiIitat fur Eiweiss. Eine direkte Aussonderung des an Albumin gebundenen Vitamins A kann nicht vorliegen, da ja auch positive Falle mit negativem Eiweissbefund und hohe Eiweisswerte ohne Vitamin- ausscheidung vorkommen konnen. Die Vitamin A-Konzentra- tionen sind ausserdem im Urin oft hoher als im Blut, wahrend der Albumingehalt im Urin stets niedriger ist als im Blut. 1st eine veranderte Nierenpermeabilitat die Ursache fur das Auftreten des Vitamins A im Urin, so muss diese Permeabilitatsanderung anderer Art sein, als die Permeabilitatsanderung fur Eiweiss.

Weigand und Schneider haben eine solche, durch Vitamin C-Mange1 spezifisch veranderte Permeabilitat angenommen. Un- sere Untersuchungen liefern jedoch keine Stutzen fur eine der- artige Auffassung. Wir haben auch den Befund von Boller, Brunner und Brodaty, dass man mit Pyramidon die pathologisch permeable Niere odichtenb) konne, nicht zu bestatigen vermocht.

Unsere Untersuchungen stutzen also nicht einmal fur den Fall der chronischen Nephriten die Theorie, dass eine erhohte Nierenper- meabilitat fur die Vitaminausscheidung von Bedeutung ist. Es liegt demgemass noch weniger Anlass dazu vor, eine solche Ursache in Fallen anzunehmen, in denen uberhaupt keine Nierenschadi- gung nachzuweisen ist (Leberkrankheiten, Infektionskrankheiten).

Anscheinend liegen bisher nur die beiden beruhrten Moglich- keiten zur Erklarung des Vitamin A-Ausscheidung im Urin vor. Entweder besteht eine bes t imhe Nierenschwelle fur Vitamin A, und sobald der Blutwert sie uberschreitet, tritt Vitamin im Urin auf. Diese Ansicht ist sicher unzutreffend. Oder es liegt eine ver- anderte Durchlassigkeit der Niere vor. Die Beweisfuhrung fur diese Theorie ist als sehr schwach anzusehen. Wenn jedoch keine anderen Erklarungsmoglichkeiten als die genannten bestehen, so hat man die zweite vorzuziehen.

Wir mochten jedoch betonen, dass mit den genannten Hypo- thesen die Erklarungsmiiglichkeiten fur die Ausscheidung von Vitamin A im Urin nicht erschopft sind.

Man kann sich auch denken, dass die Bindungsart des Vitamin A verandert ist. In welcher Form das Vitamin A normaliter im Blut gelost vorliegt, wissen wir nicht, wir wissen nur, dass es in dieser Bindungsform die Niere nicht passiert. Man konnte sich aber

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246 JOHAN H E D B E R G und TORSTEN L I N D Q V I S T .

wohl denken, dass es wahrend schwerer Storungen des Stoff- wechsels an pathologische Stoffwechselprodukte so gebunden wird, dass es auch eine normale Niere passieren kann. Diese Stoff- wechselprodukte brauchen nicht bei allen Krankheiten, bei denen wir eine Ausscheidung beobachten, die gleichen zu sein, sondern sie konnen von Fall zu Fall variieren.

Zugunsten einer solchen Argumentation mochten wir vor- bringen, dass in den positiven Fallen der Urin oft eine veranderte physikalische Beschaffenheit aufweist, namlich eine ausgesprochene Neigung zur Emulsionsbildung beim Ausschiitteln mit Ather. Auch Schneider und Weigand haben diesen Befund erhoben. Fur veranderte Loslichkeitsverhaltnisse des Vitamins im Blutserum sprechen unsere Erfahrungen iiber die trotz niedriger Leber- vorrate oft grossen Vitaminmengen im Serum.

Nach dieser Auffassung sollte also die Ausscheidung von Vitamin A im Urin als Zeichen einer schweren Stoffwechselstorung auf- zufassen sein.

Zusammenf assung.

Wir berichten uber Untersuchungen uber das Vitamin A im Urin und Blutserum bei 26 Fallen von chronischer Nephritis, die zum Teil iiber lange Zeit beobachtet sind. Davon weisen 11 kon- stant Vitamin A im Urin auf, 13 gaben abwechselnd positiven und negativen Befund, und nur zwei Falle gaben niemals positiven Befund.

Der Vitamin A-Gehalt im Blut ist meist sehr hoch. Trotzdem ergab sich bei den zur Obduktion gelangten Fallen nur ein geringer Vitamin A-Gehalt der Leber. Eine bestimmte Beziehung zwischen dem Vitamin A-Gehalt des Serums und der Leber konnten wir nicht auffinden.

Eine konstante Ausscheidung von Vitamin A findet man vor allem in schweren Fallen mit gesteigertem Reststickstoff, Reti- nitis albuminurica und Tendenz zu hoher Eiweissausscheidung. Eine bestimmte Beziehung zum Eiweissgehalt des Urins besteht jedoch nicht.

Beziiglich der Pathogenese der Vitamin A-Ausscheidung be- tonen wir, dass sie nicht auf der uberschreitung eines gewissen Nierenschwellenwertes beruhen kann, wahrscheinlich auch nicht

b

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U N T ~ R S U C H U N G E N U B E R DAS V I T A M I N A str C H R O N I S C H E N NEPHRITEN. 247

auf einer veranderten Permeabilitat der Niere, sondern vielleicht auf einer Bindung des Vitamin A an pathologische Stoffwechsel- produkte, die veranderte Loslichkeitsverhaltnisse zur Folge hat.

Literatur.

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