ungelöste probleme der forstpathologie—100 jahre nach robert hartig

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UngelSste Probleme der Forstpathologie- 1O0 Jahre nach Robert Hartig ~ Von P. SCHOTT Zu alien Zeiten erhielt die Wissenschai~ ihre Impulse von einzelnen grof~en PersSn- lichkeiten, yon Forschern mit Engagement, ~iberragendem KSnnen und sda~Spferisdaer Phantasie. Sollen deren Ideen Eingang finden in den wissenschafilichen Alltag, miissen sie niJchtern und objektiv, aber mit Akribie und Ausdauer tiber lange Zeit gepriiit, ausgebaut und relativiert werden; alles Aufgaben, fi2r die ganz andere, gewif~ weniger auffallende Begabungen zust~.ndig sind. Diese Fakuh~it gewann mit ihrem ersten Vertreter der forstlidaen Botanik einen Mann, der beide Arten der Begabung in sich vereinte: ROBERT HAs'tin. Seine wissen- schaf[liche Leistung war so umfassend, seine Ausstrahlung so nachhahig, dal~ 1974, genau einhundert Jahre nach dem ersten Ers'cheinen sein Buch ,Wichtige Krankheiten der Waldb~iume ~ in englischer Sprache neu verlegt wurde. ,,In the beginning ROBERT HARTZGsaid, fungi cause decay. Thus forest pathology was born." Dieses vielleicht etwas theatralische Zitat eines bedeutenden amerikani- sdaen Pathologen miSge aufzeigen, dal~ HARTmS Arbeiten und Ideen yon Miinchen aus die Entwicklung eines ganzen Fachgebietes stimulierten. Seine T~tigkeit begriin- dete das iiber ein halbes Jahrhundert andauernde, hohe internationale Ansehen der MLinchner Forstpathologie, ein Ansehen, das seine Nachfolger yon TuBEtrr und MONCrt bewahrten und mehrten. Viel Kluges ist [iber ROS~RT HARTm, den Klassiker dieser Disziplin, geschrieben worden. Obwohl es der Anlaf~ gewi/~ rechtfertigte, einen auf Personen ausgerichteten historisdaen Abril~ der forstlidaen Pathologie vorzutragen, misdate ida mida dieser Versudaung entziehen und start dessen einen auf die Sache gerichteten Situations- vergleich vorstellen, bei dem auch aktuelle Ereignisse Erw~ihnung finden. Lassen Sic mida zuniichst die Sachlage zu HARTmS Zeiten skizzieren. H^RTIGS Arbeitsfeld, der Wald des ausklingenden 19. Jahrhunderts, wich in vieler Hinsicht yon dem ab, was wit heute gewohnt sind, unter Wirtsdaattswald zu verstehen. Nur zu Teilen erschlossen, in Ortsn~ihe groSfl~ichig und extrem genutzt, diente er im wesentlichen der Energiegewinnung. Forstschutzprobleme fanden nur dann Beachtung, wenn sie groflfliidaig und waldbedrohend auftraten. HARTIGS Untersuchungsobjekte, die parasifiiren und die saprophytischen Pilze des Waldes, waren zu seiner Zeit weder in ihrer Vielfah noch in ihrem Aufbau, weder in ihrer Lebensweise noch in ihrer iSkologischen Bedeutung ausreichend bekannt. Wie seine Erstbeschreibungen oder seine ersten griindlidaen Monographien yon Fomes annosus (Trametes radiciperda), Trametes pini (Fomes p.), Peridermium pini, Tri- choscyphella ~oillkommii, Rosellinia quercina und anderen zeigen, liegt HArtTmS wissensdaafkliche Bedeutung zu einem guten Tell gerade in der Inventur forstpatho- gener und holzbewohnender Pilzarten, in der Erfassung ihres Lebensablaufes und ihrer biologisdaen Bedeutung. 1 Vortrag anlg~lich der 100-Jahr-Feier der Forstwissenschai~lidaen Fakuh~it. U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0015-8003/79/9802-0074 $ 02.50/0 Forst~r Cbl. 98 (1979), 74-79 9 1979 Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin ISSN 0015-8003 / ASTM-Coden: FWSCAZ

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Page 1: Ungelöste Probleme der Forstpathologie—100 Jahre nach Robert Hartig

UngelSste Probleme der Forstpathologie- 1 O0 Jahre nach Robert Hartig ~

Von P. SCHOTT

Zu alien Zeiten erhielt die Wissenschai~ ihre Impulse von einzelnen grof~en PersSn- lichkeiten, yon Forschern mit Engagement, ~iberragendem KSnnen und sda~Spferisdaer Phantasie. Sollen deren Ideen Eingang finden in den wissenschafilichen Alltag, miissen sie niJchtern und objektiv, aber mit Akribie und Ausdauer tiber lange Zeit gepriiit, ausgebaut und relativiert werden; alles Aufgaben, fi2r die ganz andere, gewif~ weniger auffallende Begabungen zust~.ndig sind.

Diese Fakuh~it gewann mit ihrem ersten Vertreter der forstlidaen Botanik einen Mann, der beide Arten der Begabung in sich vereinte: ROBERT HAs'tin. Seine wissen- schaf[liche Leistung war so umfassend, seine Ausstrahlung so nachhahig, dal~ 1974, genau einhundert Jahre nach dem ersten Ers'cheinen sein Buch ,Wichtige Krankheiten der Waldb~iume ~ in englischer Sprache neu verlegt wurde.

,,In the beginning ROBERT HARTZG said, fungi cause decay. Thus forest pathology was born." Dieses vielleicht etwas theatralische Zitat eines bedeutenden amerikani- sdaen Pathologen miSge aufzeigen, dal~ HARTmS Arbeiten und Ideen yon Miinchen aus die Entwicklung eines ganzen Fachgebietes stimulierten. Seine T~tigkeit begriin- dete das iiber ein halbes Jahrhundert andauernde, hohe internationale Ansehen der MLinchner Forstpathologie, ein Ansehen, das seine Nachfolger yon TuBEtrr und MONCrt bewahrten und mehrten.

Viel Kluges ist [iber ROS~RT HARTm, den Klassiker dieser Disziplin, geschrieben worden. Obwohl es der Anlaf~ gewi/~ rechtfertigte, einen auf Personen ausgerichteten historisdaen Abril~ der forstlidaen Pathologie vorzutragen, misdate ida mida dieser Versudaung entziehen und start dessen einen auf die Sache gerichteten Situations- vergleich vorstellen, bei dem auch aktuelle Ereignisse Erw~ihnung finden.

Lassen Sic mida zuniichst die Sachlage zu HARTmS Zeiten skizzieren. H^RTIGS Arbeitsfeld, der Wald des ausklingenden 19. Jahrhunderts, wich in vieler Hinsicht yon dem ab, was wit heute gewohnt sind, unter Wirtsdaattswald zu verstehen. Nur zu Teilen erschlossen, in Ortsn~ihe groSfl~ichig und extrem genutzt, diente er im wesentlichen der Energiegewinnung. Forstschutzprobleme fanden nur dann Beachtung, wenn sie groflfliidaig und waldbedrohend auftraten.

HARTIGS Untersuchungsobjekte, die parasifiiren und die saprophytischen Pilze des Waldes, waren zu seiner Zeit weder in ihrer Vielfah noch in ihrem Aufbau, weder in ihrer Lebensweise noch in ihrer iSkologischen Bedeutung ausreichend bekannt. Wie seine Erstbeschreibungen oder seine ersten griindlidaen Monographien yon Fomes annosus (Trametes radiciperda), Trametes pini (Fomes p.), Peridermium pini, Tri- choscyphella ~oillkommii, Rosellinia quercina und anderen zeigen, liegt HArtTmS wissensdaafkliche Bedeutung zu einem guten Tell gerade in der Inventur forstpatho- gener und holzbewohnender Pilzarten, in der Erfassung ihres Lebensablaufes und ihrer biologisdaen Bedeutung.

1 Vortrag anlg~lich der 100-Jahr-Feier der Forstwissenschai~lidaen Fakuh~it.

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0015-8003/79/9802-0074 $ 02.50/0 Forst~r Cbl. 98 (1979), 74-79 �9 1979 Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin ISSN 0015-8003 / ASTM-Coden: FWSCAZ

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Ungel6ste Probleme der Forstpatbologie - - 100 ]abre nacb Robert Hartig 75

HA~.TIGS Handwerkszeug war das einfache Experiment, die exakte Beobachtung und schlieflich die Beschre~bung, verbunden mit einer minutiiSsen zeichnerischen Wiedergabe. Wenig leistungsf~ihige Mikroskope dienten als einziges technisches Hilfs- mittel.

Fassen wir zusammen: ROBERT HARTIO arbeitete in einer Zeit, in der die Unzu- g~inglichkeit der Wiilder, ihre wenig pflegliche, oit grot~fl~ichige Nutzung und ihre haupts~ichliche Verwendung als Brennmaterial den Blick fiir phytopathologische Ereignisse erschwerten. Eine Zeit, in der pilzliche Schaderreger nut unzul~inglich beschrieben, in ihrer Biologie und Bedeutung weitgehend unbekannt waren und in der schliefllich die wissenschattliche Arbeit auf scharfsinnige Vergleiche, exakte Beob- achtungen und einfache, apparativ kaum unterstiitzte Experimente angewiesen war.

DaB unter diesen Voraussetzungen Ergebnisse erzielt wurden, die noch heute ihre volle Giiltigkeit haben, verdient zu Recht unsere Bewunderung. Sollte - - und das ist eine Frage mit einem leicht provokatorischen Hintergrund - - dariiber hinaus vielleicht sogar der Umkehrschlu~ zul~issig sein, daft die wirklich grofen Erfolge der forstlichen Pathologie seit den Tagen HARTIG$ und TuB~uFs ausgebliebea sind?

Nun, seit diesen Zeiten haben sich viele Bedingungen so grundlegend ver~indert, dab man ziSgern sollte, Vergleiche iiber Jahrzehnte hinweg anzustellen. - - Der Waldzustand hat sich verbessert: bessere Pflege, viSllige Erschlief~ung, selektive

Nutzung. - -Ho lz wird fiir zahlreiche Verwendungszwecke genutzt -- und erzogen. Der

Qualit~itsbegriff entstand und er lenkte die Aufmerksamkeit auf den Einzelbaum. - - Der Wald wird als biozoenotische Einheit, als ESkosystem betrachtet, in das Mikro-

organismen einschlieflich Pathogene integriert sind. --Technisch-apparativer Fortschritt f~ihrte zur Entdeckung neuer Erregergruppen:

Bakterien, Viren, Mykoplasmen, Nematoden. --St[irmische Entwi&lung in der Analytik erm/Sglichte tiefe Einblicke in die stoff-

lichen Zusammenhiinge physiologischer, pathologischer und symbiontischer Vor- giinge.

- -Die Genetik entstand. Sie macht es mSglich, dab wir heute die Resistenz nutzen und die Disposition beachten.

Alles in allem vollzog rich demnach auch in der forstlichen Pathologie zvcangsl~iufig der Schritt yon einer deskriptiven zu einer experimentellen, ursachenbezogenen Diszi- plin. Automatisch vergriSferte sich nicht nur die Anzahl der erkennbaren pathologi- schen Objekte, sondern es wurden Einblicke m/Sglich in ein mehrdimensionales Bezie- hungsgefiige zwischen Wirt und Parasit, in das zahlreiche ~Skologische und genetische Parameter in verwirrender Weise modifizierend eingreifen. Vor diesem Hintergrund liift rich verstehen, warum HAR'rIGs Forstpathologie nur einen Tell dessen abde&en konnte, was heute das Charakteristikum dieses Faches ausmacht:

Eingebettet ia die komplexe Wissens.chafi vom Wald, in der man nur noch mit Miihe die klassischen Sparten Waldbau, Standortskunde, Forstbotanik oder Forst- schutz voneinander abzutrennen vermag, wurde die forstliche Pathologie allmiihlich yon einem deskriptiven Nebenfach zu einer zentralen Disziplin der Walderhaltung.

Es liegt auf der Hand, daf~ eben diese Aufgabe der Walderhaltung in modernen Industriegesellschaften einen besonders hohen Stellenwert einnimmt. Wenn auch die sterberxden W~ilder in Gebieten hoher Immissionskonzentration haupts~ichlich dem Verantwortungsbereich yon Politik und Technik zuzuordnen sind, so schaffen ganz generell nicht biogene Substanzen in zunehmendem Male neue und bedrohliche pathologische Situationen. Tells ist es erwiesen, tells hochwahrscheinlich, daft die permanente Einwirkung relativ schwacher Luftverunreinigungen die Krankheits- disposition yon Waldb~umen erhiSht. Gleiches gilt fiir die Applikation mancher Herbizide.

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76 P. Sd2iiee

Ungel/Sste Probleme der forstlichen Pathologie gehen aber nicht allein auf die Einwirkungen neuer, mit der Industrialisierung verbundener Fremdstoffe zuriick. Es gibt vielmehr andere, uns seit Jahrzehnten wohlvertraute konservative Krankheits- erscheinungen, die sich unter Anwendung simpler Ursache-Wirkung-Modelle nicht ausreichend erkl~iren lassen. Wieder andere, ebenfalls wirtscha~lich gravierende Krankheiten entziehen sich seit langem einer genauen wissenscha~lichen Erfassung und find (auch) deshalb mit Bek~impfungsmaBnahmen nur unvollkommen erreichbar.

Im ersten Fall find die sog. Komplexkrankbeiten gemeint, Erscheinungen, die fast ausschlief~lich in :W~ildern vorkommen und die als Buchenrindentod (Schleimfluflkrank- heir) und als Tannensterben in mehreren L~.ndern Europas grassieren. Ihr Kenn- zeichen ist das Ineinandergreifen mehrerer Krankheitsursachen, die sowohl abiotischer (d. h. klimatischer oder stand/Srtlicher), als auch mikrobieller oder zoologischer Her- kunflt sein k6nnen.

Komplexkrankheiten treten periodisch auf; ihre H~iufigkeitsmaxima lassen rich z. T. bis in die Mitre des vorigen Jahrhunderts zuriidiverfolgen. Gerade diese Beson- derheit war allerdings einer gr~indlichen Bearbeitung der Krankheitgursachen eher hinderlich, denn sie fi~hrte zu dem gleichermaflen weisen wie bequemen, gewifl aber wenlg progressiven Standpunkt, daft Waldkrankheiten yon alleine kommen, gl/.idi- licherweise abet auch yon alleine wieder verschwinden.

Mit rein deskriptiven Arbeitsverfahren w~ire diesem Ph~inomen ohnehin nicht beizukommen. Abet auch nach Anwendung moderner Untersuchungsmethoden sind wit uns im Falle des Buchenrindentods bis heute nicht im klaren, welches Ereignis als erster krankheitsdisponierender Schritt im Ursachengefiige anzusehen ist. Wir wissen aul~erdem nicht, o6 Cryptococcus fagi, die Buchenwollschildlaus, separat oder nur in Kombination mit rindenbewohnenden Nectria-Pilzen die Buchenrinde zum Absterben bringen kann oder ob dieser Effekt - - unter gewissen Voraussetzungen - - yore Pilz alleine vollzogen wird. R~itselhalt ist schlieglich auch die geradezu explosive Abbaugeschwindigkeit durch Weif~f~iuleerreger. Diese ktSnnen im Verlauf des letzten, wirtschafilich besonders gravierenden Stadiums des Buchensterbens das Holz rinden- kranker Altbuchen in weniger als einem Jahr bis zum totalen Strukturverlust zer- setzen. Fazit: Das Buchenrindensterben, die einzig ernst zu nehmende Krankheit in Buchenaltbest~inden, ist uns wohl in seinen Symptomen gel~ufig, welt weniger jedoch in der Ursachenfolge und schon gar nicht in bezug auf die ausl/Ssenden Ereignisse.

Geradezu hilflos stehen Praxis und Wissensdaatt indessen dem Tannensterben gegeniiber, einer Krankheit, die derzeit in weiten Teilen des Weif~tannenareals n~Srd- lich der Alpen erhebliche Verluste anrichtet und die - - zumindest iSrtlich - - die weitere Existenz yon Abies alba/iberhaupt in Frage stellt. Auch bier scheinen mehrere Krankheitsursachen abiotischer und biotischer Herkun~ gleichzeitig oder in Abfolge anzugreifen. Wann, wo, unter welchen Voraussetzungen und dutch wen diese Attacken geschehen, das vermuten wir mehr als daf~ wit es wissen. In dieter Hinsicht hat rich seit 100 Jahren wenig ge~indert und der Praktiker ist gezwungen, seine Forstschutzt~itigkeit auf die Enmahme der Kranken und Toten zu beschfiinken.

Gerade hier, am Beispiel des Tannensterbens, l~it~t sich aber auch der Unterschied zwischen der forstlichen Pathologie unserer Tage und jener zu RoB~rcr HART~OS Zeiten demonstrieren. Erfolgreich, wenn es sich um die Aufkl~irung pathologischer Ereignisse handelt, bei denen ein bestimmter Erreger angreitt und eindeutige, nur auf seine Aktivifiit zuriickzuf~ihrende Schadenssymptome hervorruf~, werden die Ergeb- nisse desselben Fad~es liickenhait und unbefriedigend, wenn das Krankheitsbild komplexen Ursprungs ist, wenn es sich also um ein mehr /Skologisches als patholo- gisches Ereignis handelt. Sagen wires konkreter: Noch vor 50 Jahren hielt man das Tannensterben vornehmlich f/.ir die Folge waldbaulicher oder standortlicher Fehl- entscheidungen, d. h. man fiihrte das Schadbild gem auf eine Ursache oder Ursachen-

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gruppe zuriick. Sp~iter sprach man yon einem unbekannten Prim~irereignis und mSg- lichen, darauf folgenden Sekund~irschiidlingen, zu denen man Hallimasch, Dreyfusia- Arten oder rindenbewohnende Pilze z/ihlt. Heute muf~ nach Auffassung der Fachleute experimentell iiberprLiit werden, ob am Ursachenkomplex des Tannensterbens fol- gende Einfliisse entscheidend beteiligt sind: Klima und Standort - - StSrungen des Wasserhaushaltes - - chronische Lufiverunreinigungen (dutch Ferntransport) - - Insek- ten - - Pilze - - Bakterien - - Viren und schliei~lich sogar StSrungen der Mykorrhiza.

Komplexkrankheiten folgen offenbar eigenen Gesetzen. Sie lassen sich - - das ist unsere Auffassung - - nur dutch konsequente Koordinierung der beteiligten Fach- gebiete erfolgversprechend bearbeiten.

Lassen Sie reich noch einmal resfimieren: Wichtige Probleme der Forstpathologie unserer Tage lassen rich mit deskriptiven Methoden nicht erfolgreich bearbeiten. Eine verwirrende Vielfalt yon Untersuchungsmethoden ermSglicht es, selbst die stoff- lichen Ursachen des Krankheitsgeschehens experimentell zu kl~iren. Dennoch gehSren sog. Komplexkrankheiten, an deren Zustandekommen mehrere Schadensursachen beteiligt find, zu den ungelSsten, wirtschaitlich fiihlbaren Problemen unseres Faches. Flit ihre erfolgreiche Bearbeitung ist das Ineinandergreifen verschiedener Fachgebiete die wichtigste Voraussetzung.

Eines der angekiindigten ungelSsten forstpathologischen Probleme unserer Zeit wurde noch nicht besprochen. Es ist zugleich das gewichtigste, das am weitesten ver- breitete und das am intensivsten bearbeitete: die Rotf~iule der NadelhSlzer, in unse- rein Lande vornehmlich als Fichtenrotf~-iule gefLirchtet.

Schon ROS~RT HARTIG beschrieb Fomes annosus, den bedeutendsten von mehreren mSglichen Erregern dieser Krankheit unter dern Namen Trametes radiciperda. Damals als einer von vielen holzzerstSrenden Polyporaceen an Koniferen betrachtet, ist er heute weltweit der Forstsch~.dling Nr. 1, der Jahr fiir Jahr an fast allen Nadelholz- arten Verluste yon insgesamt vielen Millionen Mark hervorru~, dessert Lebensweise wir abet dennoch nicht genau genug kennen, um in absehbarer Zeit eine wirkungs- volle, wirtschafiliche und 5kologisch akzeptable Bek~impfungsmethode entwickeln zu kSnnen.

Vieles deutet darauf hin, daft die Rotf~iule auch in unseren W~ildern zugenommen hat und welter zunehmen wird. Daran haben neben anderen Einfliissen auch die hohen Sch~,ilsch/iden und die mit der steigenden Mechanisierung verbundenen Stamm- und Wurzelverletzungen ihren Anteil.

Nach allem was wir wissen, ist Fomes annosus oftenkundig ein aul~erordentlich vitaler, hinsichtlich seiner Lebens- und Infektionsweise uugewShnlich anpassungs- f~ihiger Pilz, der die Fichte auf drei Wegen bef~illt: - - unterirdisch fiber Wurzelwunden; - - oberirdisch fiber Stammwunden; - -obe r - und unterirdisch, ausgehend yon frischen Stockoberfliichen, vordringend in

das Wurzelsystem des befallenen Stockes und fiber Wurzelfusionen einwachsend in das Wurzelsystem gesunder Fichten.

Realistisl:he Bek~impfungsmSglichkeiten bestehen zur Zeit nut in der Blockierung des dritten Weges. Hier hat man in Grol~britannien, ausgehend yon den Arbeiten Dr. RISHBETHS eine gleichermaflen originelle wie biologisch unbedenkliche Bek~.mpfungs- methode entwickelt, yon der im anschlieigenden Vortrag die Rede sein wird.

Die beiden anderen Infektionswege stehen dem Pilz nach wie vor often, und es sind nicht einmal Ans~itze zur Entwicklung einer praktikablen Bek~impfung zu erkennen. Auch die yon mancherlei Hoffnungen begleitete Resistenzzfichtung gegen Rotfiiule stSf~t auf erhebliche methodische Schwierigkeiten. Das beginnt bei der Selektion widerstandsf~ihiger Individuen, die mangels/iu~erlich erkennbarer Schadens- symptome nur auf relativ komplizierten Umwegen zu bewerkstelligen ist. Das liegt

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78 P. Schiitt

auda an der genetischen Vielfalt des Erreget;s, der allem Anschein nach in zahlreiche Biotypen unterschiedlidaer Nahrungsanspri2che, unterschiedlidae~" Klima- und Stand- ortsabh~ingigkeit und auda unterschiedlidaer Pathogenit~it zerf~llt und es liegt nidat zuletzt an einer Phasendisposition der Fichte, die im jungen Alter nut mit grof~er M~ihe mit Fomes infiziert werden kann. Nachkommensdaat~spriifungen werden aus diesem Grunde zum Problem. Aus allen diesen GriJnden bietet es rich an, verst~irkt nada biodaemisdaer/, histologisdaen, physiologisdaen oder mikrobiellen Ur~achen der Fomes-Resistenz zu fahnden, wobei manche Fadaleute damit rechnen, daf~ es durdaaus m e ' e r e auf versdaiedenen Mechanismen beruhende Formen der Resistenz neben- einander geben k~Snnte. Alle diese Hindernisse, zusammen mit einem liickenhaften Wissen iiber das Infektions- und Besiedelungsverhalten yon Fomes annosus im Boden erkF, iren, warum es mit unseren Hoffnungen auf eine wirksame Abwehr der Rotf~iule nidat zum besten steht.

Diese Situation ist gleichermagen merkwi2rdig und entmutigend. MerkwiJrdig, well gerade jene Waldkrankheit, die weltweit Jahr fiJr Jahr viele Millionen Festmeter des immer knapper werdenden Rohstoffes Holz vernidatet, rich praktisda ungehindert entwickeln kann. Entmutigend aber insofern, als das kleine H'~iuflein forstpatholo- gischer Spezialisten, das rich seit Jahren in vielen L~ndern der Erde bemLiht, dieses sehr diffizile und komplexe Problem einer LSsung niiherzubringen, ohne ein klares verbindendes Konzept und ohne ein namhaftes Mehr an finanziellen und personellen MSglidakeiten kaum Aussidat haben wird, entscheidende Erfolge zu erringen.

Die Forstpathologie hat sida im Laufe der letzten 100 Jahre yon einer beschrei- benden zu einer experimentellen Wissenscha~ entwickelt. Angesichts der zunehmenden Aufgabenfiille und in Anbetradat der Komplexitiit der anstehenden Probleme, die in keinem der benadabarten Gebiete der Landbauwissenschaften ihresgleidaen hat, f~llt den Hichern des Forstsdautzes mehr und mehr die Aufgabe der Walderhaltung zu. Die ErfiJllung dieser Aufgabe ist allerdings nur dann m/Sglich, wenn die Pathologen allerorts in die Lage versetzt wi.irden, die yon ihren Vorgiingern iJbernommenen langfristigen Aufgaben mit modernen Methoden und mit vermehrten Kr~.ften in Angriff zu nehmen.

Der Blick zuriJck auf die in den Festvortr';igen hochgelobten Leistungen der Forst- wissensdaafc hil& hier nur wenig. Fi~r die Gebiete des Waldsdautzes ist es hohe Zeit, nachdriicklida darauf hinzuweisen, daft die groBen, noch immer oftenen Probleme dieses Fadaes h6dast komplexer Natur sind und rich nur schwer iibersdaauen lassen. Ihre LSsung - - wie seit 100 Jahren - - dem Sdaarfsinn einiger weniger, isoliert von- einander arbeitender Spezialisten zu i~berlassen, muB zu Enttiiuschungen und Rtick- schl~igen fiihren. Wenn die Sdalagworte unserer Zeit wie Koordinierung, Integration, internationale Zusammenarbeit, multilaterale Aktivit~,iten und dergleichen mehr irgendwo einen Sinn haben, dann hier. Die Pathologen alleine kiSnnen nicht viel ausridaten. Deswegen wiJnschte ida.mir, dab zumindest einige der in diesem Audi- torium Anwesenden genug Einsicht und genug Einfluf~ hiitten, die wissensdaa~s- politisdaen Weidaen so zu stellen, dab Forstpathologie und Waldschutz die ihnen iJbertragenen Aufgaben in der Zukunfi wieder erfiillen kiSnnen.

Zusammenfassung

Die Forstpathologie zur Zelt ROBERT I-'tARTIG$ arbeitete notgedrungen deskriptiv, denn sie verfiigte tiber geringe experimentelte M~glichkeiten. Heute erlaubt uns die Anwendung moderner naturwissensdaaftlicher Methoden tiefer gehende Untersuchun- gen tiber das Beziehungsgefiage zwischen Wirt und Parasit. Dennoch gelang es bisher

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Waldscb~tz gegen Raupenplagen -- gestern, heute und morgen 79

nicht, die Ursachen yon Komplexkrankheiten wie Buchen-Rindennekrose oder Tan- nensterben aufzuhellen.

Selbst die Rotf~iule der Nadelbiiume, weltweit der Forstschi/dling Nr. 1, ist in vielen L~/ndern nicht wirkungsvoll zu bek~.mpfen. Ans~itze zu ihrer ziichterischen Abwehr versprechen ebenfalls noah wenig Erfolg. Abhilfe erscheint nur erreichbar durch eine erhebliche Steigerung der wissenschafilichen Aktivitiiten und eine konkrete Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit.

Summary

Open problems o] ]orest pathology - - I00 years after Robert Hartig

Forest pathology at the time of Ron~xT HARTXC necessarily worked with descriptive methods, because there were only few possibilities for experiments. Modern scientific researdl methods applied today permit further-reaching investigations into the inter- relationship between host and parasite. Nevertheless has it not been possible as yet to shed light on the cause of complex diseases such beech bark disease or silver fir dieback.

Even root rot of conifers, the foremost forest pest of the world, cannot be con- trolled effectively in many countries. The genetics approach to this problem, too, has thus far shown little hope for success. Relief seems possible only through con- siderable increase of researda activities and definite improvement of international cooperation.

Anschrifl des Ver[assers: Prof. Dr. P. SCHO~r, Forstbotanisdaes Institut, Amalienstrafle 52, D-8000 Mtinchen 40

Waldschutz gegen Raupenplagen - - gestern, heute und morgen

'Von W. SCHWENKE

In den Jahren 1890 und 1891 wurden gro~e Teile der oberbayerischen Fichtenbest-~inde yon einem starken Nonnenraupenfral~'heimgesucht. Den Schwerpunkt bildete der 8000 ha grofle Ebersberger Forst bei Miinchen, der auf fast 3000 ha yon den Raupen kahlgefressen und damit vernichtet wurde und auf weiteren 2000 ha starken Lichtfrat~ erlitt. Der Schadholzanfall betrug rund 11/2 Mill. Festmeter.

Die damaligen verzweifelten Bemiihungen, des Sch'.'idlings Herr zu werden, muten uns heute zum Tell grotesk an. So wurden u.a. im Ebersberger Forst mehr als 170 000 m Raupengriiben ausgeworfen und fast 14 000 kg Raupenleim verstrichen, woftir 34 000 m Leimstangen und 6500 m Leimbretter erforderlich waren (RoHMEDER 1933). Mit Tausenden yon Pech- und Magnesium-Fackeln wurde versucht, die Falter nachts anzulocken und zu vernichten.

Uber den Einsatz eines mit elektrischem Licht gekoppelten Exhaustors, einer Erfin- dung des Abgeordneten BIXK, gab ADOr.F PAULY (1891) foigenden Bericht:

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0015-8003/79/9802-0079 $ 02.50/0 Forstvr Cbl. 98 (1979), 79-87 �9 1979 Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin ISSN 0015-8003 / ASTM-Coden: FWSCAZ