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Wolfgang Abendroth - Wissenschaftlicher Politiker

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Uli

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  • Wolfgang Abendroth -Wissenschaftlicher Politiker

  • F riedrich-Martin Balzer, Hans Manfred Bock, Uli Schler (Hrsg.)

    Wolfgang Abendroth Wissenschaftlicher P oli tiker Bio-bibliographische Beitrge

    Leske + Budrich, Opladen 2001

  • Gedruckt auf alterungsbestndigem und surefreiem Papier

    Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz fr diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhltlich.

    ISBN 978-3-8100-3135-8 ISBN 978-3-663-05699-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-05699-7

    2001 Leske + Budrich, Opladen

    Das Werk einschlielich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Ver-werrung auerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustim-mung des Verlages unzulssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr Vervielfltigun-gen, bersetzungen, MikroverfIlmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

  • Vorwort

    Wolf gang Abendroth (2.5.1906-15.9.1985) hat fr rund sechs Jahrzehnte in intensiver Weise am politischen Leben in Deutschland teilgenommen. Von Mitte der zwanziger Jahre bis zu seinem Tod war sein Engagement sowohl kritisch reflektierender als auch praktisch-organisatorischer Art. In den vier Nachkriegsjahrzehnten stand er als ein in die politischen und sozialen Auseinandersetzungen eingreifender Wissenschaftler, der am Marxismus als Methode historischer und gesellschaftswissenschaftlicher Analyse festhielt, die meiste Zeit im Lichte der ffentlichkeit. In der Bundesrepublik Deutschland stie er bei seinen politischen Gegnern auf leidenschaftliche Ablehnung und Kritik, whrend er bei seinen unter-schiedlichen Adressatenkreisen in der Linken nachhaltiges Interesse und anhaltende Wirkung fand. Nach seinem Tod und nach dem Zusammen-bruch der staatssozialistischen Systeme in der Sowjet-Union sowie in den ost- und mitteleuropischen Lndern wurde es indes merklich still um Abendroths Leben und Werk. Vereinzelt gibt es gar Versuche, die Bilanz seines Lebenswerkes der Konkursmasse dieses Zusammenbruchs zuzuschlagen.

    Die drei Herausgeber sind davon berzeugt, dass diese Rechnung nicht aufgehen wird. Sie meinen, dass wir in Deutschland ber viel zu wenig radikale, demokratische Traditionen verfgen, um auf das Beispiel und den Ertrag des Lebenswerkes von Wolf gang Abendroth verzichten zu knnen. Jeder der Herausgeber hat seine eigenen Grnde, sich mit Abendroths Erbe zu befassen. Zur Entstehung des gemeinsam vorge-legten Sammelbandes gehrt es, dass sich die Herausgeber als Autoren von frheren Teilbibliographien des Werkes von Wolfgang Abendroth gefunden haben. Als solche zeichnen sie - bei aktuell unterschiedlichen Arbeitsanteilen - fr die vorgelegte erste Gesamtbibliographie und die Sekundrbibliographie gemeinsam verantwortlich.

  • Die Pluralitt ihrer Wertschtzung Abendroths ist in dessen politi-scher und wissenschaftlicher Entwicklung selbst angelegt. Sie spiegelt sich in der Auswahl der in diesem Buch versammelten Texte, die von den Herausgebern einvernehmlich vorgenommen wurde. Dabei stand das Bemhen im Vordergrund, ein breites Spektrum kritischer Wrdi-gungen hervortreten zu lassen. Sie haben aber auf den (Neu-)Abdruck berwiegend polemischer Stellungnahmen verzichtet (die gleichwohl in der Sekundrbibliographie - Kapitel III.3 - miterfasst sind). Die Breite der kritischen Urteilsbildung, die Dokumentation der akademischen Ausstrahlung Abendroths (Gruppenbiographie seiner Doktoranden) und die beiden Bibliographien sollen dazu beitragen, die Diskussion ber Wolfgang Abendroth neu zu beleben und zu versachlichen. Einer noch zu schreibenden Biographie ist damit nicht vorgegriffen, wohl aber der Weg bereitet. Gerade in einer Zeit, die von allen kritischen Geistern verlassen zu sein scheint, ist ein aktuelles Interesse am Leben und Den-ken Abendroths, wie es angesichts seiner politik-, wissenschafts- und intellektuellengeschichtlichen Prsenz in den hier vorliegenden Studien und Materalien dokumentiert ist, mehr als gerechtfertigt.

    Das vorliegende Buch, das im Jahr des fnfzigjhrigenJubilums der Grndung des politikwissenschaftlichen Instituts in Marburg erscheint, konnte nur auf grund der Bereitschaft der Autoren zustande kommen, die Einwilligung fr den Neuabdruck ihrer Aufstze zu geben bzw. einen Neubeitrag zu schreiben. Fr dies freundliche Entgegenkommen der Autoren danken die Herausgeber hiermit. Dank und Anerkennung ver-dienen auch die politikwissenschaftlichen Kollegen, die in Marburg und an anderen Universitten mit zahlreichen Detailausknften hilfreich wa-ren. Dank fr die technische Realisierung des Buches gebhrt nicht zu-letzt Brigitte Karch (Kassel), die Teile des Manuskripts geschrieben, und Carla Albrecht (Kassel), die die Verantwortung fr die Erstellung des Typoskripts bernommen hat.

    Friedrich-Martin Balzer, Marburg Hans Manfred Bock, Kassel Uli Schler, Berlin

  • Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Einleitung Uli Schler: Wolf gang Abendroth - Fragen an einen politischen Lebensweg...... ............. ................ .................... ....................... ......................... 11

    I. Biographische Beitrge ..................................................................... 47

    1.1 Der Verfassungsrechtler ........................................................................ 49

    Peter Rmer: Demokratie als inhaltliches Prinzip der gesamten Gesellschaft. Wolf gang Abendroths Beitrag zur Verteidigung demokratischer Positionen in der Bundesrepublik Deutschland........... 49

    Jrgen Seifert: Demokratische Republik und Arbeiterbewegung in der Verfassungstheorie von Wolfgang Abendroth .............................. 73

    Hehnut Ridder: Der Jurist Wolf gang Abendroth ..................................... 85

    Karl-Heinz Schneburg: Wolf gang Abendroth: Kein staats- und rechtstheoretischer Nekrolog ....................................................................... 95

    Norman Paech: Wertewandel oder Strukturvernderung. Wolf gang Abendroths Stellung in der gegenwrtigen Demokratiedebatte ........... 109

    1.2 Der politische Soziologe ...................................................................... 123

    Kurt Lenk: Zur politischen Soziologie bei Wolf gang Abendroth ....... 123

    Karl Hem1ann Tjaden: Die Bedeutung der ,Wissenschaft von der Politik' Wolf gang Abendroths ..................................................... 127

    7

  • Joachim Perels: Marxismus in der Restaurationszeit... .......................... 138

    J rg Kammler: Abendroth, Abendroth-Schule und die Marburger "Einfhrung in die Politische Wissenschaft" .......................................... 144

    Helga Grebing: Wolf gang Abendroth als Historiker der deutschen Arbeiterbewegung ........................................................................................ 157

    I.3 Der politische Intellektuelle ................................................................ 165

    Jrgen Habermas: Wolf gang Abendroth in der Bundesrepublik ......... 165

    Arno Klnne: Einer, der sagte, was andere nicht sagen wollten oder konnten ................................................................................................. 172

    Oskar Negt: Sozialist in drftiger Zeit: Was die Linke von Wolf gang Abendroth lernen knnte!........................................................ 178

    Frank Deppe: Ein Leben in der Arbeiterbewegung ............................... 186

    Richard Lwenthal: Erinnerungen an Wolfgang Abendroth ............... 195

    Jakob Moneta: Ein marxistischer Intellektueller verwurzelt in der Arbeiterbewegung ............................................................................. 201

    Georg Flberth: Freundlich, bitter und fremd ........................................ 212

    Hans Manfred Bock: Ein unangepater Marxist im Kalten Krieg. Zur Stellung Wolf gang Abendroths in der Intellektuellengeschichte der Bundesrepublik ...................................................................................... 216

    Ir. Bio-bibliographische Beitrge zu den Doktoranden Wolfgang Abendroths.......................................................................... 269

    II.1 Hans Manfred Bock: Akademische Innovation in der Ordinarien-Universitt. Elemente einer Gruppenbiographie der Abendroth- Doktoranden................................................................... 271

    II.2 Hans Manfred Bock, J oachim Klein: Karrieremuster und Praxis felder der von Wolfgang Abendroth promovierten Politikwissenschaftler.................................................................................. 289

    8

  • III. Bibliographische Beitrge.......................................................... 321

    III.1 Friedrich-Martin Balzer: Wolfgang Abendroth. Bibliographisch-biographische Anmerkungen........................................ 323

    III.2 Friedrich-Martin Balzer, Hans Manfred Bock, Uli Schler: Werkbibliographie. Gesamtverzeichnis der Schriften Wolfgang Abendroths ................................................................................. 345

    III.3 Friedrich-Martin Balzer, Hans Manfred Bock, Uli Schler: Lebensspuren. Verzeichnis von Schriften ber Wolf gang Abendroth ................................................................................. 475

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  • Einleitung

    UIi Schler

    Wolfgang Abendroth - Fragen an einen politischen Lebensweg

    Was wissen wir von, ber Wolf gang Abendroth? Eine Menge, wie im vorliegenden Band unschwer nachvollzogen werden kann. Sein Nachlass ist im Amsterdamer Institut ausgezeichnet erschlossen 1, die hier vorge-legte Gesamtbibliographie drfte nur noch wenige Lcken enthalten2, erstmals wird auch das umfangreiche Schrifttum ber das politische und wissenschaftliche Wirken Abendroths zugnglich gemacht - eine Reihe der wichtigsten Aufstze daraus, die verschiedene Stationen seiner politi-schen Ttigkeit beleuchten, werden im Anschluss vorgestellt. Schlielich hat er selbst in einem immer noch spannend zu lesenden autobiographi-schen Interviewband ausfhrlich zu seinem politischen Werdegang Stel-lung genommen.3

    Aber, so mein Eindruck, wir wissen erstaunlich erweise eine ganze Menge nicht, oder nur bruchstckhaft, was mglicherweise eine Ursache mit dafr ist, dass es in den letzten zehn Jahren eher still um Wolfgang Abendroth geworden ist, im brigen selbst in Bezug auf alle diejenigen, die sich lange doch sehr stolz als seine Schler bezeichneten. Deshalb fllt auch bei vorliegendem Band auf, dass eine ganze Reihe von Beitr-gen aus der Mitte der achtziger Jahre stammen, insbesondere anlsslich seines Ablebens geschrieben wurden (und uns deshalb sicher hie und da wenigstens in der Diktion, vielleicht aber auch in ihrer Themensetzung

    VgJ. Haag, Jaap, Inventar des Nachlasses von Wolf gang Abendroth (1906-1985). 1923-1987 (-1995). Internationales Institut fr Sozialgeschichte, Amsterdam 1995.

    2 Wenig erschlossen bleibt aber weiterhin das weite Feld der brieflichen Korrespon-denzen Abendroths.

    3 Abendroth, Wolf gang, Ein Leben in der Arbeiterbewegung. Gesprche, aufgezeich-net und herausgegeben von B. Dietrich und J. Perels, Frankfurt/M. 1976.

    11

  • wohl unvermeidlich schon etwas "veraltet" erscheinen). Schauen wir ge-nauer hin.

    Wie ein roter Faden durchzieht nahezu alle biographischen Wrdi-gungen Abendroths die sicher zutreffende Beobachtung, dass fr ihn die Spaltung der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, wie er sie in der Weimarer Republik, in der Zeit des Hitlerfaschismus und des Zweiten Wel&..rieges erlebte, zum prgenden biographischen Eindruck wurde. Seitdem hat er sich unablssig dafr eingesetzt, "dass die ver-schiedenen Strmungen der Arbeiterbewegung in der Auseinanderset-zung mit dem Kapitalismus, vor allem in der Auseinandersetzung mit den - vor allem in Perioden der Wirtschaftskrise verstrkten - Gefahren des Abbaus der Demokratie und der Sozialstaatlichkeit zusammenwir-ken."4

    Gerade dann, wenn man dies - was ich fr unbestreitbar erachte -als eine wesentliche Leitorientierung Abendroths betrachtet, mutet es um so erstaunlicher an, dass eine ganze Reihe seiner persnlich-politischen Weichen stellungen immer noch in einer gewissen nebulsen Undeut-lichkeit verblieben ist. Dies im Sinne von Fragestellungen herauszuar-beiten, soll ein wesentlicher Impuls dieses Einleitungsbeitrages sein, der deshalb notwendigerweise subjektiv gewhlte Schwerpunkte setzen muss (schlielich wissen wir ber andere Phasen durchaus eine Menge). Aller-dings geben ja auch die nachfolgenden Beitrge einen breit gefcherten Gesamtberblick ber das politische Wirken Abendroths.

    Bevor wir uns seinem politischen Lebensweg zuwenden, sei noch eine weitere V orberlegung gestattet - die Frage nmlich, wie es dazu kommt, dass auch er selbst gewisse Nahtstellen seiner politischen Bio-graphie seltsam undeutlich und unbeleuchtet lsst (wir werden darauf noch anhand einiger Passagen des genannten autobiographischen Ban-des stoen). Ich kann hier nicht mehr als erste Annherungen an einen Begrndungszusammenhang liefern. Zum einen erscheint es mir in die-sem Zusammenhang bedeutsam zu sein, dass die Maxime, nicht von der, sondernfor die Arbeiterbewegung zu lebenS, geradezu zu einer Lebens-maxime fr Abendroth geworden ist. Dies schloss und schliet aber zu-gleich ein, die eigene Person (und ihr Erleben) immer hinter das Ganze, die Bewegung, die Organisation, die Partei zurckzunehmen. Aus die-sem Gesichtspunkt problematisiert er das Aufsteigen in Spitzenpositio-

    4 Deppe, Frank, Wolf gang Abendroth, in: druck + papier H. 21/1985, S. 31. 5 Abendroth, Wolf gang, Ein Leben ... , a.a.O., S. 14.

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  • nen, weil es die Sichtweise verndern kann. Zugleich erleichtert die be-schriebene Haltung zwar die Identifikation mit der Bewegung, macht aber unabhngig von den Wendungen der politischen Fhrungen. Sie ermglicht dabei zugleich die kritische Aufarbeitung der eigenen Fehler. Immer wieder Hillt in den autobiographischen Gesprchen des Bandes auf, dass er nur kurz bei der Schilderung eigener Erlebnisse und Aktivi-tten verharrt, um dann doch ausfhrlicher zur retrospektiven Erklrung und Einschtzung berzugehen. Die Person tritt in den Hinter-, das Ge-schehen in den Vordergrund. Auf diesem Wege gehen aber vielfach auch Motivationen verloren, die mglicherweise - auf grund nochmaliger historischer Erfahrungen eine ganze Generation spter - neue Erkl-rungskraft besitzen bzw. neue Erkenntnisprozesse in Gang setzen knn-ten.

    Zum anderen weist Abendroth an derselben Stelle auf etwas hin, das wir zwar in nahezu allen Wrdigungen seiner eigenen Person Hnden, das aber in seinen eigenen sonstigen "historisch-materialistischen" Abhand-lungen ber Personen und Politik allenfalls eine stark untergeordnete Rolle spielt: das Verhltnis von Politik, Person und Moral. berall kn-nen wir nmlich - bei ansonsten schrfster Kritik an Abendroth - lesen, welch beeindruckende moralische Integritt er zeitlebens vermittelt hat.6 Er selbst fhrt an dieser Stelle aus: "Diese Einstellung ... ist eine eigen-artige politische, aber gleichzeitig auch eine moralische Position. Gerade fr die ersten Generationen der Arbeiterbewegung ist der politische Kampf auch eine Sache der Moral. Er konstituiert eine Gegenmoral ge-gen die herrschende Gesellschaft."7 Sollte Abendroth gemeint haben, dass diese Haltung fr sptere Generationen der Arbeiterbewegung an Bedeutung wrde einben knnen, drfte er geirrt haben. Noch be-deutsamer ist allerdings, dass sich heute der Zusammenhang von (Ar-beiter-)Bewegung und politischer Sozialisation einzelner Personen kaum

    6 Vgl. nur beispielhaft Richard LwenthaI im Anschluss an seine Kritik ber Abend-roths "traurige Endphase": "Das strkste war und bleibt der Mut und die Integritt, der rastlose Einsatz eines seiner Idee und seinen Gesinnungsfreunden verhafteten Menschen."; LwenthaI, Richard, Erinnerungen an Wolf gang Abendroth, in: Die Neue Gesellschaft H. 11 / 1985, S. 1043 (wieder abgedruckt in diesem Band) Und noch ein Beispiel, diesmal aus der Zeit der Kriegsgefangenschaft: "Wtzel erinnert sich an Abendroths hohe, dnne, gebeugte Gestalt, an sein asketisches, ungeheuer lebhaftes und intellektuelles Gesicht und an seine persnliche, fast christliche Gte." In: Sullivan, Matthew Barry, Auf der Schwelle zum Frieden. Deutsche Kriegsgefan-gene in Grobritannien 1944-1948, Wien/Hamburg 1981, S. 282.

    7 Abendmth, Wolf gang, a.a.O.

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  • noch vermittelt. Um so wichtiger ist es fr den (beobachtenden) Nor-malbrger geworden, Anhaltspunkte fr moralische Glaubwrdigkeit und Integritt politischer Akteure entschlsseln zu knnen. Deshalb muss - soll etwas von dem konkreten politischen Lebensweg Abend-roths als Vermchtnis fr knftige Generationen gerettet werden und "brig bleiben" - gegen seine eigene Intention in der Vermittlung histo-rischer Zusammenhnge der biographisch-moralische Anteil wieder str-ker herausgearbeitet und kenntlich gemacht werden.

    Der frhe Abendroth

    Wie sehr Abendroth dazu neigte, bestimmte Teile seiner eigenen Biogra-phie "auf das Wesentliche" zu konzentrieren, lsst sich recht gut an den durchaus ausfhrlichen Passagen in dem bereits zitierten Band ber sei-ne frhen Jahre in der kommunistischen Jugendbewegung ablesen. Die Hauptkonzentration liegt auf der Darstellung, Erklrung und Wrdigung der verschiedenen Wendungen und Positionswechsel innerhalb der kommunistischen Bewegung selbst, an der er auf verschiedene Weise beteiligt ist. Wenig Raum nehmen Aktivitten ein, die sich wohl aus sei-ner eigenen Retrospektive eher auf Nebengeleisen bewegten. Wir lesen zwar davon, dass die kommunistische Studentengruppe eine Fraktion der "Freien Vereinigung Sozialistischer Studenten" bildete, aber viel mehr wird ber diese Gruppe nicht bekannt. Fr das Jahr 1929 hren wir etwas ber die Beteiligung am Aufbau eines "Sozialistischen Sch-lerbundes", aber auch bei dieser nackten Information bleibt es. Schlie-lich erlutert er uns seinen Kontakt zu Vertretern der "national-revo-lutionren Jugendbewegung" nur im Rahmen seiner Solidarittsarbeit innerhalb der Roten Hilfe.8

    Ich bin im Rahmen meiner frheren bibliographischen Arbeit ber Abendroth wohl als erster auf die erstaunliche Tatsache gestoen, dass er zu den Sprechern einer bislang noch nicht erwhnten Jugendorganisa-tion gehrte (im brigen zusammen mit seinem Schwager Ernst Benner), dem "Bund Freier Sozialistischer Jugend". Zwischen 1926 und 1929 ge-hrte er zu den aktivsten und interessantesten Autoren in dessen Ver-bands organ "Freie Sozialistische Jugend".9 In welchem Verhltnis diese

    8 Ebda., S. 65, 68, 106. 9 Vgl. hierzu und zum folgenden Schler, Uli, Wolf gang Abendroth - Ergnzungen

    zu seiner Bibliographie - mit einigen biographischen Anmerkungen, IWK H. 2/ 1988, S. 213ff.

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  • Organisation zu den beiden oben genannten stand, ist bislang unklar. Leider hat sich bis heute niemand gefunden, der diesem Verband in ei-ner organisations soziologischen Studie einmal nher nachgegangen w-re. Sie ist nmlich - neben der Tatsache von Abendroths Wirken darin -aus wenigstens einem weiteren Grunde ausgesprochen interessant. Of-fenba.r gelang in dieser Jugendorganisation etwas, was sowohl in der Weimarer Republik als auch in spteren Perioden der deutschen Ge-schichte eher zu den Ausnahmen gehrte: das Zusammenwirken von Personen und Gruppen unter einem Dach trotz unterschiedlicher Sozia-lisation und politischer Herkunft bzw. ideologischer Orientierung.

    Das wenige, was wir wissen, ist schnell zusammengefasst. Abend-roth berichtet selbst, dass er 192010 dem Kommunistischen Jugendver-band auch deshalb beitritt, weil er wegen seiner radikalen Anschauungen in der Schule mehrfach verprgelt worden war. Die Suche nach einer adquaten politischen Heimat zielte auf eine proletarische Jugendorgani-sation, ergibt sich, wie er schreibt, aus der "Sozialisationslage" der Ge-schwister, obwohl die Elterngeneration den verschiedenen sozialdemo-kratischen Parteien angehrt. Letzteres bleibt aber insofern wichtig, als Abendroth im Rahmen einer intakten, regelmig kommunizierenden Familie keinen Bruch mit den Eltern vollzieht11, also - wenn man so will - bereits im Rahmen der Familie immer neu die Verstndigung ber Parteigrenzen hinweg gesucht werden muss und wird.

    1924 wird er mitsamt der anderen Anhnger eines eher "rechten" Kurses aus seinen Frankfurter Funktionen innerhalb des KJV abgewhlt und ausgeschlossen, wechselt aber in die Studentengruppe und in die Partei selbst, wo allerdings seine Aktionsmglichkeiten wegen der "ul-tralinken" Politik der Fischer-Maslow-Fhrung ebenfalls nahezu un-mglich sind.1z So wurde er Mitglied des genannten Bundes, der ur-sprnglich aus der "Freien Proletarischen Jugend" hervorgegangen war, die sich als geistiger Berhrungspunkt jugendlicher Arbeiter mit dem "Wandervogel" verstand, es ablehnte, Parteijugend zu sein und An-fang der zwanziger Jahre zu ihren Gruppenabenden Vortragsredner aus allen drei Arbeiterparteien einlud. Ihre Mehrheit beschloss aber 1922, zur (mit der Rest-USPD) Vereinigten Sozialdemokratischen Partei zu-

    10 In einem autobiographischen Manuskript gibt er den 1. Oktober 1920 als Eintritts-datum an; vgl. Professor Dr. Wolf gang Abendroth, Manuskript vom 1. August 1974, 5 S. (Studienkreis Dokumentationsarchiv Frankfurt): hier: S.1.

    11 Abendroth, Wolf gang, Ein Leben ... , a.a.O., S. 23f., 114. 12 Professor ... , a.a.O., S. 1.

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  • ruckzukehren.13 Mitte 1925 schlossen sich diese Gruppen mit dem aus den "Guttempler-Wehrlogen" hervorgegangenen und sich zum Sozia-lismus bekennenden "Orden junger Menschen", der "Freien Aktivisti-schen Jugend", der "Wanderscharen e.V." und den ,,Landfahrern e.V." zu einem Kartell zusammen, das 1926 im genannten "Bund Freier So-zialistischer Jugend" aufging.14 Er existierte bis zu seinem Verbot im Jahre 1933 mit Gruppen u.a. in Berlin, Hamburg, Frankfurt, Oehringen, Karlsruhe, Stuttgart und Nmberg, zeitweilig mit ca. 12.000 Mitgliedern, deren Mehrzahl sich nicht in den beiden groen Arbeiterparteien organi-sieren wollte. Klara Richter spricht von 1928/29 beginnenden Ausein-andersetzungen um die jugendpolitische Ausrichtung des Bundes (ob man also Parteien beitreten solle)15 sowie darber, mit wem man zu-sammenarbeiten knne, um die "heraufkommende Gefahr" zu bannen. Aber dies sei nie mit dem Zid der Spaltung geschehen, "sondern im Ge-genteil: Zusammenarbeit wo immer mglich".16

    Wenn also von den Wurzeln von Abendroths "Einheits orientierung" die Rede ist, dann liegen diese weit weniger in einem rein intellektuellen Verstndnis von einer ,,Einheit der Arbeiterklasse", die durch den Be-ginn des groen Schismas in den Jahren nach 1914 eingdeitetwird17 und in der kampflosen Niederlage beider Parteien 1933 ihre traurige Bestti-

    13 Mitteilung des ehemaligen BFSJ-Mitglieds Klara Richter an Lisa Abendroth vom 4. Dezember 1989; Brief Klara Richters an den Verfasser vom 1. August 1989. Sie erledigte Schreib- und Vervielfltigungsarbeiten fr den Bund und war mit Abend-roths Schwester Ilse befreundet Sie berichtet ferner, dass auch Lotte Herz, die sptere Frau Richard Lwenthals, zu den Teilnehmern von berregionalen Treffen des Bundes gehrte. Auch Schweizer waren bei dem Treffen im Jahre 1929 anwe-send.

    14 Oschilewski, Walter G., Durchbruch und Leistung. Die deutsche Jugendbewegung 1918-1933, in: Junge Menschen, Frankfurt/M. 1981, S. 353.

    15 BriefKlara Richter, a.a.O. 16 Mitteilung Klara Richter, a.a.O. 17 Hans Karl Rupp hat Recht, wenn er fr den Historiographen der Arbeiterbewegung

    Abendroth feststellt, dass bei diesem der neben der Bewilligung der Kriegskredite im August 1914 zweite groe Ausgangspunkt dieses Schismas, Lenins 21 Aufnah-mebedingungen fr die Kommunistische Internationale 1920, "irgendwie verdrngt werden"; vgl. Rupp, Hans Karl, Wolf gang Abendroth: Klassengesellschaft und De-mokratie, in: ders./Ntzel, Thomas, Macht, Freiheit, Demokratie. Anfnge der westdeutschen Politikwissenschaft, Biographische Annherungen, Marburg 1991, S. 63. V gl. dazu auch die eher relativierenden Interviewpassagen Abendroths in:

    16

    Schler, Uli, Otto Bauer und Sowjetruland. Mit einem Interview mit Wolf gang Abendroth, Berlin (West) 1987, S. 72ff. sowie zu den Wirkungen fr die deutsche Arbeiterbewegung: ders., "Despotischer Sozialismus" oder "Staatssklaverei"? Die theoretische Verarbeitung der sowjetrussischen Entwicklung in Deutschland und sterreich (1917-1929), Bd. 1, Hamburg/Mnster 1991, S. 533ff.

  • gung fand, sondern weit ausgeprgter in einer bereits in jungen Jahren eingebten politischen Praxis ber ideologische und Parteigrenzen hin-weg. Sagen wir es in seinen eigenen Worten: "Sozialisationsprozesse haben ... in allen Phasen der Arbeiterbewegung eine viel grere Rolle gespielt, als man gemeinhin annimmt."18 Ich pldiere also dafr, diese Maxime auch bei der Betrachtung des Abendrothschen Lebensweges strker als bislang mit heran zu ziehen. 19

    Den jungen Abendroth zeichnet nun eines bereits besonders aus: Ohne ideologische Scheuklappen (auch solche, die sich aus der jeweili-gen "Generallinie" seiner eigenen Partei zu dieser Zeit ergaben - die ihn ja auch nicht umsonst 1928 als Rechtsabweichler ausschloss und zur KPO drngte) setzt er sich mit all den Themen auseinander, die in sei-nem Umfeld diskutiert werden. Zum einen fllt auf - worauf ich bereits frher hingewiesen habe -, dass er sich gleich in mehreren Aufstzen und Rezensionen mit Themen und Konzeptionen aus dem Spektrum des ,,Austromarxismus" beschftigte, zwar kritisch, aber in der Tendenz durchaus Impulse positiv aufnehmend. Dazu mag beigetragen haben, dass er die Mglichkeit hatte, am vom sterreicher earl Grnberg neu gegrndeten Frankfurter Institut fr Sozialforschung Vortrgen von Otto Bauer, Friedrich und Max Adler beizuwohnen.2o

    Diese frhe Beschftigung mit der genannten Theorietradition der deutschsprachigen Arbeiterbewegung ist mehr als eine zufllige Begeg-nung. Sicher, die sterreichische Sozialdemokratie des Linzer Pro-gramms erwies sich gegenber ihrer deutschen Schwesterpartei (aber auch gegenber den ideologischen Schwankungen der zeitgenssischen KPD) als weitaus fruchtbarer. Aber hinzu kam, dass der auf der Basis der Anerkennung und Tolerierung unterschiedlicher Standpunkte funk-tionierende Einheitsgedanke gerade in der sterreichischen Sozialdemo-kratie (also in diesem Teil des anderen "Lagers") praktisch wie theore-tisch seine produktivste Wirkung entfaltet hatte. So verwundert es nicht, dass Abendroth zu einem Zeitpunkt, als er sich von der stalinisierten kommunistischen Bewegung auch organisatorisch abwandte (nach Kriegs ende) , fr seine politische wie theoretische Arbeit neben den

    18 Abendroth, Wolf gang, Ein Leben ... , a.a.O., S. 34f. 19 Es sei hier nur am Rande erwhnt, dass es fr ihn in seiner Zuchthaus-Zeit der

    40er Jahre erneut die persnlich-politischen Lebensumstnde sind, die ein Denken und Agieren jenseits von "Parteibuch-Grenzen" unumgnglich machen; vgL ebda., S.178f.

    20 Vgl. Rupp, Hans Karl, Wolf gang Abendroth, a.a.G., S. 63.

    17

  • Schriften und Gedanken "Weimarer" sozialdemokratischer Rechtslehrer wie Heller, Sinzheimer oder Kirchheimer die demokratietheoretischen Anstze eines Max Adler und Otto Bauer fruchtbar zu machen suchte. Diese Spuren wird man schon in vielen seiner demokratietheoretischen Schriften der fnfziger Jahre Hnden. Dezidiert erinnert er an diese in Deutschland lange ignorierte Tradition in einer Schulungs schrift fr die Frankfurter Jungsozialisten nach Verabschiedung des Godesberger Pro-gramms.21 Und er beteiligt sich mit mehreren Beitrgen an der - nahezu zeitgleich mit der auf kommunistischer Seite reifenden "Bltezeit" des Eurokommunismus - "Renaissance des ,klassischen' Austromarxismus" auf links sozialdemokratischer Seite Ende der 70er/Anfang der 80er Jah-re.22

    Zurck zum Autor der Zeitschrift "Freie Sozialistische Jugend": Auch Themen wie Religion und Nation, in der zeitgenssischen Ar-beiterbewegung eher Tabu- und Abgrenzungsthemen, werden von ihm - insbesondere in Auseinandersetzung mit den nationalrevolutionren bzw. nationalbolschewistischen Jugendgruppen - in erfreulich offener Weise abgehandelt. Mit ihren Vertretern diskutierte er auf internatio-nalen Kongressen 1928 in Ommen und 1929 in Frankfurt.23 Aus diesen Beziehungen erwuchsen jahrzehntelang whrende Freundschaften wie etwa zu KarlOtto Paetel.24 Auch der Blick auf diesen Zusammenhang schrft das Bewutsein dafr, dass und warum es konkrete Sozialisati-onszusammenhnge sind, die den politischen Weg des Wolf gang Abend-roth bestimmten, wie den so vieler anderer auch.

    21 Abendroth, Wolf gang, Der Austromarxismus, in: Mitteilungsblatt der Jungsozialisten Hessen-Sd, Nr. 4/5-1960, S. 1 Off.

    22 Vgl. u.a. ders., Renaissance des "klassischen" Austromarxismus, in: Marxismus und Arbeiterbewegung. Josef Schleifstein zum 65. Geburtstag, Frankfurt/M. 1980, S. 95ff. sowie zu den Auseinandersetzungen ber diese Renaissance in der sozialdemo-kratischen Linken: Schler, UIi, "Otto Bauer - nein danke"? Austromarxismusdis-kussion und historische Bezge fr eine Standortbestimmung marxistischer Sozial-demokraten, Berlin-West/Bremen 1984.

    23 Vgl. zu diesen Beziehungen nher Dupeux, Louis, "Nationalbolschewismus" in Deutschland 1919-1933. Kommunistische Strategie und konservative Dynamik, Mnchen 1985, S. 282ff.

    24 Vgl. seinen Beitrag: Abendroth, Wolf gang, Zum Problem des politischen Scheitems der deutschen Widerstandskmpfer, in: Aufrecht zwischen den Sthlen. KO.P. Gre zum 50. Geburtstag am 23. November 1966 fr Karl O. Paetel. Von Freun-den in Deutschland und anderswo, Mnchen 1956, S. 36ff. Auch sptere Geburts-tagsgaben enthalten den Autor Abendroth.

    18

  • Der Weg in die SPD

    SO, wie Abendroths Wirken im "Bund Freier Sozialistischer Jugend" in der Retrospektive nahezu vllig hinter seine Aktivitten im Rahmen der KPD, des KJVD und der KPO zurcktritt, so verhlt es sich hnlich mit seiner Aktivitt im Zusammenhang mit der Widerstandsorganisation "Neu Beginnen" und deren Verhltnis zu seinem Wirken in der KPO. Sicher, der Eintritt in die KPO lsst sich rekonstruieren, drfte ins Jahr 1929 zu datieren sein.25 (Wobei ja die Schwierigkeit zu beachten ist, dass die KPO nie wirklich Partei sein wollte, immer noch den Anspruch ver-trat, die "eigentliche" KP zu sein. Dem entspricht es auch, dass Abend-roth 1931 ohne Begrndung wieder in die KPD aufgenom-men wur-de26). Aber: Mitgliedsbcher in illegalen bzw. Tarnorganisationen wie "Neu Beginnen", der zudem Sozialdemokraten, Kommunisten wie Mit-glieder anderer sog. Zwischengruppen der Arbeiterbewegung angehr-ten, gab es mit Sicherheit nicht. Abendroth selbst hat sich jedoch immer als ,,Mitglied" dieser Gruppe gesehen und - wenn auch nur sehr kurso-risch - seine entsprechenden Aktivitten beschrieben.27 Zugleich be-schreibt er in dem bereits erwhnten unverffentlichten autobiographi-schen Manuskript seine intensive Zusammenarbeit u.a. auch mit der Ju-gend des Zentralverbandes der Deutschen Angestellten (ZDA) , dem Freidenkerverband und SAP-Organisationseinheiten, aber auch einzel-nen SPD-Leuten, z.B. Georg Stierle.28

    Einer der fhrenden Kpfe der Gruppe "Neu Beginnen" - zudem bereits aus Frankfurter KJVD-Zeiten mit Abendroth befreundet - trat ausgerechnet in seinem Nachruf nach dessen Tode mit der Behauptung an die ffentlichkeit, dieser habe jener Gruppe nie angehrt. Eine orga-nisatorische Verbindung habe es nicht gegeben.29 Abendroth selbst konnte sich dazu nicht mehr uern, historische Forschung wird viel-leicht einmal Licht in dieses Dunkel bringen.3o Das knnen wir hier

    25 So Abendroth selbst im Jahre 1980; vgl. Was tun gegen Strau? Ein Gesprch mit Wolf gang Abendroth, in: "Die Neue" diskutiert, Berlin 0.]. [1980], S. 13. Bei Rupp, Hans Karl, Wolf gang Abendroth, a.a.O., S. 64 findet sich das Datum 1928. Das autobiographische Manuskript spricht nur von einem Zeitpunkt vor 1930; vgl. Pro-fessor ... , a.a.O., S. 1.

    26 Professor ... , a.a.O., S. 2. 27 Abendroth, Wolf gang, Ein Leben ... , a.a.O., S. 126f., 148. 28 Professor ... , a.a.O. 29 Lwenthal, Richard, Wolf gang Abendroth, a.a.O., S. 1041. 30 In der Literatur wird nicht nur "gelegentlich", wie Lwenthal meinte, sondern nahe-

    zu in allen biographischen Beitrgen von dieser Zugehrigkeit Abendroths ausge-

    19

  • nicht. Aber es soll auf etwas anderes aufmerksam gemacht werden. Be-vor er berhaupt beginnt, etwas ber seinen Schritt in diese Organisation hinein mitzuteilen, bezeichnet er sie als ein ihrem Gesamtkonzept nach "konspiratives Abenteuer".31 Die Argumente, die er dafr lieferte, sind verstndlich. Gleichwohl geht auf diesem Wege wiederum etwas verlo-ren, was in der historischen Forschung durchaus gewrdigt wird: der po-sitive Versuch, von unten her Wege der Zusammenarbeit von SPD-, KPD- und anderen Kadern in der Illegalitt zu suchen, die aufgrund der verhrteten Positionen der jeweiligen Parteifhrungen von oben her blockiert waren.32

    Und noch etwas fllt aufgrund der Abendrothschen Retrospektiv-feststellung aus der Betrachtung heraus (was aber mglicherweise fr Lwenthals Sichtweise entscheidend gewesen sein knnte): Hatte er sei-tens der neuen Gruppe einen Auftrag zur Durchsetzung von deren "neoleninistischen" Organisationsprinzipien und Zielen in der KPO bernommen, oder verstand er sich als Verbindungsmann der KPO-Fhrung um Thalheimer und Brandler, seinen ideologischen "Ziehv-tern", zur ,,Neu Beginnen"-Fhrung um Walter Lwenheim?33 Mit an-deren Worten: Seine konkrete eigene Motivation, die uns seine jeweiligen politischen Schritte genauer nachvollziehen liee, lsst Abendroth wie-derum zugunsten einer retrospektiven Reflektion ber Wirkung und Be-deutung der Gruppe selbst im Dunkeln.

    Etwas besser ergeht es uns, wenn wir uns mit einem Schritt beschf-tigen, der in sich einen weit gravierenderen Bruch mit seinem bisherigen politischen Standort markiert, allerdings sicherlich durch die Aktivitt im

    gangen; vgl. U.a. ein anderes, mit Abendroth lange befreundetes "Neu Beginnen"-Mitglied: Flechtheim, Ossip K, Wolf gang Abendroth und die Arbeiterbewegung, in: Politische Vierteljahresschrift H. 4/1977, S. 843, der ebenfalls bedauernd feststellt, dass Abendroth nichts ber das Datum des Anschlusses an die Gruppe mitteilt; vgl. femer u.a. Wolf gang Abendroth, in: AVS (Arbeitsgemeinschaft Verfolgter Sozial-demokraten) H. 10/1985, S. 12; Sterzel, Dieter, Wolf gang Abendroth (1906-1985). Revolutionr und Verfassungsjurist der Arbeiterbewegung, in: Kritische Justiz (Hg.), Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, Baden-Baden 1988, S. 478.

    31 Abendroth, Wolf gang, Ein Leben ... , a.a.O., S. 126. Es ist nachvollziehbar, dass dies Lwenthal nicht gefallen haben drfte, der auch retrospektiv die Gruppe weit positi-ver einschtzte.

    32 Vgl. insgesamt zu "Neu Beginnen": Kliem, Kurt, Der sozialistische Widerstand ge-gen das Dritte Reich, dargestellt an der Gruppe "Neu Beginnen", Diss., Marburg 1957.

    33 So lautet schon leicht abgewandelt die Frage bei Rupp, Hans Karl, Wolf gang Abendroth, a.a.O., S. 64.

    20

  • Rahmen von "Neu Beginnen" vorbereitet wird. Abendroth datiert seinen bertritt bzw. Eintritt in die SPD auf den Herbst 1946, vollzogen in London34, und sicherlich vollzogen unter dem mageblichen Einfluss seines damaligen Freundes Richard Lwenthal, an dessen programmati-scher Schrift "Jenseits des Kapitalismus" er durch Diskussionsbeitrge einen nicht unerheblichen Anteil hatte.35

    Immerhin: In diesem Fall teilt uns Abendroth Nheres ber seine Motivationslage mit. Der stalinistische Terror in der Sowjetunion war stetes Diskussionsthema zwischen den politischen Gefangenen, sei es im Zuchthaus, sei es im Strafbatallion 999, sei es im Kriegsgefangenenlager in Sdengland, darin eingeschlossen die erbitterte Debatte ber das Fr und Wider des sog. Hitler-Stalin-Paktes, die Abendroth auf der Seite der entschiedenen Gegner dieses Bndnisses findet (eine Haltung, die er spter ndern sollte). Also, summarisch: Der stalinistische Terror auf der einen verbunden mit der Hoffnung auf der anderen Seite, die SPD (zu der ja viele Funktionre der Zwischengruppen und auch einige der KPD nach Kriegsende stoen) knne wieder zu einer "sozialistisch-marxisti-schen" Partei werden, motivieren ihn zu seinem Schritt. Der Rest bleibt weiter im Dunkeln. ber die nheren Umstnde, auch ber die Rolle Lwenthals, erfahren wir nichts. Spter ergnzt er, dass er den Eindruck hatte, dassin der Emigrations-SPD die SAP-Leute berwogen, die ihre Partei ja nicht wieder aufgebaut hatten und als Linke in die SPD gegan-gen waren. Er sei der Meinung gewesen, dass in der Sozialdemokratie sehr rasch die frheren sozialdemokratischen Fhrer wrden berwltigt und ausgeschaltet werden knnen.36

    Auch hier wird also die historisch-biographische Forschung noch ei-niges aufzudecken haben. Denn so viel ist sicher: Ein derartiger Schritt drfte Abendroth nicht leicht gefallen sein, bedeutete er doch den bis-lang schwerwiegendsten politischen Wechsel seines Lebens. Sicher: Er

    34 Abendroth, Wolfgang, Ein Leben ... , a.a.O., S. 199. Es drfte nicht verwundern, dass auch fr diesen Schritt weiter unterschiedliche Daten im Umlauf sind; vgl. etwa Grebing, Helga (Hrsg.), Lehrstcke in Solidaritt. Briefe und Biographien deutscher Sozialisten 1945-1949, Stuttgart 1983, S. 311 sowie Schler, Uli, "Rote Blte im kapitalistischen Sumpf ... " Abendroth, SPD und Presse in der Nachkriegsra, in: spw H. 29/1985, S. 431; letztere Angabe bezieht sich darauf, dass sein Parteibuch in Berlin auf den 1.1.1947 ausgestellt wurde.

    35 Vgl. LwenthaI, Richard, Wolfgang Abendroth, a.a.O., S. 1041. 36 Vgl. Ein deutsches Schicksal. Wolf gang Abendroth. Ein Film von Manfred Vosz.

    Redaktion: Dr. Erhard Klss, Westdeutscher Rundfunk, Sendung am 27. September 1987, [Manuskript mit Interviewteilen], S. 11.

    21

  • setzte - wie er 1976 darlegt - auf eine alle Besatzungszonen umfassende Einheitspartei, d.h. ein anderes Konzept als das, welches die KPD mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht mit mehr als sanftem Zwang in der sowjetischen Zone durchsetzte. Schlielich trat er ja - obwohl dort lebend - der SED nicht bei. Aber selbst wenn er sich fr die 20er Jahre "strker luxemburgianisch als leninistisch orientiert" bezeichnet, hatte sich bis dahin seine gesamte politische Ttigkeit - selbst wenn sie in Richtung auf andere Gruppen offener war als die seiner Partei - im kommunistischen Organisationsrahmen bewegt. An dem "Grundgedan-ken der Oktoberrevolution" und am Vorbildcharakter Leruns hielt er schlielich - bei nur gelegentlicher Kritik an dessen Politik - auch spter immer fest.37

    Bedeutsam an den Umstnden dieses fr Abendroth so wesentlichen Wendepunkts hin zur 15-jhrigen Mitgliedschaft in einer sozialdemo-kratischen Partei, d.h. einer nahezu ebenso langen Zugehrigkeit wie der zu Organisationen der kommunistischen "Familie"38, erscheinen mir zwei weitere Gesichtspunkte zu sein. Bedeutsam ist zunchst folgender wichtige Hinweis, den er im Zusammenhang mit seinem spteren Aus-schluss im Jahre 1961 gibt: ,,Als wirkliche politische Heimat - ver-gleichbar meiner Mitgliedschaft zuerst in der KPD und spter in der KPO whrend der Weimarer Zeit - hatte ich die SPD niemals empfun-den."39 Diese Einschtzung drfte - selbst wenn die Erluterung dreiig Jahre spter gegeben wird - nachvollziehbar sein. Eine politische "Hei-mat" wechselt man nicht einfach mit dem Parteibuch. Gleichwohl wre es falsch, Abendroth in diesem Zusammenhang eine blo "taktische" Wendung zu unterstellen, selbst wenn er davon spricht, dass die SPD fr ihn zunchst lediglich eine Operationsgrundlage gewesen sei. Eine genauere Betrachtung und Analyse seiner politischen Einschtzungen und Schriften der Nachkriegsperiode bis weit in die siebziger Jahre hin-ein weisen ihn gedanklich ganz berwiegend als einen am "Marxis-mus"40 orientierten "linken Sozialdemokraten"41 bzw. kritischen "Links-

    37 Vgl. den durchaus "leninistisch" geprgten Vortrag: Abendroth, Wolfgang, Lenin und die internationale Arbeiterbewegung, in: marburger bltter H. 133/1970, S. Hf.

    38 Deshalb war es auch mehr als die Bemerkung suggeriert, er habe nach 1945 ein Pro-blem mit einem "Verein" namens SPD gehabt; vgl. Flberth, Georg, Freundlich, bitter und fremd, in: konkret H. 10/1985, S. 38 (in diesem Band).

    39 Abendroth, Wolf gang, Ein Leben ... , a.a.O., S. 253. 40 Zu meinen heutigen Problemen im Umgang mit diesem auch von mir frher recht

    umstandslos verwendeten Begriff vgl. Schler, UIi, Ein Gespenst verschwand in

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  • sozialisten" aus.42 Aber mit der beschriebenen, retrospektiv relativieren-den ,,Abwertung" der Bedeutung dieses Schritts in die SPD hinein erb-rigt sich fr ihn natrlich zugleich eine eingehendere Darlegung von Umstnden und Motivationen - als habe es gleichsam auf der Hand ge-legen.

    Zum zweiten: Man mag sich fragen, ob es vielleicht auch an den Fragestellern lag, dass die konkreten Bedingungen der Arbeit eines durch und durch politischen Menschen in der Sowjetischen Besatzungs-zone, der der SPD nach der in der SBZ vollzogenen "Zwangsvereini-gung" von SPD und KPD zur SED beigetreten war und angehrte, in dem autobiographischen Band nicht eingehender errtert wurden. Nach dem Beitritt der DDR zur BRD und einer Unmenge neuerer Aufarbei-tungsliteratur auch ber diese Vorgeschichte der DDR wre man da heute sicher neugieriger.43 Hatte er Kontakt zu westlichen, westberliner Sozialdemokraten? Wie sah eine solche Zusammenarbeit aus? Es ist mit Blick auf die Gesamtentwicklung Abendroths undenkbar, dass er in die-sen Jahren politisch "abstinent" geblieben sein soll. Er erwhnt die Ver-haftung eines Kuriers des Ostbros der SPD, der auf dem Weg zu ihm war, und unterstellt dem Kurier44 wie der Organisation, damals bereits mehr oder minder zu einem Agenten bzw. einer Agentur des amerikani-schen Geheimdienstes herabgesunken gewesen zu sein. Aber ob er ber eigene Kontakte in diese Richtung verfgte, beschreibt er nicht. Er macht vielmehr nachvollziehbar und verstndlich, warum er angesichts des wachsenden stalinistischen Drucks, der sich in diesen Jahren vorran-gig gegenber ehemaligen ,,Abweichlern" entfaltete, also z.B. gegen

    Europa. ber Marx und die sozialistische Idee nach dem Scheitern des sowjetischen Staatssozialismus, Bonn 1999, S. 81 ff.

    41 V gl. in dieser Hinsicht fr die Zeit seines Parteiwechsels zutreffend LwenthaI, llichard, Wolf gang Abendroth, a.a.O., S. 1041.

    42 So insbesondere fr die fnfziger und sechziger Jahre Brakemeier, Heinz, Wolf gang Abendroth. Ein Beitrag zu seiner politischen Biographie, in: Sozialismus, Sonderheft, November 1985, S. 19.

    43 Darauf, wie Abendroth von den Machthabern in der SBZ eingeschtzt wurde, gibt es nur erste Hinweise. In einem in der Gauck-Behrde aufgefundenen, undatierten (und mir nur unvollstndig vorliegenden) Vermerk an einen Herrn Dr. Kuhlke von einer Rechtsabteilung heit es unter dem Betreff: Sachinformation zur Rehabilitie-rung Wolf gang Abendroth und Max Bense: "In Jena sollte A. an ,Landesgesetzen' mitarbeiten; es bedrfe aber enger Kontakte ,mit wirklich fortschrittlichen Krften', um ,positiv' zu wirken."

    44 Vgl. Ein deutsches Schicksal ... , a.a.O., S. 13.

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  • KPOler wie ihn selbst richtete, das Risiko eines Verbleibens in der SBZ insbesondere seiner Familie nicht zumuten wollte.45

    Die Vermutung drfte nicht weit hergeholt sein, dass es seine Be-frchtung war, nhere Schilderungen ber seine Erfahrungen dieser Jah-re in der SBZ wrden der antikommunistischen Argumentation und Propaganda gegen die sich allmhlich stabilisierende DDR in die Hnde spielen, die auch spter eingehendere eigene Darstellungen verhindert haben. Seine Flucht aus der DDR verband er ja mit einem Abschieds-brief an "den Minister fr Volksbildung des Landes Thringen, Frau Dr. Torhorst", in dem er mitteilte, dass dieses Schreiben keine Ablehnung der Grundgedanken der Oktoberrevolution und des Sozialismus enthal-te, fr die er weiter entschieden eintreten werde.46 Ich werde auf diesen Zusammenhang zurckkommen. An dieser Stelle muss der Hinweis ge-ngen, dass die eingangs genannte Vermutung darauf basiert, dass Abendroth in den Jahrzehnten seines Wirkens immer neu Abwgungen vornahm, inwieweit kritische Einwnde gegenber der Politik der kom-munistischen Parteien, die er zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend als stalinistische Agenturen betrachtete, bzw. der "realsozialistischen" Staa-ten die herrschende Politik des Antikommunismus in der Zeit des Kal-ten Krieges weiter befrderten oder nicht. Insoweit war sein Verhalten durchaus rational. Aber auch in dieser Hinsicht stellen sich die Fragen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende der DDR neu, braucht es gerade auch genauere Antworten, die zur Erklrung die-ses Scheiterns beitragen knnen. Deshalb reicht heute die Antwort: "Das ntzt dem Klassengegner!" nicht mehr.

    Bezogen auf die politischen Begrndungszusammenhnge, die Abendroth zur Sozialdemokratie fhrten, ist heute noch ein weiterer Ge-sichtspunkt unabdingbar einzubeziehen. Jrgen Seifert hat - ohne das auf eine konkrete Situation zu beziehen - anlsslich eines bemerkens-werten Vergleichs des Denkens von Wolf gang Abendroth und earl Schmitt herausgearbeitet, dass und warum die Kampffront der Arbeiter-bewegung - die im Zentrum des Abendrothschen Denkens steht - in der Wahl ihrer Kampfformen nicht frei ist (sofern sie ihrem auf die Emanzipation des Menschen zielenden Anspruch treu bleibt). Sie kann,

    45 Abendroth, Wolf gang, Ein Leben ... , a.a.O., S. 199ff.; vgl. zu den Bedingungen sei-ner Flucht sehr viel detaillierter: Abendroth, Lisa, Die Flucht. Warum Wolf gang Abendroth die sowjetische Besatzungszone verlie, in: Sozialismus H. 2/1990, S. 244ff.

    46 Abgedruckt bei Abendroth, Lisa, a.a.o.

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  • so fahrt er fort, "weil sie der eigenen Geschichte und ihrem Ziel ver-pflichtet bleibt (von existenzbedrohenden Ausnahmen abgesehen) Ver-bndete nur dann in ihren Kampf einbeziehen, wenn diese nicht den ei-genen Emanzipationsanspruch in Frage stellen oder gefahrden."47 Der Gedanke lsst sich erweitern bzw. anders konturieren. Keinesfalls heiligt der (gute sozialistische) Zweck alle Mittel. Und auch Organisationen brauchen das, was Abendroth fr die Arbeiterfunktionre der ersten Ge-nerationen als moralische Komponente herausgearbeitet hatte, weil sie ansonsten mit der Beliebigkeit ihres Mitteleinsatzes und der Verbndung selbst mit dem abscheulichsten politischen Gegner (etwa den deutschen Nationalsozialisten) den Anspruch auf Glaubwrdigkeit kaum rckhol-bar aufs Spiel setzen.

    Worauf diese berlegungen zielen,drfteklar sein. Unter Bercksich-tigung dieser Kategorien steht uns der junge Abendroth, der in der Ille-galitt vehement den Hitler-Stalin-Pakt attackiert, weitaus nher als der spte, der ihn aus der historischen Zwangslage zu erklren (und in diesem Fall auch zu rechtfertigen) versucht.48 Es mag sein, dass ihn sptere Untersuchungen, einschlielich der ja nicht unbetrchtlichen propagan-distischen Versuche durch Schriften aus der UdSSR und der DDR, da-von berzeugt haben, dass eine im Seifertsehen Sinne "existenzbedro-hende Ausnahme" wirklich vorgelegen habe. Aber selbst wenn dies schon auf dem Kenntnisstand der 70er Jahre fr fragwrdig gehalten werden konnte49, lsst der neuere Forschungs- und Kenntnisstand ber seine V orgeschichte (die "Enthauptung" der Roten Armee50) sowie ins be-sondere ber die von Deutschland ausgehende Initiative, die mit diesem Pakt verbundenen Zusatzabkommen und Stalins anfangliehe Weigerung, den Meldungen ber den deutschen berfall 1941 berhaupt Glauben zu schenken, wenig von der Plausibilitt der sog. unvermeidlichen Atem-

    47 Seifert,Jrgen, Soziale Kampffront oder Freund-Feind-Linie?, in: Sozialismus, Son-derheft, November 1985, S. 50.

    48 Ich halte es gerade auch mit Blick auf Abendrothsche Texte immer wieder fr be-deutsam, auf die Nicht-Identitt von historischer Erklrung und Rechtfertigung hinzuweisen.

    49 Wolf gang Leonhard hat in diesem Zusammenhang im Vergleich zu anderen ehe-maligen Zeitzeugen festgehalten: "Dies drfte der einzige Sinneswandel eines frhe-ren Gegners des Paktes sein, der drei Jahrzehnte spter, Entschuldigungen und Rechtfertigung fr diesen Pakt gibt." Leonhard, Wolf gang, Der Schock des Hider-Stalin-Paktes. Erinnerungen aus der Sowjetunion, Westeuropa und USA, Freiburg im Breisgau 1986, S. 96.

    50 Vgl. Strbinger, Rudolf,Stalin enthauptet die Rote Armee. Der Fall Tuchatschewskij, Stuttgart 1990 (auch hier hatte die nazideutsche Politik ihre Hnde im Spiel).

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  • pause, die so erreicht worden sei, brig.51 So unterliegen eben auch die Begriindungszusammenhnge, die uns Abendroth fr seinen Weg in die Sozialdemokratie liefert, der eigenen (selbst-)kritischen Revision, geben uns also die Aufgabe auf, in der historischen Rckbetrachtung den zeit-ge-nssischen wie den spteren Abendroth genauer und zunchst ge-trennt zu betrachten, wenn wir die Entscheidungsprozesse fr sein Han-deln wie die Wandlungsprozesse fr sein Denken wirklich verstehen wollen.

    Der Weg aus der SPD

    Die Geschichte seines Ausschlusses aus der SPD ist - von anderen wie von ihm selbst - vielfach beschrieben worden. Die SPD war den zu-nehmenden Radikalismus ihres Studentenverbandes SDS satt und stellte auch den Frdererkreis, dessen Vorsitzender Abendroth zeitweilig war und dem ein gewichtiger Teil der bundesrepublikanischen linken Intelli-genz angehrte, vor die Alternative, diesen solidarischen Schutz aufzu-geben oder aus der SPD ausgeschlossen zu werden. Es erstaunt ange-sichts der Abendrothschen Priorittensetzung fr die Arbeiter- und Ge-werkschaftsbewegung nur auf den ersten Blick, dass er seinen parteipo-litischen Aktionsrahmen wegen der Auseinandersetzung um einen Stu-dentenverband aufgab. Man drfte nicht zu weit gehen, wenn man dar-auf verweist, dass sich seine eigenen positiven Sozialisationserfahrungen eben auch auf linke Studentengruppen als Keimzellen breiterer revolu-tionrer Aktivitten bezogen. Im Frankfurt und Berlin der spten zwan-ziger Jahre bildeten sich - unter seiner aktiven Beteiligung - "zum ersten Mal in der deutschen Geschichte breite sozialistische - fr ihr Bewusst-sein sozialistische - revolutionre Studentenorganisationen".52

    Aufgrund dieses Hintergrundes fllt es ihm auch leichter als anderen durchaus linken Hochschullehrern - wie z.B. Werner Hofmann in Mar-burg oder Theodor W. Adorno in Frankfurt -, den "utopischen ber-schuss" dieser Bewegung aufzufangen und auszuhalten, gleichwohl aber den Respekt und die Anerkennung der sich radikalisierenden Studenten zu behalten. 53 Heinz Brakemeier weist im brigen zu recht darauf hin,

    51 Vgl. u.a. Fleischhauer, Ingeborg, Der Pakt. Hitler, Stalin und die Initiative der deut-schen Diplomatie 1938-1939, Berlin/Frankfurt am Main 1990.

    52 Abendroth, Wolf gang, Ein Leben ... , a.a.O., S. 49. 53 Ebda., S. 272.

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  • dass Abendroth bereits frh dem Kontakt zum SDS mindestens die gleiche Bedeutung zuma wie der Arbeit in der SPD und in den Ge-werkschaften, fr deren jeweilige Haupt- bzw. Bundesvorstnde er ja in vielfltiger Weise ber viele Jahre hinweg in beratender Weise ttig war. 54

    Brakemeier macht aber darber hinaus noch auf einen Begrn-dungskero in der Rechtfertigung seines Verhaltens aufmerksam, den Abendroth selbst zumindest ffentlich spter so nicht wiederholt hat, der aber gleichwohl ins Zentrum trifft: "Was auch alles dafr spreche, sich dem Diktat der SPD-Fhrung zu beugen, vom Standpunkt einer politi-schen Moral [Hervorhebung von mir, U.S.] sei es unverantwortlich, einer erstmals wieder organisierten und wirkungsfhigen jungen linken Intelli-genz/Studentenschaft dadurch das moralische Rckgrat im Kampf ge-gen bermchtige Gewalten, antidemokratische Traditionen und Gefah-ren zu brechen, dass die den - namhaften - Frderern und Freunden zu-gewachsene Mentorenrolle und Legitimationsfunktion schlechttaktisch verleugnet werde."55 Abendroth selbst drckt es zurckblickend erneut viel "prosaischer", nchterner aus. Er sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es wichtiger sei, innerhalb der Arbeiterbewegung fr eine freie gei-stige Entwicklung zum Marxismus zu arbeiten und eine junge marxi-stisch orientierte Generation von Intellektuellen mitzuformen. Eine an-dere Entscheidung htte mglicherweise auf viele entmutigend ge-wirkt.56 So gelangt er auch zu der bereits dargelegten Position, der Aus-schluss habe ihn nicht so sehr getroffen, weil die SPD nie in dem Mae eine politische Heimat fr ihn gewesen sei, wie dies fr die KPD und die KPO der Weimarer Periode gegolten hatte.

    Diese recht nchterne Darstellung ist sicherlich in sich schlssig, entlastet uns aber zugleich von der nicht uninteressanten Frage, wel-che Prozesse denn im einzelnen bis zu diesem Punkt gefhrt haben. Schlielich kommt ein derartiger Konflikt ja nicht aus dem Nichts, hat eine Vorgeschichte, die schlielich in eine derartige Auseinandersetzung mit den Folgen des Bruchs mndet. Da dieser Konflikt aus der Sicht der Organisationen SPD und SDS ausgiebig erforscht und dokumentiert ist57, soll uns hier primr die Abendrothsche Vorgeschichte interessieren.

    54 Brakemeier, Heinz, Wolf gang Abendroth, a.a.O., S. 19. 55 Ebda., S. 21. 56 Abendroth, Wolf gang, Ein Leben ... , a.a.O., S. 253f. 57 Hinsichtlich der Organisationsgeschichte des SDS und seines Verhltnisses zur SPD

    ist der Forschungsstand gut aufgearbeitet; vgl. Fichter, Tilman/ Lnnendonker,

    27

  • Richard Lwenthal hat dazu bereits 1985 eine Auffassung geuert, die erstaunlicherweise in der Literatur bislang wenig Beachtung gefun-den hat "Der eigentliche innere Bruch mit der Sozialdemokratie kam zwei Jahre vor seinem Ausschluss als Fhrer der Seniorenhilfe fr den SDS mit der Annahme des GodesbergerProgramms von 1959, dem er einen aussichtslosen Gegenentwurf entgegengestellt hatte. "58 Lassen wir einmal die ironische Kennzeichnung beiseite, so markiert er hier gleich-wohl eine vllig andere Sichtweise als die, die uns ansonsten im Zu-sammenhang mit Abendroths Ausscheiden aus der organisierten Sozial-demokratie begegnet. Hat er recht?

    Es spricht manches dafr, wenngleich ich die Auffassung vertrete, dass beide Prozesse mit einer gewissen Ungleichzeitigkeit miteinander verschrnkt waren. Und wir haben dabei zu beachten, dass Abendroth in den voraufgegangenen Jahren in Fragen wie der Wiederbewaffnung oder der atomaren Aufrstung immer wieder in Konflikt mit der offiziellen SPD-Mehrheitslinie geraten war. Man wird diesen Entfremdungsprozess Abendroths erst dann genauer nachvollziehen knnen, wenn eine detail-lierte Aufarbeitung des Entstehungsprozesses dieses Godesberger Pro-gramms in der Programmkommission einschlielich der Rolle Abend-roths darin geleistet wurde, die bislang noch aussteht.59 Dies kann und soll hier nicht geleistet werden - allerdings wird sich dabei herausstellen, dass seine durchaus positive und offene Mitwirkungsbereitschaft immer grerer Skepsis wich. Seine sptere Schilderung dieser Arbeit fllt denn auch reichlich vernichtend aus. Die fhrenden Vertreter der Kommissi-on (Eichler, Arndt und Deist) htten sich gegenseitig in der Artikulation lediglich "ethischer" Formulierungen bertroffen, die keinerlei konkre-ten Inhalt gehabt htten. Seine Einladung zur Mitgliedschaft darin sieht er u.a. der Tatsache geschuldet, dass zu der Zeit seine "Standfestigkeit im Dritten Reich" noch etwas gegolten habe.6o

    Zum Programm selber heit es dann, in ihm werde jede Klassen-analyse, jeder Klassenstandpunkt, jede berlegung zu den realen, wenn-

    Siegward, Macht und Ohnmacht der Studenten. Kleine Geschichte des SDS, Ham-burg 1998; Fichter, Tilman, SDS und SPD. Parteilichkeit jenseits der Partei, Opladen 1988; Albrecht, Willy, Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS). Vom partei-konformen Studentenverband zum Reprsentanten der NeuenLinken, Bonn 1994.

    58 Lwenthal, Richard, Wolf gang Abendroth, a.a.O., S. 1042. 59 V gl. die Auflistung der Sitzungsprotokolle der Programmkommission der fnfziger

    Jahre, an denen Abendroth teilgenommen und in denen er mitdiskutiert hatte in meiner Bibliographie: Schler, UIi, Wolf gang Abendroth ... , a.a.O., S. 220f.

    60 Abendroth, Wolf gang, Ein Leben ... , a.a.O., S. 249f.

    28

  • gleich verdeckten Klassengegenstzen in der Gesellschaft und deren po-litischem Ausdruck aufgegeben. Es enthalte allenfalls eine halblinke CDU-Programmatik, stehe weit rechts vom Ahlener Programm der CDU von 1947.61 Das, was sich als Resumee in dieser vernichtenden Kritik nur andeutet, brachte Abendroth in einem Brief an seinen Partei-vorsitzenden, in dem er ihm seinen eigenen Gegenentwurf zuleitete, so auf den Punkt: "Da ich der Meinung bin, da der vorliegende Grund-satzprogramm-Entwurf in vielem widerspruchsvoll und mit der Traditi-on der sozialistischen Arbeiter-Bewegung unvereinbar ist, habe ich zwecks Diskussion unter einigen Genossen einen Gegen-Entwurf abge-fat. .. "62 Mit seiner diesem Gegenentwurf spter zugemessenen Intenti-on, Restkader der ,,Alten" und vor allem Kader der sozialdemokrati-schen Jugendorganisationen zu schulen, also Reste von Klassenbewusst-sein zu bewahren und zu stabilisieren63, korrespondiert die von Heinz Brakemeier bermittelte Befrchtung Abendroths, dass es die wichtigste Funktion des zuknftigen SPD-Grundsatzprogramms sein werde, die Unke in der Partei (und in den Gewerkschaften) dauerhaft zum Schwei-gen zu verurteilen bzw. auszuschlieen.64

    Dies erscheint mir zwar eine arg verkrzte Motivationserklrung fr einen immerhin mehrjhrigen Programmerarbeitungs- und -diskussions-prozess zu sein - immerhin tat aber die Parteifhrung in der bald fol-genden Auseinandersetzung einiges dafr, dass sich der Eindruck verfe-stigen konnte, ihr liege eine solche Entwicklung (mit oder ohne Pro-gramm) durchaus am Herzen. Selbst wenn - so stimme ich ja Lwenthal durchaus zu - die Godesberger Programmentscheidung zu einer tiefen inneren Abwendung Abendroths von der SPD fhrte, bemhte er sich in der Folgezeit durchaus weiter um ein loyales Verhalten gegenber dem Parteivorstand. So zeigte er Erich Ollenhauer seine bevorstehende Teil-nahme mit Referat auf einer Konferenz des SDS im Mai 1959 in Frank-

    61 Ebda., S. 245f. Ich halte diese Kritik heute nur noch teilweise fr zutreffend. Sie greift hins!~htlich des Fehlens einer Klassenanalyse, ist aber berzogen, wenn es heit, jede Uberlegung in dieser Richtung fehle und das Programm stehe weit rechts vom Ahlener Programm. Angesichts der realen Vernderungen der bundesrepubli-kanischen Gesellschaft der folgenden Jahrzehnte wird das mit diesem Programm erfolgte erfolgreiche Ausgreifen auf breitere Whlerschichten ebenfalls nur unzurei-chend gewrdigt.

    62 Brief Wolfgang Abendroths an Erich Ollenhauer vom 14. April 1959 (Archiv der sozialen Demokratie, Bonn [AdsDJ).

    63 Abendroth, Wolf gang, Ein Leben ... , a.a.O., S. 245. 64 Brakemeier, Heinz, Wolf gang Abendroth, a.a.O., S. 21.

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  • furt, die spter mit Anlass fr die Unvereinbarkeitsbeschlsse gab, vor-her schriftlich an.65

    Und schon eine Woche nach dieser Konferenz, die mit einer mit Mehrheit angenommenen radikalen auenpolitischen Resolution fr Aufsehen gesorgt und den SPD-Bundestagsabgeordneten Mommer zur ffentlichen Forderung nach Parteiauschluverfahren veranlasst hatte, versuchte er in einem ausfhrlichen Brief an die engere Parteifhrung (Ollenhauer, Wehner, von Knoeringen und Eichler) die Wogen zu glt-ten und warb fr ein rational-verstndnisvolles Umgehen mit dem auf-mpfigen Nachwuchs. Der Brief verdient es aus mehreren Grnden hier nher wiedergegeben zu werden. Erstens dokumentiert er, dass sich Abendroth zu diesem Zeitpunkt (durchaus bereits wissend, was "Go-des berg" bringen wrde) noch absolut loyal gegenber seinem Partei-vorstand verhielt und sich mit dessen Kritik an bestimmten Teilen der kritisierten Resolution durchaus in bereinstimmung sah. Zweitens ver-deutlichen Inhalt wie Wortwahl, dass er weit davon entfernt war, der kommunistischen Fhrung im anderen Teil Deutschlands und ihren po-litischen Anhngern im Westen irgend etwas Positives abzugewinnen. Und drittens entwickelt er darin ein Verhltnis fr ein "zeidoses" Um-gehen politischer "Erwachsenenorganisationen" mit ihren Jugendver-bnden, das - htten es die Adressaten und ihre Nachfolger beherzigt-der SPD eine Menge rger und sich periodisch wiederholende un-fruchtbare Konflikte mit ihren jeweiligen Jugend- und Studentenorgani-sationen erspart htte.

    Zunchst weist er darauf hin, dass die Majoritt fr die beanstandete Resolution nur durch eine Verkettung unglcklicher Umstnde zustande gekommen sei, ein Teil der Anwesenden - trotz bereinstimmung mit den von ihm selbst vorgetragenen kritischen Einwnden - zugestimmt habe, um nicht ohne eine Schlussresolution nach Hause zu gehen. Abendroth gesteht auch zu, dass auf dem Kongress einige "fellow-travellers der Stalinisten und einige Stalinisten" anwesend gewesen seien. Er warnt jedoch davor, aus diesen Grnden mit disziplinarischen Ma-nahmen gegen die groe Mehrheit der anderen vorzugehen: "Die jungen Genossen knnen nur durch ihre eigenen Fehler lernen. Erzieht man sie dazu, jeden ihrer Schritte ngsdich darauf abzustimmen, ob er der Fh-

    65 Brief Wolf gang Abendroths an Erich Ollenhauer vom 2. Mai 1959 (AdsD); vgl. zu der Genesis dieses Konflikts u. a. Bock, Hans Manfred, Geschichte des )inken Ra-dikalismus' in Deutschland. Ein Versuch, Frankfurt/Main 1976, S. 190ff.

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  • rung der Partei und den Intentionen der Verbandsleitungen gefllt, so wirkt man - ob man will oder nicht - zu Gunsten jenes Konformismus, der fr die politische Demokratie allgemein, fr die Entwicklung der so-zialistischen Bewegung im besonderen die grte Gefahr darstellt. Ge-rade die besten jungen Genossen (das gilt fr die Studenten ebenso wie fr die jungen Arbeiter, die auf dem Kongre anwesend waren), werden eine Periode durchlaufen mssen, in der sie zu scheinradikalen Formu-lierungen neigen und also auch einmal entsprechende Fehler in ihrem Verhalten nach auen nicht vermeiden knnen. Schliet man sie deshalb aus den Organisationen der sozialistischen Bewegung aus, so treibt man sie unvermeidlich den in die Arme der Stalinisten."66

    Man kommt nicht umhin, sich an dieser Stelle an seine Bemerkung erinnert zu fhlen, er sei in seiner Frankfurter Studentenzeit organisato-risch zwar auf dem rechten Flgel der kommunistischen Jugend, inhalt-lich aber eher luxemburgianisch als leninistisch orientiert gewesen. Ohne nun auf den Streit eingehen zu wollen, ob in derartigen Fragen Luxem-burg oder Lenin die ,,linkere" Variante darstellten, erscheint mir die zi-tierte Passage nur als klare Absage an eine leninistische Parteiauffassung gelesen werden zu knnen. Umgekehrt erinnert sie aber schon an Rosa Luxemburgs berhmtes Diktum: ,,Fehltritte, die eine wirklich revolution-re Arbeiterbewegung begeht, sind geschichtlich unermelich fruchtbarer und wertvoller als die Unfehlbarkeit des allerbesten ,Zentralkomitees'."67

    Abendroth weist anschlieend darauf hin, dass Ausschlussverfahren objektiv das Gegenteil dessen bewirken mssten, was der Initiator bewir-ken wolle: nmlich eine erhebliche Strkung des Einflusses der SED auf die westdeutsche Arbeiterbewegung. Stimmungen unkontrollierter Sym-pathien fr die DDR knne man aber immer wieder nur durch demokra-tische Diskussion und dadurch auflsen, dass die Partei - wie mit dem Deutschlandplan - realistische Lsungen anbiete. Und er schliet mit der Bekrftigung, dass die Partei natrlich zum Ausdruck bringen ms-se, dass sie bestimmte Formulierungen der Resolutionen dieses Kon-gresses nicht billige, und dass die Mehrheit der Teilnehmer sehr bald einsehen werde, "da zu diesen Fragen die Partei richtig gesehen hat."68

    66 Brief Wolf gang Abendroths an Erich Ollenhauer, MdB, Herbert Wehner, MdB, Waldemar vom Knoeringen, MdB und Willi Eichler vom 30. Mai 1959 (AdsD).

    67 Luxemburg, Rosa, Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie (1904), in: dies., Die russische Revolution. Eingeleitet und herausgegeben von Ossip K. Flecht-heim, Frankfurt/M. 1963, S. 44.

    68 Brief. .. vom 30. Mai 1959.

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  • Willi Eichlers Antwortbrief wenige Tage spter belegt, dass die Parteifhrung von diesen eindringlichen Mahnungen Abendroths we-nig begriffen hatte, auf Konfrontation und nicht auf Integration ge-genber ihrem kritischen Nachwuchs aus war. Er schreibt dem lieben Genossen Abendroth (der sarkastische Unterton ist nicht zu berhren): "Es ist sehr schn, wie Du Dich dafr einsetzt, dass die Jugend das Recht auf den politischen Irrtum hat. Ich wrde das auch nicht be-streiten, bin allerdings der Meinung, dass die Jugend, die diesen Kon-gress vorbereitet und die Resolution zurechtgeschoben hat, damit vllig bewusst eine Politik betreibt, die der der SPD entgegensteht und der Sa-che nach eine kommunistische ist. Selbst das muss kein Charakterfehler sein, vertrgt sich aber meiner Meinung nach nicht mit der Mitglied-schaft in der SPD."69 Damit waren bereits Mitte 1959 die Weichen ge-stellt fr das, was zwei Jahre spter folgen sollte - obwohl sich ja zwi-schenzeitlich im SDS durchaus Auseinandersetzungen vollzogen, die zur Zurckdrngung der "fellow-travellers" fhrten. Die SPD-Fhrung aber zeigte keinerlei Bereitschaft mehr, auf einen Selbstklrungsprozess zu setzen, innerhalb des SDS nach Personen und Fraktionen zu diffe-renz1eren.

    Der hier beschriebene Prozess erfuhr in gewisser Weise im Jahre 1961 seine Wiederholung - zumindest, was die Rolle Abendroths be-trifft. Ohne vorher auch nur einem Mitglied des SDS oder der Frderer-gesellschaft die Gelegenheit zu geben, zu den gegen sie erhobenen V or-wrfen Stellung zu nehmen, beschloss der Parteivorstand Mitte Oktober die Unvereinbarkeit zwischen diesen Organisationen und der SPD. Erst nach diesem Beschluss fand ein Gesprch zwischen Ollenhauer und Wehner auf der einen, Abendroth und Flechtheim auf der anderen Seite statt, in dem - so Abendroth - nicht mehr diskutiert, sondern nur noch die Unterwerfung verlangt wurde. Pikanterweise wurde die Begrndung fr diesen Beschluss erst drei Monate spter verffentlicht. U.a. hie es darin, der SDS habe im Januar 1959 in Berlin und im Mai 1959 in Frankfurt (also vor mehr als zwei Jahren - fr eine Studentenorganisa-tion eine kleine Ewigkeit) "eindeutig SED-inf1ltrierte" Kongresse veran-staltet. Beiden Organisationen wurde vorgeworfen, sie htten nach ei-nem "wohlberlegten Plan" die SPD spalten wollen.1

    69 BriefWilli Eichlers an Wolf gang Abendroth vom 4. Juni 1959. (AdsD). 70 V gI.. Abendroth, Wolfgang/Dhne, Eberhard, Stellungnahme zur ,,Dokumentation SPD

    und SDS" des Parteivorstandes der SPD (15. Februar 1962), in: Flechtheim, Osip K. (Hrsg.), Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945.

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  • Sich auf zwei Briefe71 vom 13. und 25. Oktober 1961 beziehend legte der Parteivorsitzende Ollenhauer seine Haltung gegenber Abendroth Ende Oktober noch einmal knapp dar. So lapidar wie apodiktisch heit es in der Schlusspassage: "Die ausdrckliche Frderung einer organisier-ten Gruppe von der Art des SDS [I] kann von der Sozialdemokratischen Partei nicht anders als die Untersttzung einer gegen die SPD wirkenden politischen Gruppe aufgefat werden. ... Eine ,vertrauensvolle Zu-sanunenarbeit' zwischen der zur Frderung des SDS ins Leben gerufe-nen Frderergemeinschaft und dem Vorstand der SPD kann es nicht ge-ben."72

    Selbst unter dieser schwer zumutbaren Voraussetzung unternahm Abendroth einen letzten, nochmals umfangreich argumentierenden Ver-such, den Bruch zu kitten. Zwei Tage nach dem erwhnten Gesprch und vier Tage nach Ollenhauers Brief antwortete er ihm und bekrftigte zunchst seine Auffassung, dass die Grndung der Frderergemein-schaft keinen Solidarittsversto gegenber der Partei dargestellt habe. Nun kann man allerdings auch bei ihm einen gehrigen Schuss Sarkas-mus heraushren, wenn er fortfhrt: "In einer demokratisch organisier-ten Partei konnte niemand annehmen, dass deren Vorstand es fr erfor-derlich halten wrde, vor einem derartigen Zusammenschlu von den beteiligten Parteimitgliedern befragt zu werden, ob er deren Beteiligung wnsche. Die Gewohnheiten des ,demokratischen Zentralismus' lenini-stischer Parteien halten die beteiligten Mitglieder der SPD nicht fr einen Bestandteil sozialdemokratischer Partei-Loyalitt. "73

    Aber jenseits dieses sicherlich schon etwas resignativen Sarkasmus versuchte er in diesem Brief immer noch Brcken zu bauen. Er be-harrte zwar darauf, dass er seine Haltung gegenber dem SDS und der Frderergemeinschaft nicht werde ndern knnen. Aber die Begrn-dung htte nochmals Anlass zur kritischen berprfung der rigiden Haltung der Partei fhrung Anlass geben knnen, was - wie bekannt ist - nicht geschah: "Ich halte sie auch im Interesse der SPD fr gebo-ten, um auch knftig an der berwindung sektiererisch-linksradikaler Stimmungen in der jungen Studentengeneration und an deren Erzie-hung zur Mitarbeit in Partei und Gewerkschaften bei Bewahrung ihrer

    Siebenter Band.lnnerparteiliehe Auseinandersetzungen. 2. Teil, Berlin 1962, S. 174, 178.

    71 Ob es sich hierbei um Briefe Abendroths handelt, ist mir nicht bekannt. 72 Brief Erieh Ollenhauers an Wolfgang Abendroth vom 31. Oktober 1961 (AdsD). 73 Brief Wolf gang Abendroths an Erieh Ollenhauer vom 4. November 1961 (AdsD).

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  • selbstndigen und kritischen gelstJgen Haltung mitwirken zu kn-nen."74 Eine Antwort Ollenhauers auf diesen wohl letzten Versuch mit einem durchaus bemerkenswerten Angebot ist mir nicht bekannt.

    Festzuhalten bleibt, dass Abendroth trotz seiner Auffassung, dass sich die SPD mit dem Godesberger Programm auerhalb ihrer eigenen Traditionen gestellt hatte, auch zwei Jahre spter noch intensive Versu-che unternimmt, den drohenden Parteiausschluss und den endgltigen Bruch abzuwenden. So lesen wir auch einige Jahre spter (1964) noch, dass es nicht sein Problem sei, in der SPD mitzuwirken, sondern das die-ser Partei: "Ich htte keinerlei Bedenken, in der SPD zu arbeiten, wenn ich die Mglichkeit dazu htte. Aber die Errterung sozialistischer L-sungen ist ja bei denen verboten. "75 In welchem Umfang die SPD weiter ein Problem mit Abendroth hatte, wie man es auch im Rckblick kaum fr mglich hlt, belegen zwei sich hnelnde Vorgnge.76 Obwohl es Abendroth ja noch nicht einmal geschafft hatte, zum Parteitagsdelegier-ten fr "Godesberg" nominiert zu werden, wurde im Parteivorstand der SPD (wie man munkelt von Bruno Friedrich) ein mehrere hundert Sei-ten starkes Dossier zusammengestellt, versehen mit einem Inhaltsver-zeichnis, einem Vorwort, einem Literaturverzeichnis, einem umfangrei-chen Exzerptteil aus Schriften Abendroths, einem detaillierten Personen-und Sachregister und selbst einem Personenregister fr die Exzerpte. Dabei wurde die "uere Form der Arbeit so gehalten, da Ergnzun-gen, Nachtrge und Erluterungen auch zu den einzelnen Abschnitten mglich sind." "Sinn und Zweck" der Arbeit sollte es sein, "eine Dar-stellung der Auffassungen Prof. Dr. Wolf gang Abendroths ... zur Pro-grammatik des freiheitlich-demokratischen Sozialismus in Deutschland, wie sie im Godesberger Programm der SPD ihren Ausdruck ftndet, zu geben." Dabei sollten eine "lckenlose Erfassung seines Schrifttums an-gestrebt"77 und "Nuancen im Ton" durch mglichst wrtliche Wieder-gabe miterfasst werden.78

    74 Ebda. 75 Zit. nach: Weltanschauung. Die Linke. Kuh und Klasse, in: Der Spiegel Nr. 46 vom

    11. November 1964. 76 Wir stellen hier nur den einen dar. Der andere drckt sich in einer nochmaligen,

    diesmal allerdings nicht mehr ganz so akribischen Dokumentation zum Verhltnis von SPD und SDS aus.

    77 Was nicht gelang; vgl. Schler, Vii, Wolf gang Abendroth ... , a.a.o., S. 213. 78 Vorwort, in: Prof. Abendroth und das Godesberger Programm, 0.0., 0.]. [Bonn

    1961],S.1.

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  • Aus heutiger Sicht hat es schon fast etwas Skurriles, wie hier der akribische Versuch gemacht wurde, gegenber einem einzelnen ausge-schlossenen ehemaligen Parteimitglied mglichst dauerhaft (also fast in der Art einer zu ergnzenden Loseblattsammlung) argumentations-, man muss schon besser sagen: verteidigungsfahig zu bleiben. Jenseits dieses eher belustigenden Aspekts drckt sich darin aber doch ein anderer ra-tionaler Kern aus. Die Akteure in der SPD-Parteifhrung gingen er-kennbar nicht davon aus, dass sich das Phnomen Abendroth bereits dadurch baldigst erledigen wrde, dass hinter der Fassade des zwischen-zeitlich zur Sozialdemokratie "Konvertierten" schon bald wieder der ur-sprngliche, lupenreine Kommunist zum Vorschein kommen werde. Mit einem Kommunisten stalinistischer Prgung htte man sich eine derarti-ge Mhe nicht gemacht. Auch dort hielt man also Abendroths deutliche Abgrenzung gegenber den Stalinisten und ihren "fellow-travellers" fr absolut authentisch.

    ber den gescheiterten Versuch eines eigenstndigen Linkssozialismus ...

    Dass sich der "Fall Abendroth" fr die SPD noch fr lange Zeit nicht in Richtung auf eine "prokommunistische" Wendung lsen sollte, soll ein etwas ausfhrlicher Streifzug durch einen Aufsatz Abendroths verdeutli-chen, der im Folgejahr erschien. Man kann heute nur darber spekulie-ren, warum diese Verffentlichung nur in Italien geschah, whrend ja ansonsten Beitrge Abendroths in auslndischen Zeitschriften eher im Wege von bersetzungen zustande kamen. Es spricht einiges dafr, dass dies der Tatsache geschuldet ist, dass Abendroth nicht gerade freundlich, zugleich aber drastisch-offen ber Grundprobleme der deutschen Lin-ken auerhalb der Sozialdemokratie handelt.

    Der Aufsatz schliet mit folgender berlegung: " ... es gibt heute kein Zentrum, um das herum sich die Oppositionsstrmungen zu einer echten politischen Kraft bndeln knnten. Voraussetzung fr die Bil-dung eines derartigen Zentrums wre, da eine wenn auch kleine Grup-pe linker Intellektueller und Gewerkschaftsfhrer in vollem Umfang die-se Situation begreift und sich von der Politik der Sozialdemokratie und der kommunistischen Partei auf eine Weise abgrenzt, die sie auch deut-schen Arbeitermassen klar und verstndlich werden liee, ohne Konzes-sionen gegenber der ,ffentlichen Meinung', der Presse, der Fhrung

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  • der politischen Parteien in der Bundesrepublik Deutschland einzugehen, die alle auf eine Politik der Gewalt und auf eine Verschrfung der inter-nationalen Spannungen abzielen. "79

    Abendroth sparte in diesem Aufsatz nicht mit Kritik an der Ent-wicklung der Politik von Gewerkschaften und SPD - kein Wunder, hatte letztere ihn erst im Jahr zuvor ausgeschlossen. Der Schwerpunkt des Textes liegt jedoch auf einer Auseinadersetzung mit den Schwierig-keiten der unabhngigen mit der (inzwischen im Westen ja verbotenen) kommunistischen Linken. Ausgangspunkt dafr ist fr ihn der Zustand der DDR und ihrer Fhrung. Trotz der Konzedierung eines gewissen Verstndnisses fr die Reparationspolitik der UdSSR gegenber der DDR stellt er fest, dass eine derartige wirtschaftliche Plnderung ber lange Zeit nicht ohne Ausbung einer Schreckensherrschaft habe durch-gefhrt werden knnen. Darin sieht er die eigentliche Erklrung dafr, dass die SED, die von Anfang an eine "stalinistische Partei" gewesen, dies bis zum jetzigen Zeitpunkt auch geblieben sei. Parallel dazu seien weite Teile der Linken in der Bundesrepublik durch die Politik der Fh-rungen von SPD und DGB desillusioniert worden.so Mit der Folge:

    "Es darf daher nicht verwundern, da nach jedem Mierfolg der Einflu der - bis 1956 legal ttigen - Stalinisten insbesondere auf die jungen Fhrungskrfte dieser spontanen Oppositionsgruppierungen stieg, indem sie illusorische Hoffnungen auf eine positive demokratische Entwicklung in der DDR nhrten." Und nun folgt das schwierige, neue Dilemma: "War bis 1956 zwischen jenen Gruppen, die diese Illusion nicht teilten einerseits und zwischen den Stalinisten und jenen jungen Funktionren, bei denen das politische Scheitern philostalinistische Illu-sionen geweckt hatte andererseits, noch eine verhltnismig offene Diskussion ber diese Frage mglich, so verschwand nach dem Verbot der KPD auch diese Mglichkeit: Von diesem Augenblick an bedeutete jeder offene Angriff auf einen Gewerkschaftsfunktionr oder auf einen jungen Intellektuellen, selbst wenn er nur argloseste philostalinistische Illusionen hegte, ihn einer Strafverfolgungsmanahme seitens der Bun-desbehrden auszusetzen. Auf diese Weise gestaltete sich der interne Klrungsproze zwischen den deutschen Linken immer schwieriger. "81

    79 Abendroth, Wolf gang, La sinistr~ socialista in Germania, in: Critica Sociale Nr. 10 vom 20. Mai 1962, S. 247 [die Ubersetzung erfolgte ber den Sprachendienst des Auswrtigen Amtes].

    80 Ebda., S. 245. 81 Ebda., S. 246.

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  • Objektiv, so schlussfolgert er daraus, wurde damit fr die Stalinisten das Verbot zu einer Schutzmanahme, die vor allem innerhalb der Lin-ken einen offenen Angriff auf stalinistische Funktionre verunmgli-che.B2 Auf diese Weise knnten die Stalinisten verhindern, dass die Auswirkungen der "katastrophalen Politik der Ulbricht-Gruppe", ausge-drckt in dem ,,in der DDR vorherrschenden stalinistischen Terror, de(m) relativ niedrige(n) Lebenstandard und (der) fehlende(n) geistige(n) Freiheit" deren Einfluss auf die klassenbewussten Funktionre der Ar-beiterjugend und -bewegung zunichte machen.B3 Abendroth empfmdet dieses Dilemma deshalb als besonders gravierend, weil er es fr eine "hartnckige Illusion" hlt, "die Auflsung des sozialistischen Bewut-seins in der deutschen Arbeiterbewegung durch Zusammenarbeit mit den stalinistischen Gruppierungen aufhalten zu knnen. Das Verbot der KPD und ihrer politischen Freunde verhindert es, diese Illusion offen auszufechten ... "84 Die einzige organisierte Gruppierung der deutschen Linken, die dieses Problem fr sich gelste habe, die in ihren Reihen keine philostalinistische Unentschlossenheit zulasse, sei der SDS (ber andere Personen, Gruppen und Zeitschriften hatte er sich zuvor kriti-scher geuert).

    Ich habe die Positionen dieses Aufsatzes hier nicht nur so breit wie-dergegeben, weil er bislang in der Bundesrepublik weitgehend unbe-kannt bzw. unbeachtet geblieben ist. Vielmehr ging es mir auch um den Nachweis, dass Abendroth in diesen Jahren authentisch und glaubwr-dig um eine eigenstndige links sozialistische Position in der bundesre-publikanischen politische Landschaft rang. Folgerichtig fhrten diese berlegungen in die Aktivitten des "Sozialistischen Bundes", dessen

    82 Es kann hier nur am Rande darauf hingewiesen werden, dass strukturell hnliche Probleme innerhalb der bundesrepublikanischen Linken in den 70er Jahren neu auf-lebten. Der Verfasser konnte selbst vielfltig erleben, dass kritische Debatten ber Repressionsmanahmen in den realsozialistischen Staaten und die Haltung der -nunmehr legalen - Kommunisten und "philokommunistischer" Strmungen in der sozialdemokratischen Linken dazu mit dem - ja durchaus berechtigten - Hinweis auf drohende Berufsverbote unterdrckt werden konnten.

    83 A.a.O. Zu den "brutalen Initiativen der Ulbricht-Clique" zhlte er z.B. den 13. Au-gust 1961 (d.h. den Mauerbau); ebda., S. 247. Ein knappes Jahrzehnt spter beurteilt er diesen Vorgang vllig verndert, entwickelt auf mehreren Seiten mehr oder weni-ger nachvollziehbare Erwgungen zur Erklrung und Rechtfertigung dieses Gesche-hens, die in der Einsicht kulminieren: "So wurde der ,Schnitt' des 13. August 1961 vom Standpunkt der Sicherung des konomischen Aufbaus der DDR aus gesehen fast unvermeidlich und notwendig ... "; ders., Der 13. August 1961, in: Bltter fr deutsche und internationale Politik H. 8/1971, S. 779.

    84 Ebda.

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  • organisatorische wie inhaltliche Arbeit ebenfalls bis heute noch eIDer eingehenderen Aufarbeitung harrt. 85

    Als Abendroth Mitte 1963 dessen Aufgaben beschrieb, hatte sich sein Urteil keineswegs gewandelt: "Die fr uns in dieser Richtung dring-lichste Frage ist dabei die Stellung gegenber dem deutschen Staat, der sich als ,sozialistisch' bezeichnet, gegenber der DDR. Die altstalinisti-schen Herrschaftsformen in der DDR, die nur uerst begrenzt (z.B. in juristischen Fragen) aufgelockert worden sind, bleiben (von Albanien abgesehen) noch immer die reaktionrsten des Ost-Blocks und kom-promittieren in der Bundesrepublik den Sozialismus in solchem Mae, da wir auf ihre scharfe Kritik unter keinen Umstnden verzichten kn-nen."86

    ... in die Nhe der DKP

    Der Versuch, eine eigenstndige links sozialistische Gruppierung oder Partei zwischen SPD und illegaler KPD aufzubauen, darf mit Fug und Recht als gescheitert betrachtet werden. Das Jahr 1968 markiert dabei insofern einen gewissen Kristallisations- und Kulminationspunkt, weil sich hier gleich mehrere Entwicklungen zu Entscheidungen bndelten. Die Studentenbewegung entwickelte sich rasch zu einer fr den brger-lichen Staat durchaus bedrohlichen Massenbewegung (und zwar nicht nur in Deutschland). Verbunden damit war allerdings auch eine gewisse Abkehr von festen, parteifrmigen Organisationsstrukturen hin zu spon-tanen, als ,,revolutionr" verstandenen Massenaktionen. Gleichzeitig walzten sowjetische Panzer in Prag die Hoffnung auf den Beginn eines "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" im realsozialistischen Lager nieder. Abendroth gehrte zu einer Gruppe unabhngiger Linksintel-lektueller, die dies in einer ffentlichen Resolution deutlich verurteil-te.87 Schlielich wurde, nach sorgfaJ.tigen Sondierungen mit dem sozial-

    85 Vgl. bislang etwa Bock, Hans Manfred, Geschichte des ,linken Radikalismus', a a 0., sowie Ryschkowsky, NikolausJ.,Die linke Linke, Mnchen/Wien 1968, S. 32ff.

    86 Abendroth, Wolf gang, Die gegenwrtige Situation und die Aufgaben des SB, in: In-formationsdienst. Herausgegeben vom Sozialistischen Bund e.V. H. 5/1963, Son-dernummer,S.li

    87 Wie wenig es der SPD-Fhrung genutzt hatte, sich 1961 von ihrem aufmpftgen Studentenverband SDS zu trennen und daneben den Aufbau eines "parteifrom-men" Sozialdemokratischen Hochschulbundes (SHB) zu betreiben, erwies sich be-reits 1968, als dessen Bundeszentralrat mit Mehrheit die Solidaritt - nicht etwa mit der Fhrung in Prag, sondern - mit den Beendigern der dortigen "Konterrevoluti-on" beschloss. Die Abendrothsche Warnung vor den naturwchsigen Bedingungen

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  • demokratischen Innenminister Gustav Heinemann, eine Deutsche Kommunistische Partei (DKP) in der Bundesrepublik legal neu gegrn-det, die fortan die Grndung einer eigenen linkssozialistischen Partei zumindest weiter erschwerte, wenn nicht letztendlich ganz verhinderte. Das 1969 zu den Bundestagswahlen antretende Wahlbndnis ,,Aktion Demokratischer Fortschritt" (ADF) wurde nicht nur von Abendroth88, sondern auch bereits von der DKP untersttzt, eine Situation, die noch im Jahr davor innerhalb des Sozialistischen Bundes gerade wegen der Prager Ereignisse auf heftige Ablehnung gestoen war. Das Bndnis kam aber ber das Ergebnis einer Splitterpartei nicht hinaus, was Abend-roth anschlieend zum einen mit der berraschenden "Linkswendung" der FDP erklrt, der viele potentielle ADF-Whler ber die SOlo-Hrde htten helfen wollen. Der Rest dieser Whlerbasis sei zum anderen an die SPD gegangen, u.a. auch deshalb, weil ,,ihre Kader durch die volle Identifikation der DKP mit der Politik der UdSSR gegenber der CSSR und durch die berraschende Neugrndung der DKP verunsichert wa-ren."89 Die Reste des Sozialistischen Bundes wurden schlielich in das "Sozialistische Bro" in Offenbach bergeleitet, aus dem keine weiteren ernsthaften Parteigrndungsversuche mehr hervorgingen.

    Auch der SDS, der sich - wie Abendroth ja klarsichtig beschrieben hatte - als linkssozialistische Organisation im Verlaufe der sechziger Jahre durchaus konsolidiert hatte, berlebte seine grten Erfolge nur um wenige Jahre, lste sich bereits 1971 endgltig auf. Die zunchst stark antiautoritr geprgte Studentenbewegung mndete im Gefolge in ein Konglomerat von linken Zellen, autoritren Sekten und (insbeson-dere maoistische) Parteien, die in den siebziger Jahren weniger dem System als sich selbst untereinander die heiesten Schlachten lieferten. Ein gewichtiger Teil des SDS grndete den Marxistischen Studenten-bund Spartakus, der bald zur Studentenorganisation der DKP wurde.

    "philostalinistischer" Denkweisen hatte sich also binnen weniger Jahre erneut best-tigt.

    88 Vgl. z.B. Abendroth, Wolf gang, Jawohl, Herr Dr. Wallmann. Ich bin Sozialist!, in: Oberhessische Presse Nr. 224 vom 27. September 1969, S. 17. Seinen Aufruf be-grndet er damit, dazu beizutragen, dass durch einen noch so bescheidenen Wahler-folg dieses kompromisslos antifaschistischen Wahlbndnisses die Fhrung der SPD an ihre historische Pflicht zur Erhaltung und zum Schutz des Grundgesetzes erin-nertwerde.

    89 Ders., Analyse der Bundestagswahlen vom 28. September, in: Stimme der Gemeinde H. 20/1969,S. 624f

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  • Nehmen wir das Ergebnis unserer Zwischenberschrift vorweg. Viele glaubten wohl in dieser Zeit, sich zwischen der unorganisierten, anti-autoritren Studentenbewegung oder neuen, festen Organisationsfor-men, in diesem Fall dem MSB bzw. der DKP entscheiden zu mssen. Dies scheint - so gibt es zumindest Jrgen Seifert aus einem Gesprch wieder - auch bei Wolf gang Abendroth der Fall gewesen zu sein. Er hielt nun die neu entstandene DKP - sicher zunchst ohne sich Illusionen ber die in ihr verbliebenen Restbestnde stalinistischer Kader bzw. stalinistischen Gedankenguts zu machen - fr einen neuen Kristallisa-tionskern zur Entwicklung von Klassenbewusstsein in der zeitge-nssischen Bundesrepublik. ffentlich allerdings nahm er sie nun ge-gen Attacken von auen nahezu ohne eigene kritische Einwnde in Schutz.9o

    Von der noch 1963 fr erforderlich gehaltenen "scharfen Kritik" und dem dazu gehrigen Begrndungszusammenhang lesen wir nun ebenfalls nichts mehr. Eine Buchbesprechung von Jean Elleinsteins "Geschichte des Stalinismus" nutzt er 1977 - verglichen mit seinen Po-sitionen der sechziger Jahre (und ohne die Grnde fr seinen Einstel-lungswandel wirklich kenntlich zu machen) - zu der schon erstaunlichen abschlieenden Feststellung, dass es "unvermeidlich" (wir mssen hin-zufgen: nur noch) sozialpsychologische (und organisatorische) Reste des Stalinismus gebe, die aus dieser Zeit vor dem 20. Parteitag der KPdSU von 1956 stammten.91

    Ein vergleichbarer langsamer Wandlungsprozess lsst sich auch da feststellen, wo Abendroth sich in seiner tagespolitischen Publizistik mit (populr-)wissenschaftlichen Positionen der politischen konomie aus-einandersetzt, auf welche Theorien er rekurriert und welche Begrifflich-keit er benutzt. Mindestens seit 1968 verwendete er wie selbstverstnd-lich das in den Arbeiten der DDR-konomen mitentwickelte Theorem vom "staatsmonopolistischen Kapitalismus".92 Ende 1969 verffentlicht er hingegen in der "Zeit" noch eine ausgesprochen positive Wrdigung der konomischen Schriften des in der DDR zu dieser Zeit politisch wie wissenschaftlich als "persona non grata" behandelten, sich trotzkistisch

    90 Abendroth, Wolf gang, Die DKP: eine neue Partei (Leserbrief), in: Frankfurter All-gemeine Zeitung vom 21. Mrz 1973. Fast im gleichen Zeitraum machte er sich aber auch weiterhin ausgiebig Gedanken ber die "Chancen der SPD-Linken"; vgl. ders., Chancen der SPD-Linken, in: Neues Forum, April 1973, S. 19ff.

    91 Ders., Ein neuer Stalinismus?, in: konkret H. 3/1977, S. 15. 92 Ders., Arbeiterbewegung im Wahlkampf?, in: Marxistische Bltter H. 5/1968, S. 2.

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  • verstehenden Ernest Mandel, und setzt ihn zugleich pos1tlv von den gngigen DDR-konomen ab. Fast sffisant vermerkt er "am Rande ... , da den Autoren der ,Marxistischen Bltter' vor allem Mandels Darstel-lung der sowjetischen konomie nicht pat."93 Spter sollte er nahezu durchgngig und ohne nhere Begrndung das genannte, von Mandel strikt abgelehnte, Theorem weiterverwenden. Wir knnen hier nur so viel festhalten, dass also im bergang der spten sechziger zu den sieb-ziger Jahren seine Beurteilung der Politik der DDR bzw. der UdSSR im Vergleich zu der V orperiode ausgesprochen milde wurde, wenngleich er innere Repressalien, sei es gegenber Biermann, sei es gegenber Bahro, weiter, wenn auch sehr viel vorsichtiger kritisierte, was ihm heftige Kri-tik von frheren Mitstreitern einbrachte.

    Sein durchaus nicht eindimensionaler Wandlungsprozess drckt sich auch in den verschiedenen Stellungnahmen anlsslich der folgenden Bundestagswahlen aus. 1972 hlt er sich mit einer konkreten Wahlemp-fehlung noch eher zurck, bezeichnet die Abwehr des Sieges der CDU / CSU als die wichtigste Aufgabe. Ergnzend heit es blo, es gelte, neben den Koalitionsparteien (SPD und FDP) auch im Wahlkampf einen kriti-schen Akzent zu erhalten.94 Den Wahlerfolg der sozialliberalen Koali-tion, insbesondere der SPD, wertete er noch als einen "Sieg der Klasse der abhngig Arbeitenden in der Bundesrepublik Deutschland". Er strich entgegen frherer scharfer Aburteilungen der SPD diesmal positiv heraus, dass diese sich auf ihrem Dortmunder Wahlparteitag als Partei der Arbeitnehmer und des "demokratischen Sozialismus" bezeichnet hatte.95 Vor der Wahl 1976 war er jedoch zu seiner alten Kritik an der SPD zurckgekehrt, hielt ihr vor, den Begriff des Sozial