Über echten und falschen vikarismus

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0STERREICHISCHE BOTANISCHE ZEITSCHRIFT. LXVIII. Jahrgang, Nr. 1--4. Wien, J~nner--April 1919. Tiber echten und falschen Vikarismus Von Prof. Dr. F. Vierhapper (Wien). Das Studium der vikarierenden Sippen hat in" den letzten Jahr- zehnten sowohl in der Pfianzengeographie als auch in dex phylogeneti- schen Botanik eine gro~e Ro]le gespielt. Da nun hiebei, wie ieh glaube, der Begriff des Vikarismus nieht immer in gaaz einheitliehem Sinne verstanden wurde, halte ich es fiir angebraeht, einmal etwas niiher auf ihn einzugeben. Man versteht im allgemeinea unter vikarierenden Sippen -- Vika- karisten -- solehe, die sich in ihrer Verbreitung aussehlie~en, mit- einander zunttehst verwandt and daher mutmal~lich gemeinsamer Ab- stammung sind. So aul~ert sieh Diels (1): ,Vikarierende Sippen sind wesensiihnliehe Sippen, die ]eichte Vorschiedenheiten der Merkmale zeigen and in ihrer Verbreitung sich gegensoitig aussehlie~en. Man pfiegt sieals Abkiimmlinge ether gemeinsamen Grundform zu betrachten" ; and Dr u de (2), naehdem er die Entstehung endemischer Formen aus ether gemeinsamen Stammform mit zusammenhitngendem Areal in ver- sehiedenen Teilen dieses Areales erlauter~ hat: .Die versehiedenen neu entstandenen Ableitungsformen weison in ihren versehiedenea Ursprangs- orten auf einen gemeinsamen Anfang ihrer Bildung hin, sind ,korre- spondierende" oder ,vikarierende" Formen, .l~epr~isentativformen". Die systematiseho Wertigkei~ der vikarierenden Sippen ist eine sehr versehiedene. Sie umfai~t alle niederen Kategorien des Systemes. In erster Linie denkt man freilieh nur an solehe niedrigsten Ranges, Rassen and Arten, doeh gibt es aueh vikarierendo Sektionen, Gattungen and, in gewissem Sinne, auch Tribus and Familien. Es aimmt jedoeh die Erseheinung mit steigender Wertigkeit dor Sippen an Htiufigkeit und eharakteristisehem Geprage ab. Ais vikarierende Familien seien die nahe verwandtenl) Cactaceae und Aizoaceae genannt, von denen die ersterea in weitaus fiberwiegendem Formenreichtum in Amerika, dia letzteren fast aussehliei~lieh in der alten Welt, und zwar vornehmlieh in Stidafrika, verbreitet sind. 1) Nach W e t t s t e i n (41). O~terr. botan, Zeitschrift,1919, Heft 1--~t. 1

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0STERREICHISCHE

BOTANISCHE ZEITSCHRIFT. LXVIII. Jahrgang, Nr. 1--4. Wien, J~nner--April 1919.

Tiber echten und falschen Vikarismus Von Prof. Dr. F. Vierhapper (Wien).

Das Studium der vikarierenden Sippen hat in" den letzten Jahr- zehnten sowohl in der Pfianzengeographie als auch in dex phylogeneti- schen Botanik eine gro~e Ro]le gespielt. Da nun hiebei, wie ieh glaube, der Begriff des Vikarismus nieht immer in gaaz einheitliehem Sinne verstanden wurde, halte ich es fiir angebraeht, einmal etwas niiher auf ihn einzugeben.

Man versteht im allgemeinea unter vikarierenden Sippen - - Vika- karisten - - solehe, die sich in ihrer Verbreitung aussehlie~en, mit- einander zunttehst verwandt and daher mutmal~lich gemeinsamer Ab- stammung sind. So aul~ert sieh Diels (1): ,Vikarierende Sippen sind wesensiihnliehe Sippen, die ]eichte Vorschiedenheiten der Merkmale zeigen and in ihrer Verbreitung sich gegensoitig aussehlie~en. Man pfiegt sieals Abkiimmlinge ether gemeinsamen Grundform zu betrachten" ; and Dr u de (2), naehdem er die Entstehung endemischer Formen aus ether gemeinsamen Stammform mit zusammenhitngendem Areal in ver- sehiedenen Teilen dieses Areales erlauter~ hat: .Die versehiedenen neu entstandenen Ableitungsformen weison in ihren versehiedenea Ursprangs- orten auf einen gemeinsamen Anfang ihrer Bildung hin, sind ,korre- spondierende" oder ,vikarierende" Formen, .l~epr~isentativformen".

Die systematiseho Wertigkei~ der vikarierenden Sippen ist eine sehr versehiedene. Sie umfai~t alle niederen Kategorien des Systemes. In erster Linie denkt man freilieh nur an solehe niedrigsten Ranges, Rassen and Arten, doeh gibt es aueh vikarierendo Sektionen, Gattungen and, in gewissem Sinne, auch Tribus and Familien. Es aimmt jedoeh die Erseheinung mit steigender Wertigkeit dor Sippen an Htiufigkeit und eharakteristisehem Geprage ab.

Ais vikarierende Familien seien die nahe verwandtenl) Cactaceae und Aizoaceae genannt, von denen die ersterea in weitaus fiberwiegendem Formenreichtum in Amerika, dia letzteren fast aussehliei~lieh in der alten Welt, und zwar vornehmlieh in Stidafrika, verbreitet sind.

1) Nach W e t t s t e i n (41). O~terr. botan, Zeitschrift, 1919, Heft 1--~t. 1

Die Familie der Gramineae 1) wird in den Tropen hauptsitchlich durch die Unterfamilien Bamb~esoideae und Panicoideae, in den ge- mi~l~igten und kalten Gebieten vorwiegend durch die Poaeoideae, die Unterfamilie Taxoideae der Taxocupressaceae~) in den Tropen und extra- tropischen Gebieten der s•dlichen Hemisphii, re nut" durch die Tribus Podocarpeae, in den extratropischen Gebieten tier nSrdlichen Hemi- sphere fast nur durch die Cephalotaxeae und Taxeae vertreten.

Die Gattungen Larix, Cedrus und Pseudolarix sind vik~rierende Vertreter der im borealen Florenreiche heimischen Subtribus Laricinae der Familio der Abietaceae~); w~hrend n~mlieh Larix in den sub- arktischen und temperierten Gsbieten Eurasiens und Nordamerikas in mehreren wiederum vikarisrenden Arten eine weite Vsrbreitung besitzt. ist Cedrus in drei gleichfalls vikariersnden Arten auf das Mediterran- gebiet und den Himalaya und die monotypische Pseudolarix auf das nSrdliche und 5stlicho China beschriinkt. Ahnliche Beispiele liefien sich noch manche namhaft machen.

Yiel grSfier ist die Zahl der Vikaristen unter den niedersten systematisehsn Kategorien, den Arten und Rassen. Von ihnen, die allein das Phiinomen des Vikarismus in scharfer Auspr$igung zeigen. soil im folgenden fast ausschliei~lich dis Reds sein. Eine Fiille vika- rierender Arten finder sich in E n g l e r s (5) ,Versueh einer Entwick- lungsgeschichte der Pflanzenwelt" verzeichnet. Es seien hier nm" ein paar Beispiele herausgegriffen, durch die, nebst manchen anderen, E n g l e r die his auf die Tertiii, rzeit zuriickreiehenden Beziehungen der mittel- und sfideuropiiisehen Flora zu der Asiens und Nordamerikas veranschaulieht. So finden sich Ostrya carpinifolia Scop. in Siideuropa, O. virginica W. in N o r d a m s r i k a - als einzige Vertreter ihrer Gattung; Eranthis hiemalis Salisb. in West- und Mitteleuropa, L'. sibirica D. C. nnd uncinata Turcz. in Sibirien, E. stellata Maxim. in den Amur- l~ndern, E. Keiskei Franeh. et Say. und pinnatifida Maxim in Japan; Amelanchier vulgaris Mnch. in Stid- und Mitteleuropa, A. cretica Pets. auf Kreta und A. canadensis (L.) Torr. et Gray in Japan und Nord- amerika; Cercis siliquastum L. im Mittelmeergsbiet, C. chinensis Bunge in China und Japan und C. canadensis L., occidentalis Torr. nnd reniformis Engslm. in Nordamerika; Lathraea sq~eamaria L. in Mittel- und Stideuropa, L. clandestina L. in Westeuropa, L. rhodol~ea Dingier im Rhodopegebirge und L. Miqueliana Franch. et Say. und L. japonica Miqu. in Japan.

a) Igach H a e k e l (10).

2) N~ch V i e r h a p p e r (32).

Mit sehr vielen vikarierenden Arten und insbesondere Rassen haben uns die in letzter Zeit entstandenen Monographien einer start- lichen Reihe yon Gattungen und Sektionen bekannt gemaeht. Wenn ich in diesem Sinne auf K e r n e r s (18) Studien fiber Cytisus Seetio Tubocytisus und (19) Monographia Pulmonariarum, E n g l e r s (4, 7) Monographie der Gattung Saxifraga, W e t t s t e i n s (36) Monographie der Gattung ~uphrasia und (37) Studien fiber die europ~ischen Arten yon Gentiana Sectio Endotricha sowie auf zahlreiehe VerSffentlichungen der Schiller der Genannten hinweise, so ist dies nur ein Bruchteil dessen, was auf diesem Gebiete geleistet worden ist. In allen diesen Arbeiten wird festgestellt, dag bestimmte nattirliche Formenkreise, ,Typi polymorphi" im Sinne E n g l e r s (6), in n~ichstverwandte Sippen gegliedert sind, die, je nachdem sic scharf gesehieden oder durch nicht hybride Zwischenformen verbunden, als Arten o d e r - geographisehe - - Rassen zu bezeichnen sind, und deren Areale sich g~nzlich oder teilweiso ausschliei~en und im ersteren Falle entweder getrennt sind oder aneinander grenzen, in letzterem sich zum Teil decken.

So ist, um ein einfaehes Beispiel zu nennen, naeh J a k o w a t z (16) die Sectio Thylacites der Gattung Gentiana eine natiirliehe Gruppe tier mittel- und sfideuropiiischen Gebirge, die in sechs vikarierende hrten, oder vielleicht besser Unterarten, einer Gesamtart, G. acaulis L., zerfftllt: G. latifolia G. et G. in den Uralpen, im Jura und den Pyreniien, den 5stlichen und stidlichen Karpathen und den nordbalkanischen Urgebirgen; G. al2ina Vill. in der hochalpinen Stufe der Westalpen, Pyreniien und tier spanisehen Sierra Nevada; G. vulgaris (Neilr.) in den nSrdliehen und sfidlichen Kalkalpen und fiber Kalk in den ZentrMalpen, im Jura und in den nSrdlichen und 5stlichen Karpathen; G. dinarica Beck in den Dinarisehen Alpen, sildlichen Karpathen und Abruzzen; G. angttsti- folia Viii. fiber Kalk in den Westalpen und G. occidentalis Jak. fiber Kalk in den Pyreniien, anseheinend vorwiegend in ih~em westliehen Teil. Die 2Lreale der Sippen sind zum Tell disjunkt, zum Teil grenzen sie aneinander oder deeken sieh an ihren Riindern.

Die Gattung Alectorolophus umfaSt naeh S t e r n e c k (27) sechs Sektionen, yon denen die Inaequidentati in acht, die Jtlinores in ffinf, die Aequidentati in vier vikarierende ,Gesamtarten" gegliedert sind, wii&rend die ~Brevirostres und _Primigenii nur je zwei vikarierende Sippen umfassen und die Anomali anseheinend fiberhaupt nicht geo- graphisch gegliedert sind. Die Areale der mutmaNieh jfingeren Sippen stofien grSlttenteils aneinander, die der alteren sind getrennt.

Vergleieht man die Vikaristen in bezug auf die Art ihres Auf- tretens, so kann man versehiedene F~ille auseinanderhalten, je naehdem sic sieh in verschiedenen horizontal nebeneinander oder vertikal

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fibereinander liegemen Gebieten oder unter verschiedenen Standortsver- hiiltnissen in einem und demselben Gebiete vertreten. Neben diesem eigentlichen Vikarismus, der stets ein 5rtliehes Phiinomen ist, gibt es auch eine Art zeitlicher Vertretung zun~chst verwandter Sippen ge- meinsamer Herkunf: innerhalb bestimmter Gebiete, den Saisonartdimor- phismus im Sinne W e t t s t e i n s .

Der ,Srtliehe" Vikarismus ist nach dem Gesagten entweder ein regionaler oder ein intraregionaler, oder kiirzer gesagt lokaler (stand- 5rtlicher). Ersterer, die Vertretung der Sippen in versehiedenen Ge- bieten, ist eine hiiufige Erscheinung, welche die meisten ,geographisehen" Arten und Rassen umfafit. Die horizontale Ausschliei~ung ist Mufiger als die vertikale, die naturgemiifi nut in Gebirgsliindern anzutreffen ist. Die oben genannten Abhandlungen haben eine groSe Zahl sich hori- zontal ausschliel~ender Arten und Rassea behandelt. Andere sehr treffende Belege bringen H e i m e r l s (12) Studien tiber Achillea Seetio t)tarmica, Stapfs (26) Monographie yon Ephedra, F r i t s c h s (8) und Ginz- b e r g e r s (9) Arbeiten fiber Lathyrus-Arten, K l i n g e s (20, 21, 22) fiber Orchis Seetio Dactylorchis, Hayeks (11) monographische Be- arbeitung yon Saxifraga Sectio Porphyrion, Watz l s (35) Studie liber die Gruppe der Veronica prostrata usw.

Regionaler Vikarismus im vertikalen Sinne finder sich innerhalb der genannten Gruppen unter anderem in der Sectio Endotricha der Gattung Gentiana, wo mit einigen saisondimorph gegliederten Talrassen ungegliederte ]:Iochgebirgsformen korrespondieren, und ist aueh in der Sectio Thylacites der gleichen Gattung angedeutet, wo sieh das Areal der G. alpina mehr minder fiber dem der angrenzenden Arten befindet. Innerhalb der yon J a n e h e n (17) studierten Gattung Helian- themum wird H. hirsutum (Thuill.) M5r. der niederen Lagen Mittel- europas, in hSheren dutch grandiflorum (Scop.) Lain. et D.C. und nitidum Clem., ebenso canum (L) Baumg. in ersteren dureh alpestre (Jacq.) D.C. in letzteren ersetzt. Schliel~lich seien noeh folgende Paare yon vertikal vikarierenden Arten und Rassen aus dem Bereiehe der europ~tischen Flora namhaft gemacht:

In t i e f en Lagen :

I~umex acetosa L. Dianthus deltoides L. Myosotis silvatica (Ehrh.) Hoffm. Solidago virga aurea L. Senecio ~'uchsii Gruel. Centaurea pseudophrygia C.A.Mey. t)hleum ~ratense L.

In h o h e n L a g e n :

t~. arifolius All. D. myrtinervius Gris. JI. allvestris Schm. S. aIpestris W. et K. S. cacaliaster Lain. C. lglumosa (Lain.) Kern. t ). alpinum L.

Ave~astr~tm pratense (L.) Jess. s. 1. Yrisetum flaveseens (L.) R. et Sch. Yrifolium pratense L. Soldanella ~t~aior (Neilr.)

A. versieolor (Vill.) Fritseh. T. alpestre (Host) Beauv. J'. nivale Sieb. S. hungarica Simk.

Die Areale der regionalen Vikaristen schliel~en sich, wie schon hervorgehoben wurde, entweder giinzlich aus, wobei sie vollkommen getrennt sind oder aneinanderstol~en, oder greifen teilweise fiber- einander. Vollkommen getrennte Areale besitzen insbesondere hiiher- wertige Arten, wie die eben nach E n g l e r namhaft gemachten ter{i~ren Typen, kleine Arten und Rassen meist nur dann, wenn sie Hoch- gebirge bewohnen; aneinander grenzende oder teilweise fibereinander- greifende Areale, oft mit nicht bybriden Zwischenformen in den Grenz- gebieten, sind haupts~chlich den letzteren eigen.

Unter lokalem (standOrt]ichem) Vikarismus verstehe ieh die Ver- tretung niichstverwandter Sippen unterverschiedenen Standortsbedingungen in den dureh diese bedingten verschiedenen Assoziationen und Fazies der Vegetation eines und desselben Gebietes. Vor allem spielt die Bodenbeschaffenheit eine hervorragende Rolle. Es sind da in erster Linie die vielen Arten und Rassen zu nennen, die sich, insbesondere in den Hochgebirgen, fiber ](alk und Urgestein ersetzen. Es seien nur ~blgende Paare aus den Alpen genannt:

[~ber U r g e s t e i n : Dianthus "glacialis H~tnke. tlhododendron ferr~ginettm L. Solda~ella pusilla Baumg.

Ge~,tiana ]~ochiana Achillea moschata J,tncus trifidus L. .Poa laxa Hiinko. Silene acaulis L. *f.

Perr. et Song. Wulf.

norica Vierh.

U b e r Kalk:

1). alloinus L. 1~. hirs~ttum L. S. minima Hoppe und austriaca

Vierh. G. Clusii Perr. et Sang. A. atrata L. J. monanthos Jacqu. Poa miJ~or Gaud. S. acaulis L. f. lo~giscapa Kern.

Dadurch, da5 gerade innerhalb der Alpen in groSen geschlossenen Gebieten Urgestein, in anderen Kalk vorherrscht, tiiuseht hier diese Art des lokalen Vikarismus den regionalen vor, ja ist sogar, wenn man die Entsto, hung der Sippen als ma[~gebend ansieht, wie spiiter noeh erliiutert werden soil, als solcher anzusprechen.

Auch alle anderen Vertretungen fiber verschieden besehaffenen Bodenarten geh0ren hieher; so zum grol~en Tell die Klingesehen Sub- spezies der Dactylorchis-Arten; so, wenn bestimmte Sippen fiber Ser- pentin - - wie Asplenium cuneifolium Viv. - - oder fiber Salzboden

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- - wie Lotus corniculatus L. f. crassifolius A. et G. usw. - - mit den ,Normal"-Formen tiber nicht spezifischer Unterlage - - wie Asplenium adiantum nigrum L., beziehungsweise Lotus corniculatus fl arvensis Ser. - - vikarieren; oder wenn die .Festuca rubra L. der Wiesen, im leichten Diinensande an Meeresktisten durch die weithin kriechende Form arenaria Fries repriisentiert wird.

Ferner bilden auch Unterschiede in der Belichtung den An]al~ zum Auftreten lokal vikarierender Sippen. Es sei da zuni~ehst auf Poa nemoralis L. hingewiesen, eine an und flit sich gegen iiuBere Einfllisse sehr empfi~ngliche Art, die im Schatten tier Wiilder and Gebtische hauptsiichlich durch die lockerwiichsige, schlaffe Form vulgaris Gaud., auf besonnten Felsen und Mauern durch die gedrungenen, starren Ab- arten coarctata Gaud., rigidula M. et K., glauca Gaud., deren letztere sich habituel! der .P. caesia Sin. niihert, vertreten wird. Von verschiedeaen Galeopsis-hrten unterscheidet P o r s c h (24) Sonnen- und Schatten- und zum Teil aueh Holzschlagformen; so yon G. tetrahit L. eine Sonnenform var. arvensis Schlecht., Schattenform vat. silvestris Schlecht. und Holz- schlagform var. :Reichenbachii Rapin; yon G. pubescens Bess. eine Sonnen- form var. aprica Porsch und Schattenform var. umbratica Porsch usw. Inwieweit beim Zustandekommen mancher der genannten Formen neben Differenzen in der B~lichtung auch noch andere, wie solehe des Substrates, verantwortlich sind, mu5 dahingestellt bleiben.

In diesem Zusammenhange sind auch die yon D r u d e (3)her- vorgehobenen Sippenpaare zu erw~thnen, die im Gebiete der siichsischen Flora getrennte Standorte innehaben, wie Pulmonaria officinalis - - obscura, _Phyteuma spicatam - - nigrum, oder die Farbenspielarten yon Symphytum officinale (weiB--violett oder rosa) und Melampyrum pratense (blab sehwefelgelb bis satt rotgelb).

Besondere Beachtung verdient iiberdies der Vikarismus, der Formen in den yore Mensehen stark, und zwar direkt durch Sense und Diinguug, indirekt dutch Beweidung, beeinfluBten Formationen der Wiesen und Weiden mit solchen nattirlicher Best~tnde, wie W~lder, Auen, Gebiische, Karfiuren usw., verkntiph. So entspricht beispielsweise in den Lungauer Alpen der robusten, hochwiichsigen, reich verzweigten Angelica montana (DC.) Sehl. der Schluchtwi~lder, Auen and Karfluren die schmitchtige, niedrigere, wenig oder gar nieht verzweigte A. silvestris L. feuchter Miihwiesen; ithnlich in bezug auf gestaltliche Unterschiede und Art des Vorkommens verhiilt sich das tteracleum elegans (Cr.) Jacqu. der Kar- fluren zu It. sphondylium L., das fiir mit Jauche gedfingte Wiesen charakteristisch ist, ferner die hochwiichsige Form des Seseli libanotis (L.) Koch auf Felsen zu einer niederwtich~igen auf trockenen Wiesen and die .Molinia coerulea (L) Mnch. vat. arundinaeea (Schr.) Aschers.

buschiger Stellen zur var. genuina A. et G. sumpfiger Wiesen; iihnlich vielleicht aueh, in anderen Gebieten, das in Gebtisehen und auf felsigen Stellen auftretende typische Hierac ium umbeUatum L. zu der ftir feuehte Wiesen bezeichnenden Form lactaris Bert., deren Individuen dureh die Sense gekSpft werden und erst viel spiiter zur Bltite gelangen. In Tirol wird Carduuspersonata (L.) Jaequ., tier im Formationsansehlufi mit Angel ica

mon tana tibereinstimmt, auf Feldern und Kulturwiesen durch die Form agrestis Kern. vertreten. Es ist sehr wahrseheinlieh, da[~ beim Zustande- kommen der vikarierenden Sippen der Kulturformationen nebst deren im Vergleiche zu den ursprtinglichon Best~tnden geanderten Boden-, Licht- und Konkurrenzverhiiltnissen auch die direkte Einwirkung des Menschen und der Weidetiere eine Rolle gespielt haben.

Hobos Interesse beansprucht schlie]lieh noch das korrespondierende Auftreten vikarierender Sippen in zwei durch den Mensehen gesehaffenen Formationen, den kiinstlichen Grasfluren und Feldern. Ich nenno zwei pr~iguante F~,lle :

Cirs ium arvense (L.) Seop. f. horr idum W. et G., bewehrte Form auf Weidefl~tchen.

- - arvense (L.) Stop. f. mite W. et G., unbewehrte Form in Feldernl).

Alectorolophus hirsutus (Lain.) All. f. medius Rehb., Form mit ge- fliigelten Samen in Wiesen.

- - h irsutus (Lam.) All. f. subexalatus Schultz, Form mit ungefitigelten Samen in Feldorn.

Die Paare Odontites serotina (Lain.) Dum. - - verna (Bell:) Dum. und Orthantha lutea (L.)Kern. - - lanceolata (.Rehb.)Wettst., yon denen jeweils die erstgenannten Sippen stiirkere Verzweigung, kiirzere Stengelinternodien und spitze BlOtter besitzen, im Spi~tsommer und Herbst bliihen und auf Wiesen usw. auftreten, dis letzteren dagegen mit sehwReherer Verzweigung, liingeren Internodien und stumpferen BIRttorn sehon friiher zur Blfite gelangea und Folder bewohnen, ftihren uns zum Phiinomen des Saisondimorphismus. Man versteht darunter, wio sehon gesagt, die zeitliche Vertretung zweier niiehstverwandter, yon einer'ge- meinsamen Grundform stammender Sippen in den yore Menschen ab- h~tngigen Formationen der Wiesen und Felder. Bei vollkommenster Aus- bildung der Erscheinung treten beide Formen in Wiesen, also in der gleichen Formation, auf, so dab sic gar nicht 5rtlich, sondern nut zoit- lich getrennt sind, indem die eine vor, die andere nach der Mahd bliiht und ffuchtet. Die instruktivsten Beispiele lieforn die Gattungen Alectoro-

!ophus - - naeh S to rn e e k (.27) - - und E u p h r a s i a und Ge~t iana Sectio F,~dotricha - - beide nach W e t t s t e i n (36, 37, 40), der die Erseheinung

1) Nach V i e r h a p p e r (31).

en ideck t , ausf t ihr l ichs t un t~ r such t und erkl~trt ha t (39). Die U n t e r s c h i e d e

zwischen den fr i ih- und sp~ttblt ihenden S ippen s ind i ihnl ich den oben filr die ana logen F o r m e n yon Odontites und O r t h a n t h a genann ten . Zu den i n s g e s a m t in Geb ie t en mi t i n t e n s i v e r W i e s e n w i r t s c h a f t au f t r e t enden

s a i s o n d i m o r p h e n S i p p e n p a a r e n k o m m e n bei Alectorolophus und G e n t i a n a

Sectio ,Endotricha vielfach noch s a i s o n d i m o r p h ungeg l i ede r t e F o r m e n ,

die, aus Gebie ten ohne W i e s e n w i r t s c h a f t - H o c h g e b i r g s s t u f e , hoher :Norden - - s t ammend , m o r p h o l o g i s e h und b io logisch (in bezug auf Blil te-

zoit) zwischen j e n e n bis zu e inem g e w i s s e n Grade die Mi t te h~lten und zu ihnen im V erhi i l tn is e ines r eg io n a l en V i k a r i s m u s s tehen.

Die Sect io E n d o t r i c h a der G a t t u n g G e n t i a n a is t nach W e t t s t e i n fo ]gendermaf ien geg l i ede r t .

G e n t i a n a Seet io ~Endotr icha Froe l .

I Unterarten 2. Ranges ~ Unterarten ' N 1 c " 1 . . . . . ~o,~,,, r,Unterarten .Range, (regional vlkamerend) ) I

/~ - , " : ' ~ . . . . . . . 1 I'~ = Arten (regionM . . . . . . . . . . . . I /nlcnt viKarierend ~ - �9 . . , ) ) I vtkarxerend) ungeghederte I salsondimorpn ge- __ _. I! _ __ I . . . . Formen gliederteFormen ,

: ~. , ,I h amblyphyllaBorb.-II i or. cr~spatav, s.s.l. - - ii - - Lcrispat a Vis.,2) -

G, hyperieifol~-a i, _ f- (Murb.) Wettst, i

G, campestrish, li ii G . . s ~ ~ Murb. ampl. G. campestris L. ,Ii G.isla~tdicaMurb. G. .qermanica

:i (Froel,) Murb.

G. baltiea Murb. i: - - Ii

G. neapolitana Ii (Froel.) Wettst. - - p - - - -

G. Bieberstci,ni~ Bunge - - - -

G. antecedcns G. calycina (Koch) G. calyeina (Koch) Wettst.

Wettst. ampl. Wettst. G. anisodonta B o r b .

G. polymorl~ha G. pilosa Wettst. - - - - Wettst. G. norica Kern.

il G. aspera Iteg. G. aspera Heg. G. Sturmiana ampl. Kern.

iL . . . . . . . .

G. Wettsteinii G. ? Murb. ampl.

G. solstitialis W e t t s t .

G. Wettsteinii Murb.

1) Die Parenthesen in der zweiten Zeile stammen yon mir. - - u) Naeh- tr!iglieh beigeftigt.

Gesamtarten (nicht vikarierend) 1)

Unterarten 1.Ranges H Arten (regional H - - - vikarierend) }

Unterarten 2. Ranges ~ Untet'arten (regional vikarierend) 1)

ungegliederte Formen

saisondimorph ge- gliederte Formen

G. polymorpha Wettst.

G. caucasca Lodd.

G. amarella L. ampl.

G. rhaetica Kern. aml)l.

G. Wisliceni En- gelm. ampl.

G. Murbecbii Wettst.

G. austriaca Kern. ampl.

G. praeeox Kern. ampl.

G. bulgarica Vel.

G. ulig~nosa Willd.

G. tG~r~eri DSrfl. et Wettst.

G. acuta Mx. ampl.

G. solstitialis Wettst. 1

G. rhaetica Kern.

- - F j

G.NeilrcichiiDSrfl. G. lutesce~s Vel. ' et Wettst. G. austrtaca Kern.]

G.? G. praeeox Kern. G. carpatica

Wettst.

G. lingulata Ag. G. amarr L. G subarctica]~urb. G. ax~llaris Schm.

? G. Holmii Wettst.

G. mexicana Gris. ampl.

? G t~ringlei Wett- stein

G. plebeja Chain. G. acuta Mx.

G. Hartwegii Benth.

G. mexicana Gris.

G. hcterosepala G. heterose2ala ? G. heterosepala Engelm. ampl. Engehn. G. ? Engelm. s. s. G.?

G. ~JZislice~i En- gehn. G. ?

G.? ? G. Wislice~d

Engelm. s. s.

1) Die Parenthesen in der zweiten Zeile stammen yon mir.

Eine ~ihnlich markante Gliederung in saisondimorphe Sippenpaare findet sich auch in den Gatttmgen Alectorolophus, ~1e lampyrum und ff, uphrasia, wenn auch bei letzterer die korrespondierenden unge- glieflerten Sippen noch nicht mit Sicherheit bekaant sind. Uberdies hat W e t t s t e i n noch auf folgends saisondimorphe Paare aufmerksam gemacht:

F r t i h b l i i h e n d: Spi i t b l t i h e n d :

Ononis foetens All. Gal ium praecox (Lange). Campanu la glomerata L. s. s.

O. spinosa L.

G. verum L.

C. serotina Wettst.

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Hieran mSchte ich noch einen anderen Fall vermutlichen Saison- dimorphismus reihen, den ich im oberen Murtale beobachtet habe, und der W e t t s t e i n schon lange bekannt ist. Es handelt sich um Centaurea jacea L., welche dort in folgenden drei Formen auftritt:

a) C. jacea L. s. s. Hochwiichsig, mit verli~ngerten Internodien, oft verzweigt und mehrkOpfig. In Gebiischen, an Zi~unen, in Wiesen usw. Bliiht den ganzen Sommer, in Wiesen nach der Heumahd.

b) C. jacea L. f. majuscula Rouy. Minder hochwtichsig, mit ver- liingerten Internodien, unverzweigt, meist einkSpfig. In Wiesen. Blfiht vor derenMahd im Frilhsommer. Hieher die Belege in Hayek , Fl. stir. exs. :Nr. 593: Stiria sup.: In pratis udis ad vieum Katsch prope urbem Murau: solo caleareo, 730 m s. m. Junio 1907. leg. F est.

c) C. jacea L. f. pygmaea Aschers. ( ~ C. humilis Schrank). Sehr niederwiichsig, mit verkfirzten unteren Internodien, unverzweigt, stets einkSpfig. Auf Weidefliichen. Bltiht im Spiitsommer bis in den Herbst. Exsikkaten aus Schweden: 1. Sueeia. Bohus. Prope ~)cker0. Augusto 1906. leg. A l m q u i s t (DSrf ler , herb. norm. Nr. 5124); 2. Sueeia. Prey. 65te- borg. Bohus; in pascuis prope Tjiillbacka. leg. A lmqu i s t . (Hayek , Centaur. exs. erit. Nr. 370 Im oberen Murtale ist diese Sippe ebenso h~ufig wie die C. jacea s. s.

Ich halto es fiir wahrscheinlich, dal~ majuscula die friihbliihende, pygmaea die spiitbltihende Form eines saisondimorphen Sippenpaares ist, dessert ungegliederte Form ich in jacea s. 8. erblicke. Besteht diese Annahme, deren Richtigkeit erst dureh Kulturversuche zu erweisen w~re, zu Reeht, go wiire wohl letztere als die Stammform der beiden ersteren anzusehen, undes wiirde sich hier um einen Fall handeln, in welchem eine selbst ungegliederte Sippe zu ihren beiden saisondimorph ge- gliederten AbkSmmlingea im Verhiiltnis des lokalen Vikarismus steht.

V o n d e r mit C. jacea sehr nahe verwandten subjacea (Beck) be- obaehtete ich im Quellgebiete der Mur bisher nur eine hochwtichsige, verzweig.te Form, die in Gebiischen und an Zitunen den ganzen Sommer und in Wiesen nach der Mahd bliiht, und eine niederwii~hsige, unver- zweigle, herbstbltltige auf Weidefliichen. Erstere ist der C. jacea s. s., letztere deren Form pygmaea analog.

Die Ursache des Entstehens der saisondimorphen Sippenpaare liegt nach W e t t s t e i n (39) in der indirekten Auslese der mit gtinstigen morphologischen und biologischen Merkmalen - - wie lunge und kurze lnternodien, frfihe und spiite Bltitezeit - - ausgestatteten Varianten durca die Mahd, welehe wie Darwin ' s Kampf urns Dasein das Ungeeignete austilgt. Die mutmai~liche Stammform diirfte zumeist nicht, wie man er- warten sollte, mit der ungegliederten Form identisch sein. Zumeist diirhe

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sie, gleich dieser, der Sp/ttform naher kommen als der friihbliihenden. Nur selten, wie bei Campanula glo~,erata und meines Erachtens auch bei Centaurea jacea, schoint es umgekehrt zu sein.

Im gleichen Sinne, wie es W o t t s t e i n iiir die saisondimorphon Sippon annimmt, diirfto auch beim Entstehen der friiher genannton un- gogliederten Wiesen-und Feldformen aus korrespondierenden Sippen ursprtinglicher Formationen dem direkten odor indirekten Eingreifen des Menschen eine auslesendo Rollo zufallen.

Was den Ursprung tier iibrigen Vikaristen anbelangt, so kommt nattirlich eine Auslese durch den Menschen nicht in Betracht. Es handelt sich vielmehr zweifellos haupts/~chlich um innige Wechselbe- ziehungen, Korrelationon, zwischen den Sippen und don sie beein- flussenden verschiedenen Faktoren odor Faktorenkomplexen der ver- schiedenen Standorte odor Gobiete. Beim lokalen Vikarismus sind diese entweder edaphischer Natur oder Lichtwirkungen, beim regionalen nur klimatischer, u. zw. Abstufungen der W/irme- und Luftfeuchtigkoits- vorhitltnisse. Indom nun das Wesen der Stammsippon durch die ver- schiedenen Faktoren verschioden alteriert wird, finden Umpriigungen zu neuen, divergenten Formen statt.

Ob diese allm/ihlich im Sinne des Neolamarckismus, zu dessen Hauptsttitzen ja die Erscheinung des Vikarismus gehSrt, odor, wio os sich beispielsweise E n gl e r (6) vorstellt, sprungweise, durch Mutationen, woboi sich die mit den betroffonden klimatisohen und Standortsbedingungen am boston harmonierenden Mutanten erhalten, erfolgon, oder ob in einem Falle die eine, in einem anderen die zweite MSglichkeit gilt, mul~ ich dahingestellt sein lassen; doeh erscheint mir die lamarckistischo Auf- fassung im allgemeinen die Entstehung vikarierender Sippen bessor zu erkliiren als die Mutationslehre, w/ihrend fiir das Zustandekommen nicht vikarierender Sippen alas Umgekehrte gelten dtirfte, huf jeden Fall abet herrscht zwischon dem Eatstehen der Vikaristen und den /i, ul~eren Verh/iltnissen, untor denen dies geschieht, oin inniger Zusammenhang.

Das Alter der vikarierenden Sippon mu~ im allgemeinen um so hSher eingeseh/itzt werden, je seh/i, rfer sie morphologisch und auch in ihrer u voneinandor getrennt sind. Die friihor naeh E n g l e r angefiihrten Sippen, welche die weit zurtiekreichenden Beziehungen der europ/iischen zur asiatischen und nordamerikanisehen Flora beleuchten sollen, werden danach wohl mit Rocht allgemein als tertiitr angosprochen. Wesentlieh jtinger eind zweifollos die vikariereaden Sippen yon Gentiana Sectio Endotricha, yon Orchis Sectio Dactylorchis und andoren Gruppen, denn sie sind viol schwiicher morphologisch gesehieden und bewohnen aneinandersto~end~ Areale, an deren Grenzen sie zum Toil durch nieht hybride Zwischenformen verbunden sind. Nach Kl inge (22) sind die

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Subspezies seiner Dactylorchis-Arten als jfingste Glieder iilterer, aus dem Tertiar stammender Arten entweder prii- oder postglazialer Entstehung. Noch jfinger sind die saisondimorphen Sippenpaare, deren Ursprung ja sicherlieh nur his zum Beginne der Gras- und Felderwirtsehaft zuriiek- reicht. Am jtingsten schlielilieh jene Sonnen-, Sehatten- und Holzsehlag- formen versehiedener Galeopsis-Arten und viele andere, die lediglich als Standortsvariet~tten aufzufassen sind, schon im Verlaufe einer oder weniger Generationen in ihre Stammform zurtiekschlagen und ebenso rasch neuerlich entstehen. Wegen ihrer geringen Fixierung verlieren aber diese kleinsten und jfingsten Sippen keineswegs an Bedeutung ffir das Verst~tndnis der Er- seheinung des Vikarismus. Es ist im Gegenteil ihr Studium you be- sonderem Wert ftir dasselbe, denn sie geben uns ein Abbild itir das Entstehen ~ stiirker gefestigter Rassen, die ja aueh dureh Kultur unter einheitliehen Bedingungen an ,,Charakter" verlieren und einander ~hn- licher werden.

Scheint so nach all dem Gesa~ten der Vikarismus ein vollkommen einheitliches Phiinomen zu sein, so ergibt sich doch bei niiherem Zu- sehen eine Komplikation, die bisher wenig Beaeh;~ung gefunden hat. Es gibt nfi, mlich neben dem eigentliehen Vikarismus eine zweite Er- scheinung, die, obwohl im Wesen grundverschieden, ibm ~tu~erlich sehr nahe kommt und daher bei oberfliichlicher Betraehtung leicht mit ihm verweehselt werden kann.

Ieh selbst bin auf sie dutch meine Studien fiber die Erigeron- Arten der Hochgebirge Europas und Vorderasiens (30) aufmerksam ge- worden. Naeh ihnen zerffillt die Gattung ErigeroJ~ s. s. (exklusive Tri- mo~Tha) innerhalb des genannten Gebietes und der Arktis in zwei nattirliche Gruppen, die t)leiocephali und Monocephali, deren jede in verschiedenen Teilen ihres Gesamtareales dutch verschiedene vikarierende Sippen vertreten ist, u. zw. die Pleiocephali dureh .E. amphibolus Led. in den Kaukasuslitndern und armenischen Gebirgen, Zederbaueri Vierh. auf dem Erdsehias-dagh, polymor~vhus Seep., zum Teil in versehiedenen vikarierenden Rassen, ebendort und in den Gebirgen der balkanischen und apenninischen Halbinsel, im Karst, den Alpen, im Jura und den Pyreniien und ~. maior (Boiss.)Vierh. in der spanischen Sierra Nevada; die Monocephali dureh E. unalaschkensis (DC.) Vierh. in der hrktis, uniflorus L. in verschiedenen Vikaristen ebendort, in den asiatischen Gebirgen, den Karpathen, Alpen, dem Apennin, in der Auvergne, in den Pyreniien, auf Korsika, in den Gebirgen Skandinaviens und auf Island, danaensis Vierh. in Stidpersien, libanoticus Vierh. im Libanon, cilicicus Boiss. im Taurus, argaeus Vierh. auf dem Erdschias-dagh, hisloidus (Lag. et Rodr.) Vierh. in der spanischen Sierra Nevada und

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aragone~sis Vierh. in den Pyreniien. In den Alpen finden sich nut zwei Vertreter, die, obwohl verschiedenen Gruppen angehhrend, doch sehr nahe miteinander verwandt sind und sich in ihrer Verbreitung, ins- besondere im 5stlichen Teile des Gebirges, vollkommen ausschlieiien, indem dis sine, polymorphus, Kalkpflanze ist und weit naeh abwiirts reicht, die andere, unifier us, dagegen kalkfeindlich und vollkommen an die Hochregion gebunden ist. Wtirde man nut diese beiden Sippen kennen, so wfirde man sic unzweifelhaft ffir echte Vikaristen halten in dem Sinne, dab sie direkte Abkhmmlinge einer Stammform sind, die sich innerhalb der Alpen, entsprechend den genannten verschiedenen Verhiiltnissen, in jene Deszendenten gespalten hat. Ein genaues Studium des ganzen Formenkreises hat aber eben ergeben, da~ dem nicht so ist, dal~ vielmehr die Verwandtsehuf~ der beiden, wenn auch sehr nahe, doch nicht am allerniichsten ist, da~ vielmehr ihre Trennung welter zurtickreicht, als etwa dis des E. polymorphus der Alpen und major der spanischen Sierra Nevada oder des uniflorus der Alpen und des unalaschkensis der Arktis; .E. uniflorus ist wahrscheinlich gar nicht in den Alpen entstanden, sondern vermutlich aus den asiatischen Gebirgen oder der hrktis bereits mit den Dispositionen einer kieselholden Art in jcne eingewandert zu einer Zeit, da polymorphus schon daselbst vor- handen war, mit dem er sich dann mit dem bereits geschilderten Er- folge in das Gebiet geteilt hat. Es handelt sich also hier nicht um Vikarismus in des Wortes engster Bedeutung, die mir in der a u t o c h - t h o n e n Entstehung der Sippen aus gemeinsamer Stammform zu liegen scheint, sondern um eine . nur ii, hnliche Erscheinung, eine Art falschen Vikarismus oder Pseudovikarismus.

Die hier gesehilderte Form dieses Phiinomens habe ich seinerzek (30) Exklusion genannt, wiihrend Die ls (1) sis als Exkludismus be- zeiehnet.

Einen noeh instruktiveren Fall yon Pseudovikarismus beobaehtete ich (28) in der Gattung Dianthus. In den Gebirgen Mittel- und Stid- europas finden sieh einige Angehhrige der Sectio Dentati Will. dieses Genus, die sine sehr nattirliche Untergruppe, die Subsectio Alpini Vierh., derselben bilden. Diese besteht aus mehreren zweifellos zun/iehst ver- wandten, sehr gut charakterisierten, vikarierenden Arten: D. alpinus L. in den nordhstlichen und sfidliehen Kalkalpen, D. glacialis Hiinke in den 5st- lichen Zentralalpen und Karpathen, D.nitidus W. et K. in den Nordkarpathen, �9 'reynii Vand. in den illyrisehen, scardicus Wettst. ( - - sursze.mscaber [Borb.]) in den albanischen und microlepis Boiss. in den bulgarisch-mazedonischen Gebirgen. 1). alpinus, nitidus, ~'reynii und vermutlich auch scardicus wachsen fiber Kalk, glacialis und microlepis fiber Urgestein. Nach meinen Studien sind die A1pini sin alter Formenkreis, ffir den ein

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direkter Zusammenhang mit Arten der Ebene nicht mehr gut nach- weisbar ist. Anders verh~lt sich nun die Sacha mit D. neglectus Lois., einer gleiehfalls zu den Dentati geh0rigen, mit den Atpini sicherlich nahe verwandten Nelke der Westalpen. Man wfirde diesen Typus auf den ersten Blick fiir einen echten Vikaristen der Alpiui halten, u. zw. schein- bar mit umso mehr Recht, als diese sonst in den Westalpen keinen Vertreter haben, und er wurde denn auch yon Kerne r , der mir seiner- zeit das Studium dieser Gruppe empfohlen hat, ffir einen solchen an- gesehen. Eine eingehendere Untersuchung hat aber ergeben, daI] D. neg~ectus nicht den Alpini zuniichst steht, soudern dem D. Seguicrii Chaix, einer in den tieferen Lagen der Westalpen auftretenden Sippe, mit der er ohne Frage im Verhii,[tnis eines vertikal-regionalen Vikarismus steht, wiihrend seine Substitution der Alpini auf Pseudo- vikarismus beruht.

Ein ganz ~hnliches Beispiel findet sich aueh in der die Gebirge Mittel-und Siideuropas bewohnenden Gattung SoIdanella (29). Diese ist in zwei nattirliche Sektionen gegliedert: die Tubiflori Borb. und Crateriflori Borb. Die erstere besteht aus drei Sippen, yon denen austriaca Vierh. in den nSrdlichen Kalkalpen, minima Hoppe in den stidliehen Kalkalpen, im Karst und in den Abruzzen und pusilla Baumg. in den Zentralalpen, den Stidkarpathen und den 5stlichen Gebirgen der Balkanhalbinsel vorkommt, wiihrend sie in der Hochregion der Rodnaer Karpathen, we die Seetio Tubiflori fehlt, dutch S. hungarica Simk. vertreten wird, die ihr habituell sehr nahe kommt und im Formationsansehlusse, indem sie besonders fiir Schneet~lchen charakteristiseh ist, vollkommen gleicht. Diese s hu~garica ist aber niehts anderes als eine Hochgebirgs- form der in den dortigen W~tldern verbreiteten, zu den Crateri/lori ge- hSrigen S. major (Neilr.) Zu dieser steht sie im Verhiiltnis eines eehten, zu pusilla aber in dem eines falsehen Vikarismus.

Sehliei~lich sei noeh die yon mir erst kfirzlich (34) uutersuehte Seetio Lupinaster der Gattung Trifoli~em hervorgehoben. Ihre Subsectio t~ulupinaster wird in Eurasien, we sie heimiseh ist, dureh die Arten T. lupinaster L., das in drei vikarierenden Sippen yon den Karpatheu im Westen dutch das stidliche europiiisehe Rul~land und gem~tl~igte Ost- asien verbreitet ist, T. eximium Steph. im iistliehen und buikalischen, T. altaicum Vierh. im altaisehen Sibirien und T. t)ilczii Adam. im Balkan vertreten. Die drei letzteren Arten sind regionale Vikaristen der ersteren. In den vorderasiatischen und mitteleuropitisehen Gebirgen finder sieh nun aueh je ein Repr~sentant der Seetio L~pinaster, T. poly- phyllum C. A. Mey., bzw. al2~inum L., welche man prima vista als mit ersteren echt vikarierende Arten ansehen kSnnte. In Wirklichkeit handelt es sieh aber aueh hier um Pseudovikarismus. Denn beide Arten sind

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anderen Ursprunges als jene, indem sie in die nordamerikanische Sectio Macropus der Sectio Lupinaster gehSren, als deren echt vikarierende Vertreter sie gemeinsam mit einer amerikanischen Art, T. nanum Torr., die Subsectio Glyzyrrhizum bilden. Ihr vikaristisches Verhiiltnis zu den Eulupinaster-Formen ist in Wirklichkeit ein falsches.

Des den vier angefiihrten Beispielen Gemeinsame besteht darin, daI~ sich in versehiedenen Gebieten Sippen vertreten, die miteinander sehr nahe, aber, indem sie sich nieht direkt yon einer gemeinsamen Stammform herleiten, nicht zuniichst verwandt sind. Und dieses Ver- halten ist charakteristiseh flit die Erseheinung des talsehen Vikarismus oder Pseudovikarismus im 6egensatze zum echten Vikarismus, bei dem es sich, wie schon gesagt, um eine Vertretung zu allernachst verwandter Sippen handelt, die in den Gebieten oder Formationen, in denen sic sich ersetzen, autochthon entstanden sind. Im Falla des Vikarismus ver- treten zwei zuniiehst verwandte Sippen einen Typus in verschie- denen Gebieten, in dem des Pseudovikarismus schlieften sich zwei zwar sehr nahe verwandte, aber doeh versehiedenen Typen angehSrige Sippen in verschiedenen Gebieten aus. Wesentlieh fiir den Begriff des Pseudovikarismus ist aueh der Umstand, da~ die Vertretung der Sippen in Ermangelung eehter Vikaristen erfolgt. Beim echten Vikarismus war, um mit meinen ehemaligen Worten zu sprechen, ,,die Besiedelung ver- schiedener Gebiete dutch eine Stammform das primi~re und die Sonde- rung derselben in getrennte, den diversen Bedingungen angepaSte Rassen des sekundi~re", beim Pseudovikarismus dagegen ist des Vorhandensein verschiedener, allerdings sehr nahe verwandter Rassen das Primiire, die 0kkupierung getrennter Gebiete aber des Sekundiire. Im letzteren Falle kSnnen, wie ieh seinerzeit sehon hervorhob, yon zwei Sippen beide als fertige Arten oder Rassen in die betreffenden Gebiete gelangt sein, oder abet es kann, was ich darnels nieht betonte, die eine deft entstanden und nur die andere zugewandert sein. Wiihrend der eehte Vikarismus zweier oder mehrerer Sippen eine direkte Folgeerscheinung der ge- meinsamen Abstammung derselben ist, gilt dies ffir den Pseudovikarismus auf keinen Fall. Dieser erscheint vielmehr zun~chst, bei oberfl~chlieher Betrachtung, als ein zufiilliges Phiinomen, ohne es jedoch, wie spiiter noch dargelegt werden soil, in Wirklichkeit immer zu sein.

Gleieh dem Vikarismus finder sich auch der Pseudovikarismus bei verschiedenen systematischen Kategorien, bei allen yon mindestens der Gattung an abwiirts. Auch er ist entweder ein regionaler oder ein lokaler. In ersterem Falle ist die Ausschlieliung eine horizontale oder vertikale. Das Alter der Pseudovikaristen ist nieht wie das der Vikaristen dutch die Zeit ihrer Entstehung, sondern durch die ihres Zusammentreffens

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nach erfolgter Einwanderun~ einer Sippe festzustellen. Im folgenden einige Beispiele fiir Pseudovikaristen verschiedener Art.

Unter regionalen Pseudovikaristen versteht man solehe, die sich in verschiedenen Gebieten ausschliegen. Horizontale Pseudovikaristen sind z. B. yon den fi'tiher Genannten folgende Paare: Dianthus ~zeglectus Lois., Westalpen, Pyren~ten - - Subsectio Alpini Vierh., Ostalpen, Karpathen, Balkan; Soldanella pu.~illa Baumg., Transilvanische Alpen etc. - - hun- garica Slink., Rodnaer Aipen etc. ; Trifolium aIpinum L., Westalpen etc. - - 1)ilczii Adam., Balkanhalbinsel; Erigeron polymorphous Seep., nSrdliche und sfidliche KalkaIpen etc. - - ~tniflorus L., Zentralalpen etc. Vonder Gattung 1)hlomis werden nach eigenen Beobachtungen (33) die haupt- siichlieh im 5stlichen Teile des Mediterrangebietes auftretenden Sektionen Angustebracteatae und Latebracteatae auf den Balearen und im mittleren und sfidlichen Teile der iberischen Halbinsel dureh die wohl nieht zu- niichst verwandten Pttrpureae vSllig ersetzt.

Vertikale Pseudovikaristen sind beispielsweise die Arten

der W a l d s t u f e : der U b e r g a n g s - und Hoch- g e b i r g s s t u f e :

A. alpestre (Hoppe) Rylands. P. mughus Seep. (naeh D r u d e [3]). C. atratum Jacq.

Athyrium filix femina (L.)Roth. 1)inns si~vestris L. Chrysanthemum leucanthemum L.

Leucojum vernum L. steht in Mitteleuropa zu L. aestivum L. im Verhiiltnis eines echten, zu Galanthus nivalis L. in dem eines falschen vertikalen Vikarismus; ersteres witchst in hOheren, die beiden letzteren in tieferen Lagen - - ein Beispiel, auf das reich R. W e t t s t e i n auf- morksam machte.

Lokalo Pseudovikaristen sind solche, die sich in einem und dem- selben Gebiete unter verschiedenen Standortsbedingungen ausschliot~en. So bei versehiedener chomischer Besehaffenheit des Bodens, wie

f iber U r g e s t e i n :

]~umex acetosella L. Calluna wdgaris (L.) Hull. 1)impinella saxifraga L. Campa~zula rotundifolia L. :Erigeron uniflorus L. Chrysanthemum alpinum L.

fiber Kulk:

ft. scutatus L. .Erica carnea L. 1 ). meier (L.) Huds. C. cochleariifolia Lam. E. polymorphus Seep. C. atratum Jacq.

In verschiedenen natilrlichen Formationen: in Trockenwiesen: Ranun- culus b~dbosus L., in Fettwiesen: tt. acer L., in feuchten Wiesen:

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It. auricbmus L., in Siimpfon: It. repens L., in SchluchtwRldern: It. lanuginosus L., auf Ruderalstellen: R. sardous Cr. nnd in Feldern: It. arvensis L.; in natiirlichen und ktinstlichen Formationen: Knautia drymeia Heuff. und dispacifolia (Host) G. et G. in Wiildern, K. ar- vensis (L.) Coult. in Wiesen, ebenso Dactylis Aschersoniana Gr. in ersteren, D. glomerata L. in letzteron.

Derarfige Beispiele liei]en sich noch manche anftlhren. Es ist wahrseheinlieh, da~ aueh einige yon den frtihor als Vikaristen ver- zeichneten Sippen in Wahrheit zu den Pseudovikaristen gehSren, ins- besondere yon solchen Paaren, deren oino Sippe Wiesen bewohnt; so yon vertikal korrespondierenden Formen: Itumex acetosa L. und ari- folius All., Phleum Tratense L. und allginum L., Trisetum flavesccns (L.) R. et Seh. und alpestre (Host) Beauv. und Trifo~ium pratense L. und nivale Sieb.; yon lokalen vielleicht Angelica montana (DO.) Schl. und silvestris L. sowio Heracleum etegans (Or.) Jaeq. und sphondylium L. In allen diesen Fiillen wiiro erst durch monographische Untersuchung der betreffendea Gesamt- gruppe festzustellen, ob die Rassen des fraglichen Sippenpaares zun~ichst ver- wandt und gemeinsamer autochthoner Abstammung sind. Liege sich dies in einem einzelnen Falle nieht beweisen, sondern dartun, dal~ die be- treffende Wiesensippe erst dureh den graswirtschaftenden Menschen in das Gebiet gelangt ist, in dem die andere Heimatsrecht hat, so wiirde es sieh nieht um Vikarismus, sondern um Pseudovikarismus handeln. Und diese Untersuehung wiirde, wie ieh glaube, in einigen der genanntea F~lle zu letzterem Resultate ftihren. So halte ieh beispielsweise ia don Lungauer Alpen, we ich die Verh~tltnisso niiher kenne, die Arten der unteren Waldstufe t~]deum pratense, Trisetum flavescens und Trifolium pretense fiir eingeftihrt, bzw. fiir eingeschleppt, w~hrend die korrespon- dierenden der oberen Wald- und Hochgebirgsstufe, Phleum alpinu~n und Trifoli~em nivale -- Trisetum alpestre kommt nicht vor ~ , zweifel- los spontan sin& Auch yon ttumex acetosa ist das Indigenat fraglich~ des des ari/blius dagegen unzweifelhaft.

Was die oben als lokalo Vikaristen angoftihrten, auf Urgestein un~ Kalk einander vertretenden Sippen der Alpen wie Rhododendron ferru- gineum und hirsutum anbelangt, so sind sie ihrer Entstehung nach sieherlich als regionale aufzufassen, indem sio sieh offenbar in den grol~etL einander ausschliel]enden Urgestein-und Kalkgebieten der AIpen aus den Stammtbrmen ausgegliedert haben, und dann erst, als schon fertige, gefestigte Formen, die Urgesteinsippen auf kalkarme BSden in den Kalk- gebieten und umgekehrt die Kalksippen auf galkinseln im Urgebirge gelangten, we sie demnach nur Pseudovikariston sind. Eine gewisser- mal~en polytopisehe Entstehung der betreffenden Repr~sentativsippea

0sterr. botan. Zeitsehrift, 1919, Heft 1--4,

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auf jeder dieser Inseln ist ia Anbetraeht der relativ'groSen morpho- logischen Versehiedenheiten und starken Fixierung derselben sehr un- wahrscheinlich, da bei so einem engen Nebeneinander auf oft kleinem Raum die durch Korrelation, die wir als Ursache ihrer Entstehung annehmen mfii~ten, erworbenen morphologischen Differenzen immer wieder durch Rtickkreuzung rtickgiingig gemacht worden w~ren. Aus diesem Grunde sind tiberhaupt lokale Vikaristen hSheren systematischen Ranges selten und nur dann'gut mSglich, wenn Selektion, z. B. dutch den Menschen, die untauglichen Rtickkreuzungen austilgt.

Ein an Saisondimorphismus erinnernder Fall von Pseudovikarismus mit zeitlichen Unterschieden in der Bltitenentfaltung und Fruchtreife ist der yon W e t t s t e i n (39) hervorgehobene der in gewissen Teilen der Alpen zusammen auftretenden Rassen Melampyrum silvaticum L. und laricetorum Kern. Diese beiden sina zumeist regionale Vikaristen, denn sie sind untereinander zuniiehst verwandt und schlie~en sich vertikai aus, indem ersteres hauptsiichlicb in Wiildern der Berg- und Voralpen- region, letzteres in Wiesen der Hochgebirgsstufe auftritt. M. silvaticum hat die morphologischen Eigenschaften und spate Bltitezeit einer Spiit- form, wiihrend sich laricetorum in beiderlei Hinsieht wie eine Friihform verhiilt. Wenn nun dieses, wie es gelegentlich vorkommt, in die Stufe yon jenem herabsteigt und seine morphologischen Eigenschaften, dis frfihe Bltitezeit und das Vorkommen in Grasfluren, beibehitlt, erweckt es den Eindruck eines saisondimorphen Vikaristen desselben, ist aber, da es sich um keine Vertretung infolge autochthoner Entstehung handelt, kein solcher, sondern steht mit ihm lediglich im Verhii, ltnis des Pseudo- vikarismus.

Wiihrend tier Vikarismus eine naturnotwendige Folgeerscheinung des Ausbreitungstriebes der Sippen ist, verbunden mit ihrer Fi~higkeit, sich in Korrelation zu i~u~eren Faktoren oder aus inneren Grtinden all- m~thlich oder sprungweise zu veriindern und zu neuen Sippen umzu- priigen und als solche eventuell auch neue Standorte oder Gebiete zu erobern, soweit es die Hemmungen gestatten, die'sie dutch den Kampf urns Dasein oder andere auslesende Faktoren erfahren, erscheint der Pseudovikarismus bei oberfliichlichem Zusehen als ein zufi~lliges Phiinomen, das keiner niiheren Erkl~trung bedarf. Bei genauerer Betrachtung erweist sich abet auch er als eine gesetzmiiiiige Erscheinung, die dutch zwei schon genannte gewichtige Momente bedingt ist: den Ausbreitungstrieb und die Konkurrenz. Um dies entsprechend wiirdigen zu kSnnen, daft man im Pseudovikarismus nicht lediglich an die Ausschlieliung zweier nahe, aber nicht zuniichst verwandter Sippen schlechtweg denken, sondern an eine solche bei gleichzeitigem Fehlen eines echten Vikaristen der einen dieser Sippen. Infolge der mangelnden Konkurrenz tritt eben eine

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andere nahe, aber nieht zun/tehst verwandte Sippe mit gleicher 5ko- logischer Veranlagung an die gewissermatten jenem gebiihrende Stelle und kommt so zu der anderen in das Verh/iltnis des Pseudovikarismus. Ware der Vikarist vorhanden, so wfirde dessen Konkurrenz den Pseudo- vikaristen fernhalten. Diesen Eindruek erhiilt man, wenn man eines der frtiher angefiihrten Beispiele genauer analysiert. Wenn, wie oben gesagt wurde, die Soldandla pusilla der Sildkarpathen in den Schneetii, lchen der nSrdlicher gelegenen Rodnaer Alpen dureh S. hungarica, eine Hoeh- gebirgstbrm der in einen anderen Verwandtschaftskreis geh0renden S. maior der Waldstufe, vollkommen ersetzt wird, so ist dies meiner Meinung nach nur deshalb mSglieh, well S.pusilla dort aus irgendeinem Grunde fehlt. Wiirde sie dort vorkommen, so wfirde S. major diese eigenartige Form gar nicht ausgebildet haben, wie sie es aueh in den 5stlichen Zentralalpen, we S. pusilla in den Hoehregionen sehr h/iufig ist, nicht getan hat, obwohl sie deft in der Waldstufe vorkommt. Und auf iihnliehe Weise dtirften auch die friiher erwiihnten F/ille yon Pseudo- vikarismus innerhalb Erigeron, Dianthus usw. und yon Pseudosaison- dimorphismus bei Melampyr~m zu erkl/iren sein. Es ist auch denkbar. dab unter Umstiinden das Verht~ltnis zwischen cler zuerst vorhandenen Sippe und dem Pseudovikaristen dergestalt ist, dab jene dutch dessen frtihzeitiges Auftreten in Nachbargebieten verhindert wird, eine vikarierende Sippe zu bilden.

Es ist gewif~ sehwierig, die Wirkung tier Konkurrenz richtig ein- zusch~tzen, dai] sie abet existiert, erscheint mir nieht zweifelhaft. Hat doch sehon N a e g e l i (23b) die interessante Tatsaehe, daI~ sich Achillea atrata und moschata innerhalb tier Alpen in Gebieten, we beide vor- kommen, auf Kalk und Urgestein - - offenbar als eehte Vikaristen - - vollkommen ersetzen, withrend deft, we nur eine wi~chst, diese ~ich auf beiderlei Gesteinen breit macht, auf den Konkurrenzfaktor zuriickgeftihrt. Dabei daft aUerdings nicht verschwiegen werden, dab N a e g e l i ' s An- sicht in letzter Zeit mehrfaeh, z. B. yon seiten S c h r o e t e r ' s (25, p. 526), Widersprueh gefunden hat. Analog wie die beiden Aehilleen auf Kalk- und Urgestein verhalten sieh naeh N a e g e l i Primula yetis und datior auf trockenem und feuchtem Boden u. a. m. Sehr eingehend hat N a e g e l i in den unter 23a undc zitierten Abhandlungen die Bedeutung des Konkurrenzfaktors auseinander gesetzt.

Vor allem sind in diesem Sinne auch J a c e a r d ' s (13, 14, 15) klassische Untersuchun~en fiber die Pflanzenverteilung in der alpinen Region zu erwi~hnen, die den Verfasser zur Aufstellung der bedeutsamen Gesetze des Artenreiehtums, der Gemeinschaftskoeffizienten und des generischen Koeffizienten, womit iibrigens die Erseheinung des Pseudo- vikarismus aufs innigste zusammenh/ingt, geftihrt haben, und in denen

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dem Konkurrenzkampfe eino sehr gro~e Bedeutung beigemessen wird. ,Die l o k a l e V e r t e i l u n g der groi~en Mehrzahl der alpinen Arten ist das Resultat ein es Konkurrenzkampfes zwischen denselben, bei dem die j e t z i g e n 5kologischen Verhiiltn isse den Aueschlag geben. Jede Lokalitiit besitzt in Tat und Wahrhei t nur eine kleino Zahl derjenigen Arten, welche sie ,beherbergen' kSnnte".

Jedenfalls ist der falsehe Vikar ismus eine hSehst beachtenswerte Parallelerscheinung des eehten und es wird, wio ich glaube, allen kilnf- tigen Monographien zum Vorteile gereiohen, wenn sie bestrebt sind, diese Phiinomene ausoinander zu halten, wio auch andererseits yon solchen Monographien eine fortschreitende Klgrung der beiden Begriffe zu erwarten ist.

Zum Sehlusso seion zum Zwecke einer einheitlichen Terminologie folgende Bezeiehnungen vorgeschlagen:

Vertretung weseniihnlicher Sippen in verschiedenen Gebieten odor Formationen sehleehtweg . . . . . . . . . . . . . S u b s t i t u t i o n .

A) Die Sippen sind in den betreffenden Gebieten oder Formationen aus gemeinsamen Stammformen entstanden . . . . . V i k a r i s m u s .

B) Eine dieser beiden Voraussetzungen odor auch beide treffen nicht zu . . . . . . . . . . . . . . . . . P s e u d o v i k a r i s m u s .

Spezialfall yon B) Von den miteinander sehr nahe verwandten Sippen ist mindestens eine aus einem anderen Gebiete, we sio entstandan ist, eingewandert . . . . . . . . . . . . . . . . . . E x k l u s i o n o

Literaturverzeichnis.

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22. - - - - Geographische Verbrei tung und En ts tehung der Dactylorchis- Artei~. Ebendort , XVII , 2, Nr. 7, 1899.

23. N a e g e 1 i C. Botanische ~ i t t e i lungen . I n Sitzber. d. Ak. d. Wiss. , Miinchen. a) 18. Uber den Einflu5 der ~uSeren Verh~l~nisse auf die Varie- t~itenbildung im Pflanzenreiche, 1866. b) 19. ~be r die Bedingungen des Vorkommens yon Arten und Variet~iten innerhalb ihres Ver- breitungsbezirkes, 1866. c) Verdr~ngung der Pfianzenformen durch ihre Mitbewerber, 1874.

24. P o r s c h O. Die 5sterreichischen Galeopsis-Arten der Unterga t tung Tetrahit Rchb. In Abh. d. zool.-bot. Ges., Wien, I I , 2; 1903.

25. S c h r 5 t e r C. Das Pflanzenleben der Alpen, 1908.

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29. - - - - Ubersicht fiber die Arten und Hybriden der Gat tung Soldanella. In A s c h e r s o n-Festschr . , 1904.

30. - - ~_ - - ~onograph ie der alpinen t~rigeron-Arten Europas und Vorder- asiens. In Beih. z. bot. Zentralbl. , XIX, I I ; 1905.

31. - - - - Versueh einer natiirl ichen Systematik des Cirsium arvcnse (L.) Scop. In ()st. bot. Zeitschr., LVII , 1907.

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32. V i e r h a p p e r F. Entwurf eines neuen Systemes der Koniferen. In Abh. d. zool.- bot. Ges., V, 4; 1910.

33. - - - - Beitr~ige zur Kenntnis der Flora Kretas. In Ost. bot. Zeitschr., LXIV-- LXVI, 1914--1916.

34. - - - - Was istTrifolium .Pilczii Adam.? Ebendort, LXVII, 1918.

35. W a t z l B. Veronica prostrata L., teucrium L. und austriaca L. In Abh. d. zool.-bot. Ges., Wien~ V, 5; 1910.

36. W e t t s t e i n R. hlonographie der Gattung t~uphrasia, 1896.

37. - - - - Die europ~isehen Arten der Gattung Ge~tiana aus der Sektion Er~dotricha Froel. und ihr entwicklungsgeschichtlieher Zusammen- hang. In Denkschr. d. Ak. d. Wiss. Wien, math.-naturw. Kl., LXIV, 1896.

38. - - - - Grundziige der geographisch-morphologisehen Methode der Pflan- zensystematik, 1898.

39. - - - - Deszendenztheoretisehe Uatersuehungen. I. Untersuchungen fiber den Saisondimorphismus im Pflanzenreioh. Denksehr. d. Ak. d. Wiss. Wien, math.-naturw. KI., LXX, 1908.

40. - - - - Die nordamerikanischenArten tier Gattung Gentiana Seetio t~J~do~ tricha. In 0st. hot. Zeitschr., LX, 1900.

41. - - - - Handbuch der systematischen Botanik, 2. Auflage, 1911.

Vegetationsstudien im siidiistlichen K~rnten. Von F r a n z Pehr (Wolfsberg).

Nach langji~hrigen Begehungen des Lavant ta les und der um-

gebenden Gebirge (Koralpe, Saualpe, St. Pau le r Kalkberge) , die der

Durchforschung der Vegetat ionsverhi i l tnisse in diesem Gebiete galten,

war in mir der Wunsch rege geworden, meine Studien auf die stidl~ch anschliel~enden Tiiler und Berge auszudehnen, um soleherar t , wenn

mSglich, der LSsung einiger pf ianzengeographischer Probleme, die sich

m i r bei meinen Begehungen im Lavanttale aufgedri ingt hatten, hither

zu kommen. So bet ra t ich zuniichst den Bereich der diluvialen Drau-

terrassen in Unterk~irnten, fiber deren Vegetat ionsverhii l tnisse ieh dann

in der Osterr. Botan. Zeiischrift , J a h r g a n g 1916 ~), ausffihrli(~h ber ichte t habe. W e i t e r h i n wendete ich meine Aufmerksamke i t dem niederen Ge-

b i rgs lande zu, das den Raum zwischen der Drau und den 5stlichen Karawanken erftillt, und nunmehr erlaube ich mir, das Ergebn i s meiaer

durch die Kriegsverhi~ltnisse a l lerdings ungfinst ig beeinflul~tea botanischen

1) Die Bezugsziffern verweisen auf die am Schlusse genannten literarischen Behelfe, die mir auSer D. P a c h e r und ~I. J a b o r n e g g , Flora yon K~rnten, bei meiner Arbeit zur Verfiigung standen.