Über die zukunft der insekten-systematik

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Anzeiger fiir Sch idlingskunde. Vortrag auf dem IV. lnternafionalen Eniomologen-Kongrefl, Ithaca, N.V. Ober die Zukunft der lnsekten-Systematik. Autoreferat yon Dr. W. Horn, Leiter des Deutschen Eutomolog~schen Musemns der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Berlin-Dahlem. Der Vortragende war vom Komitee des Kon- gresses seinerzeit gebeten worden, ffir eine ge- nerelle Diskussion ein einleitendes Referat fiber den obigen Gegenstand zu halten. Als er den ehrenvollen Auftrag erhielt, fielen ihm zuni~chst die Worte ein, mit welchen er vor kaum 2 Jahren im Preul~isehen Kultusministerium, wo er vcegen Reform der Entomologie vorsprechen wollte, empfangen worden ist: ,Sie kommen, um eine untergehende Wissenschaft zu retten) -- Einleitend verweist der Vortragende auf die Prasidentenreden und Symposienausspraehen yon L. O. Howard, Gahan, Aldrich, Rohwer, Baker, Ball, Phillips der letzten Jahre in den Vereinigten Staaten und auf die vor 3 Jahren in London stattgehabte Diskussion (Waterston, Imms, Jordan usw.), sowie auf die Vortrage yon Gebien in Stettin 1927. Horn warnt vor fibertriebenen Anforderungen an entomologische Systematiker (in Nebenwissensehaften, Biblio- graphie, Sprachen usw.), da dieses Wissen fiber die Kraft der Systematiker geht. Er bespricht dann das Thema naeh folgenden Gesichtspunkten: I. Die Verhaltnisse, welehe heute ill der En- tomo-Taxonomie vorliegen, d. h. die Gegenwart, H. ~berblick fiber die Vergangenheit, HI. Die Frage der Zukunft, deren wesentlichste Punkte im folgenden skizziert sind : Die Zahl der in der Natur existierenden In- sektenarten ist mLr schiitzungsweise auf 5 oder 10 Millionen anzugeben. Der Artbeg~ff als solcher ist nieht definiert und schwankt innerhalb der grJl~ten Breite. Etwa 750000 Arten sind his heute besehrieben; fiber die dazugehJrigen .~[eta- morphosen ist verhi~ltnismii~ig wenig bekannt. Sich nur auf eine Auswahl dieser endlosen Formen zu besehranken ist unmJglich, well man nicht im voraus wissen kaau, welehe Arten in syste- matiseher, biologischer usw. Hinsieht wiehtig sind. Aul]erdem ist ohne Detailarbeit. d. i. ge- naue Kenntnis aller Einzelteile, eine Gruppierung unmJglich. Noch schlimmer ist, dal~ die besten Autorenbeschreibungen automatisch veralten; wir stehen also vor einem Danaidenfafi. hnzoiger ftir Schitdlingskunde. V. Jahrgang. 4. Heft. Die wenigsten Entomologen sind Berufsgelehrte, die meisten sind Autodidakten. Wenn man die ffir das Insektenstudium der Welt heute arbeiten- den Personen theoretisch dutch mosaikartiges Zu- sammenlegen ihrer Arbeitseinheiten auf eine ,Normzahl yon Tagesarbeitern" zurtickffihren wfirde, so wfirde man bei einer Norm yon 8 Ar- beitsstunden pro Tag kaum auf eine hJhere Zahl als 1000 ,Vollarbeiter" kommen: ein schreiendes Mi~verhi~ltnis zu der zu leistenden Arbeit. Um- gekehrt tritt an Stelle von 2 alten ausscheidenden Spezialisten heutzutage nur noeh ein junger An- f~nger. Dementsprechend ist das bisherige Resultat relativ sehr bescheiden. Von keiner Insekten- ordnung gibt es einen fertigen modernen Katalog, yon manchen kaum Anf~tnge, von Monographien gar nieht zu sprechen. Faunistisch ist nur ein Bruehteil yon Europa und Nordamerika, noeh da- zu tmgenfigend, bekannt. Eine zusan~nenh~ngende Registrierung der Weltliteratur besteht nur fiir die Periode bis 1863. Die seitdem laufenden Jahresberiehte genfigen fiir die Dauer nicht. Die ~useen zersplittern sieh, indem sie ufer- los die Insekten der ganzen Welt sammeln, wo- bei sie technisch, z. B. in bezug auf Kartotheken usw., meist fast vollst~ndig versagen. Selbs~ das entomologiseh bei weitem gr~ltte ~useum der Welt, das Britisehe, wi~re nicht imstande, eine vollst~ndige Insektensammlung des Britischen Weltreiches zusammenzubringen. Fast fiberall sind die ji~hrlichen Eing~nge ungeordneter In- sekten gr56er als das, was ji~hrlich bearbeitet wird. Alle Museen der Welt w~tren nicht im- stande, die einji~hrige Produktion der Insekten der Welt zu fassen. Selbst in der 3[useologie herrscht meist Auto- didaktentum: Der Nachfolger fangt oft da an, wo sein u ein ~[enschenalter frfiher an- gefangen hat. Die Museen lernen zu wenig voneinander. Die zahllosen Spezialisierungen bei bestimmten Insektenordnungen durchkreuzen sich wirr. Ffir die meisten Insektengruppen gibt es keine mehr, ffir manche 3- und 4 fache Dub- lierungen. Jede Familie wird anders bearbeitet. 4

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Anzeiger fiir Sch idlingskunde.

Vortrag auf dem IV. lnternafionalen Eniomologen-Kongrefl, Ithaca, N .V .

Ober die Zukunft der lnsekten-Systematik. Autoreferat yon

Dr. W. Horn, Leiter des Deutschen Eutomolog~schen Musemns der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Berlin-Dahlem.

Der Vortragende war vom Komitee des Kon- gresses seinerzeit gebeten worden, ffir eine ge- nerelle Diskussion ein einleitendes Referat fiber den obigen Gegenstand zu halten. Als er den ehrenvollen Auftrag erhielt, fielen ihm zuni~chst die Worte ein, mit welchen er vor kaum 2 Jahren im Preul~isehen Kultusministerium, wo er vcegen Reform der Entomologie vorsprechen wollte, empfangen worden ist: ,Sie kommen, um eine untergehende Wissenschaft zu retten) - -

Einleitend verweist der Vortragende auf die Prasidentenreden und Symposienausspraehen yon L. O. H o w a r d , Gahan, A ld r i ch , Rohwer , Baker , Ball, Ph i l l i p s der letzten Jahre in den Vereinigten Staaten und auf die vor 3 Jahren in London stattgehabte Diskussion ( W a t e r s t o n , Imms, J o r d a n usw.), sowie auf die Vortrage yon G e b i e n in Stettin 1927. Horn warnt vor fibertriebenen Anforderungen an entomologische Systematiker (in Nebenwissensehaften, Biblio- graphie, Sprachen usw.), da dieses Wissen fiber die Kraft der Systematiker geht. Er bespricht dann das Thema naeh folgenden Gesichtspunkten:

I. Die Verhaltnisse, welehe heute ill der En- tomo-Taxonomie vorliegen, d. h. die Gegenwart,

H. ~berblick fiber die Vergangenheit, HI. Die Frage der Zukunft,

deren wesentlichste Punkte im folgenden skizziert sind :

Die Zahl der in der Natur existierenden In- sektenarten ist mLr schiitzungsweise auf 5 oder 10 Millionen anzugeben. Der Artbeg~ff als solcher ist nieht definiert und schwankt innerhalb der grJl~ten Breite. Etwa 750000 Arten sind his heute besehrieben; fiber die dazugehJrigen .~[eta- morphosen ist verhi~ltnismii~ig wenig bekannt. Sich nur auf eine Auswahl dieser endlosen Formen zu besehranken ist unmJglich, well man nicht im voraus wissen kaau, welehe Arten in syste- matiseher, biologischer usw. Hinsieht wiehtig sind. Aul]erdem ist ohne Detailarbeit. d. i. ge- naue Kenntnis aller Einzelteile, eine Gruppierung unmJglich. Noch schlimmer ist, dal~ die besten Autorenbeschreibungen automatisch veralten; wir stehen also vor einem Danaidenfafi.

hnzoiger ftir Schitdlingskunde. V. Jahrgang. 4. Heft.

Die wenigsten Entomologen sind Berufsgelehrte, die meisten sind Autodidakten. Wenn man die ffir das Insektenstudium der Welt heute arbeiten- den Personen theoretisch dutch mosaikartiges Zu- sammenlegen ihrer Arbeitseinheiten auf eine ,Normzahl yon Tagesarbeitern" zurtickffihren wfirde, so wfirde man bei einer Norm yon 8 Ar- beitsstunden pro Tag kaum auf eine hJhere Zahl als 1000 ,Vollarbeiter" kommen: ein schreiendes Mi~verhi~ltnis zu der zu leistenden Arbeit. Um- gekehrt tritt an Stelle von 2 alten ausscheidenden Spezialisten heutzutage nur noeh ein junger An- f~nger.

Dementsprechend ist das bisherige Resultat relativ sehr bescheiden. Von keiner Insekten- ordnung gibt es einen fertigen modernen Katalog, yon manchen kaum Anf~tnge, von Monographien gar nieht zu sprechen. Faunistisch ist nur ein Bruehteil yon Europa und Nordamerika, noeh da- zu tmgenfigend, bekannt. Eine zusan~nenh~ngende Registrierung der Weltliteratur besteht nur fiir die Periode bis 1863. Die seitdem laufenden Jahresberiehte genfigen fiir die Dauer nicht.

Die ~useen zersplittern sieh, indem sie ufer- los die Insekten der ganzen Welt sammeln, wo- bei sie technisch, z. B. in bezug auf Kartotheken usw., meist fast vollst~ndig versagen. Selbs~ das entomologiseh bei weitem gr~ltte ~useum der Welt, das Britisehe, wi~re nicht imstande, eine vollst~ndige Insektensammlung des Britischen Weltreiches zusammenzubringen. Fast fiberall sind die ji~hrlichen Eing~nge ungeordneter In- sekten gr56er als das, was ji~hrlich bearbeitet wird. Alle Museen der Welt w~tren nicht im- stande, die einji~hrige Produktion der Insekten der Welt zu fassen.

Selbst in der 3[useologie herrscht meist Auto- didaktentum: Der Nachfolger fangt oft da an, wo sein u ein ~[enschenalter frfiher an- gefangen hat. Die Museen l e r n e n zu w e n i g v o n e i n a n d e r . Die zahllosen Spezialisierungen bei bestimmten Insektenordnungen durchkreuzen sich wirr. Ffir die meisten Insektengruppen gibt es keine mehr, ffir manche 3- und 4 fache Dub- lierungen. Jede Familie wird anders bearbeitet.

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42 W. HoR,~. Ober die

Haneher Wissenschaftler sehafft dureh flfiehtige Arbeiten mehr Unheil als 10 tfiehtige gutmachen k:Snnen. Das internationale Zusammenarbeiten ist dfirftig. Wenn Buehhandlerkonzerne in neu- eren Zeiten Gemeinsehaftspublikationen unter- nommen haben, sind dieselben oft zu sehr auf Geldverdienst eingestellt und zeitigen manchmal Preise, die das ganze Unternehmen f/it die Wissen- schaft mehr sehridlich als nfitzlich machen. Die Wirkung yon Verlegertrusten auf Wissensehaft und Wissensehaftler ist dutch die Macht des Geldes durchaus nieht einseitig gtinstig geworden. Wissensehaftliehe Terminarbeit ist in Europa lringst ein entomologiseh bekannter Beg-rift geworden. Seltsamerweise hat yon internationalen Gemein- sehaftsarbeiten bisher nur die Nomenklatur, d.h. der der naturwissensehaftlichen Arbeitsmethode an sieh gerade denkbarst fernstehende Zweig der Systematik, eine l~olle gespielt. Nomenklatur ist nicht die ,,grammar of science", sondern nur ihre ,,Orthographic", ihre ,,Handmaid", wrihrend Grammatik das Skelett jeder Spraehe ist.

Ffir neues Insektenmaterial, Expeditionen usw. wird endlos Geld ausgegeben, ohne dab die alten Sammhmgsbest:~nde verdaut und dureh Ordnung zug~tngig gemaeht werden.

So ist das Resmm)e der Gegenwart , ,vergens ad malum". Dag wit relativ so sprit und so plStzlieh zu diesem Urteil gekommen sind, ist der beste Beweis, dag die Organisation falseh war.

Ein Rfiekblick zeigt etwa folgendes : 1. Lin n 6 hatte einst in der Sehicksalsstunde der Taxonomy eine rihnliehe Gefahr wie die jetzige erkannt: dar- auf beruht seine Reform! Er sah in der Sys te - mat ik ke ine , re ine" , s o n d e r n , ,angewandte" A n a t o m i e . Er rSumte mit den Tierarten ohne jeden Sehutt auf, d .h . er gab keine Einzel- besehreihungen augerhalb der Gesamtbearbeitung. 2. Die Griindung der grogen entomologisehen Ge- sellsehaften in Europa erleiehterte der Literatur endlose Einzelbesehreibungen, wenn auch zuei'st grofie umfassende Revisoren wie F a b r i e i u s , L a t r e i l l e , O l iv i e r , Dejean, Say, F i s c h e r yon W a l d h e i m usw. noeh oft auftanchten. 3. Die Masse des Wissens wurde dann zu grog f/it ein Mensehengehirn. Die Revisoren versehwanden immer mehr. Gemeinsehaftsarbeit und Speziali- sierung beginnen. Die Registrierung dot' Lite- ratur fringt an ein Sonderzweig zu werden. Auf der anderen Seite sehwindet bei den europNsehen Ifoehschulen das Ansehen der Systematik. 3Iu- seen und Privatsammler raufen sieh mn Insekten- material. Der Insektenhandel blfiht. Um die Mitre des vorigen Jahrhunderts ist Paris das bliihendste Zentrum der entomologischen Syste- matik. 4. Seit Ende des vorigen Jahrhunderts

Zukunft der Insekten. r15. 4. 1929 [ Heft 4.

nehmen die Gemeinsehaftsarbeiten eine ungesunde Riehtung an. Spezialisierung wird zur Zer- splitterung. Die Museen gehen allm~thlich die Entwieklung der K15ster. 3[useales Wissen be- kolnmt man oft dureh Anstellung. Periodiea und entomologische Oesellschaften sprieBen wie Pilze aus der Erde, Dnblierungen und Triplierungen hriufen sieh in allen m6gliehen Punkten bei da- zwisehen klaffenden L(ioken. Das insektenmaterial wird zum Chaos. Kostspieliges Material yon Ex- peditionen verkomnlt ohne Bearbeitung. Die 3[u- seen wissen meist nieht mehr, was sie besitzen, und denken fast nur an Zusammenraffen neuen ~[ateriales. Die l d e e drimmert , dab jedes S y s t e m k i in s t l i eh und nut ' yon vorfiber- g ' ehendem W e r t ist.

So sehen wir eine verbl(iffende Riickstrindig- keit der systematisehen Entomologie gegen(iber anderen Zweigen der Naturwissenschaft, z. B. Chemie, Physik usw. Nut in England ist der relative Rfieksehritt ein langsamerer. Die Blfite- zeit der entomologisehen Systelnatik geh6rt der Vergangenheit an. Entwieklungstheorien und sonstige biologische Disziplinen haben sie in den Hintergrund gedrringt. Das S tud ium des Art- l , egr i f fes hat ganz versag t . Das innere Wesen der Beschreibungen hat nut' relative Fort- sehritte gemacht : viele modernen sind viel sehlechter als hundert Jahre alte. Die Museo- logie ist fast iiberall seit Jahrzehnten erstarrt. Die registrierenden Zweige, Bibliographie, Kataloge versagen; bei alledem ein s~.heinbar vallig-es Vex'- ziehten auf eine Sanierung der Arbeitsmethodik.

Die Schuld an diesem ganzen Leerlauf trifft in Europa zum erheblichen Teil die Universiti~ten: Naehdem sie e inmal e r k a n n t ha t t en , dalt s ieh S y s t e m a t i k n ieh t mehr zum moder - nen U n t e r r i e h t e ignet , hi i t ten sie E r sa t z seha f fen und ve t a l l e m den M u s e e n den W e g f r e i g e b e n m ( i s s e n ; s t a t t d e s s e n h a b e n s ie fas t a l l es g e t a n , um tier S y s t e m a t f k den T o d e s s t o g zu geben. Die 3[useen selbst sind insofern unschuldig, als die soziale Lage der 3[useen vielerorts lange Zeit eine sehr d/irftige war und sie an [~'berhitufung von Material ]itten. Sehuldig sind sle insofern, als sie l~ngst hfitten erkennen mfissen, dab die Systematik einem Chaos zusteuert. Der Besitz yon Insekten ist wertlos, wenn man die damit verknfipften Pfliehten nieht mit fibernimmt. Die Verwaltungstechnik ist gar zu sehr vernaehl:issigt worden. Was fehlt, ist Pulsieren yon entomologischem Blut in ento- mologischen Adern! Die entomologischen Ge- sellschaften und Liebhaber haben viel an Opfer- freudigkeit und Selbstlosigkeit geleistet, stehen heute abet der Zukunft ratlos gegen(iber. Ja,

lb. 4. 19m1 W. Eo~x. {~7ber die Heft 4. J

die Liebhaber sind l~tngst eine gewisse Gefahr geworden. Die Wissenschaftler der angewandten Entonlologie sind fast {iberall der Systematik helfend beigesprungen, nicht nur in U.S.A. (Bu- reau of Entomology) und England (Imperial Bu- reau of Entomology); sie haben der System~tik ganz sicher we l t mehr gegeben als yon ihr empfangen! Die Situation der letzteren zu retten sind sie nieht imstande; es wgre aueh nieht ihre Aufgabe.

Was die Frage der Zukunft betrifft, so w~ire zu sagen: Sieh auf eine gesehiekte Auswahl, die sozusagen dem Tagesbedarf geniigte, zu be- sehr~nken, widersprieht dem elementarsten Oe- bore, dag man nut dutch Detailarbeit ein groges Ziel erreiehen kann.

Die MSgliehkeit, statt des Speziesbegriffs in vielen Fidlen eine hOhere Arbeitseinheit zu sehaffen (, Komplexe" nahe verwandter Arten; s. W.'H o r n, Entom. News XXXIX, 1928, S. 172--178), wfirde, wenn die MSgliehkeit einer grogzfigigen Oemein- sehaftsarbeit best~nde, viele Fortsehritte bringen und vet allem vide iiberfl{issige und f(ir die Zu- kunft verwirrend wirkende Namen verhindern kOnnen. Eine diesbeziigliehe Organisierung w/ire abet sehwer zu treffen.

Dutch die Vergangenheit h la L i n n 6 einen gro6en Strieh zu maehen (s. W. H o'rn, Entom. Mitteil. XVII, 1928, S. 87--90), ist gleiehfalls sehwer mgglieh. Selbst bei Mitarbeit aller Ento- mologen der Welt wfirde man sehwer zu einer Einigung kommen, was von der Vergangenheit en bloc zu streiehen and was zu beriieksiehtigen w~tre.

Verheigungsvoller sind folgende MSgliehkeiten : Man sollte die Systematik yon der immer mehr iiberhand nehmenden historisehen Arbeitsmethode befreien. Dureh endlosen Seharfsinn und mfihe- volles Naehforsehen feststellen zu wollen, was f/it ein Insekt ein Autor vet 100 Jahren vet sieh gehabt hat, als er eine vSllig ungen(igende und fiir seine Zeit vielleieht sehon flfiehtige Be- sehreibung gab, sollte nieht nlehr Aufgabe eines nlodernen Naturwissensehaftlers sein: Alle an- de ren Zweige des m o d e r n e n W i s s e n s wfi rden dar f ibe r l~teheln! Eine Vermehrung der Berufssystematiker und entomologisehen In- stitute ist anzustreben. Den Entomologen der angewandten Riehtung sollte tunliehst, welm aueh in besehr~inktem Mage, das Arbeiten auf syste- matisehem Gebiete erleiehtert werden. Die Lieb- haber, deren Kenntnisse heute bereits oft etwas ephemerer Natur sind, sollten sieh innner mehr unter die Direktion yon Wissensehaftlern stellen. Wit wollen dabei abet nieht vergessen, was sie his heute geleistet habenl Vet allem mfil3ten abet

Zukanft der Ins@ten. a,3

die entomologischen Systematiker mehr als bisher versuchen, aus ihren systematischen Arbeiten Re- sum6es zu geben, welehe vom generellen zoo- logischen Standpunkt verstanden werden kSnnen. Systematische Arbeit ist besonders in Europa oft nur noeh f(ir Spezialisten verdaubar. Es sollte Ehrensache der Systematiker sein, durch Frage- stellung die generelle Zoologie zu systematischen Studien anzuregen, wie z. B. die Forschungen der Parasitologie die Systematik der Parasiten sehr gef6rdert haben. Hier sollte eingesetzt werden, m n d e r Systematik wieder ihr altes An- sehenzusehaffen. Die ~ y s t e m a t i k e r s o l l t e n s e l b s t i h r e L i t e r a t u r ffir d ie g e n e r e l l e n Z o o l o g e n m e h r als b i s h e r a u f s c h l i e g e n . So mfigten Brfieken konstruiert werden, welehe yon der generellen Zoologie zur speziellen Ento- mologie in beiderlei Richtung leiten.

Auf der anderen Seite ist vor allzu eifrigen phylogenetisehen Spekulationen zu warnen, welehe der Systematik falsehe Riehtungen, ja direkte Hemlnungen geben kSnnen. Das Urteil tiber den D a r w i n - H a e e k e l s e h e n Stammbaum oder z. B. die gerade entgegengesetzte Hypothese yon voll- kommen isoliert verlaufenden, parallel geriehteten Entwieklungsreihen aller Arten wird vielleieht die ferne Zukunft dureh neue Hypothesen fMlen. Heute sind all diese Ideen nut Arbeitshypothesen! Ffir die Z ukunft unserer Entomosystematik brauehen wit viel weniger phylogenetisehe Spekulationen ffir Familien, Tribus und Ordmmgen als gute Arbeiten fiber die objektiven weehselseitigen Be- ziehungen zwisehen Arten und Gattungen. Phylo- genetisehe Folgerungen daraus zu ziehen, ist sehSn, aber nieht unbedingt notwendig. Der grSgte Systematiker, den die Welt bisher gesehen hat, Carl L inn6 , hat das System nieht veto phyletisehen Standpunkt, sondern veto reinen @egenseitigkeitsstandpunkt aus behandelt: Drum s c h u f er f~ir sie das Bild des , y o n end- l o sen L~ieken d u r e h b r o e h e n e n Ne tzes ~. Erst kleinere Epigonen haben Systematik mit Phylogenie verkoppelt. Systematik heigt Ordnen: l~'ber das System saa-t das Weft an sieh niehts aus. Welm man andererseits das ,,Netz" von L inn6 als Sinnbild der Phylogenie auffassen will, dann w~re es das Zeiehen der polyphy- letisehen Abstammung yon Arten und Gattungen. Ieh kenne die biotisehe Sehule mit ihrer Liebe fiir Gesetze: Sollte sie nieht oft die 2 Worte ,,Gesetze" and ,,Regeln" verweehseln?

In der Praxis sollte erst das in Sammlungen aufgespeieherte Material verdaut werden, ehe neues Geld f~ir neues ausgegeben wird. Auf dent Wege des Ausleihens yon Insekten zweeks Bearbeitung kann man heutzutage mehr Werte

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44 W. tIo~. tYoer die

schaffen als dureh teure Expeditionen. Vor allem sind bibliographisehe ttilfswerke trod Kataloge, die Grunds~ulen der Systematik, auszubauen, die letzteren allerdings auch wesentlieh zu refor- mieren. Unendlieh viel Raum wird oft dureh die Anordnung ihres Dmekes verschwendet. Dureh einfache Cheeklisten kSnnten vor[iber- gehend alte Kataloge wieder brauehbar gemacht werden. Bei den Registrierungen sollte man sieh auf je eine gute jeder Art beschrgnken, die er- g/inzt statt dubliert werden sollte. Die alte Methode, Kataloge so einzuriehten, dag jeder Liebhaber darin die Tiere seines Besitzes an- streiehen kann, ist veraltet. Unendlich viel un- n6tiger .historiseher Ballast wird immer wieder dutch die neuen Kataloge gesehleppt. Dutch bibliographisehe Sammelzitate, zweekm/~Nges Ein- sehalten gekfirzter Cheeklisten usw. liegen sich diekb~ndige Kataloge wesentlieh verkleinern. Die einzige MSglichkeit, fr{iheres, in der Literatur aufgespeiehertes Wissen auszunutzen und da- dureh endlose Arbeitskr~tfte zu sparen, ist eine tibersjehtliehe Bibliographic dessen, was bisher ge- leistet ist. Sie fehlt f~ir mehr als die letzten 6 Jahrzehnte. Endlos viel fiberfliissige, sich immer wieder dublierende Arbeit wird dadureh endtos vielen Arbeitern der Welt immer und immer wieder aufgebfirdet. Es g ib t n i e h t s k o s t s p i e l i g e r e s f i i r e i n e W i s s e n s e h a f t a ls d a s n i e h t zu k e n n e n , was b i s h e r in i h r ge- l e i s t e t is t ! Es gleieht einem Mensehen, tier sein spgrliehes Geld mit beiden Handen zum Fenster hinaus wirft. Die Literaturperiode 1864 his 1925 ist bibliographiseh zu bewaltigen, wenn man emstlich will. Auf Grund der bei Her- stellung des , , Index L i t t e r a t u r a e E n t o m o - logica.e I" (fiir die Zeit his 1863) veto Vor- tragenden gemachten Erfahrungen kame die Zeit 1864 his 1925 auf ca. 350 000 Titel, welehe in 17 bis 18 B/~nden ~ 1000 Seiten zum Einzelpreis von ca. 10 $ pro Band lieferbar w~tren (die Kosten des Manuskriptes natiirlieh ausgenommen).

Den entomologischen GeseUsehaften wird nlan kaum mehr Arbeit aufbtirden kSnnen, als sieh im Rahmen ihrer Nation f~ir faunistisehe und Gemeinsehaftsarbeit einzusetzen.

Die Frage der Museen diirfte in folgendem Entwieklungsgang liegen: Die grSl~eren L~tnder kSnnten sieh noeh als Ziel das Zusammenbringen einer relativ vollst~ndigen Insektensammlung der Welt steeken, xvenn die versehiedenen Insekten- gruppen in den ihnen zur Verffigung stehenden 3fu- seen verteilt wiirden, so dag Spezialmuseen ftir ein- zelne Insektengruppen entstgnden. Damit wfirde nieht kollidieren, dag sieh jedes grSgere Museum eine generelle Reprasentation aller Insektengruppen zu-

Zukunft der Insekten. 15. 4. 1929 Heft 4.

tegt. Groge Zentralmuseen haben schwere Ge- fahren, nieht nur dadureh, dal3 ihre Angestellten oder ihre Statuten manehmal lange Zeit versagen k6nnen, sondern aueh darin, dal~ sic Schwierig- keiten in bezug auf Arbeitsm~iglichkeiten schaffen: ErLtomologen haben nur selten Mittel, um zu Zentralmuseen reisen zu kSnnen. FOr kleinere Nationen w~re selbst diese Kollektivarbeit aus- siehtslos. Sic sollten sieh auger der genere]len Representation auf regionale Erfassung einzelner Gruppen yon Insekten oder 5kologisehe usw. Komplexe (Wasserinsekten, H6hlentiere, Meta- morphosen usw.) besehranken. Spezialfragen der Bibliographie wfirden hier gleiehfalls am Platze sein. Der Vergleieh mit dem Mittelalter, we einzelne Dombauten flit Jahrzehnte oder Jahr- hunderte Hochsehulen der Kunst geworden sind, liegt nahe. Aueh international kOnnte allmahtieh manehes durch Organisation und Aufk]~rung fiir die Zukunft verbessert werden, indem man z. B. immer mehr damn wirkt, dag die neue Welt ihre hSchste Leistung auf die Erforschung der Insekten der neuen Welt legt usw.

Ganz besonders wiehtig ist natiirlieh, dal] endlich eimnal angefangen wird, die erstarrte ~[ethodik zu reformieren und neuen Flu~ hinein- zubringen. Wer hat sieh seit L inn6 fiberhaupt an die the'oretisehe LSsung tier systematisehen BewMtigung der Insekten gewagt? Nur in Ab- sehiedsreden yon Prasidenten entomologischer Gesellschaften und gelegentlich einmal in Sym- posien h~Srt man davon sprechen. Dabei mug man sich klar sein, dag E n t o m o m u s e o l o g i e in W i r k l i c h k e i t , , p r a k t i s c h e " oder ,,an- g e w a n d t e " S y s t e m a t i k ist und dal~ sie dureh- aus nieht mit der Bew/tltigung der entomologisehen Systemafik identiseh ist. Entomo-Museologie kann man aueh ohne ein fertiges ,,nat(irliehes" System dureh Kartotheken usw. treiben. Vet allem abet sollte der Satz Gemeingut der ~useen werden: E n t o m o - 3 I u s e o l o g i e o h n e K a r t o t h e k e n i s t S t t i m p e r e i l Welches Museum hat aber in seiner entomologisehen Abteilung bisher tiberhaupt Kartotheken ?

Aueh sonst ware manches in der Nuseotogie zu reformieren, vet allem die pekuni~re Bewertung der Insekten. Insekten sind keine unersetzliehen Kulturobjekte! Im ideellen Sinne haben sie keinen h0heren Weft als 3I~tuse, Ratten oder FrSsehe. Der Museol0ge sollte deshalb 0fter In- sekten in St~ieke sehneiden und einzelne Teile aufheben bezw. zmn Studium ausleihen. Weigert sieh ein Chirurg, eine wiehtige Operation zu maehen, well sic die biIaterale Symmetrie st~Srt? Wie trestles steht es oft mit den elementarsten Fragen der Etikettierung? Ieh kenne FNle, we

15. Heft 4. 19.29] E. ]~XR~I.~. Uber Klima und Seuchen (vom Standpunkt des Entomologen). 45

Museen nieht einmal Holotypen mit Detelnnina- tionszetteln versehen haben.

Besonders schlimm ist die Frage der Korre- spondenz. Es gibt Museologen, die nm" gelegent- lieh einmal einen Brief schreiben und haupt- saehlich nur, wenn sie selbst etwas wiinsehen. K o r r e s p o n d e n z is t k e i n Z e i t v e r l u s t , son- d e r n Z e i t e r s p a r n i s ! Stenotypistinnen und Prliparatoren sollten in grSl~erer Anzahl zur Ver- ffigung stehen, denn nichts ist kostspieliger, als Wissenschaftlern ihre Zeit zu stelflen. Ein tiichtiger Organisator kann mit Hilfe soleher teehnischen Heifer mehr leisten als manchmal 3 Wissenschaftler, so dai~ diese Reform durehaus nicht an der Geldfrage zu scheitern brauehte. Vor allem tlite aber Bremsen in den Insekten- eing~ngen not. Alle Insektensammlungen werden automatisch zu grol3! Die Bewertung der Typen als historische Kleinodien ffihrt zu den e]Cemen- tarsten VerstSl]en gegen ~vissenschaftlich be- rechtigte Forderungen. Durch Photographie kSnnte darin sehr h~ufig dringenden Bedfirfnissen ab- geholfen werden. Was wir vor allem brauehen, ist nicht weiter gehende Anh~ufung yon Insekten- massen, sondern ein Verdauen derselben. Die h6ehste Ehre aller Museen und Spezialisten sollte darin bestehen, Revisionen und Kataloge nach dem Vorbilde des Britischen ~useums zu schaffen.

Populaxisierung der Wissensehaft, Natursehutz usw. haben l~ngst angefangen, ftir die entomo- logisehe Systematik verh~ingnisvoll zu werden, indem sie ihr keine neuen Arbeitskr~ifte und Geldmittel zufiihren, sondern wertvolle ent- ffihren, denn Popularisierung der Wissen- schaft und Systematik ]aufen divergente Bahnen.

Nach alledem ist die Lage der systematischen Entomologie eine recht ungfinstige geworden. Was fehlt, ist das Verst/indnis ffir innere und aul]ere Reform. Eine wirksame Hi]fe dfirfte wohl nur noch dutch Organisation tier Entomologie in der ganzen Welt kommen kOnnen. Zu diesem Zwecke wird die Griindung eines , ,Entomo- l o g i s e h e n I n s t i t u t e s f i i r I n t e r n a t i o n a l e n Diens t " gefordert, welches, unter Ausschlu~ aller rein nomenklatorischen und praktischen Fragen der angewandten Entomologie, sowie unter Ver- meidung gro~er Sammlungen verwaltungstechnisch fiir internationMe Verst/~ndigung, gegenseitige Hi]re und Rati~)nalisierung der Arbeit wirken miiBte. Durch ein derartiges Institut sollte ein auf Kartothekwesen, Korrespondenz usw. be- ruhender Auskunftsdienst ausgefiihrt werden, welcher ffir jedes einzelne Museum gefordert zu zeitraubend und kostspielig w~re, weil die Arbeit an einer Stelle der Welt ausgeffihrt fiir viele geniigen wiirde. Da ein derartiges Institut ffir alle L~nder nutzbringend sein w(h-de, i/~ge die MSglichkeit vor, es durch Beitrage der ver- schiedenen Regierungen schaffen zu kSnnen, voraus- gesetztldal3 zun~chst einmal ein gewisser Sicherungs- fonds zur Verffigung steht. Erst dann kann eine volle internationale Ausnutzung der systematischen Leistungen der Entomologie erwartet werden.

Die SehluSworte des in Englisch gehaltenen Vortmges lauteten: ,,We are standing on a sea- shore looking upon a chaos of waves, and the question now is: are these waves the catastrophic end of dissolution or are they the titonie struggle for rebirth? I hope, [ believe, that entomo- taxonomy will escape the fate of the Dinosaurs of the cretaceous age."

Uber Klima und Seuchen (vom Standpunkt des Entomologen). Von

E. Martini.

(Mit 1Abbfldung.)

Durch die Krankheitsiibertragung zeigen sich die Insekten oft mehr als Herren der Welt, denn der Mensch und schreiben ihm Grenzen ffir seine Kultur vor. Ihnen selbst und den Seuchen aber setzt das Klima wieder Grenzen.

Zun~tehst werden zwei Selbsverstandlichkeiten an einigen Beispielen erl~iutert:

1. eine Seuche kann da nicht vorkommen, wo ihr ~ ibe r t r i ige r f eh l t , z. B. w e i l er die nOtige Wi~rme n i ch t f i n d e t (Schlafkrankheit, afrika- nisches Riickfallfieber usw.); so kOnnen auch die

Briicken yon einem Kontinent zum anderen durch zu kfihles Klima verlegt sein;

2. im wechselwarmen Ubertr/~ger ist der K rank- h e i t s k e i m s e l b s t dein Klima der Umgebung ausgesetzt und daher ebenfalls k l i m a t i s c h e r B e g r e n z u n g zugi~ngl ich (Malariabegrenzung anni~hernd durch die 16 o Sommerisotherme, Be- grenzung des Papataci-Fiebers, der Fadenwurm- krankheiten u.a.). Wie grol~ diese Abhangigkeit ist, geht daraus hervor, da~ in der friiheren malariareichen Zeit Mittel- und ~ordeuropas