transsektorales engagement als chance gesellschaftlicher entwicklung
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Beratungsporträts
Zusammenfassung: Wenn unternehmensstiftungen als souveräne und unabhängige akteure kon-zipiert und entwickelt werden, können sie im Bereich der gesellschaftlichen Verantwortung von unternehmen eine wichtige rolle spielen. Ihre Impulse können in die staatlichen, wissenschaft-lichen und bürgerschaftlichen sektoren transformieren und zugleich vorhandene Kompetenzen und erfahrungen in ihre unternehmen „einspeisen“. Die BMW stiftung Herbert Quandt hat den auftrag, das Verständnis zwischen politik, Wirtschaft und Wissenschaft in internationaler per-spektive zu verbessern, um damit einen Beitrag zur gesellschaftlichen entwicklung zu leisten.
Schlüsselwörter: BMW stiftung Herbert Quandt · transsektorales engagement · Bürgergesellschaft · Interdisziplinarität · „Corporate Citizenship“ · unternehmensstiftung
Trans-sectoral involvement as a chance for social development
Abstract: Company foundations can play an important part in the realm of corporate social re-sponsibility, provided they are organized and developed as sovereign and independent actors. their initiatives may transform to governmental, academic and civil societal sectors and, at the same time, feed their companies the originated know-how. the BMW Foundation Herbert Quandt’s mission is to improve ties and mutual understanding among politics, science and the economy from an international perspective in order to contribute to society’s development.
Keywords: BMW Foundation Herbert Quandt · trans-sectoral involvement · Civil society · Multidisciplinarity · “Corporate citizenship” · Company foundation
ZpB (2009) 2:269–274DoI 10.1007/s12392-009-0106-6
Transsektorales Engagement als Chance gesellschaftlicher Entwicklung
Markus Hipp
© Vs-Verlag 2009
M. Hipp ()BMW stiftung Herbert Quandt, reinhardtstraße 58, 10117 Berlin, Deutschlande-Mail: [email protected]://www.bmw-stiftung.de
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1 Transsektorales Lernen als Bildungsziel
Die BMW stiftung Herbert Quandt ist eine stiftung der BMW ag und wurde 1970 in anerkennung der Verdienste von Herbert Quandt für das unternehmen gegründet. sie erhielt den auftrag, das Verständnis zwischen politik, Wirtschaft und Wissenschaft in internationaler perspektive zu verbessern, um damit einen Beitrag zur gesellschaftlichen entwicklung zu leisten. Dieser prozessuale, nicht themenorientierte stiftungszweck geht davon aus, dass die gesellschaft durch eine sektorale Versäulung große Möglichkeiten ungenutzt lässt. Was ist damit gemeint und wie lassen sich – stimmt man diesem Befund zu – transsektorale Kompetenzen und erfahrungen durchgängig im Lebens- und Berufs-weg stärken und fördern?
unsere Bildungssysteme sind darauf angelegt, Begabungen frühzeitig zu sortieren und danach möglichst viel Fachwissen in möglichst kurzer Zeit zu vermitteln. Das Bild vom trichter auf dem Kopf ist längst nicht geschichte. unverändert lautet die Devise: Immer mehr und immer schneller oben rein. Wie dieses zudem immer leichter verfügbare Wis-sen sortiert, gefiltert, geprüft, bewertet, verarbeitet, selbständig in sich rasch verändernde Kontexte übersetzt und somit schließlich sinnvoll lebenspraktisch und beruflich ange-wandt werden kann, scheint noch immer nicht als die fundamentale Bildungsaufgabe der Zukunft angenommen zu sein.
sieht man zusätzlich in dieser anwendungs- und Verknüpfungskompetenz eine anfor-derung, die später in besonderem Maße an Führungskräfte aller sektoren gestellt wird, wird das Dilemma noch größer. Denn das erlernen von Führung geschieht – wenn über-haupt – selten in Klassenzimmern und Hörsälen, sondern eher in jungen Jahren in großen Familien, schüler- und studentenvertretungen, bürgerschaftlichen Initiativen und sport-vereinen sowie kirchlicher oder politischer Jugendarbeit. Hier wird früh praktisch gelernt, was es heißt, Wissen zu artikulieren, zu übersetzen und anzuwenden, frei und überzeu-gend vor anderen zu sprechen, auf eine konkrete aufgabe hin, in und mit heterogenen gruppen zu arbeiten, teams auf gemeinsame Ziele einzustimmen und andere mit sozialer Kompetenz zu führen.
solange diese frühen wertvollen Lernerfahrungen kaum als solche wahrgenommen und gesellschaftlich nicht ebenso honoriert werden wie spitzenexamen an homogenen privatschulen und internationalen eliteuniversitäten, besteht wenig aussicht, unkonven-tionelle Berufseinstiegsphasen und lebenslanges transsektorales Lernen als sinnvolles Bildungsziel anzuerkennen und zu verwirklichen. Denn auch mit dem Berufseinstieg wird die Welt in der regel nicht weiter, sondern enger. Vorbildliche Berufsgrenzgänger als rollenmodell für die ersten Berufsjahre sind selten. Doch es gibt sie.
Der neue amerikanische präsident Barack obama unterscheidet sich nicht nur durch seine Hautfarbe von allen seinen Vorgängern. sein Lebenslauf weist auch eine reihe beruflicher Erfahrungen auf, die nicht allein dem politischen Sektor zuzuordnen sind. Bevor er 1992 erstmals kommunalpolitisch aktiv wurde und seine politische Karriere bis ins präsidentenamt der Vereinigten staaten von amerika antrat, hatte er zehn Jahre einblicke in verschiedene Lebens- und Berufswelten gewonnen. er arbeitete als Wirt-schaftsberater in einem Konzern, als sozialpädagoge und Community organizer mit gemeinnützigen organisationen und Kirchengemeinden sowie als anwalt und Dozent an der universität. Vielleicht bedarf es mehr solcher Vorbilder, um neben fachlicher Brillanz,
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Mehrsprachigkeit und Internationalität auch mehrsektorale Kompetenz als ein sinnvolles Kriterium im Anforderungsprofil einer Führungskraft der Zukunft zu erkennen.
2 Die Förderung transsektoraler Kompetenzen
Die unabhängige BMW stiftung Herbert Quandt fördert in international und interdis-ziplinär ausgerichteten programmen und operativen Förderpartnerschaften aus den erträgen ihres grundstockvermögens von 50 Mio. euro ausschließlich gemeinnützige Zwecke. Dabei entwickelt und organisiert sie als ein transsektorales „umspannwerk“ in zwei Kernzielgruppen interdisziplinäres und sektorenübergreifendes Lernen. Im senior-Leaders-Bereich bringt sie führende internationale Wissenschaftler, politiker, unterneh-menslenker und Medienvertreter in Dialogforen, Workshops und Forschungsprojekten zusammen, um sie jenseits des tagesgeschäfts intensiv mit drängenden gesellschafts-politischen Fragen zu befassen. Die hohe Diversität bei der Zusammensetzung der teil-nehmer soll dabei integrale problemlösungen auf zunehmend komplexe Fragestellungen ermöglichen. ein besonderes augenmerk legt die stiftung dabei auf die wachsende rele-vanz internationaler und globaler entwicklungen für nationale politische und wirtschafts-politische Herausforderungen.
In ihren Young Leaders programmen für Führungskräfte zwischen 30 und 40 Jahren wird die interdisziplinäre sensibilisierung um praktische transsektorale aktivierungs- und Beteiligungsangebote ergänzt. Mit Foren, stipendien, Ideenwettbewerben und in öffentlich-privaten partnerschaften motiviert die stiftung Führungskräfte aus allen sek-toren der gesellschaft, ihr Wissen, ihre praktisches Können und ihre netzwerke für die gesamtgesellschaftliche entwicklung zur Verfügung zu stellen. Dabei ist sie überzeugt, dass die so in neue anwendungsfelder transformierten „energien“ nicht nur unmittelbar dem gemeinwohl dienen, sondern das Denken und Handeln dieser Führungskräfte selbst nachhaltig positiv beeinflussen. Führungskräfte, die berufsspezifische Scheuklappen und Berührungsängste ablegen und gesellschaftliche Verantwortung auch jenseits beruflicher Zuständigkeit übernehmen, führen ihre eigenen organisationen besser.
aus diesem grund entwickelt die BMW stiftung Herbert Quandt nicht nur eigene operative programme zur Förderung transsektoraler Kompetenz, sondern unterstützt in langfristigen entwicklungspartnerschaften auch andere organisationen und programme, die sich demselben Ziel verschrieben haben. Denn auch für eine stiftung gilt, dass sie in partnerschaften auf augenhöhe nicht nur Mittel und Kompetenz gibt, sondern dabei selbst in höchstem Maße lernt und gewinnt. eine aktuelle gemeinschaftskampagne großer deutscher Wohlfahrtsverbände unter Führung des Bundesverbandes Deutscher stiftungen bringt diese erfahrung mit einem einprägsamen Motto auf den punkt: „geben gibt!“
Denn überall gilt: Die Zahl der Handlungsoptionen bei der Bewältigung von proble-men wächst, wenn nicht nur ein sektorales Handlungsmuster zur Verfügung steht. Diese Herangehensweise veranschaulicht Common purpose, eine aus großbritannien stam-mende Initiative, die inzwischen auch in einigen deutschen großstädten aktiv ist und gemeinsam mit der BMW stiftung Herbert Quandt bald in Berlin startet, mit folgendem Beispiel: Das gebäude eines unternehmens in einem stadtteil mit einer schwierigen Sozialstruktur wird regelmäßig mit Graffiti bemalt. Die Unternehmensführung reagiert
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in ihrer gewohnten eindimensionalen Handlungslogik. sie beseitigt immer wieder neu die schäden und investiert wachsende Beträge in höhere Überwachungsmaßnahmen: mehr Kameras, mehr Wachpersonal, mehr Kontrolle. Dabei könnte es ein ökonomisch und gesellschaftlich klügeres und nachhaltigeres Investment sein, aus dieser Wagen-burglogik auszusteigen und nach Möglichkeiten zu suchen, mit der sozialen realität des stadtteils in Kontakt zu treten, um gemeinsam proaktiv nach Lösungen für das problem zu suchen. Lösungen, an denen sich ganz unterschiedliche akteure eines stadtviertels – öffentliche Verwaltungen, unternehmen, schulen, Jugendarbeit, Kirchengemeinden etc. – beteiligen.
Doch dazu benötigen alle beteiligten Führungskräfte – stadtteilbürgermeister, geschäftsführer des unternehmens, schulleiter etc. – eine viel größere sensibilität und Kompetenz für die Möglichkeiten und grenzen aller anderen beteiligten partner. Vor allem aber brauchen alle gemeinsam mehr Vertrauen in die Chancen einer wachsenden, selbstbewussten und aktiven Bürgergesellschaft.
3 Die Bedeutung der europäischen Bürgergesellschaft
aus einer aktuellen studie des Centrums für Corporate Citizenship Deutschland (CCCD) mit dem titel „topmanagement in gesellschaftlicher Verantwortung“ geht hervor, dass nur wenige deutsche DaX-Vorstände mit den Begriffen Zivilgesellschaft oder Bürgerge-sellschaft etwas anfangen können. Dies bedeutet nicht, dass diese Wirtschaftsführer sich überhaupt nicht mit ihren unternehmen oder privat für die gesellschaft engagieren. sie kennen und unterstützen nicht selten Vereine und Initiativen, spenden regelmäßig oder beteiligen sich an Charity-Veranstaltungen. aber nur wenige haben eine klare Vorstellung davon, dass es zwischen Staat und Wirtschaft längst einen wachsenden, sich reflektie-renden und professionalisierenden „Dritten sektor“ als soziale Wirklichkeit und syste-mische ressource nachhaltiger gesellschaftlicher und unternehmerischer Verantwortung gibt.
es würde die öffentliche Wahrnehmung der Wirtschaftseliten enorm verändern, wenn es gelänge, sie davon zu überzeugen, dass die Bürgergesellschaft ein professionelles, sinnstiftendes, innovatives und unternehmerisches Betätigungsfeld sein kann. um kein Missverständnis zu provozieren: es geht nicht darum, dass Manager bessere pädago-gen, Wissenschaftler bessere politiker oder politiker bessere unternehmer sind oder sein sollten. Im gegenteil. es geht darum, dass alle besser wissen, was sie können und was sie nicht können und dass sie daher mit mehr respekt und anerkennung mögliche Hand-lungsspielräume des transsektoralen gegenübers im je eigenen Denken und Handeln frü-her und besser antizipieren, abrufen und somit aktiv nutzen.
so wie englisch die sprachliche grundvoraussetzung einer internationalen Karriere ist, sollte eine persönliche Vorstellung von der systemstabilisierenden und systeminno-vierenden Bedeutung der Bürgergesellschaft zur grundausstattung einer verantwortlichen Führungskraft gehören. Denn dieser individuelle Bildungs- und Förderansatz besitzt auch eine weitreichende politische Dimension, wenn man ihn in den Kontext der durch die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise neu entfachten globalen Debatte um die beste gesellschafts- und Wirtschaftsordnung stellt.
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Denn die Kraft der europäischen Bürgergesellschaft liegt gerade darin, dass sie inner-halb der kontinentaleuropäischen sozial- und Wohlfahrtsstaaten nicht Lückenfüller sein muss, sondern diese gleichsam von innen heraus erneuern, ergänzen und unternehmerisch beflügeln kann. Sie muss, kann und will diese aber nicht ersetzen. Dieses europäische, sozialstaatlich grundgesicherte sowie bürgerschaftlich und unternehmerisch innovierbare Kapitalismusmodell braucht sich weder vor den neuen staatskapitalistischen Modellen Chinas und russlands noch vor dem marktradikaleren angelsächsischen Modell verste-cken. Dazu ist es aber notwendig, dass die europäischen Führungseliten nicht nur ihr eigenes gesellschafts- und Wirtschaftsmodell unter anerkennung des primats der politik wieder selbstbewusster artikulieren, sondern die Bürgergesellschaft auch als eine hervor-ragende Innovationsmembran innerhalb dieses systems entdeckt und umfassend geför-dert wird.
4 Der Beitrag von Unternehmensstiftungen zum „Corporate Citizenship“
unternehmensstiftungen als ein Instrument gesellschaftlicher Verantwortung von unter-nehmen sind nur sinnvoll und glaubwürdig, wenn sie von den stiftenden unternehmen souverän als unabhängige akteure der Bürgergesellschaft konzipiert und entwickelt wer-den. nur so können sie unternehmerische Impulse in die staatlichen, wissenschaftlichen und bürgerschaftlichen sektoren transformieren und zugleich dort vorhandene Kompe-tenzen und erfahrungen in ihre unternehmen „einspeisen“, ohne auf systemimmanente Befindlichkeiten, Vorurteile und Ängste Rücksicht nehmen zu müssen. Denn die Bür-gergesellschaft ist auch ein hochsensibler Indikator für grundlegende gesellschaftliche Werte- und Verhaltensveränderungen, die weitsichtige unternehmen frühzeitig erkennen und ernst nehmen müssen. In diesem sinne sollten unternehmensstiftungen nicht „nice to have“ sein, sondern ihre eigenen unternehmen vielmehr immer wieder auch irritieren und provozieren. auf diese Weise tragen sie als ein Instrument unter möglichst vielen langfristig wirklich mit dazu bei, der Idee einer Corporate Citizenship glaubwürdigkeit und Wirkung zu verschaffen.
Wenn alle gesellschaftlichen akteure auf diese Weise ihre eigenen Möglichkeiten und grenzen (wieder) genauer kennen und anerkennen und zugleich immer stärker und bewusster die Handlungsmöglichkeiten anderer akteure in das eigene Denken und Han-deln einbeziehen – dann könnten transsektorale, bürgerschaftlich organisierte partner-schaften einen originären Beitrag zur Weiterentwicklung des kontinentaleuropäischen gesellschafts- und Wirtschaftsmodell leisten. Das pragmatische und damit vielleicht auch sympathische an diesem ansatz ist: alle können bei sich selbst beginnen. Die BMW stiftung Herbert Quandt wird diesen Weg jedenfalls konsequent weiter verfolgen.
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Markus Hipp, geboren 1968, ist seit 2006 geschäftsführender Vorstand der BMW stiftung Herbert Quandt. nach dem studium der philosophie und Katholischen theologie von 1989 bis 1994 war er zunächst als Dozent für germanistik und philosophie an den universitäten Budweis und Brünn in der tschechischen repu-blik und danach im Vertriebs- und Verlagswesen in München und augsburg tätig. ab 1998 war er bei der robert Bosch stiftung zunächst assistent der geschäftsführung und danach stellvertre-tender Leiter des Bereichs Mittel- und osteuropa. Von 2002 bis 2006 war er für den aufbau und die Leitung ihres Berliner Büros verantwortlich. Zudem ist er gründungsvorstand und Mitglied bei Mitost e.V., einem Verein für sprach- und Kulturaustausch in Mittel-, ost- und südosteuropa, sowie im Beirat des Bundes-verbandes Deutscher stiftungen in Berlin, der gemeinnützigen stiftungs-gmbH betterplace und von n-ost, dem netzwerk für osteuropa-Berichterstattung.