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Februar 2020 Transhumanismus als Rassenhygiene von heute Zwischen Selbstvernichtung und technokratischem Machbarkeitswahn THOMAS MEYER Künstliche Intelligenz oder Chips im Arm – als unter diese Gesellschaftsform unter- worfene Subjekte passen sich Menschen bis unter die Haut der Krise des Kapitalis- mus an. Diese Anpassung an zunehmende Konkurrenz und damit einhergehendem Optimierungswahn findet seinen Ausdruck auch im Transhumanismus. Dabei han- delt es sich um eine Ideologie, die mittels Technologien die Grenzen menschlicher Möglichkeiten ausdehnen möchte. Thomas Meyer, Naturwissenschaftler und Redak- teur der Zeitschrift Exit!, formuliert hier eine Kritik an dieser Ideologie. 1. Einleitung Der Kapitalismus, genauer das »waren- produzierende Patriarchat« (Roswitha Scholz) als eine Produktionsweise ist auf eine ihr zugehörige Subjektform ange- wiesen. Der Mensch wie er leibt und lebt, ist dabei genötigt, sich dieser Subjekt- form anzugleichen: An diesem selbst wird ein gesellschaftlicher Abstraktionspro- zess real gemacht. Das geschieht durch eine entsprechende Disziplinierung und eine geschlechtlich konnotierte psycho- soziale Subjektwerdung. Als »Hand- lungsträger der Abstrakten Arbeit« (Robert Kurz) ist das bürgerliche Subjekt dem Verwertungsprozess des Kapitals unterworfen und in seiner Funktion selbst dazu angehalten, alle Welt diesem Pro- zess zu unterwerfen und die dazu- gehörigen Zwänge zu reproduzieren. Nun hat der Verwertungsprozess eine eigene Geschichte mit entsprechenden Umbrüchen, Rationalisierungen und Ent- wicklungen an Technik und Umwälzun- gen im Produktionsprozess. Und das auch noch mit eventuell immanent ver- schiedenen Verlaufs- und Verwirkli- chungsformen, über die dann bestenfalls demokratisch formgerecht ›verhandelt‹ werden darf (meist war/ist noch nicht Liebe Leserinnen und Leser des Netz- Telegramms, bei der Netzversammlung im Sep- tember 2019 wurde das neue Netzpa- pier intensiv diskutiert. Die Ände- rungsvorschläge wurden von Vorstand und Geschäftsführung eingearbeitet. Das Papier wurde Ende Januar als Beschlussvorlage für die Netzver- sammlung am 29. Februar veröffent- licht. Letzte Diskussionen und Ände- rungen zum Papier können gemeinsam bei der Versammlung voll- zogen werden. Eine weitere Neuigkeit im Netz-Zusammenhang ist die Grün- dung einer neuen Projektgruppe von KAB und pax christi im Bistum Trier gemeinsam mit dem Ökumenischen Netz – sie soll interessierte Einsteige- rInnen an Kapitalismuskritik heran- führen sowie die Beschäftigung mit Alternativansätzen zum Kapitalismus intensivieren. In diesem Netztelegramm geht es im Leitartikel von Thomas Meyer um die kritische Analyse eines immer stärker werdenden menschenfeindlichen Trans- humanismus’. In der theologischen Reflexion setzt sich Paul Freialdenho- ven mit dem Begriff des Dienens aus einem Abschnitt des Markusevangeli- ums auseinander. Hinweise auf kürz- lich erschienene Netz-Veröffentli- chungen sowie Terminhinweise runden dieses erste Netztelegramm des Jah- res ab. Eine gute Lektüre verbunden mit vie- len Grüßen wünscht Ihnen und Euch Foto:Gerd Altmann from Pixabay

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Februar 2020

Transhumanismus alsRassenhygiene von heuteZwischen Selbstvernichtung und technokratischem

Machbarkeitswahn THOMAS MEYER

Künstliche Intelligenz oder Chips im Arm – als unter diese Gesellschaftsform unter-worfene Subjekte passen sich Menschen bis unter die Haut der Krise des Kapitalis-mus an. Diese Anpassung an zunehmende Konkurrenz und damit einhergehendemOptimierungswahn findet seinen Ausdruck auch im Transhumanismus. Dabei han-delt es sich um eine Ideologie, die mittels Technologien die Grenzen menschlicherMöglichkeiten ausdehnen möchte. Thomas Meyer, Naturwissenschaftler und Redak-teur der Zeitschrift Exit!, formuliert hier eine Kritik an dieser Ideologie.

1. Einleitung

Der Kapitalismus, genauer das »waren-produzierende Patriarchat« (RoswithaScholz) als eine Produktionsweise ist aufeine ihr zugehörige Subjektform ange-wiesen. Der Mensch wie er leibt und lebt,ist dabei genötigt, sich dieser Subjekt-form anzugleichen: An diesem selbst wirdein gesellschaftlicher Abstraktionspro-zess real gemacht. Das geschieht durcheine entsprechende Disziplinierung undeine geschlechtlich konnotierte psycho-soziale Subjektwerdung. Als »Hand-lungsträger der Abstrakten Arbeit«(Robert Kurz) ist das bürgerliche Subjekt

dem Verwertungsprozess des Kapitalsunterworfen und in seiner Funktion selbstdazu angehalten, alle Welt diesem Pro-zess zu unterwerfen und die dazu-gehörigen Zwänge zu reproduzieren.

Nun hat der Verwertungsprozess eineeigene Geschichte mit entsprechendenUmbrüchen, Rationalisierungen und Ent-wicklungen an Technik und Umwälzun-gen im Produktionsprozess. Und dasauch noch mit eventuell immanent ver-schiedenen Verlaufs- und Verwirkli-chungsformen, über die dann bestenfallsdemokratisch formgerecht ›verhandelt‹werden darf (meist war/ist noch nicht

Liebe Leserinnen und Leser des Netz-Telegramms,

bei der Netzversammlung im Sep-tember 2019 wurde das neue Netzpa-pier intensiv diskutiert. Die Ände-rungsvorschläge wurden von Vorstandund Geschäftsführung eingearbeitet.Das Papier wurde Ende Januar alsBeschlussvorlage für die Netzver-sammlung am 29. Februar veröffent-licht. Letzte Diskussionen und Ände-rungen zum Papier könnengemeinsam bei der Versammlung voll-zogen werden. Eine weitere Neuigkeitim Netz-Zusammenhang ist die Grün-dung einer neuen Projektgruppe vonKAB und pax christi im Bistum Triergemeinsam mit dem ÖkumenischenNetz – sie soll interessierte Einsteige-rInnen an Kapitalismuskritik heran-führen sowie die Beschäftigung mitAlternativansätzen zum Kapitalismusintensivieren.

In diesem Netztelegramm geht es imLeitartikel von Thomas Meyer um diekritische Analyse eines immer stärkerwerdenden menschenfeindlichen Trans-humanismus’. In der theologischenReflexion setzt sich Paul Freialdenho-ven mit dem Begriff des Dienens auseinem Abschnitt des Markusevangeli-ums auseinander. Hinweise auf kürz-lich erschienene Netz-Veröffentli-chungen sowie Terminhinweise rundendieses erste Netztelegramm des Jah-res ab.

Eine gute Lektüre verbunden mit vie-len Grüßen wünscht Ihnen und Euch

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einmal das gegeben). Das bedeutet aberauch, dass der »Handlungsträger der abstrak-ten Arbeit« selbst fortlaufend rationalisiertwerden muss, d.h. die Disziplinierten müs-sen von neuem diszipliniert und dasGeschlechtsregime entsprechend neu›justiert‹ werden: Die Unterwerfung unterden Kapitalismus, d.h. unter die Form Wertund Abspaltung ist nicht ein für alle mal gege-ben, sondern muss fortlaufend aktualisiertwerden, so dass der Verwertungsprozess aufhöherer Stufenleiter fortschreiten kann (obdas auch gelingt und mit welchen Verwer-fungen und Leiden der Betroffenen ist eineandere Frage). Es wird also alles revolutio-niert, damit alles beim Alten bleiben kann.Damit die gesellschaftliche Form erhaltenbleibt, wird das ihr Unterworfene der histo-risch prozessierenden Form von neuem ange-glichen werden, damit alles sich in ihr form-gerecht bewegt.

Es ist also keineswegs zufällig, dass es vorallem in Krisen- und Umbruchszeiten zu einerverstärkten Ideologiebildungkommt. Worauf ich mich hieraber konzentrieren will, istdie Ideologiebildung wis-senschaftlicher bzw. techno-kratischer Art, wie sie sichetwa in diversen Phantasiender Wissenschaftszunft aus-drücken kann. Dazu soll dietranshumanistische Ideolo-gie auf den Aspekt einerangestrebten Rationalisie-rung und Generalinventurder menschlichen Speziesüberhaupt ausgebreitet wer-den. Antisemitischer Ver-schwörungswahn oder Ähnliches steht hieralso nicht im Fokus. Es wird dabei deutlichwerden, dass es sich bei dem Transhuma-nismus um eine quasi-religiöse Ideologiehandelt, die von einem Unterwerfungs- undVernichtungswahn geleitet ist und in der ›Ver-ewigungsphantasien‹ des bürgerlichen Sub-jekts deutlich werden. Die transhumanisti-sche Agitation zur Unterwerfung unter dieImperative der Wert-Abspaltungsgesellschaft,nimmt dabei wahnhafte Züge an, die sich ineiner grundsätzlichen Leibfeindlichkeit undin der Vernichtung des Menschen, als einesleiblichen Wesens, als Spezies überhaupt,äußern.

2. Zur Ideologieproduktion derWissenschaftenBevor ich mich nun dem Transhumanismuswidme, sollen einige Aspekte der Wissen-

schaftsgeschichte skizziert werden. Im trans-humanistischen Diskurs spielen die NBIC-Wissenschaften (Nano-, Biotechnologie,Informatik, Neurowissenschaft) eine großeRolle. Daher werde ich einige Aspekte des›Genetik-Diskurses‹ andeuten und erläutern,wie es dazu kam, dass sie sich zu einer ›Infor-mationswissenschaft‹ entwickelt hat. An -schließend gehe ich auf die Eugenik ein; nichtzuletzt deswegen, da Transhumanisten sichoffen auf eugenisches Gedankengut bezie-hen. Durch diesen Abschnitt soll deutlichwerden, dass die Naturwissenschaften zueinem biologistischen und menschenfeind-lichen Welt- und Menschenbild beigetragenhaben (und beitragen) und entgegen ihremSelbstverständnis sehr wohl ideologischenCharakter aufweisen können.

Die ›wissenschaftliche Ideologieproduktion‹stellt sich auf mehreren Ebenen dar. Die eineliegt in der ›Interpretation‹ des Verlaufs derWissenschaftsgeschichte selbst: Dieser istkeineswegs nur durch bloße ›Fakten‹ vorge-

geben, wird aber oft als notwendig behaup-tet, und drückt sich in der Entwicklungbestimmter Technologien und entsprechen-den Grundlagenforschungen aus. Es sindeben solche, die Verwertungspotentiale ver-sprechen. Das positivistische Bewusstseinwill dies in der Regel nicht wahrhaben, wennes vom ›wissenschaftlichen Fortschritt‹ redet.Derart ist z.B. die Entwicklung der Genetikund Biotechnologie einzuordnen, die denAnspruch formuliert, das Leben zu beherr-schen und es industriell zu verwerten. Es istin diesem Zusammenhang nicht verwun-derlich, dass sich zunächst eine doch rechtsimple Anschauung von Vererbung undGenetik durchsetzte, also eine Anschauungvon Vererbung, die direkt an die Paradigmender Informationstheorie anschloss und vor-aussetzte bzw. annahm, dass ›Kommunika-tion‹ von Erbsubstanz zur Proteinprodukti-on usw. nur in eine Richtung verlaufe. Dazu

schreibt Lily Kay in ihrer Monographie zurEntstehung der modernen Genetik: »Che-mische Spezifität, einst das übergreifendeThema in Biochemie und anderen Biowis-senschaften, wurde umgedeutet in Informa-tionsübertragung: Träger von Spezifität wur-den zu Trägern von Instruktionen. Wasbedeutet dieser Namenswechsel? Der Infor-mationsdiskurs reduzierte die Mannigfaltig-keit und Komplexität biochemischer Vor-gänge, an denen unzählige Moleküle beteiligtwaren, auf ein uranfängliches binäres Paardes Lebens: Nukleinsäuren und Proteine. […][Die Diskurse] über Polynukleotideigen-schaften und -synthese, Proteinstruktur und-synthese und den genetischen Code warenalle offenbar am zentralen Dogma ausge-richtet, an einer Einbahnstraße der Infor-mationsübertragung von Nukleinsäuren zuProteinen. Proteinsynthese war zu einem pro-grammierten Kommunikationssystem gewor-den« (Kay 2005, 358f.). Dadurch konnte mandie Erbsubstanz als Erbinformation inter-pretieren und die Biologie wurde zu einer

Informationswissen-schaft.1 Auf diese Wei-se entstand das Kon-zept eines»industriellen Gens«(vgl. Then 2008,135ff.), das obzwar esdurch Epigenetik2

usw. längst widerlegtist, und Gültigkeit nureher in Ausnahmefäl-len erlaubt, aber den-noch industriell undideologisch wirk-mächtig bleibt, wienicht zuletzt ›Synthe-

tische Biologie‹ und ›Digitale(!) Biologie‹ zei-gen (vgl. Jansen 2015, 151ff.).

Eine andere Ebene der Ideologiebildung inden Wissenschaften und ihren Ausläufernbesteht in der Formulierung von bestimm-ten ›Menschenbildern‹. Diese Menschenbil-der fußen entweder auf den (mutmaßlichen)Ergebnissen der Grundlagenforschung oderauf Extrapolationen derselben (also auf ›phan-tasievollen Vorhersagen‹). Letzteres kannschon sehr mythische Form annehmen,sodass es dabei keineswegs notwendig ist,dass ›Empirisches‹ den Schwärmereien vonWissenschaftlern/-innen tatsächlich zu Grun-de liegen muss. Solche Menschenbilderunterstellen dann eine ontologisch festste-hende menschliche Natur oder ein bestimm-tes Verständnis des Menschen, nach demetwa der menschliche Geist als eine Art Com-puter angesehen und entsprechend reduziert

Foto:Arek Socha from

Pixabay

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werden kann. Dem kommt das Verständnisdes Menschen als einer Maschine nahe. Ent-sprechend kann man am Menschen Ener-giebilanzen genau so bestimmen wie beieinem Dampfkessel, um auf diese WeiseBewegungen auszuschalten, die mutmaß-lich eine vorzeitige Ermü-dung erbringen. DieseMenschenbilder propa-gieren also eine Rationali-sierung des Menschenund seine anstehendenoder bereits laufendenDisziplinierungen als Not-wendigkeit oder Folgeeiner vermeintlichmenschlichen Natur. Aufdiese Weise werden Struk-turveränderungen desKapitalismus und ihrerSubjekte naturalisiert, umMensch und Natur für dieWertverwertung auf höhe-rer Stufenleiter verfügbarzu machen (vgl. zur Ratio-nalisierung des Menschenz.B. Rabinbach 2001,sowie Kurz 1999, 386ff.).Die Lebenswirklichkeit derMenschen wird naturalisiert, in dem Sinne,dass die gesellschaftlichen Zwänge als Natur-tatsachen erlebt werden und daher den glei-chen Status bekommen wie der freie Fall nachunten. Es ist also kein Zufall, dass der Dis-kurs um ›Künstliche Intelligenz‹ zu genauder Zeit aufkam, als die Menschen selbstschon zu Maschinen geworden waren (d.h.im geforderten Bilde des idealen männlichenArbeiters) bzw. genötigt waren, sich wie wel-che zu verhalten. Der Mathematiker EmilPost (1897–1954) veranschaulichte seineTheorie des Computers folgerichtig am Vor-bild eines Fließbandarbeiters: So wie derFließbandarbeiter einen Algorithmus abar-beite, also eine endliche Anzahl von Hand-lungsanweisungen identisch ausführt, soerledige auch der Computer seine ihm auf-gelegten Aufgaben (vgl. Heintz 1993, 166).Weil Mensch und Computer anscheinenddas Gleiche machen können, entstand derGlaube, Computer könnten intelligent sein,und das in einem größeren Ausmaß als Men-schen. Offenbar fußt dieser Glaube auf einenrecht bornierten Intelligenzbegriff, der Intel-ligenz mit Rechnen gleichsetzt (vgl. Irrgang;Klawitter 1990; Fischer 2003). Der Philosophund Transhumanismus-Gegner Jean-MichelBesnier schreibt zu dieser Entleerung desIntelligenz-Verständnisses: »Die semanti-sche Deflation des Begriffs Intelligenz istselbst ein Symptom, nämlich der Vertrock-

gerechtfertigt (Weingart; Kroll; Bayertz, 262ff.).Durch Sozialdarwinismus, Eugenik und Ras-senhygiene wurden also soziale Verwerfun-gen in ein biologisches Problem umdefiniert.Unnötig zu betonen, dass der Biologismusnie verschwunden ist und bis heute aktuali-

siert wird (vgl. Schulze; Schäfer2012).

Nach dem Zweiten Weltkriegwar die Eugenik zunächst offi-ziell diskreditiert. Natürlichhat der famose Wissen-schaftsbetrieb seinen Beitragzur eugenischen Vernich-tungspolitik der Nazis nichtwirklich aufgearbeitet (vgl.Weingart; Kroll; Bayertz 1992,562ff). Man distanzierte sichzwar von staatlichem Zwang,vertrat aber umstandslos eine›freiwillige‹ Eugenik. Nachdem Zweiten Weltkrieg war fürdie erneute ›wissenschaftlichePropagation‹ der Eugenik dasCIBA-Colloqium3 1962 in Lon-don von großer Bedeutung.Als Transmissionsriemen zwi-schen der Vorkriegs- zur

Nachkriegs-Eugenik spielte vor allem Hans-Jürgen Muller4 eine große Rolle: Die Biolo-gisierung des Sozialen wurde nicht über-wunden, sondern sie hat sich nurmodernisiert. Bis heute werden die Rationa-lisierung bzw. Inventarisierung des Menschenund die Vernichtung ›lebensunwerten Lebens‹mobilisiert, wenn es mal wieder um ›Kosten-ersparnis‹ geht, man denke nur an die Debat-ten um Sterbehilfe und um Abtreibung (ver-meintlich) behinderter Ungeborener (vgl. vanLoenen 2015).

Zum wohl wichtigsten Ideengeber zeit-genössischer ›wissenschaftlicher Ideologie-produktion‹ gehört der sog. Transhumanis-mus. Eng mit diesem zusammenhängend,zum Teil überlappend, aber keineswegs iden-tisch, ist der Diskurs um Künstliche Intelli-genz, Digitalisierung, Robotik und Gentech-nologie. Im Transhumanismus verdichtetsich gewissermaßen das Umschlagen vonAufklärung in Mythos. Ein besonders großesMaß an sozialer Ignoranz drückt sich in derTechnokratie des Transhumanismus und sei-ner Agitatoren (wie Ray Kurzweil) aus. Trans-humanisten sind der Wahnvorstellung erle-gen, alle Probleme dieser Welt seientechnische Probleme und sie selbst seiendazu prädestiniert diese zu lösen, selbstver-ständlich durch technische Innovation undDisruption. Transhumanisten beschäftigen

nung, wenn man so will, oder einer besorg-niserregenden Vereinfachung der Vorstel-lung, die sich der Mensch von sich selbstmacht« (Alexandre; Besnier 2017, 80). Die-se ›besorgniserregende Vereinfachung‹ oderEntwertung menschlicher Existenz wird etwa

dann besonders deutlich, wenn Transhuma-nisten davon schwärmen, eines Tages könn-te man den menschlichen Geist, der ausnichts anderem als Bits und Bytes bestehe,auf einen Datenträger kopieren, d.h. ihn›hochzuladen‹ und ihn somit unsterblichmachen (mehr dazu s.u.).

Auf der anderen Seite werden (mutmaßlich)wissenschaftliche Begründungen dafürgesucht, was denn mit denen zu geschehenhabe, die aus dem kapitalistischen Prozessherausfallen, sich eventuell nicht diszipli-nieren lassen und zu ›Ballastexistenzen‹ wer-den. So wurden im Kontext des Sozialdar-winismus im späten 19. und frühen 20.Jahrhundert soziale Katastrophen nicht alsFolge des kapitalistischen Systems und sei-ner sozialen Verwerfungen erkannt, sondernals Folge der Vererbung und biologischer›Degeneration‹ behauptet. Folglich könnteeine Sozialreform schlussendlich nur durch›angewandte Biologie‹, also durch Zwangs-sterilisation oder ›Ausmerzung‹ der sog.›Degenerierten‹ bewerkstelligt werden. Sozia-le Probleme könnten also gelöst bzw. inZukunft verhindert werden, indem entspre-chende Menschen sterilisiert würden (vgl.Weingart; Kroll; Bayertz 1992, sowie Trus2002). Das eugenische Programm wurde inder Weimarer Republik auch explizit mit einerKostenreduktion des Gesundheitswesens

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Zukünften. Bostrom selbst spekuliert, wieeine künstliche »Superintelligenz« (vgl.Bostrom 2018b) zu Stande kommen, wie siesich selbst weiter entwickeln könnte und wieman dafür sorgen könne, dass sie derMenschheit wohl gesonnen wäre und sienicht vernichten würde. Bostrom breitet die-ses öde Geschwätz auf hunderten von Sei-ten aus...

Es geht also im folgendem darum, deutlichzu machen, dass sich in der Ideologie desTranshumanismus, vor allem im von ihm ver-tretenen technologischen Determinismus,ein Unterwerfungswahn unter die kapitali-stischen Verhältnisse ausdrückt und sich mitseiner grundsätzlichen Leibfeindlichkeit eingewisser Vernichtungswunsch verbindet. Auf-fällig sind auch die absurden Zukunftsvisio-nen, die Vererwigungsphantasien des bür-gerlichen Subjekts ausdrücken und damit dieKrise des Subjekts und des Kapitalismus ver-drängen. Der Transhumanismus trägt dabeireligiöse Züge, verbleibt aber aufgrund sei-ner Unterwerfungshaltung unter Herr-schaftsverhältnisse in reiner Immanenz undist nicht im Geringsten in der Lage, dieGegenwart zu transzendieren, also etwas zudenken, das Herrschaft und Unfreiheit negie-ren würde.

3. Transhumanistischer Optimie -rungs wahn: Eugenik, Enhancementund die Verewigungs phantasien desbürgerlichen Subjekts

Eugenik ist gewissermaßen die Optimierungdes Menschen noch bevor er geboren wird.Entweder sie trägt als ›negative Eugenik‹ dazubei, jemandes Existenz überhaupt zu ver-hindern, weil jemand mit irgendeinem Makelbehaftet sei (und dieser ›Makel‹ ist entwe-der eine Behinderung oder eine beliebigeunerwünschte Eigenschaft, die mutmaßlichgenetisch vererbt wird) und daher als nichtsanderes angesehen wird als eine ›Ballastexi-stenz‹. Zählt derjenige doch zu den Gebo-renen, dann verhindert man, dass er ›Sei-nesgleichen‹ in die Welt setzt (z.B. durchZwangssterilisation). Negative Eugenik setztsich also zum Ziel, Menschen mit bestimm-ten Eigenschaften ›auszumerzen‹ oder fort-pflanzungsunfähig zu machen. ›PositiveEugenik‹ wäre auf der anderen Seite die›Zucht‹ von Menschen mit bestimmtenEigenschaften, wobei, sofern dies durch Gen-manipulation bewerkstelligt werden soll, wie-der einmal unterstellt wird, dass diese Eigen-schaften vererbbar seien (und durchGentechnik steuer- und kontrollierbar).

Während die Inventur des ›Menschenmate-rials‹ in früheren Zeiten beinhaltete, staatli-chen Zwang auf jene auszuüben (z.B.Zwangssterilisation), die als ›degeneriert‹oder ›entartet‹ angesehen wurden, ist dieserZwang heute eher individualisiert und wirdausgegeben als Ausdruck ›individueller Frei-heit‹ (z.B. pränatale Diagnostik). ObgleichZwangssterilisationen heutzutage nicht mehrpraktiziert6 und im Allgemeinen auch abge-lehnt werden, wird jedoch positive Eugenik,also die Zucht von Menschen mit bestimm-ten erwünschten Eigenschaften, immer wie-der explizit befürwortet: So natürlich auchvon diversen Transhumanisten. Laurent Alex-andre etwa schwärmt überaus unverblümtfür Reproduktionstechnologien: So werdesich die »Technomutterschaft«(!) durchset-zen, zu der selbstverständlich eine »Auswahlder Embryos und die Beseitigung nicht-kon-former(!) Föten« gehöre (Alexandre; Besnier2017, 27). Nick Bostrom schreibt, dass esEltern erlaubt sein sollte, ihre werdenden Kin-der genetisch optimieren zu dürfen (vgl.Bostrom 2018a, 91). Aber, so Bostrom wei-ter, täten sie es nicht, wenn entsprechendeTechnologien zur Verfügung ständen, wäredies unverantwortlich; denn: »[Man] müsste[…] dieses Risiko [das Risiko, durch Genma-nipulation fremdbestimmt zu sein, TM] dochgegen die großen Risiken abwägen, die einunverändertes Genom mit sich bringt. BeiVorliegen sicherer und wirksamer Alternati-ven wäre es unverantwortlich, jemanden mitverringerten grundlegenden Fähigkeiten odereiner erhöhten Anfälligkeit für Krankheitenin die Welt zu setzen« (ebd., 103). DieserGedanke kommt in den Diskursen um Behin-derte zur Geltung. Demnach ist jede Abtrei-bung natürlich freiwillig, aber am Ende giltes doch als unverantwortlich von der Schwan-geren, ein behindertes Kind zur Welt zu brin-gen7 Kein Wunder also, dass einige Trans-humanisten, die vorgeblich die Eugenik derNazis verurteilen und auf ›Freiwilligkeit‹ und›individuelle Freiheit‹ setzten, es sich dochnicht verkneifen können, eine Verpflichtung(wenn auch zunächst [?] ›nur‹ eine ethische)zu fordern, Embryonen genetisch zu verän-dern (vgl. Savulescu; Ranisch 2009).

Ökonomisch gesehen ist es aber tatsächlich›unverantwortlich‹, Menschen in die Welt zusetzen, die in Zeiten leerer Kassen ›nur kostenund nichts einbringen‹. Die Betroffenen wür-den mit einer solchen ›verfehlten Lebens-planung‹ in der Tat ihre Konkurrenzfähigkeitherabsetzen. Genau an dieser Stelle müssteeine Kritik dieser sog. ›Entscheidungsfrei-heit‹ ansetzen. Jedoch wird in der Regel dieZumutung des ökonomischen Terrors, dass

sich so gerne mit technischen Möglichkei-ten oder Phantasien mutmaßlicher Mög-lichkeiten, dass ihnen gar nicht wirklich dieGegenwart in den Blick kommt. Nach demUrteil bestimmter Publizisten sind dieseVisionen nur eine weitere Form postmoder-nen Eskapismus, um der Gegenwart aus demWeg zu gehen (vgl. Becker 2015, 42; Jansen2018, 202f., ders. 2015, 286ff.). Ray Kurzweilund die Seinen hätten nicht nur nichts zurLösung irgendeines Problems beigetragen,sie hätten diese vielmehr selbst mitverur-sacht, nicht zuletzt wegen ihrer Verbindungzum ›Militärisch-Industriellen Komplex‹ (vgl.Jansen 2018, 168ff.).5 Daher ist der Anspruchder Transhumanisten absurd.

Besonders auffällig an den Transhumanistenist deren extrem krasser technologischerDeterminismus. Für Kurzweil beispielswei-se ist der technische Fortschritt nichts ande-res als eine Fortsetzung der biologischen Evo-lution (Kurzweil 1999, 35ff.). Dertechnologische Fortschritt wird aber nichtnur als unabwendbar hingenommen, son-dern auch explizit eingefordert, mit allen mög-lichen mörderischen Konsequenzen: So seies wünschenswert, wenn die Menschen voneiner KI beherrscht würden (weil nur soangeblich die Weltprobleme zu lösen wären).So würden sie selbst posthuman oder trans-human, d.h. selbst zur Maschine. Sie wür-den mit ihr verschmelzen, eine ›unsterbli-che‹ Existenz annehmen, und wenn sie sichnicht hochlüden, sondern als Wesen ausFleisch und Blut existierend verbleiben soll-ten, dann aber als genetisch optimierte undevtl. durch technische Implantate und/oderDrogen erweiterte bzw. verbesserte Exem-plare. Zum Teil ist es aber umstritten, ob dieWeltherrschaft einer künstlichen Intelligenzwirklich so vorteilhaft wäre. Es gibt in dertranshumanistischen Szene, wie bekanntlichauch im Faschismus, bei einigen Punkten inder Tat unterschiedliche Auffassungen. Unter-schiedliche Auffassungen machen einen abernoch nicht zu einem prinzipiellen Kritikerbzw. Gegner, wenn entscheidende ›Grundsät-ze‹ am Ende doch geteilt werden: NickBostrom, der von manchen ausgerechnet als›Kritiker‹ des Transhumanismus gesehenwird, nimmt zwar immerhin zur Kenntnis,dass bestimmte technische Entwicklungenunerfreuliche Konsequenzen hätten oder›missbraucht‹ werden, die Menschheit alsoexistentiell bedrohen könnten, aber dennochsetzt er einer fundamentalistischen Techno-logiegläubigkeit nichts wirklich entgegen.Gemeinsamkeit aller Transhumanisten istderen technologischer Determinismus unddie obsessive Beschäftigung mit fiktiven

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auch noch beweisend aufzeichnet und dieDaten an entsprechende Stellen verschickt;so läuft es auch bei Versicherungen, wennjemand das eigene Autofahrverhalten auf-zeichnet und damit ›beweist‹, ein ›brav‹ fah-render Bürger zu sein (vgl. etwa Selke 2016,140).

Das Life-Logging dient dazu, allerlei Art vonLebensvollzügen aufzuzeichnen und diesedann nach bestimmten quantitativen Maß-stäben zu beurteilen (oder dazu, dass Leuteihre ›scores‹ gegenseitig vergleichen und sichihr Leben gemeinsam zur Hölle machen).Dies hat ausgesprochen ›protestantisch-aske-tische‹ Züge und soll die eigene Lebens-führung rationalisieren. So kann, wenn z.B.aller Kalorienverbrauch aufgezeichnet wird,das Programm einem/einer dann mitteilen,wann das nächste kalorienreiche Eis wieder›erlaubt‹ ist (ebd., 146). Oder man denke an

entsprechende ›Sport-Apps‹ auf Smart-Pho-nes: Das eigene Joggen (Ort, Zeit, Geschwin-digkeit, Puls- und Atemfrequenz) kann auf-gezeichnet werden, so dass man beimnächsten Joggen gegen sich selbst(!) antritt.

Durch das Life-Logging soll der Mensch alsozu einer auslesbaren Black Box werden (sowie ein Flugschreiber): »Lifelogging ist damitdas Versprechen, aus den ruinösen Gewohn-heiten in ein besseres Leben ausbrechen zukönnen. In der Black Box soll sich mathe-matisches Kalkül mit zweckrationalem Den-ken zu erfolgreichen Verhaltensänderungenverbinden. Mit der Quantifizierung des eige-nen Lebens beginnt eine Expedition in dieletzten noch unerschlossenen Gebiete desIchs. Das Versprechen von Lifeloggingbesteht genau darin, unser Leben unter derRegie der Black Box zu einem permanentenOptimierungsprojekt zu machen, bei demwir uns selbst beobachten, erkennen und ver-ändern, zum Zweck der Effizienzsteigerung.Diese moderne existenzielle Kalkulationbasiert auf der Vorstellung, dass der Körper

Leben sich ›rechnen‹ muss, nicht gesehenoder es wird nur ethisch unverbindlich dage-gen argumentiert, dass man den ›Wert‹menschlichen Lebens nicht beziffern könneusw. Solche ethischen Argumentationen tau-chen dann üblicherweise, wie etwa inBostroms Texten (vgl. Bostrom 2018a), alsvorgebrachte Einwände gegen die transhu-manistische bzw. ›genetokratische‹ Ideolo-gie auf.

Grundsätzlich ist es also nötig, wenn mansich die Ideologie der Transhumanisten undihre technokratischen bzw. eugenischen Träu-me anschaut, dass man diese in Beziehungsetzt zu den realen Disziplinierungen undkapitalistischen Zumutungen in der Gegen-wart. Es ist wenig ergiebig, den transhuma-nistischen Visionen allein damit zu begeg-nen, dass man sagt, diese Visionen seien garnicht umsetzbar, empirisch nicht haltbar oder

einfach nur Unsinn. Daraus würde nämlichnicht klar, warum so etwas überhaupt pro-pagiert wird, und auf durchaus fruchtbarenBoden fällt und welches Bedürfnis im Sub-jekt damit bedient wird.

Der Bezug zum realen Subjekt und seinenihm auferlegten Zumutungen wird besondersklar im Falle des Enhancement bzw. der Opti-mierung. Wenn man vom Sich-Aufputschenmit Psychopharmaka usw. absieht, bestehtder Selbstoptimierungswahn vor allem in demMassenphänomen des sog. Life-Loggingsbzw. Self-Trackings: Bedingt durch digitaleTechnologien, wie in Smart-Phones einge-baute Sensoren, können allerhand Daten vonso gut wie allem aufgezeichnet werden. Life-Logging bzw. Self-Tracking meint also, daseigene Leben digital aufzuzeichnen. Dabeiwird dieses exzessive Datensammeln durch-aus freiwillig vollzogen. Zum Teil hat es recht›profane‹ Gründe: So zahlen Krankenversi-cherungen Prämien oder günstigere Tarife,wenn man sich nicht nur vermeintlich ›genugbewegt‹ oder ›gesund ernährt‹, sondern dies

störungsfrei zu funktionieren hat und dieeigene Existenz sich nutzenmaximierend ent-werfen lässt. Es geht […] um die technischeRationalisierung und Kontrolle unseresLeben. Die Black Box ist eine ideale Projek-tionsfläche für den Wunsch nach Ordnung,Struktur, Sicherheit und Selbstverbesserungeines als strukturell fehlerhaft begriffenenMenschen« (ebd., 133).

Damit wird der Körper eine »Baustelle unddie an ihn gebundene Gesundheit zur Ersatz-religion« (ebd., 136), deren Hauptgebot sichin dem Imperativ: ›Hauptsache gesund!‹ aus-drücken lässt. Das mit dem Life-Logging ein-hergehende »Gesundheitsmonitoring« führtalso dazu, dass jeder Einzelne »zum Mana-ger seiner Gesundheit« wird. Schließlich kann»[i]n einer Gesellschaft, der die Erwerbsar-beit ausgeht, […] Gesundheitsmonitoring alsErsatzarbeit betrachtet werden« (ebd.).

Bostrom ist grundsätzlich der Meinung, dassEnhancement – verstanden als Verbesserungund Neuschöpfung menschlicher Fähigkei-ten – wünschenswert und mit menschlicher›Würde‹ durchaus vereinbar sei. Nimmt die-ses Enhancement ein solches Ausmaß an,dass z.B. die durchschnittliche Intelligenzder Menschen weit übertroffen wird, dannredet Bostrom von posthumanen Fähigkei-ten. Was also soll Bostrom zufolge ›enhan-ced‹ werden und wie? Im Grund genommenkognitive Fähigkeiten, Lebensdauer und Emo-tionen. Kognitive Fähigkeiten natürlich, umschneller und mehr zu lernen, die Lebens-dauer, damit man auch noch im Alter von200 Jahren die Menschheit mit neuen Sin-fonien beglücken kann. Bemerkenswert istvor allem der dritte Punkt. Bostrom stellt sich»posthumane[ ] Wesen« vor, die »weit größe-re geistige Fähigkeiten als jeder heute leben-de Mensch besitzen, ihre Gefühle vollkom-men unter Kontrolle haben und vielleichtsogar über ganz neue Empfindungen undSinnesmodalitäten verfügen werden«(Bostrom 2018a, 92, Hervorh. TM). Gefüh-

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Posthumanisten ebenfalls keine Grenzen ken-nen, so schreibt Bostrom: »Machen wir einenGedankensprung in eine posthumaneZukunft, deren Technologie bis zu den Gren-zen des Möglichen reicht. Die superintelli-genten Bewohner dieser Welt sind autopo-tent, das heißt, sie haben die kompletteKontrolle über und ein vollständiges Ver-ständnis von sich selbst, sind also in derLage, jeden beliebigen inneren und äußerenZustand einzunehmen. Ein autopotentesWesen könnte sich beispielsweise problem-los in eine Frau, einen Mann oder einenBaum verwandeln, und jeder subjektiveZustand wäre ihm zugänglich, sei es nunLust, Empörung oder die visuellen und tak-tilen Erfahrungen eines sich im Wasser tum-melnden Delphins. Wir wollen ebenfallsdavon ausgehen, dass diese posthumanenWesen ihre Umwelt umfassend unter Kon-trolle haben, so dass sie nicht nur exakte

molekulare Kopien von Objekten herstellenkönnen, sondern auch jede Art von physi-scher Konstruktion, für die sie einen genau-en Entwurf entwickelt haben. Es wäre ihnenmöglich, einen Wald von Mammutbäumenverschwinden zu lassen und dann woanderseine exakte Kopie davon zu errichten, bloßdass er nun vielleicht von Dinosauriern oderDrachen bewohnt wäre. Sie hätten ebensoviel Kontrolle über die physikalische Realität,wie Programmierer und Designer heute überdie virtuelle Realität ausüben, könnten sichjedoch noch weit detailliertere (etwa biolo-gisch realistische) Strukturen ausdenken unddiese verwirklichen. Wir könnten sagen, dassdie autopotenten Superintelligenzen in einer›Plastikwelt‹ leben, weil sie ihre Umwelt ganzleicht umgestalten können, wie es ihnenbeliebt« (Bostrom 2018a, 139, Hervorh. i. O.)

Bostrom ist natürlich kein ›Einzelfall‹. HansMoravec, der als einer der führenden Robo-ter-Experten gilt und das ›Uploaden‹ des

menschlichen Geistes auf einen künstlichenDatenträger propagiert, malt sich auch soeinige Phantasien aus, zu was sich künstli-che und/bzw. trans-/posthumane Intelli-genzen entwickeln könnten. Diese Intelli-genzen nennt Moravec »Exes«. Diese Exessind zunächst materiell gedacht, sollen sichaber auch ihrer Körperlichkeit entledigen kön-nen, selbstverständlich damit die Exesdadurch ihre »Konkurrenzfähigkeit verbes-sern«. Wie Becker schon anmerkte, folgendiese Phantasien offensichtlich »stets derkapitalistischen Logik von Wachstum, Stei-gerung und Beschleunigung« (Becker 2015,18, Hervorh. i.O.) Moravec schreibt also inseinem Buch Computer übernehmen dieMacht: »Die Exes werden unendlich viel mehrgeistige Arbeit für ihre Handlungen aufwen-den, als wir intellektuell beschränkten Ein-geborenen(!) der Erde aufbieten können.Doch […] wird die Expansion der Exes in den

Kosmos eine höchstmaterielle Angelegen-heit sein, eine Wellen-front, die unbelebteMaterie in Maschinenverwandelt und damitdie Voraussetzung zuweiterer Expansionschafft. […] Um kon-kurrenzfähig(!) zu blei-ben, werden die Exesan Ort und Stellewachsen müssen,indem sie innerhalbihrer festgelegtenGrenzen den Stoff, aus

dem sie gemacht sind, immer wieder verfei-nern und umstrukturieren. […] Bei derUmstrukturierung von Raumzeit und Ener-gie in Formen, die sich ideal zum Rechneneignen, werden die Exes mit Hilfe raffinier-ter mathematischer Methoden die Rech-nungen selbst optimieren und verdichten.Jeder größere Fortschritt ihrer geistigen Kräf-te wird ihre Konkurrenzfähigkeit(!) verbes-sern und das Tempo erhöhen, mit dem sieweitere Innovationen entwickeln. Die bewohn-ten Gebiete des Universums werden sichrasch in Cyberspaces verwandeln, wo sichkeine offene materielle Aktivität mehr erken-nen läßt, während die innere Rechenwelt vonunvorstellbarem Reichtum ist. Die Wesenwerden nicht durch ihre materiell-geogra-phischen Grenzen bestimmt sein, sondernIdentitäten herstellen, ausbauen und vertei-digen(!), die sich als Informationsmuster imCyberspace manifestieren. Die alten Körperindividueller Exes, umgestaltet zu Matrizendes Cyberspace, werden sich zusam-menschließen, und der Geist der Exes wird

le abzuwerten, grundsätzlich als störend zubetrachten und sie kontrollieren zu wollen,ist deutlicher Ausdruck androzentrischenNaturbeherrschungswahns am Menschen.Umsetzbar soll dies alles angeblich durchGentechnik, Neuroimplantate und Drogen,d.h. neurochemische Manipulationen desGehirns sein. Konkreter wird es bei Bostromnicht, da solche Technologien nicht existie-ren. Eine Ausnahme bis zu einem gewissenGrad sind alle Arten von Pillen, Drogen, Opia-ten usw., die längst Massenkonsum sind, umden Terror der Ökonomie auszuhalten,Depressionen und ›störende‹ Gefühlslagenabzustellen, wie nicht zuletzt die Opiat-Epi-demie in den USA zeigt.8

Wenn also Leute wie Nick Bostrom für»Enhancement« agitieren und sich immerwieder in den technokratischen Träumeneiner transhumanistischen Zukunft verlie-ren, affirmieren und befeuernsie den Optimierungswahn derGegenwart. Bostrom erwähntauch, dass sicherlich nichtwenige Menschen so eine ›Ver-besserung‹ ihrer Fähigkeitenfür begrüßenswert hielten, erfragt aber nicht warum dies soist. Der Grund nach solchen›Verbesserungen‹ zu strebenoder sich solche zu wünschen,liegt einfach in den immerweniger einlösbaren Anforde-rungen als verwertungsfähigesSubjekt bestehen zu können.Diese unhinterfragten Anfor-derungen an das Subjekt übersteigen immermehr die Fähigkeiten und Möglichkeitenmenschlicher Wesen überhaupt, so dass derMensch schlechthin als Mangel, als Aus-laufmodell erscheint. Die Konkurrenzfähig-keit der Menschen stößt also immer mehran ihre Grenzen (also jener Menschen, dienoch nicht zu den dauerhaft Überflüssigengehören, denen noch das ›Glück‹ beschie-den ist, sich verwerten zu ›dürfen‹), so dassjene folgerichtig meinen, dann in der Kon-kurrenz als Arbeitskraftbehälter sich dochnoch bewähren zu können, wenn jene z.B.die geistige Fähigkeit erwürben, in einem Jahr30 Sprachen fließend zu erlernen. Selbstwenn dies möglich wäre, ist es eine Illusionzu glauben, das Subjekt könne damit zurRuhe kommen. Der Wunsch, selbst zu einerMaschine zu werden oder gleich körperlosund unsterblich, ist also folgerichtig eineExtrapolation nicht einlösbarer und damitgrenzenloser Anforderungen an das Subjekt.Das mag ein Grund dafür sein, warum dieOptimierungsphantasien der Trans- bzw.

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als reine Software[ ] in ihnen umherschwei-fen. Mit wachsendem Leistungsvermögenwürde die Überlegenheit des Cyberspacegegenüber physischen Verwandlungspro-zessen […] erkennbar werden. Die Wellen-front der Exes mit ihren groben physischenVerwandlungsprozessen wird von einerrascheren Welle unmerklicher Cyberspace-Transformationen verdrängt, bis schließlichdas Ganze zu einer Geistblase wird, die fastmit Lichtgeschwindigkeit(!) expandiert«(Moravec 1999, 255ff.).

Hier sind androzentrische Allmachtsphan-tasien offensichtlich. Eine totale Herrschaftüber die Natur und sich selbst wird in die-sen Visionen dargestellt, ohne dass solcheAusführungen als dystopische Warnungenerscheinen – im Gegenteil. Dieser Herr-schaftsanspruch geht so weit, dass die Ablö-sung von einer materiellen Existenz über-haupt gedacht wird. Die Verachtung desLeiblichen wird hier überaus deutlich, da die-se zugunsten einer weiteren Konkurrenz-fähigkeit abgelegt werden soll. In diesenPhantasien wird die materielle Ebene weg-gewünscht, d.h. verdrängt, denn auch der›Cyberspace‹ ist auf ein materielles Substratangewiesen. Wenn aber eine unbegrenzteExpansion und Optimierung gedacht wird,kann die materielle Wirklichkeit nur ein Stör-faktor sein. In einem gewissen Sinn wird hiereine »Erlösung durch Technik« angestrebt,wie Becker anmerkte (vgl. Becker 2015, 18).Eine Krise des Kapitals und des Subjekts wirdhierbei insofern verdrängt, als die kapitali-stische Verwertung ins Unendliche gedachtwird, die Verwertung des Werts auch ohnemateriellen Inhalt vonstatten gehen und, die,wie es bei Moravec steht, als ›Geistblase‹mit fast Lichtgeschwindigkeit ins ganze Uni-versum expandieren soll. Es wird also deut-lich, dass in den Phantasien der Transhu-manisten der Kapitalismus und dasbürgerliche naturbeherrschende Subjekt indie Ewigkeit projiziert werden und damit inEwigkeit fortbestehen sollen. Das bürgerli-che Subjekt verdrängt die Krise und die End-lichkeit der Welt, welche durch den Natur-beherrschungswahn definitiv zerstört werdenkönnte. In den Zeiten, in denen das Subjektzerfällt und seine gesellschaftliche Grundla-ge wegbricht, möchte es sich doch verewi-gen, wie die Ausführungen der transhuma-nistischen Demagogen mit Deutlichkeitzeigen. Es überrascht daher auch nicht, dassin den transhumanistischen Phantasien, indenen einfach alles möglich zu sein scheint,eines definitiv nicht möglich ist: eine Weltjenseits des Kapitalismus. Auch Bostrom»überrascht [durch] seine mangelnde Vor-

stellungskraft, wenn es darum geht, sich einefundamental andere Gesellschaftsform vor-zustellen« (Wagner 2016, 55). Somit sind diePhantasien der Transhumanisten nicht ande-res als eine gähnende Leere, da sie in derImmanenz verbleiben und kein einziges Malden Gedanken einer Welt formulieren, in derniemand mehr seine Konkurrenzfähigkeitverbessern müsste.

4. Transhumanismus als Todeskultder totalen ImmanenzDer Transhumanismus stellt sich selbst auchals Religion dar, so schreibt Laurent Alex-andre: »Der Transhumanismus ist die letz-te Stufe in der Evolution des religiösen Den-kens, das drei Stufen aufweist. Zuerst gabes die Polytheismen, die logische Folge desSchamanismus, die bei den Römern undGriechen ihren Höhepunkt fanden. Danachdie monotheistischen Buchreligionen. Heu-te taucht ein drittes Zeitalter auf, das desGottmenschen(!). […] Gott existiert nochnicht: Er wird der Mensch der Zukunft(!) sein,dank der NBIC mit gleichsam unendlicherMacht ausgestattet. Der Mensch wird dasverwirklichen, was zu können man bisherallein den Göttern unterstellte: Leben erschaf-fen, unser Genom verändern, unser Gehirnumprogrammieren(!) und den Tod sterbenlassen« (Alexandre; Besnier 2017, 117). Auchdiese Worte sollte man ernst nehmen undnicht als das unverbindliche Geschwafel einesGeisteskranken abtun (selbst wenn die Dia-gnose ›Soziopath‹ oder ähnliches zutreffensollte). So hat vor wenigen Jahren der Robo-tikexperte Anthony Levandowski eine Kirchegegründet, in der eine künstliche Intelligenzallen Ernstes als Gottheit verehrt werdensoll!9 Diese Leute meinen es also wirklichernst! Noch absurder ist das Konstrukt einessog. ›christlichen Transhumanismus‹, derdurch den Theologen Christopher J. Benek10

vertreten wird, der »möchte, dass intelligenteMaschinen die Taufe empfangen können,wenn sie den Wunsch dazu äußern« (ebd.,22). Bei einem so hohen Ausmaß an Absur-dität wünscht man sich beinahe, dass derTranshumanismus durch eine päpstliche Bul-le als ketzerische Irrlehre verurteilt wird!

Der Transhumanismus, als Religion ver-standen, knüpft, wie Alexandre nahelegt, anErlösungsvorstellungen tradierter Religionenan. Während aber Religionen von Erlösungred(et)en, so ist festzuhalten, dass in eini-gen religiösen Traditionen die Erlösungs-vorstellung mit einem transzendentenMoment verbunden war (trotz berechtigterReligionskritik bzw. Ideologiekritik sind Reli-

gionen also nicht unbedingt schlechthin reak-tionär, wie so mancher ›Wald-und-Wiesen-Atheismus‹ unterstellt). Das transzendenteMoment kann als ein Nichteinverstanden-sein mit der Welt und ihren Strukturen derHerrschaft gedeutet werden. Das ›Reich Gott-es‹ als transzendierender Horizont ist alsonicht als Fortsetzung oder Totalisierungmenschlicher Herrschaft zu verstehen, son-dern als deren Negation (vgl. Böttcher 2019).In den transhumanistischen Phantasien wirdaber kein transzendierendes Momentgedacht, etwa als Sehnsucht, Herrschaft zunegieren und von ihr befreit zu werden. Statt-dessen strebt der Mensch seine eigene Nega-tion an, um sich einer von ihm geschaffenenFetisch-Konstitution angleichen und in ihrbewähren zu können, letztlich um sich derHerrschaft vollends zu unterwerfen, damitnichts ›Nicht-Identisches‹ übrig bleibe, damitalle Spannungen und alle Widersprüche zwi-schen Individuum und Subjekt ausgelöschtseien. Das schließt die Möglichkeit der Ver-nichtung des Menschen überhaupt mit ein.So schreibt Jansen: »Die religiöse Avantgar-de des Westens kennt keine nennenswerteExistenzberechtigung für den Homo Sapi-ens mehr, sodass zeitgenössische Strategi-en der Erlösung auf eine radikale Transfor-mation respektive auf eineSelbstabschaffung/Selbstzerstörung der Gat-tung durch Technologien hinauslaufen, alsversuche die Menschheit, mehr oder weni-ger bewusst, sich selbst eine Apokalypse bei-zubringen, um sich selbst von sich selbst zuerlösen« (Jansen 2018, 203, Hervorh. i. O.).

Das Repressive an der transhumanistischenIdeologie läuft darauf hinaus, dass derMensch sich vollständig der Verwertungs-dynamik des Kapitalismus zu unterwerfenhat. Das schließt die Möglichkeit seiner eige-nen Vernichtung mit ein. Entweder derMensch wird schlussendlich durch dieMaschine bzw. die Künstliche Intelligenz ver-drängt oder er wird selbst zur Maschine. Dader eigene Leib gebrechlich ist und sich imOptimierungswahn als Störfaktor erweist, istdie Phantasie naheliegend, sich aller Leib-lichkeit entledigen zu wollen. In dem Kon-text wären also auch die Unsterblichkeits-bzw. Verewigungsphantasien der Transhu-manisten zu sehen: In der transhumanisti-schen Ideologie wird der Standpunkt vertre-ten, dass der Mensch seine Unsterblichkeitdadurch erlangen solle, dass dieser selbstzu einer Maschine werden müsste. Begrün-det wird dies damit, dass der menschlicheGeist schlussendlich auf ein Computerpro-gramm reduzierbar sei. Träfe dies zu, so wür-de der Geist immer wieder in neue künstli-

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tert allerdings fortwährend an der Realität«(Schnetker 2019, 55, Hervorh. TM).

5. Schluss

Egal was die Situation ist, den Transhuma-nisten geht es dabei immer um Optimierungund um grenzenlose Expansion. In den ski-zzierten Szenarien werden die Verewi-gungsphantasien des bürgerlichen Subjektsund das Verleugnen der Krise besonders deut-lich. Die transhumanistische Ideologie kannalso gewissermaßen als Wahn gewordeneSelbstzweckbewegung des Kapitals angese-hen werden. So wie diese nicht in den Blickder Kritik kommt, so ist auch keiner der Trans-humanisten in der Lage, den vertretendenDeterminismus der technologischen Ent-wicklung ansatzweise in Frage zu stellen. Viel-mehr wird eingefordert, dass der Mensch

sich der technischen Entwicklung ganz undgar anzupassen habe, und hierzu habe derMensch sich auch biologisch zu ändern, wasdarauf hinausläuft, dass seine Existenz alssolche in Frage gestellt wird. Letztlich sollalso der Mensch selbst, nicht nur seineArbeitskraft, von der Technik ersetzt werden.Der Mensch ist damit nicht mal mehr »nack-tes Leben« (Agamben), sondern zu entsor-gende ›wet-ware‹.

Der Transhumanismus ist der sichtbare Aus-druck einer Gesellschaft, der jede Fähigkeitzur Selbstreflexion und Kritik verloren geht,weil sie sich den Artefakten, die sie selbsthervorgebracht hat, opferbereit unterwirftund den Kapitalismus als unhintergehbareNaturtatsache ansieht. In ihren Obsessio-nen einer zukünftigen Herrschaft der künst-

che Körper kopiert werden können (oderandere künstliche Datenträger) und dadurchwürde der Mensch nicht mehr auf ›Protein-basis‹ existieren, sondern auf ›Siliziumbasis‹und wäre beliebig kopierbar – sprich unsterb-lich. Ein Mensch, der also seine Leiblichkeitabstreifte, d.h. seine »wet-ware«(!), wie esim menschenverachtenden transhumanisti-schen Jargon heißt, durch hard-ware aus-tauschte und das, was den Menschen angeb-lich ausmacht, d.h. seinen›Informationsgehalt‹ auf letztere kopierenwürde, erlangte somit Unsterblichkeit undbliebe verschont von den Gebrechlichkeitenrealer Leiber.11

Dass die Transhumanisten so etwas derartungeniert vertreten, hat auch damit zu tun,dass in den Milieus, in denen sich diese Leu-te bewegen, der Wunsch lebendig ist, eineMaschine zu werden, mit derMaschine verschmelzen zu wol-len. Er kommt auf, da der Opti-mierungszwang des Kapitalis-mus, das permanenteFunktionieren-Müssen, dasDenken in Form einer »regel-geleitete[n] Rationalität«(Schnetker 2019, 69) in diesenMilieus selbstverständlich ist.Der Hass auf das Leibliche alsAusdruck einer Selbstzurichtungnimmt deswegen so ein krassesAusmaß an, weil entsprechen-de Leute sich als etwas anderesals eine Maschine gar nichtmehr vorstellen können. Ihrenicht-maschinenartigen ›Antei-le‹ müssen daher umso mehrverdrängt und umso heftigerabgewehrt werden. Es gilt in die-ser Szene als »Affront, selbstein durch kognitive Verzerrungen geplagter,mit Körperlichkeit geschlagener, haarloserAffe zu sein und kein mathematisch ratio-nales Geistwesen« (ebd.). Die Anhänger/-innen des Transhumanismus vertreten alsoeine Ideologie, aus der folgt, dass die eige-ne »körperliche Situiertheit als Schwäche undMakel [zu] begreifen [ist,] und tendenzielldanach [zu] streben, als körperloses Abstrak-tum zu existieren. Sie messen die Realitätund das eigene Leben an einem Maßstab,nach dem dieses immer nur als mängelbe-haftet gesehen werden kann. Und da die kör-perliche Existenz realer Menschen vor allemals Mangel betrachtet wird, kann diese […]als herauszukürzender Rest behandelt wer-den. Der Anspruch ist also, selbst Maschinezu sein, um vollständige Kontrolle über sichselbst zu erlangen. […] Dieser Anspruch schei-

lichen Intelligenz bzw. der Maschinen ent-geht den Transhumanisten, dass ihr tech-nologischer Determinismus, der ja von Kurz-weil zur Fortsetzung der biologischenEvolution stilisiert wird, selbst Ausdruck einerfetischistischen Gesellschaft ist, in der ›dieMaschinen‹ über ihre Schöpfer herrschen.Dass der von den Transhumanisten vertre-tene Determinismus der technischen Ent-wicklung bereits Ausdruck der Herrschaftvon Dingen über Menschen ist, die also kei-neswegs in einer fiktiven Zukunft liegt – die-ser Widerspruch fällt den Transhumanistengar nicht auf (vgl. auch Konicz 2018). Wasdie Transhumanisten einer fiktiven »Super-intelligenz« (Bostrom) andichten, vertretensie schlussendlich selbst: Die Unterwerfungdes Menschen unter die gesellschaftlichenVerhältnisse, mit ihren repressiven undimmer weniger durchhaltbaren Zumutun-

gen; eine Unterwerfung, die eineSelbstabschaffung mit einsch-ließt. Vor dem sie warnen (sofernsie das tun), dem streben sie alsoselbst zu: Das nimmt in der For-derung, der Mensch müsse einCyborg werden (also sich selbstabschaffen), damit er gegen diekünstliche Intelligenz in Zukunftbestehen kann (damit er nichtabgeschafft wird), überausabsurd-paradoxe Züge an.12 DasIrre am Transhumanismus äußertsich in einer Unterwerfungshal-tung und zugleich in Omnipo-tenzphantasien. Auf diese Weiseverlängern die Transhumanistenden Kapitalismus in seiner Imma-nenz vermeintlich in die Unend-lichkeit. Das Bedrohliche amTranshumanismus ist nicht, dassdie herbeiphantasierte Machtü-

bernahme einer künstlichen Intelligenz oderdie Zerstörung der Welt durch eine außerKontrolle geratene ›Nanotechnologie‹ wahrwird, sondern dass der Transhumanismusdie Ideologie dazu liefert, dass das Kapitalsich der Welt und des Menschen endgültigbemächtigt und damit sein Zerstörungswerkvollendet. Die transhumanistischen Phanta-sien sind also nicht wegen ihrer science-fic-tion-artigen Phantasmen zu belächeln, son-dern in ihrem Unterwerfungs- undVernichtungswahn ernst zu nehmen.

Zusammenfassend gesagt ist der Transhu-manismus – wie schon die Eugenik und Ras-senhygiene zuvor – ein menschenfeindlichesWahngebilde mit ›wissenschaftlichemAnstrich‹. Im Unterschied zu Eugenik undRassenhygiene geht es dem Transhumanis-

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mus nicht darum, einzelne Personen oderGruppen auszusortieren und ›auszumerzen‹,sondern die Menschheit als solche soll alseine zu überwindende ›Ballastexistenz‹ ange-sehen werden. Der Transhumanist ist damiteine Art ›finsterer Höllenpriester‹, der alleMenschen auf dem Altar des Molochs abzu-schlachten gedenkt, zur Ehre seines sog.Gottes, d.h. zur Ehre der Selbstzweckbewe-gung des Kapitals.

Eine erweitere Fassung des Artikel erscheintauf der Homepage von Exit! (www.exit-onli-ne.org)

Anmerkungen1Auf den Informationsbegriff selbst kann ich andieser Stelle nicht weiter eingehen, vgl. dazu Janich2006.

2Siehe dazu z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Epi-genetik.

3Organisiert vom Konzern Chemische IndustrieBasel (CIBa).

4Auf Muller kann ich hier nicht weiter eingehen,vgl. dazu Roth 1985; Weß 1989.

5Ray Kurzweil ist nicht nur Chef-Software-Ingenieurvon Google, sondern auch Berater des US-Militärs.Aber nicht nur in personeller Hinsicht gibt es Über-schneidungen: Big Data und KI kommen bekannt-lich in den sog. Drohnenkriegen zum Einsatz.

6Allerdings ist zu betonen, dass Zwangssterilisatio-nen nach dem Terror der Nazis nicht einfach einge-stellt wurden. Bei ›unerwünschten‹ Subjekten wur-den sie durchaus angewandt, wie der aufgedeckte»Fall Stoeckenius« in den 1980er Jahren zeigte, vgl.Sierck; Radtke 1989.

7Um nicht missverstanden zu werden: Natürlichspreche ich mich hier nicht gegen ein Recht aufAbtreibung aus, zumal dieses Recht vonReaktionären aller Art bekämpft wird, sofern diesesRecht überhaupt gegeben ist! Es ist aber daraufhinzuweisen, dass jene freien Entscheidungen zurAbtreibung in ihrem einzelnen Zusammenhang zureflektieren sind und aufgrund von ökonomischenZwängen gar nicht immer so frei sind, was abergern ausgeblendet wird.

8 Florian Rötzer: USA: Rekordzahl von Toten durchOpioid-Überdosierungen im Jahr 2017, Telepolisvom 16.08.2018.

9Siehe: https://www.wired.com/story/god-is-a-bot-and-anthony-levandowski-is-his-messenger/ .

10Vgl. https://www.christopherbenek.com/.

11Man muss sich mal auf der Zunge zergehen las-sen mit welchen Begriff der menschliche Leib hierdenunziert wird. Der menschliche Leib ist offenbarnichts weiter als ein Sack mit Flüssigkeit, eben›wet-ware‹ (rein stofflich ist dies ja nicht falsch,aber offensichtlich ist es ein vulgärmaterialistischerStandpunkt, den Menschen auf seine Atome zureduzieren). Reduktionistische Menschenbilder

reduzieren bekanntlich auch den Menschen.

12Elon Musks Unternehmen »Neuralink« beispiels-weise plant eine Gehirn-Computer-Schnittstelle zuentwickeln, eine neurale Schnur (»neural lace«),durch die das Gehirn ›optimiert‹ werden soll, sieheRolfe Winkler: Elon Musk Launches Neuralink toConnect Brains With Computers, Wall Street Jour-nal von 27.3.2017.

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θεολογία · Theologie · تایهلا · Teologia · היגולואת · Богослів'я · เทววิทยา

Christsein heißt befreiend dienen Predigt vom 29. Sonntag imJahreskreis zu Mk 10,35-45(Oktober 2018)

PAUL FREIALDENHOVENDa gingen zu ihm Jakobus und Johannes, dieSöhne des Zebedäus, und sprachen zu ihm:Meister, wir wollen, dass du für uns tust, waswir dich bitten werden. Er sprach zu ihnen: Waswollt ihr, dass ich für euch tue? Sie sprachen zuihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deinerRechten und einer zu deiner Linken in deinerHerrlichkeit. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihrwisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelchtrinken, den ich trinke, oder euch taufen lassenmit der Taufe, mit der ich getauft werde? Siesprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus abersprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trin-ken, den ich trinke, und getauft werden mit derTaufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aberzu meiner Rechten oder zu meiner Linken, daszu geben steht mir nicht zu, sondern das wirddenen zuteil, für die es bestimmt ist. Und alsdas die Zehn hörten, wurden sie unwillig überJakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sichund sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herr-scher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihreMächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist esunter euch nicht; sondern wer groß sein willunter euch, der soll euer Diener sein; und werunter euch der Erste sein will, der soll allerKnecht sein. Denn auch der Menschensohn istnicht gekommen, dass er sich dienen lasse,sondern dass er diene und sein Leben gebe alsLösegeld für viele.

Was hat Jesus gewollt? „Der Menschensohnist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen,sondern zu dienen und sein Leben hinzuge-ben als Lösegeld für viele“. Hier liegt dasGeheimnis seines Lebens. Er ließ sich nichtbedienen und wollte erst recht nicht verdienen,er diente. Er forderte nicht, er gab. Er demütig-te nicht, er richtete auf. Er wusch seinen Jün-gerInnen nicht den Kopf, sondern die Füße.

In seiner Nachfolge gibt es keine andere Auto-rität als die des Dienstes. Darin liegt etwasvom unterscheidend Christlichen: „Wer seinLeben retten will, wird es verlieren. Wer abersein Leben um meinetwillen verliert, der wirdes retten.“ Dort steht die Kirche in der Nach-folge ihres Herrn, wo sie sich nicht um sich

selbst und ihre eigenen Probleme dreht, son-dern wo sie sich übersteigt auf die anderenhin, wo sie sich derer annimmt, die ihr nichtden Hof machen, wo sie nicht nur ihre eige-nen Interessen vertritt, sondern vor allem dieInteressen derer, die durch niemanden ver-treten sind. Institutionen sind zumeist dar-auf aus, sich selbst zu erhalten und zubehaupten. Die Kirche auch? Dann würde siesich selbst, ihrem ‚Ursprung’ untreu. Denngerade an dieser Stelle müsste sichtbar wer-den, dass sie von anderer Art ist und ausanderen Quellen lebt.

Viele sind heute von der Frage beherrscht:was bringt mir das? Schließlich gerät auchder Glaube unter diesen Maßstab: was bringtmir der Gottesdienst? Er bringt nichts, dar-um kann er gestrichen werden. Was bringtmir die Kirche? Die bringt nicht viel, also:Austritt. Bei Jesus dreht sich nicht alles umdie eigene Achse: was bringt es? Er brachteden anderen zum Maßstab seines Handelns.Er war nicht auf seine Position bedacht, esging ihm um uns.

Diese Bemerkungen können keineswegserschöpfend darlegen, was Jesus gewollt hat.Sie möchten aber zeigen, woran die Erneue-rung der Kirche auszurichten ist. So sehr siesich in unserer Zeit und Welt zu bewährenhat – ihre Maßstäbe kann sie sich nicht vondort geben und vorschreiben lassen. Darinliegt die Bedeutung des letzten Konzils, dasses den Blick auf den grundlegenden Inhaltfreigegeben hat. Das Neue, um das es in derErneuerung geht, ist das Evangelium. DasEvangelium ist das Kriterium für die Kirche,nicht umgekehrt.

Heute reden wir von Service und Dienstlei-stungen, Kundenorientierung. Mobilität undFlexibilität zeichnen den erfolgreichen Mana-ger aus, der schnell erklären kann, wo seinPlatz in der Wertschöpfung der Firma ist.Dienen meint ‚Wertschöpfung’ in einem ganzanderen Sinn.

Die alleinerziehende Mutter einer behinder-ten Tochter, die sagt: „Wir sind überzeugt,dass auch behindertes Leben ein gutes Lebenist“. Sie hat den Sinn ihres Lebens entdecktin der Beziehung zu anderen, die auch inKrankheit und Verlusten trägt. Die Krise der

Kirche wird nicht durch ein verbessertesAngebot an Dienstleistungen, an Veranstal-tungen und großen Events überwunden wer-den, sondern indem wir uns auf den WegJesu machen, auf den Weg zum Menschen,die um Hilfe schreien.

Jesus kann man nicht an und für sich findenund verstehen, isoliert von denen, für die erin die Welt kam. Die Nagelprobe des/der Chri-stIn und der Kirche, sind die, die keinen Men-schen haben, die nichts bringen, von denennichts zu erwarten ist, an denen Dienst -leistungsbetriebe gar nicht interessiert sind,eben weil sie nichts bringen. Wir sind nichtChristInnen, damit der Service klappt. Wir sindChristInnen, damit wir dort sind, wo Jesus ist,damit wir die Spur seiner Worte und seinerPlatzanweisung folgen. Jesus nachfolgen heißt:loslassen, klein werden, dienen, teilen, verlie-ren. Das geht gegen den Trend, dem auchDienstleistungen der Gewinnmaximierungdienen, in dem Risiken kalkuliert, Ressourcenbis zum letzten ausgebeutet werden, damitdie (kapitalistische) ‚Maschine’ läuft undimmer mehr Möglichkeiten produziert für die,die mithalten können.

Es geht nicht um Effektivierung kirchlicher Pro-gramme, sondern darum, dass ChristInnenund die Kirche die tägliche Verzweiflung unddie Ängste der VerliererInnen und Fremdenwahrnehmen, dass sie auf den Boden der Rea-litäten kommen, dahin, wo Menschen zumHimmel schreien. Das ist der Ort, wo Jesusist. Das ist der Ort, wo der Gott Jesu sich zeigt;der sich den Versklavten Hebräern offenbarthat und der uns sein Wort schenkt: wo Ihr Wegeder Befreiung geht, da bin ich mit Euch.

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NETZTELEGRAMM Februar 2020

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Sünde · Umkehr · Neuanfang

Irritationen gegen Herrschaft und Anpas-sungszwang. Eine Predigtreihe zur Fasten-zeit und Ostern 2019

Zum letzten Fest im alten Kirchenjahr2018/19, dem Fest Chistkönig, erschien dieBroschüre des Ökumenischen Netzes mitPredigten und Texten zur österlichen Buß-zeit und Ostern.

So ‚zufällig’ und spät dieses Erscheinungs-datum war, der Bezug zum Inhalt des Fest-es ist gegeben. An Christkönig wird nichtimperiale Herrschaft abgefeiert. Im Blick stehtder unter römischer Herrschaft gekreuzigte,von Gott aber auferweckte Messias. Er ist‚Herr’ der Welt, weil sein Leben im Wider-spruch und Widerstand zu allen ‚Herrschaf-ten und Gewalten’ Befreiung verspricht.

Damit ist der Bezug zur Fastenzeit und zuOstern gegeben. Die österliche Bußzeit the-matisiert die Macht der Sünde in den Struk-turen von Unrecht und Gewalt, heute unter

Im Laufschritt zumHungerlohn oder: Von denRändern her denken!Eine gesellschaftliche und theologische Kri-tik der Arbeit im Kapitalismus

Publikation zu einer Tagung des AK proces-sus confessionis

Die Arbeit hat Menschen im Griff – egal obsie regulären, prekären oder informellenBeschäftigungsverhältnissen nachgehen oderauch für die Verwertung ihrer Arbeitskraftüberflüssig sind. Jede Arbeit ist besser alskeine und wer nicht arbeitet, soll auch nichtessen. Deshalb sollen sich alle – ob mit oderohne Anstellung – fit und bereit halten fürdie Nachfrage nach Arbeit.

Wie dieses ‚Arbeitsregime’ Menschen in derDurchsetzung des Kapitalismus eingebläutwurde und mit dem Kapital zur Struktur derkapitalistischen Gesellschaft wurde, diskutier-te eine Tagung des Arbeitskreises processusconfessionis der ökumenischen Gruppen imRheinland im Rahmen der Netzversammlung

des Ökumenischen Netzes Rhein-Mosel-Saarim Frühjahr 2019 in Koblenz. Die ReferentenGünther Salz und Herbert Böttcher reflektier-ten die unkritische Voraussetzung der Arbeitin Gesellschaft und Theologie.

Mit dieser Dokumentation will der Arbeits-kreis zusammen mit der Katholischen Arbeit-nehmerInnen-Bewegung im Bistum Trier zueiner kritischen Diskussion der Bedeutungvon Arbeit für die globalisierte kapitalistischeGesellschaftsform anregen. Theologisch kannes nicht darum gehen, Arbeit als zum ‚Wesendes Menschen’ gehörig zu deklarieren. ImZentrum der theologischen Reflexion müs-ste in der Logik der Unterscheidung zwischenGott und Götzen vielmehr der Herrschafts-und Fetischcharakter der Arbeit stehen. DerGötze Arbeit wäre nicht zu verklären, son-dern zu überwinden.

Die Broschüre, die als Dankeschön langjähri-gen MitstreiterInnen des Arbeitskreisesgewidmet ist, hat 48 Seiten und kann unterwww.oekumenisches-netz.de heruntergela-den werden. Die Druckausgabe ist leiderschon vergriffen.

Veröffentlichungen des Ökumenischen Netzesder Herrschaft des Kapitalismus, sowie dieEinbindung der Einzelnen in diese Struktu-ren der Sünde. Die  Predigten und Ausle-gungen stellen die Erinnerung an Jesu Leben,sein Leiden und Sterben in Bezug zur heuti-gen gesellschaftlichen Situation. Die österli-che Botschaft von seiner Auferweckung gibtihm und seinem Leben recht. So wird es zurHoffnung auf eine neue Welt, die mit derHerrschaft der Sünde und des Todes bricht.Der gekreuzigte Messias ist der Christ-König,in dem Gottes Alternative einer neuen Weltdeutlich wird. Sein Leben eröffnet Perspek-tiven der Befreiung, die mit den herrschen-den Verhältnissen brechen und zu Umkehrund Neuanfang herausfordern.

Auf diese Inhalte machen die Predigten vonHerbert Böttcher, Paul Freialdenhoven,Berthold Langenfeld, Clemens Nuese undMonika Tautz im Heinrichhaus in Neuwied-Engers sowie Kreuzwegtexte in Koblenz auf-merksam. Die Publikation von 48 Seiten kannunter www.oekumenisches-netz.de herun-tergeladen und/oder gegen Spende beimÖkumenischen Netz bestellt werden.

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IN DER REGION · VERANSTALTUNGEN IN DER REGION · VERANSTAL

Februar29.2., 10-16h, Koblenz, Superintendenturdes Kirchenkreises Koblenz

Netz-und MitgliederversammlungAuf der Netzversammlung am Morgen stel-len wir das neue Grundsatzpapier des Öku-menischen Netzes zur Abstimmung. DasPapier kann auch in gedruckter Form vomNetz-Büro angefordert werden.

Weitere Infos im Netz-Büro oder unterhttp://oekumenisches-netz.de/termine.

März4.3., Bonn

Rheinische Friedenskonferenz zum Thema Zivile Konfliktbearbeitung. Hausder Evangelischen Kirche, Adenauerallee 37.Infos unter www.ev-akademie-rheinland.de.

31.3., 19h, Sozialforum Koblenz

Antisemitismus und Kapitalismus Referent: Herbert Böttcher. Veranstalter: KHGKoblenz und Projektgruppe „Kapitalismusverstehen und überwinden“ (ÖkumenischesNetz, pax christi Trier, KAB Trier)

Weitere Infos im Netz-Büro oder unterhttp://oekumenisches-netz.de/termine.

April10.4., Koblenz

Kreuzweg der SolidaritätDer Kreuzweg betrachtet an vier Stationen(in St. Mauritius/Rübenach, St. Mater-nus/Bubenheim, St. Konrad und St. Johan-nes/beide Metternich) die Passion Jesu imBlick auf Leidensgeschichten, die heute dasLeben von Menschen weltweit zerstören. Erbeginnt am Karfreitag um 9:30 Uhr in St.Mauritius und endet gegen 13:30 Uhr miteinem kleinen Imbiss in St. Johannes.

Weitere Infos im Netz-Büro oder unterhttp://oekumenisches-netz.de/termine.

Mai26.5., 19h, Sozialforum Koblenz

Mobilisierung gegen rechtsextrem-antisemitische Veranstaltung

Weitere Infos im Netz-Büro oder unterhttp://oekumenisches-netz.de/termine.

Juni6.6., Büchel

Kirchlicher Aktionstag gegen Atom-waffen

September22.9., 19h, Sozialforum Koblenz

Große Transformation – (wie) kann derKapitalismus überwunden werden?

Referent: Tomasz Konicz, Sachbuchautorund Journalist

Veranstalter: Marx Lesekreis an der KHGKoblenz und PG „Kapitalismus verstehenund überwinden“ im Rahmen des Sozial-forums Koblenz

Weitere Infos im Netz-Büro oder unterhttp://oekumenisches-netz.de/termine.

Die Termine der verschiedenen Arbeitskreise,in denen das Netz aktiv ist, können jeder-zeit im Netzbüro angefragt werden: AKGesellschaftskritik, AK Theologische Ori-entierung, Exit, Marx-Lesekreis an der KHG,pax christi Gruppe Koblenz – allesamt inKoblenz – sowie AK Arbeitskritik in BadKreuznach, Kunst trifft Krise in Saarwel-lingen und Lehr- und Lernhaus in Saar-brücken.

Impressum:

Netz-Telegramm Februar 2020

Informationen des Ökumenischen Netzes

Rhein-Mosel-Saar

Redaktion: Dominic Kloos, Geschäftsstelle des

Ökumenischen Netzes,

Ökumenisches Netz Rhein-Mosel-Saar e.V.

c/o Pfarrgemeinde St. Franziskus,

Fröbelstr. 9, 56073 Koblenz

Tel.: 0261 89926284

e-mail: info(at)oekumenisches-netz.de

Bankverbindung: Sparkasse Koblenz,

IBAN: DE13 5705 0120 0040 0018 77

Die Arbeit des Ökumenischen Netzes wird geför-dert durch Mitgliedsbeiträge, Zuschüsse von Brotfür die Welt/Evangelischer Entwicklungsdienst,aus den Kirchen sowie aus Spenden.

Auflage: 750

Layout: Elke Wetzig, Köln

Druck: Knotenpunkt e.V., Buch

Kapitalismus verstehen undüberwinden

Versuch einer Vereinigung freier Men-schen für Frieden, Gerechtigkeit undBewahrung der Schöpfung

Eine Projektgruppe von KAB und pax chri-sti Trier sowie dem Ökumenischen NetzRhein-Mosel-Saar

Unser zunächst auf fünf Jahre angelegtesProjekt lädt alle die ein, die ihren Alltagunterbrechen wollen, um gemeinsamunsere kapitalistisch und patriarchalgeprägte Gesellschaft besser zu verstehenund darüber nachzudenken, wie sie über-wunden werden könnte. Aus unserer bib-lisch-theologischen Tradition heraus wol-len wir dabei Gott und Götzenunterscheiden. Wir hoffen, dass wirzusammen zu einem besseren Verständ-nis der sich immer mehr zuspitzendenkomplexen gesellschaftlichen Krisensi-tuationen gelangen, die sich in vielenErscheinungen wie Armut und sozialerSpaltung, Flucht, Rechtspopulismus,Umweltzerstörungen usw. ausdrücken.Darauf basierend möchten wir uns miteiner möglichen Überwindung dieser Ver-hältnisse beschäftigen und diskutieren ver-schiedene praktische wie theoretischeAlternativansätze durch.

2020 wird es Veranstaltungen in Koblenz,Saarbrücken und Trier geben, die in einean die Wurzel gehende Kapitalismuskritikeinführen. 2021 wird es eine Wochenend-veranstaltung für interessierte Einsteige-rInnen in die Thematik geben. Zudem wer-den Analysen von Alternativansätzen alsTexte in diesem Rahmen erscheinen.