textile s gestalten: ein unterrichtsfach mit potenzial · 2018. 3. 22. · prof. dr. zec die...

9
IKP – INTEGRALER METHODENPOOL – FACHDIDAKTISCHE METHODEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected] 1 Textiles Gestalten: Ein Unterrichtsfach mit Potenzial Textile Dinge nutzen, entwickeln und deuten Elisabeth Eichelberger Abb. 1) Yasmin Stucki: Die Blaumacherin Abb. ) Iris Tschumi: Verbände zu Mode verbunden Einleitung Dieser Text entstand nach einem Referat, das 2016 an der Jubiläumsfeier BÖKWE in Wien gehalten wurde. Die Bilder zeigen Ergebnisse aus der Lehre der Verfasserin des Textes und werden hier erstmals veröffentlicht. Es handelt sich dabei um Arbeiten einer Projektarbeit von Studierenden der Sekundarstufe I aus dem Jahre 2014, die Textiles Gestalten an der Pädagogischen Hochschule Bern studierten. Unter dem Thema „Ein ungewohntes Zusam- mentreffen: Mode aus Wegwerfmaterialien“ haben sich 15 Studierende mit Mode und Weg- werfmaterialien auseinandergesetzt. Entstanden sind individuelle Lösungen, die Modisches, das für Neues steht, mehrfach hinterfragt: Dem schnellen Wechsel der Mode wird Wieder- verwendung gegenüber gestellt. Die eingesetzten Materialien wurden im Hochschulgebäude gesammelt, so dass das Mitverursachen von Abfällen Teil der Auseinandersetzung war. Eine Sammelkiste für nicht mehr gebrauchte Jeans war im Haus aufgestellt, in der Cafeteria wur- den Kaffeekapseln und im Depot der Elektronikentsorgung wurden Kabel und anders abge- holt.

Upload: others

Post on 27-Jan-2021

1 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

  • IKP – INTEGRALER METHODENPOOL – FACHDIDAKTISCHE METHODEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected]

    1

    Textiles Gestalten: Ein Unterrichtsfach mit Potenzial

    Textile Dinge nutzen, entwickeln und deuten

    Elisabeth Eichelberger

    Abb. 1) Yasmin Stucki: Die Blaumacherin Abb. ) Iris Tschumi: Verbände zu Mode verbunden

    Einleitung

    Dieser Text entstand nach einem Referat, das 2016 an der Jubiläumsfeier BÖKWE in Wien gehalten wurde. Die Bilder zeigen Ergebnisse aus der Lehre der Verfasserin des Textes und werden hier erstmals veröffentlicht. Es handelt sich dabei um Arbeiten einer Projektarbeit von Studierenden der Sekundarstufe I aus dem Jahre 2014, die Textiles Gestalten an der Pädagogischen Hochschule Bern studierten. Unter dem Thema „Ein ungewohntes Zusam-mentreffen: Mode aus Wegwerfmaterialien“ haben sich 15 Studierende mit Mode und Weg-werfmaterialien auseinandergesetzt. Entstanden sind individuelle Lösungen, die Modisches, das für Neues steht, mehrfach hinterfragt: Dem schnellen Wechsel der Mode wird Wieder-verwendung gegenüber gestellt. Die eingesetzten Materialien wurden im Hochschulgebäude gesammelt, so dass das Mitverursachen von Abfällen Teil der Auseinandersetzung war. Eine Sammelkiste für nicht mehr gebrauchte Jeans war im Haus aufgestellt, in der Cafeteria wur-den Kaffeekapseln und im Depot der Elektronikentsorgung wurden Kabel und anders abge-holt.

    mailto:[email protected]

  • IKP – INTEGRALER METHODENPOOL – FACHDIDAKTISCHE METHODEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected]

    2

    In Zusammenarbeit mit der Klasse Fotodesign der Schule für Gestaltung Bern und Biel, sind im Hochschulgebäude Bilder entstanden, welche die Neugestaltungen am Körper zeigen und die Ausgangsmaterialien in neuer Form an den Sammelort zurückführen. Folgende Studie-rende der Fotografie waren involviert: Dirk Weiss, Michèle Buschi, Petro Rodrigues, May Saeueng, Nicolas Bazo, Jonathan Liechti.

    Wie das Fach Textiles Gestalten im Fächerkanon aufgenommen und sich entwickelt hat, wird im Buch „Textilunterricht. Lesarten eines Schulfachs. Theoriebildung in Fachdiskurs und Schulalltag.“ (Eichelberger und Rychner 2008) erklärt. Der Beobachtung, dass in der Unter-richtspraxis des Fachs Textiles Gestalten oft die einseitige Orientierung am Ergebnis in Form eines isolierten funktionalen Produkts (vgl. z.B. Becker 2011) vorherrschen, ist ein aktuelle-res Fachverständnis gegenüber zu stellen. Mit dem Anspruch Textiles Gestalten als Teil des schulischen Unterrichts zu etablieren, muss das Fach seinen Beitrag zur Allgemeinbildung leisten. Welche Orientierungen sind dabei sinnvoll? Kompetenzen, die gesellschaftliche Be-deutung haben, sind im Unterricht aufzubauen. Erkenntnis- und an den Lernenden orientier-tes Unterrichten sind wichtige Ausrichtungen. Die Rollen der Lernenden sind in einem aktuel-len Unterrichtsgeschehen vielseitig. Jugendliche sind Forschende (Wahrnehmende, Erkun-dende), Entwickelnde, Produzierende, Konsumierende, Rezipierende (Benutzende), Präsen-tierende (Kommunizierende), Reflektierende. Ebenso sind die Aufgaben der Lehrenden in einem so verstanden Unterricht mannigfaltig: Mal ist Instruktion, mal sind Begleitung und Coaching, mal Beratung und Auswertung oder Beurteilung gefragt. Wie die unterschiedlichen Bedingungen eines aktuellen Unterrichts zusammenwirken und wann sie eher gelingen, be-schreibe ich in der Publikation „Weiter im Fach“ (Eichelberger 2014). Darin werden auch wei-terführende Ideen zur künftigen Fachentwicklung und zu gesellschaftsrelevanten Aufträgen an die Lernenden am Beispiel des Themenfeldes „soziale und kulturelle Bedeutung von Be-kleidung“ vorgestellt.

    Abb. 3) Elisabeth Eichelberger: Mensch-Ding-Beziehung

    mailto:[email protected]

  • IKP – INTEGRALER METHODENPOOL – FACHDIDAKTISCHE METHODEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected]

    3

    Textilien sind Teil der von den Menschen hergestellten Dingwelten. Im Unterrichtsprozess sind textile Dinge mehrdimensional zu thematisieren. Die Mensch-Dingbeziehung ist kom-plex, und es müssen verschiedene Disziplinen herangezogen werden, damit die Komplexität verstanden und/oder erklärt werden kann. Textilien und Mode sind nicht zu trennen: Eine Kollegin von der Universität Dortmund spricht von einem „fait total“ (Mentges:73), das es braucht, wenn die Komplexität ernst genommen wird.

    Die Gestaltungsfächer haben eine Tradition in der Fertigung von Dingen. Dabei werden ma-terialkundliche und handwerkliche Fähigkeiten geübt. Diese Orientierung reichte aus, als es notwendig war, Gegenstände für den eigenen Gebrauch herstellen zu können. Heute geht es darum, eine allgemeingültige Sicht der Entwicklung und Produktion, aber auch der Nutzung und Entsorgung von Dingen anzuregen. In drei Unterkapiteln wird ein Blick auf das Schul-fach eingenommen: Die Nutzung im Alltag (Lebensweltbezüge), die Entwicklung auch der professionellen Herstellung sowie die Deutung von Objekten in verschiedenen Kontexten sollten künftig mehr ins Zentrum gerückt werden. In einem solchen Unterricht sind die in Ab-bildung 3 aufgeführten Orientierungen ebenso zu berücksichtigen wie die technologischen Aspekte.

    Abb. 4) Larissa Zawadinsky: Think different Abb. Abb. 5) Flavia Winkler: Black Gold

    Textile Dinge nutzen – Notwendigkeit und Bedeutung erkennen

    Textilien sind lebensnotwendig und omnipräsent. Sie kleiden ein, bedecken den Körper, for-men diesen und bestimmen über das Wohlbefinden. Ob in einem von weichen, flauschigen Textilien umgebenen Bett oder im Wasser geboren, ein Tuch wird nach der Geburt eine ers-te Begegnung mit der von Menschen erdachten, entwickelten und hergestellten Dingwelt sein. Von der Wiege bis zur Bahre begleiten uns textile Dinge. Das letzte Hemd begleitet uns über den Tod hinaus, selbst in Abschiedszeremonien spielen Textilien eine bestimmte Rolle wie in allen bedeutsamen Momenten des menschlichen Lebens. Auch klimatisch extreme Si-tuationen werden dank Textilien für den Menschen erträglich. Die Notwendigkeit und Bedeu-tung von textilen Dingen ist unbestritten.

    Mode ist Ausdruck der Zeit. Kleider werden als zweite Haut mit den Menschen in Beziehung gesetzt. Die Erscheinung, so wissen wir aus Untersuchungen, wirkt auf das Gegenüber mehr

    mailto:[email protected]

  • IKP – INTEGRALER METHODENPOOL – FACHDIDAKTISCHE METHODEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected]

    4

    als das Gesagte, Kleidung ist immer Teil der Erscheinung, sie unterstützt den Auftritt, die In-szenierung und Darstellung.

    Diese Bedeutungen von Textilien und Mode bleiben auch für die Zukunft vielseitig und her-ausfordernd. Prof. Dr. Zec nennt vier Qualitäten von gutem Design, die bei der Nutzung in einer Balance sein müssen, das heißt, sie müssen angemessen vorkommen und praktiziert werden.

    „Gutes Design zeichnet sich durch eine ausgewogene Balance von vier Qualitäten aus: der Qualität der Funktion, der Ästhetik, des Gebrauchs und der Verantwortung.“ Prof. Dr. Zec

    Die Qualität der Funktion und der Ästhetik spielt mit der Bedeutung des Gegenstandes zu-sammen. Dieser Aspekt wird unten im Teilkapitel der Deutungen aufgenommen. Die Qualität des Gebrauchs und der Verantwortung stehen in Beziehung zueinander. Was heißt im Zu-sammenhang mit Textilien und Mode Verantwortung?

    Die Jugendlichen, die unterrichtet werden, leben in einer konsumorientierten Gesellschaft. Einkaufen gehört zu ihrem Alltag (Schulze, 1992). Brauchen und Wegwerfen sind selbstver-ständliche Handlungen der Jugendlichen. Wenn Jugendliche künftig im Textilen Gestalten erfahren, woher die Dinge kommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden, kann ein bewussteres Handeln herbeigeführt werden. Durch das Vermitteln von Hinter-grundwissen steht im Alltag ein Mehrwissen und -können zur Verfügung (vgl. Lernprozess unten). Beim Einkaufen und Nutzen, aber auch beim Wegwerfen und Entsorgen sind Wissen und Können gefragt. Jugendliche werden durch einen Unterricht, der Ergänzungswissen vermittelt, befähigt, mitzugestalten und ihre Lebenswelt mitzubestimmen. Untersuchungen zeigen, dass nachhaltiges Handeln immer auch mit Bildungswissen einhergeht (Ottogruppe, 2013).

    Abb. 6 Elisabeth Eichelberger: Kreislauf Ding

    mailto:[email protected]

  • IKP – INTEGRALER METHODENPOOL – FACHDIDAKTISCHE METHODEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected]

    5

    Nach Lernsequenzen zum Thema „Kleider sammeln und dann?“ sind Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I unterschiedlich betroffen und machen sich weiterführende Ge-danken:

    Lernende überlegen sich nicht von sich aus, was mit ihren abgegebenen Kleidern passiert. Wenn sie erfahren, dass die „gespendeten“ Klamotten sortiert, wegtransportiert und schließ-lich auf dem Altkleidermarkt zum Beispiel von Accra weiterverkauft werden, können sie sich als Teil einer globalen Kette verstehen. Selber möchten sie eher nicht Altkleider tragen. Die „Makerbewegung“ (AbD:2015) schätzen sie in der Regel als sinnvolle Reaktion ein: Der Ab-fallberg kann reduziert werden. Ästhetisch ansprechende Einzelstücke aus Altkleidern sind hip und der Lebenszyklus eines Dings geht weiter. Verantwortliches Handeln im Alltag be-dingt Wissen und Können. In Abbildung 6 ist ein Kreislauf abgebildet, der Möglichkeiten von Wiedergebrauch erschließt. Ressourcen werden geschont, die kurzlebige Nutzung wird hin-terfragt, eine Langzeitnutzung angeregt.

    Abb. 7) Anais Grütter: Schirm und Charme Abb. 8) Christine Blatter: Narziss

    Textile Dinge entwickeln – Dinge individuell und für andere gestalten, durch Tun erfah-ren

    „Genauso wie man Ende des 19. Jahrhunderts die Funktionalität und Ende des 20. Jahrhun-derts die Emotionalität als Kernaufgaben des Designs propagierte, sollte man heute die so-ziale Funktion von Design entdecken – an einzelnen Produkten ebenso wie an den Grund-strukturen der Gesellschaft insgesamt.“ (Kries:150)

    mailto:[email protected]

  • IKP – INTEGRALER METHODENPOOL – FACHDIDAKTISCHE METHODEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected]

    6

    Jugendliche stellen in der Regel die Dinge, die sie nutzen, nicht selber her. Selber Herstellen macht dann Sinn, wenn der Lernprozess, der dabei praktiziert wird, kontextualisiert wird. Durch die exemplarische Erfahrung, wie Dinge entstehen, kann ein Verständnis über die fremd gefertigten Produkte aufgebaut werden. Wenn in Verbindung mit der eigenen Gestal-tung der Lebenszyklus eines Dings im Allgemeinen thematisiert wird, erschließt sich den Lernenden ein Allgemeinwissen und -können.

    Abb. 9 Elisabeth Eichelberger: Lernprozess

    Der Lernprozess im Textilen Gestalten ist ein um das textile Produkt mäanderndes Suchen, Ringen, Wählen, Entscheiden und Finden. Problemlöseverhalten wird angewendet. Mehrdi-mensionale Denk- und Handlungsweisen sind wichtige Momente, die auch zukunftsweisend und weiterführend sind. Kompetenzen werden im Prozess aufgebaut.

    Wenn im Unterricht von der Vorstellung ausgegangen wird, dass Lernende Ideen mitbringen und diese durch Aufträge der Lehrperson weiterentwickeln können, entstehen individuelle, auf die Bedürfnisse abgestimmte Entwürfe. Es wird im Designprozess angeleitet, wie kon-struiert wird. Ideen werden nicht bloß übernommen. Vorlagen werden vielleicht analysiert, kritisch begutachtet, dann um- oder weiterentwickelt oder ganz abgelehnt.

    Produktdesign wird im Unterricht der Sekundarstufe exemplarisch praktiziert. Vergleichende Überlegungen zu industriellem und professionellem Vorgehen schließen idealerweise an. Das Selbertun wird in Kontexte gestellt. So verstanden ist der Textilunterricht nicht ein welt-fremdes und/oder rückwärtsgewandtes Fach, das Vorlagen rekonstruiert und bloß Fertigkei-ten übt, sondern führt in professionelle Arbeitsweisen ein. Methoden wie „design thinking“ (Standford:2015) helfen, die Vorstellungen weiter zu entwickeln. Es wird vorausgesetzt, dass die Anregungen von verschiedenen Personen gefragt sind. Kooperative Lernformen werden als weiterführend verstanden. Die verschiedenen Beiträge der Lernenden sind in dieser Vor-

    mailto:[email protected]

  • IKP – INTEGRALER METHODENPOOL – FACHDIDAKTISCHE METHODEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected]

    7

    stellung von Lernen Voraussetzung. Lernende sind in ihrem Arbeits- und Lernprozess aufei-nander angewiesen. Sie nehmen verschiedene Rollen ein (vgl. oben).

    Die Fertigung führt in einer so verstandenen Entwicklungsaufgabe immer zu einem Prototyp. Erst nach einer Testphase im Gebrauch kann die Qualität des Hergestellten abschließend eingeschätzt werden.

    In einer Präsentation, wo die selber entwickelten und gefertigten Produkte gezeigt werden, ist kritisch-wohlwollend zu reagieren, damit Lernende integrierende Momente erfahren.

    Wenn nach einem Entwicklungs- und Fertigungsprozess im Textilen Gestalten Jugendliche feststellen: „Es war mir bisher nicht bewusst, wie anspruchsvoll die Entwicklung von Gegen-ständen ist“, so sind neue Erkenntnisse aufgebaut und ein Verständnis für Produkte ist ent-wickelt.

    Die Bedeutung des selber Herstellens ist also mit dem Ziel zu verbinden, ein Verständnis für die Dingwelten zu erschließen. Das aufgebaute Wissen und Können befähigt die Lernenden, in verschiedenen Situationen des Alltags kompetent zu agieren, der Lebensweltbezug ist groß.

    Abb. 10) Noëmi Steiner: Cloffeeproduction Abb. 11) Chantal Burger: UPANDRECYCL CHIC01

    mailto:[email protected]

  • IKP – INTEGRALER METHODENPOOL – FACHDIDAKTISCHE METHODEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected]

    8

    Textile Dinge deuten – Wissen, Können und Handeln fördern

    Kaufen und sich durch das Gekaufte modisch zeigen gehören zur Lebenswelt von Jugendli-chen. Die soziale und kulturelle Bedeutung von Bekleidung nimmt bei Lernenden der Sekun-darstufen I eine große Bedeutung ein. In „Weiter im Fach“ werden die Unterschiede zwi-schen gesellschaftlichen und individuellen Kontexten herausgearbeitet (Eichelberger, 2014).

    Abb. 12 Elisabeth Eichelberger: Einflussfaktoren Identitäten

    Textile Dinge werden in Abhängigkeit mit gesellschaftlichen Erwartungen und teils Vorschrif-ten genutzt und gedeutet. Iris Kolhoff-Kahl spricht von Musterbildungen, die konstruiert und dekonstruiert werden können (2009). Das Nutzen, Tragen und Deuten von Kleidung ist mit Fragen von sozialer und kultureller Bedeutung verbunden. Die Wechselwirkung von Indivi-duum, (Selbst) und Lebenswelt (Gesellschaft) zeichnet sich über das Tragen der Bekleidung ab.

    Die Lernenden der Sekundarstufe I stehen mit der Entscheidung, welche Kleidung getragen werden soll, vor verschiedenen Herausforderungen: Einerseits nähern sie sich der Erwach-senenwelt an, andererseits wollen sie sich als Altersgruppe abgrenzen, und schließlich möchten sie sich individuell und eigenständig kleiden. Kleidung ist Medium und sagt mit äs-thetischen Mitteln über die Identität der Person etwas aus. Viele Codes sind eindeutig, ande-re bleiben verschlüsselt und unerkennbar. Ein- und Ausschlussmechanismen spielen bei der Deutung eine Rolle: Gehöre ich dazu? Werde ich akzeptiert? Falle ich zu sehr auf? Über-schreite ich Grenzen? Lernende der Sekundarstufe I sind in der Regel sehr interessiert an Themen, die soziale und kulturelle Aspekte der Bekleidung ansprechen, weil sie selber viel-fältig involviert sind. Im Alter der Sekundarstufe I wird viel Zeit für die Erscheinung und Mode

    mailto:[email protected]

  • IKP – INTEGRALER METHODENPOOL – FACHDIDAKTISCHE METHODEN Ein Angebot des Bereichs Kunst/Gestalten an Grund- und Förderschulen der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg • Kontakt: [email protected]

    9

    investiert (Schmuck, 2008). In den Medien werden Jugendliche angeleitet, was in ist, es werden eher normative Kriterien, wie aktuell, neu und jung sein betont.

    Im Unterricht kann gelernt werden, zwischen Analyse, Interpretation und Ver- oder Beurtei-lung zu unterscheiden. Durch diese Unterscheidungen kann Vielfalt der Erscheinungen als Potenzial erkannt werden. Offenheit gegenüber Anderem und Fremdem wird geübt, wenn normative Muster erkannt werden. Durch das Lesenlernen der Codes kann Wissen aufge-baut werden. Kriterien, die über „das gefällt mir“ oder „das ist schön“ hinausreichen, werden aufgebaut.

    Eine Schülerin hat nach einer Unterrichtssequenz zurückgemeldet, dass sie nicht wusste, wie viel uniforme Kleidung es im Alltag gibt. Fast alle der Klasse tragen ähnliche Schuhe, dies wurde jedoch bisher nicht so wahrgenommen.

    Wir Menschen brauchen und nutzen Dinge. Wenn künftig Kompetenzen der Nutzung, Ent-wicklung und Deutung dazu aufgebaut werden, werden Kontexte und Zeitfragen mehrdimen-sional verknüpft. Die Jugendlichen werden befähigt, kompetent zu agieren und ihre Lebens-welt aktiv mitzugestalten.

    erstellt: 01/2018

    Literatur: – AbD 2015; Maker Media Inc. 2015; Museum für Gestaltung 2015; W.I.R.E. 2012

    – BECKER, C. (2011). Neue Bildungsziele – neue Lernarchitekturen. Kompetenzförderung im Textilunterricht. (Vortrag im Rahmen einer LehrerInnenfortbildung der arge Wien). In: dynamotextil (1). [Online]. Verfügbar unter: [19.1.2016]

    – EICHELBERGER, E. (Hrsg.) (2014). Weiter im Fach. Textiles Gestalten erkenntnis- und lernendenorientiert unterrichten. Hohengehren: Schneider.

    – EICHELBERGER, E. & RYCHNER, M. (2008). Textilunterricht. Lesarten eines Schulfachs. Theoriebildung in Fachdiskurs und Schulalltag. Zürich/Hohengehren: Pestalozzianum/Schneider.

    – KRIES, M. (2010): Total Design. Die Inflation moderner Gestaltung. Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung.

    – KOLHOFF-KAHL I. (2009). Ästhetische Musterbildungen. München: Kopaed.

    – MENTGES, G. (2015) Mode als Objekt der Wissenschaften und Wissensgeschichte. In: WENRICH, R. (Hg.): Die Medialität der Mode. Bielefeld: transcript.

    – SCHULZE, G. (1992): Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt und New York: Campus.

    – SCHMUCK B. (2008): „Was hässlich ist, muss operiert werden!" Schönheitshandeln bei prä- und frühadoleszenten Mädchen und Jungen. In: GEIGER, A. (Hg.): DER SCHÖNE KÖRPER. Mode und Kosmetik in Kunst und Gesellschaft. Köln: Böhlau.

    – STANFORD UNIVERSITY INSTITUTE OF DESIGN (2015). Hasso Plattner Institute of Design at Stanford. [Online]. Verfügbar un-ter: [10.12.2015].

    – http://www.ottogroup.com/media/docs/de/trendstudie/1_Otto_Group_Trendstudie_2013.pdf

    mailto:[email protected]