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1 1. Einleitung 1.1. Körperachsen Alle vielzelligen Organismen weisen mindestens eine Körperachse auf. Bei den Wirbeltieren verläuft diese Längs- oder anterio-posteriore Achse vom Kopf mit dem Gehirn über den Rumpf zum Schwanz. Im rechten Winkel hierzu besitzt der Wirbeltierkörper eine dorso-ventrale (Rücken- Bauch) Ausrichtung, wobei der Mund auf der ventralen Seite und das Rückenmark mit der segmentierten Wirbelsäule auf der dorsalen Seite liegt (Wolpert, 1999). Die Wirbeltiere besitzen neben der anterio- posterioren und dorso-ventralen Ausrichtung auch eine bilaterale Symmetrie. Strukturen wie die Augen, Ohren und Gliedmaßen finden sich paarig auf beiden Seiten der Mittellinie. Damit ist ihr Körper nach außen symmetrisch. Seine inneren Organe sind jedoch meist asymmetrisch angelegt. Beim Mensch zum Beispiel finden sich die Milz, das Herz und der Magen auf der linken Körperseite. Die Vena cava liegt rechts. Der linke Lungenflügel besitzt einen Lobus weniger als der rechte. Für den Aufbau der embryonalen Körperachsen werden verschiedene Strategien verwendet. 1.1.1. Polarität der Eizellen Mit Ausnahme der Säuger besitzen die Eizellen der Wirbeltiere eine erkennbare Polarität. Diese wird durch die Konzentrationsgefälle zytoplasmatischer Komponenten, wie mRNA, Proteine und vor allem Dottergranula festgelegt. Die Eizellen der Säuger besitzen jedoch keinen Dotter. Zur Entwicklung und Ernährung tragen hier die extraembryonalen Strukturen der Plazenta bei. Die Furchung ist holoplastisch. Bis zur ersten Differenzierung der Blastocyste in Trophoblast und Embryoblast sind die Zellen des Säugerkeims totipotent. Damit erhalten die frühen Blastomeren

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1. Einleitung

1.1. Körperachsen

Alle vielzelligen Organismen weisen mindestens eine Körperachse auf.Bei den Wirbeltieren verläuft diese Längs- oder anterio-posteriore Achsevom Kopf mit dem Gehirn über den Rumpf zum Schwanz. Im rechtenWinkel hierzu besitzt der Wirbeltierkörper eine dorso-ventrale (Rücken-Bauch) Ausrichtung, wobei der Mund auf der ventralen Seite und dasRückenmark mit der segmentierten Wirbelsäule auf der dorsalen Seiteliegt (Wolpert, 1999). Die Wirbeltiere besitzen neben der anterio-

posterioren und dorso-ventralen Ausrichtung auch eine bilateraleSymmetrie. Strukturen wie die Augen, Ohren und Gliedmaßen finden sichpaarig auf beiden Seiten der Mittellinie. Damit ist ihr Körper nach außensymmetrisch. Seine inneren Organe sind jedoch meist asymmetrischangelegt. Beim Mensch zum Beispiel finden sich die Milz, das Herz undder Magen auf der linken Körperseite. Die Vena cava liegt rechts. Derlinke Lungenflügel besitzt einen Lobus weniger als der rechte. Für denAufbau der embryonalen Körperachsen werden verschiedene Strategienverwendet.

1.1.1. Polarität der Eizellen

Mit Ausnahme der Säuger besitzen die Eizellen der Wirbeltiere eineerkennbare Polarität. Diese wird durch die Konzentrationsgefällezytoplasmatischer Komponenten, wie mRNA, Proteine und vor allemDottergranula festgelegt. Die Eizellen der Säuger besitzen jedoch keinenDotter. Zur Entwicklung und Ernährung tragen hier die extraembryonalenStrukturen der Plazenta bei. Die Furchung ist holoplastisch. Bis zur erstenDifferenzierung der Blastocyste in Trophoblast und Embryoblast sind die

Zellen des Säugerkeims totipotent. Damit erhalten die frühen Blastomeren

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von Säugern die gleiche Menge zytoplasmatischer Bestandteile aus derEizelle.Die Eier von Vögeln, Reptilien und vielen Fischen sind dagegenbesonders dotterreich, was Einfluss auf ihre Furchungsmuster hat. DerDotter des Froscheies liegt eng gepackt im vegetativen Bereich. Amentgegengesetzten animalen Pol, dem prospektiven anterioren Pol desEmbryos, der den Zellkern enthält, ist die Dotterkonzentration dagegennur niedrig. Durch die maternal festgelegte animal-vegetative Eipolaritätbildet sich der Kopf im Umkreis dieses animalen Pols.

1.1.2. Spezifizierung der dorso-ventralen und anterio-posteriorenAchse im Modellorganismus Xenopus laevis

Die dorso-ventrale Achse wird durch die Spermieneintrittsstellespezifiziert, bzw. aus der daraus folgenden Rindenrotation. Die Zentrioledes Spermiums reorganisiert die Mikrotubuli des Zytoskeletts desZellkortex und löst damit die Rotation des kortikalen Zytoplasmas inRichtung der Spermieneintrittsstelle aus. Im Zuge der kortikalen Rotationverlagern sich die maternalen dorsalisierenden Mitglieder deskanonischen Wnt-Signalweges Wnt 11 (Heasman et al., 1994), Dsh(Dishevelled) und das Kinesin-Bindeprotein GBP (ein für Vertebratenspezifisches Glycogen-Synthase-Kinase 3 Bindeprotein) (Miller et al.,1999; Weaver et al., 2003) entlang der Mikrotubuli vom vegetativen Polein Stück dorsal in Richtung des späteren Urmundes. Die Signalaktivitätvon Wnt 11 führt im Zellkern zur Anreicherung des Transkriptionsfaktorsβ-Catenin und damit zur Entstehung von zwei Signalzentren. Der

β-Catenin-Signalweg induziert in der dorsal-animalen Polkappe und der

dorsalen Randzone, auch Präorganisatorregion oder BCNE (BlastulaCenter for Chordin and Noggin Expression) genannt, die Expression derBMP-Antagonisten (Bone Morphogenetic Proteins) Chordin und Noggin

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(Wessely et al., 2001). In dem sich nach dem Mid-Blastula-Überganggebildeten Nieuwkoopzentrum induziert der Wnt-Signalweg überβ-Catenin während der späten Blastula die Expression

mesoderminduzierender Nodal- verwandter Faktoren (Xnr 1, 2, 4, 5 und6) und Cerberus (Agius et al., 2000; Takahashi et al., 2000). HoheKonzentrationen der Nodal-Proteine induzieren in den darüber gelegenenZellen dorsales Mesoderm bzw. den Spemannorganisator.Während der Gastrulation werden die gleichen Gene im Mesoderm desSpemannorganisators unter Kontrolle von Nodal-verwandten Proteinenexprimiert (Agius et al. 2000; Wessely et al., 2001). Das für dieEntwicklung des dorsalen Entoderms verantwortliche Nieuwkoopzentrum,wie auch das die neurale Entwicklung steuernde BCNE werden somitgleichzeitig in Abhängigkeit von β-Catenin Signalen auf der dorsalen

Seite des Embryos gebildet (De Robertis and Kuroda, 2004). In denfolgenden Entwicklungsstadien tragen die Zellen der BCNE neben derEntwicklung des Vorder-, Mittel- und Nachhirns, der Bodenplatte und desNeuralrohrs auch zur Bildung der Chorda dorsalis bei (Kuroda et al.,2004). Die Zellen des Nieuwkoopzentrums differenzieren selbst inanteriores Entoderm. Somit bewirkt das frühe β-Catenin während der

Blastula die Bildung zweier Signalzentren.

1.1.3. Spemannorganisator

Während der Gastrulation kontrolliert der Spemannorganisator die

dorsoventrale Musterbildung, induziert das zentrale Nervensystem und istfür die anterio-posteriore Achsenentwicklung von großer Bedeutung. DerOrganisator wird in Xenopus laevis durch die Wirkung der maternalenDeterminanten des dorsalisierenden Wnt/β-Catenin-Signalwegs und der

vegetalen TGFβ-Signalkaskade festgelegt (Harland and Gerhart, 1997;

Nieto, 1999). Transplantiert in das ventrale Mesoderm einesgastrulierenden Molchembryos, konnte der Organisator (in Abhängigkeitvon seinem Entwicklungsstadium) eine zweite Achse mit genau

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definierter anterio-posteriorer und dorso-ventraler Ausrichtung induzieren(Spemann and Mangold, 1924; Harland and Gerhart, 1997; Nieto, 1999).Bereits Spemann entdeckte, dass sich die Eigenschaften und induktivenFähigkeiten des Organisators mit dessen Entwicklung verändern. Diedurch den Organisator eines Embryos im späten Gastrulastadiuminduzierten zweiten Körperachsen besitzen nur noch Rumpf- undSchwanzstrukturen (Spemann and Mangold 1924).

1.1.3.1. Der Rumpforganisator

Mit der Expression der sekretierten BMP-Antagonisten Chordin, Nogginund Follistatin im Chordamesoderm (der Prächordalplatte und der Chordadorsalis) kann der Organisator die Wirkung der TGFß-ähnlichen Signale(der BMP-Proteine) hemmen, die von ventralen Mesodermzellenausgesandt werden. Die BMP-Antagonisten binden an BMP-Proteine imextrazellulären Raum. Durch die Bildung von inaktiven Komplexenverhindern sie die Bindung an die BMP-Rezeptoren (Piccolo et al., 1996).Dies wirkt der ventralen Entwicklung entgegen und führt zur Bildung derdorso-ventralen Achse des Rumpfes.

1.1.3.2. Der Kopforganisator

Neben den BMP-Antagonisten exprimiert der Spemannorganisator vieleandere sekretierte Faktoren wie Cerberus, Crescent, Dickkopf (Dkk-1)und die mit Frizzled verwandten Proteine Frzb1/sFRP3 und sFRP2(Secreted Frizzled-related Proteins), die die Aktivität der Wnt-Proteineantagonisieren (Niehrs, 1999; Bouwmeester and Leyns, 1997).Die Wnt-Proteine binden an Frizzled und LRP6 (Low-density LipoproteinReceptor-related Protein) und bilden auf der Zelloberfläche einenRezeptorkomplex (Tamai et al., 2000). Dieser wiederum vermittelt diePhosphorylierung der intrazellulären Domäne des Wnt-Corezeptors

LRP5/6. LRP5/6 verbindet den Wnt-Signalweg mit der Stabilisierung vonβ-Catenin.

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Ektopisch exprimiertes Cerberus kann Kopfstrukturen induzieren(Bouwmeester et al., 1996). Dabei bindet das Protein sowohl an Nodal,BMP als auch an Wnt 8 und verhindert deren Signalweg (Piccolo et al.,1999).Die als Wnt-Antagonisten wirkenden FRPs binden direkt an die Wnt-Proteine im extrazellulären Raum und verhindern deren Signalweg(Leyns et al., 1997).Der sekretierte Wnt-Signal Inhibitor Dkk-1 dagegen interagiert mit demWnt-Cofaktorprotein LRP5/6 (LDL Rezeptor-related Protein-5/6). Dabeibindet Dickkopf-1 (Dkk-1) sowohl an LRP5/6 (Mao et al., 2001) als auch

an Kremen, ein zweites Transmembranprotein. Der resultierendetrimolekulare Komplex wird endozytiert, was zum Verlust des LRP5/6-Corezeptors an der Plasmamembran führt (Pera and De Robertis 2000;Bafico et al., 2001). Die Inhibition der BMP-Rezeptoren, kombiniert mitder Inhibition des Wnt-Signalweges, resultiert in der Induktion einerzweiten Achse mit Kopfstrukturen (Glinka et al., 1997; Piccolo et al.,1999).

1.1.4. Die Links-Rechts-Achse

Ist die anterio-posteriore und die dorso-ventrale Achse vorhanden, erfolgtdie Unterscheidung von rechts und links. Für die Seitenausrichtung aufmolekularer Ebene muss eine Asymmetrie vorhanden sein. Diese wirdauf die zelluläre bzw. auf die multizelluläre Ebene übertragen. Dabeihandelt es sich um hoch konservierte genetische Signalwege. Derembryonale Körperbauplan ist anfangs symmetrisch. DerSymmetriebruch findet bei Säugern am entstehenden posteriorenNotochord während der späten Gastrulastadien/frühen Neurulastadienstatt. Die Links-Rechts-Achse orientiert sich nach den anderenKörperachsen.

In Vertebraten wird der Symmetriebruch meist durch gerichtete, synchroneZilienrotation und den dadurch resultierenden Flüssigkeitsstrom zur linken

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Seite hin hervorgerufen (Flow-Modell). Dieser Flüssigkeitsstrom erfolgt ander posterioren Chorda der Maus (Nonaka et al., 2002), im Kupfervesikeldes Zebrabärblings (Kramer-Zucker et al., 2005; Essner et al., 2005)sowie im Gastrocoeldach von Xenopus laevis (Schweickert et al., 2007).Im sich entwickelnden Huhn konnte ein solcher Mechanismus bislangnicht nachgewiesen werden.Der morphologisch-asymmetrischen Organentwicklung sind Aktivitätenvon Signalmolekülen vorgeschaltet. Diese werden jeweils nur auf einerSeite der Mittellinie des Embryo exprimiert (Levin et al., 1995; Boettger etal., 1999). Zusammen etablieren diese Signale die Links-Rechts-Achse

und vermitteln die Positionsinformationen für den Körpersitus.

1.2. Zellmigration während der embryonalen Entwicklung

Während der Embryogenese wird die Struktur eines Tieres durch dieWanderung einzelner Zellen zu bestimmten Orten und durch diekoordinierte Wanderung oder Verschiebung ganzer Epithelschichtenfestgelegt (Alberts et al., 2004). Die ersten Zellbewegungen findenwährend der Gastrulation und der Neurulation statt.

1.2.1. Zellbewegungen während der Gastrulation

Zellwanderungen während der Gastrulation bewirken eine Reorganisationdes Embryos von einer einfach gestalteten Blastula in einendreischichtigen Keim, in dem der Körperbauplan angelegt ist. DieGastrulation und frühe Organogenese des Säugerembryos verlaufendabei ähnlich wie beim Vogel oder Reptil. In Xenopus laevis vollzieht sichdie Gastrulation mit folgenden zellmorphologischen Veränderungen undregion-spezifischen Bewegungen: Entstehung der Flaschenhalszellen,Epibolie der ektodermalen Animalkappe, konvergente Extension des

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eingewanderten Mesoderms, und Migration des Kopfmesoderms auf demBlastocoeldach (Keller, 1986).

Zellmorphologie während der GastrulationDurch Gestaltveränderungen entstehen in der dorsalen Randzone dieFlaschenhalszellen (spätere Entodermzellen). Aufgrund von Aktin-Myosin-Interaktionen kontrahiert deren apikale Oberfläche stark, während ihrInneres expandiert. Die Zellen besitzen deshalb einen dicken Zellkörperund einen dünnen Hals, der sie in der Oberfläche des Epithels verankert(Lee et al., 2007). Möglicherweise wird über diese Zellen eine Kraft auf

das Epithel ausgeübt. Das Epithel krümmt sich und beginnt einwärts zusinken. Dadurch bildet sich der Urmund oder Blastoporus als erstessichtbares Zeichen der Gastrulation (Wolpert, 1999; Gilbert, 1994). Derobere Rand dieser Falte bildet die dorsale Urmundlippe. DurchZellexplantatexperimente mit dorsalen und ventralen Zellen der innerendorsalen Randzone eines Xenopus laevis Embryos im frühenGastrulastadium konnten Reintsch et al. 2001 zeigen, dass die Kontaktezwischen den Zellen der dorsalen Region viel weniger stabil und damitweitaus flexibler waren als zwischen den Zellen des ventralen Bereiches,was die Zellbewegungen in dieser Region begünstigen könnte. Diemesodermalen Zellen der frühen Gastrula sind zunächst multipolar,isodiametrisch und gleichförmig. Im Verlaufe der Gastrulation werdendiese Zellen polarisiert.

1.2.1.1. Epibolie

Die aktiven Involutionsbewegungen während der Gastrulation werdendurch die Epibolie des Blastoderms unterstützt. Der animale Bereich desBlastulaembryos besteht zunächst aus mehreren Zellschichten. Bei denäußeren der drei- bis vier Zellschichten handelt es sich um ein echtes

Epithel. Die inneren Schichten können dagegen frei interkalieren(Chalmers et al., 2003). Vor den eigentlichen Gastrulationsbewegungen

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arrangieren sich die Zellschichten im Prozess der sogenannten Epiboliedurch die radiäre Interkalation der tieferen Schichten und die koordinierteAusbreitung der darüber liegenden Zellschicht neu. Die Zellen derAußenwand dehnen sich aus und kompensieren flächenmäßig denepithelialen Zellverlust, denn trotz der festen Verbindungen der Zelleninnerhalb eines Epithels sind diese in der Lage, ihre Positionen zuverändern.

1.2.1.2. Involutionsbewegung während der Gastrulation

Die Gastrulation beginnt mit dem nach innen Gleiten derdoppelschichtigen dorsalen Randzone. Die zukünftigen Mesodermzellender oberen Schicht der einwandernden dorsalen Randzone besitzenepithelialen Charakter. Sie involutieren als zusammenhängenderZellverband und bilden einen Teil des Gastrocoeldaches imNeurulaembryo. Unterhalb dieses superfiziellen Epithels liegt einevielschichtige tiefe Region aus zukünftigen Mesodermzellen mitmesenchymaler Organisation. Diese bilden die vorläufige Chorda dorsalis,einen Teil des Somitenmesoderms, sowie Kopf-, Herz- und ventro-laterales Mesoderm.Diese Involutionsbewegungen setzen sich an der ventralen Lippe derBlastopore fort. Das Entoderm der ventralen Region wandert ein, um dengesamten Darm auszukleiden (Wolpert, 1999).

1.2.1.3. Konvergente Extension

Der Prozess der konvergenten Extension erscheint neben derGastrulation, in der Neurulation, während der Elongation der Achsen undwährend der Organogenese in Embryonen von Vertebraten als auch vonInvertebraten.

Im Froschembryo wird die konvergente Extension durch dieZellinterkalation vorangetrieben. Diese resultiert aus der gerichteten

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Bewegung der einwandernden mesodermalen Zellschichten. ImGegensatz dazu verlaufen die Interkalationsbewegungen dersuperfiziellen Epithelzellen passiv. Die zukünftigen mesodermalen Zellenbilden bereits vor den Gastrulationsbewegungen lamellipodienförmigeAuswüchse in alle Richtungen (Keller, 2002).Im Verlaufe der Gastrulation stabilisieren sich die Fortsätze entlang dermediolateralen Achse. Damit besitzen die Zellen nun große, mediolateralorientierte lamellipodienförmige und feine filliforme Auswüchse oder feineKontaktpunkte an ihren posterior oder anterior gelegenen Zellabschnitten.Über diese Fortsätze sind die Zellen mit ihren benachbarten

mesodermalen Zellen verbunden und können auf diese die für diemediolaterale Interkalation notwendigen Zugkräfte ausüben (Keller et al.,2000). Die Mesodermzellen lagern sich an die Grenze zwischen derChorda und den Somiten an. Im Verbindungsbereich der Zellenverschwinden die Fortsätze (Shih and Keller, 1992). Mit denverbleibenden Fortsätzen erzeugen die Mesodermzellen weiterhinZugkräfte auf benachbarte Zellen und ziehen diese gegen denGrenzbereich. Durch die fortlaufende Interkalation weiterer Zellen imZentrum der Chorda beginnt sich die dorsale Randzone, aus dervorläufigen Chorda dorsalis, dem Somitenmesoderm und dem posteriorgelegenen Neuralgewebe bestehend, animal entlang der mediolateralenAchse zu verengen (konvergieren) und entlang der anterio-posteriorenAchse auszudehnen (Extension, Wallingford et al., 2002).Mit Bestehen der mediolateralen Fortsätze und der Bindungsfähigkeit dermesodermalen Zellen wird die konvergente Extensionsbewegungaufrechterhalten (Keller et al., 1992, 2000). Diese Bewegungen dienen derfortdauernden Involutionsbewegung der dorsalen Randzone und führen inden zirkumblastoporalen Bereichen durch Verengung zum Verschluss derBlastopore (Keller et al., 2000; Keller et al., 2002).

Bei dem Prozess der konvergenten Ausdehnung spielt die Modulation derüber das Zytoskelett erfolgenden Zelladhäsion eine zentrale Rolle. Hier

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sind vor allem die Cadherine wichtig (Ca2+-Ionen abhängigeTransmembran-Zelladhäsionsproteine). Cadherine spielen eine Rolle beider Kontrolle der Stabilisierung, Bildung und Auflösung epithelialerZelllagen und Zellcluster. Sie verbinden die Zellen untereinander undbilden Anheftungspunkte für intrazelluläre Aktinfilamente (Alberts et al.,2004).Zusätzlich bilden die migrierenden Zellen Adhäsionen mit derextrazellulären Matrix. Die essentielle Funktion von Integrinen undextrazellulären Matrixproteinen wie zum Beispiel Fibronectin wurde indiesem Zusammenhang in verschiedenen Publikationen beschrieben, wie

zum Beispiel von Marsden et al. 2001. Integrine beeinflussen dieZellbewegung, indem sie die Zellen an die extrazelluläre Matrix alsUnterlage (als Substrat) binden. Obwohl sich alle Zellen des Embryos anFibronectin anlagern können, haben nur diese Wanderzellen die Fähigkeitsich auszubreiten und auf den Fibronectinfibrillen zu migrieren (Alberts etal., 2004). Diese Fibrillen säumen das Dach des Blastocoels. Bewegt sichdas Mesoderm während der Amphibiengastrulation ins Innere desEmbryos, wandern die Zellen an den freien Rändern der Mesodermschichtan diesen Fibrillen entlang (Gilbert, 1994).

1.2.2. Zellbewegungen während der Neurulation

Die Mechanik der Neurulation hängt unter anderem von der Änderung derZellverbindungen und Zellgestalt im ektodermalen Epithel ab. Zunächstdehnt sich der einschichtige Epithelzellverband entlang der apikal-basalenAchse im dorsalen Ektoderm aus. Die Zellen ändern ihre kuboidaleGestalt in die von elongierten Säulenzellen und bilden eine verdicktePlatte, die sogenannte Plakode. Man nennt diese Veränderung derZellform auch Kolumnarisation (Keller et al., 1992).Für diese Gestaltveränderung sind Mikrotubuli verantwortlich. Diese

verändern intrazellulär ihre Position und werden länger. Nach derPlakoden-Bildung erfolgen konvergente Extensionsbewegungen.

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1.2.2.1. Konvergente Extension der Neuralplatte

Während der späten Gastrulation in Xenopus laevis liegt das neuraleEktoderm, aus einer oberen Schicht epithelialer Zellen und einer tieferenZellschicht bestehend, über dem involutierten dorsalen Mesoderm. Zudiesem Zeitpunkt und während der Neurulation laufen in beiden Gewebenkonvergente Extensionsbewegungen ab. In Kontakt mit dem Mesodermerfolgt die konvergente Extension des neuralen Ektoderms autonom(Keller et al., 1992; Keller and Tibbetts, 1989) und mit Hilfe vonZellinterkalation (Keller et al., 1992). Die Interkalation selbst basiert hier

unter anderem auf der durch Signale der Mittellinie induzierten, medialgerichteten Aktivität der Zellfortsätze und der Anheftung der Zellen an derGrenze zwischen der Neuralplatte und der Chordaplatte (Elul et al., 1997;Elul and Keller, 2000). Die Folge hiervon ist die Verlängerung derNeuralplatte entlang der Mittellinie, der anterio-posterioren Achse. Dabeiexpandiert das Neuralgewebe schneller als das darunter gelegene axialeund paraxiale Mesoderm.

1.2.2.2. Neuralrohrbildung

Die Neuralplatte verengt sich im zentralen und posterioren Bereich desEmbryos im Stadium 15. Im Stadium 16 verdickt sich ihr anterio-lateralerBereich und die seitlichen Grenzbereiche beginnen zu konvergieren unddie Neuralfalten zu bilden (Wolpert, 1999).Die Zellen der Neuralplatte besitzen am apikalen Ende eine paralleleAnordnung von kreuzweise orientierten Aktin- bzw. Myosinfilamenten.Diese Mikrofilamente kontrahieren das apikale Zellende und verleihen denZellen eine keilförmige Gestalt (Bray, 2001; Gilbert, 1994). DieNeuralfalten verschmelzen zum Neuralrohr.Neuralrohrschlussdefekte können durch Fehler der Konvergenz

hervorgerufen werden. Wird zum Beispiel in Xenopus laevis die

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konvergente Extension inhibiert, unterbleibt die Fusion der Neuralfalten(Wallingford and Harland, 2002).

1.2.3. Migration der Neuralleistenzellen

NeuralleisteninduktionAnders als in Urodelen und allen anderen Vertebraten existiert in Anurenein zweischichtiges Neuroepithelium. Die zukünftige Neuralleiste stammtvon der tiefen (unteren) und der oberflächigen Schicht des Ektoderms,welche die Neuralplatte flankiert (Schroeder, 1970; Essex et al., 1993).

Die Neuralleisteninduktion findet im dorsolateralen Bereich derNeuralfalten entlang der gesamten embryonalen Neuralachse statt (dermediolateralen Achse des Mittelhirns und der Rückenmarksregion; Mayoret al., 2001).Diese Induktion erfolgt durch Interaktionen zwischen der Neuralplatte(dem Neuroepithelium) und dem nicht neuralen Ektoderm, der zukünftigenEpidermis (dem Oberflächenektoderm; Moury and Jacobson, 1990;Selleck and Bronner-Fraser, 1995). Dabei ist vor allem ein mediolateralerund anterio-posteriorer BMP-Aktivitätsgradient in der Neuralplatte entlangdes Neuralrohrs caudal des Mittelhirns für die Induktion notwendig. Dieserentsteht durch die Wechselwirkung zwischen der BMP Produktion imEktoderm und den BMP-Inhibitoren, die im axialen Mesoderm (Chordadorsalis) sekretiert werden. Hohe Aktivität von BMP führt zurEpidermisbildung. Dagegen spezifiziert fehlende BMP-Aktivität dieNeuralplattenregion. Die moderate Signalaktivität von BMP führt zurSpezifizierung der Neuralplattengrenze (Tribulo et al., 2003; Mayor et al.,2001; Morgan and Sargent, 1997).Außerdem sind weitere Signale aus dem Ektoderm (Wnt), bzw. demunterhalb liegenden paraxialen Mesoderm (FGF) notwendig. DasZwischenspiel von BMP-Signalen mit deren Antagonisten, wie

beispielsweise den sekretierten Proteinen der Wnt-Familie, scheint für den

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Ort und den Zeitpunkt der Neuralleistenbildung wichtig zu sein (Trainor etal., 2002).Zwei der bisher bekannten frühen Indikatoren der Neuralleisteninduktionsind die Transkriptionsrepressoren Slug und Snail. Snail bindet an denPromotor des Zelladhäsionsmoleküls E-Cadherin und unterdrückt dessenExpression. Ektopisch überexprimiert ist Snail deshalb in der Lage inepithelialen Zellen den epithelial-mesenchymalen Übergang und damitdie Migration dieser Zellen zu verhindern (Cano et al., 2000). Für dasAuswandern ist ein reguliertes Gleichgewicht von Cadherin Expressionnotwendig. In den Neuralleistenzellen wird die Expression der

Zelladhäsionsmoleküle wie NCAM, N-Cadherin und Cadherin 6B nachunten und die Expression von Cadherin 7, bzw. 11 nach oben reguliert(Akitaya and Bronner-Fraser, 1992; Kimura et al., 1995). In Xenopuskontrolliert Snail außerdem die Transkription von Slug, welches wiederumdie Transkription anderer Neuralleistengene wie Twist kontrolliert (Linkeret al., 2000; Mayor et al., 2000). Die Expression dieser Gene beginntwährend der Gastrulation an den Randzonen der zukünftigenNeuralplatte.

Epithelial-mesenchymaler ÜbergangNach ihrer Induktion, kurz vor dem Neuralrohrschluss durchlaufen dieNeuralleistenzellen einen epithelial-mesenchymalen Übergang undverlieren damit ihren epithelialen Charakter. Sie nehmen dieEigenschaften mesenchymaler Zellen an (Verlust der Polarität, Bildungvon Fortsätzen, Auflösung der Stressfasern, Veränderung derZelladhäsion, bzw. Interaktionen mit Integrinen) und beginnen aus derunteren der beiden Zellschichten der Neuralplatte, medial subektodermalüber die Oberfläche des cranialen Mesoderm zu wandern (Schroeder,1970; Essex et al., 1993).

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MigrationDie Zellen besitzen monopolare protrusive Aktivität. Die von bestimmtenrostro-caudalen (Kopf→Schwanz) Ebenen stammenden

Neuralleistenzellen wandern isoliert, wie amöboide Zellen in einzelnenZellströmen entlang der Kiemenbögen. Es gibt sechs Kiemenbögen desvisceralen Skeletts.Der Mandibular-Bogen oder erster Branchialbogen trägt hauptsächlich zurGesichtsentwicklung bei. Ihm folgt der zweite Branchialbogen oder Hyoid-Bogen (Zungenbein; Os hyoideum) und weitere vier Kiemen-Bögen, derdritte (großes Zungenbein; Cornu majus ossis hyoidei) und der vierte-bissechste (Kehlkopfknorpel, Schildknorpel, Pharynx, usw.; Hörstadius undSellman, 1946). Der cranialen Neuralleiste folgen von anterior nachposterior die cardiäre, die vagale und die Neuralleiste des Rumpfes. Diewandernden Neuralleistenzellen aller Bereiche sind sehr invasiv. Es gibtnahezu kein Gewebe im embryonalen oder adulten Körper, welches keineNachkommen dieser Zellen besitzt. Vor der Migration sind dieNeuralleistenzellen bis zu einem gewissen Grad multipotent und könnensomit in eine Vielzahl von verschiedenen Zelltypen differenzieren.Innerhalb eines begrenzten Zeitraumes sind die Zellen in der Lage, sichselbst zu regenerieren (Shah and Anderson, 1997). Während derMigration werden die Zellen von ihrer Umgebung beeinflusst. Diese

beeinflussenden Faktoren wie andere Zellen, Wachstumsfaktoren oderHormone schränken die multipotente Entwicklungsfähigkeit derNeuralleistenzellen ein.

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1.3. Mechanismen der Zytoskelettdynamik

Jede eukaryotische Zellbewegung resultiert aus der Dynamik ihresZytoskeletts. Bei der Migration oder der Interkalation kommt es zurKooperation der Zellausstülpung am vorderen Plasmasaum und derKontraktion des mittleren und hinteren Zellbereiches. An beidenMechanismen sind Aktinfilamente beteiligt (Small et al., 2005).

1.3.1. Aktin

Aktin ist eine essentielle Komponente des Zytoskeletts und spielt somiteine zentrale Rolle bei jeder Form der Zellmotilität. In eukaryotischenZellen sind Aktinfilamente im Zusammenwirken mit weiteren funktionellenMolekülen an der Ausbildung und Aufrechterhaltung der Zellgestalt, an derZellteilung, Kontraktion, Adhäsion, Phagozytose usw. beteiligt. HöhereEukaryoten besitzen multiple Isoformen des Proteins, die unterschiedlicheFunktionen innerhalb der Zelle erfüllen. α Aktin fungiert als Bestandteil

kontraktiler Strukturen, während polymerisierendes β Aktin in den

Fortsätzen der sich bewegenden Zelle zu finden ist.In der Zelle erscheint Aktin als globuläres monomeres Aktin (G-Aktin) undals filamentöses polymeres Aktin (F-Aktin; Winder S. J. et al, 2005). Dasglobuläre Aktinprotein besteht aus einer einzelnen Polypeptidkette. JedesAktinmolekül enthält ein Mg2+ Ion komplexiert mit ATP oder ADP. Somitexistieren vier Stadien des Aktins: ATP-G-Aktin, ADP-G-Aktin, ATP-F-Aktin und ADP-F-Aktin.Im Aktin- oder Mikrofilament sind die Aktinmoleküle reversibel zu linearenKetten verknüpft. Zwei solcher Ketten sind spiralförmig umeinandergewunden. Die Verknüpfung wird von der Hydrolyse des ATP zu ADP undPi begleitet. Die ATP-Hydrolyse betreibt direktionales Filamentwachstum.Aktinfilamente besitzen eine einheitliche Polarität, in Abhängigkeit von derOrientierung ihrer Aktinmoleküle. Dies führt dazu, dass die verschiedenen

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Enden des Filaments unterschiedliche Polymerisationsraten aufweisenund als positiv (schnell wachsend) oder negativ (langsam wachsend)bezeichnet werden. Beide Filamentenden unterscheiden sich strukturell(Alberts et al., 2004).

1.3.2. Stressfasern

Die kontraktilen Stressfasern verlaufen geradlinig durch die Zelle undhaben über Zelladhäsionskomplexe Kontakt zur extrazellulären Matrix. Inihnen sind die gebündelten Aktinfilamente mit alternierend angeordnetemMyosin II und α Aktinin verknüpft. Die Myosinfilamente, Bestandteile des

kontraktilen Apparates in Muskelzellen, fungieren hier als aktinabhängigeMotorproteine. Myosin besitzt ATPase-Aktivität. Aktin ist der physikalischeAktivator der Myosin ATPase. Das Substrat ist MgATP2+. Myosinhydrolysiert ATP, und die Myosinfilamente in den kontraktilen Komplexenbenutzen die Aktinfilamente als Schienen entlang derer sie sich bewegen.In Abhängigkeit von ihren Strukturen können die Myosinmoleküle zumBeispiel Vesikel entlang der Aktinfilamente oder die Aktinfilamente selbsttransportieren und diese an die Plasmamembran anheften und somit dasZytoskelett organisieren (Evans et al., 1998; Wu et al., 2000). Denkontraktilen Stressfasern werden hauptsächlich Funktionen bei der

Zellstabilisierung und Zelladhäsion zugeschrieben. Deshalb werden sievor allem in nicht motilen Zellen ausgebildet (Abb.1, A) und sind in motilenZellen kaum vorhanden.

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Abb.1 Intrazelluläre Aktinfilamentanordnungen in Abhängigkeit der Zellbewegungvon SH-SY5Y NeuroblastomzellenIn nicht motilen Zellen liegen die Aktinfilamente (grün) in Verbindung mit Myosin IIFilamenten als kontraktile Stressfasern vor (A). In migrierenden Zellen, wie den mit demTumorpromotor PMA (Phorbol 12-Myristat 13 Acetat) über die Aktivierung der PKCstimulierten Neuroblastomzellen entstehen in Bewegungsrichtung Lamellipodien (B). Indiesen Zellen finden sich kaum noch Aktin-Myosin-Stressfasern. Die Aktinfilamentewurden mit Phalloidin sichtbar gemacht. Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. H.Rösner.

1.3.3. Aktin-Zytoskelettdynamik motiler Zellen

In migrierenden Zellen scheint neben den Aktin-Myosin-Interaktionen dieDynamik der F-Aktin Polymerisation und Depolymerisation wichtig zu sein.Bei der Zell-Migration handelt es sich um einen sehr komplexen Vorgang,für den die Ausbildung des Zellkortex unter der Plasmamembranverantwortlich ist. Hierbei sind vor allem drei unterschiedliche

Mechanismen beteiligt:1) Die Ausbildung von Fortsätzen (Lamellipodien und Filopodien);2) Der retrograde Aktinfluss;3) Die Anheftung an die extrazelluläre Matrix.

In der wandernden Zelle wird durch Polymerisation von Aktin ein Leitsaumgebildet. Unterschiedliche Zellen bilden dabei unterschiedliche

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vorgestülpte Strukturen. Dazu gehören die Filopodien, Lamellipodien(Abb.1, B) und die Pseudopodien. Die Lamellipodien enthalten zumBeispiel nahezu die gesamte für die Zellbewegung nötige Maschinerie.Dabei handelt es sich um zweidimensionale, blattähnliche Strukturen. Siewerden hauptsächlich von Epithelzellen, Mesenchymzellen, Fibroblastensowie von wandernden Neuralleistenzellen ausgebildet.

1.3.3.1. Lamellipodienausbildung

Der in den Lamellipodien stattfindenden Filamentpolymerisation geht diesogenannte Keimbildung voraus. An der Frontseite, dem Leitsaum der

sich bewegenden Zelle, werden Nukleations-Promotions-Faktoren, wie dieProteine der WASP-Familie (Wiskott-Aldrich-Syndrom-Protein) überSignalwege aktiviert. Diese aktivieren den Nukleationsaktivator Arp2/3(Aktin verwandte Proteinkomplexe 2 + 3 und fünf weitere Polypeptide mit50% Sequenzhomologie zu Aktin) und führen dem positiven FilamentendeAktinmonomere zu (Winder et al, 2005). Der Arp2/3 Komplex kann sichwährend der Polymerisation seitlich an andere Aktinfilamente anlagern.Dabei entstehen Verästelungen individueller Filamente, was in dieserRegion des Zytoplasmas zu einem dichten Aktinfilamentnetzwerk führt(Alberts et al., 2002; Pollard and Borisy, 2003).Die positiven Enden der Aktinfilamente sind in Richtung derZellbewegung ausgerichtet, die negativen Enden weisen in Richtung desZellkerns (Bray, 2001). Das sich ausdehnende Filamentgeflecht bedingtschließlich die Verschiebung der Plasmamembran in Bewegungsrichtung.

1.3.3.2. Retrograder Aktinfluss

Die Lamellipodien besitzen unabhängig von der Bewegungsrichtung einekonstante Saumdicke. Diese kann durch den regulierten Aktinturnover

erklärt werden. Neben den verzweigten Aktinfilamentstrukturen desLamellipodiums gibt es in der sich bewegenden Zelle weitere lineare

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Aktinfilamente. Beide Aktinpolymere haben Kontakt zu Myosin IIKomponenten. Diese erzeugen einen retrograden Aktinfilamentfluss(Cramer et al., 1997). Deshalb zeigen die meisten Lamellipodien eineKombination aus einer nach vorne gerichteten, durch Aktinpolymerisationbetriebene Ausstülpung und einem nach hinten gerichteten Aktinfluss(Retrograder Aktinfluss). Bei letzterem bewegt sich das gesamteAktinnetzwerk rückwärts zum Zellkörper und wird abgebaut.Die Aktinfilamentverästelungen depolymerisieren und liefern den Rohstofffür neue Filamente (Bray, 2001; Alberts et al. 2004).

1.3.3.3. Zell-Matrix-Interaktionen

In den Lamellipodien bilden sich Aktin-Myosin I Filament enthaltendeAdhäsionsproteinkomplexe, die über Integrine (durch die Membranreichende heterodimere Adhäsionsproteine) mit der extrazellulären Matrixverbunden sind. Die Zelle ist damit in der Lage, die für die Bewegungerforderlichen Zugkräfte auf die Unterlage, an die sie gebunden ist,auszuüben. Während sich die Zelle über sie hinwegbewegt, bleiben dieAdhäsionskonstrukte bestehen. Kriecht die Zelle vorwärts, entstehen ander Vorderseite neue Fokalkontakte. Die alten Kontakte an derZellrückseite werden abgebaut. In ähnlicher Weise werden Zugkräfte fürdie Zellmigration durch bivalente Brücken aus Myosin II undAktinfilamenten, die ihrerseits mit der extrazellulären Matrix verknüpft sind,erzeugt.

1.3.4. Regulationsmechanismen der Zytoskelettdynamik

Diese Interaktionen müssen vor allem in embryonalen Zusammenhängenkoordiniert werden.

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1.3.4.1. Regulation durch Wnt-Signalwege

Die Regulation der konvergenten Extensionsbewegungen wird denProteinen der Wnt-Familie zugesprochen. In Säugerzellen sind bisher 18Wnt-Proteine bekannt (Venter et al., 2001), die man in zwei Klassenunterteilen kann. Die Wnt-Proteine interagieren alle mit den FrizzledZelloberflächenrezeptoren. Der Aktivierung durch Frizzled folgenintrazellulär drei verschiedene Signalkaskaden.

Abb.2. Die drei Wnt-Signalwege (Details siehe Text).

Der kanonische Wnt-SignalwegDie Mitglieder der Wnt 1/Wg Gruppe (Wnt 1, 3a, 8a und 8b) sind in derLage nach ventraler Missexpression in Xenopus laevis eine zweite Achsezu bilden und die Zelladhäsion zu verstärken. Die Proteine dieser Wnt-Familie stabilisieren das bifunktionelle β-Catenin (Abb.2). Normalerweise

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befindet sich β-Catenin in der Nähe der Plasmamembran. Dort ist es

assoziiert mit Cadherinen und dem Aktin-Zytoskelett. Seine Interaktionenmit Cadherinen stehen in Verbindung mit der α-Catenin Isoform. Durch

diese Interaktionen verstärkt sich die Cadherin-vermittelte Adhäsionwesentlich. Die Interaktionen von β-Catenin mit dem Aktin-Zytoskelett

stehen in Verbindung mit α Aktinin. Diese Interaktionen sind für die

Koordination des Aktin-Zytoskeletts wichtig. Wird β-Catenin über Dsh

stabilisiert gelangt es in den Kern. Dort bildet es zusammen mit den Co-Transkriptionsfaktoren Lefs/TcFs (Lymphocyte enhancer factors/ TcellFactors) einen Transkriptionsfaktorkomplex.

Der planare Wnt-Signalweg Die Proteine des planaren Zellpolarisations-Signalwegs (PCP) regulierendie konvergenten Extensionsbewegungen. Die mediolateralenInterkalationen der mesodermalen Zellen sind ein wesentlicherBestandteil der konvergenten Extensionsbewegungen während wichtigerEntwicklungsprozesse der Vertebraten. Diese werden durch diepolarisierte Aktivität ihrer Fortsatzbildung vorangetrieben. Die Polaritätwird über den planaren Zellpolarisations-Signalweg (PCP) kontrolliert(Adler, 2002; Knust et al., 2002). Dafür spricht, dass viele der in diekonvergente Extension involvierten Gene denen des PCP in Drosophilahomolog sind. (Der PCP wurde zunächst in Drosophila nachgewiesen).Dort kontrolliert diese Kaskade die einheitliche Orientierung von Borstenauf der Körperoberfläche der Fliege. Weiterhin sind sechs Kern-Proteineinvolviert: Frizzled, Disheveled, Flamingo, Diego, Strabismus und Prickle(Klein et al., 2005; Tree et al., 2002; Adler et al., 2002).

In den Vertebraten ist das sekretierte Protein Wnt 11 als Ligand vonFrizzled 7 (Fz7, Zelloberflächenrezeptor) für die konvergente Extensionwichtig. Wnt 11 wird im sich ausdehnenden Mesoderm von Xenopusexprimiert. Sowohl Wnt 11 als auch Wnt 5a sind möglicherweise an derRegulation der Zellinterkalation während der konvergenten Extension des

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Notochords beteiligt. Das Wnt 11/Fz7/Dsh Signal kann die konvergentenExtensionsbewegungen möglicherweise über die Aktivität des PCP oderdes Wnt/Ca2+-Signalwegs beeinflussen (Medina and Steinbeisser, 2000;Medina et al., 2000). Studien in Xenopus belegten, dass die Wnt/Fz-Signale das Zytoskelettregulationsprotein Rho mit Hilfe von Dishevelled(Dsh, Protein im Zytosol) und einer direkten Interaktion von Dishevelledmit dem Gerüstprotein Daam1 (Dishevelled-assoziierter Aktivator derMorphogenese) aktivieren kann (Abb.2; Habas et al., 2003). Die Rho-GTPase aktiviert die Protein-Kinasen ROCK (Rho assoziierte Kinase), diewiederum die Funktion einer mit den Myosin-Leichtketten interagierenden

Phosphatase inhibiert. Als Folge erhöht sich die Myosin-Leichtketten-Phosphorylierung und damit die kontraktile Myosinaktivität in der Zelle.Dies führt wiederum zur Bündelung von Aktin- und Myosin II Filamentenund zur Ausbildung von Stressfasern (Winter et al., 2001; Katoh et al.,2001). Außerdem bewirkt Rho-GTP die Komplexierung von Integrinen mitanderen Hilfsproteinen für die Bildung fokaler Kontakte (Alberts et al.,2002). Eine Wnt/Frizzled stimulierte Rho/ROCK Signalkaskade währendder konvergenten Extension könnte die für die Veränderung derZellmorphologie notwendige mediolaterale Kontraktion erzeugen.Zudem wird durch die Rho-GTPase im Randbereich der motilen ZellenRac, eine weitere GTPase aktiviert. Rac-GTP kann über bestimmteMitglieder der WASP-Familie den Arp2/3 Komplex aktivieren und diebeschleunigte Aktinfilamentpolymerisierung, bzw. Ausbildung vonLamellipodien bewirken. Bei den Rac-GTP Zielproteinen handelt es sichum die sogenannten WAVE-Proteine (WASP-Verprolin homologeProteine; Stradal et al., 2004). Die Bindung von Rac-GTP an WAVEerfolgt nicht direkt. Einem aus Nervenzellen isolierter Komplex aus denvier Proteinen Sra 1 (Specifically Rac associated Protein 1), Nap1 (Nckassociated Protein 1), Abi-2 (Ab1 interactor-2) und WAVE1 wird hierbeieine Rolle zugeschrieben (Eden, et al., 2002). Die moderate

Konzentration von Rac bewirkt die Bildung von Lamellipodien in deninterkalierenden Zellen während den konvergenten

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Extensionsbewegungen (Pankov et al., 2005). Dabei könnte die GTPasemöglicherweise durch die radiale Spannung, die die Zelle erfährt, aktiviertwerden (Keller et al., 2002).

Wnt /Ca2+-SignalwegDie Proteine der Wnt 5a-Gruppe (Wnt 4, Wnt 5a und Wnt 11) sind nicht inder Lage, in Xenopus laevis eine sekundäre Achse zu induzieren. Wnt 5aaktiviert mit der Bindung an Fzl den sogenannten Wnt/Ca2+--Signalweg.Dieser Wnt-Signalweg verläuft unabhängig von dem Protein Dsh undbeeinflusst über die verminderte Ca 2+ abhängige Zelladhäsion die

konvergenten Extensionsbewegungen während der embryonalenEntwicklung, sowie die Gewebetrennung in Xenopus (Torres et al., 1996;Kühl et al., 2000; Winklbauer et al., 2001).Die Proteine des Wnt/Ca2+-Signalwegs antagonisieren die Funktion derWnt 1 Klasse (Torres et al., 1996). So können die Mitglieder beider Wnt-Gruppen auf verschiedene Weise die konvergentenExtensionsbewegungen beeinflussen.Im Wnt/Ca2+-Signalweg führt die Bindung der Wnt-Liganden an denMembranrezeptor Fzl in Abhängigkeit eines G-Proteins zur intrazellulärenCa 2+ Ausschüttung und zur Aktivierung der Protein-Kinase C (Slusarski etal., 1997; Sheldahl et al., 1999) und der Ca 2+/Calmodulin abhängigenKinase II (CamK II; Kühl et al., 2000). Unterhalb der Protein-Kinasen wirddie GTPase Cdc42 aktiviert (Choi et al., 2002). Als Zielproteine der Cdc42konnten die Mitglieder der Familie der WASP-Proteine identifiziert werden.WASP und N-WASP (neurale Form des Proteins) können über ihrezentrale GTPase bindende Domäne (GBD) direkt an Cdc42 binden(Stradal et al., 2004). In Verbindung mit Cdc42 verbleiben die Proteine ineinem aktivierten, entfalteten Zustand und sind in der Lage an den Arp-Komplex zu binden, was dessen Keimbildungsfähigkeit, den zeitlichbegrenzenden Faktor der Polymerisation wesentlich erhöht (s. Abb.2).

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1.3.4.2. Kontrolle durch regulative Proteine

Die Aktindynamik wird letztlich durch Aktinbinde- undStabilisierungsproteinen reguliert. Diese Kontrolle kann während derPolymerisation der Filamente oder auf Ebene der Aktinfilamente zumBeispiel bei deren Bündelung erfolgen.

Regulation der AktinpolymerisationMit den Aktinmonomeren verbundene Proteine erleichtern zum Beispielden Nukleotidaustausch (Profilin und CAP), versorgen die

Filamentbildungsstellen mit Aktinmonomeren (Twinfilin, Srv2CAP, Profilin,WASP) und dienen als Nukleationsstartpunkte (Arp2/3 und Formin).Andere Proteine wie die Cappingproteine Gelsolin und Tensin wiederumkontrollieren die Anlagerung weiterer Aktinmonomere an das positiveEnde des Filaments und kontrollieren somit dessen Länge (Winder et al.,2005).

Regulation der Aktinfilamentdynamik- und interaktionNeben den Regulationsproteinen, die im Rahmen der Aktinfilamentbildungbzw. der Aktindepolymerisation wirksam sind, gibt es Bindeproteine, diemit dem Aktinfilament interagieren. Je nach Bewegungszustand sind dieseAktinfilamente hauptsächlich als Bündel (Stressfasern) oder alsgespinstartige (gelartige) Netzwerke vorhanden. AlleAktinfilamentbindeproteine besitzen mindestens eine Aktinbindedomäne(Winder et al., 2005; Burtnick et al., 2004). Proteine, welche zweiAktinbindestellen für F-Aktin besitzen, können Verbindungen mit zweiUntereinheiten innerhalb eines einzelnen Filaments oder zwischen zweibenachbarten Aktinfilamenten bilden. Im letzteren Fall werden dieFilamente gebündelt oder quervernetzt (crosslinking). Der Unterschiedzwischen dem Bündeln und dem Crosslinking selbst ist nicht groß. Er

hängt von der Länge des Proteinabschnitts zwischen denAktinbindedomänen und der Stärke der Bindung ab. Das

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Aktinbindeprotein Fimbrin zum Beispiel besitzt als kleiner Quervernetzerzwei Aktinbindedomänen in geringem Abstand auf einer einzigenPolypeptidkette. In den Filopodien bildet Fimbrin dicht gepackte paralleleAktinfilamentbündel aus 20-30 Filamenten. Diese sehr engeAktinfilamentpackung schließt Myosin II aus. Deshalb sind Filopodien nichtkontraktil. In Lamellipodien verbindet das Aktinbindeprotein Filamin jeweilszwei Aktinfilamente im Winkel von 90° miteinander. Dabei entsteht ein

sehr visköses Filamentgel (Bray, 2001).Neben den Hilfsproteinen, welche die Aktinfilamente quervernetzen,unterscheidet man die stabilisierenden Proteine. Diese lagern sich seitlichlinear an das Aktinfilament an und verhindern so dessen Depolymerisationund die Interaktionen mit anderen Bindepartnern. Zu diesen flankierendenund stabilisierenden Proteinen gehören zum Beispiel Adducin,Caldesmon, Nebuline, Tropomyosin und Calponin (Winder et al., 2005).

1.4. Calponin

Die Proteine der Calponin-Familie besitzen zwei Aktinbindedomänen mitunterschiedlicher Aktivität und können in Abhängigkeit von derIonenstärke an eine oder zwei Aktinuntereinheiten binden (Hodgkinson etal., 1997). Bei einem ausgeglichenen Verhältnis beider Reaktionspartner,

binden die Calponin-Proteine zunächst zufällig und orientieren sichanschließend peripher über die Länge von drei Aktinmonomeren entlangder Aktinfilamente an. Dies bewirkt eine Blockade der Aktinmonomerendurch sterische oder andere repulsive Kräfte (Leinweber et al., 1999;Stafford et al., 1995).Liegt ein hohes Mengenverhältnis von Calponin-Proteinen gegenüber demfilamentösen Aktin vor, dominiert die transversale Bindung, was dieBündelung der Aktinfilamente begünstigt. (Kolakowski et al., 2002;Kolakowsky et al., 1995). Dabei scheint Calponin das Aktinfilament zustabilisieren, indem es durch seine Bindung die Anlagerung undAktivierung von depolymerisierenden Proteinen verhindert. Der

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stabilisierende Mechanismus lässt sich möglicherweise mit den subtilenVeränderungen der dreidimensionalen Struktur der an Calponingebundenen Aktinfilamente erklären (Gimona et al., 2003). Auch dasAktinfilament vermittelt über die Bindung Konformationsveränderungeninnerhalb der C-terminalen Domäne der Calponin-Proteine (Bartegi et al.,1999).

Abb.3 Das Calponin-Protein mit seinen funktionellen DomänenDer N-terminalen CH Domäne (Calponin Homologie Domäne) (grau) folgt die ersteAktinbindedomäne (ABD 1, blau) mit hoher Affinität, die zweite Aktinbindedomäne (ABD2, gelb) aus einem sich dreimal wiederholenden Modul von 23-29 Aminosäurenbestehend und das C-terminale Ende (rot).

Es gibt drei von verschiedenen Genen codierte Calponin-Proteine. Ihre N-terminalen Proteinsequenzen, die zwei Drittel des gesamten Proteinsausmachen, sind evolutionär hoch konserviert. Sie differieren allerdings inerheblichem Maße in ihren C-terminalen Aminosäurenfolgen, was sie zuKandidaten unterschiedlicher biologischer Aktivitäten macht (Gimona andSmall, 1996; Morgan et al., 1999). Anhand ihrer verschiedenenisoelektrischen Punkte bezeichnet man die Proteine als basischesCalponin (Calponin 1), neutrales Calponin (Calponin 2) und sauresCalponin (Calponin 3; Takahashi and Nadal-Ginard, 1991; Strasser et al.,1993; Applegate et al., 1994; Maguchi et al., 1995).

1.4.1. Funktionelle Domänen der Calponin-Proteine

Die CH DomäneDie Calponin Homologie Domäne (CH Domäne) befindet sich in der N-terminalen Region des Proteins. In den Calponinen hat diese Domänekeinen Einfluss auf die Bindung an das filamentöse Aktin (Gimona et al.,1998, 2002). In anderen Aktin-Crosslinking- oder Bündelproteinen wie

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zum Beispiel α Aktinin oder Filamin dienen mehrerer dieser Module als

Aktinbindedomäne.

Morgan et al. (1999) postulierten eine alternative Funktion der CHDomäne im Calponin-Protein. Sie zeigten eine direkte physikalischeInteraktion der CH Domänen von Calponin und α Aktinin mit den MAP

(Mitogen Aktivated Protein) Kinase Signalmolekülen ERK1 (extrazelluläreSignal-regulierte Kinase) und ERK2. Zudem diente das Calponin-Proteinin vitro als ein Substrat der Protein-Kinase C (PKC) und erfüllt dieseFunktion möglicherweise auch in vivo (Winder et al., 1998). Damit könnteCalponin als ein Adapterprotein zwischen den Signalwegen der PKC undder ERK-Kaskaden fungieren (Menice et al. 1997; Leinweber et al.,1999). Diese einzelne CH Domäne findet sich auch in anderen

regulatorischen Molekülen, wie den Proteinen der Familie der Ras-GTPasen, die essentiell für Signaltransduktionen sind. Dazu gehörenzum Beispiel das Vav-Proto-Oncogenprodukt und IQGAP1 (Castresanaet al., 1995). Zudem fungiert Calponin als ein direktes Zielprotein derRho-assoziierten Kinase (ROCK), die in die Regulation von auf Aktin-Myosin basierender Kontraktion in Glattmuskelzellen undNichtmuskelzellen involviert ist (Kaneko et al., 2000).

Die Aktinbindedomänen (ABD)Calponin-Proteine besitzen zwei voneinander unabhängige Aktinbinde-domänen. Die starke (mit hoher Affinität) Aktinbindedomäne 1 vonCalponin 1 und 3 umfasst die Aminosäurenreste 145-163 und ist in dieInhibition der Aktin-Myosin ATPase-Aktivität involviert (El-Mezgueldi,1996; Kolakowski et al., 1995). Eine weitere Aktinbindedomäne in der C-terminalen Hälfte von Calponin 1, 2 und 3 mit geringerer Affinität bestehtaus drei aufeinander folgenden Kopien von 23-29 Aminosäuren (Gimonaand Mital, 1998; Danninger and Gimona, 2000; Kranewitter et al., 2001).Sie wird Clik (Calponin-like repeat) genannt (Burgstaller et al., 2002) undbesteht bei dem menschlichen Calponin h1 aus den Aminosäurefolgen

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164-192, 204-232 und 243-271. Diese Domäne ist für die Stabilisierungund Bildung von Aktinfilamentbündeln verantwortlich (Kolakowski et al.,1995).

Die C-terminale EndregionDie Aminosäuresequenzen der verschiedenen Calponin-Proteineunterscheiden sich hauptsächlich in der C-terminalen Endregion ab derAminosäure Cys 273. Die Längen und die Anzahl der negativ geladenenAminosäurereste dieser C-terminalen Endsequenzen der Calponin-Proteine sind verschieden. Von dieser terminalen Sequenz wird vermutet,

dass sie regulatorische Eigenschaften auf die Funktion des Proteins hat.Dazu zählen die Interaktionen mit Aktin und mit anderen intrazellulärenLiganden (Bartegi et al., 1999).

1.4.2. Verschiedene Calponinvarianten

Calponin 1 (basisches Calponin)Calponin 1 ist ein für glatte Muskelzellen spezifisches Protein. ImKaumagen des Huhns wurden zwei Isoformen von Calponin h1 isoliert,Calponin α und Calponin β (Draeger et al., 1991). Beide werden

posttranskriptional durch alternatives Splicen modifiziert (Itoh et al., 1995).Calponin 1 interagiert unter anderem mit der β Aktin Isoform

(zytoplasmatisches Aktin), der γ Aktin Isoform (kontraktiles Aktin) und mit

Desmin (Takeuchi et al., 1991; Walsh et al., 1993; North et al., 1994). Das

Protein wurde im zentralen Bereich der Aktinstressfasern vonGlattmuskelzellen und Fibroblasten nachgewiesen (Danninger et al., 2000;Gimona et al., 1990; Walsh et al., 1993; North et al., 1994). Auf dieseWeise war das menschliche Calponin h1 in der Lage dieAktinfilamentbündel sehr effektiv zu stabilisieren und derenDepolymerisation selbst durch toxische Agenzien wie Cytochalasin undLatrunculin zu verhindern (Danninger et al., 2000). Mit Wundheilungs-experimenten zeigten Danninger et al., 2000, dass die Expression von

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Calponin h1 in transfizierten NIH 3T3 Fibroblasten der Maus die globaleZellbewegung reduzieren kann. Außerdem ist Calponin 1 möglicherweisefür die Regulation des Kontraktion-Relaxationszyklus mitverantwortlich(Walsh et al., 1993; North et al., 1994).In in vitro Bewegungsexperimenten war Calponin h1 in der Lage, dieAktin- aktivierte Myosin MgATPase-Aktivität zu inhibieren und dieAktinfilamentbewegung dosisabhängig um bis zu 80% zu vermindern(Shirinsky et al., 1992; Haeberle et al., 1994; El-Mezgueldi et al., 1996).Im Organismus spielt Calponin 1 eine Schlüsselrolle bei der Stabilisierungder strukturellen Integrität von Blutgefäßen. So waren die Blutgefäße von

Mäusen, denen das Glattmuskel-spezifische Calponin fehlte, fragil(Taniguchi et al., 2001). Calponin 1 gilt als sehr sensitiver Marker vonmyoepithelialer Zelldifferenzierung in Katze und Hund und vonmenschlichem Brustgewebe und Tumoren (Mulas et al., 2004; Fukui et al.,1997).

In den Glattmuskelzellen sind die Aktin-Myosinfilamente nicht regelmäßigzu Myofibrillen angeordnet. Sie liegen vielmehr bündelweise kreuz undquer verteilt vor. Diese Bündel sind an Verdichtungen (dense bodies) desIntermediärfilament-Zytoskeletts, sowie über fokale Verbindungen mit derPlasmamembran verankert. Die hauptsächliche Regulation der Glatt-muskelkontraktion erfolgt durch Ca2+ /Calmodulin abhängigePhosphorylierung der Myosin-Leichtketten. Diese aktiviert die Aktin-Myosin MgATPase (Hartshorne et al., 1987; Somlyo et al., 1994). DieGlattmuskelzellen kontrahieren vergleichsweise langsam, aber siebesitzen eine größere Vielfalt an Steuerungsmechanismen alsquergestreifte Muskeln. Die Glattmuskelzellen finden sich vor allem in derWand von Hohlorganen, wie den Blutgefäßen oder dem Verdauungstrakt.Die Affinität der Aktinisoformen der Glattmuskelzellen gegenüber demCalponin-Protein ist um das 10-fache höher als die der Nicht-Muskel-

Aktin-Isoformen (Sutherland et al., 1990).

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Calponin 2 (neutrales Calponin)Calponin 2 spielt möglicherweise bei der Organisation des Aktin-Zytoskeletts von Nichtmuskelzellen eine Rolle (Fukui et al., 1997). Hierwurde Calponin h2 in signifikanten Mengen in Verbindung mit dem nichtkontraktilen Aktin-Zytoskelett nachgewiesen (North et al., 1994; Parker etal., 1998). Das Genexpressionsmuster in Vertebraten und dieAktivitätsregulation von Calponin h2, lässt eine Funktion des Proteins beider Organbildung, dem physiologischen Wachstum und demRemodulieren von Geweben vermuten (Hossain et al., 2003).Untersuchungen auf Zellebene ergaben, dass Calponin h2 im Gegensatz

zu Calponin h1 hauptsächlich in den motilen Fortsätzen in der Peripherievon sich bewegenden Zellen, sowie in den Membran-verankerungsbereichen am Ende der Aktinstressfasern zu finden ist.Calponin h2 war folglich nicht in der Lage das Aktin-Zytoskelett gegen diedepolymerisierende Wirkung toxischer Agenzien zu stabilisieren(Danninger and Gimona, 2000). Vielmehr wurde dem Protein eine wichtigeRolle bei der Migration von beispielsweise Endothelzellen und damit beider korrekten vasculären Entwicklung zugesprochen (Tang et al., 2006).Fukui et al. (1997), wiesen Calponin h2 in kultivierten menschlichenKeratinozyten nach. Kultivierte Keratinozyten gelten als wichtige in vitroModelle für die Studien der Regulation epidermaler Differenzierung (Boyceet al., 1983; O´Keefe et al., 1987; Green et al., 1987). Außerdem fand sichdas Protein in den Verbindungselementen zwischen benachbartenCardiomyozyten (Masuda et al., 1996).

Calponin 3 (saures Calponin)Das saure Calponin erhält seinen Charakter durch eine Folge von 57Aminosäuren in der C-terminalen Region und lässt sich in glattenMuskelzellen und in nicht muskulären Zellen nachweisen (Takahashi etal., 1991; Strasser et al., 1993). So fand man saures Calponin in

Neuronen während der frühen Embryonalentwicklung und in Gehirn,Lunge, Aorta, Niere, Darm und Magen der adulten Ratte (Plantier et al.,

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1999; Ferhat et al., 1996; Trabelsi-Terzidis et al., 1995). Dem saurenCalponin wird als neuronalem Generator die Kontrolle derNeuritenbildung und deren Verästelung, sowie der neuronalenRegeneration zugesprochen (Ferhat et al., 1996). Durch dieÜberexpression von saurem Calponin in nicht neuronalen Zellen ließ sichdie Ausbildung von Fortsätzen induzieren (Ferhat et al., 2001).

1.4.3. Funktion und Regulation der Calponin-Proteine

Calponin 1 und Calponin 3 sind in der Lage durch die Bindung anfilamentöses Aktin oder F-Aktin-Tropomyosin die durch Aktin aktivierte

MgATPase-Aktivität des phosphorylierten Glattmuskel-Myosins in vitro zuinhibieren (Winder et al., 1990; Abe et al., 1990). Möglicherweise führendie von dem jeweils gebundenen Calponin-Protein induzierten,strukturellen Veränderungen des Aktinfilaments zu einer Reduktion desCrossbridgecyclings und damit zur Inhibition der Aktin-Myosin ATPase-Aktivität (Kolakowski et al., 2002). Die Proteine könnten direkt denÜbergang von der leichten (Aktin-Myosin-ADP• Pi ) zur festen (Aktin-Myosin-ADP) Bindung der Myosinköpfchen an das Aktinfilamentverhindern (EL-Mezgueldi and Marston, 1996). Myosin selbst besitztBindestellen für Calponin (Szymanski et al., 1997). DieCalponinbinderegion befindet sich in den Bereichen des Subfragments 2(S2) und der LMM (Leicht Mero Myosin) des Myosin (Szymanski et al.,1997).Mit seinen Aminosäuren 146-182 bildet das Calponin h1-Protein dieBindedomäne für Myosin (Szymanski et al., 1997).Man geht davon aus, dass Calponin simultan mit Aktin und Myosininteragieren kann (Haeberle et al., 1994). Die Inhibition durch Calponinveränderte sich in Abhängigkeit der Ionenkonzentration. Mitzunehmender Ionenkonzentration, verringerte sich der inhibierende Effektvon Calponin (EL-Mezgueldi et al., 1996). Zudem vermögen Calponin 1

und 3 durch die lineare Bindung entlang des Aktinfilaments dieses zustabilisieren und dessen Depolymerisation zu verhindern. Es zeigte sich,

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dass Zellen, die Calponin überexprimierten, mehr stabile Aktinfilamentebesaßen (Ferhat et al., 2001). Calponin ist in bezug auf seine Regulationder Aktin-Myosin-Interaktionen in der Lage, auf das Aktin-Zytoskelett derZelle einzuwirken. Es ist somit involviert in Koordinationsveränderungender Zellgestalt. Zusammen mit dem intrazellulären molekularen Transportsind diese Veränderungen ein notwendiger Schritt zum Beispiel bei derCytokinese und der Zellbewegung (Han et al., 1993).

In in vitro Studien zeigte es sich, dass die Aktinbindefähigkeiten desCalponins wahrscheinlich hauptsächlich durch zwei Mechanismen

beeinflusst werden. Dabei handelt es sich zunächst um die Interaktionendes Proteins mit Ca2+-Bindeproteinen, wie Calmodulin (Gimona et al.,1996) oder S100b (Fuji et al., 1994). Daneben wird das Protein durchreversible Phosphorylierung spezifischer Serin- und Threoninreste inseinen regulatorischen Domänen durch Protein-Kinase C oder dieCa2+/ Calmodulin abhängige Protein-Kinase II kontrolliert (Nakamura et al.,1993; Winder et al., 1993; Tang et al., 1996). Wurden die entsprechendenAminosäuren des Calponins phosphoryliert, löste sich das Protein vondem filamentösen Aktin und verlor damit seine inhibitorische Aktivität(Winder et al., 1990).

1.5. Ziel der Arbeit und Fragestellung

In der vorliegenden Arbeit sollte die Funktion der drei Proteine derCalponin-Familie während der Entwicklung von Xenopus laevis überprüftwerden. Wichtige embryonale Entwicklungsstadien wie die Gastrulationoder Neurulation, basieren auf regulierter und polarisierter Zellgestaltungund Zellbewegung. Die während dieser Prozesse ablaufendenpolarisierten Interkalationsbewegungen werden über die Signale derverschiedenen Wnt-Signalkaskaden reguliert. Letztlich das Aktin-

Zytoskelett modulierende Effektoren dieser Signalwege sind nur zum Teilbekannt. Bisher vor allem in Zellkulturexperimenten ermittelte

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Eigenschaften der Calponine und deren Expressionsmuster machtendiese Proteine zu interessanten Kandidaten der Regulation derZytoskelettmotorik und der damit verbundenen Dynamik von Zellen.Bislang wurden Studien über die Funktion von Calponin 1 in Mäusen(Yamamura et al., 2007; Matthew et al., 2000; Takahashi et al., 2000),von Calponin 2 in bezug auf die vasculäre Entwicklung im Zebrafisch(Tang et al., 2006) und XclpH3 als Zielgen des Transkriptionsfaktors Otx2während der frühen Entwicklungsstadien von Xenopus laevis (Morgan etal., 1999) durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Experimente und dieExpressionsmuster der Gene erlaubten erste Hinweise auf die

Interaktionen von Calponin-Proteinen mit dem Aktin-Zytoskelett in derEntwicklung von Wirbeltieren. Anhand des Modellorganismus Xenopuslaevis sollte die Beteiligung von Calponin 1, 2 und 3 anBewegungsprozessen und morphologischen Veränderungen der Zellen,vor allem während der konvergenten Extensionsbewegungen derGastrulation, Neurulation und Organentwicklung untersucht werden.Zu klären galt es, ob es sich bei den Calponin-Proteinen um Effektorender Signalwege handelte, welche die wesentlichen Entwicklungsstadienkontrollieren. Hierzu wurden neben Calponin 2 auch Calponin 1 und 3 inXenopus laevis kloniert. Mit Hilfe der in situ Detektion sind Nachweise derExpressionsmuster der drei Gene möglich. Nach der Identifizierung derCalponin- transkribierenden Gewebe sollten zusätzlich zu diesendeskriptiven Analysen funktionelle Experimente zur Aufklärung derFunktion von Calponin 1, 2 und 3 beitragen.Durch die Überexpression der drei Calponine wurden Veränderungen beider Zellwanderung und damit der konvergenten Extension, derZelladhäsion, der morphologischen Dynamik der Zellen und derZellproliferation erwartet. Während der entscheidendenEntwicklungsstadien hätten diese Manipulationen auf Ebene derZytoskelettregulation zu einer Veränderung des Phänotyps von Xenopuslaevis führen sollen.

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Ziel der Arbeit war somit, die bislang in erster Linie aus Zellkultur-Experimenten erhaltenen funktionellen Daten in einem in vivo Modell zuvalidieren.