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Tasso Borbe

Kritik der marxistischen Sprachtheorie N.Ja. Marius

Scriptor Verlag GmbH Kronberg Ts.

1974

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

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Xasso Borbe Einleitung: Zur Kritik an der Lehre Marr's Bibliographie 5 17

Vladimir P. Nazarov Der gegenwrtige Stand der Erforschung der kaukasischen Sprachen Bibliographie

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Sikolaj Ja. Marr Vorwort zur bersetzung Die japhetitische Theorie. Allgemeiner Kurs der Lehre von der Sprache Anmerkungen 65

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VORWORT

Nikolaj Jakovlevic MARR (1864-1934) war ein hervorragender Spezialist fr die Sprachen des Kaukasus, zugleich war er Sprachtheoretiker und Begrnder der marxistischen Sprachwissenschaft. 1950 wurden seine Werke konfisziert, seine treuen Schler wurden zum Schweigen verurteilt. Seit einigen Jahren beginnt man wieder zunehmend, sich mit den Marristen zu beschftigen, in der UdSSR, vereinzelt auch in Westeuropa. Den Grund dafr drckte der franzsische Philosoph Etienne Balibar treffend so aus: "Die linguistische Literatur jener Periode kann nicht vllig verworfen werden. In ihrem Bestreben "sozial" zu sein, haben die Sprachwissenschaftler der Schule von MARR (die ihrem Lehrer nicht immer in allem folgten) Beitrge geliefert, die, mit der notwendigen Kritik versehen, heute noch brauchbar sind." Der vorliegende Band macht dem deutschsprachigen Leser erstmals eine der wichtigsten Arbeiten von Marr zugnglich: seine programmatische Vorlesung an der Universitt Baku aus dem Jahre 1927. In der Einleitung versucht der Herausgeber, quasi in Stichworten auf Marrs wichtigste Ideen hinweisend, eine Anregung zur selbstndigen kritischen Auseinandersetzung mit Marr zu geben. Zu diesem Zweck wurde der Einleitung eine ausgewhlte Bibliographie angehngt. Die Bedeutung Marrs fr die Erforschung der kaukasischen Sprachen und deren gegenwrtigen Stand beschreibt der Aufsatz (mit Bibliographie) von V. P. NAZAROV. Ich mchte an dieser Stelle Herrn Professor Nazarov (The Hebrew University of Jerusalem) herzlich fr die Bereitstellung des Originalmanuskripts danken. Ntzliche Hinweise erhielt ich von den Herren Professoren Adam Schaff und Wolfgang Dressler. An den Ubersetzungen aus dem Russischen haben

meine Kollegen Dr. Rudolf Preinerstorfer (Marr) und Dr. Gero Fischer (Nazarov) einen groen Anteil. Ihnen allen mchte ich herzlich danken.

Wien, 1974

Tasso Borbe

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Tasso Borbe EINLEITUNG: ZUR KRITIK AN DER LEHRE MARR's I. Die Lehren N. Ja. Marrs in all ihren Einzelheiten und in all ihren Entwicklungsetappen kritisch zu durchleuchten, wrde den hier gegebenen Rahmen bei weitem sprengen. Zunchst hatte sich Marr dem Studium des Georgischen gewidmet und hatte, berzeugt vom Gedanken an die Ureinheit jeglicher Kultur, versucht, die Verwandtschaft des Georgischen mit den semitischen und hamitischen Sprachgruppen nachzuweisen. 1908 entdeckte er indes die Zusammenhnge zwischen den Sprachen des Kaukasus und er wandte auf die "kaukasische Sprachfamilie" die Substrattheorie Ascolis an: das Kaukasische sei die Ursprache Europas, sei also lter als die semitisch-hamitische und die indogermanische Gruppe In Anlehnung an den Namen des Japhet, Bruders von Sem und Ham und einer der biblischen Stammvter der nachsintflutlichen Menschheit, nannte er zunchst den "uralten" Sprachstamm, dann auch seine Theorie "japhetitisch". Obwohl er in seine Untersuchungen bald ber den kleinasiatischen Raum hinaus auch Sprachen Indiens und Chinas miteinbezog und andererseits zunehmend mit der Frage nach der Entstehung und Entwicklung der Sprache Uberhaupt beschftigt war, blieb der Terminus "japhetitisch" Kennzeichnung seiner Theorie. Der mitunter auftauchende Begriff "Neue Lehre von der Sprache", besonders von Marrs Schlern gebraucht, scheint angebrachter, da es sich bei seiner Theorie lngst nicht mehr nur um eine Theorie der japhetitischen Sprachen handelte, sie war gleichzeitig eine allgemeine Sprachtheorie. Ab 1920 versuchte Marr, seine Sprachtheorie mit dem dialektischen und dem historischen Materialismus in Einklang zu bringen. Unter Vorbehalt - wie wir sehen werden - kann er auch der Begrnder der marxistischen Sprachwissenschaft genannt werden. Versuchen wir, die Beziehungen Marrs zu frheren und zeitgenssischen Linguisten zu berblicken, so stellen wir ohne Erstaunen fest, da zur linguistischen Tradition Rulands keine Beziehung vorhanden ist: man hatte sich dort nicht mit den "sozialen Aspekten" dieser Wissenschaft beschftigt. Marr selbst spricht ber gewisse Verbindungen zu anderen linguistischen Schulen, so bezeichnet er etwa A. Meillet als "Vorkmpfer eines soziologischen Standpunktes in den Fragen der mensch-

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liehen Sprache" und meint, da H. Schuchardt die Verwandtschaft von Erscheinungen in Sprachen verschiedener Systeme richtig gesehen htte, doch bestnde die bereinstimmung mit ihm nur in Worten und abstrakten Gedanken, keineswegs dem Wesen nach, hnliches, betreffend die Frage nach dem Ursprung der Sprache, bemerkt er ber E. Cassirer. Er sieht sich "natrlicherweise" in gnoseologischen Fragen jenen Linguisten nher, "die in ihrer Weltanschauung an den Marxismus grenzen, in erster X Linie Ludwig Noir| und seinen Vorgngern, und in den Fragen der Wechselbeziehungen der Sprachen der Welt notwendigerweise mehr als nahe jenen Gelehrten, die forschend an die lebende Sprache in ihrer unendlich bergreifenden Mannigfaltigkeit herangetreten sind, nmlich den Amerikanisten und Afrikanisten Boas, Rivet, Meinhof, W. Schmidt u.a., ..." (Marr 1933f, Bd.2, S.3). 2. Ein zentrales Anliegen Marrs ist es, die dialektische Verknpfung von Sprache und soziokonomischen Formationen zu erforschen. Das gedeutet fr ihn das Bestreben, die Zusammenhnge zwischen dem Zustand der Produktivkrfte der Gesellschaft und dem Denken und Sprechen zu erhellen. Die Sprache, so lesen wir, wre geschaffen worden im Laufe vieler Jahrtausende durch den Masseninstinkt des Gesellschaftswesens, sie htte sich spezifisch entfaltet unter jeweiligen Bedingungen der wirtschaftlichen Bedrfnisse und der konomischen Organisation (vgl. ebd. Bd.l, S.218). Jedes Produktionskollektiv htte sich mit seinen Erzeugnissen auch die Benennungen der Gegenstnde und die Benennungen der technischen Verfahren ihrer Fertigung geschaffen, je nach Bedarf wren diese eingegangen in den Wortschatz aller oder einzelner Gruppen, manchmal auch nur in den speziellen Wortschatz des schaffenden Produktionskollektivs. Geht es hier bereits um Wortsemantik, so bleiben frhere Epochen noch auf der Ebene der Morphologie (richtiger wre: Phonologie). Beim ersten Produktionskollektiv, das noch keinen Unterschied zwischen Produktion und Fhrung, Wirtschaft und Magie gekannt htte, htte die Entwicklung des Arbeitsprozesses zur Differenzierung und Formgebung der Laute gefhrt, und allmhlich wren aus den Elementen der Lautsprache des Arbeitsprozesses die Elemente der Lautsprache grerer sozialer Gruppierungen geworden, die sich in der Folge zu stammesmigen Gruppen zusammenschlieen htten knnen. Noch weiter zurckgehend gelangen wir zu jenem Stadium, da der Mensch

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noch ohne die Lautsprache zurechtkam: er verfgte ber die kinetische "Umgangs"-Sprache der Gestik und Mimik. Entsprechend dem wichtigsten Arbeitsgert, der Hand, spielte diese auch die wesentliche Rolle bei der kommunikativen Verstndigung. Die Hand konnte von dem Zeitpunkt an eine so wichtige Rolle bernehmen, da der Mensch die Gewohnheiten des kletternden Tieres ablegte. Diesem Proze, der, wie wir heute sicher annehmen knnen, Jahrmillionen dauerte, ging einher der Proze der Zurckbildung des Kiefers und der Reizhne. Dies sind bedeutsame Faktoren, da die Hand auf diese Weise zunchst die Rolle der Reizhne bernehmen mute, also Arbeitsgert wurde und sich fr den Gebrauch von Werkzeug ben konnte. Die Zurckbildung des Kiefers aber war eine wichtige Voraussetzung zur Ausbildung des Artikulationsapparates fr die differenzierten menschlichen Laute. Marr zitiert zu diesen Fragen zeitgenssische Archologen (wir wrden sagen: Anthropologen). Wir knnen ihnen durchaus Forscher unserer Zeit zur Seite stellen, welche erstgenannte besttigen knnen und weitere Erkenntnisse zur Besttigung der Hypothesen Marrs parat haben. So beschreibt etwa Lieberman (1972), da der Neandertaler nicht die anatomischen Grundvoraussetzungen fr die menschliche Artikulation besa. Andererseits mssen wir aus dem fr den Neandertaler nachgewiesenen Gebrauch von Werkzeugen, die bereits einen hohen Grad von Dingkonstanz, Dingdistanzierung und Versachlichung der Leistung bezeugen, und aus Funden, die bezeugen, da sein Weltbild ber das unmittelbar Erfabare hinausreichte, so zeugen Totenbestattung und Grabbeigaben von Gedanken ber den Tod, kennen wir den Brenkult als magische Beschwrung von Naturkrften usw., schlieen, da eine Sprache, eben eine Gestensprache vorhanden war (vgl. auch Soritsch 1974). Wenn die Laute beim Proze des gestischen, beziehungsweise hndischen Sprechens, von eventuellen affektiven Ausrufen abgesehen, keine Rolle spielten - warum, so mu man dann fragen, entstanden berhaupt artikulierte Laute? Marr meint, die Erfordernisse der "umgangssprachlichen" Kommunikation seien durch die Handsprache abgedeckt. Und er vermutet weiter, da die Lautsprache auf dieselbe Weise wie die Knste Tanz, Gesang und "instrumentelle" Musik (freilich nicht in unserem Verstndnis der Begriffe) entstanden sei, nmlich im Zusammenhang mit magischen Handlungen, die diesen oder jenen kollektiven Arbeitsproze begleitet htten und fr den Erfolg der Produktion notwendig gewesen wren. Mit

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dem Mund hervorgebrachte willkrliche Laute htten die ttigen Hnde untersttzt und damit die Bedeutung der ganzen Handlung unterstrichen. Lexikalisch zunchst bedeutungslos, htten bestimmte Laute im Zusammenhang mit bestimmten Handlungen eine fixierte Bedeutung angenommen, die schlielich ohne die unmittelbare Gegenwart von Handlung oder Ding das Jeweilige reprsentieren konnten. Auch hierzu kann man auf eine groe Zahl neuester Forschungsergebnisse verweisen (vgl. etwa Campbell 1973, Ploog 1972). Marr meint, da sich zusammen mit den Knsten in der Evolution des Arbeitsprozesses vier Elemente herauskristallisiert htten, aus denen und deren Kreuzungen letztlich alle Wrter aller Sprachen dieser Welt hervorgegangen seien. Whrend zur Zeit der kinetischen Sprache diese Elemente nur eine magische Kraft, keine konkrete Bezeichnungsfunktion fr eine bestimmte Vorstellung, eine Gestalt oder einen Begriff gehabt htten, htte sich ihr Schicksal vom Moment ihrer Verwendung als Lautsignalisierungen einer gesellschaftlichen Vorstellung an jenseits der Grenzen magischer Organisation immer strker mit der Gesellschaft und deren Voraussetzung, der Wirtschaft verbunden. Mit der Verschiedenheit der territorialen Bedingungen, des Wirtschaftstyps und der Entwicklungsstufe der Gesellschaft htten die Bedeutungen jeweils eines Elements variiert. Neue Entwicklungsstufen der Wirtschaft und Gesellschaft htten aus demselben allgemeinen Material neue Typen von Sprachen hervorgebracht. Verwandtschaften von Sprachen wren durch Prozesse der Kreuzung der Sprachen zustandegekommen, die die Prozesse der Kreuzung der gesellschaftlichen Gruppierungen wiedergegeben htten: stammesmig, national, staatlich, und im besonderen beruflich, klassenmig, standesmig. Mit der Lautsprache - meint Marr weiter - htte auch jeder Laut seine selbstndige Position im gesellschaftlichen Bewutsein erhalten. Dieser Bewutmachung wre die Arbeit an der Unterscheidung des Konsonanten, die Verstrkung des Vokals und des Konsonanten durch Lngung beziehungsweise Verdoppelung und Betonung, etc. vorausgegangen. Alle diese Mglichkeiten htte die Menschheit bei der Herausbildung der Laute, der Entwicklung und Przisierung der Wortbedeutung, dann auch zur Bildung von Formen und ihrer Entwicklung, zur Bildung verschiedener morphologischen Typen der Lautsprache benutzt.

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Wir wissen lngst, da die Hypothese von der Monogenese aller Sprachen nicht aufrechtzuerhalten ist, ebensowenig wie die stufenweise, stadiale sprachliche Entwicklung im Sinne Marrs. Er war diesbezglich vermutlich selbst unsicher, denn er versuchte, diesen Gedanken in ganz verschiedene Richtungen zu entwickeln, ohne je an ein Ende zu kommen. Die Stadialitt in der Form der morphologischen Typen der Sprache beschreibt er etwa so: "Der ursprngliche amorphe, beziehungsweise synthetische Aufbau der Sprache, heute charakteristisch fr die sogenannten monosyllabischen Sprachen, z. B. das Chinesische, der weitere agglutinative Aufbau, z. B. das Trkische und der dritte, flektive Aufbau, so das Russische - das sind nicht drei parallele, sondern drei chronologisch aufeinander folgende Typen", (ebd. Bd.l, S.89). - Es

sei am Rande erwhnt, da bereits W. v. Humboldt und A. Schleicher eine hnliche Entwicklungstheorie formuliert hatten. Im Unterschied zu Schleicher aber verknpfte Marr den Proze der stadialen Bewegung der morphologischen Typen der Sprache mit der Form verschiedener Systeme der Wirtschaft und mit den Formen der Systeme des Denkens. Die Formen des Denkens entsprchen den drei Systemen des Aufbaus der Lautsprache, und zwar insgesamt resultierend aus den verschiedenen Wirtschaftssystemen und ihren entsprechenden sozialen Kulturen: 1) dem Urkommunismus mit dem synthetischen Bau der Sprache, 2) jener Gesellschaftsstruktur, die auf Selektion verschiedener Wirtschaftssysteme durch gesellschaftliche Arbeitsteilung basiert, mit dem agglutinativen Sprachbau und 3) der durch die technische Arbeitsteilung bedingten Standesoder Klassengesellschaft mit der Morphologie des flektierenden Systems (vgl. ebd., Bd.3, S.71). Besondere Stadien der sprachlichen Entwicklung wrden die Sprachfamilien bilden (vgl. ebd., Bd. 1, S. 185). In mehreren Arbeiten ist Marr bestrebt, die Stadien der Entwicklung des Denkens aufzuzeigen, wobei er, unter dem Einflu von Levy-Bruhl stehend, einige stadiale "Abarten" absonderte: das visuelle Denken (bis zum Auftreten der Lautsprache), das totemistische, das kosmische und das mikrokosmische, und schlielich das formale logische Denken (vgl. ebd., Bd.3, S.120). Die Kritiken der Theorie der Stadialitt zeigten auf, da Marr den

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Terminus in widersprchlicher Weise gebrauchte. Er selbst war nicht bemht, die verschiedenen Begriffsbestimmungen logisch zu vereinigen (vgl. zur Kritik Vinogradov 1951, zu einem Versuch der bestimmteren Korrelation Mescaninov 1931). Ungeachtet dieser ungelsten Problematik lt sich ersehen, da bei Marr Denken und Sprache, einschlielich Gestensprache, einander bedingend in ihrer Entwicklung parallel laufen (im Gegensatz zu Stalins Behauptung, vgl. Stalin 1950, 58). Serebrennikov (1970) meint in Bezug auf Marr, da die Entwicklung des Denkens als Bewegung vom Konkreten zum eher Abstrakten ihre Widerspiegelung in der Entwicklung der Struktur der Sprache finde und so der Einflu der verschiedenen auersprachlichen Faktoren leicht zu sehen sei. 3. Das folgende Problem wollen wir besonders hervorheben, es war eines der Hauptangriffsziele fr J. Stalin in der Lehre Marrs: Ist die Sprache eine Kategorie des Oberbaus? Lassen wir die beiden Kontrahenten selbst zu Wort kommen. Marr schreibt, bzw. zitiert (vgl. S 45, 46): 2.1 "Die Sprache ist ein Wert des gesellschaftlichen berbaus, wie die bildende Kunst und die Kunst berhaupt." "Die Gesamtheit ... der Produktionsverhltnisse bildet die konomische Struktur der Gesellschaft ..." (Marx). "Auf dieser konomischen "Basis" erhebt sich, durch diese bedingt, der politische und ideologische "berbau"." "Der ideologische berbau stellt ein bestrmtes System von Gedanken, Gefhlen und Vorstellungen der Gesellschaft dar." "Die Unterscheidung der gesellschaftlichen ... Psychologie von der Ideologie liegt im Grad der Systematisierung beschlossen" (Bucharin). "Die Formen der Ideologie sind folgende: a) die einfache Ideologie Sprache und Denken, b) hhere Ideologien - Religion, Kunst, Moral, Recht, politische Ideologie, Wissenschaft, Philosophie." "Die Sprache betrachtet die japhetitische Theorie als sekundre Erscheinung, als Erscheinung des "berbaus", die von dem sie umgebenden materiellen Milieu abhngt." Stalin (1950) formuliert demgegenber: "Die Basis ist die konomische Form der Gesellschaft in einem bestimm-

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ten Stadium ihrer Entwicklung. Der berbau - das sind die politischen, rechtlichen, religisen, knstlerischen, philosophischen Ansichten einer Gesellschaft und die ihnen entsprechenden politischen, rechtlichen und anderen Strukturformen. Jede Basis hat einen eigenen) ihr entsprechenden berbau .... Wird die Basis verndert und beseitigt, so verndert sich daraufhin ihr berbau und wird beseitigt. Entsteht eine neue Basis, so entsteht daraufhin ein ihr entsprechender berbau. In dieser Beziehung unterscheidet sich die Sprache grundstzlich vom berbau. Nehmen wir als Beispiel die russische Gesellschaft und die russische Sprache. Im Verlauf der letzten dreiig Jahre wurde der berbau der kapitalistischen Basis beseitigt und ein neuer berbau, der sozialistischen Basis angemessen, geschaffen. Die alten politischen, rechtlichen und anderen Strukturformen wurden folglich durch neue sozialistische ersetzt. Dennoch blieb die russische Sprache im wesentliehen die gleiche wie vor dem Oktoberumsturz." (23). "Innerhalb einer bestimmten Gesellschaft entstammt die Sprache nicht dieser oder jener Basis, einer alten oder einer neuen Basis, sondern dem geschichtlichen Werden einer Gesellschaft und der Geschichte der verschiedenen Unterbaue im Lauf der Jahrhunderte." (24f). "Die Sprache ist jedoch unmittelbar mit der Produktionsttigkeit des Menschen verbunden, und ... mit jeder anderen Ttigkeit des Menschen in allen Bereichen seiner Arbeit, von der Produktion bis zur Basis, von der Basis bis zum berbau. Deswegen gibt die Sprache Vernderungen in der Produktionsweise sofort und unmittelbar wieder, ohne Vernderungen in der Basis abzuwarten. Deswegen ist der Wirkungsbereich der Sprache, die alle Gebiete menschlicher Ttigkeit umfat, erheblich weiter und vielseitiger als der Wirkungsbereich des berbaus. Mehr noch, er ist fast unbegrenzt." (28). Der Gegensatz ist eindeutig, in verkrzter Weise: hier die Sprache als Erscheinung des berbaus und mit diesem von der Basis abhngig da die Sprache weder als Teil des berbaus noch als Teil der Basis, jedoch unmittelbar mit der menschlichen Ttigkeit verbunden. Es scheint, da keiner von beiden, weder Marr noch Stalin, recht hat. Wre, wie Marr behauptet, die Sprache tatschlich nur ein berbauphnomen, so trfe Stalins erstes Argument (Oktoberumsturz) zu. Viel wichtiger aber ist, da dann jeglicher Einflu der Sprache auf die

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konomische Basis, auf die wichtigste Produktivkraft, das sind die Menschen, durch deren krperliche und geistige Arbeit die Produktionsinstrumente geschaffen werden, ausgeschlossen wre, denn Marrs Definition enthlt nur die Bedingung des berbaus durch die Basis (und nicht auch die Rckwirkung, wie Marx und Engels sagten). Ausgehend von der ihre Funktionsweise betreffenden untrennbaren Einheit von Sprache und Denken wird die Sprache sogar selbst gewichtiger Teil der Produktivkraft Menschen, deren geistige Arbeit sicher nicht unterschtzt werden kann. Zudem hat der Mensch Sprache, als eines seiner wichtigsten Wesensmerkmale; sie allein dem berbau zuteilen, hiee, dem Menschen dieses Wesensmerkmal rauben. Die Sprache ist also Teil der konomischen Basis und gleichzeitig Teil des berbaus? - Ja, so ist es, sie ist auch Teil des berbaus. Denn wie anders als in und durch Sprache kann die Gesamtheit der politischen, juristischen, weltanschaulichen, moralischen Ideen, Einbildungen, Forderungen, in denen sich die gesellschaftlichen und Klasseninteressen reflektieren, ausgedrckt sein, wie anders kann der berbau Gegenstand der Information sein. Noch ein Weiteres kommt hinzu: Sprache ist selbst nicht "frei" von Ideologie, sie macht auch aus dem nicht darber reflektierenden, individuellen Benutzer einen Trger der Ideologie, sie ordnet ihn unter anderem jenem Teil des berbaus zu, der seinem Teil der Basis entspricht. Freilich darf das nicht heien, Sprache und berbau zu verwechseln. Wie kann die Sprache, so behauptet es Stalin, auerhalb von Basis und berbau sein? Was ist sie dann? Ist sie nicht unverbrchlich mit dem Menschen und der Gesellschaft verbunden und schlielich auch mit den konomischen Bedingungen? Einen unbegrenzten Wirkungsbereich knnte sie nur in der Idealisation haben. 4. In engem Zusammenhang mit dem eben behandelten Problem steht die Frage: Sind die Sprachen immer klassengebunden? Wir greifen dieses Problem heraus, weil es heute nach wie vor von brennender Aktualitt ist. Lassen wir noch einmal Marr und dann Stalin selbst sprechen. Marr ( 46): "Klassen nennt man groe Gruppen von Menschen, die sich durch ihre Stellung im historisch bestimmten System der gesellschaftlichen Produktion, nach ihrer Beziehung ... zu den Produktionsmitteln, nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und

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folglich nach der Art der Erlangung und dem Ausma des Anteils am gesellschaftlichen Reichtum, ber den sie verfgen, unterscheiden" (Lenin). "Klassen ... erscheinen in dem Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung, in welchem die Arbeitsteilung gengend weit fortgeschritten ist, ...". "In der Sprache spiegeln sich ... verschiedene Grade der Organisation der Arbeit und der Form der Familie. Die Pronomen entstehen nach der Bewutwerdung des Eigentumsrechts." "Groen Einflu auf die Sprachschpfung ben ... die Klassenbeziehungen aus." "Die Klassen, beziehungsweise Schichten selbst sind historisch Uberreste der Stmme." "Die japhetitische Theorie lehnt den Begriff der nationalen, auerhalb der Schichtungen stehenden, klassenlosen Sprachen als einen unwissenschaftlichen Begriff ab." "Aber die These vom Klassencharakter der Sprache wendet die japhetitische Theorie auch auf frhere gesellschaftliche Formationen an. Sie lt die Existenz der Klassendifferenzierung in der prhistorischen Gesellschaft zu, womit z. B. der Klassencharakter der Lautsprache in Zusammenhang steht." Stalin (1950): "Der Familienverband der Urgemeinschaften kannte keine Klassen, folglich konnte es dort auch keine Klassensprachen geben. Die Sprache war dort gemeinsam und einheitlich fr das ganze Kollektiv" (29). "Die Geschichte lehrt, da Nationalsprachen keine klassengebundenen Sprachen sind, sondern vom ganzen Volk gesprochen werden ..." (30). "Der Marxismus lehrt, da die Gemeinsamkeit der Sprache eines der wichtigsten Kennzeichen einer Nation ist, er wei dabei sehr wohl, da es innerhalb einer Nation Klassengegenstze gibt" (33). Die Kontrahenten sind sich darin einig, da es Klassen (im marxistischleninistischen Sinne) gibt. Die brigen Differenzen sind evident. Aus dem ganzen dadurch aufgestoenen Fragenwust lt sich nur ein Problem

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relativ klar berblicken. Die These von einer Klassenstruktur der Urhorden kann durch nichts belegt werden. Fest steht jedoch, da der Mensch sich auch in der Urgesellschaft als gesellschaftliches Wesen behauptet hat, nicht nur als "Teil der menschlichen Gesellschaft schlechthin", sondern als Teil seiner Gesellschaft, seiner Urhorde. Nichts deutet darauf hin, da die Urhorden den Weg der Evolution bestehen htten knnen, wenn nicht jedes einzelne Mitglied in gleicher Weise zu seiner Gruppe oder Horde gestanden htte, das Gruppeninteresse nicht ber dem individuellen Interesse gestanden htte. Das Gruppenverhalten war das Charakteristikum und nur dieses ermglichte das berleben des Einzelnen, so z. B. war ber lange Epochen hinweg die kooperative Jagd, die gemeinsame Verteidigung (gegen Raubtiere, Witterung) usw. notwendig. Dabei wissen wir, da dazu bereits Sprache notwendig war (vgl. Malinowski). . Es ist unlogisch, Klassen fr Menschheitsepochen anzunehmen, in denen die Ressourcen fr die Menschen vllig ausreichend waren, in denen Unterdrckung zum Zweck der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen dem Unterdrcker nichts eingebracht htte. Die Anfnge der Sprache, auch der Lautsprache, fallen in diese Perioden. Der "Kampf" ums Dasein war ein Kampf um Informiertheit. Im Verlauf der Evolution fand eine natrliche Auslese in der Richtung statt, da die Population eher berlebte, die ber eine grere Informationskapazitt verfgte. Populationen mit geringerer Erfahrungsakkumulation lebten risikoreicher, hatten kleinere Vermehrungsraten. Ihr genetisches Programm (das auf keinen Fall rassistisch ausgelegt werden darf) blieb daher in immer geringerem Ma erhalten, als jenes der "intelligenteren", sprachfhigeren, womglich begrifflichen Denkens und verbaler Kommunikation fhigen Individuen. (Vgl. Soritsch 1974). Wo es keine Klassen gibt, kann es keine Klassensprachen geben. In diesem Punkt hat Stalin im Gegensatz zu Marr recht. Aus der sprachlichen Einheit einer Urgesellschaft oder Urhorde abzuleiten, da Nationen keine Klassensprachen, auch wenn es Klassengegenstze gibt, geht jedoch an der Realitt vorbei. Geschichte und Gegenwart lehren uns, da nationale Sprachen selbst Klassensprachen in einer Gesellschaft sein knnen und da es innerhalb einer nationalen Sprache Klassensprachen geben kann (vgl. Gastarbeiter in der BRD oder "Black English").

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Da unsere gegenwrtigen Gesellschaften sehr viel komplizierter strukturiert sind als jene, die Marx und Engels den Klassenbegriff auszuarbeiten veranlaBten, ist es notwendig, den Begriff "Klasse" und im Anschlu daran den Begriff "Klassensprache" zu berprfen. Es wurde eine Reihe von Theorien der "sozialen Schichtung" ausgearbeitet. Diese Theorien wurden in letzter Zeit zunehmend vom Standpunkt der marxistischen Klassentheorie diskutiert. "Ausgehend von der (obigen) Leninschen Bestimnung des Klassenbegriffs versucht gegenwrtig die inarxistisch-leninistische Soziologie in der DDR das Verhltnis der Kategorien Klasse und Schicht zu klren. "Soziale Schichten" sind dabei definiert als "Menschengruppen, die sich von den Klassen dadurch unterscheiden, da sie kein einheitliches Verhltnis zu den Produktionsmitteln haben und sich aus verschiedenen Klassen rekrutieren" (Wrterbuch der marxistisch-leninistischen Soziologie, 1969, 238). Dieser Unterteilung liegt die generelle Einschtzung zugrunde, das empirisch ausgewiesene Schichtmodell knne trotz seiner ideologischen Funktion in der brgerlichen Soziologie partiell auch einem marxistischen Ansatz tauglich sein. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die analytische Differenzierung derjenigen Klasse, die durch das Merkmal der NichtVerfgung ber die gesellschaftlichen Produktionsmittel nur allzu grob bestimmt ist" (Hager/Haberland/Paris 1973, 219f). Freilich wre auch zu fragen, ob das Problem auf dem Weg der Zuordnung der Kategorie Klasse und Schicht befriedigend gelst werden kann. "Eine

endgltige Formulierung dieses Verhltnisses scheint vielmehr erst mglich, wenn dies besondere Problem aufgehoben werden kann in der Thematisierung des allgemeinen Verhltnisses von historisch-materialistischer und strikt erfahrungswissenschaftlicher Analyse." (ebd., 220). Die Gemeinsamkeit der Sprache als eines der wichtigsten Kennzeichen einer Nation herauszustellen (wobei "Nationalsprache" nicht mit "Soziolekt" ident ist) ist von dem Gedanken an die klassenlose Gesellschaft getragen. Solange die klassenlose und schichtenlose Gesellschaft nicht existiert, wird es klassen- und schichtenspezifische Sprachen geben. Dennoch ist Sprache nicht einfach ein Abbild der Wirklichkeit. Die Sprache ist untrennbar mit dem Denken verbunden, stellt faktisch mit dem Denken zusammen eine einheitliche Funktion dar, sie hat sich auf

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dem Boden der Erfahrung entwickelt und ist selbst ein empirischer Fakt, nicht Produkt arbitrrer Konvention. Damit wird zum Ausdruck gebracht, "da das Sprache-Denken eine spezifische Widerspiegelung der Wirklichkeit vermittelt, da seine Entwicklung von der Wirklichkeit selbst sowie von der Entwicklung der Erkenntnis dieser Wirklichkeit durch die Menschen (in Praxis und Theorie) veranlat wird." (Schaff 1969, 302f). Diese philosophische Einsicht fat zusammen, was ber das Problem der Sprache als Teil von berbau und Teil von Basis gesagt wurde und sie deutet an, was bei der Erforschung des dialektischen Verhltnisses von Sprache und soziokonomischen Formationen bedacht werden mu.

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Vladimir . Nazarov DER GEGENWRTIGE STAND DER ERFORSCHUNG DER KAUKASISCHEN SPRACHEN Die kaukasischen Sprachen, deren Sprecher die Nord- und Sdhnge der groen kaukasischen Gebirgskette bewohnen, ziehen schon seit mehr als hundert Jahren dank der Besonderheiten, die sie von den Sprachen der umgebenden Gebiete markant unterscheiden, die konzentrierte Aufmerksamkeit der Sprachwissenschaftler an. In einer Reihe von Beziehun-

gen realisieren die kaukasischen Sprachen wohl im hchsten Grade physiologische und intellektuelle Mglichkeiten des Menschen, z.B.: im Reichtum der phonologischen Systeme (87 Konsonanten im Ubychischen, 67 im bzybischen Dialekt des Abchazischen), in den kasusreichen Deklinationssystemen (48 Kasus im Tabasaranischen), in spezifischen syntaktischen Strukturen usw. Nicht zuletzt wird das Interesse fr diese Sprachen auch durch den Grund hervorgerufen, da in ihnen archaische Besonderheiten gesehen werden, deren Spuren in Reliktbildungen indoeuropischer und semitohamitischer Sprachen zu Tage treten, weswegen die Kaukasussprachen mehrfach als Muster fr die Rekonstruktion vorhergehender (oder ursprnglicher) Typen der menschlichen Rede dienten (das verzweigte System des Konsonantismus, das minimale System der Vokale, die Ergativitt). Dabei wird nicht weniger hufig die unumstrittene Tatsache bersehen, da diese Sprachen in nicht geringerem Ausma als beliebige andere (z.B. die indoeuropischen) in ihrer Geschichte verschiedenste Vernderungen erfuhren. Auf Grund dieser Behauptung, da z.B.: das Abchazische uns die Mglichkeit bietet, einen lteren Zustand sprachlichen Denkens als das Sumerische, fnf Jahrtausende von uns und damit auch vom Abchazischen entfernt, zu studieren, erscheint ungerechtfertigt optimistisch. In der Geschichte der russischen Linguistik war es den exotischen kaukasischen Sprachen beschieden, ungefhr dieselbe Rolle zu spielen, die den nordamerikanischen Sprachen bei der Formulierung der linguistischen Doktrin in den USA zuteil wurde. Es sei nur daran erinnert, da vor allem die Kaukasussprachen als Basis fr die Entstehung der ersten Ideen der Phonologie dienten (P.K. Uslar, N.F. Jakovlev, N.S. Tru-

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beckoj), die Beschftigung mit diesen Sprachen hatte

die Entstehung

einer eigenen Richtung in der Linguistik zur Folge, verbunden mit dem Namen N.Ja.Marr ("Japhetitologie", und dann auch "Neue Lehre ber die Sprache"), an kaukasischem Material wurden in den 30-er und 40-er Jahren universale Theorien der Sprachevolution ausgearbeitet (Bokarev 1934; MeScaninov 1936, 1940; Kacnel'son 1936; Bychovskaja 1930, 1934, 1936; Jakovlev-Achamaf 1941, Jakovlev 1948). Die Ideen der letzten Richtung werden sichtlich wiederum in der sowjetischen Linguistik zu den dominierenden, reprsentiert in einer neuen Darstellung von G.A. Klimov (1972, 1974). Die 37 kaukasischen Sprachen werden allgemein in zwei Gruppen eingeteilt: in die sdkaukasische (kartvelische) und in die nordkaukasische die nordkaukasische Gruppe teilt sich wiederum in zwei Zweige: in den west- und in den ostkaukasischen.

K a r t v e l i s c h e

Sprachen

Die sdkaukasische (kartvelische, von der Selbstbezeichnung gruzin kartveli) Familie zerfllt in zwei Gruppen: in die grusinisch-zanische (das Grusinische und das Zanische, reprsentiert durch zwei Dialekte: den megrelischen und den canischen (lazischen), und die svanische (das Svanische). Von den grundlegenden Arbeiten zu den zeitgenssischen kartvelischen Sprachen muB unbedingt auf folgende hingewiesen werden: Grusinisch: a) Altgrusinisch: Marr 1908, 1925; Imnajgvili 1957; Zorrel 1930, Wrterbcher: Marr 1913; Serebrjakov 1962; Abudalidze 1973 (hier ein genaues Verzeichnis publizierter und nichtpublizierter altgrusinischer Handschriften). Wichtigere altgrusinische Texte sind in der Chrestomatie von I. Imnajvili (1953-1971) angefhrt. b) Neugrusinisch: Rudenko 1940; Sanidze 1953; Zgenti 1956; Vogt 1971; Marr-Briere 1931; Neisser 1953. Grundlegende Wrterbcher: "Tol'kovyj slovar' gruzinskogo jazyka" v 8-mi tt. (Wrterbuch 19501964) und das Wrterbuch, zusammengestellt am Ende des XVIII Jh., das eine unersetzliche Quelle fr die historische Lexikologie darstellt (Orbeliani 1965-1966). Von den bersetzungswrterbchern ist sicherlich das grusinisch-deutsche Wrterbuch von Tschenkeli (1961) das

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beste. Der Geschichte der grusinischen Sprache in der literarischen Periode sind die Untersuchungen von I. Kavtaradze (1954, 1964) gewidmet. Eine Bibliographie der Literatur zur grusinischen Dialektologie siehe im Buch: Hartirosov 1972. Ein allgemeiner berblick ber den Stand der Erforschung der Dialekte der grusinischen Sprache wird in der Monographie "Gruzinskaja dialektologija" (Giginejsvili 1961) geboten. Zanisch: a) Megrelisch: Kipsidze 1914; Zgenti 1953; Beridze 1920;

Cagareli 1880. Texte sind publiziert bei M. Chubua (1937). Ein kurzes Wrterbuch ist der Grammatik von I. Kipsidze beigefgt. b) Canisch (lazisch): Rozen 1844; Marr 1910; Kipsidze 1911; Cikobava 1936; Zgenti 1953. Textpublikationen: Kipsidze 1939; Cikobava 1929, 1936; Zgenti 1938; Dumezil 1938, 1967; Kartozia 1972.V

Ein kurzes Wrterbuch des Canischen ist der Grammatik von N.Ja. Marr beigefgt. Svanisch: Topuria 1931; Marr 1912-29 (Manuskript); Zgenti 1949;V V

Texte: Onian 1917 a; Sanidze 1939; Sanidze-Topuria 1939; Davitiani 1957. Wrterbcher: Gren 1890; Nizaradze 1910; Marr 1912 (Manuskript),

1922; Onian 1917; Wardrop 1911; Dondua Mat. (Manuskript). Die ersten schriftlichen Denkmler des Grusinischen gehren in das

V. Jahrhundert u. Z. (Aufschriften in Israel aus dem Jahre 497). Es sei die Vermutung hervorgehoben Uber die Existenz eines Schrifttums auch in einer frheren (vorchristlichen). Periode. Im Altgrusinischen gibt es eine groBe Literatur (Bibelbersetzungen, theologische und hagiographische Werke). Das bedeutendere Denkmal grusinischer Poesie Verxistkaosani ("Der Recke im Leopardenfell") von Sot Rustavli (X. Jh.) ist bereits ein Denkmal der neugrusinischen Sprache. Das Svanische und Canische bleiben schriftlos; Schrifttum und Druck in megrelischer Sprache - entstanden im XX. Jh. unter Verwendung der grusinischen Graphik - wurden Ende der 30-er Jahre zum Zwecke des. Kampfes mit dem megrelischen Nationalismus liquidiert. Die Verleugnung der Existenz der megrelischen Nation (in der gegenwrtigen Zeit werden die Megrelen offiziell den Grusiniern zugezhlt) hat als eine der Folgen die schwache Durchforschung der megrelischen Sprache. Alle folkloristischen Materialien, die whrend der letzten 40 Jahre herausgegeben wurden, stellen grusinische bersetzungen ohne das megrelische

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Original dar. Die Geschichte der kartvelischen Komparativistik kann in drei Perioden eingeteilt werden. In die erste Periode gehren die Forschungen von N.Ja. Marr (1910, 1912a, 1913a, 1914) und A.A. Cagareli (1872, 1880), die gut mit der grusinischen granmatischen Tradition von den Anfngen bis ins X. Jh. vertraut waren. Durch ihre Arbeiten wurde die Verwandtschaft der kartvelischen Sprachen begrndet, die grammatische Struktur beschrieben, groes vergleichendes Material gesammelt und einige phonetische Entsprechungen aufgestellt. Jedoch auch in den frhen Arbeiten von N.Ja. Marr.ist das Bestreben, die kartvelischen Sprachen mit den abchazischen unmittelbar zu verbinden, gegenwrtig (wobei er faktisch dabei die Verwandtschaftsbeziehungen des Abchazischen mit den brigen westkaukasischen Sprachen ignoriert), was zur Unterbrechung jeder historischen Perspektive der Forschung fhrte. Im Geiste eben dieser Auffassungen betrachtete Marr, der brigens seine Behauptungen nie genau beweist, das Svanische als Mischsprache des kartvelischadygischen Typs, infolge dessen viele wichtige Archaismen des Svanischen entweder von ihm berhaupt nicht bemerkt oder falsch bewertet wurden. Der Beginn der zweiten Periode ist mit dem Erscheinen des Artikels von A. Sanidze ber die Prozesse der regressiven Assimilationv

der Vokale (Umlaut) im Svanischen verbunden (Sanidze 1925), der es erlaubte, zur Lsung der komplizierten Fragen der Geschichte des Vokalismus und der Struktur der Morpheme berzugehen. Zu den herausragendsten Erfolgen der zweiten Periode gehren die Arbeiten von V. Topuria (1926, 1927, 1931) und Deeters (1930). In diesen Jahren entwickelte sich in den Arbeiten von I. DzavachiSvili (1937) und A. Cikobava die auf der Entstellung der Prinzipien der Komparativistik basierende Theorie der "Iberisch-kaukasischen Sprachwissenschaft". Die Ansichten dieser Richtung, die vom Postulat der Urverwandtschaft aller kaukasischen Sprachen ausgeht, fanden ihren vollstndigsten Ausdruck in der KonV zeption der protokartvelischen Wortbildung von Cikobava (1942, siehe die Kritik von Deeters 1955). Die dritte Periode der Entwicklung der vergleichenden Kartvelistik ist charakterisiert durch die grundlegende Revision der Theorie der historischen Morphonologie der kartvelischen Sprachen (Gamkrelidze-Macavariani 1965). Die dritte Periode machte die Kartvelistik zu einem der fortgeschrittensten Gebiete der vergleichenden

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Sprachforschung, vergleichbar mit solchen hervorragenden Vorbildern wie die indoeuropische und die uralische Sprachwissenschaft. Charakterisieren wir nun kurz den Stand der gegenwrtigen Kartvelistik. Vergleichende Phonetik. Hier mssen vorerst allgemeinere Arbeiten genannt werden, die die Rekonstruktion des protokartvelischen Konsonantismus (Maiavariani 1965), des Vokalismus und des Systems der Sonanten betreffen (Gamkrelidze-Macavariani 1965; in dieser Arbeit werden auch viele umstrittene Fragen des Konsonantismus behandelt.). Eine Darstellung der kartvelischen Phonetik wurde auch von K. Schmidt (1962) gegeben. Eine kurze Zusammenfassung der grundlegenden Resultate der Forschungen auf diesem Gebiet verfate G.A. Klimov (1960, teilweise Klimov 1964). Wichtige Fragen der Rekonstruktion der Affrikate und Sibillanten wurden in speziellen Arbeiten behandelt (Polk 1955; Gamkrelidze 1959, 1971; Macavariani 1960; Rogava 1953; Lomtatidze 1955). Vergleichende Morphologie und Morphonologie. Die Struktur der protokartvelischen Wurzel wurde in der zusammenfassenden Arbeit von T. Gamkrelidze und G. Maiavariani (1965) untersucht. Eine fr die Rekonstruktion des Protokartvelischen wichtige Konzeption ber die Kombinatorik der Konsonanten erarbeitete G. Achvlediani (1951, vgl. auch Vogt, 1954), sie wurde von G. Macavariani (1965) weiterentwickelt. Die substantivische Wortbildung untersuchte V. Topuria (1938, 1940, 1946, 1959; Rekonstruktion der Wortbildungsformanten von G.A. Klimov (1964)), die Wortbildung der Verben untersuchte Deeters (1930); V. Topuria (1936, 1954) und Vogt (1947) untersuchten eingehend die Frage der sogenannten "Verbaldeterminativen". Eine vollstndige Erforschung auf dem Gebiet der protokartvelischen Morphologie ist noch nicht erreicht; immerhin sind die grundlegenden Fragmente der morphologischen Struktur schon untersucht: es existieren Monographien ber das System der nominalen Deklination (Klimov 1962), die Steigerungsstufen der Adjektive (Zurabisvili 1957; Macavariani 1959), die Pronomina (Martirosov 1964, Illic-Svityc 1971a, Lafon 1930). Die verbale Flexion untersuchte Deeters (1930), wichtiges ergnzendes Material enthalten die Untersuchungen des svanischen (Topuria 1931) und grusinischen (Sanidze 1953) Verbs. Einen Umsturz in den Ansichten ber die Struktur des kartvelischen Verbs brachten T. Gamkrelidze und G. Macavariani (1965), indem sie ein System funktionaler Lautvernderungen - den Ablaut erstellten.

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Fr die weitere Ausarbeitung dieser Theorie sind besonders wichtig die Arbeiten von V.M. Illic-Svityc (1966 ), V. Topuria (1936, 1942) und von Vogt (1939). Das System der Merkmale der Person beim Verbum wurde von A. Sanidze (1957, verfat 1920), K.D. Dondua (1938) und von A. Oniani (1965, vgl. Illic-Svityc 1971a) untersucht. Die Rekonstruktion der protokartvelischen Lexik wurde von G.A. Klimov (1964, Ergnzung Klimov 1973) realisiert. Einiges ergnzendes Material _ V kann aus dem vergleichenden Wrterbuch von A. Cikobava (1938, hauptschlich grusinische und zanische Lexik) und aus dem umfangreichen etymologischen Index zur Monographie von K. Schmidt (1962) entnommen werden. Etymologische Wrterbcher der einzelnen Sprachen wurden noch nicht zusammengestellt. Die historische Syntax ist wenig untersucht. Die Problematik verschiedener Satzkonstruktionstypen (Ergativ-, Nominativ-, Dativkonstruktion), abgesehen von der Vielzahl unternommener Versuche (Cikobava 1948; V Sanidze 1942; Deeters 1930; Schuchardt 1895), hat noch keine Lsung erreicht. Die Struktur des Attributivkomplexes wurde von G.A. Klimov (1961) untersucht. Eine typologische Charakteristik des Protokartvelischen wurde von G. Macavariani (1966) prsentiert, wobei die besondere hnlichkeit der protokartvelischen und protoindoeuropischen morphonologischen Struktur betont wurde (vgl. auch Gamkrelidze-Macavariani 1965). Es mu jedoch bemerkt werden, da in den letzten Jahren in der Entwicklung der vergleichenden Kartvelistik ein gewisser Stillstand eingetreten ist, der sichtlich mit dem Tod G. Macavarianis im Jahre 1970 in Verbindung steht. Untersuchungen zur Geschichte der einzelnen kartvelischen Sprachen sind nicht zahlreich, dabei fehlen fast vollstndig Monographien. Einen Erfolg auf dem Gebiet der Erforschung der Fremd- und Lehnwortlexik des Grusinischen stellt die resummierende Publikation von A. AndronikaSvili (1966) auf der Basis vieler vorhergehender Arbeiten dar. Probleme der lexikalischen Verbindungen des sdkaukasischen und armenischen Sprachgebietes - aufgestellt noch von N.Ja. Marr (1911-1919) wurden von Vogt (1938), Deeters (1926) und G. Kapancjan (1952) untersucht. In der gegenwrtigen Zeit kann das Verzeichnis der lexikali-

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sehen Entlehnungen aus dem Protoarmenischen in den kartvelischen Sprachen etwas erweitert werden (z.B.: grus. zutx-i "Str" < protoarm. *5utH- "Fisch" (altarm. zukn), grusin.-zan. *krusl "Ferse, Schuhab-

satz" bei armen, krukn "Ferse, Schuhabsatz" (< i.e. *geur "rund", das Armenische hat als einzige der indoeuropischen Sprachen die gegebene Bedeutung entwickelt) usw.). Das Zanische war, nach allem zu schlieen, das kaukasische Substrat, welches Einflu auf das Armenische zeigte; N.Ja. Marr bezeichnete es als "vorarische Sprache Armeniens".

N o r d k a u k a s i s c h e

Sprachen

Die nordkaukasischen Sprachen knnen in genetischer Beziehung in zwei Hauptgruppierungen gegliedert werden: in eine westliche und eine stliche Gruppe und werden entsprechend als westkaukasische oder abchazisch-adygische und ostkaukasische oder nachisch-dagestanische Gruppe bezeichnet . (Die Annahme, da die nachischen Sprachen eine eigene selbstndige dritte Gruppe konstituierten, erweist sich als berflssig). Argumente, die diese beiden Sprachgruppen fr verwandt zu betrachten erlauben, wurden von N.S. Trubeckoj (1930) zusammengestellt. Trubeckoj, wie das aus der Bezeichnung seines Artikels hervorgeht, baut seine Beweisfhrung auf der Basis lexikalischer Vergleiche. 100 solcher Entsprechungen umfassen alle Haupt-Gruppen der Lexik: Pronomina, Numeralia, Bezeichnungen von Tieren, Pflanzen, atmosphrischen Erscheinungen, Zeiteinheiten, Verwandtschaftsbeziehungen, Adjektiva und Verben. Auf der Grundlage morphologischer Annherung wurde ein Versuch der Begrndung der Verwandtschaft der kaukasischen Sprachen von Dumezil (1933) unternommen. Jedoch weder die angefhrte Arbeit noch die folgende (Dumezil 1933 a, Untersuchung des Systems der Verbalflexion) knnen als geglckt angesehen werden. Die Abfassung einer allgemeinen umfassenden Arbeit Uber die Rekonstruktion der urnordkaukasischen Morphologie und Phonetik mu selbst in der gegenwrtigen Zeit als verfrht angesehen werden.

W e s t k a u k a s i s c h e r

Zweig: reprsentiert durch das Ab-

chazische, Abazinische, Adygeische, Kabardinische und Ubychische. Das Ubychische ist heute nur noch in der Trkei vertreten, wo sich die Hauptmasse der Ubychen, die fast zur Gnze aus dem Kaukasus nach

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dessen Eroberung durch Ruland (60-er Jahre des XIX. Jh.) emigriert waren, ansiedelten. Die Sprecher des Abchazischen, Kabardinischen und Adygeischen leben einerseits im Kaukasus,andererseits auch in den Lndern des Nahen Ostens, vor allem in der Trkei und in Syrien. Genaue Angaben ber die zahlenmige Strke dieser Vlker (Sammelname "Cerkessen") hinter den Grenzen der UdSSR fehlen. Die wissenschaftliche Erforschung der Sprachen des Nord-West-Kaukasus wurde von Baron Peter von Uslar begonnen, publiziert als Monographie "Abchazische Sprache" (Uslar 1887). Im genannten Buch sind neben einer vortrefflichen Charakteristik des Abchazischen auch kurze Bemerkungen ber das Kabardinische und Ubychische enthalten. In der weiteren Entwicklung war die Erforschung dieser Sprachen der intensiven Arbeit an der Schaffung eines Schrifttums verpflichtet. Von den grundlegenden Publikationen ber die westkaukasischen Sprachen mssen die folgenden erwhnt werden: Abchazisch: Deeters (1931 a); Bgazba (1964); Gram. (1968); in Manuskriptform blieben die Grammatiken von N.Ja. Marr (1916) und von N.F. Jakovlev (1951). Wrterbcher: Marr (1926); Chasba-Kukba (1928); Dzanasia (1954). Abazinisch: Genko (1955 verfat 1934); Serdjucenko (1955) (wiederholt im wesentlichen die Arbeit von A.N. Genko); Lomtatidze (1944, 1954; 1956). Wrterbcher: Gonov (1956); Adzinov (1967). Kabardinisch: Jakovlev (1948); Turcaninov-Cagov (1940); Gram. (1971); Deeters (1931); Kuipers 1960. Wrterbcher: Apazev (1957); Kardanov (1955). Adygeisch: Jakovlev-Aschamaf (1941); Rogava-Keraseva (1966). Wrterbcher: Chatanov-Keraseva (1960); Autlev (1960). Ubychisch: Dirr (1927-1928); Dumezil (1931); Meszaros (1934). Texte: Dumezil (1960, 1963, 1965). Die ubychische Lexik ist im Wrterbuch von Vogt (1963) gesammelt. Bei der Arbeit ist es auch unumgnglich, unzhlige Publikationen einheimischer Linguisten zu bewerten, Arbeiten, die in der Regel zwar von ungengendem professionellem Niveau sind, aber hufig wichtiges ergnzendes Material beinhalten.

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Das vergleichende Studium der westkaukasischen Sprachen hat immer noch vorlufigen Charakter. Die Erforschung der vergleichenden Phonetik bleibt faktisch auf dem von N.S. Tubeckoj (1922, 1930; siehe noch Deeters 1931 und Lomtatidze 1953) erreichten Niveau. Nur in den letzten Jahren erscheinen sorgfltig ausgefhrte etymologische Studien von G. A. Klimov (1967, 1968), wo neben der eigentlichen etymologischen Problematik auch einige Fragen der historischen Phonetik behandelt werden. Im kritischen Sinne notwendige Fakten enthalten die reichen Sammlungen vergleichenden Materials (Sakryl 1971; Sagirov 1962). Die Rekonstruktion des protoadygischen phonologischen Systems wurde von A. Kuipers 1963 durchgefhrt (siehe Ergnzungen bei Balkarov 1970). Die Forschungen auf dem Gebiet der vergleichenden Morphologie knnen insgesamt nicht als zufriedenstellend betrachtet werden (Dumezil 1932, vgl. die Kritik von Trubetzkoy 1934; Rogava 1956; Kumachov 1964, 1971). Einen bedeutenden Erfolg stellt die von V.A. Dybo unternommene Erforschung der historischen Akzentlehre des Abchazischen, Abazinischen

und Ubychischen dar (vorlufige Mitteilung: Dybo 1973; in der gegebenen Arbeit werden auch viele Probleme der Phonetik und der Wortbildung untersucht). Das zu rekonstruierende System der Akzentregeln findet eine nhere Parallele in den akzentologischen Gesetzen des indoeuropischen Wortes. In diesem Zusammenhang ist es notwendig zu erwhnen, da A. Kuipers und V. Allen schon frher einige typologische Gemeinsamkeiten des Indoeuropischen und Westkaukasischen festgestellt haben: solche z.B. wie Existenz eines qualitativen Ablautes, laryngaler Phoneme und der Monovokalismus (letzterer ist sowohl fr das Indoeuropische wie fr das Westkaukasische umstritten.). Eine typologische Charakteristik des Westkaukasischen zu geben, ist jedoch im gegenwrtigen Zeitpunkt uerst schwierig; man kann sich nur mit kritischer Vorsicht an die Meinung der Forscher halten, die den westkaukasischen Sprachtyp zur Klasse der inkorporierenden Sprachen (nach der Klassifikation von Sapir) rechnen, wenn schlielich unter Inkorporation nicht die ausschlieliche Entwicklung der Agglutionation (die Pr-, In-, und Postfigierung) verstanden werden soll. Die Agglutination eines solchen Typs ist zweifellos ein objektiver Grund der schwachen Entwicklung vergleichender Studien, insofern als eine etymologische Analyse nicht ohne vorhergehendes Studium der Wort-

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bildung durchgefhrt werden kann. Erhebliche Schwierigkeiten bietet auch die auergewhnlich starke Divergenz der beiden Hauptzweige - des abchazisch-abazischen und des adygischen Zweiges der Sprachfamilie, Schwierigkeiten, die in der Mehrzahl der Flle auch nicht beseitigt werden knnen, wenn Material des eine Mittelstelle einnehmenden Ubychischen verwendet wird. Jedoch das grte Hindernis auf dem Wege des Forschers bleibt weiterhin der Mangel an Material (in erster Linie an lexikalischem Material).

Die

o s t k a u k a s i s c h e

Sprachfamilie wird durch die grte

Zahl linguistischer Einheiten (29 Sprachen) reprsentiert. Diese Sprachen knnen in fnf Gruppen eingeteilt werden: in die nachische (Cecenisch, Ingusisch; Bacbiisch), in die awaro-ando-cezische (Avarisch; AndIisehe Sprachen : Andiisch, Botlichisch, Godobermisch, Camalinisch, Bagvalinisch, Tindiisch, Karatinisch, Achvaschisch; cezische Sprachen: Cezisch, Chvarschinisch, Ginuchisch, Gunzibisch, Bezitinisch), in die lakische (Lakisch), in die darginische (Darginisch), in die lezginische (Arcinisch; Lezginisch, Agulisch, Tabasaranisch, Rutulisch, Cachurisch, Kryzisch, Buduchisch; Chinalugisch; Udinisch). Zuerst wurde eine Klassifikation der ostkaukasischen Sprachen von R. von Erckert (1895) vorgelegt und in der weiteren Folge fixierte sie sich nach einigen Vernderungen in der gegenwrtigen Form. So wie bei der Erforschung der Sprachen des westlichen Zweiges wurden die Grundlagen der ostkaukasischen Linguistik von P. von Uslar gelegt, der Beschreibungen des Cecenischen (Uslar 1888), Avarischen (Uslar 1889), des Lakischen (Uslar 1890), Darginischen (Uslar 1892), des Lezginischen (Uslar 1896) und Tabasaranischen (Manuskript) ausgearbeitet hat. In der darauf folgenden Periode war die bedeutendste Rolle in der Erforschung der Sprachen des nordstlichen Kaukasus A. Dirr beschieden, dem Autor der Beschreibungen des Arcinischen, Udinischen, Agulischen, Rutulischen, Cachurischen und Tabasaranischen, aber auch der Beschreibung des Andiischen und eines Abrisses der andiischen und cezischen Sprachen. Zur Zeit sind fast alle Sprachen der Gruppe in Monographien beschrieben. Von den grundlegenden Publikationen mssen folgende genannt werden: Cecenisch: Jakovlev (1960, verfat 1938), Jakovlev (1940); Avtorchanov (1934); Mal'sagov (1941). Ein ecenisch-russisches Wrterbuch wurde

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von A. Maciev zusammengestellt (1961). Ingusisch: Mal'sagov (1925); Jakovlev (1939 Manuskript). Ingusischcecenisch-russisches Wrterbuch wurde von I. Ozdoev (1962) zusammengestellt. Bacbiisch: Schiefner (1856); Deseriev (1953); Wrterbcher: Schiefner (1856); Maciev (1932, vgl. Genko 1935). Avarisch: Zirkov (1925, Systematisierung der Materialien von P.Uslar 1889); Madieva (1965 a); Sikobava-Cercvalidze (1962); Mikailov (1959) Wrterbcher: Zirkov (1936); Saidov (1951, 1967). Andiische Sprachen: Dirr (1906); Bokarev (1949); Gudava (1962, 1971); Magomedbekova (1967, 1971); Cercvaridze (1965). Cezische Sprachen: Bokarev (1959); Lomtadze (1963); Imnajsvili (1963) Madieva (1965). Daginisch: Zirkov (1926); Abdullaev (1954); Gasanova (1961); Magometov (1963); Bouda (1937). Ein russisch-darginisches Wrterbuch wurde von S. Abdullaev (1950) zusammengestellt. Ein darginisch-russisches Wrterbuch wird gerade in Machackal vorbereitet. Lakisch: Zirkov (1955); Bouda (1949); Murkelinskij (1971); Chajdakov (1966). Wrterbcher: Murkelinskij (1953), Chajdakov (1962). Arcinisch: Dirr (1908); Mikailov (1967); Kibrik-Kodzasov Are. (im Druck). Lezginisch: Zirkov (1941); Mejlanova (1964); Gajdarov (1961). Wrterbcher: Gadziev (1951); Talibov (1966). Tabasaranisch: Dirr (1905); Bouda (1939); Zirkov (1948); Magometov (1965); Chanmagomedov (1958); Genko Dial. (Manuskript). Wrterbcher: Genko Tab. sl. (Manuskript); Gadziev (1962). Agulisch: Dirr (1907); Saumjan (1941); Magometov (1970). Cachurisch: Dirr (1913); Dzafarov (1937); Ibragimov (1968). Rutulisch: Dirr (1912). Chinalugisch: Deseriev (1959); Kibrik-Kodzasov (1972). Udinisch: Schiefner (1863); Dirr (1904); Dzejranisvili (1972). Grundlegende Fragen der Grammatik hat V. Pancvidze in zahlreichen Artikeln

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von 1937 - 1949 behandelt. Im Druck befindet sich gerade das "Udinisch-russisch-azerbajdzanische Wrterbuch" von V. Gukasjan. Erfolge der vergleichenden Erforschung der ostkaukasischen Sprachen sind in erster Linie mit der Phonetik verbunden (Trubetzkoy 1922, 1930, 1937, Lafon 1952; Bokarev 1961, 1968 (Manuskript) ). In den letzten Jahren arbeitet auf dem Gebiet der protodagestanischen Phonologie intensiv B. Giginejsvili (1967, i960, 1972), jedoch wird die Khnheit seiner Konstruktionen nicht durch die Qualitt des von ihm herangezogenen Materiales ausgeglichen. In einer Reihe von Untersuchungen werden die phonologischen Protosysteme einzelner Gruppen und Untergruppen hergestellt: der nachischen (Sommerfeldt 1934-1948), der andiischen (Gudava 1964). Die Arbeiten dieses Typs behandeln vorwiegend Fragen des Konsonantismus. Zu den grundlegenden Problemen der ostkaukasischen diachronischen Phonologie gehrt die Klrung der Verschlulaute, ohne die die Rechtmigkeit der Postulierung dieser Phoneme im Protosystem keine berzeugende Grundlage findet: zum Beispiel ist die Fixierung der Reflexe des Protophonems *d durch die sporadischen Erscheinungen des Rhotazismus erschwert, dessen Gesetzmigkeiten nicht erforscht sind, sowie durch eine Reihe anderer noch weniger bekannter Prozesse; von den Labialen wird mit einiger Zuverlssigkeit *b eingesetzt (die ursprngliche Stimmhaftigkeit findet mglicherweise in der phonologischen Stimmhaftigkeit seines lezginischen Reflexes pp- (nichtaspirierter Stimmloser) die Besttigung), gleichzeitig wie *p auf der Grundlage einiger Wrter deskriptiven Charakters (*pera "Biene", *pir-/ *pirx= "fliegen", *par=/*parx "Blitz, blitzen, funkeln") angenommen wird, Beispiele fr *p fehlen berhaupt. Weniger umstritten erscheint die Projektion spezifischer lateraler Phoneme auf die ursprachliche Ebene (Trubetzkoy 1922; Bokarev 1971). Die zuverlssigsten Resultate wurden bei der Erforschung der Systeme der Affrikate und Spiranten erzielt. Ungeklrt bleiben die Reflexe der ursprachlichen *w und s j , letzteres alterniert beraus hufig mit *d - mglicherweise ber die Palatalisierungsstufe * 6. Es mu darauf hingewiesen werden, da eine oberflchliche Analyse zur Schlufolgerung ber die Existenz einiger Perioden von Palatalisationen in der Geschichte der einzelnen Sprachen fhrt, jedoch knnen diese Probleme ihrerseits nicht zufriedenstellend

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gelst werden, bevor nicht die Vernderungen, die die Vokalsysteme in der historischen Entwicklung durchlaufen haben, fixiert sind. Letzteres ist jedoch uerst erschwert, und zwar hinsichtlich der Unklarheit der Bestimmung der Qualitt der Vokale der Wurzel, z.B.: avar.: meuer "Nase" in den Kasus obliquus mit vernderter Basis mucor-, ebenso wie das abgeleitete Verbum -i-ine "an Schnupfen erkranken" den Vokal -a- hat; das 6eSenische fhrt ebenfalls den Vokal -a- im Nominativ, jedoch die Basis der Kasus obliquus von - mer. Avar. , Cec. mit der Bedeutung "Nase ( Avar. kan "Licht", And. kwa "Licht", kwanu-b "hell". (Genauer werden einige Rekonstruktionen des Vokalismus in einem Artikel des Autors behandelt (Nazarov in print.)). Aus dem Gesagten werden die spezifischen Schwierigkeiten klarer, die fr die ostkaukasische Morphologie stehen, Schwierigkeiten, die vergrert werden durch den hufigen Monokonsonantismus der Wurzelmorpheme, was besonders stark beim Verbum zutage tritt (letzteres kann auch als eine wichtige Isoglosse betrachtet werden, die zwei Zweige der nordkaukasischen Familie verbindet). Deshalb beschrnken sich die Forscher bis in die letzte Zeit in ihren Untersuchungen auf die Konstatierung der hnlichkeit einer kleineren Zahl von Formanten der nominalen Deklination und in geringerem Grade der verbalen Flexion. Schwach in jeder Hinsicht erscheint der Versuch einer Rekonstruktion der protonachischen Morphologie, wie sie von Ju. DeSeriev (1963) unternommen wurde. In der Monographie des Autors (Nazarov 1974) wurde die Rekonstruktion der Systeme der Personal- und Demonstrativpronomina durchgefhrt und eine Untersuchung der Geschichte der Formierung der Tempuskategorien des Verbums unternommen. Im

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brigen jedoch charakterisieren noch immer die Konzeptionen von Dumezil (1933) die gegenwrtige Situation der vergleichenden Morphologie. An die vergleichende Phonetik schliet sich direkt die historische Lexikologie an. Bis zum gegenwrtigen Zeitpunkt wurden nicht weniger als 700 glaubwrdige Angleichungen vorgelegt, die in nicht weniger als zwei Untergruppen entdeckt wurden (Leksika 1971; Chajdakov 1973). Das gesammelte Material ist jedoch in erheblichem Ma durch die Ungenauigkeit der phonetischen Aufzeichnung entwertet (ausreichende Kenntnisse ber das phonetische und phonologische System sind nur fr das Darginische (Gaprindasvili 1966) und das Cachurische (Ibragimov 1968) vorhanden) und die Orthographie der Schriftsprachen bietet hufig nicht die Mglichkeit,die Phonemqualitt zu bestimmen. So kann zum Beispiel das Graphem a in der Secenischen und ingusischen Schrift nicht weniger als vier verschiedene Vokale bezeichnen (Deeriev 1960); die lezginische Graphik unterscheidet nicht aspirierte und nichtaspirierte Verschlulaute usw. Ein schwerwiegendes und in vielen Fllen unberwindbares Hindernis fr die etymologische Analyse stellt der Mangel an wissenschaftlicher Erforschung der Wortbildung dar (sowohl der synchronen wie auch der historischen). Eine teilweise, kritische Einstellung verlangende Ausarbeitung einiger Fragen der Wortbildung bringen S. Chajdakov (1961- am Material des Lakischen) und T. Gudava (1959verbale Wortbildung in den andiischen Sprachen und teilweise im Avarischen.). Unberhrt von den Forschern sind die Fragen der Prosodie, denn bis vor kurzer Zeit herrschte die berzeugung, da die Betonung in den ostkaukasischen Sprachen phonologisch irrelevant und deshalb von keinem Interesse sei. Jedoch das "Avarisch-russische Wrterbuch" vonM.S. Saidov (1967), das ausreichend vollstndige Informationen Uber die Akzentverhltnisse in der avarischen Lexik bringt, erlaubt nicht nur mit gewisser Sicherheit an die Fakten heranzutreten, die in der Beschreibung von P. von Uslar enthalten sind, sondern auch, ausgehend von den Prinzipien der akzentologisehen Typologie, Hypothesen ber ein ausreichendes Alter und die ursprachliche Basis des im Avarischen betrachteten Systems der Akzentparadigmen aufzustellen. In diesem Fall v stellt sich der morphologisch bedingte Akzent im Lezginischen (Zirkov 1940, 1941) als Akzent mit ausgeprgter Evolution dar, der noch dazu

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keine Grundlagen fr eine Ausnutzung zu Zwecken der akzentologischen Rekonstruktion bietet. Dasselbe kann sichtlich auch ber die auf der ersten Silbe fixierte Betonung im iecenischen gesagt werden. Vas die prosodischen Erscheinungen in den anderen ostkaukasischen Sprachen betrifft, so sind die Kenntnisse, die in den bestehenden Beschreibungen enthalten sind, gnzlich ungengend fr wie auch immer geartete

Schlufolgerungen. Nichtsdestoweniger stellt die gegebene Problematik, vor allem im Lichte der bereits erwhnten Untersuchungen von V.A. Dybo Uber die westkaukasische Akzentologie, ein erstrangiges Interesse fr die Geschichte dieser Sprachfamilie dar. Die Lexikographie der Schriftsprachen ist durch russisch-nationale und nationale-russische Wrterbcher reprsentiert. Die Lexik der schriftlosen Sprachen wird in kurzen Wrterverzeichnissen angefhrt, die grammatischen Beschreibungen beigefgt sind (die einzige Ausnahme: das udinische Wrterbuch von V. Gukasjan). Die Lexik der Dialekte ist (hchst unvollstndig) in dialektologischen Publikationen registriert.

Die groe Zahl der Forschungen, die von den einheimischen Linguisten unternommen werden (MachaSkala und Groznyj), aber auch die vorhandenen Publikationen auf dem Gebiet der Erforschung der Sprachen des Westens des Kaukasus, sind in erster Linie vom Gesichtspunkt der Fixierung des Materials und nicht von dessen Bearbeitung von Interesse. Die urostkaukasische morphologische Struktur in der gegenwrtigen Etappe der Forschungen zu charakterisieren,ist nicht mglich. Mglich ist nur, mit einem ausreichenden Grad an Sicherheit festzustellen, da die Zusammensetzung der verzweigten Kasussysteme eine sptere und sekundre Erscheinung ist und da einer Projektion der ergativen Satzkonstruktion in den ursprachlichen Zustand die Unmglichkeit der Rekonstruktion des Formanten des ergativen Kasus entgegensteht, ebenso wie brigens auch der Affixe der anderen Kasus, da genetisch identische Affixe in verschiedenen Sprachen verschiedene Funktionen besitzen. Zweifel ruft auch die ursprachliche Differenziertheit des Substantivums und des Verbums hervor. Bis jetzt bleibt die Genesis der sog. "Klassenelemente" - Affixe der bereinstimmung zwischen Substantiv und Verbum - unklar, die von den Kategorien des Nomens abhngen, die funktionell dem Genus in den indoeuropischen Sprachen nahe stehen (bis zu acht in den nachischen Sprachen; in der Regel sind in den

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Sprachen nicht weniger als vier Klassen prsent: eine maskuline, feminine und zwei Klassen, unter denen die Bezeichnungen unbelebter und nicht vernunftbegabter Wesen verteilt sind. Prinzipien der Einordnung eines Nomens in die dritte oder vierte Klasse, genauer die Prinzipien der Auswahl zwischen der dritten und vierten Klasse, bleiben ungeklrt. (Jakovlev 1949; Kurbanov-Mel'nikov 1965)). bergehend auf das Schrifttum in den Sprachen des stlichen Kaukasus mssen wir vor allem das Problem der Sprache und des Schrifttums des Kaukasischen Albanien (Agvanien, alt-armen. A|wank) streifen. In den 50-er Jahren wurden bei archologischen Grabungen in MingeXaur einige Aufschriften entdeckt, die so ausgefhrt waren in einem System der Graphik, das es gelang, sie mit den Zeichen einer Aufzeichnung des albanischen Alphabetes in einer armenischen Handschrift des XV. Jh. zu identifizieren. Die Analyse des phonetischen Systems des Alphabets, der Texte der Aufschriften (Gesamtumfang ca. 200 Zeichen) sowie einer Reihe albanischer Wrter, die in der armenischen Tradition erhalten blieben (Eigennamen, Monatsnamen, einige Fachausdrcke) erlaubt die Annahme aufzustellen, die mit den historischen Fakten bereinstimmt, da das Agvanische einer der alten (sdlichen?) Dialekte des Udinischen ist (anidze 1960; Klimov 1967a). Das agvanische Schrifttum, nach der berlieferung hervorgebracht durch den armenischen Aufklrer Mesrop Mastoci im V. Jahrhundert, kam schon im VXX1.Jahrhundert infolge der arabischen Eroberung Azerbajdzans und der Verbreitung des Islam auer Gebrauch. Erst im XV. Jahrhundert kommt es zu den ersten Versuchen einer Fixierung des Avarischen mit Hilfe des arabischen Alphabets. Im XVI. Jahrhundert wurden analoge Versuche in bezug auf das Darginische unternommen, und im XVII. Jahrhundert in bezug auf das Lakische. Frhe schriftliche Denkmler dieser Sprachen bleiben den Forschern unzugnglich (es wurde bisher nur eine einzige darginische Handschrift aus dem XVII. Jh. herausgegeben - Magomedov 1964). In der Gegenwart ver wenden die Trger des Cecenischen, Ingusischen, Avarischen, Lakischen, Darginischen, Lezginischen und Tabasaranischen Alphabete auf der Basis der russischen Graphik, die in den 20-er Jahren auf lateinischer Basis erstellte Schriftsysteme ersetzt haben. In den 30-er Jahren wurde eine Schrift fr das Cachurische und dinische entwickelt, jedoch wurde im Jahre 1938 bei der berfhrung der kaukasischen Alphabete in die

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russische Graphik die weitere Existenz des Schrifttums in diesen Sprachen als nicht zweckmig angesehen.

Der

U r s p r u n g

der

S p r a c h e n

des

K a u k a s u s

Die Frage nach den ueren genetischen Beziehungen der kaukasischen Sprachen wurde schon von P. von Uslar gestellt, der die erste Formulierung einer Verwandtschaft von drei Gruppen der Kaukasussprachen vorlegte. Versuche einer Ausarbeitung dieser Hypothese wurden auch in der weiteren Folge unternommen, jedoch gelang es keinem Forscher, die grundlegende These ber die genetische Verwandtschaft der Sprachen des Nordens und des Sdens des Kaukasus zu besttigen (siehe die Geschichte dieser Frage im Buch von Sikobava 1965). Der Begrnder der Indoeuropistik F. Bopp unternahm den vorwiegend auf morphologischen bereinstimmungen beruhenden Versuch der Aufdeckung genetischer Beziehungen nicht des gesamten Komplexes der kaukasischen Sprachen, sondern nur einer Gruppe von ihnen - den kartvelischen (Bopp 1847). Der Misserfolg dieses Versuches war vorbestimmt durch den Anfangszustand der Kartvelistik. Auch keine Beweiskraft hatte die Theorie der vergleichenden Grammatik der kartvelischen und semitischen Sprachen ausgearbeitet von N. Ja. Marr (1908, Marr 1902-27 (Manuskript)) Kartvelisches Material untersuchte auch A. Trombetti in seinen polygenetischen Theorien (Zusammenfassung: Trombetti 1923). Einen entscheidenden Aufschwung nahm die Erforschung des Problems der Genesis der kartvelischen Sprachen in den Arbeiten von V.M. Illic-

Svityc (1934-1966), der die Prinzipien eines neuen Gebietes der Komparativistik begrndete - der nostratischen Linguistik (dieser Terminus wurde von Ch. Pedersen im Jahre 1903 vorgeschlagen). In einer Reihe von Arbeiten (Illic-Svityc 1964, 1967, 1968, 1971), auf der Basis des Vergleiches der Ursprachen von sechs Familien der Alten Welt,wurde von ihm die Beschreibung der vergleichenden Phonetik gegeben und die Rekonstruktion eines bedeutenden Teiles des lexikalischen Fonds und einer groen Zahl von Formanten durchgefhrt. Zum Unterschied von den vorhergegangenen Untersuchungen wird das Kartvelische so nun als einer der Zweige einer groen Sprachfamilie betrachtet, die die indoeuro-

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pische, die semito-hamitische (semitische, gyptische, Berbersprachen kuschitische und Tschadsprachen), die uralische (finno-ugrische und sa mojedische Sprachen), die altajische (Turksprachen, mongolische, tungusische Sprachen, Koreanisch) und die dravidische Sprachfamilie umfat. Der Reflex des ursprnglichen Vokalismus nhert die kartvelischen Sprachen an die indoeuropischen und semito-hamitischen Sprachen an, infolge dessen die angefhrten Sprachfamilien in einer westlichen Gruppe nostratischer Sprachen zusammengefat werden knnen. Anschliessend werden einige Entsprechungen angefhrt: Nostr. *k: kartv.:*k;i.e.:*k(k,kw), die Aufspaltung in palatalisierte, labialisierte und einfache Velare Verschlulaute im Indoeuropischen hngt von der Qualitt des nachfolgenden nostratischen Vokals ab: *k< *ka; *tc< *ki, *ke, *k; *k w < *ko, *ku, *k Die Vokale behalten die ostnostratischen Sprachen (Altaj-, uralische, Dravidasprachen) bei (Illic-Svityc 1964): sem.-ham, *q: alt. ural.: *k-, -*kk- : drav. *k-, -*kkSiehe kartv. *ked- "bauen" : i.e. *ket- "primitives Bauen": sem.-ham. "bauen, aus Lehm formen": drav. *katt- "bauen"; Nostr. *g: kartv. *g : i.e. *gh (gh, g w h (siehe oben) ): sem.-ham. *g: alt. *g: ural. *-,-"- : drav. " Siehe kartv. * gul- "Herz": sem.-ham. *gwl "Herz": alt. *gl(a) "Mitte drav. "kunta- (*ntmo+d, das schon die allge'

8. Natrlich waren wir auf diesem langen Forschungsweg gezwungen, uns

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von einer ganzen Reihe frherer Vorstellungen, unerschtterlicher, wie es schien, wissenschaftlicher Thesen loszusagen, von den Rassensprachen, von der Existenz einer bodenstndig aufgebauten Ursprache, von einer auerhalb des erforschten linguistischen Terrains hinter Bergen und Tlern liegenden Urheimat dieser oder jener Vlker, der Urheimat mit dem paradiesischen Dasein einer phantastischen Ursprache, von den zwischensprachlichen chinesischen Mauern, von der Chronologisierung der sprachlichen Erscheinungen aufgrund der schriftlichen Denkmler und der Konzentration des Forschungsinteresses auf die Schriftsprachen, insbesondere die toten, zum Schaden und Nachteil der schriftlosen und lebenden, die fr die Wissenschaft von der Sprache von ungeheurer Bedeutung sind, von der ausschlielichen Bedeutung der Morphologie, von der Bedeutungslosigkeit, jedenfalls Zweitrangigkeit des lexikalischen Materials verglichen mit der Grammatik, von der nationalen oder erstgeborenen Stammesreinheit der Sprachen usw. usw. Man mute sich allmhlich von all diesem berflssigen, schdlichen Ballast trennen. Man mute die Last der Beweise verlagern und das Hauptaugenmerk auf andere Erscheinungen und Gegenstnde richten wie: die Kreuzung von Anfang an [iznacal'noe skrescenie] in der Lautsprache statt Einfachheit und Reinheit, System statt Rasse, im Vordergrund lebende Sprachen statt toter, ideologische Analyse statt formaler, mehr noch qualitative Verbesserung der Forschung auf der formalen Seite durch ihre ideologische Begrndung, Betonung der Bedeutung der materiellen Kultur, auch der primitivsten, statt der knstlerischen Komponente in solchem Grade, da ich in einem der Vortrge des Vorjahres in der Akademie fr Ge21 schichte der materiellen Kultur im Vortrag "Skifskij jazyk", einem Vortrag, der erstmals im September auf der archologischen Konferenz von Kertsch gehalten wurde, mich gezwungen sah, mit voller berzeugung im Recht zu sein und mit dem Risiko,als Vandale zu gelten, auszurufen: "Nieder mit der Venus von Milo, es lebe die Hacke und die Kultur der Hacke!" Denn nur die materialistische Einstellung des Studiums der kulturellen Errungenschaften der Menschheit kann eine wissenschaftliche Erklrung geben, sei es ein Kunstdenkmal von so ausschlielicher

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Bedeutung wie die Venus von Milo oder ein solcher kultureller Wert wie die Schaffung der Lautsprache durch die Menschheit, das Ergebnis der kollektiven Arbeit der werkttigen Menschheit, der Niederschlag des noch jetzt in vollem Gang befindlichen Welt-Prozesses der Glottogonie, der im Gleichma mit dem wirtschaftlich-sozialen Aufbau auf den Wegen der klassenfreien Internationalisierung voranschreitet. Und wie verhlt sich die gelehrte Welt zur neuen Theorie? Wenn man den auerordentlich engen Kreis meiner Schler und unserer nchsten nicht zahlreichen Anhnger ausschliet, nimmt die wissenschaftliche Welt im besten Fall gar keine Stellung und dmmert weiter schlfrig in dem in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts Erreichten dahin. Wollen Sie einen Beweis aus der russischen wissenschaftlichen Literatur? Es gengt eine Feststellung aus einem auch jetzt an der Leningrader Universitt fr die Vorlesung ber allgemeine Sprachwissenschaft empfohlenen Lehrbuch eines durch seine unbestrittenen Verdienste auf seinem Fachgebiet hervorragenden autoritativen Indoeuropisten und Linguisten, einem 22 Lehrbuch, das schon in sechster Auflage und weiter erscheint: "Im Kaukasus sprechen verschiedene Stmme in Sprachen, die zum Teil offensichtlich miteinander verwandt sind, wie die sdkaukasischen Sprachen: Georgisch, Mingrelisch, Swanetisch, zum Teil weder untereinander noch mit anderen Sprachen verwandt sind, wie die nordkaukasischen Sprachen: Tscherkessisch, Tschetschenisch, Lesginisch u.a. Alle diese Sprachen heien in der Wissenschaft 'kaukasische'." In welcher Wissenschaft? Offensichtlich in der schlafenden Wissenschaft. Und im Westen? Dort veranlat auch in unseren Tagen, da sich aufgrund gewissenhafter Bercksichtigung der Besonderheiten des japhetitischen Sprachsystems im allgemeinen und des sich immer mehr vertiefenden Studiums eines Teils seiner kaukasischen Vertreter eine neue Lehre von der Sprache ausgebildet hat, die klar bestimmte klassenmige Weltanschauung den mchtigsten Vorkmpfer der berlebten Lehre, sich dazu zu uern, was im Kaukasus dank den unerschtterlich aufgestellten

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Thesen der japhetitischen Theorie getan wird und was schon getan ist, jedoch in so erstaunlicher Weise, da es zur Erbauung der Nachwelt als klassisches Beispiel des einstigen Anspruches der indoeuropistischen Linguistik festgehalten zu werden verdient, auf sprachwissenschaftlichen Gebieten, fr die sie nicht zustndig ist und die ihr unzugnglich 23 "M.A. Dirr, dont on sait les merites qu'il s'est acquis pour l'etude du Caucase, a entrepris de publier un periodique consacre aux peuples de la region caucasique. C'est une heureuse idee; on voit de mieux en mieux combien il importe, pour eclairer la prehistoire de l'Europe, d'etudier ces peuples qui sont seuls, ou presque, a conserver des restes de certaines langues et de certains usages. Mais nulle part la recherche n'est plus delicate: on est en presence de simples debris; les donnees historiques ne fournissent presque rien; la methode comparative se trouve donc etre particulierement difficile a mettre en oeuvre, tant par suite de la date moderne ou les langues autres que le georgien sont attestees que par suite des particularites de structure des langues elles-memes et, chose plus grave, du fait qu'on n'apercjoit a l'origine aucune grande langue commune de civilisation. Aussi, comme partout ou le travail offre des difficultes particulieres et ou la difficulte d'aboutir retient les esprits prudents, voiton se multiplier les essais hatifs, les conclusions precipitees. Sur un domaine o se joue trop souvent la fantaisie." Wenn man einerseits davon absieht, da A. Dirr selbstverstndlich seine unzweifelhaften Verdienste in einem bestimmten Teil der sprachwissenschaftlichen Arbeit Uber den Kaukasus hat, besteht andererseits das tatschliche Anwachsen eiliger und bereilter Urteile ber die Sprachen und die Kultur des Kaukasus berhaupt in letzter Zeit, gleichzeitig aber das nicht minder wirkliche Faktum, da es immer mehr und mehr oder um wrtlich mit Meillet zu sprechen "immer besser und besser" zu tage tritt, wie wichtig das Studium der Vlker des japhetitischen Kaukasus fr die Untersuchung der Urgeschichte Europas (nur der Urgeschichte?) ist, so ist das brige in der Feststellung des hochverehrten Linguisten und Indoeuropisten ein reines Miverstndnis entweder infolge vlliger Unkenntnis der Geschichte des Kaukasus oder einer der Wirklichkeit nicht entsprechenden Vorstellung von den ausschlielich gnstigen Mglichkeiten der linguistischen Arbeit gerade im Kaukasus, einer voll-

sind, ihre Glossen zu machen. Hier ist das Dokument:

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kommen entstellten Vorstellung bedingt durch die Erstarrung der alten indoeuropistischen Lehre von der Sprache, die sich selbst Uberlebt hat. Es bleibt eines: Studieren und weiterforschen, den Kreis der erforschten Sprachen mit ihrem breiten Material erweitern, den Kreis der Studierenden und Forschenden mit vielfarbiger Interessenpalette zu schlieen mit der arbeitsmigen Konzentration auf den einheitlichen schpferischen Proze der menschlichen Sprache und so bald wie mglich die alte abgestorbene Wissenschaft durch eine neue, lebensfhige und schpferische ablsen lassen. Ob eine Hoffnung darauf begrndet ist, wird der Verlauf unserer Vorlesung und die Lebendigkeit Ihrer Anteilnahme daran zeigen. 9. Es scheint, da wir jetzt zur Alltagsarbeit unseres Kurses Ubergehen sollten und ber Paragraphen und Artikel hinweg Sie mit den Grund thesen der Lehre von der Sprache bekannt zu machen, die ich die neue nenne, obwohl das ganze System, das seine strmische Entwicklungsperiode nach der Oktober-Revolution erlebte, wie Ihnen schon mitgeteilt wurde, gute vierzig Jahre alt, noch ein Jahr, und viele einzelne Gedanken dieser Lehre werden ein bedeutend imponierenderes Alter aufweisen, bedeutend hher als mein wissenschaftliches, ja sogar mein persnliches Lebensalter. Wir verabschieden uns von dem Vergangenen in der allgemeinen Einstellung der japhetitischen Lehre von der Sprache, drfen allerdings zwei Dinge nicht vergessen. Erstens darf man nicht vergessen, was ich in "Klassificirovanyj perecen pecatnych rabot po jafetidologii" formuliert habe:2^ "Die japhetitische Sprachwissenschaft ist keineswegs wie Pallas Athene dem Kopf des Zeus entsprungen: 1) sie entstand in der brgerlich zusammengesetzten und geprgten wissenschaftlichen Umgebung, mehr noch sie entstand selbstverstndlich als Antithese in den Normen der indoeuropischen Linguistik, ohne die sie auch nicht existierte; 2) sie befreit sich in den letzten Jahren aus den Schleiern des brgerlichen Denkens und der

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entsprechend aufgebauten methodisch-wissenschaftlichen Arbeit." Zweitens mu man hinzufgen, was ich in Kertsch whrend der Archologenkonferenz in dem schon erwhnten ffentlichen Vortrag formuliert habe. Er wurde Anfang September vergangenen Jahres berarbeitet und wird jetzt in der Zeitschrift des Zentralbros fr Landeskunde "Kraevedenie" in genderter Form gedruckt, zum erstenmal wurde er unter dem Titel "Staraja i novaja kul'tura, staraja i novaja archeologija i zadaci kul'turnogo stroitel'stva, stojascie pered sovetskoj vlast'ju" gehalten. Dort war von der Archologie die Rede, von der neuen Arch25 ologie im Gegensatz zur alten: "Die neue Archologie .... die noch im Wachsen ist, wenn sie noch nicht erwachsen ist", hie es dort, "hat auch nicht die Krfte, tiefe Wurzeln zu fassen, wenn sie nicht die glnzenden Errungenschaften der alten Archologie bewahrt ... wie sptere Kulturen schnell verblhten, wenn sie es nicht verstanden, kulturelle Errungenschaften vorhergehender Jahrhunderte in sich aufzunehmen, je gewhlter und strker desto besser. Im Wunsche eines gesunden und reichen Aufblhens der neuen sowjetischen Kultur mssen wir danach streben, da die neue Archologie, die dynamische Archologie der Sowjetmacht mglichst wirksam bei ihren Aufgaben zur Bewahrung von Kulturwerten aus vergangenen Epochen hilft ... unter sorgsamer Verpflanzung in den neuen wirtschaftlich-kulturellen Aufbau." Die Archologie ist die Geschichte der materiellen Kultur und ihre Ergebnisse aus der Vergangenheit knnen, so rumen wir ein, in diesen oder jenen Fllen ausgentzt werden, aber was hat die Sowjetmacht mit den Sprachen und sprachwissenschaftlichen Theorien bei ihrer ohnedies komplizierten Wirtschaft und dem auf entsprechende Zieleinstellung ausgerichteten kulturellen Aufbau zu schaffen? Kann man ihr denn zu ihren Aufgaben des kulturellen Aufbaus noch sprachwissenschaftliche Interessen in so breitem Umfang zumuten? Es gibt allerdings keine Notwendigkeit diese Interessen den Aufgaben des kulturellen Aufbaus der Sowjetmacht aufzubrden, denn sie wurden ihr von der Oktoberrevolution auferlegt. Und hier gestatte ich mir wieder, mich selbst aus dem selben

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Vortrag vor den Arbeitern von Kertsch zu zitieren, wo es heit:

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"Die

grte Gewhr fr die beste Erhaltung der von der Menschheit in allen von ihr durchlaufenen Entwicklungsetappen erreichten kulturellen Errungenschaften und zu gleicher Zeit der neuen wachsamen schpferischen Arbeit ist ein Geschenk der Oktoberrevolution: das ist nicht nur die Gewhrung der Selbstbestimmung ber die historische Vergangenheit an die befreiten Nationen,sondern auch der Ruf zur aktiven Selbstverwirklichung aller Vlker und Stmme in Wissenschaft und Bildung ohne

Ausschlu der Vlker und Stmme mit lediglich ethnographischem kulturellen Ballast, der Vlker und Stmme ohne historische Vergangenheit, die scheinbar nur Naturvlker sind im Gegensatz zu den Kulturvlkern. Die Oktoberrevolution hat diese Teilung gesellschaftlich abgeschafft, wie auch die japhetitische Theorie, von sprachlichen Fakten dazu veranlat, sie ablehnt. Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, eine Meinung, nicht meine eigene, sondern die eines Beobachters von auen aus westlicher brgerlicher Umgebung, aus Deutschland, wiederzugeben. In dem Aufsatz "Naturvlker und Kulturvlker" in der Zeit27 schrift "Die Friedenswarte" uert sich Wolfgang Steinitz, ein junger Gelehrter, der sich als Linguist in den finnischen Sprachen spezialisiert hat und 1926 nach Leningrad gekommen ist, zu dieser Frage. In dem Artikel schreibt er: "Gegenber der Jahrhunderttausende alten Entwicklung der Menschheit fallen die wenigen tausend Jahre, die wir in der Entwicklung "voraus" sind, nicht ins Gewicht. ... Weiter aber sind mehrmals "Barbaren", "Naturvlker" zu wirklichen Kulturvlkern geworden. So betrachteten und bezeichneten Griechen und Rmer alle Vlker des Westens und Nordens von Europa, die eigentlichen Trger der spteren europischen Kultur, als Barbaren. Dasselbe taten die Deutschen im Mittelalter mit den Slaven, tat man spter mit den Finnen - heute sind Slaven und Finnen gleich geachtete Mitglieder der europischen Kulturgemeinschaft. Das neueste Beispiel einer Entwicklung von Naturvlkern zu Kulturvlkern vollzieht sich vor unseren Augen in Ruland. Die nationale Freiheit im neuen Ruland erstreckt sich nicht nur auf anerkannte Kulturvlker wie Ukrainer, Deutsche, Armenier u.a., sondern auch auf all die greren und kleineren Vlker strulands und Sibiriens, die man teilweise bei uns nicht einmal dem Namen nach kennt (z.B. Mordwinen, Tscheremissen, Abchasen, dann Tartaren, Kirgisen usw.). Zum ersten Mal in der uns bekannten Geschichte hat man Vlkern, die man bisher

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als minderwertig, "auf dem Aussterbeetat stehend" usw. bezeichnet hat, das Recht auf freie, eigene Geistesentwicklung in ihrer Sprache gegeben, und so sehen wir, wie sich seit acht Jahren in diesen Sprachen nicht nur eine reiche Literatur an Lern- und Lehrmitteln aller Art, sondern eine Flle von Gedichten, Erzhlungen, Liedern u.a. entwickelt hat; fr den, der das frhere Geistesleben dieser Vlker etwas kennt, ist dieses Ringen um neue Formen und Inhalte ein tief ergreifender Anblick." Ist denn dieser "tief ergreifende Anblick" weniger tief erschtternd, wenn wir die Sache nicht aus der Vogelperspektive betrachten,sondern durch die Sowjetgesellschaft und das Leben selbst direkt vor die praktische Lsung gestellt, ohne das Erbe der ge