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Tanja Kohlpoth Systemtheorie und struktur-individualistischer Ansatz in den Internationalen Beziehungen

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Tanja Kohlpoth

Systemtheorie und struktur-individualistischer Ansatz in denInternationalen Beziehungen

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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Tanja Kohlpoth

Systemtheorie und struktur-individualistischer Ansatz in den Internationalen Beziehungen

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Vorwort

Einleitung

1. Grundlagen sozialwissenschaftlichen theoretischen Arbeitens 41.1 Aspekte der Methodologie der Sozialwissenschaften 41.2 Grundbegriffe sozialwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses 10 1.2.1 Die Definition von Theorie 11 1.2.2 Der Begriff der Erklärung 19 1.2.2.1 Das kausale Erklärungsschema 19 1.2.2.2 Das funktionale Erklärungsschema 221.3 Kurze Zusammenfassung 23

2. Das Programm der Allgemeinen Systemtheorie 24

2.1 Die Dimensionen des Systembegriffs 252.2 Entwicklungslinien des systemtheoretischen Programms 26 2.2.1 Die Definition von System 29 2.2.2 Die Präzisierung des Systembegriffs 322.3 Terminologische Gesichtspunkte 342.4 Die Methoden der Systemanalyse 352.5 Die Übertragung der organismischen Heuristik auf den Bereich der Sozialwissenschaften 36

3. Sozialwissenschaftliche Heuristik der Allgemeinen Systemtheorie - Der Strukturfunktionalismus 39

3.1 Die struktur-funktionale Systemtheorie nach T. PARSONS 403.2 Der Theorieansatz der voluntaristischen Handlungstheorie 423.3 Zum Funktionalismus in den Sozialwissenschaften 50 3.3.1 Definition des Begriffs Funktion 50 3.3.2 Funktionale Ansätze in der Gesellschaftstheorie 513.4 Die Allgemeine Theorie der Handlungssysteme 55 3.4.1 Die Einführung von Handlungssystemen 57 3.4.2 Der handlungstheoretische Bezugsrahmen und die Systemtheorie 58 3.4.3 Das Sozialsystem 66 3.4.4 Das AGIL-Schema und die Subsysteme des Handlungssystems 713.5 Das Konzept der generalisierten Medien 733.6 Evolution und gesellschaftlicher Wandel 773.7 Kurze Zusammenfassung 80

4. Der struktur-individualistische Ansatz 82

4.1 Grundlagen der theoretischen Konzeption des struktur-individualistischen Ansatzes 834.2 Theoriegeschichtlicher Hintergrund des struktur-individualistischen Ansatzes 864.3 Das Modell des homo oeconomicus 934.4 Das Modell des homo sociologicus 944.5 Metholodogisch-theoretische Grundannahmen im Bereich der Modellierung sozialer Prozesse 964.6 Die Rational Choice-Theorien 99 4.6.1 Die Grundannahmen der Rational Choice-Theorien 99

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4.6.2 Die Theoriebildung 101 4.6.3 Das Grundmodell der Erklärung 102 4.6.3.1 Die Entwicklung des Mikrodells 105 4.6.3.2 Der Makroeffekt im Mikromodell und das Problem der Transformation 105 4.6.3.3 Die rationale Wahl als Handlungstheorie 106 4.6.7 Die Verbindung von Individual-und Kollektivebene im Rahmen der Formulierung von Brückenhypothesen 107 4.6.8 Die Methode der abnehmenden Abstraktion 109 4.6.8.1 Brückenhypothesen und abnehmende Abstraktion 112 4.6.8.2 Handlungstheorie und abnehmende Abstraktion 112 4.6.8.3 Transformationregeln und abnehmende Abstraktion 112

5. Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen des systemtheoretischen und des struktur- individualistischen Ansatzes in der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen 117

5.1 Die politikwissenschaftliche Teildisziplin der Internationalen Beziehungen 118 5.1.1 Außenpolitisches Entscheiden und Handeln im Bereich der Internationalen Beziehungen 121 5.1.2 Vergleich von Systemtheorie und Rational Choice-Theorie 1235.2 Die Analyse der Internationalen Beziehungen im Rahmen der Systemkonzepte der Allgemeinen Systemtheorie und des Strukturfunktionalismus 1275.3 Grenzen der Anwendung systemtheoretischer Ansätze im Bereich der Internationalen Beziehungen 1395.4 Rationale Akteure als Träger von Entscheidungen im Bereich der Internationalen Beziehungen 1545.4.1 Theorie(n) des rationalen Handelns in den Internationalen Beziehungen 155 5.4.2 Spieltheoretische Modelle als Analyseansätze außenpolitischer Entscheidungs- und Handlungsprozesse 157 5.4.2.1 Das Rationalitätskonzept 160 5.4.2.2 Formale Modellierung 1625.5 Die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen 1645.6 Die Erlangung von Kooperation 1685.7 Die Grenzen der Anwendung von Rational Choice-Modellen im Bereich der Internationalen Beziehungen 172

Schlußwort 176

Literaturverzeichnis i-xiii

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Vorwort

Dieser Publikation liegt die Magisterarbeit

Darstellung zweier grundlagentheoretischer Ansätze - der Systemtheorie unddes struktur-individualistischen Ansatzes - und die Erörterung ihrer An-wendungsmöglichkeiten und Grenzen im Rahmen der politikwissenschaftlichenTeildisziplin der Internationalen Beziehungen

zugrunde. Sie wurde an der Gesamthochschule Kassel, Universität des Landes

Hessen, Fachbereich 05, Gesellschsftswissenschaften, von Prof. Dr. Werner

Ruf und Prof. Dr. Lothar Döhn, im Januar 1998 angenommen.

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1

Einleitung

In der Politikwissenschaft können die Analysemethoden sowohl hinsichtlich der

zugrundegelegten theoretischen Konzepte als auch bezüglich der Auswahl

empirischer Daten unterschieden werden. Darüber hinaus ist das Forschungs-

interesse an sozialen Sachverhalten auch durch die Ungleichheit meta-

theoretischer Fragestellungen und den damit verbundenen, teilweise auch

miteinander konkurrierenden methodologischen Regeln1 gekennzeichnet. Der

Status von Theorie, allgemein verstanden als Ansatzpunkt einer anwendungs-

bezogenen Realwissenschaft- hier der Politikwissenschaft- bedingt dem-

ungeachtet die kritische Einschätzung der Voraussetzungen, Möglichkeiten und

Grenzen der praktischen Umsetzung theoretischer Erkenntnisse.

Auf den Objektbereich der Internationalen Beziehungen bezogen, die auf dem

außenpolitischen Entscheiden und Handeln von Staaten und Gesellschaften,

d.h. der für sie handelnden Personen und Gruppen, basieren, wird die

Beschreibung und Erklärung des „Wie“ und „Warum“ außenpolitischen

Entscheidens und Handelns im Rahmen unterschiedlicher theoretischer

Modelle erfolgen, wobei in der vorliegenden Arbeit die grundlagentheoretischen

Konzeptionen der Systemtheorie und des strukturell-individualistischen

Ansatzes diskutiert werden.

Zwei scheinbar grundsätzlich unterschiedliche Theorieansätze hinsichtlich ihrer

deskriptiven und erklärenden Kapazitäten zu erörtern, läßt sich aufgrund einiger

wesentlicher Annahmen, die in beiden Konzeptionen identifizierbar sind, aber

unterschiedliche Entwicklungsperspektiven der Erklärung sozialer Sachverhalte

aufweisen, begründen. Da, hinsichtlich der Betrachtung systemtheoretischer

Konzeptionen, der thematische Schwerpunkt in dieser Arbeit auf der

Betrachtung des struktur-funktionalen Ansatzes liegt, wird auch explizit auf die

Differenzierung zwischen struktur-funktionaler Systemtheorie und der Rational

Choice-Theorie, als struktur-individualistischem Ansatz, fokusiert.

1 Wobei in der Literatur in diesem Zusammenhang auch immer wieder auf die „in der

Gesamtbilanz fruchtbare Pluralität von Theorien“ (RITTBERGER 1990:12) verwiesen wird, diedamit auch teilweise unterschiedliche metatheoretische Überlegungen mit einbeziehen (vgl.FREI 1977).

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Den Ausgangspunkt markiert dabei der Sachverhalt, daß im struktur-

funktionalen Ansatz PARSONS‘ zunächst - in Toward a General Theory of

Action - eine, dem individuellen Handlungsakt inhärente Rationalität, einge-

bettet in einen sozialen Kontext aus Normen, Werten und Institutionen und der

Thematisierung des Verhältnisses beider zueinander, festgestellt werden kann.

Dies entspricht im wesentlichen auch der Ausgangsüberlegung von Rational

Choice-Ansätzen. PARSONS modifiziert dann jedoch seinen theoretischen

Ansatz dahingehend, daß er Rationalität als geschichtsabhängige gesell-

schaftliche Institution deutet und diese damit aus dem Bereich des Subjektiven

herausnimmt. Auf die relevanten Theorieentscheidungen in den jeweiligen

Ansätzen wird in Kap.5 näher eingegangen.

Aufgrund beachtlicher Differenzen hinsichtlich der Definition von Theorie und

des hieraus abgeleiteten Verständnisses von Erklärung wird der Arbeit ein

Kapitel vorangestellt, das sich ausschließlich der Erörterung dieser

Grundbegrifflichkeiten widmet. Die unterschiedlichen Orientierungen sozial-

wissenschaftlicher Positionen werden dabei ebenfalls kurz dargestellt, um auf

diese Weise verdeutlichen zu können, welche „Perspektive“ mit welchem

Theorieverständnis verbunden ist. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit der

Grundlagendiskussion im Rahmen des Werturteils- bzw. Positivismusstreits ist

jedoch nicht Anlage des Kapitels. Entwickelt werden soll statt dessen ein

Grundverständnis, das die wissenschaftliche Einordnung der, in dieser Arbeit

behandelten, sozialwissenschaftlichen Ansätze ermöglicht.

In den weiteren Kapiteln werden die einzelnen theoretischen Konzeptionen

vorgestellt, wobei in der Darstellung wesentlicher Enwicklungsschritte der

Systemtheorie zunächst die überblicksartige Erläuterung der wichtigsten

Begrifflichkeiten dieses Paradigmas erfolgt (Kap.2), von dem aus die

Darstellung der sozialwissenschaftlichen Heuristik im Rahmen des

Strukturfunktionalismus eingeleitet wird (Kap.3). Zudem erscheint es von

Bedeutung auf das Programm der Allgemeinen Systemtheorie einzugehen, da

im Bereich der Internationalen Beziehungen die Systemansätze auf dieses

allgemeine Programm zurückgehen (Kap.5).

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In der Erarbeitung des struktur-individualistischen Ansatzes, d.h. der Rational

Choice-Theorie(n), werden neben wesentlichen Aspekten der Entwicklung des

Ansatzes (Kap. 4) die Möglichkeiten der Analyse im Rahmen dieses

forschungsanleitenden Programms insbesondere durch die Analysemöglich-

keiten anhand spieltheoretischer Konzeptionen in den Internationalen

Beziehungen vorgestellt (Kap.5).

Den Abschluß der Arbeit bildet die Erörterung der Anwendungsmöglichkeiten

und Grenzen der vorgestellten Ansätze im Forschungsbereich der

Internationalen Beziehungen (Kap.5).

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1. Grundlagen sozialwissenschaftlichen theoretischen Arbeitens

In diesem Kapitel werden überblicksartig wesentliche Aspekte der Wissen-schaftstheorie im Bereich der Sozialwissenschaften angeschnitten. DerBeweggrund hierfür entwickelte sich aufgrund der Notwendigkeit der Klärungausgewählter Positionen wissenschaftlicher Methoden, anhand derer imRahmen der vorliegenden Arbeit sozialwissenschaftliche Aneignung vonWirklichkeit dargestellt werden wird.

1.1 Aspekte der Methodologie der Sozialwissenschaften

Der Theoriebegriff in den Sozialwissenschaften hat viele, teilweise auch

verschiedenartige Bedeutungen. Verwendet wird er sowohl als Synonym für

Methodologie, Begriffsanalyse, theoretisches Modell usw., als auch für Theorie

im engeren Sinn. Das Begriffsfeld Theorie läßt sich folglich in einen

erkenntnistheoretischen und einen sachproblembezogenen Teil gliedern. Für

den erstgenannten wäre von Wissenschaftstheorie zu sprechen, für den

letzteren von Ansätzen oder Modellen.

Zur Begriffsfassung von Theorie als Methodologie, Paradigma2 oder

Metatheorie sollen aus der Vielfalt unterschiedlicher Kriterien zur

Standortbestimmung im folgenden einige zentrale Diskussionspunkte

angesprochen werden. Generell ist im Rahmen dieser Definition eine Menge

von metatheoretischen Aussagen gemeint, die sich auf die bei der Analyse der

2 Die Diskussion über Paradigmen in den Wissenschaften begann Ende der 60er Jahre mit dem

Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen von Thomas S. KUHN, wobei er imwesentlichen formuliert, daß Wissenschaft nicht eine von den Wissenschaftlern allein nachrationalen Gesichtspunkten gesteuerte Tätigkeit sei und zu immer wahreren Theorien derNatur führe, sondern schließlich nur eine modellhafte Lösung für ein wissenschaftlichesProblem darstellt, welches zum Ursprung einer kollektiven Forschungstradition wird. Darüberhinaus wird in der Paradigmendiskussion die Frage nach der Bearbeitung ungelösterProbleme aufgeworfen, die zur Generierung eines forschungsanleitenden Konzepts notwendigsind (vgl. KUHN 1967). Im Rahmen der Erörterung dieser Problemstellung muß jedoch daraufhingewiesen werden, daß für die Sozialwissenschaften ein rigider Paradigma-Begriff schwierigzu entwickeln ist, da der Forschungsgegenstand aus sozialen Akteuren besteht, die eineeigenständige Realitätsdeutung besitzen. Grundsätzlich muß für die Sozialwissenschaftendabei im Auge behalten werden, daß es keine unumstrittene Idee gesellschaftlicher Ordnunggibt.

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sozialen Wirklichkeit zugrunde gelegten wissenschaftstheoretischen Positionen

beziehen (vgl. BOUDON/BAURRICAULD 1992:576ff.).3

Die Unterscheidung der einzelnen theoretischen Grundpositionen ist in der

Literatur außerordentlich vielfältig angelegt. Oft wird die Differenzierung

zwischen ontologisch-normativer, empirisch-analytischer und kritisch-

dialektischer Theorie vorgenommen (vgl. ALEMANN 1995:124ff.). Der erst-

genannte Theorietypus geht in seinen Grundannahmen davon aus, daß das

Wesen der sozialen Realität objektiv richtig erkannt werden kann und auf

dieser Basis die Planung und Steuerung der Gesellschaft möglich ist.

Empirisch-analytische Theorien legen den thematischen Schwerpunkt auf die

empirische Beschreibung und Analyse gesellschaftlicher Phänomene. Das

Wesen von Gesellschaft wird dabei in phänomenologisch reduktionistischer

Weise beschrieben.4 Die kritisch-dialektische Theorie hat als zentralen

Themenpunkt die wechselseitige Beeinflussung von Wissenschaftler und

Objektbereich Gesellschaft und formuliert auf dieser Grundlage aufbauend

einen emanzipatorischen Ansatz theoretischer Modelle.

Sozialwissenschaftliche Konzeptionen können auch entlang der Positionen des

sogenannten normativen Wissenschaftsverständnisses, dessen Vertreter

neben der Erarbeitung theoretischer Lösungswege sozialer Problemstellungen

auch eine Zielbegründung, im Sinne normativer Empfehlungen, anstreben,

gegenüber der Auffassung von wissenschaftlichem Arbeiten im Rahmen des

analytischen Wissenschaftsverständnisses, deren Vertreter formulieren, daß

"normative Begründungen und Wertsetzungen nicht Aufgabe von Wissenschaftsind, weil dies logisch unmöglich sei, da sich Normen und Ziele imwissenschaftlichen Sinne nicht begründen und rechtfertigen ließen"(BÜSCHGES u.a. 1995:72f.)

3 Methodologie betrifft auch die Methoden der Forschung, ist aber nicht mit der Lehre von den

Forschungstechniken zu verwechseln. Methodologie ist eine Metatheorie, welche sich, alsTheorie über mehrere Theorien, der grundlegenden Untersuchung wissenschaftlicherMethoden widmet. Sie ist als solche Teil der Wissenschaftstheorie (vgl. LANKENAU/ZIMMERMANN in Schäfers 1995:203).

4 Edmund HUSSERL begründete die philosophische Richtung der Phänomenolgie, wobeiwesentlich ist, die reinen Phänomen (von griechisch: phainomenon = das Erscheinende) insZentrum der Betrachtung zu stellen (vgl. LENK 1991:325).

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unterschieden werden (vgl. BÖTTCHER 1979:15ff.). Die Methoden-

kontroversen zwischen normativem und analytischem Wissenschafts-

verständnis führten zu Beginn dieses Jahrhunderts zum Werturteilsstreit. In der

Fortsetzung des Konflikts hinsichtlich des "richtigen" Verständnisses von

Sozialwissenschaft kam es, in den 60er Jahren, zu einem Höhepunkt der

Auseinandersetzung in den Streitigkeiten zwischen Theodor W. ADORNO (als

Vertreter der Kritischen Theorie) und Karl R. POPPER (Kritischer

Rationalismus) und der später, vor allem von Jürgen HABERMAS und Hans

ALBERT, weitergeführten Grundsatzdiskussion über die Logik sozialwissen-

schaftlicher Forschung. Die schließlich als Positivismusstreit5 in die Geschichte

der Sozialwissenschaften eingegangene Methodendiskussion erweitert den

Bereich der Methodenstreitigkeiten insoweit, daß es

"nun endgültig zu einem Kampf nicht mehr um die rechten Mittel, die wirzwecks kontrollierten Erkenntnisgewinns und zwecks kalkulierter Handlungs-chancen anwenden sollen, sondern unmittelbar zu einem Kampf um dieAufgaben soziologischer Wissenschaft" (BÖTTCHER 1979:10)

kommt. Die Divergenzen zwischen empirisch-analytischer Wissenschafts-

theorie und Kritischer Theorie beziehen sich demzufolge auf ein grundsätzlich

unterschiedliches Anliegen sozialwissenschaftlicher Arbeit: Während im

Rahmen des Kritischen Rationalismus die Gesellschaft empirisch erfaßt und

deskriptiv bearbeitet wird, um die objektive Wirklichkeit wertfrei zu erkennen, ist

die Anlage der Kritischen Theorie nicht nur beschreibend sondern emanzi-

patorisch tätig zu sein. Der Begründung, daß Erscheinung und Wesen gleich

sind und daher bereits die Beschreibung als "Aufklärung" verstanden wird, folgt

die Ablehnung normativer Empfehlungen im Rahmen des Kritischen

Rationalismus. Die Kritische Theorie geht jedoch von der Annahme aus, daß

Erscheinung nicht gleich Wesen ist und Theorie erklärende Funktion in bezug

auf die vorfindbaren Erscheinungen haben muß. Als Folge der aufklärerischen

Position Kritischer Theorie wird der Bereich der normativen Empfehlungen als

Teil wissenschaftlicher Arbeit betrachtet. Die in dieser Arbeit miteinander zu

5 DAHRENDORF (1977) verweist auf die Ungenauigkeit der Verwendung des Begriffs

Positivismus im Rahmen der Grundlagendebatte: Die Vertreter der Kritischen Theoriebezeichneten die am Streit beteiligten Vertreter des Kritischen Rationalismus als Positivisten.

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vergleichenden Theoriekonzeptionen, unterscheiden sich nur hinsichtlich der

Mittel der Erkenntnisgewinnung, nicht jedoch in der Frage der Aufgabe

sozialwissenschaftlicher Erkenntnis. Weder der struktur-individualistische

Ansatz noch die struktur-funktionale Systemtheorie formulieren in ihren

Annahmen eine aufklärerische Funktion im Sinne der Kritischen Theorie. Die

Erklärung sozialer Sachverhalte wird sich daher, gemäß der angegebenen

Differenzierung, im Rahmen dieser Arbeit explizit an ihrer Themenstellung

orientieren.

Die Untersuchung sozialer Sachverhalte im Rahmen von theoretischen

Modellen ist weiterhin begleitet von der grundsätzlichen Kontroverse, ob soziale

Phänomene nur sozial erklärbar sind und Gesellschaft demzufolge als Wesen

sui generis betrachtet werden muß oder ob individuelles Verhalten gesell-

schaftliche Erscheinungen determiniert und diese damit vollständig oder

zumindest teilweise erklärt. Die Differenzierung verläuft somit entlang einer

kollektivistisch-holistischen gegenüber einer individualistischen Linie. Beide

Ansätze bestehen nebeneinander und sind in verschiedenen Formen sogar

miteinander kombiniert.

In den Arbeiten WEBERs sind die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten zur

Erklärung sozialer Sachverhalte ausführlich thematisiert. Er versteht dabei

soziales Handeln als ein Verhalten, dem ein subjektiv gemeinter Sinn in bezug

auf das Verhalten anderer unterlegt und dadurch erklärbar ist. Sinn und

Sinnzusammenhang sind somit entscheidend für das Verstehen (vgl. WEBER

1985:1). Neben dem subjektiv gemeinten Sinn6 bestehen auch kulturell und

gesellschaftlich vermittelte Sinnzusammenhänge, die als Werte und Normen

erfaßbar sind (vgl. WEBER 1985:4f.). Kollektive soziale Gebilde werden

demzufolge nur als Kategorien für bestimmte Formen des Zusammenlebens

aufgefaßt und können auf das Handeln der beteiligten Individuen reduziert

werden.

6 Als Beispiel kann die Orientierung im Rahmen von Zweckrationalität angeführt werden, was in

Rational Choice-Konzeptionen auch als Nutzenorientierung ausgelegt wird.

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Demgegenüber wird z.B. in der theoretischen Konzeption DURKHEIMs der

thematische Schwerpunkt auf das Zustandekommen von Strukturen, die

Verhaltensregelmäßigkeiten bedingen, gelegt. Dem gesellschaftlichen Gebilde

wird hierbei gegenüber der Individualebene Vorrang eingeräumt.

Die Differenzierung zwischen diesen beiden Positionen leitet zu einem weiteren

Aspekt über, der die Unterscheidung zwischen sozialwissenschaftlichen und

naturwissenschaftlichen Erklärungsweisen sozialer Sachverhalte thematisiert.

In den Naturwissenschaften ist der Objektbereich weitgehend „unbelebte

Materie“, in den Sozialwissenschaften sind die Objekte hingegen Menschen7.

Und

„Gesellschaft ist das Produkt menschlicher Handlungen, und Menschen sind inihren Aktivitäten von Glauben und Wissen, von Selbstreflexion undWahrnehmung ihrer sozialen Umwelt zutiefst beeinflußt.“ (WEISS 1993:1)

Der Forschungsbereich sozialen Handelns umfaßt somit Handlungselemente,

die nur subjektiv rational sind und daher nicht „berechenbar“. Hier schließt sich

auch die Frage an, ob aufgrund des besonderen Forschungsbereichs die

Sozialwissenschaften einen methodischen Sonderstatus benötigen oder ob sie

den Naturwissenschaften ähnliche Forschungstechniken anwenden können.

Die Orientierung an naturwissenschaftlichen Forschungstechniken basiert als

Wissenschaftskonzeption auf einem mechanistisch-naturwissenschaftlichen

Vorgehen, das auf die durch Beobachtung gewonnenen, positiven,

Sachverhalte abzielt. Dadurch, daß Erscheinungen als Wirkungen bestimmter

Ursachen aufgefaßt werden, d.h. der Herleitung von kausalen Beziehungen

zwischen Erscheinungen, werden Erklärungen formuliert. Die Ergebnisse

derartiger Untersuchungen werden in der Regel als allgemeingültige Aussagen

in Form von Gesetzen formuliert, mit deren Hilfe wiederum weitere

Erscheinungen erklärt werden sollen (vgl. BÖTTCHER 1979:17). Inhaltlich wird

im Rahmen dieser wissenschaftstheoretischen Linie die Position des

„Erklärens“ vertreten.

7 Der Sozialwissenschaftler selbst ist zudem Gegenstand seines Erkenntnisbereichs und verfügt

somit nicht über die Distanz des Naturwissenschaftlers zu dessen Objektbereich.

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Im Rahmen der Verstehenden Soziologie, als ideographische Wissenschafts-

auffassung, steht hingegen die „interpretative Perspektive“ für die Erklärung

sozialer Sachverhalte im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. (TREIBEL

1995:109), Ausgangspunkt ist auch hier die Darstellung empirisch vorfindbarer

sozialer Tatbestände, aber aufgrund des deskriptiven Untersuchens von

Einmaligem, d.h. Individuellem, sollen interessierende soziale Sachverhalte

nicht nur kausal erklärt, sondern auch teleologisch verstanden werden.8 Die

interpretative Dimension sozialen Handelns (gegenüber der kausal-

analytischen Erklärweise) wirft die Frage auf, ob eine andere Logik der

Erklärung zugrunde gelegt werden muß. Die Berücksichtigung der subjektiven

Konstruktionen erster Ordnung der Akteure könnten auch nicht-objektive

Konstruktionen zweiter Ordnung bedingen. WEBER gibt in diesem

Zusammenhang an, daß das Subjekt des Sozialen mit den gleichen Methoden

angegangen werden muß, wie sie für alle Wissenschaften gelten. Die

Konstruktionen zweiter Ordnung müssen rational sein, auch wenn die

Konstruktionen erster Ordnung, auf denen sie beruhen, nicht-rational/nicht-

logisch sind. Damit kann auch der Komplex sozialen Verhaltens logisch erfaßt

und dargestellt werden, der scheinbar irrationalen Motivationen unterworfen ist

(vgl. ESSER 1993:84).

Die genannten methodologischen Aspekte sozialwissenschaftlichen Arbeitens

bedingen ein unterschiedliches Verständnis hinsichtlich der Konstruktion

theoretischer Modelle, was im folgenden dargestellt wird.

8 Der Objektbereich der Sozialwissenschaften besteht neben beobachtbaren Merkmalen (im

positivistischen Sinn des empirisch nachweisbaren) auch aus Ideen und Motiven der

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1.2 Grundbegriffe sozialwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses

Jeder wissenschaftlichen Untersuchung ist eine Theorie vorangestellt - ganz

gleich wie deutlich sie formuliert wird - denn Theorie

„[...] dient der Präzisierung der Fragestellung und der Rekonstruktion -Nachbildung - des Untersuchungsgegenstandes, des Erkenntnisobjektes.“(KONEGEN/SONDERGELD1985:138)

Theorie kann somit verstanden werden als Bezugsrahmen, der einen

bestimmten interessierenden Sachverhalt in einer bestimmten Weise fokusiert

und festlegt, welche Informationen als relevant bzw. irrelevant für die

Untersuchung gelten sollen. Die aufgenommenen Informationen müssen

darüber hinaus in eine Ordnung, d.h. systematischen Zusammenhang gebracht

werden, was bedeutet,

„daß den als relevant ausgewählten und zu ordnenden Fakten ein Sinnzugrunde gelegt wird.“ (FREI 1977:14)

In der darauf folgenden Interpretation der ausgewählten Informationen liegt die

Erklärungsfunktion von Theorie (vgl. FREI 1977:13 f.).

Die Betrachtung sozialer Sachverhalte ist darüber hinaus durch zeitliche und

gesellschaftliche Rahmenbedingungen bzw. Kontexte bedingt. Theorien

enthalten somit Traditionen und formulieren Interessen. Auf diese Weise

beeinflussen sie den gesellschaftlichen Rahmen, in dem sie wirken.

Eine grundlagentheoretische Auseinandersetzung im Rahmen (politik-)

wissenschaftlicher Theorien setzt voraus, den Begriff Theorie zunächst zu

bestimmen und weiterhin Merkmale von Theorie(n) darzustellen. Im Auge

behalten werden muß auch, daß Theorien zur Erklärung interessierender

sozialer Tatbestände dienen und erst über eine grundlegende Verständigung

hinsichtlich der unterschiedlichen Auffassungen von Erklärung in theorie-

spezifische Diskurse eingeleitet werden kann.

Menschen, die es bedingen die kausale Verknüpfung durch Interpretation zu erweitern.

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1.2.1 Die Definition von Theorie

Der Begriff Theorie leitet sich vom griechischen theoria ab (das Anschauen,das Betrachten von etwas; theorein: anschauen). Gegenüber der Praxis(griechisch. praxis: Das Handeln, die Tat) und Empirie (griechisch: empeiria:Erfahrung, Übung) nimmt Theorie somit einen abstrakteren Charakter an.

Unter Theorie im engeren Sinn ist die dem naturwissenschaftlichen

Erkenntnisprozeß nachgebildete Form der Abgrenzung, Einheitlichkeit und

Überprüfbarkeit des Aussagezusammenhangs hinsichtlich einer Menge von

Aussagen, die ein System bilden, aus dem sich empirisch überprüfbare

Folgerungen ableiten lassen, zu verstehen (vgl. SCHÄFERS 1995:314). In der

Ausformulierung dieser Auffassung wird Theorie als ein System logisch

widerspruchsfreier und empirisch aussagekräftiger Hypothesen, das

Basisannahmen (Axiome) enthält, aus denen weitere Aussagen abgeleitet

werden können, definiert. In diesem Sinn bedeutet Theorie eine Menge

empirisch überprüfbarer Aussagen über die Wirklichkeit.

Das Spektrum der Anwendung von Theorien reicht von der Analyse des

individuellen sozialen Handelns über die Untersuchung von Gruppen und

Institutionen bis zum Versuch der Erklärung der Entstehung, Strukturiertheit

und dem Veränderungsprozeß der verschiedenen gesellschaftlichen

Zusammen-schlüsse. Hier ist wieder eine wesentliche Komponente der

Paradigmen-diskussion angesprochen: Eine derartige Themenvielfalt kann

kaum von einer Metatheorie erfaßt und bearbeitet werden. 9

Neben der Definition des Begriffs Theorie müssen im Rahmen der

Beschreibung einer solchen ihre Haupteigenschaften und somit auch die

Definition der in der Theorie enthaltenen Begriffe erörtert werden.

Da in den Sozialwissenschaften zwischen unterschiedlichen Auffassungen von

Theorie unterschieden werden muß, behandelt der folgende Abschnitt das

Verständnis von Theorie zunächst nach den Gesichtspunkten, wie

9 Hinsichtlich der Inhalte von Theorien finden sich Unterscheidungen in: Systemtheorien,

Gesellschaftstheorien und Verhaltens- und Handlungstheorien als auch Kombinationen dieser(vgl. GUKENBIEHL/SCHÄFERS in Schäfers 1995:316).

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beispielsweise HOMANS (1972) sie formuliert und nach denen unter Theorie

die Erklärung eines Phänomens mit Hilfe eines deduktiven Systems verstanden

werden soll. Demgegenüber steht die Auffassung von Theorie, wie sie im Werk

Talcott PARSONS’ ausgearbeitet ist.

Für HOMANS gehören zu den allgemeinen Merkmalen von Theorie zunächst

eine Reihe von Begriffen (bzw. ein Begriffsschema). Einige der Terme im

Schema klassifiziert er als deskriptive Begriffe, die aufzeigen, worauf Bezug

genommen wird (z.B. Individualismus oder Kollektivismus etc.). Diese Begriffe

werden durch die Kriterien, nach denen Beobachtungen unter ihnen subsumiert

werden, definiert.10 Eine zweite Kategorie bezeichnet er als operative Begriffe,

die Eigenschaften der Realität benennen. Diese Eigenschaften sind Variablen,

die Wahrscheinlichkeiten sein können, so z.B. Nutzenmaximierung oder

Erhaltung des Systemgleichgewichts. Die Variablen können stetig Veränder-

liche sein oder lediglich zwei Werte annehmen.11

Eine Theorie besteht, nach HOMANS, darüber hinaus aus einer Reihe von

Hypothesen, von denen jede eine Beziehung zwischen mindestens zwei

Eigenschaften feststellt.12 Diese Hypothesen bilden ein deduktives System13,

wobei einige der Hypothesen kontingent sein müssen.14 Hinsichtlich ihres

Allgemeinheitsgrades können sich die Hypothesen unterscheiden. Die

Unterschiede leiten sich aus den Bezügen ab, so beispielsweise hinsichtlich

einer bestimmten Gesellschaft, einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe

oder Einheit auf die näher eingegangen werden soll (vgl. HOMANS 1972:10)

Die allgemeineren Hypothesen werden Hypothesen höherer Ordnung genannt,

10 Wichtig ist, daß die Operationen, die durch solche Begriffe definiert werden unabhängig sind

von denjenigen, die durch andere Begriffe definiert werden.11 Eine Eigenschaft ist vorhanden oder sie ist es nicht.12 Alle Verknüpfungen von Aussagen müssen logisch konsistent sein.13 Die Reihe der Hypothesen bildet den theoretischen Kern und entsprechend den Festlegungen

des Theoriekerns, müssen Hypothesen in logischer Folgerung auseinander abgeleitet werdenkönnen. Wenn Hypothesen so deduziert wurden, sagt man sie seien erklärt. HOMANSresümiert: “Eine Theorie ist nichts wenn sie keine Erklärung ist“ (1972:10).

14 HOMANS verwendet den Begriff Kontingenz in der Weise, daß für die „Wahrheit oderFalschheit oder für die der aus ihnen abgeleiteten Hypothesen die Erfahrung von Bedeutungist (vgl. 1972:10). Nicht-kontingente Hypothesen werden in den Kalkül eingeführt um dieDeduktion zu vereinfachen. Nicht-Kontingenz bedeutet hier Wahrheit aus rein logischenGründen.

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13

die weniger allgemeinen Hypothesen niederer Ordnung oder empirische

Hypothesen (vgl. HOMANS 1972:11).

Eine Theorie kann in der Zuweisung von Hypothesen unterschiedlich angelegt

sein. Gewöhnlich spricht man von einer Theorie, wenn eine Klasse von

Phänomenen behandelt wird. Dem zugrundeliegenden Verständnis folgend

kann Theorie verstanden werden als ein Bündel von deduktiven Systemen,

welche sich zwar hinsichtlich ihrer Hypothesen niederer Ordnung einschließlich

der zu erklärenden Hypothese differenzieren, die jedoch eine oder mehrere

Hypothesen höherer Ordnung gemeinsam haben (vgl. HOMANS 1972:11).

Somit kann eine Vielzahl empirischer Hypothesen aus einer kleinen Anzahl von

Hypothesen höherer Ordnung unter verschiedenen Randbedingungen

abgeleitet werden. Dies umfaßt in der Gesamtkomplexität und Ausformulierung

dann den Gehalt einer Theorie.

Im Rahmen dieser Auffassung finden sich in der Entwicklung einer Theorie

folglich Begriffe und Hypothesen, die hinsichtlich der Leistung an ihrer

Deduktionsfähigkeit gemessen werden können. Die Darstellung der Merkmale

von Theorie verweist auf eine wesentliche Schlußfolgerung, denn

„Als Ideal unterscheidet sich das Wesen von Theorie, von Erklärung, in denSozialwissenschaften nicht von den Naturwissenschaften [...]. Die beidenGebiete unterscheiden sich natürlich in der Art der Hypothesen, die in ihrededuktiven Systeme eingehen, keineswegs jedoch darin, daß deduktiveSysteme gemeint sind, wenn von Theorien gesprochen wird.“ (HOMANS1972:15)

Demgegenüber formuliert PARSONS ein Verständnis von Theorie, das im

wesentlichen auf drei Funktionen begründet ist:

„First, it should aid in the codification of our existing concrete knowledge.“(PARSONS 1953:3)

Dabei geht es PARSONS um die Bereitstellung von generalisierenden

Hypothesen, die eine systematische Reformulierung von bestehenden

Tatbeständen ermöglichen. Hierbei sollen Teilhypothesen erweitert und im

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14

Rahmen von umfassenderen Konzepten verknüpfbar gemacht werden. Das

entstehende Kodifikationsschema

„[...] will help to promote the process of cumulative growth of our knowledge.“(PARSONS 1953:3)

Dabei verweist PARSONS auch auf die Möglichkeit der Verdeutlichung von

„points where further work must be done.“ (PARSONS 1953:3)

Die zweite Funktion von Theorie lokalisiert PARSONS den Aspekt, daß Theorie

als Leitfaden der Forschung zu dienen hat. Als wesentliches Kriterium führt er

die einheitliche Nutzung von Forschungsstrategien an, die zur

„validation and revision of the theory“ (PARSONS 1953:3)

führen sollen. Die Möglichkeit im Rahmen einer umfassenden Theorie

Teilanalysen eine verläßliche

„control of the biases of observation and interpretation“ (PARSONS 1953:3)zu liefern, wird als dritte Funktion von Theorie gekennzeichnet.

In der Zusammenfassung der drei Funktionen kann formuliert werden, daß

Theorie als

„Gesamtheit allgemeiner Begriffe, die logisch interdependent sind und einenempirischen Bezug haben“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:31)

aufgefaßt werden kann. Die logische Geschlossenheit der Gesamtkonzeption

ermöglicht im Idealfall ein Ausmaß logischer Integration, in dem

„[...] jede logische Implikation aus einer beliebigen Kombination von Sätzen desSystems in einem anderen Satz des gleichen Systems ausdrücklich festgestelltwird.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:31f.)

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15

Ein hochentwickeltes theoretisches System kann weiterhin eine Vielzahl

verschiedener allgemeiner Begriffstypen umfassen, die zudem unterschiedliche

Funktionen aufweisen können. Nach PARSONS gehört zu den wichtigsten

Funktionen von Theorie:

1. die Beschreibung der Sachverhalte2. die Analyse derselben

woraus er ableitet, daß Analyse nur nach genauer Beschreibung der

wesentlichen Tatsachen möglich ist. Als Grundkategorie aller

wissenschaftlichen Deskription legt er das empirische System als Explanandum

zugrunde (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:32). Hierbei nimmt er Bezug

zur Relation zwischen der Tatsachenfeststellung und der ihr nachfolgenden

theoretischen Begriffsbildung, die selektiv erfolgen muß und dennoch ein

möglichst kohärentes Ganzes ergeben sollte. Die Angemessenheit der

Deskription läßt sich nach PARSONS zeigen, wenn

„auf alle in dem jeweiligen Zusammenhang wissenschaftlich wichtigen Fragengenaue und verifizierbare Antworten gegeben werden können“ (PARSONS inRüschemeyer 1964:32),

Auf der Ebene der Beschreibung lokalisiert PARSONS dann zwei Elemente, die

die Funktion eines allgemeinen Begriffsschemas erfüllen:

1. einen Bezugsrahmen bzw. ein Kategorienschema, innerhalb dessen sich diewissenschaftliche Untersuchung verortet (vgl. PARSONS in Rüschemeyer1964:33). Wesentlich ist dabei, daß

„[...] für eine begrenzte Anzahl von Grundkategorien bestimmte Wertefestgestellt worden sein müssen, ehe man von einer genauen Beschreibungsprechen kann.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:33).

2. Die Erscheinungen, die zusammenhängend ein System bilden weisen auchauf der strukturellen Ebene Zusammenhänge auf (vgl. PARSONS inRüschemeyer 1964:34).

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16

Die Strukturkategorie dient dabei zur Beschreibung der wesentlichen

Sachverhalte und schafft die Ausgangsposition für die Lösung von Problemen

in der dynamischen Analyse.

PARSONS differenziert hier die kausale Erklärung von der Auffindung von

Gesetzen. Beide Aspekte werden aber in der Zielperspektive wieder

zusammengeführt (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:34).

Das Kennzeichen der dynamischen Analyse ist dann:

„eine Reihe interdependenter Erscheinungen simultan im Sinn der Mathematikzu formulieren“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:35)

und dies als Differentialgleichungssystem wiederzugeben. Um eine solche

Ebene erreichen zu können, glaubt PARSONS zwei Voraussetzungen in

seinem theoretischen Konstrukt erfüllt zu haben:

1. Variablen müssen empirischen Charakter haben und2. sie müssen so beschaffen sein, daß bestimmte Techniken auf sie anwendbar sind (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:36).

Die Problemperspektive, die hier entsteht erfaßt PARSONS folgendermaßen:

„Dieser Art der analytischen Behandlung sind jedoch nur ganz bestimmteVariablen zugänglich - nämlich solche, die nur ihren numerisch quantitativenWert entlang eines Kontinuums verändern.“ (PARSONS in Rüschemeyer1964:36)

Eine erfolgreiche dynamische Analyse kann sich daher nur über die

„ständige systematische Rückbeziehung jedes Problems auf den Zustand desSystems als Ganzem“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:36)

ergeben. Sollte dies nicht möglich sein, schweift er ab, soll eine methodische

Vereinfachung vorgenommen werden:

„Logisch ist dies nur in der Form möglich, daß man einigen allgemeinenKategorien die Rolle von Variablen entzieht und sie als Konstante behandelt.Genau dies tut ein analytisches System wie die Mechanik mit gewissen

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17

Elementen außerhalb des Systems, die als Bedingungen behandelt werden.Das gleiche ist jedoch auch innerhalb des Systems logisch möglich. DieVerwendung von strukturellen Kategorien bei der Behandlung dynamischerProbleme erfüllt im wesentlichen diese Funktion.“ (PARSONS in Rüschemeyer1964:37).

Sie, so führt PARSONS aus, kann somit als Vereinfachung der dynamischen

Elemente betrachtet werden, wobei auf die Möglichkeit einer mathematischen

Analyse verzichtet wird (vgl. PARSONS in Rüschemeyer 1964:37). Das

Problem, das dabei entsteht, reduziert sich in seinem Ausmaß wiederum

dadurch, daß immer die Beziehung von Teil zum Ganzen thematisiert wird.

„Denn die Struktur eines Systems, wie sie durch ein allgemeinesBegriffsschema beschrieben wird, ist ein echtes technisch-analytischesWerkzeug.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:37)

Ableitend aus mechanistischen Systemvorstellungen kann er so ein Fundament

der Erklärung schaffen und faßt zusammen:

„Es gibt die Gewähr dafür, daß nicht wirklich wichtiges Wichtiges vernachlässigtwird; und indem es einen festen Zusammenhang schafft, trägt es zurGenauigkeit der Problemstellungen und Lösungen bei.“ (PARSONS inRüschemeyer 1963:37)

Während er die Art der Struktur als selbständiges theoretisches Element für die

Beschreibung des Systems aus mechanistischen Vorstellungen ableitet,

zergliedert er es auf dynamischer Ebene in Prozeß und Interdependenz. Damit

werden diese Aspekte zu wichtigen Kategorien seines theoretischen Modells.

Struktur bezeichnet dabei die relative Stabilität und Gleichförmigkeit im

Ergebnis bestimmter zugrundeliegender Prozesse.

Weiterhin wird der Begriff der Funktion ein wesentliches Element der

theoretischen Konzeption und PARSONS verdeutlicht dies folgendermaßen:

„Führt man die Struktur eines Systems als einen positiven Grundbestandteil indie dynamische Analyse ein, so müssen diese >statischen< Strukturkategorienund die jeweiligen, sich aus ihnen ergebenden Tatsachenfeststellungen aufirgendeine Weise mit den dynamisch variablen Elementen des Systemsverknüpft werden.“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:38)

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18

Wichtig ist hierbei, daß PARSONS Kriterien für die Wichtigkeit der

unterschiedlichen dynamischen Faktoren und Prozesse innerhalb des Systems

festlegt. Sie sind von funktionaler Bedeutung für das System und ermittelbar

aus der

„Analyse der jeweiligen funktionalen Beziehungen zwischen den Teilen desSystems, sowie dem System und seiner Umgebung.“ (PARSONS inRüschemeyer 1964:38)

Über den Begriff der Funktion kann PARSONS auch die Dynamik des

empirischen Systems verdeutlichen, denn Struktur meint Zusammenhänge

innerhalb von Grenzen, Funktion verdeutlicht eine Entwicklungsperspektive.

Auch wenn PARSONS den teleologischen Charakter dieser Annahme erkennt -

denn Prozesse können funktional oder dysfunktional verlaufen - ist hierbei

vordergründig wichtig, daß das funktionale Moment in seinem ganzen Umfang

„[...] das logische Äquivalent für die Simultangleichungen in einem vollentwickelten System der analytischen Theorie dar[stellt/Anm/TK].“ (PARSON inRüschemeyer 1964:38)

Auf diese Weise kann schlußfolgernd auch ohne entsprechende mathe-

matische Techniken die dynamische Interdependenz variabler Faktoren in

einem System analysiert werden.

Theorie hat damit als Hauptfunktion die vollständige Beschreibung, aufgrund

derer die Interpretation des interessierenden Sachverhalts erfolgt. Systeme

enthalten dabei eine dysfunktionale funktionale Kategorie, die mit strukturellen

Kategorien verknüpft werden müssen, d.h.

„sie müssen Prozesse beschreiben, die diese bestimmten Strukturen erhaltenbzw. abbauen und die Beziehungen des Systems zu seiner Umwelt vermitteln.Dieser Aspekt des Systems muß gleichfalls in dem oben beschriebenen Sinnevollständig sein“ (PARSONS in Rüschemeyer 1964:39)

um darüber zu einer Interpretation zu gelangen.

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19

PARSONS rekurriert in der Darstellung der Konzeption seines Theoriebegriffs

auf Systeme der Physiologie und Psychologie, die beide als Bezugspunkt einen

Organismus haben. Und verdeutlicht

„Die Kriterien für die Bedeutung von Prozessen [...] und ihrer dynamischenInterdependenz ergeben sich aus ihrer Funktion in Bezug auf die Erhaltungdieser Struktur in einer gegebenen Umwelt.“ (PARSONS in Rüschemeyer1964:39)

1.2.2 Der Begriff der Erklärung

Die Lösung sozialer Problembereiche erfordert eine Antwort auf die Frage,

warum der interessierende Sachverhalt so besteht, so funktioniert und sich

gegebenenfalls so verändert, wie es erfaßt worden ist (vgl. ESSER 1993:39ff.).

Das der Erklärung zugrundeliegende Wissenschaftsverständnis determiniert die

Formulierung der Antworten. In den Sozialwissenschaften werden dabei

verschiedene Erklärungsschemata von einander differenziert.

1.2.2.1 Das kausale Erklärungsschema

Das Grundschema der Erklärung orientiert sich hier an dem von HEMPEL und

OPPENHEIM (vgl. ESSER/KLENOVITS/ZEHNPFENNIG 1977:101ff.) ent-

wickelten Konzept der deduktiv-nomologischen Erklärung.15 Die Erklärung

eines Phänomens bedeutet hier, daß das zu erklärende Phänomen als Folge

bestimmter kausaler Ursachen zu erkennen ist. Im Zentrum steht die Frage

warum das explanandum-Ereignis geschah. Den Ausgangspunkt bildet die

genaue Deskription, wobei es sich meist um Einzelfallanalysen handelt, die die

15 In der Literatur auch als Hempel-Oppenheim-Modell oder H-O-Schema bekannt. Diese

Konzeption von Erklärung hat man auch als covering law model oder deduktivesErklärungsmodell bezeichnet. Ursprünglich nur für die Erklärung naturwissenschaftlicherPhänomene entwickelt, antizipiert dieser Erklärungstyp deterministische Gesetze und ist in derÜbertragung auf die Gesellschaft umstritten, da für den Bereich der Sozialwissenschaften dieAnnahme einer interpretativen Dimension aller sozialen Prozesse besteht, vor derenHintergrund jede kausale Erklärung in wichtiger Hinsicht unvollständig bleiben muß (vgl.ESSER 1993:40, vgl. auch ESSER/KLENOVITS/ZEHNPFENNIG 1977:106f.).

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20

Eingrenzung eines Phänomens auf zeitliche, räumliche und situative

Konstellationen vorsieht. Das Schema entwickelt sich sodann wie folgt:

Das Explanandum umfaßt die Beschreibung des Phänomens des „zu

erklärenden“. Und im Explanans sind die Aussage über das Explanandum in

einer Klasse von anderen Aussagen logisch enthalten (vgl. ESSER 1993:40f.).

Das Explanans hat darüber hinaus zwei Bestandteile:

allgemeine Gesetze, die Ursachen und Konsequenzen (Folgen) in „wenn -

dann“ Gesetzen verbinden, indem Folgen als Funktion der Ursachen benannt

und als Kausalbeziehung(en) aufgefaßt werden und

Randbedingungen (engl. initial conditions), d.h. Beschreibungen, daß die

Ursachen (singuläre Ereignisse) tatsächlich vorliegen (vgl. ESSER 1993:41).

„Die Erklärung eines Explanandums ist dann erfolgt, wenn es ein Gesetz gibt,daß das Explanandum allgemein als Folge der Randbedingungen aufführt, undwenn gezeigt werden kann, daß die im Gesetz für diese Folgen gefordertenRandbedingungen im speziellen Fall auch wirklich erfüllt waren.“ (ESSER 1993:41).

Zusammenfassend läßt sich für das Prinzip der Erklärung folgendes angeben:

Das Explanadum E(i) ist eine Aussage über ein zu erklärendes Phänomen,

welches in einem Satz von Aussagen über allgemeine Gesetze L1, L2, L3...Lr

und in einem Satz über relevante Randbedingungen C1,C2,C3...Ck aufgeführt

werden kann. Die Erklärung von E(i) ergibt sich somit aus L1, L2, L3...Lr und

C1, C2, C3...Ck.

Gemäß den Bedingungen, daß 1. das E(i) im Explanans tatsächlich enthalten

sein und aus den Aussagen schlüssig folgen muß und 2. das Explanans ein

allgemeines Gesetz enthalten, empirisch Gehalt besitzen und somit überprüfbar

ist, müssen außerdem die Aussagen im Explanans wahr sein, als auch das

Explanandum selbst, um eine ausreichende Erklärung interessierender sozialer

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Sachverhalte liefern zu können.16 Gilt das Gesetz (welches im Explanans

formuliert wurde) und bestehen tatsächlich die Randbedingungen muß das

Explanandum vorliegen. Wenn dies nicht der Fall ist, ist der Erklärungsversuch

gescheitert.

Für den Bereich der Naturwissenschaften, d.h. den Typ der kausal-analytischen

Erklärung, mutet die Anwendung dieses Schemas der Erklärung noch recht

einfach an. Im Bereich der sinnhaften Handlungen sind kausale oder

allgemeine Gesetze aber nicht ohne weiteres auszumachen. Die Erklärungen

über interessierende Phänomene in den Sozialwissenschaften müssen daher

Besonderheiten aufweisen, die in ihrer Entwicklungslinie nur von differenzierten

Ausgangsbedingungen her interpretiert werden können. Die zentrale

Überlegung ist, ob die erforderlichen Bedingungen für das Explanans gefunden

werden können, um das Explanandum zu erklären? Von Bedeutung ist an

dieser Stelle zu erwähnen, daß es keinerlei ontologischen oder

methodologischen Zwang zu einer Entsprechung der logischen Form der

Theorie und des Inhaltes des Explanandums gibt.17 Theorie und Wirklichkeit

müssen sich nur gleichen, um zu Erklärungen zu verhelfen. Theorien sind

aufzufassen als bewußt konstruierte Vereinfachungen zur Erklärung bestimmter

Phänomene und daher niemals mit der Realität gleichzusetzen. Es

interessieren nur bestimmte Zwecke und für diese müssen Theorien (nur)

isomorph mit der Realität sein, jedoch keineswegs identisch. Die Besonderheit

des Objektbereichs der Sozialwissenschaften liegt im Rahmen der

Untersuchung von handlungsfähigen Subjekten, die mit ihrem Handeln einen

subjektiven Sinn verbinden und anhand des deutenden Verstehens im

WEBERschen Sinn, das hier als Orientierung dient, erfaßt werden kann.

16 Dies sind nach HEMPEL/OPPENHEIM die vier Adäquatheitsbedingungen, die bei einer

angemessenen Erklärung erfüllt sein müssen. Darüber hinaus umfassen Tiefenerklärungendie Reduktionen des spezielleren auf das allgemeine Gesetz und dienen so zur Integrationvon nebeneinander stehenden Einzelphänomen. Der logische Gehalt einer Tiefenerklärunggibt an, wann eine Variante des Gesetzes gilt und wann nicht. Damit ist ebenfalls eineSpezifikation der Folgen für die gegebenen Randbedingungen angelegt (vgl. ESSER1993:43ff.).

17 Die Vorstellung, daß sich die inhaltlichen Strukturen eines Gegenstandes in den formalenStrukturen der Theorie manifestieren müssen geht auf ARISTOTELES zurück. DieProblematik einer solchen Auffassung wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daßTheorien über komplexe Sachverhalte gemäß dieser Annahme dann selbst komplex seinmüßten. Oder Widersprüchlichkeiten der Wirklichkeit nur erfaßbar werden, wenn eine Theorieselbst Widersprüche enthält (HEGEL) (vgl. ESSER 1993: 49ff.).

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Daraus folgt, daß die objektive Modellierung sozialer Vorgänge, die als

Grundmodell der sozialen Erklärung dient, folglich die naturwissenschaftliche

Erklärungsweise erweitert zur analytisch-nomologischen Erklärung.

1.2.2.2 Das funktionale Erklärungsschema

Funktionalistische Erklärungen in den Sozialwissenschaften beruhen auf der

Verknüpfung eines Handlungskonzepts mit dem Modell des sozialen Systems,

wobei der Gleichgewichtszustand desselben im Mittelpunkt der theoretischen

Untersuchung steht (vgl. SCHÜTTE 1971: 28). Zentral ist hierbei der Begriff der

Funktion im Zusammenhang mit dem der Struktur, wobei die Struktur-

komponente dem Funktionsaspekt vorgelagert ist. Der Zentralbegriff der

Funktion hat seinen Ursprung in mehreren Richtungen sozialwissenschaftlicher

Theoriebildung. Für die struktur-funktionale Systemtheorie, nach Talcott

PARSONS (1902-1979), ist der Funktionsbegriff wesentlich, da er als

Verbindung zwischen strukturellen Kategorien und den relevanten

(dynamischen) Elementen des Systems entwickelt wird.

Das funktionale Modell ist ein Konzept, das von der Annahme ausgeht, daß ein

relativ stabiler und konsistenter Zusammenhang objektiver sozialer

Sachverhalte besteht, der eine bestimmte Struktur aufweist und daß die,

innerhalb dieses strukturellen Zusammenhangs, stattfindende soziale Handlung

in der Weise analysierbar ist, daß ihr funktionaler Beitrag für die Erhaltung der

Struktur des sozialen Systems ermittelt wird. Dies geschieht anhand der

Formulierung eines Rollengeflechts, das die unterschiedlichen individuellen

Handlungsweisen in einer verbindlichen Form reglementiert und als wesentliche

Voraussetzung für den Bestand des sozialen Systems in die Konzeption

eingeführt wird. Die funktionale Fragestellung richtet sich also von bestehenden

Strukturen auf funktionale Vorbedingungen für ihren Bestand. In diesem Sinn

wird nicht nach kausalen bzw. erklärenden Bedingungen gefragt, sondern

danach, welche Rolle Verhaltensweisen für den Bestand eines Systems

spielen. Wissenschaftstheoretisch werden im Rahmen der funktionalen

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Erklärung Hypothesen über die Selbstregulierungsmechanismen eines

Systems aufgestellt, die eine oder mehrere Zielvorstellungen anvisieren. Damit

hebt die funktionale Erklärung von der Ebene des Individuums ab und fokusiert

die des Systems.

Die funktionale Modellbildung geht in der Formulierung allgemein gültiger

Aussagen, über die Kontextuierung sozialer Sachverhalte hinaus und versucht

so unabhängig von jeglicher Gesellschaft theoretisch zu begründen warum und

wie eine bestimmte Handlung zur Erhaltung des gesellschaftlichen Systems

beitragen kann, in dem die Handlung stattfindet.

1.3 Kurze Zusammenfassung

Zusammenfassend kann für den in dieser Arbeit interessierenden

Themenbereich angegeben werden, daß die für die Erörterung sozialer

Sachverhalte notwendigen Begriffe Verhalten, Handeln, soziales Handeln von

Max WEBER definiert und von einander differenziert worden sind.

Die Erklärung von sozialem Handeln wird nach HOMANS durch „Wenn...,

dann...“-Sätze begründet, wodurch eine Relation zwischen Verhaltensweisen

angegeben werden kann und damit Hypothesenbildung ermöglicht wird. Die

Definition von Theorie orientiert sich dabei an naturwissenschaftlichen

Erklärungsansätzen.

PARSONS’ theoretischer Ansatz verbindet hingegen naturwissenschaftliche

und geisteswissenschaftliche Komponenten. Soziales Handeln wird jedoch nur

als sinnhaftes soziales Verhalten erfaßt, das sich aufgrund internalisierter

Werte in institutionalisierten Rollen zeigt. Die funktionale Erklärung setzt damit

bestimmte kulturelle Muster voraus, die als verbindlich unterstellt werden. Auf

den in dieser Arbeit gewählten Untersuchungsgegenstand des

außenpolitischen Entscheidens und Handelns bezogen kann folglich

angegeben werden, daß die Analysen im Rahmen eines beschreibenden und

eines kausal-erklärenden Modells erfolgen.

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2. Das Programm der Allgemeinen Systemtheorie18

Allgemeine Systemtheorie19 ist die zusammenfassende Bezeichnung fürfachlich differenzierte Begriffsgefüge, die 1) durch die gemeinsame Verwen-dung des Systembegriffs und 2) durch das metateheoretische Programm,empirische Gegenstände als strukturierte und mit ihrer Umwelt in Aus-tauschbeziehungen stehende Einheiten zu analysieren, verbunden sind.

In seinem Entwurf einer Allgemeinen Systemtheorie entwickelt der Biologe

Ludwig von BERTALANFFY in den 30er Jahren den Systembegriff als

zentralen terminus technicus (vgl. GUKENBIEHL in Schäfers 1995:316, vgl.

auch MÜLLER 1996:68ff.).

Davon ausgehend und unter Einflüssen aus den Bereichen u.a. der Kybernetik

(Norbert WIENER) und der Spiel- und Entscheidungstheorie (John v.

NEUMANN und Oskar MORGENSTERN) kommt es zur 1954 gegründeten

Society for General Systems Research (vgl. BERTALANFFY in Händel/Jensen

1974:107). In der Formulierung interdisziplinär zur Vereinheitlichung einer

analytischen Verfahrensweise zu gelangen, wird die Aufgabenstellung im

Rahmen der Allgemeinen Systemtheorie in der Weise verstanden, daß hier der

dazu notwendige begriffliche Bezugsrahmen entwickelt wird.

Zu den grundlegenden Vorwegannahmen des Programms gehört dabei die

Ausgrenzbarbeit eines Teils aus der Realität, welcher als System verstanden

zum Untersuchungsgegenstand wird. In der Analyse von Systemelementen mit

ihren Eigenschaften und Beziehungen untereinander, als auch zum System

und der Umwelt, werden bestimmte Fragestellungen und Problemsichten

vorgegeben, die Komplexität und

Gleichzeitigkeiten von Zusammenhängen im Rahmen einer analytischen

Gesamtheit thematisieren und darüber hinaus Erkenntnisse aus

unterschiedlichen Sachgebieten vergleichbar und übertragbar machen sollen.

18 In der englischen Übersetzung: General Systems Theory (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:8).19 Der Begriff Systemtheorie umfaßt im eigentlichen Sinn systemtheoretische Ansätze, die

inhaltlich, eine vom jeweiligen Autor auf besondere Weise getroffene Auswahl undZusammenstellung von Begriffs-, Aussage- und Vermutungszusammenhängen aus Teil-disziplinen kennzeichnen. Aus unterschiedlichen Disziplinen kann dabei ein Kernbestand vonBegriffen, Thesen und Programmen abgeleitet werden, der das Konzept der AllgemeinenSystemtheorie umreißt. Jede Arbeit aus diesem Bereich unterscheidet sich von anderen, auchwenn ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt wird.

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Ziel ist es, allgemeingültige Prinzipien des Aufbaus und der Funktionsweise von

Systemen aufstellen zu können.

2.1 Die Dimensionen des Systembegriffs

Die Kennzeichnung eines Gegenstandes als System, im Sinne einer Ordnung

von zueinander in einer bestimmten Beziehung stehenden Elementen, ist

schon im Altertum von ARISTOTELES20 thematisiert worden, wobei ein

Rückbezug auf die Organismus-Vorstellung als System vorherrschte.

Die Unterscheidung von Systemen in ideelle und materielle entwickelte sich mit

dem Axiom des cartesianischen Denkansatzes „Cogito, ergo sum“,

DESCARTES (1596-1650), wobei ein alles umschließender Systembegriff

hervortrat, der die Identität von Denken und Sein auf einer ideellen Basis

thematisierte.

Die Entfaltung der Mechanik ermöglichte später die Interpretation der Welt als

System im Rahmen mechanistischer Modelle. Im 19. Jahrhundert ist, im

Zusammenhang mit der Entwicklung der Biologie als Wissenschaft, die

organismische Betrachtungsweise in bezug auf die Systemvorstellung jedoch

wieder aufgetreten und die Arbeiten KANTs (1724-1804), HEGELs (1770-1831)

und COMTES’ (1798-1857) thematisieren als wesentlichen Aspekt die

strukturelle Komplexität eines Organismus gegenüber strukturellen Formen der

Mechanik. Oberster Bezugspunkt im KANTischen Denkansatz ist dabei die

Selbstgewißheit des Individuums, wobei er gegenüber DESCARTES ein

System der Sachen (an sich) von einem System der Begriffe des Denkens (für

sich) unterschiedet. HEGEL unternahm hiernach den Versuch der Überwindung

dieses Dualismus im Sinn einer dialektischen Einheit. Hierbei werden die

wirklichen Systeme der materiellen Welt als Äußerungen einer absoluten Idee,

d.h. als Stufen, die sie zu durchlaufen hat um zu sich selbst zu gelangen,

aufgefaßt.

20 Die aristotelische Metaphysik formuliert als Zentralaussage, daß das Ganze mehr ist als die

Summe seiner Teile (vgl. ARISTOTELES 1996).

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Gegenüber dem Ordnungsziel der Klassifikation, im 19. Jahrhundert, entwickelt

sich im 20. Jahrhunderts die Tendenz zur Integration, wobei der Systembegriff

nun im Rahmen mathematisierter Theorien gebildet wird, die die

Unterscheidung von konkreten, d.h. empirischen Systemen und abstrakten

(analytischen), d.h. konstruierten Abbildern einer gedachten Wirklichkeit,

nachvollziehen. Beides sind jedoch nur Modellbildungen mit quasi-objektivem

Charakter.

Mit der Verbindung von Funktionalismus und Systemtheorie in den

Sozialwissenschaften wird der Systembegriff schließlich wieder in

organizistischer Weise interpretiert, wobei die wichtige Neuerung die

Thematisierung der sozialen Handlung als System und Systemaspekt

darstellt.21

2.2 Entwicklungslinien des systemtheoretischen Programms

Die Entstehung der Gruppe der Systemwissenschaften, beruhend auf

systemtheoretischen Konzepten, begann Anfang der 1940er Jahre dieses

Jahrhunderts (vgl. MÜLLER 1996:180, vgl. auch HÄNDLE/ JENSEN 1974:13).

Ausschlaggebend für die Entwicklung der modernen Systemwissenschaften

sind die während des Zweiten Weltkriegs entwickelten militärisch-

ökonomischen Analysen und Strategien aus dem Bereich des operations

research - der Analyse militärischer Operationen - die sich in den Kriegsjahren

inhaltlich auf Untersuchungen über Entwicklungsfähigkeit, Kosten und taktische

21 Einher geht damit auch eine Akzentverlagerung von der statischen Betrachtung hin zur

Analyse von Vorgängen, was zunächst im Rahmen einer behavioristischen Phase erfolgt.LUHMANN differenziert hier 1. Die ontologische Systemtheorie, die in den Kategorien vonGanzes und Teil und interner Ordnung ausgeht und keinen Bezug zur Umwelt untersucht, 2.Gleichgewichtstheorien, wobei Systeme aus sich heraus bestehen, die Umwelt dabei nur alsStörfaktor in die Analysen eingeht, 3. Die Theorie der umweltoffenen Systeme, die dieInterdependenz zwischen Umwelt und System thematisiert und 4. die kybernetischenSystemtheorien, in denen das Verhältnis von System und Umwelt als Differenz in Komplexitäterfaßt wird und eine Theorie der Regelung, Steuerung und Kontrolle notwendig erscheinenläßt. Die Unterschiede der jeweiligen Konzeptionen liegen in den zentralen Kategorien.Weiterhin kann aus den unterschiedlichen Disziplinen ein Kernbestand von Begriffen, Thesenund Programmen abgeleitet werden, der das Programm der Allgemeinen Systemtheorieumreißt. Im Bereich dieser wissenschaftstheoretischen Linie unterscheiden sich aber auch dieeinzelnen Arbeiten von einander, trotzdem ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt wird (vgl.PREWO/RITSERT/STRACKE 1973:12).

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27

Einsatzmöglichkeiten neuer Waffensysteme konzentrierte.22 Auch zunehmend

wichtiger werdende wirtschaftliche Aspekte wurden in diesem Rahmen

thematisiert. Wesentlich war darüber hinaus auch die zunehmende Wichtigkeit

theoretisch-wissenschaftlicher Forschungsarbeiten aus dem Bereich der

Biologie, die die Bezugnahme auf einen Organismus im Rahmen der

Formulierung von Systemkonzepten förderte (vgl. MÜLLER 1996:186ff., vgl.

auch BERTALANFFY in Händle/Jensen 1974:1108f.).

Die Entwicklungen in den 40er Jahren markieren auch tiefgreifende

Veränderungen hinsichtlich der Funktion von Wissenschaft. Diese

Veränderungen beziehen sich auf veränderte Anforderungen von Theorie,

einerseits als Grundlagenforschung und andererseits in Bezug auf ihre

technologische Anwendung. Daraus entwickelt sich dann auch die Problematik

zwischen klassischen Wissenschaften und modernen Systemwissenschaften

(vgl. BERTALANFFY in Händle/ Jensen 1974:108), wobei die 40er Jahre noch

von Problemen interdisziplinärer Kommunikation und dem Fehlen einer

einheitlichen Begriffsbildung im Rahmen der Systemwissenschaften gekenn-

zeichnet sind:

„Trotz weitreichender Einsichten in die Grenzen der etabliertenForschungslogik, trotz vielfältiger Vorgaben zu einer wissenschafts-theoretischen Alternative, blieb ihr theoretischer Status unterbestimmt. Mangelseines ausgearbeitenden Theoriebegriffs gelang es nicht, eine kritischeGegenposition zur herrschenden Praxis der Wissenschaft zu begrün-den.“(MÜLLER 1996:181).

Zunächst muß im Rahmen der neuen Wissenschaften demzufolge formuliert

werden, aufgrund welcher Prinzipien ein eigenes Forschungsfeld begründet,

d.h. welche Eigenschaften als Begründung für die Unterscheidung von den

Gesetzen der gängigen Wissenschaft angeführt werden können. Eine Reflexion

auf den Theoriebegriff der Systemwissenschaften entwickelte sich ab Mitte der

50er Jahre und formuliert als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer

synthetisch-holistischen Verfahrensweise, wie sie in der Systemtheorie gegen-

22 Auch als Systemtechnik (engl. system analysis) in der Literatur verwendet (vgl. HÄNDLE/

JENSEN 1974:11).

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28

über der traditionellen analytischen Methode begründet ist, die Auffassung, daß

sich für komplexe Fragestellungen, aus denen sich auch u.a. das operations

research oder die Spiel- und Handlungstheorie entwickelten, das bestehende

System der klassischen Wissenschaften, d.h. ein rein analytisches Vorgehen,

keine ausreichenden Erklärungsmöglichkeiten mehr bieten (vgl.

HÄNDLE/JENSEN 1974:12). Dem Denken in Kausalbezügen, d.h. der Fest-

stellung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, tritt das Problem der

Komplexität, d.h. die Interdependenz der objektiv wahrnehmbaren Sach-

verhalte, an die Seite. Die Thematisierung von Wechselwirkungen in Systemen

wird somit ein wesentliches Moment der Begründung eines neuen Kodifi-

kationsschemas zur Systematisierung rekonstruierbarer Sachverhalte. Die

Fragestellungen mündeten schließlich in eine interdisziplinäre Bewegung, die

sich zunehmend der Entwicklung einer theoretischen Basis widmet.

Wesentliche theoretische Bedeutung kommt dabei insbesondere den Arbeiten

Ludwig v. BERTALANFFYs zu, der im Verlauf seiner Tätigkeit zusammen mit

Anatol RAPOPORT und Kenneth BOULDING die General Systems Theory

entwickelt.

„Die hier entwickelten Gedanken wurden zum wissenschaftlichen Paradigma,daß in allen Disziplinen auf alle möglichen Probleme Anwendung fand. Dasgenerelle Motiv für die schnelle Übernahme des systemorientierten Denkenswird zumeist in der Notwendigkeit generalisierender, interdisziplinärerGrundlagen- und Projektforschung gesehen. Die Notwendigkeit dazu wird indoppelter Weise begründet: einmal mit der steigende Informationsflut und demBedarf an integrativem Wissen (Boulding, Berrien), zum anderen mit denBedürfnissen der Praxis gegenüber den Problemen der Bewältigunghochkomplexer Zusammenhänge in der ökonomischen, technischen,politischen und militärischen Planung. Beiden Begründungen ist die Absichtgemeinsam, Strukturen objektiv gedachter Wirkungszusammenhängeaufzudecken, um Probleme - praktisch wie theoretisch - lösen zu können.“(HÄNDLE/JENSEN 1974:13).

Die Arbeiten der Allgemeinen Systemtheorie wirken in den 50er Jahren als

integrativer Faktor. Methodologisch entwirft die Allgemeine Systemtheorie dabei

eine Ontologie, die die Gegenstandswelt der einzelnen Fachwissenschaften

nicht mehr als Entitäten auffaßt, sondern eine eigene systemtheoretische

Konstruktion dieser Einheiten entwickelt.

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Der Anspruch Grundlagenwissenschaft zu sein, wird dabei konzeptuell in der

Weise hergeleitet, daß erkenntnistheoretisch das ontologische Denken in

Substanzen in ein Denken in Funktionen umformuliert wird. Konstitutiv für das

systemtheoretische Programm werden Erkenntnisse der Informationstheorie23

und der Kybernetik24.

„Die Konstitution des Systems und seiner Umwelt, die Festlegung der Elemente

und Eigenschaften sowie die Analyse von Struktur und Verhalten bilden die

Grundlage des systemorientierten Vorgehens.“ (HÄNDLE/JENSEN 1974:26)

Welche Konstruktionen des Programms der Allgemeinen Systemtheorie von

Bedeutung sind, wird im folgenden Abschnitt dargestellt.

2.2.1 Die Definition von System

Als basic science ist die Allgemeine Systemtheorie in der Formulierung ihrermethodologischen Prämissen angehalten zunächst einen Systembegriff zudefinieren, der generell von inhaltlichen Aussagen absieht, wobei in derDefinition des Systems25 zwei Probleme gelöst werden müssen: 1. der univer-selle Anspruch des Systembegriffs muß über dem der Einzelwissenschaftenliegen und 2. er muß gleichzeitig Aussagen über gerade spezifische Systemezulassen.

Die Definition des terminus technicus erfolgt im Rahmen der Allgemeinen

Systemtheorie in der Weise, daß er auf Systeme allgemein anwendbar sein

muß und gleichzeitig spezifische Aussagen über Systeme im allgemeinen

zuläßt (vgl. MÜLLER 1996:199). Anhand der Definition:

„A system is a set of objects together with relationships between objects andbetween their attributes.“ (HALL/FAGEN in Händle/Jensen 1974:127)

23 Die Informationstheorie beschäftigt sich mit der Codierung und Decodierung von Nachrichten

und ihrer Übertragung. Nützlich war die neue Technik vor allem im Rahmen der Entwicklung„intelligenter“ Waffensysteme und geheimdienstlicher Aufgabenstellungen.

24 Im Rahmen der Kybernetik geht es allgemein um die Anwendung von Kommunikations- undSteuerungsmethoden in technischen Systemen. Der Untersuchungsbereich umfaßt dieFunktionsweise von komplexen Systemen, wobei als wesentlicher Faktor Rückkopplungs-prozesse fokusiert werden.

25 Im sozialwissenschaftlichen Bereich ist der Systembegriff an einzelwissenschaftlicheGesichtspunkte gefesselt.

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30

kann der Begriff des Systems in der Weise verstanden werden, daß es sich

hierbei um ein Gefüge von Elementen handelt, wobei bestimmte Eigenschaften

der Elemente bestimmt werden und in der Weise, wie Verbindungen zwischen

den Elementen bestehen, sie die Struktur des Systems determinieren. Auf

diese Weise wird deutlich, inwieweit das Ganze mehr sein kann als die Summe

seiner Teile.26

„Diese Minimalbestimmung, die beliebige Elemente einer Menge (formal-abstrakt) oder Gegenstände (Ereignisse) eines bestimmten Untersuchungs-bereichs (gegenständlich-konkret), vermittelt über Beziehungen (aller denk- undfeststellbaren Art) zu Elementen bzw. Gegenständen und/oder ihrenMerkmalen (Eigenschaften), zu einer gegliederten Einheit zusammenfaßt oderals solche erkennt, ist in allen Systemvorstellungen wiederzufinden.“(PREWO/RITSERT/ STRACKE 1973:13).

Diese formale Definition des Systems sagt allerdings nichts über die Qualitäten

der Gegenstände aus, sondern bezieht sich lediglich auf die Beziehungen, die

zwischen den Elementen bestehen. Die Allgemeine Systemtheorie beschäftigt

sich also mit der „Systemhaftigkeit“ als Eigenschaft (vgl. MÜLLER 1996:201),

d.h. konkrete Dinge der Realität erhalten abstrakte Eigenschaften, mit deren

Hilfe die Realität rekonstruiert werden kann.

„Die im Dingschema der Alltagssprache festgelegte ‘Ontologie‘ weicht einerneuen, zunächst nur schwer greifbaren Auffassung von ‘Wirklichkeit‘. Währenddie Gegenstände der alltäglichen Realität konkret unterschieden und einzelnaufweisbar sind, treten sie in dieser Sichtweise hinter die abstraktenEigenschaften, die ihnen aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit bzw. als Gliedernvon Relationen zukommen, zurück [...].“ (MÜLLER 1996:201)

Die Beziehungen geben dabei eine Auswahl aus kombinatorisch möglichen

Anordnungen zwischen den Elementen an und ermöglichen auf diese Weise

Aussagen über die Struktur des betrachteten Systems (vgl. MÜLLER 1996:202,

vgl. auch HÄNDLE/JENSEN 1974:26). Im Rückgriff auf mathematische

Allgemeinformulierungen gelingt dann neben der Erfassung aller Elemente

eines Systems in Klassen auch die Ermittlung der Zustände des Systems (vgl.

26 Die Einheit von Elementen und ihren Beziehungen untereinander kann zu Merk-

malsausprägungen führen, die sich von denen der einzelnen Elemente oder ihrenBeziehungen unterscheiden (vgl. PREWO/RITSERT/STRACKE 1973:14)

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MÜLLER 1996:202). Auf diese Weise sind Strukturanalysen ein wichtiger

Teilaspekt der Systemanalyse, denn hier wird der Frage nachgegangen, welche

Ordnungen bestehen und welchen Gesetzmäßigkeiten sie folgen. Die

genannten Ordnungsbeziehungen können als strukturalistische Systeme27

aufgefaßt werden, daneben erfaßt das Instrumentarium der Allgemeinen

Systemtheorie aber auch Systeme mit prozessualem Charakter, d.h.

Verhaltenssyteme (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:31). Diesen unterliegen, neben

Strukturgesetzen, zusätzliche Verhaltensgesetze, die das Systemverhalten

determinieren. Dieser Aspekt wird interessant, wenn unter der Bedingung, die

Systemtheorie als Problemlösungsansatz aufzufassen, der jeweilige Problem-

bereich als systemischer Zusammenhang rekonstruiert wird. Dies geschieht

unter der Vorannahme, daß der Problembereich selbst wieder unter

bestimmten Fragestellungen aus einem umfassenderen Zusammenhang, der

Umwelt des Systems, herausgelöst betrachtet wird.28 Dieser umfassendere

Zusammenhang muß in die Analyse miteinbezogen werden. Neben der

Definition des Begriffs System erfolgt die Konstruktion des Umwelt-Konzepts,

wobei Umwelt auch als Klasse von anderen Systemen, mit dem das

betrachtete System in Interaktionsbeziehungen steht, aufgefaßt werden kann.

Diese Begriffsbildung dient der Einführung von Einflußfaktoren auf das

Systemverhalten, die nicht auf interne Funktionsmechanismen des Systems

zurückgeführt werden können (vgl. PREWO/RITSERT/ STRACKE 1973:18, vgl.

auch HÄNDLE/JENSEN 1974:28). Theoretisch wird dieser Bereich durch die

Annahme offener Systeme erfaßt und behandelt den Aspekt der Kopplung von

Systemelementen des betrachteten Systems an unabhängige Elemente

anderer Systeme. Systemanalysen betreffen folglich Systeme, die bestimmte

Systemzustände aufweisen, die gegenüber der Umwelt als stabil erfaßt

werden.29 Ausgehend von der Annahme, daß das System (mit spezifischer

Innenstruktur) und die Umwelt nebeneinander bestehen, kann die Umwelt auch

in der Weise erfaßt werden, daß sie auf das System in Form von Inputs, die

27 Die Standarddefinition von System als gegliederte Einheit von Elementen steht der

Konzeption des geschlossenen Systems nahe. Dies orientiert sich an den Grundprinzipienthermodynamischer Systemauffassung. (vgl. PREWO/RITSERT/ STRACKE 1973:16)

28 Geschieht dies nicht spricht man von geschlossenen Systemen.29 Hier greift bereits der Begriff der Homöostasis, der die Anpassung eines Systems an

Umwelteinflüsse allgemein umfaßt (vgl. BERTALANFFY in Händel/Jensen 1974:112ff.).

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von Rezeptoren aufgenommen werden, einwirkt (d. h. es muß ebenfalls ein

genau bestimmtes anderes System definiert werden). Im System selbst

bestehen Mechanismen, durch die die Inputs in bestimmte Leistungen

überführt werden, die dann wiederum als Outputs des Systems an die Umwelt

abgegeben werden.30 Verhalten wird in diesem Sinn aufgefaßt als

„Verarbeitung systemspezifischer Inputs zu systemspezifischen Outputs inAbhängigkeit von der Innenstruktur des Systems“. (HÄNDLE/JENSEN 1974:31)

Bei der Übertragung dieser Begrifflichkeiten in Erklärungsansätze über

gesellschaftliche Zusammenhänge muß das Konzept des Verhaltenssystems in

der Weise modifiziert werden, daß es sich hierbei um Sinnzusammenhänge

handelt, die auch als Programme für die Organisation des Verhaltens von

(Handlungs-)Systemen aufgefaßt werden können.

Der Systembegriff als solcher ist darüber hinaus erweitert im Sinn eines

Stadiums organisierter Beziehungen zwischen den Elementen, deren Einheit

durch Grenzziehung31 zu seiner Umwelt determiniert ist, mit der es in

Interaktionsbeziehungen steht. In der Soziologie ist dies der Bereich der

Handlungssysteme (vgl. PREWO/RITSERT/STRACKE 1973:21). Die

umfassendste Weiterentwicklung dieses Theorieansatzes wurde in den

Sozialwissenschaften insbesondere von Talcott PARSONS vorgenommen.

2.2.2 Die Präzisierung des Systembegriffs

Die Analysen hinsichtlich des Verhaltens von Systemen werden im Rahmen

eines allgemeinen Schemas vorgenommen und anhand eines natürlichen

Systems entwickelt (vgl. MÜLLER 1996:205). Diese Grundlage ist der

Ausgangspunkt für die Erörterung weiterer Begriffe und der Entwicklung der

Methoden der Systemanalyse.

30 Aus der Kybernetik wird der Begriff der Rückkopplung (engl. feed-back) in die systemische

Betrachtung eingebracht. Zusammenfassend geht es hierbei um einen Mechanismus, der„Input⇒ Verarbeitung⇒ Output“ beschreibt.

31 Der Begriff der Grenzziehung rührt her aus der Innen-Außen-Differenzierung, die ins-besondere LUHMANN thematisiert.

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Für die Systemtheorie ist der Begriff des Ganzen zentral, der in Analogie eines

biologischen Organismus aufgefaßt wird, wobei BERTALANFFY einräumt, daß

„Nobody should know better than the biologist that civilizations are no‚organism‘. It is trivial to the extrem that a biological organism, a material entityand unity in space and time, is something different from a social groupconsisting of distinct individuals, and even more from a civilization consisting ofgenerations of human beings [...].“ (BERTALANFFY in Händel/Jensen 1974:124).

Jedoch sieht er die Möglichkeit der Erfassung von Entwicklung und Wachstum

im Rahmen einer organismischen Perspektive als gewährleistet an. Die

mathematische Erfassung des Ganzheitskonzepts ermöglicht weiterhin, im

Rahmen eines Differentialgleichungssystems, Abhängigkeiten zwischen Teilen

des Systems und dem System zu ermitteln. Dabei wird angenommen, daß alle

Teile des Systems interdependent sind und auf diese Weise zum Indikator der

Ganzheit des betreffenden Systems werden. Davon ausgehend lassen sich

bestimmte Systemgesetze formulieren, die insgesamt auf die funktionale

Differenzierung innerhalb des Systems abstellen. Dies leitet über zum Aspekt

des Gleichgewichts in einem System, wobei

„ein Gleichgewicht nicht notwendigerweise ein konstantes Verhältnis zwischenden Elementen eines Systems, einen Zustand der Symmetrie und Ausge-glichenheit unterstellt.“ (MÜLLER 1996:207)

Die Allgemeine Systemtheorie entlehnt zur Konzeptionierung ihres Programms

in dieser Frage Erkenntnisse aus den Bereichen Mechanik und Biologie und

gelangt auf diese Weise zur Formulierung von dynamischen Gleichgewichten,

die innerhalb des Systems stationäre Zustände durch interne Anpassungs-

leistungen des Systems an sich verändernde Umweltbedingungen erreicht (vgl.

MÜLLER 1996:207).

Schließlich ist der Begriff der Emergenz als wichtige Kategorie systemischer

Begriffsfassung zu nennen: Emergenz spielt in allen organismischen Ansätzen

eine wesentliche Rolle, da im Rahmen dieses Begriffs all jene Phänomene

erfaßbar sind, die auf jeder spezifischen Ebene eines Systems eigene

Wirklichkeiten mit eigenen Gesetzen entwickeln.

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„Emergenz setzt demnach eine hierarchische Ordnung zunehmend komplexerEbenen voraus, die sich jetzt durch die Relation zwischen Elementen undGesamtheiten ausdrücken läßt...“ (MÜLLER 1996:210)

Der Systembegriff in der allgemeinen Definition nach HALL und FAGEN war

zunächst angelegt, dem Anspruch eines methodologischen Paradigmas

gerecht zu werden, jedoch benötigte die Anwendung desselben in den

spezifischen Forschungsbereichen eine Erweiterung, die anhand des Schemas

des natürlichen Systems, in Anlehnung an das Organismusprinzip der Biologie,

entwickelt werden sollte. Welche methodischen Rückschlüsse dies bedingt,

behandelt der folgende Abschnitt.

2.3 Terminologische Gesichtspunkte

Systemtheorie beschäftigt sich mit der Struktur und dem Verhalten vonSystemen, wobei Systeme konzeptueller Natur sind und empirische oderabstrakte Zusammenhänge modelliert werden (vgl. HÄNDLE/ JENSEN1974:26). Als Erkenntnismethode findet Systemdenken dabei in abstraktenZusammenhängen statt, d.h. in der Bereitstellung methodologischer Konstruk-tionen oder der Systematisierung von Theorien.

Wird ein interessierender Sachverhalt als System rekonstruiert und untersucht,

wird die systemorientierte Methode auf empirische Zusammenhänge

angewendet. Systeme sind als analytische Einheiten keine auffindbaren, d.h.

empirischen Gegenstände. Der Begriff System thematisiert vielmehr die

Systematisierung bestimmter Bedingungen eines Sachverhalts im Rahmen

einer Theorie angesichts bestimmter Probleme. Dabei wird ein realer

Untersuchungsbereich in Form der ihn konstituierenden Elemente und

Eigenschaften und der Beziehungen zwischen den Elementen und weiterhin

der Teile zum Ganzen und schließlich des Systems zu seiner Umwelt

betrachtet. Die systemische Erfassung beruht dabei auf einem begrifflichen

Rahmen, der die Zusammenhänge von Objekten mit ihren Merkmalen und

Beziehungen untereinander erfaßt, diese in Bezug von System und Umwelt

setzt und somit die systemtheoretisch begründete Untersuchung ermöglicht.

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Systeme sind demzufolge aufzufassen als methodisch-begriffliche Prinzipien

zur Konstitution von Wirklichkeit, nicht als Wirklichkeit an sich.

Die Gegenstände oder Sachverhalte, die als Systeme betrachtet werden,

können also empirischer oder nicht-empirischer, d.h. abstrakter Art sein. Die

wissenschaftliche Systembildung führt jedoch zunächst zu abstrakten

Systemen, d.h. Theorien, die dann wiederum auf empirische oder abstrakte

Sachverhalte bezogen werden können. Theorien sind folglich als abstrakte

Gebilde aufzufassen, ganz gleich auf welche Art Gegenstände oder

Sachverhalte sie sich beziehen.

Jede Aussage über Theorie bezieht sich danach auf ein abstraktes System und

hat analytischen Charakter. Die systemorientierte Methode führt in der

Behandlung eines abstrakten Systems somit zu einem analytischen System

und die Allgemeine Systemtheorie ist ein solches. Die spezifischen

disziplinären Systemtheorien sind ebenfalls abstrakte Systeme, beschäftigen

sich aber mit empirischen Systemen (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:26).

Empirische Systeme wiederum entstehen durch wissenschaftliche

Rekonstruktion eines empirisch vorausgesetzten Sachverhalts. Terminologisch

wichtig ist, eine Unterscheidung zwischen dem Sachverhalt und dem Konzept

des zugeordneten empirischen Systems zu treffen. Die Gegenstände werden

als „primäre Objekte“ verstanden, erkenntnistheoretisch können sie jedoch nur

mittels späterer Reflexion (z.B. durch systemorientierte Methoden) ermittelt

werden. Die so konstituierten Systeme stellen demzufolge Rekonstruktionen

der Realität dar und erfüllen die Funktion eines erklärenden und

handlungssteuernden Modells (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:27).

2.4 Die Methoden der Systemanalyse

Um die mathematische Definition des Systembegriff in den fachspezifischen

Anwendungsbereich übertragbar zu machen, müssen die entwickelten Begriffe

in einen Kontext gebracht werden, der die Definitionen der Allgemeinen

Systemtheorie erkenntnistheoretisch verallgemeinert (vgl. MÜLLER 1996:220).

Das Programm der Allgemeinen Systemtheorie basiert auf dem Modell

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funktionaler Erklärungen.32 Aufgrund der Orientierung am Organismusprinzip

muß im Rahmen des gegebenen Erklärungstyps entwickelt werden, inwiefern

Anpassungsleistungen von Systemen erfolgen, wenn nicht physikalische

Ursachen als Begründung angegeben werden können. Die Funktionsweise von

Systemen wird folgend nicht in einzelnen Ursachen lokalisiert, sondern in der

Formulierung funktionaler Endzustände festgemacht. Diese Systemkausalität

entwickelt sich entlang der funktionalen Erklärung dahin, daß gewisse

fundamentale Funktionen erfüllt sein müssen, damit das betrachtete System

bestehen kann (vgl. MÜLLER 1996:221). Das funktionale Modell erklärt auf

diese Weise bestandsnotwendige Bedingungen und Gleichgewichtszustände.

In der Vorstellung, die hier entwickelt wird, werden Probleme der Life Sciences

und der Sozialwissenschaft aufgrund funktionaler Erfordernisse verknüpft.

2.5 Die Übertragung der organismischen Heuristik auf den Bereich der Sozialwissenschaften33

In der Übernahme wesentlicher Elemente der methodologischen Prämissen derAllgemeinen Systemtheorie wurde für die Disziplin der Sozialwissenschaftenein theoretisches Konzept entwickelt, das ein umfassendes Kategorienschemafür die Klassifizierung und die Erklärung von Verhaltensprogrammen liefert, dasvon PARSONS weiterentwickelt wird.

Verhaltenssysteme, wie sie die Allgemeine Systemtheorie versteht, sind

physikalische Einheiten (z.B. Maschinen, Organismen etc.). Sie weisen

bestimmte Innenstrukturen auf und können aufgrund ihrer Interaktions-

beziehungen durch eine gewisse Prozeßhaftigkeit gekennzeichnet werden, was

als Verhalten aufgefaßt wird.

„Dieses Verhalten kommt in der beobachtbaren Veränderung von konkreten,empirisch kontrollierbaren Einheiten (oder ihnen zugeordneten Merkmals-werten) zum Ausdruck und wird insbesondere in Größen wie Input/Output usw.gemessen.“ (HÄNDLE/JENSEN 1974:34)

32 In Gegenposition zur kausalistischen Sichtweise der empirisch-analytischen Wissenschafts-

theorie.33 Unter der Bezeichnung Behavioral Sciences entwickelte sich ein systemtheoretisches

Grundlagenprogramm, das in seiner Theoriebildung exakt definierte Begriffe und mathe-matisch formalisierte Modelle entwickelte und anhand methodisch vereinheitlichter Empirie zuallgemeinen Erklärungsansätzen gelangen wollte (vgl. MÜLLER 1996:276).

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Verhalten ist allerdings nicht als physikalisches Element aufzufassen, sondern

als „organisierte[r] Prozeß insgesamt“ (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974:34).

Darüber hinaus ist es im Rahmen der Erfassung im Zusammenhang mit

systemischen Konstrukten als theoretisches Konzept zu sehen. Da die

Verhaltenstheorie keinen Anhaltspunkt für die Entstehung eines gesetzmäßig

organisierten Verhaltensablaufs angibt, muß sie als ein Teilbereich der

Systemtheorien des Verhaltens angesehen werden (vgl. HÄNDLE/JENSEN

1974:34). Talcott PARSONS erweitert das o.g. Konstrukt, indem er als

Verhaltenssystem den Menschen annimmt und Erklärungen für das alltägliche

Verhalten sucht. Ausgangspunkt sind bestimmte Schemata, die dem Menschen

zur Verfügung stehen, damit er seine Motive und Bedürfnisse zum Ausdruck

bringen kann. Die Schemata sind sozial konstituiert und werden im

Sozialisationsprozeß internalisiert. Auf diese Weise bilden sie die Grundlage

der Verhaltensorganisation.

In der Übernahme der Emergenzthese gelingt PARSONS die theoretische

Konstruktion, in der er die Konstitution umfangreicherer Handlungssyteme

entwickelt. Sozialsysteme beinhalten demzufolge Persönlichkeitssysteme als

speziellen Fall. Die Konstruktion von kulturellen Systemen schließlich bringt die

systemische Betrachtung gesellschaftlicher Phänomene auf den Aspekt der

symbolischen Bezugssysteme und entwickelt so die Grundlage der Erörterung

der Theorie der Handlungssysteme. Der Einfluß individueller Beiträge auf den

Verlauf von Systemfunktionen bedingt die Betrachtung von Zusammenhängen

als Handlungssysteme, die in ihrer Formulierung Faktoren aufweisen, die

(Handlungs-)Motive von Menschen darstellen. Daher muß die Erklärung

gesellschaftlicher Zusammenhänge als System die Beachtung von

Sinnzusammenhängen beachten, die kollektives oder individuelles Verhalten

steuern. Gesellschaftliche Systeme sind nicht nur Verhaltenssysteme, sondern

Anweisungen für die Organisation von Verhalten (vgl. HÄNDLE/JENSEN

1974:33ff.). Wobei Verhalten in Ableitung biologischer Untersuchungen zu

Gen- und Chromosomenstrukturen als auch technischer Ablaufmechanismen

definiert wird. Diese thematische Linie verweist auf die organismische

Komponente der systemwissenschaftlichen Erklärweise,

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„... in der dem organischen Leben eine ‘sich selbst verwirklichende Kraft’(‘Entelechie’ genannt) unterlegt wurde.“ (HÄNDLE/JENSEN 1974:19).

In den Sozialwissenschaften findet sich die Verknüpfung der Systemtheorie mit

einer Handlungstheorie, um so zu Kategorien für die Erklärung von

Verhaltensprogrammen zu gelangen.

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3. Sozialwissenschaftliche Heuristik der Allgemeinen Systemtheorie - Der Strukturfunktionalismus34

Bedeutenden Niederschlag fand das Programm der Allgemeinen Systemtheoriein den 50er Jahren in den Sozialwissenschaften. Im Gegensatz zu dentraditionellen Erklärungsansätzen, die sich auf sachbezogene Fragestellungenunter historischen Konstellationen beziehen, werden nun, im Rahmensystemtheoretischer Konzeptionen, die ihre formalen Begrifflichkeiten aufAspekte der Struktur und Funktion, als auch der Entscheidung undKommunikation begründen, neue Arten der Erklärung sozialer Phänomenehergeleitet.35

Das erste Werk ausgebildeter soziologischer Systemtheorie ist das frühe Werkdes US-amerikanischen Soziologen Talcott PARSONS’. In den ArbeitenPARSONS’ werden zunächst, im Rahmen der Entwicklung der Theorie desAllgemeinen Handlungssystems, systemtheoretische Kategorien auf denBereich der Gesellschaftstheorie übertragen, um auf diese Weisegesellschaftliche Beziehungen und Einrichtungen anhand einer ausreichendentwickelten Handlungstheorie36 zu beschreiben. Später formuliert PARSONSseinen frühen Handlungsbegriff in der Weise um, daß der Ausbau einersoziologischen Systemtheorie gelingt.

34 Deutsche Übersetzung des englischen Begriffs structural functionalism. Die Bezeichnungen

für dieses theoretische Konzept variieren jedoch in der deutsch-sprachigen Literatur, je nachSchwerpunktsetzung hinsichtlich der als wesentlich betrachteten Komponenten des Ansatzes.

35 In der US-amerikanischen Politikwissenschaft wurde versucht im Rahmen der neuenwissenschaftlichen Orientierung im Begriff des politischen Systems eine aktuellere Grundlagezu finden (vgl. MÜLLER 1996).

36 PARSONS entwirft im Rahmen seiner Arbeiten weniger eine Handlungstheorie, als vielmehreine Theorie des Handelns. Zur Vereinfachung wird jedoch im Rahmen dieses Kapitels vonHandlungstheorie gesprochen.

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3.1 Die struktur-funktionale Systemtheorie37 nach T. PARSONS

Unter der Bezeichnung struktur-funktionale Systemtheorie ist ein komplexer

theoretischer Bezugsrahmen zu verstehen, der von Talcott PARSONS zur

Analyse sozialer Gebilde entwickelt wurde. Neben einem handlungs-

theoretischen Ansatz entwirft PARSONS ein Modell, das generell der Analyse

sozialer Einheiten dienen soll. PARSONS strebt hierbei an, Handlung in

konkreten sozialen Situationen aus dem Zusammenhang kultureller, sozialer

und personaler Aspekte erklären zu können. Systemtheoretisch faßt er diese

Aspekte als Kultur-, Sozial- und Persönlichkeitssystem.38

Mit der Verknüpfung von Handlungstheorie und Systemtheorie zu einem

Modell, das als Grundlage der Analyse beliebiger Interaktionsabläufe und

struktureller Muster dient, sollen soziale Sachverhalte durch die Analyse des

sozialen Handelns in der Weise erklärt werden, indem dessen strukturelle und

funktionale Beiträge für ein soziales System untersucht werden. Besondere

Bedeutung hat in diesem Rahmen die Erörterung des Zustandekommens eines

geordneten und dauerhaften Zusammenlebens von Menschen, wobei als

wesentliches Kriterium die Verbindung von Handlung im Zusammenhang mit

institutionellen Komplexen ist, welche auf diese Weise als Form eines

übergreifenden Wertsystems interpretierbar gemacht werden können (vgl.

MIEBACH 1991:184).

In der Entwicklung seines theoretischen Konstrukts rekurriert PARSONS auf

Arbeiten des kulturanthropologischen Funktionalismus Bronislaw

MALINOWSKIs und Alfred R. RADCLIFF-BROWNs. Weiterhin finden sich im

Werk Talcott PARSONS’ Einflüsse der Arbeiten Max WEBERs, Vilfredo

PARETOs und Herbert SPENCERs. Auch die ökonomischen Theorien Alfred

MARSHALLs und John M. KEYNES’, neben Elementen der psycho-

37 Im Rahmen der Systemtheorie ist im einzelnen von sytemtheoretischen Ansätzen zu

sprechen, wobei vom jeweiligen Autor in besonderer Weise eine Auswahl und Zusammen-stellung von Begriffs-, Aussage- und Vermutungszusammenhängen getroffen wird.

38 Die Begriffe der struktur-funktionalen Systemtheorie sind analytische Begriffe und sollen nichtwirklich existierende Gegenstände als solche bezeichnen, sondern nur zur Analyse ihrerFunktion dienen. Die genannten Systeme sind folglich Perspektiven oder Bezugspunkte für dieAnalyse. Je nachdem welches System als Ausgangspunkt genommen wird, bilden die beiden

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analytischen Arbeiten Sigmund FREUDs und Forschungsergebnissen der

Gruppenforschung R. F. BALES’ sind in den Arbeiten PARSONS’ rezipiert. Die

struktur-funktionale Systemtheorie weist dadurch deutliche Querverbindungen

zur Sozialanthropologie, Psychologie und Ökonomie auf.

Das theoretische Konzept PARSONS’ hat eine wechselvolle Bewertung in den

Sozialwissenschaften erfahren: In den 50er Jahren wurde die struktur-

funktionale Systemtheorie zum leitenden Paradigma soziologischer

Theoriebildung39 und ist in zahlreiche Arbeiten und Modelle verschiedener

Theoretiker eingegangen (vgl. GUKENBIEHL in Schäfers 1995:320). Die 60er

Jahre brachten dann eine Distanzierung gegenüber strukturalistischer

Theoriebildung, da die konkrete Anwendung im Rahmen der Forschung nicht

die Effektivität aufweisen konnte, die zunächst angestrebt worden war.

Verstärkt wurde die Kritik auch durch die gesellschaftspolitischen

Entwicklungen dieser Jahre. PARSONS’ Arbeiten wurde eine konservative

Grundhaltung und statische Theoriekonstruktion attestiert, die Formen

gesellschaftlichen Konflikts und sozialen Wandels nicht oder nur unzureichend

thematisieren könne.40 Seit den 80er Jahren kann jedoch eine gewisse

Renaissance Parsonianischer Systemtheorie festgestellt werden.41

Im Rahmen der Darstellung des theoretischen Ansatzes von Talcott PARSONS

können nur die wichtigsten Grundannahmen seines theoretischen Ansatzes

hervorgehoben werden. Die Begründung hierfür liegt im Umfang seiner

Arbeiten. Die Schriften The Structure of Social Action (1937), Toward a General

Theory of Action und The Social System (1951) sowie Societies (1966)

anderen das Milieu bzw. die Umwelt des betrachteten Systems (vgl. PARSONS in Hamilton1985:74, vgl. auch JENSEN 1976:18 f.).

39 Wichtigster Gegenpol zu PARSONS war die Gruppe von Theoretikern um Paul F.LAZARSFELD an der Columbia University in New York, wo die Methoden der EmpirischenSozialforschung weiterentwickelt wurden. Die Chicagoer Schule, die in den 20er und 30erJahren einen bedeutenden Stellenwert auf den Gebiet der ‘Behavioral Science’ hatte, trat beider Harvard-Columbia-“Kontroverse“ in den Hintergrund (vgl. u.a. MIKL-HORKE 1992:164ff.).

40 Hier ist besonders auf die Auseinandersetzung DAHRENDORFs mit den Arbeiten PARSONS’hinzuweisen.

41 Als prominentester Vertreter ist der US-amerikanische Soziologe Jeffrey C. ALEXANDER zunennen.

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markieren die programmatischen Eckpunkte des Werks und dienen daher als

Grundlage der Darstellung Talcott PARSONS’ theoretischen Konstrukts.

3.2 Der Theorieansatz der voluntaristischen Handlungstheorie

In der 1937 erschienen Schrift The Structure of Social Action entwickeltPARSONS „the basis of all his later work.“(HAMILTON 1985:65)Er thematisiert das Problem der adäquaten Erfassung der Grundzüge einerHandlungstheorie im Rahmen positivistisch-behavioristischer und utili-taristischer Konzeptionen und formuliert demgegenüber den Entwurf einervoluntaristischen Handlungstheorie, die er im Aspekt des unit act alsAusgangspunkt eines zusammenhängenden Schemas von Begriffen, demaction frame of reference, konkretisiert (vgl. PARSONS 1968:731 ff).

Die Frühphase der Arbeiten Talcott PARSONS’ ist gekennzeichnet von der

Abgrenzung gegenüber der damals, in der US-amerikanischen Soziologie,

vorherrschenden Tradition mikrosoziologischer Betrachtungen, wie sie z. B. in

den Arbeiten zum Interaktionismus von George H. MEAD oder zum

Evolutionismus von Herbert SPENCER zum Ausdruck kommen (vgl. WEISS

1993:18, vgl. auch MIKL-HORKE 1992:164ff.). PARSONS lehnt diese

Strömungen ab,

„weil soziale Strukturen darin schon begrifflich ausgeklammert sind.“ (WEISS1993:18)

Er entwickelt demgegenüber ein theoretisches Konzept, dessen grundlegender

Handlungsbegriff die Auseinandersetzung mit europäischen Denktraditionen

aufweist. Die 1937 erschienene Schrift The Structure of Social Action kann als

Ausgangspunkt der Entwicklung seiner Handlungstheorie aufgefaßt werden.

Erstmals werden hier im Rahmen der soziologischen Handlungstheorie die

Gemeinsamkeiten auf theoretisch-methodischer Ebene in den Arbeiten Max

WEBERs, Emile DURKHEIMs, Vilfredo PARETOs und Alfred MARSHALLs

herausgearbeitet und in der Weise weiterentwickelt, daß PARSONS in ihren

Werken eine konvergente theoretische Entwicklung aufzeigt.

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„Finally , there is the very impressive fact of convergence, that the work ofthese men who started from markedly different points of view converges upon asingle theory.“(PARSONS 1968:722)42

Die grundlegende Annahme, daß soziale Normen dabei als wichtigste

Komponente sozialen Handelns fungieren, wird zum Kern Parsonianischer

Handlungstheorie (vgl. PARSONS 1968:731). Diese Position erörtert

PARSONS im Sinn von Ordnung als Zusammenhalt eines in Einheiten

gegliederten gesellschaftlichen Systems. Zur Herleitung seiner Position

rekurriert er auf die von HOBBES formulierte Auffassung

„gesellschaftliche Synthesis als Resultat einer verständigen, zweckrationalenKalkulation der Folgen bestehenden Naturzustandes“ (verstanden alsKriegszustand aller gegen alle/Anm. TK)(PREWO/RITSERT/STRACKE 1973:78)43

anzunehmen. Davon ausgehend wird die Einsicht in die Notwendigkeit einer

stabilisierenden gesellschaftlichen Ordnung im Rahmen zweckrationaler

Handlungsmotivierung durch die Einbringung einer „Vertragsidee“ in die

theoretische Konzeption HOBBES’ eingearbeitet. PARSONS nimmt dies als

Ausgangslage seiner eigenen Fragestellung hinsichtlich der Integration der

auseinander strebenden Interessen von Individuen in einem gesellschaftlichen

Gebilde. Kritik erfährt in der Problemlösungsstrategie jedoch die LOCKE’sche

Annahme einer „natürlichen Harmonie“ der Interessen ebenso wie Smiths

invisible hand. Die voluntaristische Komponente wird vielmehr im Sinn einer

Willensanstrengung der Handelnden zur Verwirklichung von Werten und

Normen aufgefaßt (vgl. MIEBACH 1991:190, vgl. auch WEISS 1993:19). Damit

distanziert sich PARSONS vom utilitaristischen Handlungsmodell der

klassischen ökonomischen Theorie. Wobei seine Kritik an diesem

Handlungsmodell insbesondere auf das Zugrundelegen des Profitmotivs als

Ausgangspunkt der Formulierung einer Handlungstheorie abzielt (vgl. HAUCK

1988:134). Seiner Auffassung nach ist auch egoistisches Verhalten als eine

42 Die Konvergenz von Theorien kommt für PARSONS dadurch zustande, daß die in der

positivistischen Tradition stehenden MARSHALL, PARETO und DURKHEIM ideelle Faktorenberücksichtigen und WEBER eine Vermittlung der idealistischen Tradition mit materialis-tischen Konzepten anstrebt (vgl. MOREL u.a. 1995:148).

43 Weiterführend siehe HOBBES 1996: Kap. 14.

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spezifische Form institutionalistierten Verhaltens aufzufassen, welchem

demzufolge eine normative Orientierung zugrunde liegt. Als Wesen sui generis

treten gesellschaftliche Strukturen den rationalen Kalkülen als nicht-rationale -

jedoch auch nicht irrationale - Bestimmungsgröße des Handelns gegenüber.

Die utilitaritische Position, menschliches Verhalten als zielgerichtetes zu

kennzeichnen findet allerdings Eingang in das theoretische Konzept

PARSONS’ und ermöglicht so die Thematisierung von zielorientiertem Handeln

als

„Verhalten, welches ein vom Standpunkt des Handelnden aus erwünschtes Zieldurch Anwendung geeigneter Mittel zu erreichen sucht.“ (HAUCK 1988:134)

Die Verbindung zwischen diesen Determinanten leitet PARSONS somit

theoretisch durch den Aspekt der Anstrengung - effort - her, durch den der

Handelnde versucht den sozialen Determinanten in der Wirklichkeit des

Handelns Geltung zu verschaffen. Damit ist die Begründung einer

voluntaristischen Handlungstheorie über den Aspekt der „Anstrengung“ des

einzelnen Handelnden in der Umsetzung der Normen und Werte in seinem

Handeln theoretisch hergeleitet.44

Im Rahmen der Definition des Begriffs der sozialen Handlung bei PARSONS

kommt dem Werk Max WEBERs wesentliche Bedeutung zu: Die Definition

sozialer Handlung bei Weber, begriffen als Handeln

„welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf dasVerhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist“(WEBER in Winkelmann 1982:542)

und grenzt sich vor allem vom Verhaltensbegriff der behavioristischen Theorie

ab, wie dieser z.B. in den Arbeiten Herbert SPENCERs45 entwickelt worden ist.

Das positivistisch-behavioristische Wissenschaftsmodell gründete die

44 Voluntarismus meint damit vor allem eine Zurückdrängung jeder biologischen Determination

und eine Indienstnahme rationaler Kalküle durch nichtrationale Leitgesichtspunkte (vgl. auchKap.5 dieser Arbeit).

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Auffassung gegenüber philosophisch-spekulativer Stellungnahmen in der

Verhaltenstheorie auf beobacht-bare, empirisch nachweisbare Verhaltens-

abläufe, die auf experimentell-kausale Reiz-Reaktions-Schemata beschränkt

blieben. Durch die Einführung des Handlungsbegriffs Max WEBERs

differenzierte sich auf methodologischem Gebiet die Forderung nach Erklärung

von Verhalten zwischen kausaler Verhaltenserklärung und dem Verstehen des

Sinns von Handeln (vgl. MOREL u.a. 1992:140, PREWO/RITSERT/ STRACKE

1973:81). Dies begründet einen wesentlichen Aspekt des theoretischen

Ansatzes Talcott PARSONS’. Im Rekurs auf den Handlungsbegriff WEBERs,

der Handeln am subjektiv gemeinten Sinn ausgerichtet sieht und soziales

Handeln als sinnhaft auf das Verhalten anderer gerichtete Handlung bestimmt

(vgl. WEBER 1985:1), bezieht PARSONS seine Position gegenüber

Utilitarismus und Positivismus-Behaviorismus dahingehend, daß Handeln nicht

allein durch äußere Bedingungen erklärbar noch zweckhaft instrumentell, wie

es im Konzept der ökonomischen Theorie definiert ist , bestimmt sein muß.

Eine weitere Komponente, die PARSONS an dieser Stelle einfügt, ist die

Trennung zwischen tatsächlich nachweisbaren Verhaltensabläufen und der,

aus der sinn-konstituierten Handlungserklärungs-Perspektive abgeleiteten,

Thematik eines Programms zur Steuerung von Verhalten. Die Musterbildung

von Verhaltensabläufen führt er hierbei auf die Entwicklung und Steuerung von

und durch Werte und Normen zurück.

Neben dem voluntaristischen Handlungsbegriff bezieht PARSONS daher Emile

DURKHEIMs makrosoziologischen Blickpunkt in der Untersuchung von

Gesellschaft als Wesen sui generis (siehe PARSONS 1968:709) mit ein, wobei

Gesellschaft zwar als auf Interaktionen begründet verstanden wird, jedoch als

verdichtete Interaktionsstruktur losgelöste Existenz gewinnt, die dem

Individuum gegenübersteht und von diesem als Zwang wahrgenommen wird.

45 Das Buch beginnt mit: „Spencer is dead ! But who killed him and how?“ PARSONS in

Hamilton 1985:67. In seiner späteren Phase kommt PARSONS allerdings auf die biologische

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„Society in this context is not a concrete entity; it is, above all, not the concretetotality of human beings in relation to each other. It is a ‘moral reality’.“(PARSONS 1968:712)46

Die aus diesem Kontext entwickelten Aspekte der Entstehung und dem Wandel

von Steuerungsprogrammen des Verhaltens, von Kontroll-instanzen und

konditionalen Bedingungen des Handelns markieren die zentralen

Programmpunkte der Entwicklung seines Ansatzes. PARSONS verküpft die

Möglichkeiten von Handlungsfreiheiten, gemäß eines voluntaristischen

Konzepts, mit den Bedingungen und Strukturen, die für den Handelnden

begrenzend wirken (vgl. WEISS 1993:18f.). Hierbei sieht das methodologische

Konzept PARSONS vor, die theoretischen Begriffe des Theorieprogramms der

voluntaristischen Handlungstheorie mit der empirischen Forschung zu

verknüpfen.47 PARSONS differenziert daher zwischen der Analyse von

Elementen und Einheiten.

„Die Untersuchung von Einheiten besteht aus der Definition von ‘Typen-Einheiten’ und ‘empirischen Generalisierungen’, mit deren Hilfe konkretesoziale Strukturen und Prozesse beschrieben werden.“ (MIEBACH 1991:193)

Der Ansatz, der von PARSONS verfolgt wird, ist der der Differenzierung

zwischen theoretischen bzw. analytischen Systemen und empirischen. Dem

Theorieverständnis folgend, das den Arbeiten PARSONS unterlegt ist, kann die

Theorie nur ein Modell der Wirklichkeit sein und keinen unmittelbaren

empirischen Bezug aufweisen. In der Annahme, daß Wirklichkeit begrifflich

organisiert ist und damit selektiv wahrgenommen wird, muß die Theorie, die

diese interpretieren will, ebenfalls eine selektive Organisation von

Wahrnehmung ausmachen und kann folgerichtig nur ein Bereich von einzelnen

Hypothesen über Bereiche der Wirklichkeit darstellen. PARSONS entwickelt

den Ansatz einer allgemeinen Handlungstheorie quasi axiomatisch-deduktiv

aus einigen wenigen Grundannahmen und Begrifflichkeiten, die er als den

Bezugsrahmen des Handelns, den action frame of reference, kennzeichnet.

Systemanalogie zurück (vgl. PARSONS 1966)..46 Wesentlich ist hierbei die Unterscheidung von „social constraints from naturalistic causation.“

(PARSONS 1968:709)

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Dieser kategoriale Bezugsrahmen gründet, wie bereits oben erwähnt, jedoch

nicht auf der empirischen Beschreibung von Handlung, sondern ist ein Modell

das Handlung beschreibt. Die Kategorien dienen somit als Anleitung zur

Beschreibung von Wirklichkeit. Die Konkretisierung der einzelnen Kompo-

nenten und ihrer gegenseitigen Wechselwirkungen, die PARSONS im Rahmen

der Thematik der unit of action systems formuliert, entwickelt er vom basic unit,

auch unit act, der Einzelhandlung aus (vgl. HAMILTON 1985:73). Denn

„[t]his is the ‘smallest’ unit of an action system which still makes sense as a partof a concrete system of action.“ (PARSONS 1968:731)

Von mechanistischen Systemanalogien leitet PARSONS die Herangehens-

weise ab, zunächst das kleinste Element zu identifizieren, um davon

ausgehend die einzelnen Handlungsakte zu einer Einheit zu verknüpfen.

Einleitend formuliert er

„There must be a minimum number of descriptive terms applied to it, aminimum number of facts ascertainable about ist, before it can be spoken at allas a unit in a system.“ (PARSONS in Hamilton 1985:73)

Der unit act ist folglich ein Komplex von Elementen, aus denen sich Handlung

zusammensetzt

„It implies an agent, an ‘actor’. For purposes of definition the act must have an‘end’, a future state of affairs toward which the process of action is oriented. Itmust be initiated in ‘situation’ of which the trends of development differ in one ormore important respects from the state of affairs to which the action is oriented,the end. This situation is in turn analyzable into two elements: those over whichthe actor has no control, that is which he cannot alter, or prevent from beingaltered, in conformity with this end, and those over which he has such control.The former may be termed the ‘conditions’ of action , the latter the ‘means’.Finally there is inherent in the conception of this unit, in its analytical uses, acertain mode of relationship between these elements. That is, in the choice ofalternatives, there is a ‘normative orientation’ of action’.“ (PARSONS inHamilton 1985:73f.)

47 Die Umsetzung erfolgt jedoch erst im Rahmen der struktur-funktionalen Systemtheorie (vgl.

MIEBACH 1991:188).

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In PARSONS Handlungskonzept, dem frame of reference, wird die „subjektive“

Perspektive der Handlung entworfen.

„That is, it deals with phenomena, with things and events as they appear fromthe point of view of the actor whose action is being analyzed and considered.“(PARSONS in Hamilton 1985:74)

Im Zentrum des action frame of reference steht die Orientierung der Akteure an

der Situation. Das Begriffsschema befaßt sich insbesondere mit den

Beziehungen zwischen den Bestandteilen einer interaktiven Situation, d.h. mit

den Prozessen und daraus entstehenden Strukturen. Wesentliches Kriterium ist

dabei die normative Orientierung der Akteure. Damit wird deutlich, daß

PARSONS nicht im Sinn des Behaviorismus einen Organismus als

Bezugspunkt der Analyse wählt, sondern

„The unit of reference which we are considering as the actor is not thisorganism but an ‘ego’ or ‘self’.“ (PARSONS in Hamilton 1985:75)

Handeln hat neben der motivationalen Komponente, d.h. daß der Handelnde

die Situation stets auf eigene Bedürfnisse und Ziele bezieht, immer auch eine

Komponente, die durch die Bedürfnislage des Organismus bestimmt ist.

PARSONS reflektiert zwar in diesem Zusammenhang die need disposition des

Organismus, jedoch ist für seine Handlungstheorie lediglich die Organisation

des Handelns von Interesse. PARSONS fokusiert hierbei insbesondere auf die

Erfahrung des Handelnden mit der Bewältigung von Situationen. Nicht

einfaches Reagieren steht im Mittelpunkt, sondern die Entstehung eines

Systems von Erwartungen, die in bezug auf die Situationselemente entwickelt

werden (vgl. PARSONS/SHILS 1962:14). Handlung wird daraus ableitend

verstanden als

„a state of tension between two different orders of elements, the normative andthe conditional.“ (PARSONS 1968: 732)

Das normative Element des unit act grenzt PARSONS von der utilitaristischen

Tradition ab, wobei hier insbesondere die Ablehnung von Irrationalem, wie

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beispielsweise Glauben, unter dem Gesichtspunkt thematisiert, das dies die

Ziel-Mittel-Erwägung stören würde, von PARSONS kritisiert wird. Das Element

der normativen Orientierung bedingt darüber hinaus die Möglichkeit, auf

Handlung eine Strukturtheorie aufzubauen, da alles soziale Handeln in diesem

Aspekt einen Bezugspunkt findet (vgl. WEISS 1993:21) und dies

„... to the fact of integration of individuals with references to a common valuesystem, manifested in the legacy of institutional norms, [...] and in variousmodes of expression.“ (PARSONS 1968:768)

PARSONS folgt hier DURKHEIM im Sinn der common-value integration48 als

genereller Eigenschaft aller Handlungsysteme. Dabei sollen Handlungsziele,

Mittel und normative Orientierungen, nach generellen analytischen Prinzipien,

die von speziellen Situationen unabhängig sind, klassifiziert werden (vgl.

WEISS 1993:21). Die voluntaristische Perspektive ist damit als Konzept nur in

bezug auf die Möglichkeiten einer nicht determinierten Handlung

DURKHEIMscher Provenienz aufzufassen. Wobei im Vordergrund steht, daß

„Within the area of control of the actor, the means employed cannot, in general,be conceived [...], but must in some sense be subject to the influence of anindependent, determinate selective factor... a normative orientation...“(PARSONS 1968:44f.)

In der Verbindung des voluntaristischen Handlungskonzepts mit dem Aspekt

der normativen Orientierung entwickelt PARSONS in der Folge die system-

theoretische Komponente seines Ansatzes, die vom Funktionalismus inspiriert

ist, aber eine Umformulierung in der Weise erfährt, daß Gesellschaft als

System interdependenter, einander beeinflussender Teile auch dynamische

Elemente aufweisen muß.

Im Übergang von der Individualebene zur Systemebene treten funktionale

Gesichtspunkte in den Mittelpunkt der theoretischen Erörterung. Der

48 DURKHEIM folgt in der theoretischen Erfassung gesellschaftlicher Realität nicht der

Vorstellung, dass individuelle Rationalität für Integration sorgt, sondern entwickelt eine, anROUSSEAU anlehnende, Konzeption eines Solidaritätsgefühls unter den Mitgliedern einerGesellschaft, welches die gemeinsame Willensäußerung zur Einhaltung von Normen bedingt(vgl. WEISS 1993:18 f.).

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anschließende Abschnitt widmet sich daher zunächst der Darstellung

wesentlicher Entwicklungsschritte des Funktionalismus in den

Sozialwissenschaften.

3.3 Zum Funktionalismus in den Sozialwissenschaften

Talcott PARSONS’ theoretische Konzeption wird als funktionalistische Theoriegekennzeichnet und weist somit auf eine bestimmte, von der kausal-wissenschaftlichen zu unterscheidende Erklärungsweise hin. Da derFunktionalismus unterschiedliche Ursprünge hat, werden in einem kurzenÜberblick zur funktionalen Betrachtungsweise im Rahmen der Sozial-wissenschaften wesentliche Einflußfaktoren PARSONS’ funktionalistischerKonzeption dargestellt.

3.3.1 Definition des Begriffs Funktion

Der Begriff der Funktion hat unterschiedliche Definitionen. Allgemein finden

sich im Lexikon folgende Ausführungen: Geltung, Tätigkeit, Amt, Stellung und

[klar umrissene] Aufgabe innerhalb eines größeren Zusammenhangs, Rolle.

Fachwissenschaftliche Verwendungen des Funktionsbegriffs gehen allerdings

in abstrakteren Konzeptionen auf, so z.B. in der Mathematik, wo unter einer

Funktion eine veränderliche Größe, die in ihrem Wert von einer anderen

abhängig ist verstanden wird. Im Rahmen kybernetischer Funktionsdefinition ist

ein bestimmtes Systemverhalten, das sich aus dem Verhältnis von Ein- und

Ausgabe bestimmen läßt, zu verstehen. Alle diese Definitionen finden Eingang

in die sozialwissenschaftliche Verwendung des Begriffs der Funktion. Jedoch

ist hier nicht ohne weiteres mit (exakten) naturwissenschaftlichen oder

mathematischen Vorstellungen zu arbeiten.

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3.3.2 Funktionale Ansätze in der Gesellschaftstheorie

Ansätze funktionalen Denkens finden sich bereits in den Arbeiten Auguste

COMTEs (1798-1857) und werden hier in der Weise formuliert, daß

Erklärungen von Einzelphänomenen nur im Rahmen des Ganzen erfolgen

könnten, da alles in einer Gesellschaft in sehr hohem Masse verflochten sei

(vgl. WEISS 1993:13).

Die struktur-funktionale Systemtheorie geht in ihren Grundlagen allerdings auf

Emile DURKHEIM (1858-1917) zurück. In seinen Arbeiten spielen funktionale

Aspekte eine wesentliche Rolle, da mit den gesellschaftlichen Veränderungen

im 19. Jahrhundert, d.h. dem wissenschaftlichen Fortschritt und der

zunehmenden technischen Beherrschung und Nutzbarmachung der Natur, die

die Entwicklung des industriellen Kapitalismus mit seiner komplexen

Arbeitsteilung und steigender Bevölkerungszahlen ausmachten, das Thema der

zunehmenden Differenzierung ins Blickfeld theoretischer Erklärungsansätze

tritt.

DURKHEIM beschäftigt sich dabei im besonderen mit Themen der

Differenzierung der Gesellschaft in Einheiten, z.B. Familien, unter besonderer

Berücksichtigung der Erklärung von Interdependenz zwischen den Einheiten,

als auch mit den Aspekten des Zerfalls und der Integration(sleistung) sozialer

Systeme.49 Besonders die Relation des Teils zum Ganzen steht hierbei im

Blickpunkt. Aber der Aspekt der Interdependenz allein ist für DURKHEIM kein

ausreichendes Erklärungsschema für den Systemerhalt und er thematisiert

kulturelle Begründungen, z.B. Werte, als integratives Moment gesellschaftlicher

Systembetrachtung.50

Die Thematik der Differenzierung ist allerdings nicht erst bei DURKHEIM

Bestandteil der Theorie, sondern findet sich auch in den Evolutionstheorien, die

auf die Arbeiten Charles DARWINs folgen (vgl. WEISS 1993:14). Ein

49 Die differenzierte Gesellschaft basiert nach DURKHEIM auf einer „organischen Solidarität“,

die sich in der unterschiedlichen Funktionsausübung von Einzelnen und der sich darausentwickelnden Interdependenz ausdrückt. Infolge der zunehmenden Komplexität differen-zierter Gesellschaften nimmt auch die gegenseitige Abhängigkeit zu und Durkheim entwickeltseinen theoretischen Ansatz dahingehend, daß die gesellschaftlichen Mitglieder ihregegenseitige Verpflichtung schließlich als moralische Tatsache akzeptieren (vgl. DURKHEIMin Thompson 1985:46 ff.).

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prominenter Vertreter dieses Theorietypus’ ist Herbert SPENCER (1820-1906).

Er übernimmt evolutionstheoretische Vorstellungen, um gesellschaftlichen

Fortschritt analysieren zu können. Hierbei vertritt er die Annahme, daß auch in

der gesellschaftlichen Entwicklung ähnliche Gesetzmäßigkeiten bestehen, wie

diese in der Natur nachweisbar sind. Spencer erfaßt die Tendenz zu größerer

Komplexität gesellschaftlicher Strukturen in Form zunehmender Homogenität

der einzelnen Gesellschaftsteile, was auch zunehmende Anpassungs-

leistungen, innerhalb wie außerhalb des betrachteten gesellschaftlichen

Gebildes bedeutet. Dabei wird der Aspekt von Teil und Ganzem umfassend

thematisiert (vgl. SCHÜLEIN/BRUNNER 1994:83ff.). Nach SPENCER ist

soziale Evolution als Steigerung von Anpassungsleistungen aufzufassen, die

aufgrund zunehmender Differenzierung und gleichzeitiger Integration möglich

wird. Hierbei thematisiert er die Analogie zwischen organischen und sozialen

Gebilden. Dieser Annahme folgend leitet er Funktionen von Teilen des sozialen

Systems her, die wichtig für den Bestand des Gesamtsystems sind (vgl.

SCHÜLEIN/BRUNNER 1994:85, vgl. auch WEISS 1993:15f.).

Aufbauend auf diesen Thesen finden sich im soziologischen Funktionalismus

zwei wichtige Ansatzpunkte:

1. Jede kulturelle Erscheinung muß eine bestimmte Funktion haben, woraus sich2. ergibt, daß die Erscheinungsform auf die Funktionserfüllung schließen läßt

(vgl. WEISS 1993:16).

Eine Fortentwicklung, teilweise auch in Anlehnung an die Arbeiten

DURKHEIMs, erfährt der funktionale Denkansatz in den 20er und 30er Jahren

im Rahmen der Ethnologie/Anthropologie durch die Arbeiten Bronislaw

MALINOWSKIs (1884-1942) und Alfred R. RADCLIFF-BROWNs (1881-1955).

Gestützt auf die Analyse primitiver Gesellschaften soll die

Funktionsbestimmung von kulturellen Erscheinungen im Rahmen des Gesamt-

gefüges möglich werden.

MALINOWSKIs Funktionsbegriff fokusiert hierbei insbesondere auf die

individuellen Auswirkungen gesellschaftlicher Institutionen. Hierbei untersucht

50 Der Versuch der Erklärung gesellschaftlicher Integration durch Werte bedingt die Zurechnung

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er die Funktionen, welche Institutionen zur Erfüllung der grundlegenden

Bedürfnisse der Mitglieder des betrachteten gesellschaftlichen Gebildes

erfüllen. Malinowski entwickelt ein allgemeines Funktionen-Schema, das sieben

grundlegende individuelle Bedürfnisse thematisiert und diese mit zentralen

gesellschaftlichen Institutionen in Beziehung setzt (vgl. HAUCK 1988:130).

Darüber hinaus hat wesentliche Bedeutung, daß er Kultur bereits als

Handlungssystem auffaßt und bemüht ist Teilbereiche der Kultur mit den

Bedürfnissen des menschlichen Organismus zu verbinden.

Alfred R. RADCLIFF-BROWN definiert den Funktionsbegriff im Zusammenhang

mit der Frage der Erhaltung des Bestands des betrachteten gesellschaftlichen

Gebildes. In Analogie eines biologischen Organismus analysiert er die

Funktionen der einzelnen sozialen Phänomene für den Erhalt der

gesellschaftlichen Gesamtheit.51 RADCLIFF-BROWNs Interesse geht in

Richtung der Formulierung von Gesetzmäßigkeiten zur Aufrechterhaltung von

gesellschaftlichen Systemen.

Die Arbeiten der funktionalen Ethnologie/Anthropologie haben wesentlich zur

Entwicklung des Funktionalismus beigetragen und weisen ebenfalls starken

Einfluß auf die Entwicklung sozialwissenschaftlich gewendeter Systemtheorie

Parsonianischer Prägung auf.

Die Arbeiten MALINOWSKIs und RADCLIFF-BROWNs konzentrierten sich auf

die Analyse primitiver Gesellschaften. Robert K. MERTON betonte

demgegenüber jedoch, daß die Erkenntnisse nicht ohne weiteres auf die

Untersuchung von modernen, komplexen Gesellschaften übertragen werden

können. MERTON stellt im wesentlichen auf drei Kritikpunkte ab, wobei er

1. die Differenzierung zwischen primitiven und modernen Gesellschaften, zurBestimmung des Bezugspunktes von dem aus die Analyse erfolgen soll,thematisiert.

Außerdem verweist der

zum normativen Paradigma (vgl. MIEBACH 1991:193).51 Hier wird noch die, durch die Evolutionstheorien nahegelegte Vorstellung der Nützlichkeit von

bestehenden Verhältnissen unterlegt.

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2. auf die Vielschichtigkeit sozialer Realität, die bedingt, daß nicht alleBestandteile einer Kultur funktional sein müssen.52

Und er wendet sich3. gegen den Erfordernisanspruch hinsichtlich der Funktionserfüllung

bestimmter Elemente.

Merton bringt hier die Möglichkeit funktionaler Äquivalente in die theoretische

Auseinandersetzung ein (vgl. SCHÜLEIN/BRUNNER 1994:99). Im Rahmen

seiner Arbeiten sind somit wesentliche Unterscheidungen in die funktionale

Analyse eingegangen und die bis dahin bestehende Orientierung des

Funktionalismus entwickelte sich in Richtung der Bestimmung von

Phänomenen und Folgen für Strukturen, in die sie eingebettet sind.

In der Weiterentwicklung des Funktionalismus liegt der Übergang zur

Systemtheorie. Wobei der Begriff der Struktur, aus funktionalen Grund-

annahmen entwickelt, direkt in die Systemtheorie überleitet, denn ein System53

kann nur als solches wahrgenommen werden, wo es sich aufgrund innerer

Strukturbildung gegen seine Umwelt abgrenzt. Der Strukturbegriff ist folglich ein

Systemmerkmal, welches Elemente in einem bestimmten Rahmen als

Konstanten beschreibt. Ausgehend von dieser Fassung des Strukturbegriffs

kann ein System definiert werden als ganzheitlicher

„Zusammenhang von Teilen, deren Beziehungen untereinander quantitativintensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehungen zu anderenElementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert eineSystemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt.“ (WILLKE1982:149)

Talcott PARSONS verbindet handlungs- und systemtheoretische Begriffe zu

einer Theorie der Handlungssysteme, wobei er den Systembegriff in seiner

technisch-naturwissenschaftlichen Fassung auf die Erklärung von Handlung

erweitert und den Versuch unternimmt, im Rahmen der Formulierung einer

52 MERTON trifft Unterscheidungen zwischen Funktionen, Dysfunktionen und Nicht-Funktionen.

In der Differenzierung von individuellen Absichten und objektiven Folgen, gelingt darüberhinaus die Formulierung von manifesten und latenten Funktionen, die sich thematisch auf dengerade beschriebenen Aspekt sozialer Wirklichkeit beziehen (vgl. SCHÜLEIN/BRUNNER1994:89).

53 Verstanden als analytische Konzeption oder als ein Gebilde im Sinn eines ganzheitlichenZusammenhangs.

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55

allgemeinen Handlungstheorie alternative Erklärungen sozialer Strukturen und

Prozesse herzuleiten, die nicht aus den Erklärungsansätzen bereits

bestehender Gesellschaftstheorien darzulegen waren (vgl. MIKL-HORKE

1992:191, vgl. auch WEISS 1993:24).

Die Umformulierung der Handlungstheorie in eine struktur-funktionale

Systemtheorie muß zwangsläufig die Struktur in bezug zur Funktion ableiten,

wobei

„die strukturellen Züge eines sozialen Systems nicht mehr aus denPropositionen des unit-act hergeleitet werden können.“ (WEISS 1993:22)

PARSONS begründet die Abstrahierung von individueller Variabilität der

Verhaltensweisen und Motivationen mit der Programmatik, soziale Faktoren

identifizieren zu wollen (vgl. HAUCK 1988:137).

3.4 Die Allgemeine Theorie der Handlungssysteme

Im Rahmen des handlungstheoretischen Modells, das systemtheoretische undinteraktionistische Komponenten in einem Theoriekonstrukt verbindet, unter-nimmt PARSONS den Versuch, eine allgemeine Theorie menschlichenHandelns zu entwerfen. Alle relevanten Aspekte der gesellschaftlichen Realtitätsollen dabei mithilfe eines Systems von logisch zusammenhängenden Begriffenerfaßbar gemacht werden. Die Konkretisierung der theoretischen Konzeptionerfolgt in den 1951 erschienen Schriften Toward a General Theory of Actionund The Social System.

Im Gegensatz zur Handlungstheorie, die

„Strukturen als Rollenrechte und -pflichten, als institutionalisierte Werte undNormen, als primäre und sekundäre Regeln der Alltagshandlung, als im Verlaufder Biographie aufgebaute Identität und als Grundbedingung sozialenHandelns.“ (MIEBACH 1991:183)

erfaßt und hierbei Bedingungen aufführt, die von Gruppen oder einzelnen

Individuen beeinflußbar sind, sich aber für den Handelnden in einer konkreten

Interaktionssituation als unveränderbare soziale Gegebenheit aufzeigen, liegt

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56

die Betonung, im Rahmen der Systemtheorie, auf den strukturellen Mustern,

die sich in Systemen zu einer eigenen Ebene verfestigen und von dem

einzelnen Handelnden nicht kontrollierbar sind.54

Der Systembegriff, der der theoretischen Konstruktion Talcott PARSONS’

unterlegt ist, setzt sich aus verschiedenen Systemmerkmalen zusammen:

PARSONS’ Verständnis des Systems sozialer Handlungsgefüge entwickelt sich

einerseits am mechanischen Systemmodell Vilfredo PARETOs, der dieses auf

soziale Aspekte anwendet, weiterhin am physikalisch-chemischen System-

begriff, wie ihn Lawrence J. HENDERSON entwickelte und auf biologische

Systeme anwendet und schließlich am Ansatz der Homöostasis und der

kybernetischen Steuerung bei Alfred EMERSON und Norbert WIENER.

EMERSONS’ Auffassung folgend, daß zwischen Genen und Symbolen eine

funktionale Äquivalent bestehe, gelangt PARSONS zur Überzeugung, daß

zwischen den physischen Systemen der organischen Welt und denen der

soziokulturellen Welt eine prinzipielle Beständigkeit von Gesetzmäßigkeit

bestehe und demzufolge dieselben Gesetze für beide Bereiche angenommen

werden können.55

PARSONS Auffassung nach ist ein System durch die Interdependenz der Teile

gekennzeichnet, welches aufgrund des Ordnungscharakters der inter-

dependenten Variablen die Tendenz zur Erhaltung der Struktur und damit dem

Gleichgewicht im System aufweist. Die Ordnungsfrage wird somit im Hinblick

auf Systembezüge und das „Überleben“ eines Systems im Sinn eines

dynamischen Gleichgewichts erörterungsfähig. Die Untersuchung bedingt

folglich die Bezugnahme einzelner Probleme systematisch auf die Gesamtheit.

Auf diese Weise werden Erscheinungen, die systemerhaltend wirken oder die

Integration beeinträchtigen, analysierbar (vgl. HAUCK 1988:135). Dieser

Perspektive sind jene Konzepte untergeordnet, die reflexiv Handlung, im unit

act, auf eine Einheit reduziert und Handlungsentwürfe als Ausdruck von

54 Auf den unterschiedlichen Emergenzniveaus werden strukturelle Verfestigungen beobachtet,

die auf das Handeln der Individuen einwirken (vgl. MIEBACH 1991:183). PARSONS modelliertdarauffolgend im Verlauf seiner Arbeiten die vier verschiedenen Ebenen seiner systemischenAnalyse.

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57

Rollenabläufen erfaßt, die dem Sozialsystem zugeordnet werden können. Hier

entwickelt PARSONS den Bezug zu FREUDs Über-Ich-Konzeption und gelangt

durch die Einführung der Prozesse der Internalisierung und Institutionalisierung

zur Möglichkeit, die Subsysteme miteinander zu verbinden. Hierbei wird, im

Rahmen der Definition von System als Menge von wechselseitig von einander

abhängigen Elementen und ihren Beziehungen untereinander, die Problematik

angesprochen, daß je komplexer das System wird desto weniger sind die

Beziehungen untereinander wesentlicher Integrationsfaktor. Dieser Problem-

bereich der theoretischen Konzeption wird im Rahmen einer Hierarchie

thematisiert, wobei eine selektive Verknüpfung der Elemente notwendig wird.56

3.4.1 Die Einführung von Handlungssystemen

Mit der Einführung von Handlungssystemen in die theoretische Konzeption

kategorisiert PARSONS Systeme nach unterschiedlichen Stufen der Evolution,

die einerseits durch kybernetische Kontrollbeziehungen mit einander verbunden

sind, andererseits durch Stufen konditionaler Voraussetzungen aufeinander

basieren. Handlungssysteme werden dabei von physikalisch-chemischen und

biologischen Systemen in der Weise differenziert, daß erstgenannte aufgrund

einer

„‘Interdependenz-Unterbrechung’ durch ein Fehlen von ausreichenden ‘inniateorganizers’ (angeborenen Steuerungsfunktionen) für menschliches Verhalten“(MOREL 1992:142)

entstehen. Damit wird der Aspekt der (Nicht-)Determiniertheit menschlichen

Verhaltens thematisiert und PARSONS ist vor diesem Hintergrund

insbesondere an der Entstehung und Dauerhaftigkeit von sozialer Ordnung

interessiert.

55 Die Darstellung der einzelnen System-Modelle findet sich bei TJADEN (1971).56 PARSONS führt hierzu die kybernetische Kontrollhierarchie in sein theoretisches Konzept ein.

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58

3.4.2 Der handlungstheoretische Bezugsrahmen und die Systemtheorie

In Toward a General Theory of Action (zus. mit E. SHILS 1951) thema-tisiertPARSONS die Beziehung zwischen den drei Handlungssystemen Persönlich-keitssytem, soziales System und kulturelles System. Jedes System ist dabei alsanalytische Abstraktion von konkretem Verhalten aufzufassen.

Einleitend erörtert PARSONS die Unterscheidung zwischen den Aspekten des

physiologischen Organismus als Grundlage des individuellen Akteurs, der

Handlung eines einzelnen Akteurs und den Handlungen von einer Mehrzahl

von Akteuren in einem Kollektiv. Wichtig für PARSONS ist herauszustellen, daß

die Organisation von Handlung im Zentrum der Diskussion steht. Damit stellt er

den Aspekt der Handlungsorientierung in den Vordergrund.

„Whether the acting unit is an individual or a collectivity, we shall speak of theactor’s orientation of action when we describe the action.“(PARSONS/SHILS1962:4)

Den Aspekt der Motivation thematisiert Talcott PARSONS im Rahmen der

normativen Orientierung, was den Ausgangspunkt der theoretischen Erörterung

bildet. PARSONS räumt ein, daß

„The concept motivation in a strict sense applies only to individual actors.“(PARSONS/SHILS 1962:4)

Jedoch liegt das Erkenntnisinteresse auf dem Schwerpunkt der Identifikation

von sozialen Handlungskonzeptionen und PARSONS führt aus, daß

„[t]he motivational components of the action of collectivities are organizedsystems of the motivation of the relevant individual actors.“(PARSONS/SHILS1962:4)

Für die Handlungsorientierung bedeutet dies, daß

„Action has an orientation when it is guided by the meaning which the actorattaches to it in its relationship to his goals and interests.“(PARSONS/SHILS1962:4)

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Der Handlungsorientierung wird ein set of objects of orientation unterlegt (siehe

PARSONS/SHILS 1962:4). PARSONS differenziert dabei zwischen zwei

unterschiedlichen Gruppen von Objekten

„to which the actor who is the point of reference may be oriented.“(PARSONS/SHILS 1962:4).

Die Klassifikation der Modalitäten von Objekten erfolgt hierbei nicht über ihre

Eigenschaften, sondern über ihre Beziehung zum Handelnden.

„These are either (1) nonsocial, that is, physical objects or accumulated culturalressources, or (2) social objects, that is individual actors andcollectivities.“(PARSONS/SHILS 1962:5)

Das Unterscheidungskriterium liegt im Begriff der Interaktion, der gegenseitigen

Orientierung und der damit verbundenen Bildung von Erwartungsstrukturen. In

der spezifischen Kombination der Selektionen hinsichtlich der Objekte in einer

Situation konstituiert sich so allmählich eine Handlungsorientierung für den

einzelnen Akteur. In der organisierten Gesamtheit der Handlungsorientierungen

besteht dann für PARSONS ein Handlungssystem, das durch das bereits

beschriebene Fehlen einer Handlungsdeterminiertheit die Beziehung zwischen

Handelndem und Situation durch bestimmte Orientierungsweisen festlegt.

PARSONS unterscheidet hierbei drei unterschiedliche Orientierungsmodi bzw.

Relationsmodi:

a) den kognitiven,b) den teleologisch-evaluativen undc) den affektiv-kathektischen Relationsmodus. Wesentlich ist, daß zwischen

der Umwelt, den Wünschen des Handelnden und den emotionalenBedingtheiten (Bindungen) von Handlungsweisen differenziert wird (siehePARSONS/SHILS 1962:4).

Zusammenfassend können diese Relationsmodi aufgefaßt werden, als

„the categories for the description, on the most elementary level, of theorientation of action, which is a constellation of selections from alternatives.“(PARSONS/SHILS 1962:5 f.)

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PARSONS geht in der Untersuchung der Handlungsorientierungen von einer

bestimmten Konstellation der Orientierung aus, wobei er jedoch darauf

hinweist, daß die

„dynamic analysis would treat the process of action and is the proper goal ofconceptualization and theory construction.“(PARSONS/SHILS 1962:6)

Er schlussfolgert daraufhin, daß

„these same variables are dealt with in the analysis of the processes in which,through change in the values of the variables, one orientation changes intoanother. There is, thus, no difference...“ (PARSONS/SHILS 1962:6)

Der Handlungsbezugsrahmen wird von PARSONS auf alle Handlungsaspekte

und -prozesse bezogen, wobei die Verhaltensweisen, die es zu analysieren gilt,

in Systeme unterteilt werden. PARSONS differenziert drei unterschiedliche

Konfigurationen: Persönlichkeit, das soziale und das kulturelle System (vgl.

PARSONS/SHILS 1962:6f.).

Der Begriff der Persönlichkeit umfaßt die Orientierung des Akteurs und die

zugrunde liegenden motivationalen Prozesse. Das soziale System wird aus den

Interaktionen von mehreren Handelnden geformt, kann jedoch nicht als

„plurality of personalities“ verstanden werden (PARSONS/SHILS 1962:7). Das

Kultursystem enthält schließlich kulturelle Tradierungen, die einmal als Objekt

der Orientierung verstanden werden und zum anderen als Element der

Handlungsorientierung in den Aspekten der Persönlichkeit und des sozialen

Systems auffindbar sind (vgl. PARSONS/SHILS 1962:7).

Die vorgestellten Konfigurationen müssen als eigenständige Systeme aufgefaßt

werden und sind somit nicht aufeinander reduzierbar. Konkrete Handlungs-

systeme, faßt PARSONS zusammen, sind

„personalities and social systems - have psychological, social and culturalaspects.“(PARSONS/SHILS 1962:7)

Kulturelle Elemente unterteilt PARSONS wiederum in zwei Klassen

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„First, they may be differenciated according to the predominance of each of themodes of motivational orientation. Second, culture patterns as objects of thesituation may be distinguished from culture patterns as internalized componentsof the orientation system of an actor.“ (PARSONS/SHILS 1962:8)

Wesentlich ist bei dieser Einteilung, daß die erste Klasse drei Typen von

kulturellen Mustern hervorbringt, die Organisation und damit Systembildung

bedingen. Es sind dies

a) kognitive,b) expressive undc) evaluative Systeme der Wertorientierung.

Ihre Funktion liegt im Bereich der Lösungsmöglichkeiten für bestimmte

Orientierungsprobleme in bestimmten Situationen (vgl. PARSONS/ SHILS

1962:21). Auch die Systeme der Wertorientierung können wieder unterteilt

werden, was auf die Klassifizierung von Einstellungen und Standards von

Handlungsweisen hinausführt und PARSONS zu Typen sozialer Strukturen und

damit der Einteilung von bestimmten Gesellschaftstypen gelangen läßt (vgl.

PARSONS 1979:177ff.).

Zur Verdeutlichung der „organization of action into systems“ entwirft PARSONS

eine Handlungssituation, die nicht mehr aus der Perspektive des Individuums

entworfen wird, sondern die Einführung der Interaktion mehrerer (Ego-Alter-

Relation) erfährt (PARSONS/ SHILS 1962:54). Er beginnt mit der Betrachtung

einer Zwei-Personen-Interaktion. In einer solchen Situation stellen beide für

einander jeweils Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung als auch zur

Frustration dar – „the complementarity of expectations“ (PARSONS/ SHILS

1962:15). In gegenseitigem Lernprozeß zur Vermeidung von Frustrationen,

sanctions, und darüber hinaus der Maximierung ihrer Bedürfnisbefriedigung,

conformity, verdichtet sich so allmählich ein System von Erwartungen, welches

festlegt wie Verhalten sein soll.

„Thus consideration of the place of complementarity of expectations in theprocesses of human interaction has implications for certain categories whichare central in the analysis of the origins and functions of cultural patterns. There

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is a double contingency inherent in interaction.“(PARSONS/SHILS 1962:16)

Und PARSONS kommt zum Schluß, daß hinsichtlich der gegenseitigen

Erwartungen in der interaktiven Situation Stabilität nur durch die Etablierung

bestimmter Konventionen gewährleistet sein kann. Diese Konventionen führt

PARSONS auf die normative Orientierung und damit auf ein „shared symbolic

system“ zurück (vgl. PARSONS/SHILS 1962:16).

Dieser Satz von Normen steuert das Verhalten von Individuen und bedingt die

Entwicklung eines Bezugsrahmens, der die, für die soziale Interaktion wichtigen

Zeichen und Symbole, die mit bestimmten Bedeutungen belegt sind und als

Kommunikationsmedien den Zusammenhang zwischen Handelnden und

Situation herstellen, liefert, bis sich die Interaktionsmuster endgültig stabilisiert

haben. Die Organisation der Handlung beinhaltet somit kulturelle Symbolismen

(vgl. PARSONS/SHILS 1962:7-21, vgl. auch PARSONS 1979:5f.).

Den Prozeß der Aneignung der kulturellen Muster siedelt PARSONS im

Sozialisationsprozeß an. Die Persönlichkeit als System, ego structure, enthält

neben Elementen der Motivation, die Gratifikations-Deprivations-Balance,

Aspekte der Kognition und des Lernens auch Mechanismen, die auf den

Relationsmodi aufbauen (vgl. PARSONS/ SHILS 1962:18). Neben den

physiologischen Komponenten des individuellen Akteurs, der need disposition,

führt PARSONS die interaktive Erfahrung in die Struktur der Persönlichkeit ein,

wobei die symbolischen Aspekte der kulturellen Tradition

„form an interdependent system of acquired need-disposition.“ (PARSONS/

SHILS 1962:54).

Darauf aufbauend entwickelt PARSONS das Konzept der Rollenerwartung. Die

Organisation von Handlungsalternativen in einem Handlungssystem ist

wesentlich, da

„[w]ithout this organization, the stable system of expectations which areessential to any system of action could not exist.“(PARSONS/SHILS 1962:20 f.)

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Die Internalisierung von kulturellen Mustern ist somit eine wesentliche

Komponente der theoretischen Konzeption PARSONS’. Und zusammen-

fassend formuliert er, daß

„All concrete systems of action, at the same time, have a system of culture andare a set of personalities (or sectors of them) and a social system orsubsystem. Yet all three are conceptually independent organizations of theelements of action.“(PARSONS/SHILS 1962:22)

Aus dem action frame of reference leitet PARSONS weitere

handlungstheoretische Konzepte ab, wobei das wichtigste das der pattern

variables ist. Mit den Mustervariablen erweitert PARSONS die Handlungs-

orientierung der Akteure nach den genannten Relationsmodi in dem Sinn, daß

der Akteur in einer Situation eine Entscheidung treffen muß, die das Primat

bezüglich der Orientierungsmodi festlegt. Dies basiert auf der Grundlage des

Verständnisses der Mustervariablen als

„... which must be chosen by an actor before the meaning of a situation isdeterminate for him, and thus before he can with respect to thatsituation.“(PARSONS/SHILS 1962:76)57

PARSONS formuliert fünf dichotome Entscheidungsalternativen, deren

Kombination die spezifische Orientierung und die Orientierungssysteme

charakterisieren (vgl. PARSONS/SHILS 1962:76). Die Handlungsorientierungs-

muster gehören zum normativen Aspekt der Struktur von Handlungssystemen

und bilden eine Komponente des jeweiligen kulturellen Systems. Sie sind damit

angelegt, grundlegende Dimensionen der Orientierung zu definieren und

Verhalten danach auszurichten. Die dichotomen Musterpaare sind wie

normative Vorgaben im Rollensystem und zugleich Lösung für Handlungs-

situationen. Auf diese Weise werden die pattern variables zum strukturellen

Kern, welcher Handlung mit den Aspekten der Kultur, der Gesellschaft und der

Persönlichkeit verknüpft (siehe PARSONS/SHILS 1962:79).

Die Mustervariablen sind im Handlungsbezugsrahmen auf vier Ebenen

lokalisierbar:

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1) auf der Ebene des Akteurs,2) auf der Ebene der habits of choice,3) im Sozialsystem, wo sie Rechte und Pflichten determinieren und4) im Kultursystem, wo sie sich in Form von Werten manifestieren. Dadurch

können die pattern variables zur Beschreibung der HandlungssystemePersönlichkeitssystem, Sozialsystem und Kultursystem genutzt werden.

Ein System sozialen Handelns ist zusammenfassend eine integrierte Struktur

von Handlungselementen in bezug auf eine bestimmte Situation, in welcher

motivationale und kulturelle Elemente in eine Ordnung gebracht werden (siehe

PARSONS 1979:24). Handlung setzt sich damit aus einer Reihe von

untereinander zusammenhängenden und wechselseitig von einander

abhängigen Elementen zusammen, erscheint aber als Ganzheit und steht als

solche im Austauschverhältnis mit ihrer Umwelt.

In der Formulierung der Komponenten der sozialen Handlung, als Teil eines

Systems, entwickelt PARSONS somit die Auffassung, daß die Komponenten

selbst Systemeigenschaften haben und somit organisierte Ganzheiten mit einer

internen Struktur darstellen, die aber wiederum nur insoweit relevant sind, als

das sie in Austauschbeziehungen mit Strukturteilen von anderen Systemen

stehen. Die so gekennzeichneten Strukturelemente formieren sich

infolgedessen als Subsysteme eines übergeordneten Systems, d.h. als

Persönlichkeits-, Sozial- und Kultursystems des betrachteten Handlungs-

systems (vgl. PARSONS 1979:6). Das Persönlichkeitssystem erscheint hierbei

als Organisation von Bedürfnisdispositionen, das Sozialsystem als Organisation

von Interaktionen zwischen Akteuren, wobei es sich dabei um einen Satz

stabilisierter Interaktionsmuster, die stabilized patterns of interaction, handelt.

Das Kultursystem schließlich stellt den vorgenannten Systemen Symbole und

Werte zur Verfügung (vgl. PARSONS/SHILS 1962:54ff.).

Die systemischen Eigenschaften der Handlung aktivieren sich schließlich im

Interaktionsprozeß und damit im Sozialsystem und lassen sich auf diese Weise

als Interdependenz von Handlungssystemen auffassen. Daraus ergibt sich eine

Auffassung des Sozialsystems als

57 Auf die genaue Wiedergabe der pattern variables wird verzichtet (vgl. PARSONS/SHILS

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a) das Inputfaktor des betrachteten Handlungssystems undb) als System der Handlungssysteme in einer Situation, in der die

Handlungssysteme ihrerseits zu Inputfaktoren des Sozialsystems werden.

PARSONS beschäftigt sich dann insbesondere mit der Darstellung des

Sozialsystems, da zunächst gilt, daß

„[t]he social system is made up of the actions of individuals.“(PARSONS/SHILS1962:190)

Die Unterscheidung zwischen Persönlichkeitssystem und Sozialsystem trifft

PARSONS hinsichtlich der Foci der Organisation von Handlung (vgl.

PARSONS/SHILS 1962:190). Hierbei enthebt er den individuellen Akteur als

konkretes Handlungssystem seiner prominenten Position und fokusiert auf den

Aspekt der Rolle als

„conceptual unit of the social system“. (PARSONS/SHILS 1962:190).

Dadurch ermittelt er den Bezugspunkt zwischen

„the system of action of the individual actor and the social system.“(PARSONS/SHILS 1962:190).

Die Rolle wird als spezielle Abstraktion der konkreten Totaltität des

„ego’s system of action“ (PARSONS/SHILS 1962:190)

definiert. Auf diese Weise versucht PARSONS

„a precondition of any fruitful empirical analysis of social order and change“(PARSONS/SHILS 1962:190)

zu entwickeln. Wesentliches Element der Rolle ist die Rollenerwartung, welche

spezifische Situationskriterien zwischen Ego und Alter festlegt. Und

1951:77).

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„[i]n a social system, roles vary in the degree of their institu-tionalization.“(PARSONS/SHILS 1962:191)

Darüber hinaus sind Rollen für die Differenzierung innerhalb des Systems

verantwortlich und PARSONS zieht den Schluß, daß

„... in a system of differenciated actions, organized into a system ofdifferentiated roles [.] [i]nternal differentiation, which is fundamental property ofall systems, requires integration.“(PARSONS/SHILS 1962:197)

Denn ungenügende Versorgung mit sozialen oder nicht-sozialen Objekten

könnte im extremsten Fall zum state of nature im Hobbes’schen Sinn führen.

Im Rahmen des Sozialisationsprozesses wird jedoch dafür gesorgt, daß

„normal conditions“ eingehalten werden (vgl. PARSONS/SHILS 1962:197). Und

PARSONS schließt seine Konzeption mit der Schlußfolgerung, daß

„Without such a solution of this problem, there can be no socialsystem.“(PARSONS/SHILS 1962:197)

Die detaillierte Analyse des Sozialsystems wird jedoch nicht mehr in Toward a

General Theory of Action vorgenommen, sondern erfolgt in

The Social System.

3.4.3 Das Sozialsystem

Die Schrift The Social System ist angelegt, das konzeptuelle Schema für dieUntersuchung von Sozialsystemen in den Termen des Handlungsbezugs-rahmens zu illustrieren. Dabei, hebt PARSONS hervor, ist The Social System „atheoretical work in a strict sense.“ Der Ausgangspunkt ist das „concept of socialsystems of action“ (PARSONS 1979:3).

Er rekapituliert eingangs die Bedingungen der Handlungsorientierung gemäß

den Festlegungen des Handlungsbezugsrahmens und stellt wesentliche

Aspekte der objects of orientation heraus, wobei insbesondere kulturelle

Objekte in den Vordergrund treten, da sie symbolische Elemente der kulturellen

Tradition beinhalten und diese sind

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„so far as they are treated as situational objects by ego and are not‘internalized’ as constitutive elements of the structure of his personality.“(PARSONS 1979:4)

Das häufige Auftreten, das kontextuelle Regelmäßigkeiten und Gleich-

förmigkeiten für den betrachteten Zusammenhang liefert und auf diese Weise

ein Muster „ideeller Grundlagen“ bedingt, ist, wie bereits gezeigt wurde grund-

legendes Element des Bestands von sozialen Handlungssystemen. Handlung

definiert PARSONS daraus ableitend als

„a process in the actor-situation system which has motivational significance tothe individual actor, or, in the case of a collectivity, its component individuals.“(PARSONS 1979:4)

Ein soziales System definiert PARSONS daraus ableitend als bestehend aus

„a plurality of individual actors interacting with each other in a situation whichhas at least a physical or environmental aspect, actors who are motivated interms of a tendency to the ‘optimization of gratification’ and whose relation totheir situations including each other, is defined and mediated in terms of asystem of culturally structured and shared symbols.“(PARSONS 1979:6)

Das Sozialsystem ist somit als ein Aspekt der Strukturierung eines kompletten

konkreten Systems sozialer Handlung aufzufassen. Die Verbindung zwischen

den Systemen leitet PARSONS aus Prozessen der Interdependenz und

Interpenetration her (vgl. PARSONS 1979:6). Wie bereits erwähnt kann

PARSONS diesen Sachverhalt aufgrund der Transformationsmöglichkeiten, die

er aus dem Handlungsbezugsrahmen ableitet, darstellen.

Wesentlich in der Untersuchung des Sozialsystems wird eine veränderte

Herangehensweise in der theoretischen Bearbeitung, denn

„our dynamic knowledge of action-processes is fragmentary.“ (PARSONS1979:6)

PARSONS legt damit eine grundsätzlich andere Analyseebene fest, die ihren

thematischen Schwerpunkt auf die Untersuchung von Mechanismen, die die

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Funktion des Systems beeinflussen, legt (vgl. PARSONS 1979:6). Die

Entwicklung dieser Perspektive verläuft über die Relationsmodi, die PARSONS

in Toward a General Theory of Action thematisiert, und den Selektions-

mechanismus hinsichtlich der Handlungsobjekte, die die Orientierung des

Akteurs festlegen zu einem

„time aspect in the orientation to future development of the actor-situationsystem and to the memory of past actions.“(PARSONS 1979:8)

Mit dieser Komponente bringt PARSONS die „Zielvorstellung“ von

Handlungsweisen in die theoretische Konzeption ein findet (vgl. PARSONS

1979:8). Von diesem Aspekt ausgehend leitet er auf Systemerfordernisse

gemäß einer Zielvorstellung des sozialen Systems über. Dabei will er die

Theorie in „structural-functional terms“ systematisieren findet (vgl. PARSONS

1979:19).

Dabei wird der strukturelle Aspekt von prominenter Bedeutung. Und PARSONS

verweist auf

„one primary concern of this work must be with the categorization of thestructure of social systems, the modes of structural differentiation within suchsystems, and the ranges of variations with reference to each structural categorybetween systems.“ (PARSONS 1979:21)

An dieser Stelle wird der zweite wesentliche Aspekt, der der Funktion,

eingeführt, wobei PARSONS den strukturellen Aspekt hervorhebt:

„We must, of course, ‘place’ a dynamic process structurally in the socialsystem.“(PARSONS 1979:21)

Erläuternd fährt er fort

„It is placing dynamic motivational processes in this context of functionalsignificance for the system which provides the basis for the formulation of theconcept mechanism as introduced above. Motivational dynamics [...] must takethe form in the first instance of the formulation of mechanism which ‘account’for the functioning of social systems, for the maintanance or breakdown ofgiven structural patterns.“ (PARSONS 1979:22)

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PARSONS leitet die Untersuchung der strukturellen Komponenten des

Sozialsystems mit dem Bezug zur Handlung ein:

„In the most elementary sense the unit is the act.... of any system of action. Theact than becomes a unit in a social system so far as it is part of a process ofinteraction between its author and other actors.“ (PARSONS 1979:24)

Da ein soziales System jedoch als System von Interaktionen aufgefaßt wird,

ergibt sich folgerichtig die Struktur des Systems aus den Beziehungen

zwischen den Akteuren. Da

„[e]ach individual actor is involved in a plurailty of such interactive relationshipseach with one or more partners in the complementary role“ (PARSONS1979:25)

ist die Teilnahme an den unterschiedlichen Interaktionsprozessen nach

verschiedenen Aspekten aufgegliedert. In der Analyse des Sozialsystems wird

der act daher als status-role betrachtet findet (vgl. PARSONS 1979:25). Das

Sozialsystem besteht aus den Beziehungen zwischen den Handelnden und den

durch diese Strukturen bedingten Interaktionen. PARSONS bezeichnet es als

„a network of such relationships“ findet (PARSONS 1979:25). Der Handelnde

ist Teil dieses Netzwerks und erfüllt dabei mehrere Rollenerwartungen:

„Hence it is the participation of an actor in a patterned interactive relationshipwhich is for many purposes the most significant unit of the socialsystem.“(PARSONS 1979:25)

PARSONS unterscheidet zwischen Status und Rolle in der Weise, dass er

unter dem Begriff Status den Aspekt des Objekts der Orientierung in der

interaktiven Situation fasst. Die Rolle ist dagegen der strukturierte Ausschnitt

aus der Orientierung des Handelnden, der seine Teilnahme an der interaktiven

Situation aufgrund gegenseitiger Rollenerwartungen begründet und festlegt

findet (vgl. PARSONS 1979:25). Rollen sind dabei determiniert durch allgemein

akzeptierte Wertvorstellungen und Teil von Institutionen, wo sie die Verteilung

von Macht und Prestige bewirken. Sie beruhen auf Differenzierung- und

Zuweisungsprozessen, die Integrationsprozesse notwendig machen.

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Über den Aspekt der Systemintegration als Bedingung des Systembestands

gelangt PARSONS zur Frage hinsichtlich des Gleichgewichtszustands des

Systems.

„The basis of this is the insight that action systems are structured about threeintegrative foci, the individual actor, the interactive system, and a system ofcultural patterns.“(PARSONS 1979:27)Davon ausgehend untersucht er die Relationen der einzelnen Elemente und

thematisiert dabei

1) die Notwendigkeit der Integration der verschiedenen Systemteile und2) die Notwendigkeit der ‘Unterstützung’ der Akteure hinsichtlich des

Systembestands.

In der Frage des support erörtert PARSONS, daß

„It must, that is, have a sufficient proportion of its component actors adequatelymotivated to act in accordance with the requirements of its role system,positively in the fulfillment of expectations and negatively in abstention from toomuch disruptive, i.e. deviant, behavior.“ (PARSONS 1979:27)

Er identifiziert dabei Faktoren, analog einem biologischen Organismus, die

insbesondere die funktionalen Vorbedingungen (functional prerequisites), d.h.

die Systemintegration, unterlegt. Wichtig für die weitere Theorieentwicklung

wird die Anwendung und Verknüpfung des Konzepts der Mustervariablen mit

einem von Robert Bales entwickelten Beobachtungsschema der Interaktionen

in Kleingruppen. Als Synthese entsteht das AGIL-Schema.

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71

3.4.4 Das AGIL-Schema und die Subsysteme des Handlungssystems

Der Kleingruppen-Ansatz, nach R. BALES, wird zur Verdeutlichung derSystembedürfnisse, der functional prerequisites, in bezug auf den Equilibriums-Aspekt übernommen. Im Mittelpunkt stehen dabei Gruppenprozesse, beidenen, aufgrund der Eigendynamik von Interaktionen, die Balance zwischenzentrifugalen und zentripedalen Kräften erhalten bleiben muß, um den Bestanddes Systems zu gewährleisten. Die Erkenntnisse gruppendynamischerProzesse, die sowohl die Ego-Alter-Beziehung als auch große Einheitenumfassen, sind in PARSONS’ Theoriekonstruktion in die Systemerfordernissegemäß dem AGIL-Schema eingeflossen.

Für den Aufbau von Handlungssystemen müssen vier Grundfunktionen erfüllt

sein. PARSONS gewinnt diese auf der Kreuzung von zwei Dimensionen, die für

die Systembildung im allgemeinen gelten und sich direkt aus der Definition des

Systems ableiten lassen. Durch den Strukturaufbau wird das System gegen

seine Umwelt abgrenzbar und nur durch die Aufrechterhaltung der

Systemgrenze kann das System fortbestehen. Durch diese Abgrenzung

entsteht eine Innen-Aussen-Dimension, die es erlaubt, Prozesse in einem

System, der Umwelt oder auch intern oder extern motivierten input-output-

Beziehungen zuzuordnen.

Die Innen-Aussen-Verbindung läßt sich dabei durch den Zeitbezug von

Systemen ergänzen. Wichtig ist, Eigenschaften und Prozesse darzustellen, die

durch ihren zeitlichen Bezug zu Gegenwart oder Zukunft bestimmt sind.

PARSONS führt für diese Zeitperspektive die Begriffe instrumentell und

konsumatorisch ein. Konsumatorisch sind hierbei die Ziele und instrumentell die

Einsätze zur Verwirklichung der gesteckten Ziele (vgl. PARSONS 1979:8ff.). In

der Kreuzung der räumlichen und zeitlichen Dimension ergeben sich dann die

vier Grundfunktionen des AGIL-Schemas.

Der weitere Ausbau der Handlungssysteme besteht nun darin, die über AGIL

gewonnenen Subsysteme weiter auszudifferenzieren. Die Bildung von

Subsystemen ist dabei grundsätzlich analytisch konzipiert und PARSONS geht

es dabei hauptsächlich um die Darstellung der Prozesse, die innerhalb eines

Systems ablaufen. In der Frage nach dem Bestehen eines sozialen Systems

thematisieren die functional prerequisites

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a) das Persönlichkeitssystem, das motiviert sein muß, gemäß denAnforderungen des Rollensystems zu handeln

undb) kulturelle Muster, die ein Mindestmaß an Ordnung definieren und erfüllbar

sein müssen.

Die Systemperspektive dominiert gegenüber dem voluntaristischen

Ausgangspunkt seiner Arbeiten und PARSONS entwickelt somit zwei

unterschiedliche Perspektiven: eine des Akteurs und eine Systemperspektive.

Er vollzieht an dieser Stelle die Differenzierung von Systemtheorie und

Funktionalismus. Die Entwicklung der Gesellschaft ist ein Prozeß funktionaler

Differenzierung in den Subsystemen. Wesentlich wird der Prozeß der

Integration, der zur Strukturerhalt und Adaption notwendig ist. Der

Funktionsapekt setzt die strukturellen Elemente und das System in Beziehung.

PARSONS ist hierbei insbesondere an der Frage interessiert, wodurch

Veränderungen ausgelöst werden.

Im Rahmen des AGIL-Schemas werden die vier fundamentalen funktionalen

Aspekte aller Handlungssysteme benannt:

Die Funktion Latenz, pattern maintanance, ist für Talcott PARSONS

fundamentaler Bezugspunkt der Theorie sozialer Systeme. Hier wird der

Imperativ genannt, der die Stabilität institutionalisierter Muster bezeichnet,

welche die Struktur der Systeme definiert und diese aufrechtzuerhalten hat.

Die Ziel-Erreichungsfunktion, goal-attainment, folgt aus der Tatsache des

Zusammentreffens der stabilen allgemeinen Kulturmuster mit den täglich

wechselnden Situationen in der Umwelt des kulturellen Systems. Wichtig ist,

aus abstrakten Werten konkrete, für die Situation anwendbare Ziele abzuleiten.

Darüber hinaus muß eine Prioritätshierarchie gemäß der vorhandenen

Ressourcen aufgestellt werden.

Anpassung, adaption, ergibt sich aus der Notwendigkeit, dem System die zur

Zielerreichung notwendigen Ressourcen aus der Umwelt zu beschaffen. Diese

Güter sind nicht an spezifische Ziele geknüpft, sondern können auch

widersprechende Ziele haben.

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73

Integration, integration, resultiert aus dem Fakt, daß Gesellschaft aus einer

Vielzahl von relativ unabhängigen Untereinheiten besteht, deren Aktivitäten

unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zur Erfüllung der gemeinsamen Ziele

koordiniert werden müssen.

Nach Talcott PARSONS sind diese Funktionen für jedes System existentiell

notwendig. Die Funktionen sind nicht gleichwertig, sondern in der

Kontrollhierarchie in umgekehrter Weise organisiert. Jedoch geht der

Energiefluß in anderer Richtung (vgl. HAUCK 1988:140ff.).

PARSONS wendet sich in der Folgezeit der Untersuchung zu, unter welchen

Bedingungen der Austausch zwischen den vier Systemen funktionieren kann.

Bei der Differenzierung der Handlungssysteme entwickelt sich in der

theoretischen Konstruktion PARSONS’ eine evolutionistische Perspektive, die

entsprechend der Vorstellung durch Anpassungserfordernisse des Systems an

seine Umwelt thematisiert wird.

3.5 Das Konzept der generalisierten Medien

Das Medienkonzept entwickelt Talcott PARSONS, inspiriert durch dieZusammenarbeit mit N. SMELSER, in Society and Economy (1956), wobeiexplizit die Austauschbedingungen zwischen den vier Subsystemen erörtertwerden. In Anlehnung an Weber wird hier zudem der Versuch unternommen,eine Analyse von Wirtschaft als gesellschaftlichem Subsystem vorzunehmen,wobei auch eine Verbindung zwischen Ökonomie und Sozialem auftheoretischer Ebene entwickelt werden soll. In komplexen Gesellschaften,formuliert PARSONS, gilt als wichtigste Bedingung die Existenz generalisiertersymbolischer Austauschmedien.

Ausgangsthese von Economy and Society (1956) ist, daß

„economic theory is a special case of the general theory of socialsystems.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:156)

PARSONS leitet die Parallelen zwischen den Kategorien beider Konzepte über

über drei Beispiele her, wobei wesentlich ist zu zeigen, dass die Ökonomie

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einerseits Teil eines umfassenden Systems, einer Gesellschaft, ist und

andererseits selbst Systemeigenschaften gemäß des AGIL-Schemas aufweist.

Im Sinn des Subsystems eines übergeordneten Gesamtsystems wird im

Rahmen der Ökonomie die Adaptionsfunktion des Gesamtsystems erfüllt und

dies

„by means of the production of utility.“( vgl. PARSONS/Smelser in Hamilton1985:156).

Als eigenständiges System hat es darüber hinaus

„goal-attainment, adaptive, integrative and pattern-maintanance exigencies ofits own“ (vgl. PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:156).

Die input-Mechanismen, die das Verhalten des Bereichs der Wirtschaft

beeinflussen, fliessen zum einen aus der Gesellschaft ein, zum anderen aus

den Bedingungen der Wirtschaft selbst.

Von diesen Vorannahmen ausgehend entwickelt PARSONS ein theoretisches

Konzept, das den Bereich der Ökonomie als soziales System faßt und darüber

hinaus zentrale dynamische Propositionen der ökonomischen Theorie

miteinbezieht. Dies führt zur Thematisierung der Differenzierung. PARSONS

legt hierbei den thematischen Schwerpunkt auf die value pattern und den

Prozeß der Latenz:

„One aspect of the value pattern concerns the modes in which it is incorporatedinto institutions, the primary function of which is to regulate certain classes ofactivity.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:157)

Weiter führt er aus, daß

„... another context in which the institutionalization of value patterns is importantfor the economy as a system concerns the economy’s own pattern-maintanance exigencies.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:157)

Wesentlich ist hierbei nach PARSONS die Kontrollfunktion über die Faktoren

im produktiven Prozeß. Dabei differenziert er zwischen den gesamt-

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gesellschaftlichen Anforderungen givens und den Mechanismen der

Durchführbarkeit dieser Anforderungen.

„In the utilization of rent factors, however, the mechanisms operating are ofdifferent character from those operating in the other boundary process of theeconomy.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:158)

Dies ist nach PARSONS ein wichtiger Aspekt hinsichtlich der Latenzfunktion.

Und er kommt zum Schluß, daß innerhalb der verschiedenen Subsysteme des

ökonomischen Systems Interdependenzen entstehen. Die

„institutionalized value commitments guarantee the availability of a certain quotaof resources for economic production.“ (PARSONS/SMELSER in Hamilton1985:158)

An dieser Stelle kommt der bereits erwähnte Aspekt der Sub-System eigenen

pattern-maintanance exigencies zum tragen, denn

„the goal of the economy is to provide goods and services for consumption.“(PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:158)

Der dynamische Aspekt leitet sich schliesslich aus den unterschiedlichen

Anforderungen des übergeordneten Systems als auch denen der differenzierten

Subsysteme der Ökonomie her und schließt die Betrachtung der

Zielerreichungsfunktion mit dem Hinweis, daß

„[t]his implementation involves continous mutual adjustment between changingstates of demand and changing processes of production.“ (PARSONS/SMELSER in Hamilton 1985:159)

Bei der Differenzierung der Handlungssysteme geht es um analytisch abstrakte

Subsystembildungen, anhand dessen PARSONS jedoch die evolutions-

theoretische Perspektive von Systemen des Handelns auf der Grundlage einer

Systemdifferenzierung erörtert. Evolution wird dabei in Gang gesetzt, als dieser

Vorstellung entsprechend Anpassungserfordernisse des Systems an seine

Umwelt in den Vordergrund rücken. Bessere Anpassung wird durch gesteigerte

Spezialisierung erreicht. Mit dieser Differenzierung gerät jedoch das Problem

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der Bestandsbedingungen in den Vordergrund und PARSONS entwickelt an

dieser Stelle das Medienkonzept, wobei unter Medien Symbolsysteme zu

verstehen sind, mit deren Hilfe Prozesse in komplexen, differenzierten

Handlungssystemen gesteuert und koordiniert werden können. PARSONS

erweitert so die Systemverbindungen der Interdependenz und Interpenetration.

Durch den Mediengedanken gelingt es, Systeme autonom zu betrachten.

Medien ermöglichen den Austausch im Sinn von Input-Output-Prozessen und

können so die Anordnung der Systeme in hierarchischer Kontrolle anleiten.

Gemäß der kybernetischen Steuerungstheorie ist auch ein Handlungssystem

ein Fluß von Energie und Information, wobei jene Elemente mit viel

Informationen jene mit hoher Energie kontrollieren (vgl. WEISS 1993: 31).

Wirtschaft und Gesellschaft haben Austauschbeziehungen, wobei der Tausch

auf Medien beruht, z.B. Geld, beruht. Vom Gebrauchswert abstrahierend hat es

symbolische Funktion in den Tauschbeziehungen. Die Formalisierung bedingt

oder ermöglicht ökonomische Transaktion und so kann das ökonomische

System selbstregulierend werden.

Ausgehend vom Medium Geld in einer Marktwirtschaft, entwickelt PARSONS

ein Konzept allgemein anerkannter Austauschmedien, wobei es möglich ist,

den abstrakten aber auch symbolischen Wert als Wertmaßstab allen Gütern

gegenüber zu finden. In der Funktion des goal-attainment entwickelt er Macht,

mit dem Definitionsmerkmal Legitimität, als generalisiertes Medium zur

Mobilisierung von Ressourcen für die effektive kollektive Aktion.58 Das kulturelle

System (Wertbindung) umfaßt die vertragliche Verpflichtung der Arbeiter, der

Tätigkeit nachzukommen, die ihm angetragen wird. Das Management kann

jedoch über die Verwendung der Ressourcen entscheiden. Im Sozialsystem gilt

Einfluß als Medium und zwar in Form von Mechanismen integrativer

Kommunikation, die dazu dient, abweichendes Verhalten (Devianz) auf

permissive Weise zur Akzeptanz institutionalisierter Standarddefinition zu

bringen (vgl. HAUCK 1988:144).

58 Macht wird jedoch nicht immer zur Zielverwirklichung gemeinsamer Ziele eingesetzt.

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Anhand des Mediums Geld kann PARSONS die Thematik von sozialem

Wandel thematisieren, denn das kulturelle Objekt Geld ist Träger von

Bedeutungen, deren Funktion in der Kontrolle von Tauschprozessen besteht.

Durch Geld entsteht ein höheres Maß an Handlungsspielraum, da über dieses

Medium allgemeingültige Wertmaßstäbe hinsichtlich einer Gütermenge etabliert

werden können, die durch die Erweiterung des Mediums, z.B. in Form von

Krediten, schnell und ausreichend zur Verfügung stehen. Andererseits können

auch Instabilitäten entstehen, die dazu zwingen, das System erneut

anzupassen.

Der Mediengedanke bleibt allerdings fragmentarisch und PARSONS wendet

sich in den 60er Jahren zunehmend der Neukonstruktion einer Theorie der

gesellschaftlichen Entwicklung zu.

3.6 Evolution und gesellschaftlicher Wandel

Im Rahmen seiner evolutionstheoretischen Überlegungen erörtert PARSONSdie Frage nach dem Sinn gesellschaftlichen Wandels als auch denMechanismen desselben. Die Prozesse der Differenzierung und der Integrationwerden dabei zu den zentralen Untersuchungsobjekten.

Evolutionstheoretisch formuliert Talcott PARSONS seit den 60er Jahren, daß

Evolution im Rahmen von gesellschaftlichem Wandel eine konstante,

eindeutige Richtung erkennbar macht.

„Evolution, however, is a summary generalization standing for a type of processof change.“(PARSONS 1966:20)

Der thematische Schwerpunkt liegt auf der Ebene der Interaktion und damit

verknüpft, dem Fokus des symbolischen Aspekts. PARSONS stellt

insbesondere auf Sprache, language, als Integration von Symbolen ab. Der

Kommunikationsprozeß wird dabei wieder unter dem Gesichtspunkt des Input-

Out-Prozesses aufgefaßt:

„[t]he input of a message may stimulate an output which is in some sense aresponse.“(PARSONS 1966:20)

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Und weiterführend

„The process which leads to a response that is somehow related to one or morecommunicative inputs we may call a decision.“ (PARSONS 1966:20)

Dieser Prozeß findet innerhalb der Persönlichkeit des Handelnden statt und ist

für die Systembetrachtung wesentliches Kriterium der Erfassung des „acting in

a role“ (PARSONS 1966:20).

Die Entscheidung wird als Konsequenz einer Kombination von Faktoren

aufgefaßt, die wiederum im Bezug auf soziale Prozesse

„must be conceived as the combination and re-combination of variable,communicable factors.“(PARSONS 1966:21)

Als Beispiel führt PARSONS an

„... the use of power can be conceived as the communication of a decision tothe requisite parties, the implications of which bind a collectivity and the actionsof its relevant members. Thus, in ordering his unit to carry out an attack, anofficer merely gives the command, thereby activating a complex behavioralsystem on the part of his men.“(PARSONS 1966:21)

Der Prozeß, auf den PARSONS dann überleitet, ist der des Wandels. Hierbei

fokusiert er insbesondere auf den Wandel von sozialen Strukturen. Wobei er

Wandel im Sinn des Systemerhalts thematisiert:

„Here, it is evident that many complex processes are necessary to maintain thefunctioning of any social system...“(PARSONS 1966:21)

Die Thematik des evolutionären Wandels ist dabei für Talcott PARSONS unter

dem Aspekt der Zunahme des Anpassungsvermögens subsumiert, denn je

effektiver eine Gesellschaft ist, desto entwickelter muß sie sein. Der

Mechanismus der Anpassung wird als Differenzierung verstanden, wobei es

sich im wesentlichen um die Bildung neuer Strukturen oder einer neuen Art von

Strukturen handelt, was

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„through cultural diffusion and the involvement of other factors“ (PARSONS1966: 21)

eingeleitet wird. Der Differenzierungsprozess führt im Idealfall zu einem

„adaptive upgrading aspect of the evolutionary change cycle.“ (PARSONS1966:21)

Damit wird Verbesserung ein wichtiger Faktor und das daraus entstehende

Problem der Integration löst er durch den Aspekt der Koordination der

differenzierten Einheiten.

„Adaptive upgarding thus requires that specialized functional capacities befreed from ascription within more diffuse structural units. There is, then, areliance upon more generalized resources that are independant of theirascriptive sources. For these reasons, differenciation and upgrading processesmay require the inclusion in a status of full membership in the relevant generalcommunity system of previously excluded groups which have developedlegitimate capacities to ‘contribute’ to the functioning of the system.“(PARSONS 1966:22)

In der Thematisierung von sozialem Wandel fällt der Betrachtung des

Wertsystems einer Gesellschaft wieder besondere Bedeutung zu und

PARSONS charakterisiert die Wertorientierung als eine spezielle Form von

„adjusted, specialized ‘application’“ (PARSONS 1966:23). Damit wird es

möglich, die Thematik des gesellschaftlichen Wandels systemtheoretisch im

Sinn des Systembestands zu erörtern:

„A system or sub-system undergoing a process of differentiation however,encounters a functional problem which is the opposite of specification: theestablishment of a version of the value pattern appropriate to the new type ofsystem which is emerging. Since this type is generally more complex than itspredecessor, its value pattern must be couched at a higher level of generality inorder to legitimize the wider varity of goals and functions of its sub-units.“(PARSONS 1966:23)

Der Prozeß der Verallgemeinerung von Wertmustern stößt zuweilen auf

Widerstand, den PARSONS als „fundamentalism“ bezeichnet (PARSONS

1966:23). Wird dagegen eine Veränderung durchgesetzt, erreicht das System

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„a new level of adaptive capacity in some vital respect.“ (PARSONS 1966:23).

„Neuerungen“ hinsichtlich bestehender Strukturen klassifiziert PARSONS nach

verschiedenen Aspekten, wie z.B. der völligen Zerstörung eines Systems oder

der Absorption durch größere Systeme.

Im Bereich der Differenzierung von gesellschaftlichen Subsystemen

thematisiert PARSONS zusätzlich zu den Differenzierungsprozessen auch

Ausdifferenzierung gemäß dem AGIL-Schema, d.h. nicht nur die Anpassung,

sondern auch die Funktion der gesellschaftlichen Systeme haben für die

Weiterentwicklung wichtige Bedeutungen (vgl. PARSONS 1966:24). Der

kulturelle Determinismus bedingt hierbei, dass Ausdifferenzierung wie

Bevölkerungszunahme nicht zu Konflikten führt, sondern im Sinn von Harmonie

über die Wertintegration verläuft. Die evolutionäre Perspektive impliziert für

PARSONS schließlich neben dem Kriterium der Richtung auch die Abfolge

evolutionärer Prozesse.

„... we will disdinguish three very broad evolutionary levels, which we will callprimitive, intermediate and modern.“(PARSONS 1966:26)

Hier findet sich allerdings keine unilineare Abfolge der Entwicklungsstadien, da

verschiedenartige Differenzierungsprozesse das Anpassungsvermögen in

gleicher Weise erhöhen können. Drei Stadien und Durchbrüche werden durch

die Kategorie der „evolutionären Universalien“ erklärbar gemacht, d.h. die

Errungenschaften, die zur Weiterentwicklung notwendig sind, werden als

Mechanismen der Differenzierung betrachtet und können zur Typisierung der

Universalien herangezogen werden (vgl. HAUCK 1988:146f.).

3.7 Kurze Zusammenfassung

In ihrer Anlage beschäftigt sich die struktur-funktionale Systemtheorie mit

Strukturen, von denen angenommen wird, daß sie bestimmte Verhaltensweisen

bei Individuen determinieren. Die Verknüpfung der Aspekte Struktur und

Funktion bedingen dabei die Vernachlässigung wesentlicher Aspekte

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individueller Entitäten, da sich aufgrund der Thematisierung der Notwendigkeit

der Erhaltung des gesellschaftlichen Systems schlüssige Erklärungssätze im

Rahmen funktionaler Leitideen nur unter Rückbezuf auf die gesellschaftliche

Ebene herleiten lassen. Talcott PARSONS fokusiert damit auf die Erklärung

sozialer Phänomene anhand makrosoziologischer Vorannahmen und stellt das

soziale Ganze als selbständige Einheit über den Bereich des Individuellen.

Diese theoretische Grundlegung bedeutet vice versa gesellschaftliche

Sachverhalte anhand gesellschaftlicher Bedingungen zu erklären.

Einen anderen Blickwinkel entwickelt hingegen die akteurstheoretische bzw.

mikrosoziologische Modellierung zur Erklärung sozialer Sachverhalte, die im

folgenden Kapitel vorgestellt wird.

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4. Der struktur-individualistische Ansatz

Das Grundmodell der Erklärung sozialer Fragestellungen im Rahmen diesertheoretischen Konzeption legt den inhaltlichen Schwerpunkt der Analyse auf dieEbene kollektiver Sachverhalte und Prozesse, theoretisch wird jedoch dasHandeln als Anpassung an Situationen, d.h. Handeln als emergentes Ergebnisvon anpassenden Selektionen menschlicher Individuen, in den Mittelpunktgestellt. Damit treten die grundlegenden Interdependenzen der Handelnden,der interpretative Charakter der Analyse und die Bedingungen von Strukturenfür die problemlösenden Handlungen in den Blickpunkt des Interesses.59 DieVerknüpfung von Kollektiv- und Individualebene bedingt, daß das theoretischeProgramm als struktur-individualistischer Ansatz bezeichnet wird.

Den nomologischen Kern bildet dabei die Theorie der rationalen Wahl60, wobeisich die handlungstheoretische Perspektive entlang der Grundannahme, daßdie Akteure sich nutzenoptimierend und in diesem Sinn rational verhalten,entwickelt. Durch die Betonung des Aspekts der Rationalität, der ökonomischenTheorien rationaler Wahlhandlungen und strategischen Entscheidens zugrundeliegt, werden die theoretischen Ansätze, die sich in diesem Bereich entwickeln,auch Rational Choice-Theorien genannt. Zentralen Stellenwert nimmt dabei dieAnnahme des sozialen Tauschs im Rahmen der utilitaristischen Tradition ein.61

59 Hier findet sich ein deutlicher Hinweis auf das Programm der Verstehenden Soziologie Max

WEBERs.60 Formal bedeutet, im Rahmen dieser theoretischen Konstruktion, Rationalität auf der

individuellen Handlungsebene zugrunde gelegt, daß soziales Handeln oder der Einsatz vonsozial normierten Mitteln den Akteur in die Lage versetzen, subjektive Handlungszwecke zurealisieren. Die Erweiterung eines solchen Rationalitätsbe-griffs in inhaltlichem Sinn beziehtsich auf die subjektiven Handlungszwecke im Rahmen eines maximalen Spielraums vonindividuellen Wahlmöglichkeiten (vgl. ESSER 1991:50).

61 Unter Utilitarismus versteht man eine Nützlichkeitslehre, nach der alles menschliche Handelnam Maßstab ökonomischer Nützlichkeit gemessen wird. Als utility theory handelt es sich dabeium eine Theorie der Erklärung sozialen Handelns, derzufolge das treibende Handlungsmotivdie Erzielung des persönlichen Nutzens mit den günstigsten Mitteln ist. Unter Anwendung desEigennutzaxioms zur Erklärung nichtmarktmäßiger Entscheidungsprozesse knüpft die NeuePolitische Ökonomie an diese theoriegeschichtliche Traditionslinie an (vgl. FRANKE inDruwe/Kunz 1994: 53 ff.).

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4.1 Grundlagen der theoretischen Konzeption des struktur-indivi- dualistischen Ansatzes

Im Rahmen der strukturell-individualistischen62 Konzeption wird eine Pers-pektive entwickelt, die Annahmen über Personen als Handelnde und die fürdiese geltenden Regelmäßigkeiten des Handelns, mit Annahmen über dieSituation, in der sich Handelnde befinden, d.h. sowohl deren institutionelleEinbindungen, sowie deren verhaltens- und ergebnissteuernde Wirkungen,verknüpft.

Den Ausgangspunkt der Analyse markiert die Annahme, daß jedes

menschliche Handeln in seiner Form, seinem Inhalt, der Zielrichtung und

seinen Wirkungen sozial bedingt ist und zugleich soziale Folgen bedingt, wobei

diese über die Handlungsabsichten der Individuen hinausgehen und zu

paradoxen, widersprüchlichen oder gar unerwünschten Effekten führen können

(vgl. MERTON 1963:894ff.). Soziale Sachverhalte werden demzufolge als

Ergebnis von Einstellungen, Entscheidungen und Handlungen von Personen

aufgefaßt, die als lernende und handelnde Wesen ihr Leben und ihre Umwelt

gestalten. Individuelles Handeln als sozial-kulturelle Handlung wird dabei nicht

nur als, auf der ursprünglichen menschlichen Natur63 beruhend aufgefaßt,

sondern auch in Beziehung zum sozio-kulturellen Kontext gesetzt

(BÜSCHGES/ABRAHAM/FUNK 1996:3f.). Der Mensch wird dabei als

intentional handelndes Subjekt verstanden, das mit begrenzter Rationalität

ausgestattet und gleichzeitig in ein Netz sozialer Beziehungen eingebettet ist.

Jede Handlung und jedes Handlungsresultat werden auf diese Weise als

komplexes Produkt aus kulturellen Rahmenbedingungen, institutionalisierten

Regeln, situationsbezogene Faktoren und personenspezifischen Bedingungen

aufgefaßt. Menschliche Handlung ist somit abhängig von bestehenden

Interaktionsbeziehungen und ihren Mustern und Ordnungen, vom jeweiligen

Wissens- und Informationsstand, von sozialen Institutionen, von handlungs-

leitenden Weltbildern und sozialmoralischen Leitideen, wie auch vom erreichten

technischen Niveau und von verfügbaren und ins Spiel gebrachten

Ressourcen. Auf diese Weise können der gesellschaftliche Rahmen ebenso

62 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die Bezeichnung ‘strukturell-’ bzw. ‘struktur-

individualistischer’ Ansatz je nach Theoretiker variiert.63 Die menschliche Natur umfaßt hier die physischen und psychischen Aspekte des Menschen.

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wie andere Bedingungen und Möglichkeiten denen der Handelnde gegenüber

steht, berücksichtigt werden.

Die theoretischen Modelle, die sich im Rahmen dieser Konzeption entwickeln,

müssen demzufolge zwei Arten der Erklärung aufweisen:

1. hinsichtlich der Beeinflussung der Handlungsakte64 durch sozialeBedingungen (Mikro-Ebene)

und2. hinsichtlich der Verbindung der sozialen Bedingungen mit dem individuellen

Handeln der Akteure, d.h. deren wechselseitiger Verknüpfung, wasgesellschaftliche Folgen zeitigen kann (Makro-Ebene).

Bei der Darstellung der Verknüpfung von Mikro- und Makro-Ebene wird im

Rahmen des Ansatzes der Versuch unternommen, diese aus einer „möglichst

interpretativen Perspektive“(ESSER 1993:IX) herzuleiten. Ausgehend von der

Annahme,

„daß alle sozialen Prozesse das indirekte, meist unbeabsichtigte Ergebnis desproblemlösenden, situationsorientierten, mit guten subjektiven Gründen, mitSinn also, versehenen, aber auch immer von Knappheiten begrenztenHandelns der menschlichen Akteure sind, die ihrerseits von den Folgen ihresTuns geprägt und so in ihren Erwartungen und Bewertungen immer wieder neukonstituiert werden“(ESSER 1993:X)

tritt als wesentliches Verfahren das verstehende Erklären sozialer Sachverhalte

in den Mittelpunkt der Analyse. Unter Rückbezug auf die Arbeiten Max

WEBERs (1864-1920) wird dabei als Aufgabe der theoretischen Arbeit die

Rekonstruktion des ‘subjektiven Sinns’ den Menschen mit ihrem Handeln

verbinden, gesehen. Denn soziales Handeln liegt nach Weber vor,

„wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinnverbinden.“ (WEBER 1985:1)

Die Konzeption WEBERs versteht dabei den Aspekt der gegenseitigen

Bewertungen und Erwartungen, die den Austauschprozeß soziales Handeln

beeinflussen, als einem sinnhaften Deuten der Individuen nachgestellten

64 Als zusammenfassende Bezeichnung für Handlungsziele, -mittel und -möglichkeiten des

individuellen Akteurs.

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Prozeß. Dabei wird der Fokus der Analyse auf die soziale Situation gerichtet, in

der sich der Akteur befindet und dabei der Versuch unternommen,

herauszufinden, wie der Akteur die Situation wahrnimmt und welche Absichten

und Überzeugungen er mit seinem Handeln verbindet. Das Ziel der

Verfahrensweise ist, auf der Grundlage des Verstehens, den Ablauf der

subjektiven sinnhaften Handlung zu erklären. Handeln beinhaltet aber neben

der subjektiven ‘Sinn-Komponente’ auch, den Sinn auf das Verhalten anderer

zu beziehen und eigenes Handeln daran in seinem Ablauf zu orientieren (vgl.

WEBER 1985:1). Die Konsequenzen, die sich schließlich aus der Wahl der

Handlungsalternativen und dem Ablauf des sozialen Handelns ergeben,

bedingen soziale Sachverhalte, die möglicherweise auch von den Absichten

und Einzelhandlungen der Akteure unabhängige Tatsachen werden können.

Demzufolge wird es möglich, subjektiv begründeten Handlungen eine gewisse

objektive Gewalt zuzugestehen, die in Handlungsprozessen - als objektive

Strukturen und Prozesse der Gesellschaft wahrgenommen - gleichwohl durch

subjektives sinnhaftes Handeln entwickelt werden. Handeln und soziales

Handeln werden auf diese Weise zum Objekt der Analyse und das deutende

Verstehen zum objektbezogenen, spezifischen Erkenntnisziel (vgl. VANBERG

1975:102).

Die Vorgehensweise WEBERs umfaßt folglich vier Elemente:

1. die Situation,2. den Akteur,3. das soziale Handeln und4. die sozialen Wirkungen des Handelns.

Im ersten Schritt ist es das deutende Verstehen, welches die Rekonstruktion

des subjektiven Sinns ermöglicht. Darauf aufbauend wird im zweiten Schritt

ursächlich der Ablauf der Handlung erklärbar. Die Wirkungen, d.h. die

kollektiven Prozesse, derselben können im dritten Schritt der Analyse

aufgezeigt werden (vgl. ESSER 1993:5ff.).

Kollektive Prozesse, d.h. gesellschaftliche Sachverhalte, als Resultat

menschlicher Handlungen aufzufassen und dabei endogene wie exogene

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Faktoren65 in die Untersuchung einfließen zu lassen, knüpft an die Annahmen,

wie sie im Rahmen der schottischen Moralphilosophie entwickelt wurden, an.

Im folgenden Abschnitt wird diese theorie-geschichtliche Traditionslinie kurz

dargestellt.

4.2 Theoriegeschichtlicher Hintergrund des struktur-individualistischen Ansatzes

Zu den grundlegenden Annahmen des struktur-individualistischen Ansatzeszählen die Konstanz der menschlichen Natur, das Bestehen handlungs-relevanter Restriktionen, das Vorhandensein von Erwartungen undBewertungen, die den Akteur in der Wahl unterschiedlicher Handlungs-alternativen leiten, als auch die Idee der Unabhängigkeit der kollektiven Folgenvon den Motiven der individuellen Akteure. Sie verweisen auf die Orientierungam Konzept des methodologischen Individualismus66, das auf die sozial-theoretische Auffassung, wie sie im Rahmen der angelsächsischen Aufklärungund hier insbesondere in der Schottischen Moralphilosophie entwickelt wurde.

Die Ansätze der individualistischen Handlungstheorie gehen insbesondere auf

die Arbeiten der schottischen Moralphilosophen67 David HUME (1711-1776),

Adam SMITH (1723-1790) und Adam FERGUSON (1723-1816) zurück, wobei

die Sozialtheorie der schottischen Moralphilosophen

„... über ihre ökonomische Spezifikation durch A. Smith - hauptsächlich in derklassischen Ökonomie ihren Einfluß gezeitigt hat...“ (VANBERG 1975:5)

Allerdings ist im Rahmen der Weiterentwicklung dieser Konzeption ein

Erklärungsansatz entstanden

„...der über den Bereich ‘wirtschaftlichen’ Handelns hinaus für die Analysesozialen Handelns allgemein fruchtbar sein dürfte.“ (VANBERG 1975:5)

65 Gemeint sind beispielsweise Entdeckungen oder historische Ereignisse, wie Revolutionen,

Hungersnöte usw.66 Der Begriff methodologischer Individualismus stammt von J.A. SCHUMPETER

(„Österreichischen Schule der Nationalökonomie“) und thematisiert zusammengefaßt, die vonden Klassikern des Utilitarismus übernommene individualistische Orientierung im Rahmen derBeschreibung wirtschaftlicher Vorgänge.

67 Im Rahmen dieser theoretischen Konzeptionen findet keine Trennung von Soziologie undÖkonomie statt und es kann somit von einer integrierten Theorie gesellschaftlicher Handlunggesprochen werden.

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87

Ausgehend von der Frage nach dem Zustandekommen eines geordneten

sozialen Gebildes wird auf der Grundlage der Verhaltensannahme, nach der

dem Menschen eine allgemeine Tendenz zur Verbesserung der persönlichen

Lage unterstellt wird, im Rahmen der individualistischen Sozialtheorie der

Handlungszusammenhang in der Weise hergeleitet, daß zwischen den

Individuen ein wechselseitiger Anpassungsprozeß angenommen wird, in dem

Eigeninteressen verfolgt und gleichzeitig mit den Interessen anderer in Einklang

gebracht werden müssen (vgl. PRISCHING 1992:417). Hierbei wird nicht auf

Zusatzannahmen HOBBESscher oder systemtheoretischer Prägung zurück-

gegriffen, die

„gleichermaßen auf dem Axiom aufbauen, sozialer Konflikt, sozialeDesintegration seien das - aufgrund der Eigenart der individuellenmenschlichen Handlungsantriebe - ‘an und für sich’ Erwartbare, wohingegensoziale Ordnung, soziale Integration nur durch Heranziehung eine neuen,individuen-unabhängigen Faktors zu erklären seien [...].“(VANBERG 1975:7)

Es wird vielmehr die Auffassung vertreten, daß sowohl Konflikt und soziale

Desintegration, als auch soziale Ordnung aufgrund individueller

Handlungsmotivationen in ihren wechselseitigen Relationen entstehen und

damit als Ergebnis individueller Handlungen aufzufassen sind.

„Indem die schottischen Moralphilosophen eben diese Grundvorstellungausarbeiteten, haben sie eine sozialtheoretische Konzeption formuliert, die einekonsistente Lösung der Grundprobleme jeder Sozialtheorie aufzeigt, derProbleme nämlich, wie es zu erklären ist, daß sich unzählige individuelleHandlungen zu einem geregelten, sozialen Netzwerk verknüpfen, und wie es zuerklären ist, daß der interindividuelle Handlungszusammenhang Resultatezeitigt, die den in ihm verbundenen Handelnden als von ihnen unabhängige,‘objektive’ Realtitäten erscheinen.“ (VANBERG 1975:7)

Soziale Prozesse und Institutionen als die unintendierten Folgen des

absichtsvollen Handelns individueller interdependenter Akteure aufzufassen, ist

im Rahmen der Arbeiten Bernard MANDEVILLEs (1760-1733), als einem

gedanklichen Wegbereiter der schottischen Moralphilosophie, hergeleitet

worden. Mandeville beschreibt in seiner Bienenfabel über die ‘öffentlichen

Vorteile privater Laster’, daß die ‘egoistische’ (und damit konstante) Natur des

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88

Menschen und die Notwendigkeit der Regulierung der unterschiedlichen

Interessen nicht unbedingt in Konflikt geraten müssen, sondern letztere als

„allmählich gewachsenes und sich änderndes Produkt eines in dergegenseitigen Verflechtung menschlichen Handelns ablaufenden Anpassungs-prozesses“(VANBERG 1975:10)

verstanden werden können. Dabei kann auf eine rationalistische Vertrags-

Konstruktion verzichtet und soziale Ordnungsmuster aus den Bedingungen des

Zusammenlebens und Zusammenhandelns als nicht-beabsichtigte Konse-

quenzen menschlicher Handlungen abgeleitet werden. Auf dieser These - der

grundlegenden Unabhängigkeit der kollektiven Folgen der individuellen

Handlung - beruht die theoretische Konzeption der Schottischen Moral-

philosophie. Allerdings findet sich in den Arbeiten der schottischen

Moralphilosophen eine weitere Ausformulierung dieser Position.

So sind für Adam FERGUSON gesellschaftliche Vorgänge

„... the result of human action, but not the execution of any humandesign.“(FERGUSON zit. nach Vanberg 1975:22)

Von Adam SMITH stammt die Metapher der invisible hand, die die Vermehrung

öffentlichen Wohlstandes bei freier Entfaltung der Möglichkeiten zur Mehrung

individuellen Vorteils bedingt.68

Die Grundannahme der Konstanz der menschlichen Natur, in bezug auf das

Verhalten der Menschen ihre Lage zu verbessern, ist weitgehend formaler

Natur. Beabsichtigt ist hierbei vornehmlich die Darstellung der individuellen

Verhaltenstendenz, wobei immer unterschiedliche Ausprägungen derselben

auftreten können.

„Nicht aus der Beschränktheit der Perspektive heraus, sondern durchaus inKenntnis der kulturellen Mannigfaltigkeit sozialer Lebensformen geht man in derschottischen Moralphilosophie davon aus, daß es einige allgemeine Gesetz-mäßigkeiten menschlichen Verhaltens und insofern eine allgemein gleichemenschliche Natur gibt, die dem Menschen als Gattungswesen zukommt.“(VANBERG 1975:12)

68 Hier wird auf einen Sachverhalt hingewiesen, der durch menschliche Handlungen bewirkt,

allerdings als solcher nicht Teil des jeweiligen Handlungsentwurfs des individuellen Akteurs ist,sondern vielmehr im zeitlichen Verlauf einen unbe-absichtigten Effekt zeitigt.

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89

Handelnde agieren somit vor dem Hintergrund der unterschiedlichen

natürlichen und instituionalisierten Bedingungen nach gleichen allgemeinen

Regeln der Wahrnehmung und Selektion. Kulturelle Unterschiede werden

sodann im Rahmen dieser Auffassung als Folge der Variation von

Randbedingungen, die zusammen mit den Gesetzen einer universalen und

konstanten menschlichen Natur, welche Unterschiede im Verhalten bewirken,

verstanden. Am deutlichsten ist die These der Uniformität und Konstanz bei

gleichzeitiger Variabilität der gesellschaftlichen Bedingungen bei David HUME

herausgearbeitet worden. Die Geschichte zeige, so HUME, den Menschen in

unterschiedlichen Verhältnissen, welche Rückschlüsse auf bestimmte

Verhaltensregelmäßigkeiten zulassen. Einschränkend formuliert er weiter, daß

diese Regelmäßigkeiten allerdings durch die gesellschaftlichen Bedingungen

und Zeiten unterschiedlich ausfallen (vgl. VANBERG 1975:13).

Die Absicht des Menschen seine Lage zu verbessern ist ein wichtiges Moment

der Gleichförmigkeit der menschlichen Natur. Weiterhin thematisieren die

schottischen Denker, daß

„dieses Streben durch Erfahrung gesteuert ist, daß menschliches Verhaltensich in einem erfahrungsgelenkten Lernprozeß, durch Versuch und Irrtum,Erfolg und Mißerfolg entwickelt.“ (VANBERG 1975:14)

Dieser Aspekt leitet in den thematischen Rahmen von individuellem Handeln im

gesellschaftlichen Zusammenhang über, der als zentralen Punkt soziales

Verhalten als (Aus-)Tausch zur Disposition stellt.

Gesellschaft wird als interindividueller Handlungszusammenhang aufgefaßt,

„der aufgrund der ihm immanenten Bedingungen zur Etablierung und stetenVeränderung von Strukturen und Regeln (zustande-/Anm.TK) kommt.“(VANBERG 1975:15)

An dieser Stelle wird ein weiterer wichtiger Themenpunkt in die theoretische

Konzeption eingefügt, denn als ‘Integrationsmoment’ verstehen die

schottischen Moralphilosophen einen Prozeß gegenseitiger Kontrolle, der auf

der Grundlage von Interaktion gesteuert wird und für die Handelnden

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bestimmte Effekte zeitigt, die Sanktion oder Akzeptanz im Handlungsablauf

ausmachen. Wie bei Mandeville bereits aufgezeigt, erscheint gesellschaftliche

Integration als Anpassungsprozeß69

„der in bestimmte Verhaltensregelmäßigkeiten einmündet, die ihrerseitswiederum die Grundlage sozialer Normierung und Institutionalisierung bilden.“(VANBERG 1975:15)

Der Gedanke, der hier entwickelt wird, verweist auf den Aspekt der Reziprozität

als Grundlage sozialer Integration (vgl. PRISCHING 1992:417f.). Er ist

vornehmlich in der klassischen Ökonomie aufgegriffen worden, wo er im Sinn

des Austauschs thematisiert wurde. Die Verbindung zwischen ökonomischem

und sozialem Handeln verläuft über die bereits angesprochene Bestrebung des

Menschen, seine eigenen Vorteile auszunutzen, wobei von einer gewissen

Notwendigkeit der Erfüllung der Bedürfnisse ausgegangen wird, die gesell-

schaftlich betrachtet ein Zusammenspiel der unterschiedlichen Interessen

bedingen und auf diese Weise quasi zum „generierenden“ Aspekt sozialer

Integration werden. Adam SMITH hat hierbei insbesondere auf die Versorgung

mit materiellen Gütern verwiesen, ist jedoch auch auf die nicht-materiellen

Aspekte wie soziale Anerkennung eingegangen (vgl. VANBERG 1975:16).

Expliziter hat David HUME den Zusammenhang zwischen Reziprozität und

sozialer Integration dargestellt, indem er die Entstehung von sozialen Normen,

als Regelungsmechanismus, im Zusammenleben der Menschen herausarbeitet

hat. Da das Eigeninteresse eines Individuums im Gegensatz zu den Interessen

der anderen steht, ergibt sich für ihn die Notwendigkeit,

„daß sich die verschiedenen Interessen in einer Weise aufeinander einstellen,die ihre Koexistenz in einem System von Verfahrens- und Verhaltensregelnermöglicht.“(HUME zit. nach Vanberg 1975:17)70

Der einzelne handelt dabei in der Weise, daß er die Verhaltensweisen der

anderen berücksichtigt. Auf eine übergeordnete Kollektivgewalt kann somit

verzichtet werden. Jedoch entspannt sich an diesem Punkt ein weiteres

69 Friedrich JONAS erläutert diesen Sachverhalt mit dem Hinweis, daß Menschen aufgrund ihrer

Erfahrungen in die Lage versetzt werden sich auf einander einzustellen (1981:106).

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Problem, welches die unintendierten sozialen Konsequenzen individuellen

Handelns zum Thema macht. Insbesondere die Frage nach bewußt gestalteten

sozialen Einrichtungen steht im Mittelpunkt der Erörterung. Den schottischen

Moralphilosophen wird in diesem Zusammenhang ein ‘anti-rationalistisches’

Denkmuster unterstellt (vgl. VANBERG 1975:20f.). Im Gegensatz zur rationalen

‘Vertragskonzeption’ rousseauscher Provenienz, werden soziale Institutionen

bei den schottischen Theoretikern als weitgehend ungeplante Folgen des

sozialen Anpassungsprozesses verstanden. VANDENBERG (1975) bemerkt

hierzu

„Indem ein solcher sozialtheoretischer Ansatz den Gedanken derunintendierten sozialen Konsequenzen individuellen Handelns zu seinersystematischen Grundlage nimmt, hebt er sich von den kurzschlüssigenScheinlösungen des eigentlichen sozialtheoretischen Erklärungsproblems, wiesie von kollektivistischen Konzeptionen angeboten werden, ebenso ab wie vonAuffassungen, die man - mit Popper - als ‘Verschwörungstheorien derGesellschaft’ bezeichnen könnte.“ (VANBERG 1975:21)

Damit ist der Bezug zur Eingangsüberlegung wiederhergestellt und erlaubt, die

Überlegung von gesellschaftlicher Entwicklung als Auffassung von ‘Fortschritt’,

in der Weise zu formulieren, daß die menschliche Gesellschaft nicht auf ein

bestimmtes Ziel zusteuert, sondern sich aufgrund von Lernprozessen, die zu

kumulativem Wachstum führen (können), entwickelt (vgl. VANBERG 1975:23).

Der sozialtheoretische Ansatz der schottischen Moralphilosophie hat als

zusammenhängendes theoretisches Konstrukt keine kontinuierliche Weiter-

entwicklung erfahren. Jedoch ist insbesondere der ‘Austauschgedanke’ im

Kontext gesellschaftlicher Strukturierungsmechanismen von verschiedenen

Theoretikern wieder aufgegriffen worden.71 Besonders im Bereich der

ökonomischen Theorie entwickelte sich durch die Arbeiten Adam SMITHs die

sog. Klassische Ökonomie, die in ihren Grundzügen eine individualistische

Perspektive aufweist. Der Ansatz fungiert hier zum einen als Beschreibung

70 Hier kann eine quasi ‘funktionalistische’ Vorgehensweise entdeckt werden.71 Als Erklärungsprinzip findet es sich z.B. in der Kulturanthropologie. Eine explizite Themati-

sierung der Gegenseitigkeit wird dann in der neueren soziologischen Austauschtheorievorgenommen.

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eines Systems, in dem Individuen im Rahmen eines Marktes, der als Anreiz-

und Steuerungsmechanismus aufgefasst wird, nach bestimmten Gesetz-

mäßigkeiten handeln (vgl. BECKER 1993:3ff). Zum anderen werden soziale

Vorgänge auf die Bedürfnislagen, der an ihnen beteiligten individuellen Akteure

zurückgeführt.

Im Rahmen der neoklassischen ökonomischen Theorie verengt sich dann

jedoch der Fokus der Analyse72 und der ökonomische Ansatz unterstellt zwar

„...die Existenz von Märkten, die mit wechselnder Effizienz die Handlungen derverschiedenen Beteiligten - Individuen, Unternehmen, ja Nationen - sokoordinieren, daß sie mit einander in Einklang gebracht werden.“ (BECKER1993:3)

Aber die Motivation der Handelnden bleibt in der Weise unterbelichtet, daß

wenig zum Verständnis von Präferenzen beigetragen wird und schließlich als

Annahme gilt,

„daß diese (Präferenzen/Anm.TK) sich im Zeitablauf nicht substantiell ändern,und, daß die Präferenzen von Reichen und Armen, oder selbst von Menschenin verschiedenen Gesellschaften und Kulturen, sich nicht sehr von einanderunterscheiden.“ (BECKER 1993:3)

Im Mittelpunkt steht dabei, daß

„der ökonomische Ansatz expliziter und extensiver als andere Ansätzenutzenmaximierendes Verhalten unterstellt.“ (BECKER 1993:3)

Das Akteursbild, das aus diesem Ansatz entwickelt wurde, wird in der Literatur

als das Modell des homo oeconomicus bezeichnet und wird im folgenden

Abschnitt kurz skizziert.

72 Die Verallgemeinerung der ökonomistischen Position auf alle Bereiche sozialen Verhaltens

verläuft bei Jeremy BENTHAM (1748-1832) und John S. MILL (1806-1873) über die

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4. 3 Das Modell des homo oeconomicus

Beim Modell des homo oeconomicus handelt es sich um ein, von derneoklassischen Wirtschaftstheorie konzipiertes, Verhaltensmodell eines rationalwirtschaftenden Menschen. Der homo oeconomicus gilt dabei als Käufer oderProduzent, wobei dessen Handlungen durch das Prinzip der Maximierung desindividuellen Nutzens bei gegebenem Mitteleinsatz als determiniert aufgefaßtwerden. Der Aspekt der Rationalität ergibt sich dabei aus der Handlungslogikdes Akteurs, der gemäß seiner Wert-Erwartungs-Einschätzung73 ausgegebenen Handlungsalternativen jene Alternative auswählen wird, die denhöchsten Wert seiner Nutzenerwartung realisieren kann.

Im allgemeinen Erklärungsmodell des Ansatzes ist der soziologische Teil aus

Brückenhypothesen und aus Einzelheiten der jeweiligen Logik der Aggregation

aufgebaut, d.h. im Modell des homo oeconomicus (auch RPSMM-Model -

restricted, perfect informed, stable prefarring, maximizing man, genannt) (vgl.

ESSER 1991:53) wird als Annahme formuliert, daß individueller Nutzen auf der

Grundlage vollkommener Information und stabiler geordneter Präferenzen im

Rahmen gegebener Restriktionen maximiert wird. Damit ist allerdings noch

keine Erklärung der Motivation sozialer Prozesse angezeigt, denn dies kann nur

über die Logik der Selektion, d.h. über eine Handlungstheorie erfolgen. ESSER

(1991) verweist dabei auf die zu entwickelnden Kriterien, die nach Lindenberg

und Wippler zur Formulierung einer Handlungstheorie notwendig sind (vgl.

ESSER 1991:53). Im Zentrum der Überlegungen steht hierbei, daß

Erkenntnisse, die durch die Verbindung zwischen typisierten Mustern von

Handlungsalternativen und Brückenhypothesen gewonnen werden, in die Logik

der Selektion einfließen sollen, um auf diese Weise eine realistische und den

menschlichen Bedingtheiten angemessene Handlungstheorie entwickeln zu

können. In den Verhaltensannahmen der Theorie der neoklassischen

Ökonomie ist allerdings die Einbringung (realistischerer) Brückenannahmen

nicht gegeben. Die grundlegenden Eigenschaften des Handelnden fügen sich

vielmehr in ein Bild, in dem der Handelnder, nur aus gegebenen Alternativen

Nützlichkeitstheorie, die als Rechtfertigung eines bestimmten (egoistischen) Verhaltensaufzufassen ist.

73 Dieses Wahlverhalten wird im Rahmen der SEU-Theorie (subjective expected utility-Theorie)thematisiert (vgl. Kap: 5)

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auswählt, ohne selbst „aktiv“ zu werden, d.h. der Mensch lernt nicht und

definiert nicht.

Die Reduzierung des Ansatzes auf das entscheidungslogische - rationale -

Kalkül ist für die sozialwissenschaftliche Theoriebildung jedoch insoweit

problematisch, als daß die Verhaltensannahmen, die in die theoretische

Konzeption einfließen, unter relativ weitreichender Ausklammerung des

soziostrukturellen Kontextes formuliert werden.74

Demgegenüber werden im Modell des homo sociologicus soziale Aspekte in die

Modellierung aufgenommen.

4. 4 Das Modell des homo sociologicus75

Der homo sociologicus ist ein Modell, in dem zwischen Individuum und

Gesellschaft in der Weise vermittelt wird, daß das Individuum als Träger von

Rollen und gesellschaftlichen Positionen gilt, die wiederum, im gesell-

schaftlichen Rahmenwerk, Rollenerwartungen gegenüber dem Individuum

bedingen. Die soziale Rolle wird somit zur Elementarkategorie für eine Theorie

der sozialen Handlung.

Das Modell des homo sociologicus geht von der Annahme aus, daß die

Selektion der Handlung vor allem Vorgaben der gesellschaftlichen Institutionen

folgt, d.h. Normen, Regeln und Rollenvorgaben. Individuelles Handeln gilt

folglich als normgesteuert, wobei als Begründung ein Belohnungs-

/Bestrafungssystem, d.h. das Bestehen von inneren und äußeren Sanktionen,

angenommen wird. Es gibt drei Varianten dieses Typs:

74 Die Verkürzungen der handlungstheoretischen Annahmen im Rahmen der neoklassischen

Ökonomie bedingen die Vernachlässigung des Motivations- und Informations(verarbeitungs-)problems des individuellen Akteurs. Dadurch ist auch die Nicht-Berücksichtigung vonInstitutionen (und somit Normen) für das ökonomische Handeln im Ansatz nachweisbar.

75 Dahrendorf, R. (1977)

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1. die rollentheoretische „Sub-“Spezies folgt in ihren Handlungen Normen undWerten, ohne eigene Selektierarbeit zu leisten.76 Davon ausgehend bestehenzwei Untervarianten:

a. die normative Rollentheorie, die die automatische Ausübung vonNormkonformität durch das Individuum beschreibt. Lindenberg (1985) nenntdiesen Typ SRSM-Model (socialized, role-playing, sanctioned man) (vgl.ESSER 1993:232)

b. das OSAM-Model (opionated, sensitive, acting man). Handeln wird imRahmen dieses Modells aus Einstellungen und Haltungen des individuellenAkteurs, die Objekten gegenüber bestehen, erklärt. Hierbei folgt Handlungerworbenen Einstellungen ist nicht als Wahl, sondern als Umsetzung vonHaltungen in sichtbares Verhalten (das sich aus jeweiligenUmgebungseinflüssen erklären läßt) aufzufassen.77

Beide Modelle stehen in der Tradition DURKHEIMs, der die Grundidee

verfolgte, daß Soziologie sich an den Naturwissenschaften orientieren müsse

und Normen so als kausale Faktoren der Erklärung der Handlung über

strukturelle Effekte (wie in den Naturwissenschaften) verlaufen müsse.

Die genannten Modelle haben allerdings bei Handlung unter Unsicherheit78 nur

wenig Erklärungsgehalt. Die Gegenposition zum normativen Modell der

klassischen Rollentheorie bildet das interpretative Paradigma. Grundlegende

Annahme ist, daß das Handeln der Menschen nicht blind gesellschaftlichen

Normen folgend verläuft, sondern ein interaktiver und symbolisch interpretierter

Definitionsvorgang der Situation durch die Subjekte ist, die zu reflektierten und

verständigen Entscheidungen fähig sind (vgl. WILSON in Arbeitsgruppe

Bielefelder Soziologen 1980:58ff.). Diese Auffassung führte zu einem weiterem

Modell, dem

3. SSSM-Modell (Symbols Interpreting Situation Defining Strategic Acting Man).Die theoretischen Grundannahmen, die in die Formulierung des Modellseinfließen stammen u.a. von Edmund HUSSERL (1859-1938) und George H.MEAD (vgl. ESSER 1993:234 f.)

76 Als Beispiel läßt sich hier die normative Rollentheorie PARSONS’ anführen.77 Dieses variablenorientierte Handeln findet sich z.B. im Rahmen der empirischen Sozial-

forschung.78 Dazu zählt z.B. die Unwirksamkeit sozial-demographischer Variablen oder das

„Verschwinden“ übergreifender Orientierungen.

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Alle genannten Varianten des homo sociologicus teilen die Auffassung, das

Normen unabhängig von entstehenden Kosten befolgt werden und daß es

außerdem kein Prinzip der Maximierung gibt. Restriktionen werden in diesen

Modellen als unbedeutend eingestuft (vgl. ESSER 1993:345f.). Der Nachteil

bezüglich der erklärenden Modellierung sozialer Prozesse ist somit, daß die

genannten Modelle in ihren Annahmen über die Verbindung zwischen Situation

und Akteur in der Weise fixiert sind, daß sie Brückenhypothesen nicht zulassen

und somit bestimmte Elemente von Situationen notwendigerweise ausblenden

müssen. Als zentralstes Problem sieht ESSER (1993) darüber hinaus das

komplette Fehlen einer expliziten und präzisen Selektionsregel für das Handeln

und damit das Fehlen eines erklärenden Kerns einer Handlungstheorie.

Die Entwicklung eines adäquaten und weitreichenden Akteursbild sollen nun im

folgenden Abschnitt unter Rekurs auf die anthropologischen Grundannahmen

über den Menschen eingeleitet werden.

4.5 Metholodogisch-theoretische Grundannahmen im Bereich der Model- lierung sozialer Prozesse

Die erklärende Modellierung sozialer Prozesse erfordert eine vereinfachendeTypisierung von Merkmalen der menschlichen Akteure, d.h. ein stilisiertesModell des Menschen. Dabei werden biologische und anthropologischeGrundlagen insoweit berücksichtigt, als daß diese methodologisch-theoretischeBedeutung haben können.

Allgemeine Annahmen über das Modell des Menschen beruhen (auch)

auf den physiologischen Gegebenheiten, die den Menschen ausmachen, denn

„[b]ei aller Kulturfähigkeit und bei aller Ablösung des menschlichen Verhaltensvon der biogenetischen Fixierung bleiben menschliche Akteure immer (auch)lebende Organismen, die im beständigen Austausch mit ihrer natürlichenUmwelt bleiben.“(ESSER 1993:219)

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Auf diese Weise treten evolutionsbedingte Grundlagen79 des Menschen ins

Blickfeld und bedingen, daß das Merkmal der hohen Lernfähigkeit und

Handlungsflexibilität im Zusammenhang mit der physiologischen und bio-

psychischen Konstitution des homo sapiens betrachtet wird.80 Menschliches

Handeln wird, davon abgeleitet, verstanden als Wahl zwischen Alternativen und

Restriktionen. Zu unterscheiden sind dabei zwei Arten von Restriktionen:

1) natürliche, d.h. die objektive Knappheit von Ressourcen und2) soziale Restriktionen, die sich aus Institutionalisierung und Codierung von

Mustern der Problemlösung durch soziale Konventionen und der effektivenOrganisation der Ressourcenverwendung ergeben (vgl. ESSER 1993:219).

Soziale Restriktionen sind dabei als Element der symbolisch gesteuerten

Definition der Situation aufzufassen und als solche

„übergreifende und durch einen eigenen Kontrollapparat abgesicherte Regelnder Organisation der Handlungen der Akteure bzw. die kurzfristige, situations-gebundene Festlegung dieser Regeln in einem interaktiven Prozeß derKoordination.“ (ESSER 1993:220)

Sie sind wichtig für die Erklärung der Handlung und deren Folgen innerhalb der

Grenzen der natürlichen Restriktionen (vgl. ESSER 1993:221).

Die Orientierung an Restriktionen ist ein grundlegendes Merkmal im Modell des

Menschen. Innerhalb dieser Restriktionen bestehen aber eine Vielzahl von

Alternativen oder Opportunitäten, zwischen denen der Handelnde wählen kann.

Die Selektion nach dem Kriterium der Maximierung der fitness unter gegebenen

Randbedingungen ist dabei Ausgangspunkt, wobei zwei Grundvariablen

bestehen (vgl. ESSER 1993:187):

79 Zur Logik des Vorgangs der Evolution läßt sich an dieser Stelle zusammenfassend

formulieren, daß drei unterschiedliche Bereiche evolutionstheoretisch erfaßt werden können:1. individuelle Organismen, 2. die Population dieser Einzelorganismen und 3. der Bereich derUmwelt. Die Organismen bilden intern und interaktiv ein homöostatisches System mit ihrerUmwelt (Population), das auf der Produktion der Lebensgrundlagen und der Reproduktion derPopulation, im Austausch mit der Umwelt basiert. Dieser Austauschprozeß erfolgt unterEinsatz von Energie und prinzipieller Knappheit von lebensnotwendigen Ressourcen. Damitwerden Beschaffung und Konkurrenz zu den Imperativen des menschlichen Lebens. AlsAusgangspunkt der Evolutionstheorie steht somit die Lösung von Problemen der Sicherungder Homöostasis (auch unter dem Begriff fitness formuliert) (vgl. ESSER 1993:186 ff.).

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1) Beachtung der externen Bedingungen und die Formulierung derErwartungen über mögliche Konsequenzen der Selektionen

und2) interne Funktionsbedingungen des Organismus, d.h. die Fähigkeit der

Bewertung von Konsequenzen der Selektionen .

Aufgrund der Eingeschränktheit des Menschen hinsichtlich der Fähigkeit

Informationen zu verarbeiten und des Fehlens von vollständigen Informationen,

sind Erwartungen an Handlungsergebnisse zwar ebenfalls unvollständig und

ungenau, jedoch vollkommen ausreichend für die alltägliche Handlung. Hierbei

wird grundsätzlich davon ausgegangen, daß der Mensch in Mustern denkt, die

wiederum als Grundlage der Musterbildung von Erwartungen im theoretischen

Modell unterlegt werden können. Das Modell der Rational Choice- Theorie geht

somit von einer bounded rationality aus.81

Aus der typisierten Vereinfachung der wahrgenommenen Situation durch den

Akteur ergibt sich die Bedeutung von signifikanten Symbolen, die Hinweise auf

relevante Situationsmerkmale geben, die dem Akteur als Orientierung dienen

(vgl. ESSER 1993:225). Bewertungen werden als Zuweisung von emotionalen

Besetzungen auf bestimmte Folgen der Selektion von Alternativen verstanden,

wobei die Wahl nach Bedürfnissen, Präferenzen, d.h. Werten erfolgt. Da Werte

in einem gesellschaftlichen Gebilde in engem Zusammenhang mit

gesellschaftlichen Institutionen stehen, werden diese dadurch ein wichtiges

Element der Bewertung und Interessenformulierung des individuellen Akteurs.

Die Regel nach der Erwartung und Bewertung in der Selektion der Handlung

berücksichtigt werden, kann als Kombination von Erwartungen und

Bewertungen aufgefaßt werden, d.h. Wissen und Werte steuern die Selektion.

„‘Kombination’ heißt dabei, daß das Produkt der Sicherheit einer Erwartung undder Höhe der Bewertung in bezug auf die verschiedenen Folgen einesHandelns maximierend wird.“(ESSER 1993:226)

80 Gemeint sind die körperlichen und intellektuellen Bedingtheiten des Menschen, als auch seine

Kulturfähigkeit und Sozialität.81 Im Zusammenhang mit der Thematik der Ressourcenknappheit ist dieser Aspekt

grundsätzlich rationaler als die Annahme der vollständigen Information (vgl. ESSER 1991:62ff. und ESSER 1993:157 und 224

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Damit sind externe Bedingungen in der Umgebung als auch interne

Funktionserfordernisse gleichzeitig berücksichtigt (vgl. ESSER 1993:227).

Inwieweit der struktur-individualistische Ansatz in seinem handlungs-

theoretischen Kern der rationalen Wahlhandlungen die genannten Aspekte

aufnimmt, wird im folgenden dargestellt.

4.6 Die Rational Choice-Theorien

Rational Choice-Theorien orientieren sich an jenem Paradigma von Rationalität,das ökonomischen Theorien rationaler Wahlhandlungen und strategischenEntscheidens (daher: rational choice) zugrunde liegt und Handlung alsOptimierungsprozeß von Akteurspräferenzen, d.h. Eigeninteressen, versteht.82

Diese Theorien liefern konditionale Imperative, die sich auf die Mittel zurErreichung vorgegebener Ziele und nicht auf Handlungszwecke selbstbeziehen.

4.6.1 Die Grundannahmen der Rational Choice-Theorien

Wissenschaftliche Diskussion kann nur dann sinnvoll sein, wenn der

Gegenstand der Auseinandersetzung klar umrissen ist. Im folgenden Abschnitt

sollen aus diesem Grund zunächst die Grundannahmen der Rational Choice-

Theorien vorgestellt werden.

ZIMMERLING (1994) definiert drei Grundannahmen, die das Handlungsmodell

des Rational Choice-Ansatzes bestimmen:

1) die Komponente des methodologischen Individualismus, die bedingt, daßsoziale Situationen auf individuelles Handeln zurückgeführt werden,2) Handeln beruht auf Entscheidungen, die als Ergebnis rationaler Wahlenaufgefaßt werden und3) rational ist eine Wahl, wenn unter den jeweils effektiv gegebenen

82 Wobei alle möglichen Präferenzen, so auch altruistische, zugelassen sind (vgl.

BURTH/DRUWE in Druwe/Kunz 1994:158).

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Handlungsalternativen, die Wahl getroffen wird, die, unter Berücksichtigungaller damit verbundenen Vor- und Nachteile, den Präferenzen des Individuumsam meisten entspricht, d.h. seinen Nutzen maximiert.83

Siegwart LINDENBERG hat die oben genannten Annahmen im RREEMM-

Modell präzisiert (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:50). Das

Akteursbild, das hier entworfen wird, stellt einen über gewisse Ressourcen

verfügenden (resourceful), jedoch in seinen Handlungsmöglichkeiten

beschränkten (restricted), aber zur Bildung von Erwartungen hinsichtlich

zukünftiger Ereignisse (expecting) sowie zur Bewertung alternativer Situationen

fähigen (evaluating) und auf die Maximierung seines Nutzens bedachten

(maximizing) Akteur (man) dar (vgl. ZIMMERLING in Druwe/Kunz 1994:16).

Der Ansatz betont die Vorstellung, daß individuelle Entscheidungen und

Handlungen nicht in Abhängigkeit von der individuellen Situation und damit

nach unterschiedlichen Mustern abläuft, wie dies z.B. in struktur-funktionalen

Konzepten erfaßt wird, sondern die Bestimmungsfaktoren in den strukturellen

Merkmalen der Situation, d.h. den Ressourcen, Beschränkungen und

Präferenzen, mit denen sich der Akteur konfrontiert sieht, zu finden sind. Davon

ausgehend lassen sich zwei Komponenten des Ansatzes differenzieren:

a) in der Entscheidungssituation können Strukturmerkmale nach der Art ihrerVariablen bzw. festen Parameter dem Handelnden unterschiedlicheHandlungsweisen abverlangen84

undb) können Annahmen in bezug auf die ‘innere Situation’ von Akteuren, d.h.

deren Informationen über die Umwelt zum Zeitpunkt der Entscheidung,abgeleitet werden.

In diesem Zusammenhang unterscheidet ZIMMERLING (1994) drei

Grundsituationen:

83 Es besteht dabei die Annahme, daß bestimmte grundlegende Präferenzen, die alle Akteure

aufweisen, als relativ stabil betrachtet werden können und so in die theoretische Konzeptioneinfließen (vgl. ZIMMERLING in Druwe/Kunz 1994:16).

84 Zu unterscheiden sind dabei strategische von parametrischen Wahlhandlungen.

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101

1) Entscheidung unter Unsicherheit

In der Entscheidungssituation weiß der Akteur, welche Folgen sich für ihn aus

der Wahl der ihm zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen jeweils

definitiv ergeben werden.

2) Entscheidungen unter Risiko

Der Handelnde ist sich über die Wahrscheinlichkeiten der möglichen Folgen,

die sich aus der Wahl der verfügbaren Handlungsalternativen für ihn ergeben,

bewußt.

3) Handlung unter Unsicherheit

Der Akteur ist sich über die möglichen Folgen seiner Wahl hinsichtlich der

bestehenden Handlungsalternativen im klaren, weiß jedoch nicht mit welcher

Wahrscheinlichkeit diese eintreten werden (vgl. ZIMMERLING in: Druwe/Kunz

1994:16).

Diese Grundannahmen gelten in den unterschiedlichen Disziplinen, in denen

der Rational Choice-Ansatz angewendet wird, als Basis der Theoriebildung.

4.6.2 Die Theoriebildung

Die Theoriebildung erfolgt in Form der expliziten und weitgehend formalisierten

Modellierung sozialer Prozesse, wobei durch den Prozeß der abnehmenden

Abstraktion ein hinreichender Wirklichkeitsbezug herzustellen intendiert ist (vgl.

LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:3ff.). Im Ansatz ist die Rational Choice-

Soziologie zu verstehen als

„... an attempt to combine the advantages of theory-guided research, as foundin economics, with the strong empirical tradition of sociology [...]. Insights fromneoclassical economics and from traditional sociology are then essential in theentire process of model development.“ (LINDENBERG in Coleman/Fararo1992:3)

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102

4.6.3 Das Grundmodell der Erklärung

Zur Verdeutlichung der Strategie der Theoriebildung werden zunächst dieinteressierenden Zusammenhänge und die zugrunde liegende Erklärungs-heuristik vorgestellt. In einem weiteren Schritt erfolgt dann die Darstellung derwesentlichen Komponenten des theoretischen Modells.

Bei der Analyse sozialer Tatbestände geht es um die Erklärung kollektiver

Phänomene, die nach ESSER (1993) differenziert werden können in:

a) soziale Gebilde, in denen neben dem Verhalten von Individuen im Aggregat(eine allgemeine Anzahl von...), das Verhalten von Individuen als Mitgliedersozialer Kontexte (im Sinn der Verschiedenheit von Verhalten zwischenunterschiedlichen Kontexten) und das Verhalten von sozialen Gebilden (d.h.kollektives Verhalten) analysiert werden kann.

b) Typen sozialer Prozesse, wobei inhaltlich die Genese, Reproduktion und derWandel von sozialen Gebilden thematisiert wird.

c) Allgemeinen Regelmäßigkeiten, die sich an inhaltlichen (im gleichen Kontextvorfindbaren interessierenden Phänomen), formalen (unterschiedlichenKontexten) und systemischen Zusammenhängen und Differenzen (intemporalen und strukturellen Zusammenhängen) orientieren.

d) Erklärung einmaliger Ereignisse, die raum-zeitlich fixiert sind (vgl. ESSER1993:85ff.)

Für die Darstellung des Explanans ist wichtig zu erwähnen, daß der struktur-

individualistische Ansatz seine Ausrichtung zwischen ausgewählten Positionen

des methodologischen Individualismus und der analytischen Wissenschafts-

theorie findet, wobei im wesentlichen auf die Analyse sozialer Makrostrukturen

und die Theorie der rationalen Wahl, als Grundlage der Verhaltenserklärung

von Akteuren, fokusiert wird. In der Verknüpfung dieser Komponenten werden

Makrostrukturen einerseits als die wichtigsten Randbedingungen für die

Erklärung sozialen Handelns aufgefaßt und sollen andererseits als Wirkung der

individuellen Handlungen von Akteuren erklärt werden. Im Rückbezug auf

individuelles, rationales Handeln werden dabei Verhaltensunterschiede auf

Unterschiede in den Handlungseinschränkungen für die Akteure zurückgeführt

(vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:27). Im Rahmen des struktur-

individualistischen Programms steht folglich das Verhalten der individuellen

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Akteure und die Aggregation ihrer Handlungen unter verschiedenen

Randbedingungen und damit verbunden die Erklärung von sozialen Strukturen

im Zentrum des Erkenntnisinteresses (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz

1994:28).

„The analytic primacy thus lies at the aggregate level. Yet the explanation ofsocial systems is based on explaining the mechanisms that go on in the systemand that produce the system effects. In sociology, all such mechanisms involvepurposive action of human beings. For this reason, the theoretical (orexplanatory) primacy lies on the individuel level.“ (LINDENBERG inColeman/Fararo 1992:7)

Das Explanans besteht dabei aus drei Logiken, über die die Rekonstruktion der

kollektiven Wirklichkeit als aggregierte Wirkung der Handlungen von Akteuren

geleistet werden muß (vgl. ESSER 1993:85ff.).

Die Kernstruktur der Erklärung läßt sich an folgenden Schritten kurz darstellen:

Im ersten Schritt wird die Logik der Situation aus der Verbindung zwischen der

Makroebene der speziellen Situation und der Mikroebene des Akteurs, über die

Formulierung von Brückenhypothesen, entwickelt. Der zweite Schritt behandelt

die Formulierung der Handlungstheorie, wobei Selektion zur Grundlage

individuellen Handelns erklärt wird. Die Logik der Selektion wird anhand

allgemeiner nomologischer Gesetze, nach denen Alternativen unter gegebenen

Randbedingungen vom Handelnden ausgewählt werden, entwickelt. Die

Verbindung der Elemente Akteur und soziale Situation auf der Mikroebene

thematisiert die Beziehung zwischen Bewertung und Erwartung von

Handlungsalternativen bzw. -folgen und dem individuellen Handeln. Die

Verbindung von Mikro- und Makroebene des kollektiven Phänomens, was der

eigentliche Untersuchungsgegenstand ist, führt zur Logik der Aggregation, d.h.

der Transformation der individuellen Effekte der Handlung der Akteure zum

jeweiligen kollektiven Explanandum, unter Beachtung bestimmter Regeln.

Hierbei gibt ESSER (1993) verschiedenen Arten von Transformationsregeln an,

wobei insbesondere partielle Definitionen von Bedeutung sind, da sie festlegen,

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104

wann von einem kollektiven Ereignis gesprochen werden kann und erst so der

Zugang zu weiterer Modellierung möglich wird.85

Die soziologische Erklärung eines Explanandums besteht somit aus der

sukzessiven und kombinierten Lösung von drei unterschiedlichen

Fragestellungen, die eine Beschreibung der Situation über Brückenhypothesen

ermöglicht und damit die Entwicklung des Mikromodells, das die Erklärung der

Selektion einleitet (erfolgt über eine allgemeine Handlungstheorie) und

schließlich die Benennung der Randbedingungen zur Vervollständigung der

Analyse. Hierbei verdichtet sich über den Aspekt der Aggregation, unter

Berücksichtigung von Transformationsregeln, das zu erklärende kollektive

Phänomen.

Am Theoriemodell des kollektiven Handelns von Mancur OLSON (1985) soll

das Erklärungsschema verdeutlicht werden:

Das Modell der Erklärung legt den inhaltlichen Schwerpunkt auf den Aspekt der

Makrostrukturen oder die Ebene kollektiver Phänomene, bei Olson ist dies das

Makrophänomen kollektives Handeln. Die inhaltliche Fragestellung richtet sich

auf den Aspekt, unter welchen Bedingungen auf der Makroebene, die

Gemeininteressen ihren Ausdruck in kollektivem Handeln finden. Dabei sind die

Natur des zu produzierenden Gutes, daß dem Nichtausschlußprinzip unterliegt,

die Gruppengröße und die Abwesenheit einer selektiven Anreizstruktur von

85 Sie sind Spezialfälle der operationalen Definition, der Meßbarmachung von theoretischen

Begriffen. Das Grundmodell der Logiken ist der elementarste Schritt jeder soziologischenErklärung, jedoch ist eine Erweiterung der Mikro-Makro-Differenzierung möglich. Hierbei kanneine horizontale Differenzierung, die Analyse sozialer Prozesse ermöglichen. In der vertikalenDifferenzierung kann auf das Verhalten von sozialen Gebilden fokusiert werden. Dieentstehenden Mehr-Ebenen-Modelle beinhalten als Ausgangsüberlegung die Annahme, daßMenschen nicht isoliert handeln, sondern Interaktionssysteme bilden, die ganz unterschiedlichangelegt sind. Soziale Gebilde konstituieren solche Interaktionssysteme und können über dasGrundmodell der soziologischen Erklärung erfaßt werden. Das Handeln des sozialen Gebildesleitet sich weiterhin von der Akteursebene ab, auf der nutzenmaximierendes Handelnangenommen wird, das Gebilde handelt dann folgerichtig nach Maßgabe der komplexenAggregation der individuellen Handlungen der Menschen und daher muß immer dieDekomposition des Verhaltens des sozialen Gebildes auf Mikroebene erfolgen. ESSERunterscheidet zwischen Situations- und Prozeßmodellen, wobei das wesentliche Element vonSituationsmodellen die Wiedergabe von typisierbaren Situationen ist. Situations-modelleberuhen somit auf abstrakten Typen von Brückenannahmen und geben z.B. über dieInterdependenzen von Akteuren Auskunft. Situationsmodelle finden sich in der Spieltheorie,wo sie sich in Spielen wie z.B. das prisoner’s dilemma niederschlagen. Prozeßmodelledagegen bilden Sequenzen idealisierter Prozesse ab, wie z.B. im Diffusionsmodell. Hierbeikönnen Prozesse wie die Entwicklung von sozialen Bewegungen verdeutlicht werden.

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105

wesentlicher Bedeutung (vgl. OLSON 1985:8ff.). Der Zusammenhang zwischen

diesen Bedingungen wird dann unter Rückbezug auf die Individualebene

erklärt, d.h. im Entwurf eines Mikromodells hergeleitet.

4.6.3.1 Die Entwicklung des Mikrodells

Im Mikromodell werden zunächst die unabhängigen Makrovariablen als

Handlungsbedingungen der Akteure rekonstruiert, d.h. es werden Zweck-

setzungen, Handlungsmöglichkeiten, die Übersetzung der möglichen

Handlungen in zweckrelevante Wirkungen (bei denen Interdependenzen

zwischen den Akteuren, als auch Unterschiede hinsichtlich der Zwecke,

Möglichkeiten und Einschränkungen in einer Handlungssituation, eine

wesentliche Rolle spielen) bestimmt. Der Akteur wählt dann in einer sozialen

Situation eine bestimmte Handlung nach den Kriterien der Zweckrationalität.

Und schließlich werden die individuellen Handlungen zu einem Makroeffekt

zusammengefaßt, der unter weiteren Randbedingungen die zu erklärende

Makrostruktur ergibt (vgl. OLSON 1985:5).

4.6.3.2 Der Makroeffekt im Mikromodell und das Problem der Transformation

Der Makroeffekt ist, wie oben gezeigt, als aggregiertes Phänomen kollektiven

Handelns im Mikromodell rekonstruiert worden. Damit entwickelt sich im

struktur-individualistischen Theoriekonstrukt allerdings das Problem der

Transformation (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in: Druwe/Kunz 1994:30). Hierbei

handelt es sich im wesentlichen um die Verbindung von Individual- und

Kollektivebene. Die Problematik ist leicht einsichtig, denn es wird der

methodologische Aspekt der korrekten Verwendung von Begriffen

angeschnitten. Eine formal korrekt abgeleitete Aussage darf keine Begriffe

enthalten, die nicht bereits in der Eingangsformulierung enthalten sind. D.h.

individuelle Phänomene werden unter Verwendung von Individualbegriffen, die

sich auf individuelle Merkmale beziehen, beschrieben, kollektive Phänomene

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dagegen durch Kollektivbegriffe, die die Merkmale von Kollektiven

wiedergeben. Sollen nun kollektive Phänomene aus individuellen Effekten

abgeleitet werden, müssen folgerichtig Individual- und Kollektivbegriffe

verknüpft werden. Wie diese Verbindung herzustellen ist, wird in der

Transformationsregel86 angegeben. Im Rückgriff auf das vorgestellte Modell

wird das Makrophänomen ‘kollektives Handeln’, wie gezeigt, zunächst auf die

Individualebene bezogen und dabei im Mikromodell als die kontinuierliche

Variable Teilnehmen an der kollektiven Handlung aufgefaßt. Dies bedeutet,

daß Akteure ihren Beitrag zu einem kollektiven Gut leisten und dieser dabei

einen beliebige Höhe annehmen kann. In OLSONs Modell wird für jeden

Akteur, der das Gemeininteresse teilt, ein individueller Beitrag abgeleitet. Die

kollektive Handlung ist dann die Summe der individuellen Beiträge und gibt

schlußfolgernd das Versorgungsniveau mit dem kollektiven Gut an (vgl.

GILLEßEN/MÜHLAU in: Druwe/Kunz 1994:30).

4.6.3.3 Die rationale Wahl als Handlungstheorie

Die Thematik der Transformation ist eine wichtige Diskussionsplattform

hinsichtlich der Frage der Rechtfertigung der Grundannahmen, die diesem

Theoriekonstrukt unterlegt werden. Davon ausgehend wurde gezeigt, wie im

Mikromodell die dem Kollektivphänomen ‘Versorgungsniveau eines kollektiven

Gutes’ zugrunde liegenden Individualeffekte definiert sind (vgl. OLSON

1985:13ff.). Die sich anschließende Frage ist nun, ob und wieviele Akteure zur

Produktion des kollektiven Gutes beitragen. Dieser Individualeffekt soll in

Olsons Modell anhand der individuellen rationalen Entscheidungen der Akteure

erfolgen.

„Dabei bedient sich Olson eines Modells der rationalen Wahl: Die Akteurewählen denjenigen Beitrag, der ihren Nutzen (von Olson als persönlicher Wertbezeichnet) maximiert.“(GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:32)

86 ESSER (1993) stellt verschiedene Transformationsregeln vor, auf die jedoch nicht weiter

eingegangen muß.

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Die Modellierung des Modells erfolgt somit auf der Basis des Modells des

erwarteten Nutzens, expected utility, wobei die unterschiedlichen Alternativen

abgewogen werden und die Entscheidung der Handlungsalternative nach dem

höchsten Wert getroffen wird, d.h. OLSON geht von einer erwartungs-

gesteuerten Entscheidungssituation unter Risiko aus.87

Da individuelle Handlungsweisen immer in Zusammenhang mit Makro-

strukturen betrachtet werden, muß diesem Entscheidungsmodell eine weitere

Komponente hinzugefügt werden, um den Bezug zwischen beiden Aspekten

herleiten zu können und dies erfolgt über die Formulierung von Brücken-

annahmen (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:33).

4.6.7 Die Verbindung von Individual-und Kollektivebene im Rahmen der Formulierung von Brückenhypothesen

Im Rahmen der Formulierung von Brückenhypothesen kann im vorliegenden

Modell z.B. geklärt werden, inwieweit die Gruppengröße mit der Bereitschaft

der Akteure, sich für eine gemeinsame Sache einzusetzen, zusammenhängt.

Brückenhypothesen geben die Handlungsalternativen, zwischen denen der

Akteur wählt und die damit verbundenen relevanten Konsequenzen der

Handlungsalternativen an und geben somit auch Auskunft über die

Bewertungen und Erwartungen der Handelnden hinsichtlich der Handlungs-

konsequenzen.

„Die Formulierung solcher Brückenhypothesen wird im Rahmen der strukturell-individualistischen Theoriebildung als ‘Hauptaufgabe bei der Erklärung sozialenVerhaltens’ (Wippler, Lindenberg 1987:146) gesehen, da durch sie der Einflußdes sozialen Kontextes modelliert wird.“(GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz1994:34)

Im Modell OLSONs wird von einer bestimmten Kategorie von Akteuren

ausgegangen, die als Interessenten am kollektiven Gut bezeichnet werden und

die gemeinsam haben, daß der Nutzen des kollektiven Gutes positiv ist. Olsons

87 Zugrunde gelegt wird, daß der Handelnde hinsichtlich der subjektiven Wahrscheinlichkeiten

nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung operiert (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in:Druwe/Kunz 1994:33).

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Situationsmodell sieht nun vor, daß bei der Wahl einer bestimmten

Handlungsalternative Handlungskonsequenzen mit Sicherheit eintreten. Diese

Handlungsalternativen sind im Modell als Spektrum von Handlungsalternativen

im Rahmen des Kategorienpaares ‘Beitrag leisten - Beitrag nicht leisten’

formuliert. Der erste Schritt ist die Bestimmung der individuellen Beiträge,

wobei sich zwei Dimensionen von Handlungsfolgen ableiten lassen:

1) das Versorgungsniveau wird durch die Beiträge der Individuen erhöht und2) die geleisteten Beiträge der individuellen Akteure vermindern deren Ressourcen (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:34).

Diese Handlungsfolgen werden mit den Bewertungen der Akteure verknüpft

und in einer Funktion dargestellt, die angibt, daß je größer das kollektive Gut

ist, desto höher ist auch der Nutzen und je höher der individuelle Beitrag, desto

höher sind die Kosten für den individuellen Akteur. Die Wahl des individuellen

Beitrags erfolgt in diesem Modell so, daß der Handelnde das Verhältnis von

Nutzen und Kosten optimal hält, d.h. eine nutzenmaximierende Orientierung

aufweist (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:35).

In einem weiteren Schritt müssen nun die Effekte der Nichtausschließbarkeit

von Konsumenten vom kollektiven Gut, das Fehlen einer selektiven

Anreizstruktur und die Gruppengröße zusammengefaßt und auf die Wahl des

individuellen Beitrags bezogen werden.

Die Modellierung der Situation sieht vor, daß der Handelnde die Alternative hat,

einen Beitrag zu leisten oder es nicht zu tun.88 Sein Nutzen ist unterschiedlich

hoch, je nach Wahl der Alternative. Die Gesamtversorgung mit dem kollektiven

Gut, von Olson gleichgesetzt mit dem der Gesamtsumme der geleisteten

Beiträge, ist die Aufteilung des Gutes unter allen Akteuren, welches dadurch in

Abhängigkeit zur Gruppengröße (aller konsumierenden Akteure) gesetzt

werden muß.

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„Der individuelle Anteil am kollektiven Gut,[...], ist damit das Verhältnis vonGesamtversorgung zur Gruppengröße,...“(GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz1994:36)

Im Modell werden die Nichtausschließbarkeit und das Fehlen einer selektiven

Anreizstruktur als konstante Variablen angenommen, so daß die Größe der

Gruppe eine variable Randbedingung ausmacht. Je größer die Gruppe der

konsumierenden Akteure am kollektiven Gut wird, desto geringer erscheint der

Nutzen, der durch den geleisteten Beitrag des individuellen Akteurs an der

Gesamtversorgung ausmacht.

Für die Wahl der Handlungsalternative des individuellen Akteurs wird, unter

Einbeziehung der relevanten Makrovariablen Nichtausschließbarkeit, Gruppen-

größe und fehlende Struktur selektive Anreize, deutlich, daß je höher seine

Kosten im Gegensatz zum tatsächlichen Nutzen liegen, er die Leistung von

Beiträgen abbrechen wird (vgl. OLSON 1968).

Zusammenfassend läßt sich formulieren, daß im Rahmen des vorgestellten

Modells der theoretische ‘Kern’, die Theorie der rationalen Wahl, gegenüber

den Brückenhypothesen, als Verknüpfung der Individualebene mit der

Kollektivebene, differenziert wird. Damit wird der Aspekt der rationalen Wahl als

konstanter Faktor verstanden und die Formulierung von Brückenhypothesen als

‘Anpassungsmodus’ des theoretischen Kerns an die empirisch nachweisbaren

Sachverhalte. Es schließt sich eine weitere Ebene der theoretischen

Entwicklung an, die in der Literatur als method of decreasing abstraction

(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992) bezeichnet wird.

4.6.8 Die Methode der abnehmenden Abstraktion

Bei dieser Methode handelt es sich um ein Vorgehen, welches ermöglichen

soll, die Angemessenheit von Brückenhypothesen dadurch zu ermitteln, daß

mehrere Varianten eines Modells miteinander verglichen und Abweichungen in

den Ergebnissen festgestellt werden. Sind grundlegende Veränderungen der

88 Dies entspricht nicht ganz der Ausgangsbedingung im Modell, wird jedoch von Gilleßen und

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Ergebnisse bei vereinfachten Brückenannahmen gegenüber einer realis-

tischeren, auch durchaus komplizierteren Version festzustellen, so ist eine

Ersetzung durchzuführen. Auf dieser Grundlage ist die Aussage Lindenbergs,

daß ein theoretisches Modell eines Gegenstands als Sequenz von Modellen

unterschiedlichen Komplexitätsgrades aufzufassen ist, angelegt (vgl.

GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:41).

Die Methode der abnehmenden Abstraktion beruht auf zwei wesentlichen

Punkten:

„First, the disaggregation of utility theory into a fixed core of assumptions onhuman nature and a variable belt of bridge assumptions [...] and second, theheuristics needed to reduce the uncertainty about appropriate bridgeassumptions [...]“(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:3)

Das Verfahren wird von LINDENBERG (1992) als integratives Moment der

unterschiedlichen Disziplinen der Sozialwissenschaften verstanden, jedoch

„... without losing the analytical power of the economic approach or thedescriptive advantages of the sociological and psychological approaches.“(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:4)

Daher sieht Lindenberg (1992) die Möglichkeit gegeben

„to achive theory-driven analyses and empirical accuracy by taking modelbuilding to be a sequence of versions of theory in which empirical accuracy isstepwise approached, while the early versions of the theory provide analyticalpower.“(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:6)

Damit differenziert er wesentliche Aspekte der Theoriebildung, wobei neben der

Notwendigkeit der Unterscheidung von Kerntheorie (core theory) und

Brückenannahmen, die wichtig ist

„to make the assumption about gain maximization more complex (say, bystating the conditions under which it may or may not occur) withoutsimultaneously letting go out the core theory of rationality“ (LINDENBERG inColeman/Fararo 1992:6)

Mühlau zur Vereinfachung eingeführt (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:35).

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auch der Aspekt der Zielbestimmung im Rahmen der unterschiedlichen

Disziplinen wichtig ist.

Für die Sozialwissenschaften ist anzugeben, daß Akteursziele (preferences) im

wesentlichen

„not from standpoint of choice under constraints but from the standpoint ofsocial control“(LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992: 9)

hergeleitet werden. Im Rahmen des zugrunde liegenden Modells sollen diese

Aspekte nun in der Weise verbunden werden, daß Präferenzen, als Teil eines

instrumentellen Kontextes aufgefaßt, Teil der Struktur sind und somit durch

Beschränkungen erklärt werden können (vgl. LINDENBERG in

Coleman/Fararo, 1992:10). Die Differenzierung von ‘universellen’ und

‘instrumentellen’ Präferenzen (auch goals) leitet sodann in die Formulierung der

Brückenhypothesen über, wobei LINDENBERG (1992) als universelle

Präferenzen zum einen das physical well-being und zum anderen das social

approval bestimmt und diese means in sozialen Positionen als veränderlich

definiert, was er mit dem Begriff der social production function kennzeichnet

und ausführt, daß

„They work like standard operating procedures for the production of one of bothof the general goals.“ (LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:11)

Den Ausgangspunkt noch einmal aufgreifend, kommt Lindenberg auf die

Komponente der sozialen Bindung durch Normen zurück:

„Notice that effects of norms on behavior are entirely compatible with a socialproduction function approach. Norms heavily influence social productionfunctions.“ (LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:11)

Verdeutlicht jedoch auch die Komponente, daß die Definition einer Situation

wesentliches Moment ist. Dies leitet zum Thema der ‘Wahl’ (choice) und damit

zum Nutzen von Handeln (hier: Subjectively Expected Utility, kurz SEU) über

(siehe LINDENBERG in Coleman/Fararo 1992:12). LINDENBERG entwickelt

dazu das sog. discrimination model, auch framing theory genannt, was im

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wesentlichen auf die Strukturbildung von Entscheidungen im Rahmen von

Wahlhandlungen fokusiert.

4.6.8.1 Brückenhypothesen und abnehmende Abstraktion

Die Methode der abnehmenden Abstraktion ist wesentliches Moment im

Zusammenhang mit der Formulierung von Brückenannahmen (die die

Klassifizierung und Typisierung der Situation unter Inbezugnahme der

Idiosynkrasien der einzelnen Akteure thematisieren), da das Modell, im Kontext

der durch die Situation gegebenen Bedingungen mit der einfachsten Annahme

„... konsistenter Bewertungen für die Handlungskonsequenzen und vonobjektiven, nicht überschreitbaren Grenzen des Handelns - auch wenn dieseGrenzen den Akteuren nicht bekannt sind“(ESSER 1993:134)

beginnen soll. Darin fließt die Annahme ein, daß der Akteur seine Umgebung

„objektiv und perfekt informiert“ wahrnehmen kann. Diese Annahmen werden im

Verlauf der Modellbildung aufgegeben.

4.6.8.2 Handlungstheorie und abnehmende Abstraktion

Die nutzenmaximierende Selektion der Handlung ist Simplifikation und

Verfälschung der wirklichen Gesetze des Handelns, jedoch ist es zulässig, denn

der Aspekt der Nutzenmaximierung bzw. Zweckrationalität wird als einfachste,

erklärungskräftigste Handlungstheorie verstanden. Veränderungen der

Variablen der Handlungstheorie verändern auch die Brückenhypothesen. Vor

der Änderung der Handlungstheorie (Nutzenmaximierung) sind zuerst

Brückenhypothesen und Transformationsregelmöglichkeiten ausnutzen, um

Anomalien zu erklären (vgl. ESSER 1993:135).

4.6.8.3 Transformationregeln und abnehmende Abstraktion

Hier ist wichtig zu bedenken, daß es nicht immer gut sichtbare, formale

Regelungen gibt, sondern oft informelle Regeln. Subjektive Definitionen der

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Akteure sind oft wichtig für die eine partielle Definition der Existenz eines

sozialen Gebildes (vgl. ESSER 1993:136).

GILLEßEN und MÜHLAU (1994) unternehmen den Versuch, unter Bezug auf

das Modell von Gerald MARWELL und Pamela OLIVER (1993)89, aufzuzeigen,

wie strukturelle Bedingungen die Wahrschein-lichkeit der Mobilisierung eines

bestimmten Niveaus von Beiträgen verändern können. Ausgangsthese ist, daß

„viele kollektive Handlungen zunächst nur von besonders engagiertenPartizipanten getragen werden, um später auch von durchschnittlichInteressierten gestützt zu werden. Es bedarf erst einer kritischen Masse, die dieKettenreaktion sozialer Mobilisierung katalysiert.“(GILLEßEN/MÜHLAU inDruwe/Kunz 1994:42)

Das Grundmodell besagt darauf folgend, daß der Nutzen des Akteurs, der

einen Beitrag stiftet, die Differenz zwischen dem Nutzen des kollektiven Gutes

für das Individuum einschließlich seines Beitrags und dem Nutzen des

kollektiven Gutes ohne dessen Beitrag abzüglich der subjektiven Kosten des

individuellen Beitrags ist. Vereinfacht ausgedrückt: Desto niedriger die Kosten,

desto höher der Nutzen für den Akteur.

In diesem Grundmodell werden nun zunächst die zentralen Makrovariablen

benannt und ihr Einfluß auf das Verhalten der Akteure analysiert. Die

Makrovariablen90 bestimmen

a) die Natur des Gutes,

b) die Gruppengröße

und

c) die Verteilung des Gutes (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz,1994:44).

Hierbei können als Parameter des Entscheidungsmodells die Natur des Gutes

und die Gruppengröße angenommen werden. Im Rahmen der Verteilung

89 MARWELL/OLIVER (1993), The Critical Mass in Collective Action. Cambridge (siehe

GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:41).90 Vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:42, wobei auf weitere Vereinfachungen

verzichtet werden kann, da es lediglich darum geht, das Grundprinzip zu verdeutlichen.

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(sgerechtigkeit) handelt es sich um eine Variable, die Aufschluß über die

‘Beitragsleistungsbereitschaft’ der Akteure gibt.

Als Ergebnisse formulieren GILLEßEN und MÜHLAU (1994):

„Eine zunehmende Gruppengröße wirkt sich nachhaltig auf die Mobilisierungeiner kritischen Masse aus, wenn es sich um ein Gut handelt, um das Rivalitätherrscht (Natur des Gutes/Anm.TK). Wenn keine Rivalität vorliegt, hat dieGruppengröße bei homogenen Gruppen (Verteilung des Gutes/Anm.TK) auchkeinen Effekt auf das Zustandekommen der kollektiven Handlung.“(GILLEßEN/MÜHLAU 1994:44)

Die Gruppengröße fördert die Beitragsleistung der Akteure einer kritischen

Masse, wenn die Gruppe heterogen ist und damit die Verteilung des Gutes

nicht gleichmäßig verläuft. Um zur Ausgangsthese zurückzukehren:

„Die Wahrscheinlichkeit, daß sich eine ausreichende Menge stark interessierterAkteure findet, steigt mit bei zunehmender Gruppengröße an.“ (GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:44)

Weiterhin wird nun der Effekt unterschiedlicher Transformations-funktionen

untersucht. Dabei wird in einer Längsschnittanalyse auf zeitlicher Ebene die

Mobilisierung der Handelnden in verschiedenen Situationen untersucht. Als

Ergebnis kann zusammenfassend formuliert werden, daß die beiden Gruppen

(engagierte und ‘weitere’ Teilnehmer) nicht gleichzeitig ausreichend motiviert

werden können, wenn nicht eine gewisse Koordination der Handlungen möglich

ist, d.h. wenn nicht festgelegt werden kann, daß entweder alle oder keiner zum

kollektiven Gut beitragen.

Damit wird in einem weiteren Schritt die Annahme aufgegeben, daß eine

Gruppe ein Aggregat von Akteuren darstellt, denn durch den Aspekt der

Koordination (auch Vertragsmöglichkeit) wird deutlich, daß die Netzwerke

innerhalb sozialer Gruppen die Koordination oft einschränken.

Um das Modell zu vervollständigen, wird in einem vierten Schritt deutlich

gemacht, daß Koordinationsmöglichkeiten (Vertragsabschlüsse) auf einer

Ebene stattfinden, die durch die beschränkte Information der Akteure

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ausgezeichnet ist und dadurch nicht die höchstmöglichen Beiträge eingebracht

werden können (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in Druwe/Kunz 1994:44ff.).

Die Methode der abnehmenden Abstraktion verläuft in diesem Modell über

zunächst unrealistische Brückenannahmen, die zunehmend an die realen

Bedingungen angepaßt werden und so die Robustheit der zugrunde gelegten

Makrovariablen überprüft und wieder in Zusammenhang mit dem erweiterten

Modell gebracht.

Als grundlegende Heuristik des Strukturindividualismus kann die Anpassung

der Beschränkungen der Akteure an realistische Annahmen im Verlauf der

Theoriebildung gelten. Erst dann erfolgt die Anreicherung der Nutzenargumente

der Akteure. Realistischere Annahmen über Erwartungen und kognitive

Verteilungsleistungen sollten dabei nur im Notfall in das Modell einfügt werden,

da es nicht empfehlenswert ist, objektive Wahrscheinlichkeiten aus

Makrostrukturkonstellationen zu berechnen, wenn subjektive Wahrscheinlich-

keitseinschätzungen zur Verfügung stehen (vgl. GILLEßEN/MÜHLAU in

Druwe/Kunz 1994:46f.).

Bei der Situationsanalyse von Makroeffekten, wird somit zunächst auf den

Mikrobereich fokusiert, um von dort den Makrobereich zu erklären. Es handelt

sich folglich um eine Makro-Mikro-Makro-Erklärung. Die Gesamtheit bildet eine

kausal-analytische Konstruktion 2. Ordnung über ein Geschehen. Dabei erfüllt

das Modell die Erfordernisse der interpretativen Dimension, enthält

Brückenhypothesen und eine Handlungstheorie hinsichtlich der Konstruktion

erster Ordnung der Akteure, ist aber eine kausale Erklärung (analytisch-

nomologischer Art). Das Erklärungsschema macht deutlich, daß der makro-

soziologische Zusammenhang, das strukturelle Gesetz als indirekter Effekt

über die anderen Schritte gilt und die Wahrnehmung der Akteure tiefenerklärt.

Darauf aufbauend erfolgt die Selektion und schließlich die Aggregation.

Dadurch wird deutlich, daß der kollektive Zusammenhang einen indirekten

Effekt hat und ermöglicht

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1. unvollständige makro-soziologische Zusammenhänge zu erklären und2. der Verstehensaspekt ist ohne die Akteurs-Komponente sinnlos und soziale Prozesse laufen dann über die Köpfe der Handelnden (vgl. ESSER 1993:98ff.).

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5. Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen des systemtheoretischen und des struktur-individualistischen Ansatzes in der politikwissen- schaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen

Im Forschungsbereich der internationalen Beziehungen91 sind die Erklärungs-ansätze sowohl in paradigmatischer als auch forschungsgegenständlicherHinsicht zu unterscheiden.92 Bei der Untersuchung außenpolitischenEntscheidens und Handelns dominieren akteurstheoretische Konzeptionen, dievon rationalem Verhalten individueller Akteure ausgehen.93 Als Grundannahmegilt, daß soziale Phänomene in ihrer Komplexität zwar erklärt werden sollen,jedoch als Untersuchungsentität das Individuum im Zentrum der Analyse steht,wobei dessen Antriebsstruktur als eine durch Interessen bestimmte Nutzen-erwartung aufgefaßt wird. Demgegenüber fokusieren struktur-theoretischeAnsätze94 in der Erklärung des Untersuchungsgegenstandes auf das Umfeld.Außenpolitisches Verhalten internationaler Akteure wird hierbei als von denpolitischen, sozialen und kulturellen Strukturen determiniert, in denen esstattfindet, begriffen.

Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Erörterung der unterschiedlichenErfassung und Deutung des Untersuchungsobjekts der außenpolitischenInteraktionen im Rahmen akteurs - bzw. strukturtheoretischer Modellbildungund die davon ableitbaren Leistungen und Grenzen der theoretischenKonzeptionen.

91 Der Begriff der Internationalen Beziehungen entstand nach dem Ersten Weltkrieg, wobei im

Rahmen der Versailler Friedensvertragsverhandlungen, aufgrund des Bestrebens vonPolitikern und Wissenschaftlern einen weiteren Weltkrieg zu verhindern, die Gründung vonwissenschaftlichen Institutionen zur Erforschung der internationalen Beziehungen in Groß-britannien und den USA vereinbart wurde. Die Aufgabenstellung erstreckte sich dabei auf dieErforschung von Ursachen, Bedingungen und Erscheinungsformen von Krieg und Frieden(vgl. BELLERS/KIPKE 1993:174).

92 Dabei spielen insbesondere die nationalen Disziplinentwicklungen in den jeweiligen Länderneine wesentliche Rolle.

93 Als Beispiele sind hier Realismus, Neo-Realismus und Spieltheorie zu nennen.

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5.1 Die politikwissenschaftliche Teildisziplin der Internationalen Beziehungen

Die Erörterung der Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen theoretischenArbeitens im Bereich der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Inter-nationalen Beziehungen95 bedarf aufgrund der unterschiedlichen Auffassungenüber den Umfang des Gegenstandsbereichs zunächst einer Definition desBegriffs Internationale Beziehungen, wie er im Rahmen dieser Arbeitverstanden wird.

Als Internationale Beziehungen wird sowohl die entsprechende Disziplin als

auch ihr Gegenstand bezeichnet. Hinsichtlich ihres Objektbereichs kann hierbei

insbesondere gegenüber dem Begriff der Internationalen Politik verdeutlicht

werden, welches jeweils zugrunde liegende Erkenntnisinteresse und damit

verbundene Fragestellungen die Objektbereiche determiniert. PFETSCH (1994)

verweist in diesem Zusammenhang auf die Differenzierungsmöglichkeit der

internationalen Beziehungen gegenüber der internationalen Politik nach

Struktur- vs. Akteursorientiertheit, wobei Beziehungen den Aspekt der

Strukturen, Politik den der Handlungen in den Vordergrund rücken. Der Bereich

der Internationalen Politik umfaßt dabei insbesondere die zwischenstaatlichen

Beziehungen auf politisch-machtpolitischer Ebene und kennzeichnet somit die

national-staatliche Regierung als zentralen Akteur.96 Zu den Grundkategorien

des Begriffs der Internationalen Politik zählt dabei das Interaktionssystem von

mindestens zwei nationalstaatlichen Akteuren, denen zielorientiertes Handeln

unterstellt wird und deren Aktivitäten als grenzüberschreitend aufzufassen sind.

In der Bestimmung des Objektbereichs der internationalen Politik fällt damit

„ ... eine große Gruppe von Arbeiten aus ihm heraus, die in der Regel (und zuRecht) dazu gezählt werden: Analysen von Außenpolitik“ (CZEMPIEL inKnapp/Krell 1991:4),

d.h. es wird unterschieden zwischen der Interaktion mehrerer und der Aktion

eines einzelnen Akteurs im internationalen Kontext. Der Begriff der

94 Hier sind z.B. die funktionale Systemtheorie oder die Politische Kybernetik anzuführen.95 Als Bezeichnung für die politikwissenschaftliche Teildisziplin wird vor allem in angel-

sächsischen Ländern der Begriff international relations verwendet.96 Der Nationalstaat wird dabei als ausschließlicher, keiner höheren Gewalt untergeordneten

Akteur aufgefaßt.

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Internationalen Politik kann folglich auch zur Grobunterscheidung zwischen

dem Niveau des internationalen Systems und dem des Nationalstaates dienen.

Allerdings ist es wichtig, darauf zu verweisen, daß sich die Internationale Politik

aus den Außenpolitiken der einzelnen Länder zusammensetzt und auf diese

Weise als Analysebereiche der Internationalen Politik folglich die Prozesse und

Ergebnisse der Interaktionen zwischen außenpolitischen Entscheidungen, die

in mindestens zwei Staaten von den jeweiligen Akteuren unter Einbeziehung

ihrer Regierungsapparate vollzogen werden, angegeben werden können.97

Aufgrund der veränderten weltpolitischen Lage und der damit verbundenen

Zunahme nichtstaatlicher internationaler Akteure ist die Wirklichkeit auf

internationaler Ebene sehr viel komplexer geworden, so daß neben den

staatlich vermittelter Bereich der internationalen Politik ein, diesen

übergreifender, gesellschaftlich vermittelter Zusammenhang gestellt werden

kann. Damit geht eine differenziertere Erfassung des Gegenstandsbereichs

einher. Eine Perspektive entwickelt sich dabei entlang der Unterscheidung

zwischen dem Bereich der internationalen Politik gegenüber dem der

internationalen Beziehungen. Letztgenannter Begriff fokusiert auf einen

umfassenderen Gegenstandsbereich als nur die Analyse macht-politischer

Phänomene. Vielmehr treten hier auch die sozialen, ökonomischen und

kulturellen Beziehungen der einzelnen internationalen Akteure ins Blickfeld und

ermöglichen die Analyse aller grenzüberschreitenden Aktionen und

Interaktionen, die zwischen internationalen Akteuren stattfinden (vgl.

BELLERS/KIPKE 1993:175ff.). Der Bereich der Internationalen Politik kann in

diesem Sinn als Teilbereich der Internationalen Beziehungen bezeichnet

werden.98 Aus den oben dargelegten Sachverhalten ergibt sich für diese Arbeit

folgende Definition: der Objektbereich der Internationalen Beziehungen gilt als

97 Dies entspricht dem Modell der Welt als Staatenwelt. Macht- und Gewinn-maximierung als

Außenbeziehung stehen im Vordergrund der Betrachtung. Staaten sind die Akteure, derenHandlungen das internationale Gefüge ausmachen.

98 CZEMPIELs Auffassung zufolge ist der Begriff Internationale Beziehungen somit sehrallgemein und muß daher zum Bereich der „Theorie-Begriffe“ gezählt werden. Was denempirisch-konkreten Gehalt des Begriffs betrifft, muß dieser Auffassung zufolge einegenauere Bestimmung der Beziehungsvariablen vorgenommen werden. CZEMPIEL schlägtaufgrunddessen vor, den Begriff der Internationalen Beziehungen für die Disziplin, den derInternationalen Politik für den Objektbereich, den Forschungsgegenstand zu verwenden (vgl.CZEMPIEL in Knapp/Krell 1991:3f.). Dies folgt in einer Richtung der von PFETSCH (1994)

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Analysebereich außenpolitischer Entscheidungsprozesse und außenpolitischen

Handelns, wobei neben machtpolitische auch soziale und ökonomische

Beziehungen ins Blickfeld rücken.

Als Modell für den Bereich der Internationalen Beziehungen kann die Welt als

Weltwirtschaft, als Netz von Beziehungen zwischen den nationalen Ökonomien,

angegeben werden. Seit Ende der 1950er Jahre wird im Rahmen der Analyse

transnationaler Konzerne, die aufgrund ihrer Flexibilität als den Nationalstaaten

überlegene internationale Akteure behandelt werden, formuliert, daß

Außenpolitik heute von weiteren Faktoren als nur dem Entscheidungsrecht der

Regierungen von Staaten bestimmt ist. Vielmehr verweist der Begriff der

transnationalen Politik auf die unterschiedlichen Akteure und deren

Beziehungen untereinander, die NYE/KEOHANE (1989) begrifflich als complex

interdependence fassen. Analysen in diesem Bereich fokusieren dabei

sachbezogene Problemstellungen (inhaltlicher Natur) oder akteursbezogene

Teilbereiche (Untersuchungen von Entscheidungsverhalten). Der Begriff der

wechselseitigen Abhängigkeit verweist hierbei auf die Verflechtung

unterschiedlicher gesellschaftlicher Ebenen, wobei angegeben werden kann,

daß

„These effects often result from international transactions - flows of money,goods, people, and messages across international boundaries“(NEY/KEOHANE 1989:8)

und somit Interdependenz das Verhältnis von mehr oder minder

gleichgewichtigen Akteuren beschreibt, deren Ziele nicht übereinstimmen,

jedoch aufgrund bestehender transnationaler Beziehungen kooperatives

Handeln notwendig macht (vgl. NEY/ KEOHANE 1989:8). Erfaßt werden kann

Interdependenz dabei durch das Kriterium der Kosten, womit eine Anknüpfung

an die traditionelle Unterscheidung in der ökonomischen Theorie aufgezeigt

wird (vgl. KEOHANE/NYE 1989:112ff.). Davon abgeleitet kann auf den unter-

schiedlichen Analysenebenen nach den veränderten Handlungsbedingungen

vorgenommenen Unter-scheidung zwischen Handlungs- und Strukturebene, bzw. zwischenAkteur und Systembeziehung.

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unter Interdependenz gefragt werden. Die Thematik der Regulierung der

internationalen Beziehungen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der

Institutionalisierung von Kooperation, steht dabei im Mittelpunkt der

Aufmerksamkeit im Rahmen systemischer Betrachtung.99 Auf der Aktueurs-

ebene werden hingegen Optimierungsstrategien außenpolitischen Handelns

zur Diskussion gestellt. Grundsätzlich werden somit im Rahmen sowohl der

Internationalen Politik als auch der Internationalen Beziehungen die

Bestimmung der Formation des internationalen Milieus, die in diesem Kontext

operierenden Akteure, deren Ziele und die ihnen zur Erreichung ihrer Ziele zur

Verfügung stehenden Mittel sowie die Interaktionsbeziehungen, die zwischen

den Akteuren bestehen, fokusiert. Als Untersuchungsgegenstand kann in

diesem Sinn außenpolitisches Entscheiden und Handeln in den internationalen

Beziehungen genannt werden.

5.1.1 Außenpolitisches Entscheiden und Handeln im Bereich der Internationalen Beziehungen

Außenpolitisches Entscheiden und Handeln ist zunächst als Außenpolitikerfaßbar. Die Umsetzung außenpolitischer Aktion eines Akteurs erfolgt jedochim Zusammenwirken mit anderen internationalen Akteuren und wird so zueinem interaktiven Element im internationalen Kontext. Der Untersuchungs-gegenstand soll daher im folgenden Abschnitt näher bestimmt werden.

Außenpolitisches Entscheiden und Handeln als Objektbestimmung fokusiert auf

das Handeln von autorisierten internationalen Akteuren (einzelne oder ein

Kollektiv)100, die im Verlauf bestehender Interaktionen aufgrund der ihnen

zugänglichen Informationen und in Einschätzung ihrer Interessen eine Situation

definieren und darauf gestützt eine Entscheidung zugunsten spezifischer

Handlungsmöglichkeiten treffen. Auf den Bereich der internationalen

Beziehungen bezogen ist als outcome folglich ein Komplex von

Entscheidungen und Handlungen von mehreren kooperierenden und/oder

99 Dies ist ein Strang der neo-institutionalitischen Konzeption, auf die weiter unten eingegangen

wird.100 Die Akteursebenen erfassen dabei neben der gewählten Perspektive, auch die Umfelder

bzw. Umwelten dieser.

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konfligierenden internationalen Akteuren zu verstehen, die im Rahmen ihres

Entscheidungsprozesses zudem von vielschichtigen Aspekten gesell-

schaftlicher und internationaler Realität determiniert werden und diese auch

determinieren (vgl. HAFTENDORN, in Rittberger 1990:404).

Im Rahmen der Untersuchung außenpolitischer Entscheidungsprozesse und

außenpolitischem Handelns im Bereich der internationalen Beziehungen geht

es somit, vor dem Hintergrund ihres Erkenntnisinteresses, das sich

insbesondere mit der Erforschung von Frieden als Prozeßmuster, d.h. der

Verhinderung gewaltsamer und der Förderung friedlicher Behandlung

internationaler Konflikte beschäftigt, im wesentlichen um die Analyse, was und

wie entschieden wird und welche Begründung der getroffenen Entscheidung

zugeordnet werden kann. Damit sind nach HAFTENDORN (1990) verschiedene

Reichweiten der Untersuchung außenpolitischer Entscheidungs- und

Handlungsprozesse angesprochen, bei denen es sich um a) die deskriptive

Dimension, die die ideographische oder komparative Darstellung von

Entscheidungsprozessen umfaßt, b) die analytische Dimension, bei der es sich

im wesentlichen um die Erklärung von beobachtbarem Verhalten von Akteuren

und den durch dieses Verhalten ausgelösten Rückkopplungsprozessen handelt

und c) die nomothetische Dimension, die den Bereich einer möglichen

Verallgemeinerung von Erkenntnissen über den Untersuchungsgegenstand

behandelt.101

Da die in dieser Arbeit dargestellten Erklärungsansätze die Auffassung teilen,

daß Handeln motiviert ist, d.h. das ein „Um-zu-Motiv“ besteht, das den

individuellen Subjekten zugerechnet wird, kann für den teleologischen

Aussagenbereich angegeben werden, daß der Begriff des zweckrationalen

Handelns individuelle Interessen in einem begrenzte Handlungsspielraum

hinsichtlich der Wahl von Mitteln zur Zielerreichung erfaßt. Zweckrationale

Orientierungen können dabei sowohl im Rahmen ermächtigter

Entscheidungsbefugnisse in repräsentativen Rollen als auch als situations-

101 Auf die normative Orientierung von Entscheidungen soll nicht eingegangen werden (vgl.

HAFTENDORN in Rittberger 1990: 402).

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strategisches, nutzenmaximierendes Verhalten der an wichtigen Ent-

scheidungsprozessen beteiligten Individuen erfaßt werden. 102

Bevor in die Erörterung der Ansatzmöglichkeiten der unterschiedlichen

Konzeptionen eingeleitet wird, soll jedoch in einer kurzen Zusammenfassung

auf wesentliche Theorieentscheidungen in den Modellen verwiesen werden.

Von Interesse ist hierbei zu verdeutlichen, welche grundlegenden Annahmen

hinsichtlich der Erklärung sozialer Phänomene identifiziert werden können.

5.1.2 Vergleich von Systemtheorie und Rational Choice-Theorie

In diesem Abschnitt werden wesentliche Elemente der Theoriebildung sowiedie Darstellung der unterschiedlichen Theorieentscheidungen im system-theoretischen Ansatz Talcott PARSONS‘ und in der Rational Choice-Theorieherausgearbeitet. Insbesondere wird auf die Interessenbildung sozialerAkteure, die Auslegung des Begriffs der Rationalität und die Entwicklung derNutzenorientierung von Akteuren, sowie die Unterscheidung von Mikro- undMakroebene, die den Aspekt der Aggregation individueller Verhaltensweisenthematisiert, eingegangen.

Talcott PARSONS theoretisches Konstrukt findet in The Structure of Social

Action (1937) den Ausgangspunkt in der Annahme einer Handlungssituation,

die starke biologische und ökonomische Determinanten aufweist. Über den

biologischen Aspekt werden die für den Handelnden nicht direkt verwendbaren

Bedingungen des Handlungsgeschehens markiert, der ökonomische Aspekt

verweist auf die Handlungswahl (vgl. STICHWEH 1995:395). Der Handelnde

tritt als Beobachter in Erscheinung, der hinsichtlich seiner Zielerreichung die

angemessenen Mittel auswählt (Theorie der Rationalität). Da PARSONS jedoch

über die ökonomisch-biologische Auffassung des Handelns keine System-

haftigkeit derselben erfassen kann, verlagert er die rationale Wahl der Mittel in

einen Bereich des Handlungsgeschehens, der seinerseits in einen normativ

geprägten Selektionsmechanismus eingefügt wird. Diese Hierarchi-sierung

ermöglicht sodann die Darstellung von Handeln als System, wobei die

102 Hierbei verweist DÖBERT (1973) auf den Sachverhalt, daß das wissenschaftstheoretische

Problem der Teleologie als Problem der Spezifizierung von Übersetzungsregeln erscheint, diees ermöglichen den teleologischen Wendungen nicht-teleologische zuzuordnen.

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systematische Ordnung durch Normen und die biologischen Bestimmungs-

faktoren die Umwelt des Handelns ausmachen. PARSONS gelingt damit die

Eigenwirklichkeit der Gesellschaft gegenüber biologischen und ökologischen

Handlungsdeterminanten in die theoretische Konzeption einzubringen. Durch

die Gegenüberstellung von rationalen Kalkülen und nicht-rationalen

Bestimmungsgrößen des Handelns (in Form von gesellschaftlichen Normen)

tritt der Aspekt der Anstrengung - effort - hinzu, wobei dem Handelnden

unterstellt wird, daß er versucht, gesellschaftlichen Anforderungen in der

Wirklichkeit des Handelns Geltung zu verschaffen. Die kollektive Eigenrealität

der Gesellschaft als System von Normen und Werten und die Anstrengung des

einzelnen Handelnden in der Umsetzung der Normen und Werte begründen die

voluntaristische Handlungstheorie in PARSONS’ Konzeption. Die Frage nach

der Entstehung der Interessenbildung sozialer Akteure wird somit im Rahmen

einer sozial-konstruktivistischen Perspektive beantwortet.

Die voluntaritische Komponente sozialer Handlung wird im Rational Choice-

Ansatz hingegen in der Weise erfaßt, daß entweder die Erklärung eines

kollektiven Handlungsresultats ohne die Annahme institutionalisierter Normen

erfolgen kann, z.B. durch das COASE-Theorem oder das gezeigt wird, daß

eine Rational Choice-Theorie die Entstehung von Normen und Werten, sowie

Institutionen allein auf der Grundlage ihrer Basisannahmen (Selbstinteresse,

Nutzenmaximierung, Tausch von benötigten Gütern gegen kontrollierte

Ressourcennutzung) zu erklären im Stande ist.

Rationalität wird von PARSONS in The Professions and Social Structure (1939)

dann in der Form definiert, daß sie keine Begleiterscheinung von Handeln und

somit eine konstante Größe darstellt, sondern von gesellschaftlichen

Rahmenbedingungen bestimmt ist. Rationalität wechselt damit auf die Seite

äußerer Bestimmungsfaktoren sozialen Handelns und kann PARSONS den

Übergang zur Systemtheorie vollziehen. Alle Bedingungen des Handelns

expliziert er im action frame of reference.

„Alles andere - Biologie, Physik und die später eingeführte telische Sinnschicht[...] - sind Umwelten des Handelns, so daß System/Umwelt als eineuniversalistische Leitunterscheidung die Unterscheidung Akteur/Situationverdrängt.“(STICHWEH 1995:397)

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Durch die Einführung der pattern variables ist schließlich die Grundlage der

Interpretation von Handlungswahlen festgelegt und Handeln als

Unterscheidungsgebrauch bestimmt. An dieser Stelle ist ein grundlegender

Unterschied zwischen Systemtheorie und Rational Choice-Theorie identi-

fizierbar: Die für die Rational Choice-Theorie wichtige Alternative von

Selbstinteresse vs. Kollektivinteresse wird in der Systemtheorie als eine

handlungsleitende Unterscheidung im Sinn einer sozialen Vorgabe des

Handelns erfaßt. Selbstinteresse ist im struktur-funktionalen Ansatz folglich

keine Prämisse mehr.

Hinsichtlich der Definition des Rationalitätsbegriffs kann für die Differenzierung

zwischen Systemtheorie und Rational Choice daraus abgeleitet werden, daß

sich Rationalität in der Systemtheorie als institutionalisierte Wertorientierung

äußert, wobei die institutionalisierte Erwartung an Rationalität zu paradoxen

Situationen führen kann (vgl. STICHWEH 1995:399). Im Rational Choice-

Ansatz wird hingegen der Rationalitätsbegriff erweitert, indem anhand von

Suchmechanismen in Bezug auf Entscheidungsoptionen auch irrationale

Handlungen verständlich werden (bounded rationality).

Vom Rationalitätsbegriff abgeleitet kann dann hinsichtlich der

Nutzenorientierung von sozialen Akteuren im Rational Choice angegeben

werden, daß Rationalität als subjektive Komponente der Handlungs-

entscheidung erfaßt wird, wobei Nutzen auch als Synonym für Interesse steht.

Interessen beziehen sich darüber hinaus auf die Kontrolle von Ressourcen.

Die Thematik der Interessen wird besonders bei COLEMAN (1990) erörtert. Er

geht von einem „allgemeinen Paradigma rationalen Handelns“ aus, wobei

Nutzenmaximierung bei externen constraints thematisiert wird.

„It is possible to formulate the principal’s problem as a special case of thegeneral paradigm of rational action, that is, as the problem of maximizing utility(or interests, the term I use here) subject to certain constraints.“(COLEMAN1990:152)

Nutzen kann folglich operationalisiert werden, indem der Begriff der Interessen

eingeführt wird und in Bezug auf Ressourcen und Ereignisse gesetzt wird. Für

beide gilt dabei, daß Akteure die Kontrolle haben oder Interesse an der

Kontrolle über Ressourcen haben. Bei unterschiedlichen Begierdeobjekten muß

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sich der Akteur dann allerdings auf Transaktion, d.h. Tausch, einlassen (vgl.

COLEMAN 1990:32). Dies kann als Grundaussage der Rational Choice-

Theorie verstanden werden (vgl. Kap.5).

COLEMAN erweitert den Bezugspunkt der Analyse um den Modus der

Ereignisse, da auch der Tausch von immateriellen Ressourcen, wie z.B.

Drohungen, Voraussagen hinsichtlich eintretender Ereignisse bedingt. Auf

diese Weise wird es über die Einführung der Austauschtheorie möglich, im

Zusammenhang mit der Thematisierung von sozialen Interaktionsprozessen in

komplexen Sozialsystemen, Rechte gegenüber Kontrolle von Handlungen als

Tausch zu thematisieren (vgl. COLEMAN 1990:91ff.). Hier wird der Begriff des

Vertrauens näher bestimmt, indem einem anderen Akteur unter der

Voraussetzung, daß dieser im Interesse des Akteurs handeln wird, die Wahl

oder Kontrolle überlassen wird (z.B. im Rahmen eines politischen Mandats).

Gegenüber bisheriger austauschtheoretischer Überlegungen, die den Fokus

auf den flow of benefits in Prozessen sozialer Interaktion richten, während der

Informationsfluß durch symbolischen Interaktionismus dargestellt werden103,

bedeutet dies ein Erweiterung. COLEMAN erweitert die Austauschtheorie,

indem die Kontrolle über Handlungen eingeführt wird. Dies ermöglicht

Analysen, die in der Systemtheorie, im Rahmen von Tauschmedien

durchgeführt werden.

Die wichtige Unterscheidung von Mikro- und Makroebene wird von COLEMAN

in das Zentrum der theoretischen Arbeit gerückt. Er beschreibt

Verhaltensinterdependenzen am Transitionspunkt, als sekundäre Möglichkeit

der Erfassung, da er Transition selbst nicht erfassen kann. Auf der

Systemebene versucht COLEMAN dabei die Interdependenz zwischen

Bewußtseinssystemen und Strukturumbrüchen zu fassen. In der Systemtheorie

wird dieser Sachverhalt in operational geschlossenen Systemtypen analysiert.

Rational Choice-Theorien ermöglichen hingegen die Ableitung dieses

Zusammenhangs. Mikroereignisse können allerdings nicht zu Makrogeschehen

103 PARSONS’ kybernetische Hierarchie: Energie – Information

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aggregiert werden, da hier ein zu behandelndes Transitionsproblem zur

Bearbeitung ansteht (vgl. COLEMAN 1987:153ff.).104

Die unterschiedlichen Analysemöglichkeiten werden in den folgenden

Abschnitten im Rahmen systemtheoretischer und struktur-individualistischer

Ansätze dargestellt.

5.2 Die Analyse der Internationalen Beziehungen im Rahmen der System- konzepte der Allgemeinen Systemtheorie und des Struktur- funktionalismus

Ein überwiegend akzeptiertes Systemmodell erschien in den 50er Jahren alsvielversprechende theoretische Perspektive bei der Analyse der internationalenBeziehungen, denn anhand der Systemkonstruktion, die das Funktioniereneiner Gesamtheit aufgrund der Interdependenzen seiner Teile ableitet (vgl.RAPOPORT 1989:79ff.), sollten die Elemente und ihre Funktionsweisen iminternationalen Systems erfaßbar gemacht und somit Stabilitätsbedingungenund konforme Verhaltensweisen ermittelbar gemacht werden. Dem politischen(Sub-) System kommt dabei besondere Aufmerksamkeit zu, wobeisystemtheoretische Modelle bzw. strukturbezogene Ansätze den Unter-suchungsgegenstand des außenpolitischen Entscheidens und Handelns alsvon bestehenden Strukturen des internationalen Systems abhängigegesellschaftlich-soziale Phänomene erfassen. Das Umfeld als Erklärungs-variable tritt folglich ins Zentrum der Analyse.105 Die theoretischen undempirischen Prämissen der unterschiedlichen Systemansätze sowie dieOperationalisierung des Systembegriffs werden in den folgenden Abschnittenerörtert.

Im Bereich der internationalen Beziehungen gehen die systemtheoretischen

Ansätze insbesondere auf das Konzept der Allgemeinen Systemtheorie106

zurück, die darauf abzielt, eine Theorie aller Systeme zu entwickeln, und dabei

das internationale System als einen Spezialfall behandelt. Das Interesse an

104 Außenpolitischer treffen keine Entscheidungen über die Zukunft des inter-nationalen

Systems, sondern über Zölle usw. Mikroentscheidungen werden aber durch Aspekte desinternationalen Systems determiniert.

105 Auf diese Weise werden in den unterschiedlichen systemtheoretischen Modellen der Staat,das politische Subsystem eines Staates oder organisatorische Zusammenschlüsse alseigentliche Akteure erfaßt.

106 Die Entwicklung der Systemtheorie in den Internationalen Beziehungen war in einer erstenPhase behavioristisch beeinflußt und mit Ziel der Integration aller sozialwissenschaftlichenForschung gekoppelt. Die zweite Phase ist jedoch durch eine Schwerpunktverlagerung inRichtung analytisch-empirische Forschung, d.h. die vergleichende Analyse von Datenmengenund deren maschinelle Verarbeitung, gekennzeichnet (vgl. SIMONIS 1973:62f.).

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Stabilität und Veränderungen des internationalen Systems, Akteurs-

identifikation, Prozeßanalysen, der Methodik der Systematisierung von

Forschungsergebnissen und der Ableitung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten

stehen dabei im Vordergrund.

Durch die Integration von Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften in

einer allgemeinen Theorie isomorpher Strukturen, d.h. mathematischer

Systeme, wird die Erklärung von Phänomenen angestrebt, die, als Einheiten

aufgefaßt, eine organisierte Komplexität aufweisen, sich von ihrer Umwelt

unterscheiden und die je nach Untersuchungsperspektive mit bestimmten

Variablen belegt werden können und sich somit empirisch nachweisen lassen.

Demzufolge kann im Rahmen dieses theoretischen Konzepts von der

Multifunktionalität ihrer konkreten „Vorbilder“ ausgegangen werden. Aspekte

biologischer Systemtheorie und die Untersuchung von Systemverhalten

bekannter, technisch realisierbarer Strukturen aus dem Bereich der Kybernetik

stehen dabei in der Übertragung auf den Bereich der Internationalen

Beziehungen im Vordergrund.107

Neben den unterschiedlich ausgearbeiteten Systemvorstellungen in beiden

Konzeptionen, unterliegt zunächst, gewissermaßen als Erkenntnis-

vorbedingung, die generelle Annahme des Bestehens eines internationalen

Systems. Die begriffliche Systematik fokusiert dabei vorab auf den Aspekt der

wechselseitigen Wirkungszusammenhänge in einem globalen Gefüge.108 Im

wesentlichen sind dabei regionale und funktionale Subsysteme von Interesse.

Als regionale Zusammenschlüsse können zwischenstaatliche und

transnationale Beziehungsgefüge bezeichnet werden, indessen zwischen-

staatliche gegenüber transnationalen keine Zweckbestimmung unterstellen. Als

ein weiteres Strukturelement des internationalen Systems kann die

unterschiedliche Ordnung in den jeweiligen Teilsystemen genannt werden. Hier

107 Beispielsweise die mathematische Variante im Rahmen der Spieltheorie, die Betonung

biologischer Komponenten, z.B. bei D. SINGER oder das kybernetische Modell K. DEUTSCHsoder M. KAPLANs.

108 Das internationale System kann in diesem Sinn seit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes,als ein multipolares Ordnungsgefüge aufgefaßt werden, das durch vielfältige Ordnungs-elemente darstellbar ist.

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weisen Beziehungsstrukturen, z.B. hierarchische, mögliche Erklärungs-

perspektiven auf.

In bezug auf die Annahme des Bestehens eines internationalen Systems wird

im Rahmen der Allgemeinen Systemtheorie, die von der Isomorphie von

Systemen ausgeht und einen allgemeinen Systembegriff herleitet, das Konzept

eines offenen stabilen Systems unterlegt, das gegenüber seiner Umwelt

Regelmechanismen ausbildet, um sich auf diese Weise an veränderte

Umweltbedingungen anpassen zu können (vgl. CHURCHMANN in

Händle/Jensen 1974:105). In der Anwendung dieses Konzepts entwickelt

EASTON (1979)109 sein Erklärungsmodell zur Beantwortung der Frage:

„How do any and all political systems manage to persist in a world of bothstability and change?“(EASTON 1979:17)

Dabei wird die theoretische Annahme unterlegt, daß hinsichtlich des politischen

Bereichs von einem Handlungssystem ausgegangen werden kann, das in seine

Umwelt eingebettet, deren Einflüssen ausgesetzt ist und auf diese wiederum

reagiert. Umwelteinflüsse werden folglich nicht als Störfaktoren angesehen,

sondern als Interaktionsmuster in die theoretische Konzeption aufgenommen.

Auf diese Weise kann das politische Gefüge als ein offenes und adaptives

System definiert werden (vgl. EASTON 1979:17f.). Der Nachweis der

elementaren Funktionen

„without no system could endure - together with the typical modes of responsethrough which systems manage to sustain them“(EASTON 1979:17)

ist für EASTON das zentrale Problem politischer Theorie. Vor diesem

Problemhorizont entfaltet er die Möglichkeiten der Perzeption

„that political interactions in a society constitute a system of behavior“(EASTON1979:18),

das mit verschiedenen Umfeldern, die physikalischer, biologischer, sozialer und

psychologischer Natur sind, umgeben ist, deren Identifikation notwendig macht

109 Das Modell EASTONs wird unter Berücksichtigung des Sachverhalts, wonach sowohl die

Allgemeine als auch die kybernetische Systemtheorie allgemeine strukturelle Beziehungenund Funktionen behandeln, als Beispiel für einen Ansatz aus dem Bereich der AllgemeinenSystemtheorie herangezogen.

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130

(vgl. EASTON 1979:18) und somit die Prämisse zugrunde legt, daß das

politische System als ein offenes gesehen werden muß. Die Einflüsse der

Umfelder

„shape the conditions under which the members of the system must act.“(EASTON 1979:18)

EASTON verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, daß der

Systembestand anhand der internen Wahrnehmung der Fähigkeit des respond

und der damit verknüpften Adaptionsmöglichkeit des Systems an äußere

Bedingungen hergeleitet wird.

Dies ermöglicht die Annahme einer internationalen Gesellschaft in der Weise,

daß

„soziale Einheiten als informationsverarbeitende Netzwerke untersucht werden,die gegenüber der Umwelt zielgerichtetes Verhalten zeigen...“ (SIMONIS1973:68).

Damit ist auch auf den Aspekt der Autonomie von Systemen hinsichtlich ihrer

Selbstregelung verwiesen, denn

„So könnte man sich politische Parteien und Interessengruppen alsOrganisationen vorstellen, die begrenzt fähig sind, sich selbst zu steuern.“(PAWELKA 1973:37)

Daraus abgeleitet werden können auch die Beziehungen (als

Strukturgegebenheiten) und die Interaktionen (als Prozesse) zwischen den

sozialen Einheiten und sind so z.B. als Konfliktsysteme analysierbar. Diese

Perspektive verneint damit einen Gleichgewichtsansatz, der die Variabilität von

Systemen vernachlässigt und kurzerhand alle sozialen Veränderungen lediglich

unter dem Aspekt der Erreichung eines weiteren Equilibriums subsumiert. Auf

den Bereich der internationalen Beziehungen bezogen kann anhand des

EASTONschen Ansatzes damit teilweise die anarchische Struktur des globalen

Beziehungsgefüges zumindest insoweit erfaßt werden, daß Prozesse innerhalb

des Systems nicht als „gegeben-systemerhaltend“ angenommen werden

können, d.h. daß

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131

„at times members in a system may wish to take positive actions to destroy aprevious equilibrium or even to achieve new point of continuing disequilibrium.“(EASTON 1979:20)

In der Entwicklung eines daraus abgeleiteten Anforderungsprofils an das

System thematisiert EASTON, daß

„Wants do not appear on the political scene as demands in some mysterious orinexplicable way. Members of the system must do the converting.“ (EASTON1979:85)

Damit verweist er auf die Notwendigkeit der Formulierung eines Bezugspunkts

der Analyse, die er in Form von einzelnen Akteuren oder Gruppen in das

Modell einfügt und so dem Vorwurf der Vernachlässigung des Sachverhalts

entgeht, daß

„the input of demands is the product of identifiable, observable behavior on thepart of a person or a group.“ (EASTON 1979:85)

Das System muß demgegenüber strukturelle Regulatoren entwickeln, die die

Allokation von Werten für Gesellschaften ermöglichen und die Mitglieder eines

Systems auf die Anerkennung und Durchsetzung dieser Werte zu verpflichten

im Stande sind (vgl. EASTON 1979:86ff.). EASTON faßt dies unter dem Begriff

des support als Inputfaktor eines Systems (vgl. EASTON 1979:153f.).

Zusammengefaßt kann der Input folglich als Anforderungskomplex, bestehend

aus demands und support aus den Umfeldern und der Umwelt definiert werden.

„Thus, in speaking of the input of support, we are able to bring the extremlyvaried external conditions to a focus on a single question: what influences havethey upon fluctuations in support? Support becomes the major summaryvariable linking a system to its environment.“(EASTON 1979:156)

Das System hat schlußfolgernd so lang Bestand, wie es in der Lage ist, eine

Balance zwischen Anforderungen und Unterstützung zu ermöglichen, d.h.

einen quid pro quo-Status zu erhalten. Dies geschieht nach EASTON im

Rahmen von respons (vgl. EASTON 1979:275), die er als

„outputs, coercion and stimulation of good will“ (EASTON 1979:275)

angibt und weiter formuliert, daß

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„These are three interrelated but at least analytically separable, complex sets ofresponses the outcomes of which tend to strengthen the diffuse emotionalattachment toward political objects.“ (EASTON 1979:277)

Der Zusammenhang von demands und support, die Aussagen hinsichtlich der

Verarbeitungsfähigkeit des Systems machen, wird im Output in der Weise

erfaßt, daß dieser als Verhaltensergebnis der politischen Entscheidungsträger

erklärbar wird. Der beschriebene Vorgang wird in Form eines Input-Output-

Modells in den theoretischen Ansatz aufgenommen.

Zusammenfassend kann hinsichtlich des theoretischen Konstrukts David

EASTONs angegeben werden, daß er die beiden Hauptströmungen der

Systemtheorie (Allgemeine und struktur-funktionale) miteinander verknüpft und

damit sowohl die Untersuchung auf Einheiten organisierter Komplexität bezieht,

d.h. keine analytische Zergliederung der Akteure vornimmt, gleichzeitig jedoch

auch ein Teilsystem – hier das politische (Sub-) System – eines Gesellschafts-

systems als Analyseebene wählt. Dabei unterlegt er die Systemvorstellung

eines offenen, stabilen Systems, das über bestimmte Fähigkeiten verfügt, sich

verändernden Umfeld- bzw. Umweltbedingungen anzupassen, um so die

empirisch nachweisbaren ungeordneten Bedingungen auf weltpolitischer Ebene

im Sinn von Interaktionsmustern erfassen zu können. Das politische System

wird hierbei in der Reformulierung im Sinn einer autoritativen

Allokationskompetenz definiert.

Im Rahmen des struktur-funktionalistischen Ansatzes wird explizit

„auf den human-gesellschaftlichen Bereich“ (BUSSE-STEFFENS 1973:20),

fokusiert, wobei von Talcott PARSONS der Versuch unternommen wird, die

Sozialwissenschaften durch eine allgemeine Theorie des Handelns in einem

analytischen System zusammenzufassen (vgl. SIMONIS 1973:65). Der

Strukturfunktionalismus beansprucht dabei

„Gültigkeit für alle sozialen Systeme von der Mikro- bis zur Makroebene, alsoauch für das internationale System...“ (SIMONIS in Nohlen 1993:519)

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133

Ausgangspunkt ist die Annahme sozialer Ordnung und die Frage nach den

Bedingungen ihres Erhalts. Dabei wird auf einen Systembegriff zurückgegriffen,

der ein integriertes, d.h. geschlossenes, System thematisiert. PARSONS

entwickelt dabei als Basishypothese das Vier-Funktionen-Schema und

verknüpft die systemische Ebene mit einer Motivationstheorie, die Handeln als

durch Motive verursachte Kräfte auffaßt, welche in Ableitung PARSONS‘

mechanistischer Systemvorstellung auf das System einwirken. An seine

Ausgangsfrage anknüpfend wird Motivation als systemkonforme Handlungs-

determinante hergeleitet (vgl. SCHÜTTE 1971:39). Konstitutiv wird damit die

Entwicklung eines Rollengeflechts, das die Einheiten des Systems durch Rollen

bestimmt und so eine dezidierte analytisch-funktionale Aufspaltung der

Rollenträger unterlegt (vgl. SIMONIS 1973:67). Die Differenzierung der sozialen

Einheiten wird nach Funktionen festlegt, wobei die Relationen zwischen den

analytischen Subsysteme definiert werden müssen und Funktionalität über

diesen Aspekt hergeleitet wird. Paradigmatischer Ausgangspunkt ist schließlich

ein Handlungssystem, das in seiner Aufspaltung in Subsysteme und deren

Funktionsleistungen

1) u.a. die Thematisierung des politischen Subsystems, als Teil einesGesellschaftssystems, ermöglicht und diesem die Funktion derWertallokation und bindenden Durchsetzung von Werten zuschreibt und

2) den Funktionsbegriff entweder in bezug auf die System-Umwelt- oderSystemteile-Systemganzes-Beziehung herleitet. SIMONIS erläutert diesenSachverhalt folgendermaßen

„Einmal ist ein soziales System von seiner Umwelt nur unterscheidbar, weil esin dieser eine bestimmte Funktion erfüllt und zur Erfüllung der Funktion einMindestmaß an Komplexität (requisite variety) Voraussetzung ist. Zum anderenmüssen in einem sozialen System bestimmte funktionale Leistungen erbrachtwerden (functional requisites), damit das System erhalten bleibt und nicht inseine Umwelt diffundiert.“ (SIMONIS 1973:66).

Der Funktionsbegriff ist somit an den Aspekt der Komplexität gebunden, wobei

explizit ein integrierter Zustand zu erhalten ist.

Das struktur-funktionale Systemmodell beruht dann auch bezüglich der

Übertragung des Ansatzes auf die internationalen Beziehungen auf der

Überlegung, das internationale Beziehungsgeflecht und die sozialen Einheiten

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als eine internationale Gesellschaft mit verschiedenen Subsystemen erfassen

zu können.110

In Social Theory and Modern Society (1967) geht PARSONS im 14. Kapitel –

Polarization of the World and International Order – näher auf die Übertragung

seines Ansatzes auf den Bereich der internationalen Beziehungen ein, indem

er die Zusammenhänge

„from a particular process in our own society to the problem of the nature of theprocesses of integration which appear to be going on in the world as a whole“(PARSONS 1967:466)

herstellt und die Möglichkeit der Etablierung einer solid basis of international

order thematisiert, die er unter dem Begriff der „modernization“ (vgl. PARSONS

1979:466) zusammenfaßt. Wesentlich ist ihm dabei, daß

„underneath the ideological conflicts that have been so prominent, there hasbeen emerging an important element of very broad consensus at the level ofvalues“ (PARSONS 1979:466),

die PARSONS als spezifischen Integrationsmechanismus darstellt.

Die Überlegungen zur Thematik internationaler Ordnung sind vor dem

Hintergrund des Vietnam-Krieges und den damit überdeckten Spannungen

zwischen den Weltmächten USA und UdSSR zu sehen. Er fokusiert damit auf

ein internationales System, das er in seiner Bipolarität als

„The greatest and most immediate danger to world peace“ (PARSONS1967:467)

betrachtet. Die Entwicklung von Interdependenzen auf internationaler Ebene

erschwert dabei die Isolierung eines Subsystems, das - ist es nicht von

untergeordneter Wichtigkeit - aufgrund der bestehenden Bedingungen strenge

Kontrollmechanismen hinsichtlich der analytisch notwendigen Begrenzungen zu

seinem Umfeld aufweisen muß (vgl. PARSONS 1967:467). Dies leitet er über

den Aspekt her, daß innerhalb der Strukturen des internationalen Systems

laufende Prozesse angenommen werden, die einen funktionalen

Zusammenhang aufweisen und das System in diverse Subsysteme

110 Das theoretische Konzept Talcott PARSONS’ ist für die Analyse internationaler Beziehungen

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untergliedert, wobei den einzelnen Subsystemen bestimmte Funktions-

erfordernisse hinsichtlich der Erhaltung des internationalen Systems unterstellt

werden. Die Beziehungen zwischen diesen Subsystemen sind von gegen-

seitiger Abhängigkeit gekennzeichnet und wirken ebenfalls wechselseitig auf

einander ein.

„Die so bestimmten und bestimmbaren Relationen sind sowohl für dieBeschreibung des Systems als auch für die Konstruktion von Ordnungs- undBezugsrahmen von entscheidender Bedeutung.“ (BUSSE-STEFFENS 1980:32)

Auf diese Weise können z.B. internationale politische Organisationen oder

wirtschaftliche Zusammenschlüsse erfaßt werden. In der Übertragung des

geschlossenen Systemkonzepts - das für den Bereich des nationalen

politischen Systems Politik als funktionalen

„Teilbereich des arbeitsteiligen Gesellschaftssystems und gesell-schaftlicheExistenzbedingung durch die verhaltenssteuernde Wirkung seinerEntscheidungs- und Leistungsfunktion“ (BUSSE-STEFFENS 1980:33)

erfaßt - auf den Bereich der internationalen Beziehungen, kommt einem

internationalen politischen System besondere Bedeutung zu, da sich hier

soziales Handeln in politischem Kontext zeigt. Fokusiert wird dabei auf die

Bildung und Durchsetzung verbindlicher Regelungen, die notwendig sind, um

die gesellschaftliche Koordination aller gesellschaftlichen Subsysteme zu

erreichen. In diesem Zusammenhang geht es um die Erkennung bzw.

Formulierung von Motivations- und Wertorientierungsmustern, die nicht nur

Bestandteil von Handlungen sind, sondern Untersuchungsgegenstand.

PARSONS entwickelt sein Konzept einer internationalen Ordnung durch die

Hinwendung auf den Begriff der Modernisierung und die ihr unterlegten

Zielsetzungen durch die Staaten der westlichen Welt:

„industrialization, economic development, political independence andautonomy, and the like“ (PARSONS 1967:468),

nur ansatzweise entwickelt worden und kann demzufolge nur aspekthaft dargestellt werden.

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die er als Konzept der Industrialisierung und damit auch als universell

anerkannte Einflußnahme bezeichnet (vgl. PARSONS 1979:468). Vom

Standpunkt der Wertbetrachtung leitet er dabei wirtschaftliche Produktivität als

„the core of this pattern“ (PARSONS 1979:469)

ab, die den Lebensstandard verbessert, Konsum auf einem höheren Niveau

und soziale Sicherheiten, wie Gesundheitsfürsorge und Bildung, ermöglicht.

Damit leitet PARSONS auf einen weiteren wesentlichen Bereich über: Die

Thematik der Autonomie von Gesellschaften und Gruppen und die damit

verknüpfte Frage nach Gleichheit (vgl. PARSONS 1967:469).

„As might be expected, this has involved a general challenge to the superiorstatus of traditional elites. On the one hand, this theme has an „internal“ frameof reference, in that it pertains to territorial societies; on the other, it pertains toa demand for equal status as societies, with its bearing on politicalindependence.“ (PARSONS 1979:469)

Dies bedingt nach PARSONS‘ Auffassung schließlich eine strukturelle

Differenzierung (vgl. PARSONS 1967:471), die

„in turn, presupposes a common normative framework, primarily on the level ofvalues.“ (PARSONS 1967:471)

Die Wertebetrachtung nutzt PARSONS als Grundlage von Fragestellungen

hinsichtlich der Konfliktpotentiale auf internationaler Ebene. Nicht die kulturelle

Relativität und ideologische Unterschiedlichkeit, sondern wirtschaftliche

Produktivität und politische Macht sind die interessierenden Aspekte, denen er

besondere Aufmerksamkeit widmet. PARSONS beschreibt davon ausgehend

den Sachverhalt der Übernahme dieser Werte durch Gesellschaften, die diese

nicht durch eine Tradition begründen können, sondern vielmehr in der

Übernahme eine Art von Identifikation ausdrücken (vgl. PARSONS 1967:472).

Dies bedeutet jedoch keine Begründung eines gemeinsamen Wert-

verständnisses

„Rather, it represents an instrumental consensus on the valuation of capacities,at various levels of the organization of the society, to undertake whateveractivities may be deemed most important to the welfare of that society.“(PARSONS 1967:472)

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Darüber hinaus, so gibt PARSONS an, beinhaltet wirtschaftliche Produktivität

und politische Integration die Möglichkeit der Festigung der normativen

Ordnung gegenüber wirtschaftlicher Prädominanz in den unterschiedlichen

Subsystemen des internationalen Systems. Dies, so gibt er an, ist:

„the primary reason for the fact that present major conflicts are conceptualizedin political terms, in spite of the ideological prominence of economicconsiderations“ (PARSONS 1967:472),

wobei die Autonomiefrage einen zentralen Stellenwert in dieser Thematik

einnimmt. PARSONS faßt dies im Sinn eines „Unterordnungsaspekts“

zusammen, was auf den Bereich der Wertallokationskompetenz hinführt (vgl.

PARSONS 1967:472f.). In systematischen Zusammenhang gebracht,

entwickelt PARSONS das Modell eines Systems, das folgende Merkmale

aufweist:

„The first of these comprises a set of minimum rules through which theimplications of these values are defined in practice within the system. Thesecond component is the structure of interests, which must be differenciated atappropriate levels. The third is an ideology in which the system of reference isdefined as an empirical entity, rather than an ideology concerned merely withvalue patterns which define directions of desirability.“ (PARSONS 1967:474)

Zusammengefaßt entwirft PARSONS in seinem Essay Polarization of the World

and International Order (1967) ein System, das neben der Polarisierung

insbesondere auf Wertorientierung basiert. Werte, so PARSONS, begründen

Vorbedingungen internationaler Ordnung (vgl. PARSONS 1967:487), wobei er

einräumt, daß sie

„be spelled out in concrete terms. Moreover, it is particularly important that theybe defined in terms of norms at a level of the procedures through which theycan best be implemented.“ (PARSONS 1967:487)

Ausgehend vom Aspekt der normativen Orientierung kann für PARSONS‘

Erklärungsansatz insgesamt gesehen angegeben werden, daß die Integration

des internationalen Systems im Zentrum der Analyse steht. Dabei kann der

Frage nachgegangen werden, wie das als soziales Makrosystem erfaßte

internationale System die funktionalen Erfordernisse in spezifischen

Subsystemen ausbildet.

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Zusammenfassend läßt sich formulieren, daß die deskriptive Dimensionen der

Untersuchung außenpolitischen Entscheidens und Handelns vor dem

Hintergrund des Erkenntnisinteresses, das sich auf die Erforschung von

Frieden im internationalen System bezieht, in systemtheoretischen Modellen in

der Weise bearbeitet wird, daß der Untersuchungsgegenstand über die Bildung

von Taxonomien von im Entscheidungsprozeß relevanten Faktoren zu erklären

versucht wird. EASTON und PARSONS führen in diesem Rahmen eine Werte-

betrachtung in ihre theoretischen Konzeptionen ein. Als Umfeldansätze sind

systemtheoretische Konzeptionen bemüht, das Entscheidungs- und

Handlungsverhalten von Akteuren - Rollenträgern oder konkreten Einheiten -

mit den sie umgebenden Bedingungen eines übergeordneten Gesellschafts-

systems zu deuten. Wer jedoch im konkreten Fall als Entscheidungsträger

betrachtet werden muß, wird unter Rückbezug auf das Umfeld als

Erklärungsvariable nicht weiter ausgeführt. Da Individuen in makro-

soziologischen Konzeptionen ohnehin nur als Teilaspekt eines umfassenderen

Ganzen betrachtet werden, muß statt dessen über die Integrationsleistung des

Gesamtsystems hinsichtlich divergierender Interessen eine Zielorientierung in

Richtung Systemerhalt gedacht werden. Auf welche Weise Interessen

kooperativ oder konfligierend entstehen wird aber nicht behandelt, sondern

diese als Interaktionsmuster bzw. Störfaktoren in die Ansätze eingeführt und

mit Hilfe systemimmanenter Regelungsmechanismen „verarbeitet“.

Außenpolitische Entscheidungs- und Handlungsprozesse werden somit in der

Kategorie „Staatshandeln“ erfaßt, wobei Anlaß und Ziele von staatlichem

Handeln als selbstdefiniert angegeben werden. Die analytische Ebene, d.h. die

Erklärung von Entscheidungs- und Handlungsprozessen entwickelt sich somit

im Rahmen systemimmanenter Betrachtung und wird weder bei EASTON noch

bei PARSONS unter expliziter Nennung von Problemlösungsstrategien oder in

Zusammenhang mit Rückkoppelungsprozessen im internationalen System

behandelt, obwohl sich gerade die systemische Ebene für diese

Analyseperspektive eignet. Für die nomothetische Dimension kann dabei

angegeben werden, daß die vorgestellten Konzeptionen auf eine idealtypische

Weise die Wertebetrachtung als Grundlage heranziehen und dementsprechend

nur unzureichende Erklärungssätze für schematisch aufgezeigte Zusammen-

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hänge liefern. Als zentrales Problem kann schlußfolgernd angegeben werden,

daß der Zusammenhang und die wechselseitigen Wirkungen zwischen der

Struktur und dem Akteur nicht ausreichend dargestellt werden. Zudem

„werden die personellen, sozialen und institutionellen Attribute desEntscheidungsträgers vernachlässigt bzw. gehen im Rollenverhalten auf [...]."(HAFTENDORN in Rittberger 1990:417).

Die Erörterung der Grenzen der Anwendung systemtheoretischer Ansätze im

Bereich der internationalen Beziehungen fokusiert somit insbesondere auf die

Implikationen der in den theoretischen Konzepten zugrunde gelegten

Prämissen. In diesem Zusammenhang erfolgt auch eine kritische Betrachtung

der Problemlösungsvorschläge in gesellschaftlichen Zusammenhängen.

5.3 Grenzen der Anwendung systemtheoretischer Ansätze im Bereich der internationalen Beziehungen

Die Grenzen der Anwendung systemtheoretischer Konzeptionen lassen sichsowohl anhand methodologischer, als auch inhaltlicher Art aufzeigen. DieDifferenzierung zwischen den Systemkonzepten allgemeiner und struktur-funktionaler Systemtheorie erfolgt dabei anhand der grundlegenden Variablenin beiden Ansätzen.

Jede Wissenschaft hat ihre eigenen Begriffe, mit denen sie interessierende

Phänomene der Wirklichkeit zu beschreiben und zu erklären versucht. Die

Vielfältigkeit der Aspekte auch in ausgewählten Teilbereichen realer

Zusammenhänge ist jedoch so immens, daß wissenschaftliche Modelle sich

dabei der Wirklichkeit nur annähern, diese jedoch nie exakt erfassen können.

Wird aber Wissenschaft und Wirklichkeit gleichgesetzt, d.h. wird Wissenschaft

für ungerechtfertigt wirklichkeitsnah gehalten, entsteht ein Reifikationsproblem.

Je komplizierter das theoretische Erklärungsmodell ist, desto eher kann

aufgrund der vermeintlichen Vollständigkeit desselben auch die Gefahr der

Reifikation auftreten. Vor dem Hintergrund des Anspruchs systemtheoretischer

Theoriebildung, wonach Theorie dazu dient

„ein Sprachspiel (eine semantische Ordnung) zu entwerfen, welches dieDefinition universaler Probleme erlaubt“ (WILLKE 1993:9),

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kann die Problematik der Reifikation insoweit deutlich gemacht werden, daß der

Begriff Universalität die Erfassung unterschiedlichster Bereiche der Forschung

anspricht, d.h. die interdisziplinäre Anschlußfähigkeit von Theorien, die die

Entwicklung eines einheitlichen Begriffsapparates zur grundlegenden

Komparatistik von Systemproblemen und Lösungsmöglichkeiten, einschließt.

Die Behandlung von Problemen erfolgt dabei arbeitsteilig in den einzelnen

Disziplinen, die Lösung muß jedoch in der Gesamtschau erbracht werden. Im

Rahmen des systemtheoretischen Programms ist dies nicht erfolgt, womit die

angestrebte Erklärungs- und Problemlösungsfähigkeit als relativ eingeschränkt

zu betrachten ist. Der im Makroansatz der Konzeption enthaltene

Allgemeinheitsanspruch, der sich auf den ausgewählten Geltungsbereich

bezieht, kann somit nicht schlüssig erfüllt werden.

Systemtheoretische Ansätze haben im Bereich der Makroanalysen zwar neue

Überblicke hinsichtlich gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge ermöglicht,

allerdings aufgrund weitreichender Abstraktion aus dem historischen Kontext.

Da der formale Charakter des systemtheoretischen Theoriegebäudes bedingt,

daß erst durch Generalisierungen die systemische Betrachtung des

ausgewählten Untersuchungsbereichs erfolgen kann, müssen aus einem

Gesamtzusammenhang Teile hervorgehoben und in einen Merkmalszu-

sammenhang gestellt werden. Dies ist insofern problematisch, da im

Zusammenhang mit den zu erklärenden Aspekten die sie beeinflussenden

Elemente nicht konstant sind - oder nur unter entsprechend weitreichenden

Kriterien als konstant angenommen werden können. Im Rahmen der

Bestimmung von Variablen kommt zudem erschwerend hinzu, daß deren

Definition zum Teil durch Deskription ersetzt wird, wobei die Gefahr der

Tautologie gegeben ist. Im Bereich der angestrebten Taxonomien bedingt

dieser Sachverhalt, daß aus Hypothesen schnell Ist-Aussagen abgeleitet

werden.

Unter der Vorannahme der Allgemeinheit von Merkmalen, seien dies

Verhaltensweisen oder Motivationen, die zwar offensichtlich sind, aber nicht

wissenschaftlich bewiesen, bleiben die Variablen-Beziehungen in system-

theoretischen Ansätzen dabei oft unklar, d.h. ihr Zusammenhang und die sie

bedingenden Konsequenzen lassen sich nicht überprüfen und Variablen

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bleiben somit oft reine Merkmalssammlungen. Die Hypothesenbildung im

Rahmen systemtheoretischer Ansätze gerät in diesem Zusammenhang leicht in

Gefahr, die empirische Überprüfbarkeit nicht durch die Erfüllung bestimmter

Kriterien untermauern zu können. Das Theoriegebäude ist insgesamt empirisch

schwer zugänglich und nur bedingt umzusetzen.111

Die als deskriptive Theorie verstandene Konzeption ist im sozialwissen-

schaftlichen Bereich auf bestimmte gesellschaftliche Ebenen und bestimmte

Arten von Problemen gerichtet. Das grundlegende Moment der Erfassung von

Wirklichkeit ist die Rekonstruktion sozialer Phänomene als System. Die dabei

notwendige Differenzierung zwischen Wirklichkeit und theoretischem Modell

kann an folgendem Beispiel deutlich gemacht werden:

Ein technisches System wird als funktionierend angesehen, wenn es die

Resultate erbringt, die bei seiner Konstruktion zur Zielerreichung vorgegeben

wurden, z.B. ein Raketenantrieb. Der Systembegriff ist dabei 1. für den

ablaufenden Prozeß innerhalb des Raketenantriebs verwendbar und 2. für die

Vorstellung, die ein Betrachter mit dem „Gebilde“ eines Raketenantriebs

assoziiert. Soziale Gebilde, als Systeme aufgefaßt, sind jedoch nicht

konstruiert, d.h. nach einem bestimmten Plan entworfen. In der theoretischen

Rekonstruktion werden lediglich ausgewählte Objekte der sozialen Wirklichkeit

als analytische Systeme - im Bereich der Sozialwissenschaften sind es

beispielsweise Handlungssysteme - abgebildet. Dabei werden Variablen mit

bestimmten Ausprägungen und Beziehungen untereinander angenommen,

wobei durch die Bestimmung unterschiedlicher Ausprägungen von Variablen

deren Werte variieren können, somit Veränderungen von Systemelementen

beobachtbar werden und auf diese Weise die Annahme von Ablaufprozessen

zulassen. In diesem Sinn weisen Handlungssysteme bestimmte

111 Bei MIEBACH (1984) findet sich die Ausführung dieser Problematik in besonders

anschaulicher Form am Beispiel der strukturalistischen Handlungstheorie PARSONS’. Andieser Stelle soll allerdings aus Gründen der thematischen Begrenzung lediglich auf dieunterschiedlichen Ebenen der Behandlung dieser Thematik verwiesen werden. MIEBACHleitet die Entwicklung des Erklärungsprogramms in der Weise her, daß er die Ebenen derFormalisierung von der Wissensstruktur über die theoretisch-logischen Elemente hin zuempirisch-referenziellen Komponenten gliedert und diese jeweils problemorientiert auf denGehalt der zugrunde gelegten Grundhypothesen überprüft. Als Ergebnis findet sich dieBestätigung der Aussage, daß der Bezug zur empirisch-referentiellen Ebene in den ArbeitenPARSONS’ nebulös bleibt.

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Regelmäßigkeiten auf, die als Teilaspekt der Wirklichkeit, d.h. der real

ablaufenden Prozesse, im Rahmen von Systemmodellen erfaßbar sind. Hier

liegt ein weiterer problematischer Aspekt systemtheoretischer Erklärungs-

modelle, denn der der Systemtheorie allgemein anhaftende Vorwurf des

Mangels der Prämissenreflexion verweist auf die Gefahr einer verborgenen

Ontologie. Dies bedeutet in der Konkretisierung möglicherweise eine

unreflektierte Akzeptanz sozialer Sachverhalte, die kritisch hinterfragt werden

müßten.

Im Rahmen der Anwendung systemtheoretischer Konzeptionen von Vertretern

der allgemeinen Systemtheorie wird zunächst der Untersuchungsbereich der

internationalen Beziehungen in verschiedene Anwendungsbereiche aufge-

gliedert, wobei interdependente Aktionsebenen gekennzeichnet werden

müssen, so z.B.:

1. das weltpolitische Interaktionssystem als Subsystem des internationalenWeltsystems, wobei Akteure als Einheiten bestimmbare Beziehungenzueinander haben. Das Systemverhalten an sich ist in diesem Bereich vonInteresse.

2. regionale Subsysteme, die Zusammenschlüsse wie z.B. die NATO oder die

Europäische Union, darstellen 3. nicht-regionale spezifische bi- oder multilaterale Beziehungsgeflechte, wie

z.B. die UNO 4. außenpolitische Interaktionsprozesse5. intranationale Prozesse, die Einfluß auf außenpolitische Entscheidungs-

und Handlungsvorgänge haben 6. transnationale Korporationen (vgl. BUSSE-STEFFENS 1980:127f).

Auf den unterschiedlichen Aktionsebenen wird dann versucht, unterschiedliche

Sachverhalte im internationalen System aufeinander zu beziehen und ihren

Systemcharakter herauszustellen. Dabei müssen die grundlegenden Variablen

beschrieben und ihre Beziehungen untereinander ermittelt werden.

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„Für die Beziehungen werden Regeln aufgestellt, die in Bezug auf denSystemerhalt normativen Charakter haben. Unter diesen Bedingungen lassensich systematische Wirkungszusammenhänge in technischen, ökonomischenund politischen Bereichen feststellen.“ (BUSSE-STEFFENS 1980:132).

Der Fokus der Erklärungsperspektive hinsichtlich interessierender Sachverhalte

richtet sich dabei z.B. auf ein internationales politisches System, dem die

Eigenschaft bzw. die Funktion der Wertzuweisung zugeschrieben wird. Als

Vorannahme muß hier jedoch gelten, daß ein wesentliches Moment der

Erfassung des Gesamtsystems das Fehlen einer zentralen Entscheidungs-

instanz mit bindender Durchsetzungskraft von Regelungen ist. Entsprechend

kann nur der Sachverhalt des politischen Handelns auf den Bereich der

Erfassung der internationalen Beziehungen übertragen werden, was die

Thematisierung einer gewissen Koordination von unterschiedlichen Interessen

hervorruft. Die friedliche Regelung von Konflikten im internationalen Rahmen

verläuft dabei vornehmlich über Verhandlungen. Der Bereich der inter-

nationalen Beziehungen kann auf diese Weise auch als Interaktionsfeld der

Weltpolitik verstanden werden, wobei Bezug auf alle Bereiche globaler

Beziehungen genommen wird, d.h. internationale, multinationale und

transnationale Interaktionen. Angestrebt wird so die Benennung der

unterschiedlichen Analyseebenen der internationalen Politik ebenso wie die der

internationalen Beziehungen (vgl. BUSSE-STEFFENS 1973:29f.). Das

Interaktionsfeld der Weltpolitik, im hier verstandenen Sinn, weist demzufolge

bestimmte Akteure (Individuen, Staaten oder Gruppen) auf verschiedenen

Aktionsebenen (z.B. regionale Subsysteme, multilaterale Beziehungsgefüge

oder transnationale Aktionssysteme) auf, die interagierend ein System bilden.

Dabei können sowohl Aktionen als auch die Reaktionen in ihrem systemischen

Zusammenhang ins Blickfeld treten. Im Rahmen kybernetischer System-

vorstellungen aus dem Bereich der Allgemeinen Systemtheorie wird hierbei die

Vorstellung eines input-output-Mechanismus auf den weltpolitischen Bereich

übertragen, anhand dessen die Identifizierung der außenpolitischen

Entscheidungs- und Handlungsprozesse ermöglicht werden soll.

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144

Bei der Untersuchung von Problembereichen lassen sich dann die Grenzen der

Anwendung insoweit erschließen, daß hinsichtlich von Problem-

lösungsstrategien Problembereiche zunächst einmal dargestellt werden

müssen. Die Untersuchung des internationalen Systems, als Interaktionsfeld

betrachtet, fokusiert auf den individuellen Akteur als kleinster Einheit. Normativ

begründete Interaktionen, als Handlungssequenzen verstanden, werden dabei

in Form ihrer Problemlösungskapazität in bezug auf systemintegrierende

Regelungsmechanismen in die Gesamtkonzeption aufgenommen. Politisches

Handeln muß jedoch als zweck- und zielorientiert in die theoretische

Konzeption einfließen. Der Grundbegriff des Interesses tritt dabei ins Zentrum

der Erörterung. In diesem Zusammenhang werden Begriffe wie Wahrnehmung

und Nützlichkeit, Macht, Kooperation und Konflikt definitionsbedürftig und

können nicht im Rahmen einer „Systemrationalität“ erfaßt werden. Mit Hilfe

systemtheoretischer Ansätze wird jedoch Konflikt in seinen diversen

Ausprägungen als Systemzustand ermittelt und dabei als eine systeminterne

Integrationsschwäche, die sich explizit auf das politische (Sub-)System bezieht,

gedeutet.

EASTONS Ansatz erfaßt in diesem Zusammenhang das politische System als

einen grenzeinhaltenden Satz von Interaktionen, der in andere gesellschaftliche

Systeme eingebettet und ihrem Einfluß ausgesetzt ist. Der außenpolitische

Entscheidungsprozeß wird aber nicht näher thematisiert, sondern statt dessen

im Rahmen des input-output-Modells über Anforderungen und Leistungen

diskutiert. Es entfällt weiterhin die Verdeutlichung interdependenter

Beziehungen zwischen politischen und gesellschaftlichen Anforderungen,

sowie die Erörterung internationaler Vernetzung. Die Verkürzungen des

EASTONschen Ansatzes können anhand der Erweiterungen, die CZEMPIEL

(1981) vornimmt, deutlich gemacht werden, wobei bereits an dieser Stelle

darauf hingewiesen werden muß, daß auch CZEMPIELs struktur-funktionaler

Ansatz in der Operationalisierbarkeit große Probleme aufweist und sich das

gebrochene Gittermodell (vgl. CZEMPIEL (1981) nur schwer mit empirischen

Daten füllen läßt.

Mit der Einführung funktionaler Sachbereiche in die theoretische Konzeption

versucht CZEMPIEL, die vielfältigen Aspekte außenpolitischer Entscheidungs-

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145

und Handlungsprozesse umfassend zu thematisieren. Der Zusammenhang

zwischen politischem System und Gesellschaft wird dabei in der Weise zu

verdeutlichen versucht, daß vor dem Hintergrund des sich in Richtung

Globalisierung verändernden Weltgefüges neben dem politischen Subsystem

auch andere gesellschaftliche Gruppen Kompetenzen haben können – wenn

auch nicht in rechtlicher Form. Darüber hinaus generiert das internationale

System, welches die Umwelt des politischen Systems in Form eines

Handlungszusammenhangs in den internationalen Beziehungen beschreibt,

infolge der zunehmenden Interdependenz ebenfalls eine Verteilung von Werten

– wiederum nur faktisch, nicht rechtlich autoritativ, da keine Rechts-

sprechungsinstanz mit Sanktionsgewalt vorhanden ist. Erörtert wird in

CZEMPIELs theoretischem Ansatz somit vornehmlich die Gleichsetzung des

Prozesses der Wertzuweisung, der Kontextverschiedenheit und der

Problemlösungskapazität eines erweiterten Politikbegriffs. Die Unterscheidung

von Innen- und Außenpolitik entfällt, da die Mittelauswahl bei der

Wertzuweisung thematisiert wird und das politische System sowie bestimmte

gesellschaftliche Gruppen innerhalb des Umfeld-/Umwelt-Zusammenhangs

zugunsten der Wertallokation handeln, woraus sich die Entscheidung für

adäquate Mittel zur Zielerreichung ergibt.

Durch die Verknüpfung von Systemtheorie und Funktionalismus im Rahmen

des Strukturfunktionalismus entwickelt sich die Perspektive der Differenzierung

von Struktur und Funktion, die es erlaubt, Strukturwandel in Zusammenhang

mit Funktionsveränderungen zu betrachten. Die damit verbundene Gleich-

setzung eines Organismus und seiner funktionalen Bedürfnisse führt im

Analogiebildungsprozeß zur Auffassung von Gesellschaft als Organismus und

einer Verhaltensinterpretation im organizistischen Sinn, wobei das gesell-

schaftliche System nicht aus Personen, sondern aus Rollen besteht, denen

bestimmte Funktionen unterstellt werden. Damit wird eine weitere Problem-

stellung in der Modellierung sozialer Sachverhalte angesprochen, die die Kritik

am funktionalistischen Aspekt sozialwissenschaftlich gewendeter System-

theorie ansetzen läßt.

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146

Das Programm des Funktionalismus in der Politikwissenschaft gliedert sich in

drei unterschiedliche Richtungen, die vom ekklektischen über den empirischen

Funktionalismus hin zum struktur-funktionalen Ansatz reichen (vgl. BEYME

1980:104ff.). Der folgende Abschnitt beschäftigt sich dabei mit der Kritik sowohl

des empirischen Funktionalismus als auch des Strukturfunktionalismus, da

beide Richtungen in die Erklärungsansätze sozialwissenschaftlicher System-

theorie eingegangen sind und in ihrer Verknüpfung nicht eindeutig differenziert

werden.112 So behandelt der empirische Funktionalismus, wie ihn z.B. Robert

MERTON vertrat, lediglich die Anpassung an ein gegebenes System nach

latenten und manifesten Funktionen in der Form, daß letztgenannte von den

Individuen nicht beabsichtigt oder erkannt werden und damit die

Differenzierung zwischen Funktionen und Motiven möglich wird (vgl. BEYME

1980:105).

Der struktur-funktionale Ansatz PARSONS’ strebt hingegen eine umfassende

Erklärung institutionalisierten Verhaltens im Rahmen von sozialen Rollen an.

Dabei wird der Ist-Zustand der Auswahl der soziologisch interessierenden

Sachverhalte fokusiert und der als System begrifflich gefaßte, aus einer

Gesamtheit herausgenommene Teilbereich systematisch analysiert. Nach der

Benennung von vier grundlegenden Funktionen, deren Erfüllung für den

Bestand des Systems notwendig ist, erfolgt die Identifizierung von vier

Systemeigenschaften, anhand derer der Ausgangspunkt des Erklärungs-

ansatzes überprüfbar gemacht werden soll. Eine allgemeine Theorie des

Handelns, die die Interaktionen von Handelnden, die ein System bilden,

beschreibt, wird zur Vervollständigung der Gesamtkonzeption unterlegt. Die

Systemdefinition des struktur-funktionalen Ansatzes legt dabei als Variablen,

mit deren Hilfe die Interaktionen und Beziehungen des Systems erfaßt werden

sollen, analytische Einheiten, d.h. soziale Rollen, fest. Dies führt bei der

Operationalisierung zu Problemen, die sowohl den Rollenbegriff113 an sich

berühren, als auch die Vernachlässigung der raum-zeitlichen Kontextuali-

sierung der Rolle und schließlich ebenfalls den Einfluß des Rollenträgers auf

das spezifische Rollenverhalten vernachlässigen. In Zusammenhang mit der

112 Siehe z.B. SCHÜTTE (1971).

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Organismus-Analogie, die das „Überleben“ als Bezugspunkt der funktionalen

Analyse aufweist, kann die Problematik folgermaßen deutlich gemacht werden:

PARSONS‘ theoretisches Konzept wird auf der Grundlage einer

Sozialisationstheorie, in der Persönlichkeitsbildung als relativ einseitiger Prozeß

der Verinnerlichung gesellschaftlicher Werte durch das Individuum aufgefaßt

wird, entwickelt. Das Individuum geht in diese Konzeption als nahezu passives

Objekt des Sozialisierungsprozesses ein, wobei die Gesellschaft nach ihren

Bedürfnissen und aufgrund der individuellen Eigenschaft von „Plastizität“

Verhaltensweisen quasi implementiert. Vernachlässigt wird dabei die

individuelle und veränderliche Komponente der Kognition, die keine

unwesentliche Größe im Gesamtkomplex des als System rekonstruierten

empirischen Zusammenhangs und der unterstellten Zielorientierung der

Erhaltung des Gleichgewichtszustandes ausmacht. PARSONS leitet jedoch auf

diese Weise theoretisch her, daß das Individuum immer das will, was die

Gesellschaft erwartet.

„The key question associated with this approach concerns whether theindividual persons are socialized to conform to these expectations or whetherthe socialization system „misfires“ or fails in some way and deviant behavioroccurs, in which case an ancillary set of mechanisms, usually categorizedunder the heading of „social control“, is called into play.“ (MÜNCH/SMELSER inAlexander/Giesen/Münch/Smelser 1987:380).

Bedürfnisse werden dabei durch gesellschaftliche Werte definiert, d.h.

Zielvorstellungen von Personen werden mit denen des Systems überlagert und

so die Bedürfnisbefriedigung des einzelnen und die funktionalen Erfordernissen

des Gesamtsystems gleichgesetzt. Die Beschreibung von Rollengeflechten

ersetzt dabei die Untersuchung individuellen Verhaltens, wobei die Gruppe und

der Überlebensaspekt des gesellschaftlichen Organismus identifiziert wird,

ohne jedoch die Personenmenge zu betrachten (SCHÜTTE 1971:28). In der

Konkretisierung bedeutet dies, daß einzelne soziale Erscheinungen nicht

isoliert erfaßt, sondern in ihrer Beziehung zu einem umfassenden Ganzen

untersucht werden.

113 Bei der Operationalisierung des Rollenbegriffs, d.h. Rollenerwartung, Rollenwahrnehmung

und Rollenverhalten, müßte ein Durchschnitt der Konzepte angezeigt werden.

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In der Übernahme eines organizistischen Modells auf den Bereich der

Sozialwissenschaften entwickelt das gesellschaftliche System, als über-

geordnete Größe, dann die Zielvorstellung auf einen Gleichgewichtspunkt hin.

Gleichgewicht wird folglich zu einer zentralen Kategorie im struktur-funktionalen

Ansatz (vgl. SCHÜTTE 1971:30). Eine explizite Definition von Gleichgewicht

bleibt aber aus, d.h. relevante Eigenschaften werden nicht genannt, sondern

lediglich funktional die Gleichgewichtsabhängigkeit des Systems von aus-

gewählten Elementen angegeben, wodurch die Formulierung von Aussagen

ausbleibt. Statt dessen versucht PARSONS über den Begriff der Integration im

Rahmen der sozialen Rolle und die Benennung von Werten, was kein Ziel im

eigentlichen Sinn ausmacht, die Grundlage seiner theoretischen Annahmen

herzuleiten. Psychologisch betrachtet wird dabei die Thematik von Widerstand

ausgeblendet und entlang der gewählten Argumentationslinie die Herleitung der

Notwendigkeit von strukturellem Wandel unterlassen, beziehungsweise

struktureller Wandel nur als abnorm erfaßbar gemacht (vgl. DAHEIM in

Endruweit 1993:42f.). Inhaltlich weist die theoretische Konzeption PARSONS‘

damit die Problematik einer stark konservativen Perspektive auf. Als Kritikpunkt

läßt sich hier insbesondere die statische Perspektive auf der ideologischen

Ebene anführen. PARSONS kann unterstellt werden, daß der Begriffsapparat

seines theoretischen Ansatzes eine Bestätigung des Status quo bestehender

Verhältnisse impliziert und soziale Ungerechtigkeiten mit der Überbetonung

normativer Elemente des Handelns überdeckt.

Idealtypisch dem Konzept der Sozialisation folgend kann weiterhin das

Machtkonzept, das PARSONS entwirft, als altruistisch geprägt aufgefaßt

werden. Gewaltanwendung zur Durchsetzung von Interessen gegenüber

anderen, als Widerspruch dazu, kann nicht aufgezeigt werden. Antagonistische

Interessen sind in dieser Konzeption ohnehin nicht Gegenstand der Erörterung.

Die Konsequenz ist ein Gesellschaftsbild, das einheitlich und integriert ist und

in dem Interessen kollektiv entwickelt werden. Macht zur Erreichung kollektiver

Ziele wird im Ansatz des altruistischen Verhaltens des Individuums in diesem

Sinn als rationales Verhalten aufgefaßt (vgl. DAHEIM in Endruweit 1993:41f.).

Zwischen Herrschenden und Beherrschten bestehen jedoch Divergenzen und

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daher ist der Aspekt der Machtauflösung als rationales Interesse der

(beherrschten) Individuen aufzufassen. PARSONS Akteure fallen jedoch nicht

mehr in die Kategorie „Subjekt“ oder „Individuum“, sondern sind vielmehr

Befolger von Normen und Werten mit der Zielsetzung der Erhaltung des

Systembestandes. Die Entscheidungsträger vertreten dementsprechend nicht

individuell-subjektive Sichtweisen, sondern folgen bei ihren Entscheidungen

dem Selbstverständnis der Institutionen, die sie repräsentieren.114 Unter

Vernachlässigung der Intentionen der Handelnden können schließlich

Konsequenzen nur dargestellt, nicht aber erklärt werden. An dieser Stelle kann

auch hinsichtlich der Diskrepanz zwischen funktionaler und kausaler Analyse

ein wesentliches methodologisches Problem des Strukturfunktionalismus

herausgestellt werden.

Das Grundmuster der funktionalen Analyse fokusiert ein Phänomen A als

Objekt der Untersuchung in einem System S, wobei S als im

Gleichgewichtszustand R befindlich angenommen wird. Ziel ist der Nachweis,

daß A unter systeminternen Bedingungen C und systemexterne Bedingungen E

Wirkungen erzeugt, die ein funktionales Erfordernis von S (oder eines

Teilsystems TS) darstellen, also eine Bedingung B zu erfüllen ist, um den

Systemerhalt zu gewährleisten.115 Das funktionale Argument lautet dann:

Das System S ist unter gegebenen systeminternen Bedingungen C und

systemexternen Bedingungen E im Gleichgewichtszustand R, wenn die

Bedingung des Systemerhalts durch die Wirkung von A gegeben ist. A

beeinflußt also S. Vernachlässigt wird jedoch die Begründung für A, die

Bedingung B zu erfüllen. Der Funktionsbegriff in der Soziologie bezieht sich

somit auf Phänomene, die als Wirkungen die Relevanz der ihnen zugrunde

liegenden Ursachen definieren. Dies birgt die Gefahr, die substantielle und

evolutionistische Perspektive des sozialen Ganzen zugunsten einer Sicht

aufzugeben, die Gesellschaft als Ergebnis des Zusammenwirkens seiner Teile

aufgrund latenter Teleologie begreift. Teleologische Aussagen beziehen sich

dabei auf die soziale Rolle, Prozesse oder Strukturen, die als Ursachen

114 Institutionen sind in diesem Zusammenhang einerseits für die Bedürfnis-befriedigung der

Individuen aufgezeigt, andererseits jedoch werden Institutionen die Erfüllung von notwendigenSystembedingungen unterstellt, so daß wiederum nur die Erklärung des gesellschaftlichenGleichgewichts erfolgt (vgl. SCHÜTTE 1971:16).

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verstanden in einem System bzw. gesellschaftlichen Kontext ihre objektiven

Konsequenzen für den betrachteten Gesamtzusammenhang aufweisen.

Bei dauerhaften gesellschaftlichen Aktivitäten, die relativ konfliktfrei ablaufen,

ist es infolge der theoretischen Beliebigkeit der funktionalen Erklärung sehr

wohl möglich, eine positive gesellschaftliche Funktion zu entdecken und ihre

Existenz damit zu rechtfertigen. Insofern können im Rahmen des

sozialwissenschaftlichen Funktionalismus, der mit der Identifizierung des

Zustandes funktionaler Harmonie einher geht, soziale Konflikte nur als Störung

des gesellschaftlichen Gleichgewichts wahrgenommen werden. Das Problem

dabei ist die Konfliktunterdrückung. Hierbei kann zwar ein Beitrag zu einer

funktionalen Konsistenz und scheinbarer gesellschaftlicher Harmonie geleistet

werden, realpolitisch jedoch großes Konfliktpotential provoziert und

Ungerechtigkeiten großen Ausmaßes begründet werden. Denn wenn normlose

soziale Zustände erklärt werden müssen, kann als Basis wiederum nur die

Gemeinsamkeit von Werten und Normen, die als gesellschaftliche Ordnung

den Bezugspunkt bilden, genannt werden, wobei der tendenziell normative

Charakter der Systemtheorie bedingt, daß konsensusdominierte Aspekte

vorherrschend sind und Integration als wesentlichen Aspekt der

Handlungsweisen thematisieren und somit

„Konfliktmuster unter dem Aspekt ihrer Behebung“ (PAWELKA 1973:45)

in die Untersuchung einfließen. In diesem Sinn wird im Rahmen

sozialwissenschaftlich gewendeter funktionaler Systemtheorie versucht,

Ursachen und Konsequenzen von Handlungsweisen darzustellen, wobei

stabilisierende Aspekte zur Diskussion stehen. Die Logik der Argumentation

funktionaler Erklärung weist somit fragwürdige Züge auf, denn

„die Erklärungsabsicht orientiert sich an einem Wissenschaftsideal, dasAbstraktionsniveau mit Allgemeinheit verwechselt, und die Wahrnehmung dergesellschaftlichen Realität in den Kategorien tradierter Problemstellungenunreflektiert mit der Wirklichkeit von Gesellschaft in eins setzt“ (SCHÜTTE1971:1)

115 Zur Vereinfachung wird die Zeitkomponente t in diesem Schema vernachlässigt.

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Dies ist die Denkweise der funktionalen Argumentation und zugleich ihr

Dilemma: Das Verhältnis von causa finalis, d.h. der Gesetze, die

gesellschaftliche Entwicklung als von einem Endzweck oder Endziel her

bestimmt begreifbar machen, und causa efficienz (vgl. DAHEIM in Endruweit

1993:24ff.). DÖBERT führt darüber hinaus an, daß funktionale

systemtheoretische Theorieansätze als Theorien sozialen Handelns seit ihrer

ersten systematischen Analyse durch Max Weber außerdem keine Erweiterung

haben bringen können, da keine erklärenden Generalisierungen aus ihnen

ableitbar waren, und sie lediglich

„ein für Klassifikationszwecke halbwegs brauchbares Kategorien- undInterpretationsschema“ (1973:9).

abgeben.

Die Übertragung des funktionalen Systemmodells auf den Bereich der

internationalen Beziehungen kann als Versuch verstanden werden, die

internationale Gesellschaft als System mit verschiedenen Subsystemen zu

betrachten. Das internationale System als Ebene der Analyse umfaßt dabei die

Gesamtheit aller im System und seiner Umwelt stattfindenden Interaktionen,

die als politische Interaktionen eine funktionale Spezifizierung erfahren. Die

Welt als System aufzufassen ist jedoch problematisch, da es keine Grenze

nach Außen gibt. Diese Ebene bedingt darüber hinaus Verallgemeinerungen im

höchsten Maß, denn sie ist in einer Weise umfangreich, die einen notwendigen

Grad an Gleichförmigkeit der außenpolitischen Entscheidungs- und

Handlungsnormen der nationalen Akteure annehmen muß. Der Verhaltens-

spielraum der Handelnden kann dabei stark eingeengt werden, da die

Betrachtung des Gesamtsystems im Mittelpunkt steht. Untersucht werden

Internationale Beziehungen in ihrem systematischen Zusammenhang,

strukturelle Tendenzen des Gesamtsystems und dessen Stabilitäts-

bedingungen. Es besteht die Gefahr der Abstraktion und einer damit

einhergehenden mangelnden Erklärungskraft.

Gemäß der theoretischen Prämissen werden insbesondere die Erhaltung des

internationalen Systems und die dazu notwendigen Funktionserfüllungen

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thematisiert. Problematisch sind dabei folgende Aspekte: Der bereits oben

genannte Sachverhalt des Fehlens eines politischen Entscheidungssubsystems

läßt die Übertragbarkeit des für die Untersuchung eines national-staatlich

verfaßten Gemeinwesens konzipierten Erklärungsansatzes auf den inter-

nationalen Interaktionszusammenhang als unangebracht erscheinen, da keine

Allgemeinheit der Analysebereiche Gesellschaft/internationales System

bestehen, und folglich ist das dem Ansatz unterliegende Integrationsmodell

auch nicht geeignet, die Bedingungen und Konsequenzen außenpolitischer

Entscheidungs- und Handlungsweisen auf internationaler Ebene adäquat zu

erfassen. Die Erkenntnisse auf dieser Ebene bieten nicht die Basis für kausale

Aussagen, sondern nur die Möglichkeit der Herleitung von Korrelationen.

Schwierig erscheint ebenfalls die Kennzeichnung der, für die Erhaltung des

internationalen Systems notwendigen Funktionserfüllung durch diverse

Subsysteme. Weiterhin kann als Argument für die Nichtübertragbarkeit des

struktur-funktionalen Ansatzes auf die internationalen Beziehungen die

Tatsache, daß das internationale System nicht als ein Akteur erfaßt werden

kann, angeführt werden. Eine Zielorientierung hinsichtlich des Systemerhalts

kann somit in keinster Weise unterstellt werden.

Die Differenzierung unterschiedlicher Analyseebenen ermöglicht jedoch die

Betrachtung eines Nationalstaates als Untersuchungsbereich, wobei mehrere

Aktionsebenen, die weltpolitisch relevant sein können, ins Blickfeld treten. Die

Definition der gesellschaftlichen Entitäten muß einleitend angegeben werden,

um zu verdeutlichen was den Nationalstaat ausmacht, d.h. wer als Akteur in

Erscheinung tritt (Individuen, Gruppen von Individuen oder eine soziale

Einheit). Außenpolitische Entscheidungs- und Handlungsansätze sind in

diesem Bereich zu suchen. Wird allerdings der Staat als Entscheidungsträger

zum Untersuchungsobjekt und Handlung als Staatshandeln erfaßt,

„verkommen“ individuelle und kollektive Akteure zur black-box. Die Definition

der Situation, die Auswahl der Handlungsstrategien und die Bewertung der

Konsequenzen, unter Berücksichtigung des internen und externen Rahmens,

können dann nicht auf der individuellen Ebene erfaßt werden (HAFTENDORN

in Rittberger 1990:405ff.). Ein so gelagerter Ansatz vernachlässigt sowohl die

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Erläuterung des Zusammenhangs von Entscheidungsträgern und Umfeld (vgl.

BEYME 1980:109), d.h. den Sachverhalt, daß Persönlichkeit und soziale Rolle

außenpolitisches Verhalten determinieren, als auch die Bestimmung wann

Bedingungen aus dem Umfeld und der Umwelt als Einflußfaktoren zu gelten

haben. Auf dieser Ebene können so lediglich korrelative Aussagen angeregt

werden, die ansatzweise durch kausale ersetzt werden müssen.

Zusammenfassend läßt sich für die Anwendung systemtheoretischer

Konzeptionen auf den Bereich der internationalen Beziehungen formulieren,

daß die Unvollständigkeit der Gesamtkonzeption bei der Analyse

interessierender Sachverhalte Interpretationen und die Reformulierung von

Fragestellungen bedingt (vgl. SCHÜTTE 1971:2). Weiterhin läßt die Sprache

wenig Platz für Kritik, wodurch die Durchsichtigkeit der Formulierung

eingeschränkt wird und alternative Deutungen möglich werden. Auch ist der

Fokus auf ein rudimentäres politisches System, das sich hauptsächlich mit

Fragen der Integration des Staatensystems beschäftigt, stark normativ geprägt.

Da Einheiten aus Handlungen und Verhalten, nicht aus Personen bestehen,

sind typenmäßige Wiederholbarkeiten angezeigt. Über den Aspekt der

Wertzuweisung werden das nationale und internationale System auf den Punkt

zusammengeführt, daß alle Akteure in wertallokativem Zusammenhang in der

internationaler Politik involviert sind. Entwicklung bzw. Fortschritt wird dabei als

Komplexitätssteigerung des Systems erfaßt. Die Notwendigkeit sozialen

Wandels ist in einer solchen Konzeption nicht als Analysegegenstand

auszumachen.

Insgesamt wird deutlich, daß

„das analytisch funktionale Systemmodell nicht die Phänomene internationalerBeziehungen zufriedenstellend erfaßt, und daß es zusätzlich wegen seineshohen Abstraktionsgrades und seiner kaum operationaliserbaren Begriffetheorieorientierte empirische Forschung mehr erschwert als erleichtert.“(SIMONIS 1973:72)

Einsetzbar ist dieses theoretische Konzept jedoch, wenn einerseits

Strukturmuster als Handlungsergebnisse aufgefaßt und/oder die intermediäre

Ebene von Organisationen und Institutionen analysiert werden soll. Für

Bestandsprobleme können auf der Grundlage funktionaler Deskription und in

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einer anschließenden gesonderten Kausalanalyse alternative Lösungswege

aufgezeigt werden. Der Strukturfunktionalismus kann so als Zugang zu bzw.

Systematisierungs-möglichkeit der Fülle von Vorgängen, Strukturen, Fakten

und Verläufen dienen. Wesentlich für die Methode ist dabei ein Analogieprinzip.

Die Funktionsbezogenheit bedingt dabei Erklärungen nicht-kausaler Natur,

sondern teleologischer Konstruiertheit.

5.4 Rationale Akteure als Träger von Entscheidungen im Bereich der Internationalen Beziehungen

Im folgenden Abschnitt wird ein Überblick über die Verwendung der Theoriendes rationalen Handelns in den Internationalen Beziehungen gegeben, wobeiinsbesondere auf die Ansätze fokusiert wird, die auf der Prämisse derrationalen Interessenverfolgung sozialer Akteure basieren und weiterhinmögliche Divergenzen individueller und kollektiver116 Rationalität thematisierenoder mit explizit formalen Methoden arbeiten.

Im Rahmen der akteurstheoretischen Betrachtung geht es im wesentlichen um

die Erklärung kollektiver Phänomene unter Rückbezug auf die individuelle

Ebene. COLEMAN (1987) entwickelt die Analysesperspektive anhand von

unterschiedlichen Ebenen, die eine Diskussion im Rahmen der Mikro-Makro

Problematik erlaubt. Hierbei dienen Annahmen des methodologischen

Individualismus als Grundlage der Akteursbetrachtung. Dabei liegt z.B. der

thematische Schwerpunkt in der Verbindung von wirtschaftlichem Verhalten

(auf der Mikroebene) und Kapitalismus (auf der Makroebene) liegt dabei der

thematische Schwerpunkt. An dieser Stelle kann diskutiert werden, ob und wie

gesellschaftliche Phönomene aus Interaktionen zwischen Indidividuen

hervorgehen.

Im Rahmen der Charakterisierung des Akteurs werden Handlungsweisen mit

dem Attribut der „Nützlichkeit“ belegt und der aus der Ökonomie abgeleitete

Diskurs über Rationalität in die Erörterung eingeführt. Im Rahmen der

116 Die Analyse der Logik kollektiver Entscheidungen wird explizit unter der Bezeichnung Social

Choice vorgenommen (vgl. KERN/NIDA-RÜMELIN 1994).

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Handlungstheorie und insbesondere durch die zur Präzisierung unterlegte

Wert-Erwartungs-Theorie (auch SEU-Theorie) handelt es sich dabei um

„eine >Rationalität< aus der Sicht des Akteurs und nicht um eineangenommene, vom Beobachter gesetzte oder >objektive< Rationalität“(ESSER 1991:61).

KUNZ gibt präzisierend an, daß anhand des SEU-Modells

„Handlungswahlen der Akteure auf die von ihnen wahrgenommenenAuftrittswahrscheinlichkeiten und Bewertungen der Handlungskonsequenzenfür jede Handlungsalternative“ (1994:112)

zurückgeführt werden können.

5.4.1 Theorie(n) des rationalen Handelns in den Internationalen Beziehungen

Eine Theorie des rationalen Handelns als Erklärungsmodell in den

Objektbereich der Internationalen Beziehungen einzufügen, gründet auf der

Überlegung, daß soziale Akteure eine Anzahl von möglichen

Verhaltensoptionen wahrnehmen, Konsequenzen der verschiedenen

Verhaltensoptionen evaluieren, diese in eine Abfolge der Wünschbarbeit

bringen und schließlich die Verhaltensoption wählen, die ihre Nutzenerwartung

befriedigt (vgl. ZANGL/ZÜRN 1994:82). Die Mehrzahl der traditionellen Ansätze

im Rahmen der internationalen Beziehungen, vor allem auf der Grundlage des

realistischen Paradigmas, unterstellen ein derartig definierbares rationales

Verhalten der Akteure. Der wohl bekannteste Versuch einer Konzeption im

Rahmen rationaler Akteursbetrachtung stammt von H.J. MORGENTHAU, der

den Machtbegriff im Zusammenhang mit Interesse thematisiert. Die

grundlegenden Annahmen der realistischen Schule, die in der Theorietradition

MACHIAVELLIs oder HOBBES‘ steht, sind dabei vergleichbar mit einer Reihe

von Annahmen aus dem Rational Choice-Bereich. Im Realismus werden

Staaten als die wichtigsten Akteure der internationalen Politik betrachtet, die mit

rationalen Mitteln ihr Interesse - hier das der Machtvermehrung – verfolgen.

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Dem Staat als zentralem Akteur fallen dabei die primär gouvernementalen

Aufgaben der Gewährleistung von Sicherheit und Herrschaft für das

nationalstaatliche Gemeinwesen zu. Politische Macht wird dabei als

Vorbedingung aufgefaßt, aufgrund derer Sicherheit garantiert werden kann (vgl.

MORGENTHAU 1993:10ff.).

Die Annahmen aus dem Modell des homo oeconomicus, nach dem sozialen

Akteuren rationales Verhalten unterstellt wird, als Erklärungsansatz in den

Bereich der Internationalen Beziehungen einzuführen, erscheint zunächst

simplifizierend, da Individuen auch als homo sociologicus und homo

psychologicus handeln. Für den Bereich der Internationalen Beziehungen

können allerdings gewisse Bedingungen genannt werden, die das Modell des

homo oeconomicus mit konkreten Zusatzannahmen, die insbesondere

Handlungsbeschränkungen thematisieren, als teilweise erklärungsträchtig

ausweisen. Einerseits gibt es in den Internationalen Beziehungen eine

begrenzte Anzahl von gesellschaftlichen Akteuren, die

„in Abwesenheit eines legalen Gewaltmonopols und im Vergleich zu anderensozialen Systemen geringer funktionaler Differenzierung unter denBedingungen ausgeprägter und sichtbarer Interdependenz miteinanderinteragieren.“ (ZANGL/ZÜRN in Druwe 1994:82)

Andererseits finden Internationale Beziehungen zwischen Staaten und

Gesellschaften statt, die keine ausgeprägte kollektive Identität der Akteure

insgesamt aufweisen, und folglich kann davon ausgegangen werden, daß sich

die Handelnden durch strategisches Denken auszeichnen (vgl. ZANGL/ZÜRN

in Druwe 1994:82). In diesem Zusammenhang weisen ZANGL/ZÜRN auf den

Sachverhalt hin, daß ganze bürokratische Apparate in den einzelnen Staaten

zur Ermittlung von Verhaltensmöglichkeiten, zur Abschätzung von

Konsequenzen und deren Evaluation bestehen, um auf diese Weise zu

befriedigenden Entscheidungen auf internationaler Ebene zu gelangen. Der

Begriff der Strategie wird damit zu einem wesentlichen Aspekt im

weltpolitischen Interaktionszusammenhang, mehr noch

„Strategy is the essence of politics; a nonstrategic politician cannot archive hisor her aims.“ (MORROW 1994:1)

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Werden strategische Situationen als Untergruppe sozialer Situationen

aufgefaßt, in denen es um die Interaktionen von Individuen geht, bedarf es

folglich einer Theorie

„that explains how individuals’ decisions are interrelated and how thosedecisions result in outcomes. Game theory is such a theory.“ (MORROW1994:1)

Aufgrund dieser Überlegung soll im folgenden eine Begründung für die

Anwendung spieltheoretischer Konzeptionen, als Zweig struktur-

individualistischer Theoriebildung, in den internationalen Beziehungen

hergeleitet werden.117 Wichtig ist hierbei auch, auf die Problematik der

Aggregation individueller Präferenzen zu einer kollektiven Präferenz

einzugehen.

Anhand spieltheoretischer Modelle erfolgt dann die Darstellung und Analyse

bestimmter Problemsituationen sowohl in der Außenpolitik als auch in der

internationalen Politik.

5.4.2 Spieltheoretische Modelle als Analyseansätze außenpolitischer Entscheidungs- und Handlungsprozesse

Als Problemstellung, die die Anwendung spieltheoretischer Konzeptionen

sinnvoll erscheinen läßt, gibt MORROW an, daß

„National leaders vie to prevail in international crisis, while also trying to avoidwar. Nations raise and lower barriers to trade in order to influence other nationsto lower their own trade barriers. All of these situations, and many others inpolitics are strategic. Actions are taken to influence other actors’ choices; noone actor alone can determine the outcome of the situation. All actors mustthink about what the other actors will do when choosing their own actions.“(1994:1)

117 Von Spieltheorie kann seit den 20er Jahren gesprochen werden, als auf der Grundlage des

Minmax Theorems Konfliktsituationen in einem 2-Personen-Nullsummenspiel untersuchtwurden. Die Entwicklung spieltheoretischer Konzep-tionen im Rahmen einer mathematischenTheorie, die auf statische Modelle Bezug nimmt, wurden dann von v. NEUMANN undMORGENSTERN (1943) in Theory of Games and Economic Behavior veröffentlicht. DieEtablierung der Spieltheorie als Disziplin fand in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg statt.

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Mit Hilfe der Spieltheorie wird dabei versucht, Situationen zu analysieren, in

denen Entscheidungen von mehreren Akteuren ein Handlungsresultat

determinieren. In diese Untersuchung fließt auch die Darstellung ein, wie

individuelle Wahlhandlungen, durch soziale Rahmenbedindungen beeinflußt,

bestimmte Handlungskonsequenzen - outcomes - haben und wie diese von den

individuellen Akteuren evaluiert werden (Nutzentheorie). Differenziert werden

können folglich individuelle Präferenzen gegenüber einer Aggregation

derselben zu einer kollektiven Präferenz. Die Untersuchungsperspektive richtet

sich demnach auf Problemsituationen, die entstehen, wenn in Interaktions-

zusammenhängen Entscheidungen getroffen werden sollen, bei denen die

beteiligten Entscheidungsträger mit unterschiedlichen Zielsetzungen

Handlungsoptionen wählen, die Konflikt oder Kooperation bedeuten können.

Die Spieltheorie ist folglich als Methode zu verstehen, Entscheidungen in

Konfliktsituationen zu untersuchen, d.h. Entscheidungsprozesse zu

analysieren, in denen einzelne Entscheidungsträger keine vollständige

Kontrolle über andere beteiligte Entscheidungsträger haben. Die entstehenden

Probleme übersteigen allerdings die einfache Maximierung, denn Ziele müssen

im Zusammenhang mit Beschränkungen abgebildet werden. Dies kann

zunächst als

„Problem der Optimierung widerstrebender Interessen“ (SHUBIK 1964:19)

verstanden werden, was generell Grundbedingung in wirtschaftlichen,

politischen oder sozialen Situationen sein kann. In der Analyse dieser

Situationen ist für die Sozialwissenschaften besonders der Zweig der

noncooperative game theory von Interesse, wobei

„Noncooperative game theory has been applied to [...] international crises, andinternational organizations. General questions of how political institutions workand why they exist and change have been addressed with game-theoreticmodels. Communication in variety of settings has been examined in thesemodels.“ (MORROW 1994:3)

In der Politikwissenschaft, insbesondere im Rahmen der Teildisziplin der

internationalen Beziehungen, ist beispielsweise im Rahmen des bargaining

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oder der Abschreckung interessant, welche strategische Logik hinter

Entscheidungen und Handlungsweisen steht. Für diese Situationen gibt es

unterschiedliche Modelle, die jeweils unterschiedliche Aspekte einer

Problemsituation fokusieren.

Die Abschreckungsproblematik stellt z.B. eine Situation dar, in der mindestens

zwei Staaten in einer Krisensituation versuchen, so gegeneinander vorzugehen,

daß sie das Verhalten des anderen zu ihren eigenen Gunsten beeinflussen

können. Die Frage ist, wie die Akteure erfolgreich ihre Interessen durchsetzen

können. Drohungen spielen in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle

und MORROW führt aus, daß

„Carrying out threats is costly to the threatener as well as the threatened.Nations receiving threats may not believe that the threat will be carried out ifthey do not comply. The credibility of a threat depends on both the magnitudeof the costs to be imposed and the willingsness of the threatener to carry it out.“(1994:4)

Neben der eigentlichen Zielorientierung von Handeln müssen folglich

Beschränkungen, wie z.B. Kosten, in der Modellbildung nachgewiesen werden.

Im Rahmen von Bargaining-Situationen, die entstehen

„when two or more actors are willing to reach any one of several agreements,but they disagree about which agreement is best“ (MORROW 1994:5)

wird als Problemlösungsstrategie die Einigung auf eine gemeinsame

Entscheidung herzuleiten versucht, um damit die Realisierung

gewinnbringender Kooperation auf Seiten der beteiligten Akteure zu

ermöglichen. Die Analyse einer solchen Situation kann dabei anhand der

„Nash bargaining solution, the basic concept in two-person, cooperative gametheory“ (MORROW 1994:5)

erfolgen (vgl. auch SHUBIK 1982:242ff.).

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5.4.2.1 Das Rationalitätskonzept

Im Rahmen von Rational Choice-Ansätzen werden interessierende Phänomene

sozialer, ökonomischer oder politischer Realität immer unter dem Aspekt der

Rationalität zu erklären versucht. Rationalität wird dabei als Nutzenorientierung

bei der Handlungswahl aufgefaßt und die auf utilitaristischer Theoriebildung

beruhende Spieltheorie, als eine einfache mathematische Theorie, ist dabei

angelegt, nutzenorientierte Entscheidungen von sozialen Akteuren in

Interaktionszusammenhängen darzustellen und zu analysieren.118 MORROW

führt in diesem Sinn aus, daß

„[...], rational behavior means choosing the best means to gain a predeterminedset of ends. It is an evaluation of the consistency of choices and not of thethought process, of implementation of fixed goals and not of the morality ofthose goals.“ (1994:17)

Als Ziele werden dabei Handlungsweisen, outcomes, angenommen, die durch

Beobachtung oder in experimentellen Zusammenhängen als vorherrschendes

Verhalten herausgefiltert werden. Im deduktiven Verfahren werden dann die

Annahmen hinsichtlich der Ziele der Akteure und der situativen Restriktionen in

der Erklärung sozialer Zusammenhänge in die theoretische Konzeption

implementiert.

„We fix the actor’s preferences and allow the information they have and thesituation they face to change, creating variation in their actions.“(MORROW 1994:17)

Da Akteure bestimmte Erwartungen hinsichtlich bestimmter Handlungs-

konsequenzen haben, muß im Rahmen des jeweiligen Modells definiert

werden, welche Resultate durch welche Handlungen erreicht werden sollen. Da

unterschiedliche Präferenzen bestehen und in sozialen Zusammenhängen

deren Gewichtung durchaus transitiven Charakter aufweist, d.h. vom Akteur in

eine Abfolge gebracht werden kann, kann aufgrund der Vollständigkeit und

118 Politikwissenschaftlich nutzbar gemacht, wird das Eigennutzaxiom im Rahmen der neuen

politischen Ökonomie, wo es zur Erklärung nichtmarktmäßiger Entscheidungsprozesseherangezogen wird. (vgl. FRANKE in Druwe/Kunz 1994:53f.)

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Transitivität der Ordnung von Präferenzen119 auch auf nicht-vergleichbare

Konsequenzen in anderen sozialen Zusammenhängen Rückschlüsse gezogen

werden.

„Completeness and transitivity are the basic elements of a preference ordering.[...] These two assumptions are necessary for rationality. Without completepreferences, actors are unable to choose between noncomparable outcomes.“(MORROW 1994:18)

Die Festlegung von Präferenzen gilt in diesem Zusammenhang hinsichtlich der

Handlungsresultate, nicht jedoch in bezug auf Handlungen selbst. MORROW

schreibt

„We distinguish between preferences over outcomes and preferences overactions (or strategies). Outcomes are the final results; actions are choices thatcould produce one or several outcomes. Preferences over outcomes areassumed to be fixed. Preferences actions can change as the actors gain newinformation about the efficacy of different actions.“ (1994:19)

Aufgrund von Entscheidungen unter Unsicherheit, mangelnder Information und

Fehleinschätzungen von Handlungskonsequenzen können auch „fehlerhafte“

Entscheidungen getroffen werden. Damit wird das Konzept von Rationalität in

der Weise eingeschränkt, daß

„Rationality does not mean error-free decisions.“ (MORROW 1994:21)

Die Rationaliätsprämisse auf individuelle Akteure bezogen kann jedoch nicht

uneingeschränkt in der Aggregation zu kollektiver Rationalität übernommen

werden (ARROW Theorem).120 Welche Probleme sich dabei ergeben kann im

Rahmen des Gefangenen-Dilemmas aufgezeigt werden.

119 Diese Präferenzen werden ordinale Präferenzen genannt. Vgl. MORROW 1994:18, vgl. auch

BOSSERT/STEHLING 1990:30.120 Eine übersichtliche Darstellung findet sich bei KERN/NIDA-RÜMELIN 1994:27-42.

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5.4.2.2 Formale Modellierung

Wesentliches Kriterium spieltheoretischer Modelle ist, daß anhand von

Gleichgewichtsvorstellungen versucht wird soziale Phänomene zu verstehen.

Dabei wird mit der Einführung des Equilibrium-Aspekts nicht angezeigt, daß es

sich um eine gerechte oder wünschenswerte Balance zwischen

unterschiedlichen Interessen handelt, vielmehr verweist diese Annahme auf

den Sachverhalt, daß

„In equilibrium, no actor wishes to change its behavior on its own. Behavior atan equiilibrium is stable in the sense that no actor, given its current position andknowledge, can improve its own position on its own.“ (MORROW 1994:8)

Soziale und politische Ebenen sind als komplexe Gebilde mit unterschiedlichen

Inhalten aufzufassen. Die Modellbildung, anhand derer Erklärungen zu o.g.

Problemsituationen entwickelt werden, ist jedoch formaler Natur und obwohl

formale Modelle vor diesem Hintergrund als simplifizierende Analyseansätze

erscheinen, kann hier angegeben werden, daß die Überprüfung von Annahmen

zur Erklärung interessierender Sachverhalte, die eingangs in einem Modell

formuliert worden sind, in den Schlußfolgerungen wiederum identifizierbar

werden müssen (vgl. NICHOLSON 1990:216).

„[...] formal models allow us to see exactly why the conclusions of a modelfollow from its assumptions. Other supporting arguments that do not follow fromthe assumptions are ruled out.“ (MORROW 1994:6)

Damit kann für die formale Modellbildung angegeben werde, daß eine logische

Struktur bei der Zusammenstellung von Einzeluntersuchungen hergeleitet

werden kann und daraus abgeleitet Schlußfolgerungen quasi

ansatzübergreifend verworfen bzw. aufgenommen werden können (vgl.

MORROW 1994:6f.). Wichtig ist aber auch, bei aller konzeptueller Klarheit und

strenger Argumentation die reale Blickrichtung sozialer Modellbildung ins

Zentrum der Analyse zu stellen, wobei

„The proper criterion to „judge“ the realism of an argument is the accuracy of itsconclusions. Formal models help us determine the observable consequences

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of our arguments. We can then test those hypotheses against the real world.“(MORROW 1994:7)

Nach der Darstellung grundlegender Annahmen im Rahmen der Spieltheorie

kann damit unter Bezug auf die Differenzierung von Außenpolitik gegenüber

Internationaler Politik die Analysen entlang der Thematik rationaler

Interessenverfolgung sozialer Akteure und die daraus entstehende Problematik

möglicher Divergenzen von individueller und kollektiver Rationalität auf

a) das Problem der Verteilung knapper Ressourcen, im Sinn einer collective action undb) das Problem der Realisierung allseitig gewinnbringender Kooperation, d.h. eines bargaining- Effekts im Rahmen institutionalisierter Kooperation

gelenkt werden. Die ökonomische Theorie der internationalen Politik stellt dabei

Staaten als Nutzenmaximierer von knappen Gütern ins Zentrum der Erörterung

und leitet mit dieser Fokusierung die Problematik der Verteilung knapper

Ressourcen ein (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:84).

Die Frage nach der jeweiligen Strategie zur Erlangung der Kooperation von

Interaktionspartner im Zusammenhang von Interessen und Institutionen im

Bereich außenpolitischen Entscheidens und Handelns tritt hingegen im

Rahmen rationaler Ansätze des Neoinstitutionalismus in den Mittelpunkt der

Analyse.121 In der Verbindung beider Stränge können vier unterschiedliche

Analyserichtungen ausgemacht werden, die sich der jeweiligen Problematik auf

der Ebene der Außenpolitik und der Ebene der internationalen Politik widmen.

In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten Aspekte dieser

Theoriestränge vorgestellt und anhand spieltheoretischer Matrizen verdeutlicht.

121 Es wird nach den Rahmenbedingungen von sich international institutionell ausbildender

Kooperation gefragt.

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5.5 Die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen

Die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen im Rahmen derSpieltheorie, läßt sich durch die Variante des Typs Koordinationsspiel mitVerteilungskonflikt anschaulich darstellen, wobei auf eine Matrix zurVerdeutlichung der Spielsituation zurückgegriffen wird.

Ausgangsbedingung sind Spieler A und B, die jeweils über die

Handlungsmöglichkeit der Selbsthilfe und die der Kooperation verfügen und

sich für jeweils eine Handlungsoption entscheiden können. Bezüglich der

Interaktionsergebnisse bestehen unterschiedliche Präferenzen, die z.B. in der

Punktverteilung von 1 bis 4 wiedergegeben werden können. Die

Nutzenkennziffer 4 wird dabei als das am meisten gewünschte

Interaktionsergebnis, die Nutzenkennziffer 1 als das am wenigsten gewünschte

Interaktionsergebnis festgelegt. Die Matrix kann somit folgendermaßen

dargestellt werden:

Abb. 2: Koordinationsspiel mit Verteilungskonflikt Spieler ASpieler B

Kooperation Selbsthilfe

Selbsthilfe 4/3 2/2Kooperation 1/1 3/4(vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:86)

Im Rahmen der Interaktion der Akteure stellen die Interaktionsergebnisse mit

der höchsten Punktverteilung (4/3 und 3/4) die Möglichkeiten rationaler

Interaktionsergebnisse dar, die auch als pareto-optimal bezeichnet werden.122

Dies bedeutet, daß beide Spieler ihr jeweiliges Verhalten so koordinieren

müssen, daß eines der beiden kollektiv rationalen Interaktionsergebnisse

durchgesetzt werden kann. Da aber unterschiedliche Präferenzen bestehen, ist

die Gefahr gegeben, daß ein Verteilungskonflikt entsteht, der bedeutet, daß

beide Spieler gegenseitig nicht kooperativ sind, aber einer den größten Nutzen

für sich in der Situation herbeizuführen beabsichtigt. Beide Spieler würden

demzufolge die Möglichkeit der Selbsthilfe wählen (2/2) und folglich

individueller Rationalität folgen. Dabei ergibt sich eine Situation, die beide

122 Ein Pareto Optimum liegt vor, wenn bei jeder denkbaren Abweichung die Schädi-gung

mindestens eines Spielers erfolgt (was hier einem Nash- Equlibrium entspricht, d.h. der

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Seiten ihre eigenen Interessen bedingungslos verfolgen läßt und sich die

Maximin-Lösung des maximalen Minimalnutzens einstellt. Diese Variante ist

eine Abweichung der kollektiv sinnvollen Interaktionsergebnisse mit

Verteilungskonflikt.

Die Problematik der Verteilung knapper Ressourcen kann sowohl im

Rahmen der Außenpolitik als auch im Bereich der internationalen Politik

aufgezeigt werden. Bei dieser Untersuchungsrichtung geht es insbesondere um

die Fragestellung, mit welchen Strategien Staaten versuchen bei der Verteilung

knapper Güter ihre Interessen gegenüber anderen Konkurrenten

durchzusetzen. Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Spielsituation

wird dabei versucht zu ermitteln, welche außenpolitische Strategie als rationale

Verhaltensweise zur Erlangung von Vorteilen gewählt wird. Als rational gelten

hierbei die Verhaltensweisen, die in einer interdependenten Entscheidungs-

situation die Entscheidung des Konkurrenten in der Form beeinflussen, daß

dieser Entscheidungen trifft, die die Durchsetzung der eigenen Interessen

ermöglicht (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:88).

Als Anwendungsbereich kann z.B. die Kriegsursachenforschung angegeben

werden. Zentral sind hier Strategien wie Drohungen oder Verpflichtungen, die

zunächst auf Nullsummenspiel-Basis hergeleitet wurden (vgl. SHUBIK

1964:217ff.).123 Aus dem Bereich der Strategic Studies entwickelte sich dann

darauf aufbauend eine Präzisierung der grundlegenden Annahmen im Rahmen

der Abschreckungstheorie.

Der ökonomische Erklärungsansatz in der internationalen Politik bezieht sich

dabei auf das Prinzip der Nutzenmaximierung unter der Zusatzannahme von

Handlungsbeschränkungen, die WEEDE (1989) aus dem anarchischen

Charakter des internationalen Systems ableitet. Neben der Polarität,

Zerstörungspotentialen und der geographischen Lage sowie der relativen

Machtposition eines Landes zählt WEEDE auch die innenpolitischen

Bedingungen eines Landes zu wesentlichen Handlungsbeschränkungen im

Bereich der internationalen Politik. Der homo oeconomicus als strategischer

Spieler, der die Situation verläßt, schadet sich selbst). - NASH entwickelte in den 50er Jahreneine Theorie für die kooperative Lösung von Spielen.

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Akteur auf weltpolitischer Ebene sieht sich Situationen gegenüber, die ihn

zwingen unter einschränkenden Bedingungen - constraints - seine Ziele zu

erreichen. WEEDE erörtert explizit sicherheitspolitische Entscheidungs-

findungsprozesse und fokusiert dabei auf die Anwendung des Eigennutzaxioms

auf sicherheitspolitische (individuelle) Entscheidungsträger und die

Notwendigkeit der Abschreckung und/oder Verteidigung als Strategie im

anarchischen Staatensystem (1989:256). In diesem Zusammenhang werden

die ökonomische Rationalitätsprämisse und realistische Annahmen verknüpft,

um auf diese Weise zu erklärenden Feststellungen von Verhaltensweisen auf

weltpolitischer Ebene zu gelangen, die zeigen, daß

„Kollektive eigennützige Akteure, also hier: Kollektive von Staaten, bei derrationalen Verfolgung ihrer Interessen ein Ergebnis erreichen, das aus derübergeordneten Perspektive des Kollektivs als irrational erscheinen muß.“(WEEDE 1989:256)124

Allerdings wird an dieser Stelle deutlich, daß das Postulat der

Nuzenmaximierung mit weiteren Annahmen verknüpft werden muß, denn

Entscheidungen hängen immer auch von der Risikobereitschaft der Akteure ab

(vgl. MORROW 1994:33ff.).

„Außerdem impliziert das Argument der Flexibilität von Bündnissen inmultipolaren Systemen die Homogenität oder Irrelevanz der Ideologie.Schließlich ist denkbar, daß multipolare Systeme wegen der größerenUnabhängigkeit vieler Entscheidungszentren die Entstehung einer Vielzahl vonkleineren Konflikten begünstigt..“ (WEEDE 1989:258)Im Rahmen der Thematisierung der Verteilung knapper Güter im Hinblick auf

den Aspekt der Erlangung von Kooperation können dabei Situationen

entstehen, in denen

„Kooperation selbst dann, wenn sie für alle beteiligten Staaten Gewinne abwirft,scheitern kann, weil sich die Akteure nicht auf die Verteilung von Güterneinigen können.“ (ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:85)

Der Gewaltaspekt wird dabei ein wesentliches Element der Analyse

insbesondere vor dem Hintergrund, daß keine Zentralgewalt die

123 Gezeigt werden konnte später, daß die überwiegende Zahl der Situationen in der Politik

Variablen-Summen-Spiele darstellen und Kooperationsmöglichkeiten abge-leitet werdenkönnen (wenn auch auf unterschiedlichen Niveaus).

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Gewinnverteilung regelt. Die Frage nach dem Funktionieren kollektiver

Sicherheit in einem multipolaren System und damit auch die Realisierung

allseitig gewinnbringender Kooperation wird ins Zentrum der Untersuchung

gerückt, um herauszufinden, ob Kooperation auch in Abwesenheit einer

Zentralgewalt bzw. hierarchischen Ordnung einsetzen kann.

Wird die Verteilung knapper Güter im Bereich der internationalen Politik

untersucht, steht im Zentrum die Diskussion um Verhandlungs- und

Austauschergebnisse im Rahmen internationaler Politik, was ebenfalls durch

die ökonomische Theorie der internationalen Politik erfaßt werden kann.

Rational Choice-Ansätze können hier angewendet werden, um die Rolle von

Machtressourcen und die Grenzen von Kooperationschancen auf

internationaler Ebene herauszuarbeiten. Unter den Sammelbegriff

neorealistische Kooperationstheorie werden die Arbeiten subsummiert, die die

Nicht-Einigung auf eine bestimmte Verteilung der gemeinsamen Gewinne, die

sich aus Zusammenarbeit ergeben, als Hindernis internationaler Kooperation

betrachten (vgl. KEOHANE 1984).

Bei Kooperationsspielen mit Verteilungskonflikt auf der Ebene von

internationalen Verhandlungen, wie z.B. der BSE-Debatte, sind oft Drohungen

eine wirksame Strategie zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Um die

Strategie der Drohungen glaubwürdig zu machen, bedienen sich Akteure auch

der Strategie der Verpflichtungen, was bedeutet, daß die Verhaltensmöglichkeit

Selbsthilfe festgelegt wird und andere Akteure, um Selbstschädigung zu

vermeiden, einlenken werden, d.h. die Verhaltensoption Kooperation wählen.

Im Rahmen der BSE-Debatte in der EG hat Großbritannien wiederholt versucht,

nationale Prioritäten gegenüber Einfuhrstops durchzusetzen und die EG-

Partner zur Annäherung an britische Positionen zu zwingen.

Erst durch die Verpflichtung auf eine angedrohte Reaktion kann eine Drohnung

glaubhaft gemacht werden, da zusätzliche Kosten des Verlustes der

Glaubwürdigkeit die angedrohte Reaktion bei nicht kooperierenden Partnern

unumgänglich machen.

124 Zum selben Ergebnis kommt man auch anhand des Modells von OLSON (1985).

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5.6 Die Erlangung von Kooperation

Der Bereich der Erlangung internationaler Kooperation ist anhand des Spieltyps

Gefangenendilemma anschaulich zu verdeutlichen:

Abb. 2: Gefangenendilemma Spieler ASpieler B

Kooperation Selbsthilfe

Kooperation 3/3 1/4Selbsthilfe 4/1 2/2(vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:98)

Die Spielsituation zeigt eine Dilemmasituation, in der das gemeinsame

Interesse der beteiligten Akteure darauf gerichtet ist, zu einem kooperativen

Interaktionsergebnis zu gelangen, daß durch die Nutzenkennziffer (3/3)

gekennzeichnet ist. Es besteht allerdings die Gefahr, daß die Akteure dieses

Interaktionsergebnis verfehlen, da die Motivation stark ausgeprägt ist, die

Verhaltensoption Selbsthilfe zu wählen. Dies kann durch die Sorge betrogen zu

werden (4/1 und 1/4) begründet werden. Die Wahl der Handlungsoption

Selbsthilfe bedeutet aber für beide Akteure ein niedrigeres Nutzenniveau als

beidseitige Kooperation. Das Interaktionsergebnis (2/2) ist unerwünscht.

Im Rahmen der Dilemmasituation kann anhand von Rational Choice-

Konzeptionen gezeigt werden, daß durch gegenseitige Kooperation kollektiv

sinnvolle Interaktionsergebnisse erreicht werden können, da durch ständiges

nicht-kooperieren auf Seiten der Beteiligten in Situationen, in denen Interessen

an Gütern der anderen Akteure besteht, keine Gewinne erzielt werden können

und weitere Interaktionen auf dieser Ebene sinnlos werden.

Weiterhin kann bei wiederholten Spielsituationen im Rahmen des

Gefangenendilemmas gezeigt werden, daß dezentrale Kontrolle und Sanktion

möglich ist (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:99). Erreicht werden kann

dies durch das Bestrafen eines Akteurs, der entgegen der kontingenten

Strategie der anderen Akteure, z.B. Kooperation, versucht, durch Nicht-

Kooperation seine Gewinne zu maximieren.

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Unter Rückbezug auf die Erfassung des internationalen Beziehungsgeflechts

als eines anarchischen Staatensystems kann Anarchie einen Hinweis auf die

Abwesenheit einer übergeordneten Autorität geben, nicht jedoch das Fehlen

einer internationalen Gemeinschaft anzeigen, da sich die Bildung

internationaler Organisationen oder Regime aufzeigen läßt. AXELROD/

KEOHANE schreiben in diesem Zusammenhang:

„To say that world politics is anarchic does not imply that it entirely lacksorganization. Relationships among actors may be carefully structured in someissue-areas, even though they remain loose in others. Likewise, some issuesmay be closely linked through the operation of institutions while the boundariesof other issues, as well as the norms and principles to be followed, are subjectto dispute.“ (1986:226)

Thematisiert wird im Rahmen dieser Analyserichtung die Bedeutung

internationaler Institutionen bzw. Regime. Soziale Akteure passen in diesem

Rahmen ihr Verhalten den aktuellen und wahrgenommenen Präferenzen

anderer sozialer Akteure an, was jedoch nicht mit Harmonie125 vergleichbar ist.

Vielmehr wird in Anlehnung an das sog. Coase-Theorem126 gezeigt, daß

internationale Regime Kooperation in der Form ermöglichen, daß durch

gemeinsam vereinbarte Normen oder Prozeduren und deren Einhaltung sowie

der Bestätigung der Einhaltung stabile Handlungserwartungen im zwischen-

staatlichen Interaktionsprozeß entwickelt werden können. Darüber hinaus

lassen sich auch Transaktionskosten in bezug auf die Aufrechterhaltung der

Kommunikation senken, da ein festes Procedere zur Verfügung gestellt werden

kann (vgl. KECK 1991:640). Rationalen Akteuren kann in diesem Kontext

unterstellt werden, daß sie Institutionen als dauerhaft einrichten werden, auch

wenn sich die Bedingungen, unter denen diese zunächst gegründet wurden,

verändern (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:102). Anhand spiel-

125 Harmonie wird als vollständige Interessengleichheit definiert (vgl. AXELROD/ KEOHANE

1986:226)126 Das Coase-Theorem (CAOSE, R.H.) besagt inhaltlich, daß in der Unterscheidung zwischen

(a) kollektivem Besitz (für dessen Nutzung Regelungen festgelegt sind) und (b) freiverfügbaren Ressourcen (die durch fehlende Nutzungsregelungen einen ungehinderten Zugriffaller ermöglichen), gezeigt werden kann, daß Eigentums-rechte, wie sie in (b) angelegt sindund allen Beteiligten Schwierigkeiten in der Nutzung bereiten, in Eigentumsrechte, wie sie in(a) möglich sind, von den Beteiligten vorgezogen werden können, da im Fall der Regelungeine effiziente Allokation durchaus erreicht werden kann (vgl. KERN/NIDA-RÜMELIN1994:240f.).

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theoretischen Instrumentariums kann darüber hinaus ein Ausblick hinsichtlich

der Begründung des „Wann“ und „Warum“ der Bildung von Institutionen

gegeben werden (vgl. AXERROD/ KEOHANE 1986).

Die aufgezeigte Untersuchungsperspektive läßt sich unter dem Begriff der

„institutions matter“ zusammenfassen (vgl. KECK 1991:635).

„Für die Theorie der internationalen Politik erbrachte diese Forschungsrichtungdie zentrale Erkenntnis, daß in einer Gruppe von Akteuren auch ohne zentralestaatliche Autorität Kooperation entstehen kann, ohne daß man altruistischeoder solidarische Normen voraussetzen muß.“(KECK 1991:639)127

Von Interesse ist weiterhin, die Faktoren, die die Realisierung von Kooperation

behindern können, zu identifizieren und diese durch die Schaffung geeigneter

institutioneller Regelungen zu nivellieren. Das heißt, daß davon ausgegangen

wird, daß Ergebnisse politischer Interaktionsprozesse in Äbhängigkeit der sie

umgebenden Strukturen zu betrachten sind (außenpolitische Unter-

suchungsebene). Inhaltlich wird damit die Thematik der Handlungs-restriktionen

ins Zentrum gestellt, die einen gewissen Widerstand in Bezug auf Handlungen

individueller und kollektiver Akteure aufweisen und sich dabei Handlungs-

optionen ergeben, die das Kräftefeld der gesellschaftlichen Akteure verändern

(vgl. KECK 1991:637).

Die Übertragung auf den Bereich der internationalen Politik erfolgt über den

Begriff des Regimes, der in verschiedenen Politikfeldern die Regulierung der

zwischenstaatlichen Interaktionen übernimmt.

Insgesamt gesehen kann für die Erklärung des Entscheidungs- und

Handlungsverhalten von sozialen Akteuren in struktur-individualistischen

Ansätzen angegeben werden, daß anhand der Benennung der unter-

schiedlichen Ebenen von Entscheidungsträgern, d.h. individuellen oder

kollektiven Akteuren, rationale Aspekte unterschiedlich gewertet werden.

Bei der Untersuchung von Entscheidungen und Handlungen individueller

Akteure wird deren Verhalten fokusiert und weiterhin die Betonung auf die

127 Die Einbeziehung von Normen ergibt sich in diesem Zusammenhang aus der Überlegung,

daß der neue Institutionalismus eine Synthese aus Funktionalismus und Realismus darstellt(vgl. KECK 1991:635).

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Interaktion mit anderen individuellen oder kollektiven Akteuren im Spannungs-

verhältnis einer durch Interessen und Restriktionen bestimmten Nutzen-

erwartung gelegt, wobei als Handlungsoptionen Konflikt oder Kooperation

möglich sind. Kollektive Akteure stellen dabei das gesellschaftliche, politische

oder ökonomische Umfeld des Individuums dar und werden

„nicht per se, sondern nur in ihrer Wirkung auf das Individuum in dieUntersuchung einbezogen. “ (HAFTENDORN in Rittberger 1990:405)

Wird Entscheidungs- und Handlungsverhalten auf der innerstaatlichen oder

internationalen Ebene analysiert, so geht das Individuum als Teil eines

kollektiven Entscheidungsträgers in die Untersuchung ein, wobei der Staat und

das internationale System als Rahmenbedingungen, die individuelles Verhalten

beeinflussen, gewertet werden.

Wichtig ist, jeweilige Verkürzungen im Rahmen der Erklärung auf einer Ebene

durch Untersuchungsergebnisse, die auf einer anderen Ebene hergeleitet

wurden, auszugleichen.

Rationale Entscheidungen werden als Nutzenmaximierung und Kosten-

minimierung in der Entscheidungssituation erfaßt, was spieltheoretisch auf

unterschiedliche Analysebereiche übertragen werden kann. Durch die Unter-

legung eines Konzepts von Rationalität mit notwendigen Zusatzannahmen wird

versucht, Fragen wie Zusammenarbeit, Nutzenverteilung und Konflikt in einem

empirisch untermauerten Rahmen zu beantworten. Durch die Prämisse der

SEU-Theorie wird dabei eine gesetzmäßige Handlungswahl und damit

Voraussagbarkeit von Ergebnissen zu erreichen versucht.

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5.7 Die Grenzen der Anwendung von Rational Choice-Modellen im Bereich der internationalen Beziehungen

Die Kritikpunkte bzw. Grenzen hinsichtlich der Anwendung von RationalChoice-Theorien in den internationalen Beziehungen werden im folgendenAbschnitt differenziert nach der Bestimmung grundlegender Annahmen und derAusprägung der einzelnen Themenstränge.

Rational Choice-Ansätze basieren auf einem Instrumentarium der

ökonomischen Theorie, das sich explizit im Modell des homo oeconomicus

fassen läßt. Das Programm der Rational Choice entwickelt dabei die

Erklärungsperspektive von der individuellen Ebene auf die Ebene kollektiver

Sachverhalte. Dem Individuum als

„the most natural unit of observation“ (COLEMAN in Alexander/Giesen/Münch/Smelser 1987:153)

werden dabei rationale Verhaltensweisen unterstellt. Hinsichtlich der Ziele

bedeutet dies Konsistenz (formale Rationalität), in Bezug auf die

zugeschriebenen Handlungen Konsequenzorientierung, d.h. die Entscheidung

zur Durchsetzung von Präferenzen in Form von Interessen gegenüber

erwartbaren Restriktionen und Entscheidung für die nutzenbefriedigendste

Handlungsoption. Offen bleibt dabei die Angabe von Inhalten individueller

Präferenzordnungen. Damit ist ein zentrales Problem der Rational Choice-

Theorie für die Erklärung sozialer Sachverhalte angesprochen, denn die

Ermittlung der Interessen der Akteure kann nur auf dem Weg erfolgen,

Interessen als ein Element der unabhängigen Variable mittels der

Veränderungen der abhängigen Variable, d.h. des Verhaltens, zu erklären. Wie

Interessen auch unabhängig von dem Verhalten der beteiligten Akteure, das

erklärt werden soll, entstehen, kann aufgrund des Fehlens einer Theorie der

Formierung von Interessen nicht beantwortet werden. Damit kann insgesamt

gesehen keine umfassende Erklärung sozialer Sachverhalte durch Rational

Choice-Modelle geliefert werden (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:105).

Offen bleibt auch die Frage nach dem Informationsniveau und der Fähigkeit der

Informationsverarbeitung der Akteure. Meist wird von einer begrenzten, für die

Situation ausreichenden Information des Akteurs ausgegangen, aber auch

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vollkommen informierte Akteure werden als Basiseinheiten der Erklärung

angenommen. Hier muß angegeben werden, welche Vorstellungen über

Informationsniveau und Kapazitäten allgemeine Sätze über das typische

Verhalten rationaler Akteure bilden sollen.

Ein wesentlicher Bestandteil des Instrumentariums von Rational Choice-

Theorien ist die Spieltheorie, die, wie gezeigt, die strategischen Eigenschaften

von rationalen Akteuren in sozialen Interaktionszusammenhängen analysiert.

Im Bereich der Transformation von Mikrogeschehen auf die Makroebene sieht

COLEMAN (1990) dabei die wesentliche Aufgabe der Theoriebildung im

gegebenen disziplinären Rahmen. Dabei muß die Unterscheidung zwischen der

Logik individueller Rationalität gegenüber kollektiver Rationalität getroffen

werden.

Die Logik kollektiver Entscheidung(en) wird im Rahmen der Social Choice-

Theorie behandelt. Hierbei wird für den Bereich der individuellen Akteure

lediglich unterstellt, daß sie fähig sind, die gegebenen Alternativen im

Entscheidungsprozeß nach Maßgabe persönlicher Präferenzen in eine

vollständige und konsistente Rangordnung zu bringen (vgl. BOSSERT/

STEHLING 1990). Die Aufgabe der Theorie ist dann, die Regeln anzugeben,

nach denen die Informationen individueller Präferenzen sowohl in eine rationale

als auch ethisch akzeptable kollektive Auswahl übertragen werden. Das

Aggregationsproblem, das hier auftritt, wird im Rahmen des OLSON-Dilemmas

als Themenstrang der Ökonomischen Theorie der Politik bearbeitet. Der

Widerspruch zwischen individueller und kollektiver Rationalität kann anhand

des auf ARROW zurückgehenden Analyseansatzes verdeutlicht werden. Die

Problematik der Erklärung rührt dabei aus der Ausgangsüberlegung her, nach

der nur ordinale und interpersonell nicht vergleichbare Informationen über

individuelle Präferenzen als Grundlage der kollektiven Entscheidung zu gelten

haben. Kann jedoch ein Vergleich der interpersonellen Nutzeninformation nicht

durchgeführt werden, so kann auch keine Regel für die Bedingung kollektiv

rationaler und ethisch akzeptabler Auswahl angegeben werden.

Verteilungskonflikte sind auf die Weise nicht adäquat zu bearbeiten. Zudem ist

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die Annäherung an die Social Choice-Theorie schwierig, da die axiomatische

Methode teilweise auf rein mathematische Herleitungen abzielt.

Die Konzeptualisierung von Staaten als einheitlichen Akteuren bildet einen

weiteren wesentlichen Problembereich von Rational Choice-Konzeptionen, da

eine so gelagerte Akteursbetrachtung sich dem Risiko aussetzt, innenpolitische

Faktoren, die auf individuellen Entscheidungs- und Handlungsprozessen

aufliegen und im internationalen Kontext von Bedeutung sein können, zu

vernachlässigen. Durch die Synthese von Spieltheorie und funktionaler Theorie

im Rahmen des neuen Institutionalismus wird auf diese Problematik insoweit

eingegangen, als daß die Erklärung individuellen Handelns im Spannungs-

verhältnis zwischen Individuen und Strukturen erfolgt. Indem deutlich gemacht

wird, wie eine Anzahl von Strategien, die den Akteuren zur Verfügung stehen,

durch Strukturen und Institutionen begrenzt werden und sich dadurch das

Entscheidungskalkül der Individuen verändert, kann der Bezug zwischen

individuellem Akteur und kollektiver Entscheidung verdeutlicht werden.

Im Rahmen des Themenstrangs des neuen Institutionalismus läßt sich in der

Konzeptualisierung der Theorie wiederum die Schwäche der Unterbewertung

von Verteilungskonflikten als Kritikpunkt angeben. Regime werden zwar als

Möglichkeiten der Erlangung von Kooperation aufgeführt, die Zusammenhänge

zwischen der Festlegung von Regeln, die einen Problembereich betreffen, und

der Festlegung von Kontroll- und Sanktionsmechanismen bleiben jedoch offen.

Wie die Dilemmasituation hinsichtlich der Motivation der sozialen Akteure in

Bezug auf die Kostenabwälzung bei der Etablierung von Regimen überwunden

wird, wird ebenfalls nicht bearbeitet. Problematisch ist weiterhin die

Dichotomisierung von Verhaltensoptionen nach Kooperation und Selbsthilfe.

Zwischen diesen beiden Polen bestehen eine Vielzahl von weiteren

Verhaltensmöglichkeiten, die zwar als Interaktionsergebnisse nicht pareto-

optimal, d.h. kooperativ sein müssen, jedoch wünschenswerter als Selbsthilfe

sind. Diese werden jedoch nicht thematisiert.

Der Problembereich der Operationalisierung von Machtbeziehungen in

internationalen Regimen bzw. Institutionen schließt sich an. Viele

spieltheoretische Modelle gehen noch immer von symmetrischen Aus-

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zahlungen aus, was problematisch im Hinblick auf die Annahme der Robustheit

von Kooperation gegenüber Asymmetrien ist. Die Frage der Machtausübung in

Regimen ist noch nicht beantwortet.

Bezogen auf den Aspekt der Interessenformation sozialer Akteure kann in der

Gegenüberstellung der Grundannahmen hinsichtlich der Verhaltensweisen im

Rahmen des homo oeconomicus und des homo sociologicus darauf verwiesen

werden, daß das Verhalten sozialer Akteure, d.h. auch das Verhalten von

Staaten, möglicherweise nicht auf reiner Interessenverfolgung beruht, sondern

auch Normbefolgung beinhaltet. Betrachtet werden kann in diesem Zusammen-

hang die Rolle jedes Staates im internationalen Staatensystem, was

insbesondere auf die Anerkennung normativer Vorgaben, wie die der

Souveränität oder der Einhaltung von Verträgen, abzielt. Gerechtigkeit oder

Legitimation als nicht-rationale, auch nicht irrationale, Handlungsdeterminanten

können dabei als bedeutende Einflußfaktoren bei der Institutionenbildung

thematisiert werden (vgl. ZANGL/ZÜRN in Druwe/Kunz 1994:106).

Die Problemlösungskapazitäten von Rational Choice-Ansätzen werden anhand

der bestehenden Problembereiche zu entwickeln versucht. Politische

Interaktionen zwischen Staaten und Gesellschaften stehen dabei im Zentrum

der Untersuchung. Vernachlässigt wird nicht, daß sich Interaktionen zwischen

Menschen vollziehen. Handeln als Form menschlichen Verhaltens bildet die

Grundlage politischer Forschung im vorgestellten theoretischen Rahmen.

Politisches Handeln wird als ziel- und zweckbestimmtes Verhalten aufgefaßt.

Weiterhin wird eine Unterscheidung zwischen utilitaritischer Verhaltens-

determination und Normorientierung vorgenommen, um auf diese Weise zu

schlüssigen Erklärungsansätzen zu gelangen. Hier stehen Konkurrenz und

Ausgleich im Zentrum der Analysen, womit auch der Grundbegriff des

Interesses angesprochen ist. ZANGL/ZÜRN geben dazu an:

„Die grundlegenden Kategorien, mit denen internationale Politik analysiert wird,sind seit langem Interesse, zielgerichtetes Handeln, einheitliche Akteure,Anarchie u.ä.m. Insofern stellen Rational Choice-Analysen keine Alternative zuetablierten Ansätzen dar, sie selbst sind Establishment.“(1994:107)

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Schlußwort

In dieser Arbeit wurden zwei unterschiedliche grundlagentheoretische Ansätze

dargestellt und hinsichtlich ihrer beschreibenden und erklärenden Kapazitäten

im Forschungsbereich der Internationalen Beziehungen erörtert. Die Auswahl

der theoretischen Konzeptionen erfolgte dabei in der Weise, daß im gewählten

Objektbereich der Internationalen Beziehungen aufgezeigt werden konnte, wie

ein makrosoziologischer Ansatz und ein Ansatz, der sich primär auf die Analyse

mikrosoziologischer Phänomene, aus denen makrosoziologische Sachverhalte

abgeleitet werden können, zu Erklärungen gelangen. Wesentlich war hierbei,

deutlich zu machen, wie sich grundsätzlich die Definitionen von Erklärung in

den vorgestellten theoretischen Konstrukten unterscheiden und darauf

aufbauend unterschiedliche Theorieentwicklungen bedingen.

Der makrosoziologische Ansatz Talcott Parsons‘ gründet sich dabei auf die

systematische Darstellung sozialer Bedingungen, wobei zentral die Frage nach

der Wirkung von Handlungen auf das gesellschaftliche System gestellt wird,

d.h. Parsons erklärt das Explanandum mit dem Explanandum. Welche

Ursachen, d.h. Interessen, letztlich hinter Handlungen stehen (das Explanans),

kann Parsons nur im Rückgriff auf gesellschaftliche Bestandsanalysen

herleiten. Die funktionale Erklärung kann folglich keine kausale Begründung des

„Warum“ oder „Wozu“ einer individuellen Handlung liefern.

Der struktur-individualistische Theorieansatz begründet sich hingegen auf der

kausalen, insbesondere der rationalen Erklärung. Systematisierung und

funktionale Aspekte dienen dabei lediglich als Hilfsfunktion. Die

Erklärungsperspektive richtet sich somit nicht auf die gesamte Dimension

gesellschaftlicher Wirklichkeit, sondern nur auf Teilbereiche, zumeist Prozesse.

Die Erklärung erfolgt also mit Hilfe der Gesellschaft, nicht die Gesellschaft an

sich wird erklärt. Von diesem Aspekt ausgehend ist es möglich,

akteursspezifische Analysekonzepte, zu deren grundlegenden Kriterien neben

der Handlungstheorie der rationalen Wahl auch die Annahme einer

beschränkten Rationalität gehören (die es ermöglichen auch nicht-vernünftige

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Handlungsweisen zu erklären) und die sich z.B. in spieltheoretischen Matrizen

nieder-schlagen. Wesentliches Moment ist die Untersuchung von Präferenzen,

d.h. Interessen von individuellen/sozialen Akteuren im Rahmen einer

kontextabhängigen, d.h. auf Beschränkungen beruhenden, Mittel-auswahl. In

der Erweiterung wird dann das Aggregationsproblem hinsichtlich der Erfassung

gesellschaftlicher Sachverhalte diskutiert. Die Erforschung sozialer Phänomene

richtet sich damit auf den „Verursacher“ derselben, d.h. einzelne Individuen

oder Individuen in Kollektiven.

Bei der Übertragung der vorgestellten theoretischen Konzeptionen auf den

Forschungsbereich der Internationalen Beziehungen stand insbesondere die

Erfassung und Erklärung außenpolitischen Entschei-dens und Handelns im

Mittelpunkt. Unter Berücksichtigung der Frage nach den Bedingungen einer

friedlichen Beilegung von Konflikten im internationalen Rahmen, wobei

Konflikte als widersprechende Interessen auf unterschiedlichen Ebenen der

Auseinandersetzung aufgefaßt werden, wird der Begriff des Interesses zur

zentralen Kategorie. Die Analyse von Interessen muß vor diesem Hintergrund

wesentliches Anliegen theoretischer Konzeptionen sein. Die system-

theoretische Modellierung sozialer Phänomene greift diesen Aspekt im Kontext

eines normativ geprägten, sozial-konstruktivistisch angelegten Bezugsrahmens

auf und formuliert damit im wesentlichen die Problemstellung und gibt eine

Beschreibung des Ist-Zustandes des internationalen Systems. Da die

Vorgehensweise dabei eine ahistorische ist, kann nicht auf die Genese von

Konfliktsituationen eingegangen werden. Außerdem muß im Rahmen

systemischer Analysen immer der Bezugspunkt des Systemerhalts fokusiert

werden, so daß notwendiger gesellschaftlicher Wandel nicht erörterungsfähig

ist. Soziale Unge-rechtigkeit in ihren vielfältigen Ausprägungen kann anhand

der bestehenden systemtheoretischen Modelle nicht erfaßt und unter der

Voraussetzung, daß Theorie die Grundlage einer anwendungsbezogenen

Realwissenschaft ist, nicht zum Thema praktischer Politik werden.

Unter Beachtung der zeitlichen und gesellschaftlichen Bedingungen der

Entstehung des systemtheoretischen Programms soll schließlich noch

angemerkt werden, daß das internationale Gefüge bis in die Nachkriegsära des

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Zweiten Weltkriegs sehr homogen war. Eine theoretische Konzeption, die

ganzheitlich angelegt ist, übernimmt hier auch sinnversichernde Funktionen, die

dann allmählich durch die Veränderungen in den 60er Jahren auf nationalen

und internationaler Ebene(n) ihre Gültigkeit verloren. Die Problematik der

Erfassung sozialer Veränderungsprozesse läßt sich bereits an diesen kurzen

Hinweis verdeutlichen: Die Systemtheorie als Forschungsprogramm konnte im

Verlauf der sich verändernden weltpolitischen Situation ihrem Anspruch, eine

allgemeine Theorie zur Erklärung sozialer Phänomene zu sein, nicht gerecht

werden. Die statische Theoriekonstruktion und die auf den Systemerhalt

konzipierte Hypothesenbildung waren nicht geeignet, die gesellschaftlichen

Interessengegensätze sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene

in der Weise zu erfassen, daß die systemtheoretische Modellbildung den

gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen und daraus ihre Rechtfertigung

ableiten konnte.

Für den struktur-individualistischen Ansatz ist in Kapitel 5 dieser Arbeit bereits

die Problemstellung hinsichtlich der Erfassung von Verteilungsgerechtigkeit, als

wesentlichem Kriterium für eine befriedigende Konfliktlösungsmöglichkeit in

internationalen Zusammenhängen, im Rahmen der unterschiedlichen Themen-

stränge angeführt worden. Geht man davon aus, daß gerade die Nicht-

Partizipation an ökonomischen Gütern zu den grundlegenden Konfliktpunkten

auf weltpolitischer Ebene zähltt, muß im Rahmen eines im wesentlichen

ökonomischen Erklärungsansatzes die Frage nach der moralischen Recht-

fertigung von sozialer Handlung, von Tausch im weiteren Sinn, zu den

normativen Implikationen zählen.

Der Aspekt der ökonomischen Verteilungsprobleme wird im Rahmen des

struktur-individualistischen Programms anhand der Idee einer reinen

Verfahrensgerechtigkeit zur Behebung von Verteilungskonflikten diskutiert.

Auch wenn Marktmechanismen als Regelungsfaktoren bejaht werden, kann

jedoch keine Einigung hinsichtlich der beschränkenden Bedingungen bei

Tauschaktionen erzielt werden. Die Frage nach der Gerechtigkeit der

Verteilung, basierend auf Verfahrensregeln, muß sich jedoch auf die Erfassung

von sozialen Kontextbedingungen richten.

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Die weiteren Entwicklungen dieser thematischen Richtung sind mit Interesse zu

verfolgen und werden wohl einen wesentlichen Beitrag zur struktur-

individualistischen Theoriebildung und ihrer Anwendung auf den

Forschungsbereich der Internationalen Beziehungen leisten.

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