tagesbeobachtungen von sternen im altertum - ngzh.ch · in der sogenannten parekbase seines...

15
98 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Züric. 1943 KOPERNIKUS schied am 24. Mai 1543 aus dem irdischen Leben. Es wird berichtet, dass ihm, als er an Körper und Geist gelähmt auf dem Sterbebett lag, ein erstes vollständiges Exemplar seines Buches «De revolutionibus> überreicht wurde. Er sah und berührte es noch. Wenige Tage später starb er. So war bei KOPERNIKUS des Lebens Ende der Anfang der Unsterblichkeit in dem besonderen Sinn, dass köstliches Gut, das durch sein Werk gesät wurde, immer weiter köstliche Saat brachte. Tagesbeobachtungen von Sternen im Altertum Eine philologisch-astronomiegeschichtliche Rekonstruktion der Thalesanekdote Plat. Theaet. 174 A Von M. LANDMANN und J. O. FLECKENSTEIN In der sogenannten Parekbase seines «Theätet» erörtert PLATON die Welt- und Lebensfremdheit der Philosophen und wie sie darum der Menge häufig zum Gespött werden — «so wie auch Thales, der beim Beobachten der Sterne, da er hinaufschaute, in einen Brunnen gefallen war, von einer munteren und witzigen thrakischen Magd ausgelacht worden sein soll, weil er wissen wolle, was im Himmel vorgeht, und dabei nicht einmal sehe, was vor ihm und zu seinen Füssen liege» (6467LεQ xaL Oalr i v âdtpo- voµovvTa .... xa'c ixvr9 (3L7rovva, 7rEGÔVra ais q) kv , ®€ rrd rts 441ε1i ) s xât za t da niE()a7talVts A yεiat, tJS tat, iV 04(04,5 7C(o0 - vLOLro di vai, Tee ô'Ëpirooa•1Ev aihov %a}, 7rtx & a6das ,lavt(Zvot avrôv 174 a = A9) (Anm. 1). Die Anekdote findet sich auch bei DIOGENES LAERTIUS (A 1, § 34). Ob dieser sie freilich — wie HEINDORF (Anm. 2) vermutet — von PLATON übernommen hat, ist nicht ausgemacht, da seine Version, wie wir sehen werden, etwas anders lautet. Völlig von PLATON abhängig ist dagegen HIPPOLYTUS (Anm. 3). Endlich erzählt aber auch AESOP von einem in den Brunnen fallenden ci6r(Jo26 os (Anm. 4). Nun wäre zwar denkbar, dass die Anekdote erst nach PLATON in die Fabelsammlungen aufgenommen wurde. PLATON selbst könnte sie dann etwa aus einem der vorherodotischen Logographen haben. Ebenso denkbar aber und fast eher anzunehmen ist, dass PLATON sie aus AESOP hat. Das Volksbuch vom Leben des AESOP — in dem sich übrigens auch die Figur einer thrakischen Magd findet (Anm. 5) — war zumindest

Upload: danglien

Post on 17-Sep-2018

214 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

98 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Züric. 1943

KOPERNIKUS schied am 24. Mai 1543 aus dem irdischen Leben. Es wirdberichtet, dass ihm, als er an Körper und Geist gelähmt auf dem Sterbebettlag, ein erstes vollständiges Exemplar seines Buches «De revolutionibus>überreicht wurde. Er sah und berührte es noch. Wenige Tage später starb er.So war bei KOPERNIKUS des Lebens Ende der Anfang der Unsterblichkeitin dem besonderen Sinn, dass köstliches Gut, das durch sein Werk gesätwurde, immer weiter köstliche Saat brachte.

Tagesbeobachtungen von Sternen im AltertumEine philologisch-astronomiegeschichtliche Rekonstruktion

der Thalesanekdote Plat. Theaet. 174 AVon

M. LANDMANN und J. O. FLECKENSTEIN

In der sogenannten Parekbase seines «Theätet» erörtert PLATON die Welt-und Lebensfremdheit der Philosophen und wie sie darum der Menge häufigzum Gespött werden — «so wie auch Thales, der beim Beobachten derSterne, da er hinaufschaute, in einen Brunnen gefallen war, voneiner munteren und witzigen thrakischen Magd ausgelacht worden seinsoll, weil er wissen wolle, was im Himmel vorgeht, und dabei nicht einmalsehe, was vor ihm und zu seinen Füssen liege» (6467LεQ xaL Oalriv âdtpo-voµovvTa .... xa'c ixvr9 (3L7rovva, 7rEGÔVra ais q) kv , ®€ rrd rts 441ε1i) s xâtza t da niE()a7talVts A yεiat, tJS Tà tat, iV 04(04,5 7C(o0-vLOLro di vai,Tee ô'Ëpirooa•1Ev aihov %a}, 7rtx & a6das ,lavt(Zvot avrôv 174 a = A9) (Anm. 1).Die Anekdote findet sich auch bei DIOGENES LAERTIUS (A 1, § 34). Ob diesersie freilich — wie HEINDORF (Anm. 2) vermutet — von PLATON übernommenhat, ist nicht ausgemacht, da seine Version, wie wir sehen werden, etwasanders lautet. Völlig von PLATON abhängig ist dagegen HIPPOLYTUS (Anm. 3).

Endlich erzählt aber auch AESOP von einem in den Brunnen fallendenci6r(Jo26 os (Anm. 4). Nun wäre zwar denkbar, dass die Anekdote erstnach PLATON in die Fabelsammlungen aufgenommen wurde. PLATON selbstkönnte sie dann etwa aus einem der vorherodotischen Logographen haben.Ebenso denkbar aber und fast eher anzunehmen ist, dass PLATON sie ausAESOP hat. Das Volksbuch vom Leben des AESOP — in dem sich übrigensauch die Figur einer thrakischen Magd findet (Anm. 5) — war zumindest

Jahrg. 88. M. LANDMANN u. J. O. FLECKENSTEIN. Tagesbeobachtungen von Sternen. 99

den Athenern schon früh vertraut. Dass PLATON ihn kannte, geht ausmehreren Stellen hervor (Anm. 6). Und schon unter den ältesten Aesopicisbefinden sich neben den Tierfabeln auch Anekdoten (Anm. 7). Ist dochAESOP überhaupt nur ein Sammelname für kleinasiatische Erzählstücke.Und gerade die Heimatstadt des THALES, Milet, spielt bei ihm eine grosseRolle (Anm. 8). Allerdings spricht er ja nur ganz allgemein von einemd6rQ oa.6yos — woher also PLATON so bestimmt gerade von THALES? Hierhilft uns vielleicht eine im übrigen unwesentliche Einzelheit weiter. BeiAESOP nämlich jammert der in den Brunnen Gefallene (ôlvPoµÉVov, rcovGrevcryuoiv), und ebenso ist es bei DIOGENES LAERTIUS (âvotNu5 rvxt). Da esnun bei PLATON nicht so ist, so hat DIOGENES LAERTIUS offenbar — zumindest :auch — AESOP oder eine andere von ihm abhängigeVorlage benutzt. Zugleichaber erzählt er ja die Anekdote nicht namenlos, sondern, wie PLATON

von THALES. Auch jene Vorlage also wird sich aller Wahrscheinlichkeitnach schon auf THALES bezogen haben. Möglich bleibt auch so noch, dassdiese Beziehung erst nachträglich gestiftet worden ist. Aber nicht mindermöglich wäre es auch, dass schon «AESO p» die Geschichte ursprünglich vonTHALES berichtet hat, und dass dies die Redaktion war, in der er PLATON

vorlag.Die neueren Nacherzähler folgen teils AESOP (vermutlich Chaucer, The

Canterbury Tales, The Millere's Tale, 3457 ff.; Faernus, Fabulae centum 73;Lafontaine, Fables II 13), teils PLATON oder DIOGENES LAERTIUS (CentoNovelle Antiche 38 [Anm. 9]; Montaigne, Essays II 12; Desbillons, FabulaeAesopiae X 45).

I

Liegt uns nun in dieser Anekdote ein wirkliches geschichtliches Zeugnisvor? Oder hat ein Späterer sie sich ausgedacht? Ja, sie könnte älter alsTHALES und brauchte später bloss auf ihn übertragen worden zu sein. Ge-gen diese Annahme spricht zwar, dass sie keine «Wanderanekdote» ist,der bloss am Typischen eines Vorfalls oder Ausspruchs liegt und die deshalbbeliebig bald von dem, bald von jenem, sondern dass sie immer gerade nurvon THALES erzählt wird. Mit letzter Sicherheit freilich dürfen wir so etwasbei der Lückenhaftigkeit unserer Überlieferung nie zu behaupten wagen.Auch könnten ja besondere, uns nicht mehr durchsichtige Gründe vorge-legen haben, die Geschichte speziell auf THALES entweder zuzuschneidenoder hinterher zu beziehen und sie dann auch weiterhin mit seinem Namenverknüpft bleiben zu lassen (Anm. 10).

Auf Echtheit lässt zunächst die ®Pûrccz res 4yEA,;?5 xai. xaQiεGGa üεP a7zacvls —die freilichbei DIOGENESLAERTIUS fehlt — schliessen: denH wer konfabuliert ohneNot einen so individuellen Zug? Ob sie — wie HYPPOLYTUS vielleicht geglaubthat — Optza hiess oder ob sie — wie es sprachlich näherliegt und wieHEINDOIIF (Anm. 2) und STALLBAUM (Anm. 11), der auf die Häufigkeit

100 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1943

thrakischer Dienerschaft hinweist, in ihren Kommentaren ausführen —Thrakierin war (Anm. 12), ist dabei gleichgültig.

Allerdings ist gerade sie auch häufig zum Hebel geworden, mittels dessendie Anekdote für unecht erklärt wurde. So hat JAEGER (Anm. 13) sie ausdem beabsichtigten Kontrast gegen den Mann der Wissenschaft herzuleitengesucht; denn die Thraker gelten für besonders rauh und ungebildet.WINCKELMANN (Anm. 14) und auf ihn gestützt DÜMMLER (Anm. 15) wollenin ihr, da sie sich über den Gelehrten lustig macht, eine Anspielung auf denaller reinen Theorie abholden ANTISTHENES erblicken; denn dieser war vonmütterlicher Seite Thraker (Anm. 16). Die Echtheit der Anekdote als solcherwäre zwar dadurch allein noch nicht in Frage gestellt; PLATON könnte sichim Umriss an eine Überlieferung gehalten und brauchte bloss das Detailder thrakischen Magd hinzugefügt zu haben. Weiter geht JOEL (Anm. 17).Nach ihm gab es ein Antisthenisches Siebenweisengastmahl, in dem THALESwegen des mangelnden Nutzens seiner astronomischen und geometrischenStudien angegriffen und verspottet wurde (Anm. 18). Die Erzählung von sei-nem Fall in einen Brunnen gehört ursprünglich in den Zusammenhangdieses Gastmahls und soll den besagten Mangel an Nutzen möglichst dra-stisch illustrieren. Sie wäre demnach der kynischen Debatte über den Zweckder Philosophie entsprungen. Indem dann PLATON die thrakische Magdeinführt, scheint er gleichsam zu replizieren: nur ein unkultivierter Menschkonnte diesen Witz machen und wegen eines kleinen Missgeschicks, dasdem Forschenden, da er mit anderem präoccupiert ist, widerfahren magund sogar darf, die Forschung selbst inkriminieren wollen.

Dass die Anekdote erst im Rahmen einer Besinnung auf Wesen und Rangdes theoretischen Menschen gewürdigt — und ev. ausgestaltet — werdenkonnte, ist zweifellos festzuhalten. Dass sie jedoch aus einer solchen Be-sinnung überhaupt erwachsen sein müsse, ist nicht stringent. Sie kann der-selben ebensogut bloss entgegengekommen sein. Dass sie dann nicht biszur Zeit der Kynik überliefert worden wäre, ist kein Argument, da sichja auch und gerade eine vorphilosophische Einstellung, und zumal beimersten Auftreten des neuen Typus, ihre Gedanken über ihn gemacht habenwird. Vor allem der Astronom ist es, der frühem Empfinden immer wiederzum Sinnbild der Weltunerfahrenheit wird. Man denke an die der unsernverwandte Anekdote, die KANT (Anm. 19) von TYCHO DE BRAHE erzählt,der zur Nachtzeit nach den Sternen den kürzesten Weg fahren zu könnenmeinte, worauf sein Kutscher ihm antwortete: Guter Herr, auf den Himmelmögt Ihr Euch wohl verstehen, hier aber auf der Erde seid Ihr ein Narr. AlsAusdruck für die Ironie, die der lebensverwurzeltere Mensch des Philo-sophen Erdenwallen entgegenbringt, behält unsere Anekdote ja auch, selbstwenn sie unecht sein sollte, ihr ewig Sinnvolles bei.

Fundierter als die erwähnten Hypothesen scheint uns dagegen ein anderer,schon von ZELLER (Anm. 20) gegen die Echtheit unserer Anekdote erho-bener Einwand zu sein: dass sie sich nämlich dem Gesamtbilde des THALES,wie es uns sonst (mit Ausnahme der schlechten Zeugnisse A 1, § 25 und

Jahrg. 88. M. LANDMANN u. J. 0. FLECKENSTEIN. Tagesbeobachtungen von Sternen. 101

Arist. Eth. Nie. VI 7, 1141 b 3 ff.) entgegentritt, nicht recht einfügen will.Die Historizität sowohl seiner raffinierten Spekulation in Ölpressen, dieer in meteorologischer Voraussicht einer besonders guten Olivenernte imWinter billig borgte und, als dann grosse Nachfrage herrschte, mit Gewinnzurückvermietete, als auch seiner ingeniösen Hilfe an KRÖSUS, dem er durchdas Anlegen eines zweiten Flussbettes, das den Wasserspiegel senkte, denÜbergang über den Halys ermöglichte, wird zwar schon von den Referenten,ARISTOTELES (A 10, vgl. 1, § 26) und HERODOT (A 6, vgl. 1, § 38), in Zweifelgezogen. Allein auch dass sich solche Geschichten sekundär auf ihn über-tragen liessen ist charakteristisch, wenngleich nicht direkt für ihn selbst, sodoch für das Andenken, in dem er bei den Griechen lebte. Viele sinnreicheErfindungen wurden ihm zugeschrieben (Plat. Rep. X 600 a). Sein damaligenstaatlichen Möglichkeiten weit vorauseilender Gedanke, die Ionier solltensich, um der Unterwerfung durch die Perser zu entgehen, zu einem Bundes-staat mit gemeinsamem Parlament zusammenschliessen (A 4), sowie seinweitblickender Rat an die Milesier, einen Bündniserneuerungsantrag desKRÖSUS abzulehnen, was der Stadt später, als CYRUS die Oberhand gewann,zur Rettung gereichte (A 1, § 25), zeigen ihn auch in politischer Hinsichtals überlegen und umsichtig. Unsere Anekdote dagegen macht aus demwirklichkeitsvertrauten und vielseitigen Mann einen geistesabwesendenHans-guck-in-die-Luft.

HätteH wir ihn uns aber de facto als einen solchen vorzustellen, somüssten wir noch immer Anstoss nehmen. Denn «beim Beobachten derSterne» (devQovouovvra), «da er hinaufschaute» (ævco /.3ÄÉlrovra), wie PLATONerläuternd noch hinzufügt, in einen Brunnen fallen — das konnte ihmnur passieren, wenn er seine Beobachtungen ambulando anstellte. Seitwann aber pflegen Astronomen ihre Observationen mit Spaziergängen zuverbinden? In der Form, welche DIOGENES LAERTIUS — oder eine von ihmbenützte Vorlage der Anekdote gibt, ist dieser Unstimmigkeit ausgewichen.Dort wird der offenbar schon altersblinde (vgl. A1, § 39) THALES von einerGreisin aus dem Hause geführt, um die Sterne zu betrachten. Er siehtalso die Brunnenöffnung zu seinen Füssen (hi nroGiv) aus Weitsichtigkeitnicht, während er die entfernteren Himmelsvorgänge (ra ï d roi oz3 avov)noch sehen kann. Auch das dem sonst überlieferten Charakter des THALESWidersprechende der platonischen FassuHg ist so vermieden. Freilich tretenan die Stelle der fehlenden bloss neue Unstimmigkeiten. Denn wenn dieAugenbeschaffenheit des THALES die Ursache seines Sturzes war, so istder auch bei DIOGENES LAERTIUS wie bei PLATON nachfolgende Spott nichtmehr gerechtfertigt. Und was soll die ihm zur Führung beigegebene Greisin,wenn sie den Sturz doch nicht zu verhindern wusste? Sowohl PLATON wieAESOP — bei dem der âevt o2 yos, der sich offenbar allein nicht mehr befreienkann, um Hilfe ruft und so den Spötter selbst erst auf die Bühne bringt

klingen in diesem Punkte weit glaubwürdiger.Aber selbst wenn THALES mit zum Himmelszelt erhobenem Antlitz einher-

gewandelt wäre, so bliebe ein Fall in einen Brunnen immer noch reichlich

102 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1943

unglaubhaft. Zwar gab es, nach erhaltenen Exemplaren zu schliessen, inder AHtike auch eine Konstruktion des (pQhv mit zu ebener Erde gelegenerMündung (Anm. 21). Häufiger aber war diese sicherheitshalber von einermindestens etwa kniehohen Brüstung umrandet (Anm. 22). UHd zudempflegte sie, wie Überreste von Eisenscharnieren gelegentlich noch anzeigen,meist (Anm. 23), vielleicht sogar immer (Anm. 24), mit einem Deckel ver-sehen zu sein. Denn ein solcher Deckel — der übrigens auch heute nochüblich ist — stellt den wirksamsten Schutz nicht nur gegen das Hinein-fallen von Tier und Mensch, sondern auch gegen Verunreinigung und Ver-dunstung dar. Auch der den Brunnen oft überdachende galgenartige Aufbauzum Hochwinden des Eimers (Anm. 25) dürfte für Stürze nicht eben förder-lich geweseH sein. Und endlich war die Öffnung der Schächte in der Regelso eng, dass ein trotz allem Hineinstolpernder sich mit Armen und Beinennoch wieder hätte hinausstemmen können. Vielleicht um der beanstan-deten Unwahrscheinlichkeit auszuweichen, sagt DIOGENES LAERTIUS stattg)Q 40c 9 /3dûQ og = Grube.

So sehr indessen diese Argumente dagegen sprechen, dass sich der Vor-fall tatsächlich zugetragen, so sehr sprechen sie auch dagegen, dass jemandihn frei erfunden hat. Denn was als Wirklichkeit unwahrscheinlich ist, istes als Ausgedachtes nicht minder. Die Bedenken, die uns heute gegen einenwandelnden Sternbeobachter und gegen einen Brunnen, in den man ohneweiteres hineinfallen kann, aufsteigen, müssten ebenso schon einem anti-ken Erdichter der Anekdote aufgestiegen sein. Zudem ist sonst häufig nocherkennbar, aus welchem Motiv heraus eine Anekdote geschaffen wurde.Welches Motiv sollte aber in unserem Fall bestimmend gewesen sein? Werdas Ideal eines weltabgewandten Forschertums versinnbildlichen wollte,wird dazu nicht eine Begebenheit ersonnen haben, die ja dieses Ideal geradein negativer Beleuchtung erscheinen lässt. Sollte umgekehrt jemandem aneiner solchen Beleuchtung gelegen gewesen sein, so bleibt immer noch derEinwand, dass die Wahl gerade des THALES denkbar unglücklich ist. Se nonè vero, è mal trovato.

Die Anekdote scheint also weder echt noch unecht sein zu können. Reinerwägungsmässig steht nun nur noch die dritte Möglichkeit offen, dass siesowohl echt wie unecht, beides aber nur teilweise ist; dass sie also zwarauf ein reales Vorkommnis hindeutet, dieses jedoch mit Nichtvorgekomme-nem verknüpft oder verschmilzt. Jenes Vorkommnis stünde demnach jetzt ineinem Zusammenhang, in den es von Haus aus nicht gehört. Wie aber —so gälte es dann zu fragen — ist es in diesen hineingeraten? Offenbar mussman aus irgendeinem Grunde das Bedürfnis gehabt haben, es ihm ein-, resp.ihn ihm anzugliedern. Ein solcher Grund könnte z. B. gewesen sein, dassman es nicht mehr verstand. Der neugeschaffene Zusammenhang hättedann den Zweck, das Nichtmehrverstandene wieder zu erklären. Ob aberdiese Erklärung den ursprünglichen Sinn wirklich trifft? Nach den Schwie-rigkeiten, auf die unser Verstehen gestossen ist, stünde eher zu vermuten,dass sie ihn verfehlt. Die Anekdote zerfiele demnach in einen historischen

Jahrg. 88: M. LANDMANN u. J. O. FLECKENSTEIN. Tagesbeobachtungen von Sternen. 103

Kern und eine diesen entstellende nachträgliche Deutung. Die besagtenSchwierigkeiten hätten sich durch den Übergang der noch unverfälschtenFassung in die uns vorliegende ergeben.

II.

Vielleicht wird es für das Verständnis unserer Anekdote nicht ohne Er-trag bleiben, wenn wir uns nunmehr der Forschertätigkeit des Milesierszuwenden. Hier ist nun zwar sogleich anzumerken, dass er für den grösserenTeil des ihm Zugeschriebenen nur als Vermittler orientalischen Wissensgelten darf. Schon die Griechen, die in ihm ganz allgemein den erstenMathematiker und Astronomen sahen, wollten doch zugleich auch wissen,dass er dies nicht schlechthin, sondern dass er seinerseits ein Schüler derPriester in Ägypten war. Selbst wenn man seine Handels- und Bildungs-reise dorthin (A 1, § 24-27, 3, 11) — wozu keinerlei Grund besteht —bezweifeln sollte, so kann er immer noch direkt von Milet aus, das mitLydien, einem vorgeschobenen Posten mesopotamischer Kultur, politischeBeziehungen unterhielt, die — der ägyptischen wenigstens in astronomischerHinsicht sogar bei weitem überlegene — Weisheit der Babylonier erlernthaben. Indessen hatte die Astronomie ihren gewaltigen Aufschwung beidiesem Volke auch gerade erst im 7. Jahrhundert erfahren, ja nach F. X.KUGLER S. J. kann man trotz des hohen Alters chaldäischer Sternkunde voneiner wahrhaft wissenschaftlichen Astronomie überhaupt erst seit damalsreden (Anm. 26). THALES ist also weniger ein epigonenhafter Überbringeruralter esoterischer ägyptobabylonischer Priesterweisheit, als vielmehr einvom morgenländischen Erwachen wissenschaftlichen Denkens miterfasstererster griechischer Pionier. Eine unserer Hauptquellen für die babylo-nische Astronomie ist die grosse Sammlung von Keilschrifttexten, die ASSUR-BANIPAL (668-626) kurz vor und teilweise sogar erst wäh-r e n d der Lebenszeit des THALES in Ninive anlegen liess. Ja, THALES istsogar früher als die beiden grössten babylonischen Astronomen NABUxI'-ANNU und KIDINNU (CIDENAS).

Mag daher auch von ihm keine Einsicht überliefert sein, die prinzipiellüber das schon den Ägyptern oder Babyloniern Bekannte hinausginge, soscheint doch eine Auffassung, nach der er davon nur «Brocken ... auf-gelesen» (Anm. 27) und nicht einmal eigene BeobachtuHgen angestellt habe(Anm. 28), wenig Plausibilität für sich beanspruchen zu dürfen. Auch unsereAnekdote zeigt ihn ja — obgleich er nach TANNERY (Anm. 29) trotz ihr nichtselbständig gearbeitet haben soll — ciGroovouovvua. Und zumindest technischeAnwendungen des neuen Wissens werden ihm nicht abzusprechen sein.Man denke an seine Anleitung zur Berechnung von Schiffsdistanzen (A 20)und an die «Künste der Wasserbautechnik» (Anm. 30), die die bereits her-angezogene Legende von der Ableitung des Halys ihm zutraut. Jedenfalls hater das Erlernte nicht bloss mechanisch rezipiert, sondern zumindest zu verifi-

104 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1943

zieren, vielleicht sogar produktiv weiter zu entwickeln versucht (vgl. A 11).Die Hauptmessinstrumente der Ägypter und Babylonier: die Klepsydra (Was-seruhr), der Gnomon (Schattenstab) und der Polos (Hohlkugel mit Schat-tenstab) werden ihm dabei wohl zur Verfügung gestanden haben. Merk-würdigerweise schreiben zwar die antiken Autoren nicht ihm, sondern aus-drücklich immer nur seinem Freund und Schüler ANAXIMANDER (12 A 1,§ 1, 2, 4), wenn nicht sogar erst dem ANAXIMENES (13 A, 14 a), die Einführungdes Gnomons in die griechische Astronomie zu. Wahrscheinlich verdanktman ANAXIMANDER nur die erste Auf s t e 11 u n g eines Gnomons i nG r i e c h e n l a n d (Sparta) (12 A 1, § 1). Immerhin ist die Überlieferunginsofern in sich konsequent, als sie — mit einer Ausnahme (11 A, 13 c)allerdings — ebenfalls erst ANAXIMANDER (12 A 5) die Schiefe der Ekliptik,deren Betrag sich aus systematischen Gnomonbeobachtungen mit Leichtig-keit ergibt, entdeckt haben lässt. Sollte THALES den Gnomon noch nichtbenutzt haben?

Mit welchen Fragen aber hat sich THALES vornehmlich abgegeben? Schondie Einführung der (ägyptischen) Einteilung des Monats in 30 und desJahres in 365 Tage (Al, § 24/27) deutet u. a. auf einen KaleHderreformator.Auch die Vierzahl der Jahreszeiten (Al, § 27), ja ihre ungleiche Länge (A17),soll seine «Entdeckung» sein. Hierzu fügt sich nun insbesondere auch gut,dass er, nach übereinstimmender Aussage der Alten (Al, § 23/24, 2, 3, 17, 19),die Solstitial- uHd Äquinoktialpunkte festzustellen suchte. Werden dochsogar zwei Schriften: HrPirpo2rig und Ilepi iopε (1tœ g auf ihn zurückgeführt (B 4).Obgleich dies Fälschungen sind, dass man sie ihm unterschieben konntebeweist doch wiederum im allgemeinen seine kalendarische Interessiertheit.In der genauen Fixierung der Jahrespunkte dürfte er vielleicht sogaroriginell gewesen sein. Denn die Babylonier scheinen die systematischeund fortlaufende Beobachtung der Äquinoktien vernachlässigt (Anm. 31)und sie mehr durch Frühaufgänge von Sternen, wahrscheinlich der Ple-jaden, bestimmt zu haben (Anm. 32). — Da die Berichterstattung hierjedoch nicht nur nicht immer ganz zuverlässig, sondern auch äusserst frag-mentarisch ist, empfiehlt es sich, die Tätigkeit eines um 600 aus kalen-darographischen Gründen systematisch die Jahrespunkte beobachtendenAstronomen zugleich durch Extrapolation der direkten, der zeitlich vor-hergehenden babylonischen Quellen nach vor- und derjenigen der nach-folgenden klassisch-hellenistischen Zeit nach rückwärts gleichsam zu re-konstruieren.

Zu diesem Zweck müssen wir etwas weiter ausholen. In der Frühstufeder astronomischen Entwicklung wurden bei allen Völkern die ausgezeich-neten Stellungen (Auf- und Untergang) der helleren und auffallendenSterne zur Festlegung der Jahreszeiten benutzt. So begannen die Griechenden Sommer mit dem Frühaufgang der Plejaden, die Römer den Herbst-anfang mit dem Frühuntergang der Leyer (Anm. 33). Die Ägyptologieist . arm an direkten Zeugnissen rein astronomischen Inhalts. Immerhinbesitzen wir Sterntafeln (-1100) aus den Gräbern von RAMSES VI. und IX.,

Jahrg. 88. M. LANDMANN u. J. O. FLEGKENSTEIN. Tagesbeobachtungen von Sternen. 105

die nach den einzelnen Halbmonaten geordnete Angaben über Stellungen(Aufgänge und Kulminationen) hellerer Sterne für bestimmte Stundenenthalten (Anm. 34). Bekannt ist ferner die Funktion des hellsten Sternsam Himmel, Sirius, dessen erster sichtbarer Aufgang in der Morgendämme-rung (heliakischer Aufgang) den Beginn der Nilschwelle ankündete. Unterden babylonischen Keilschrifttexten, besonders in der oben erwähntenBibliothek des ASSURBANIPAL, befinden sich mehrere, die die Auf- und Unter-gänge und Kulminationen von Sternen und Sternbildern für die einzelnenMonatsdaten enthalten. So verzeichnet z. B. der aus dem 7. Jahrhundert stam-mende, 180zeilige Text «Brit. Mus. 86378» (Anm. 35), der übrigens sehr vielzur Identifikation der babylonischen mit unseren Fixsternnamen beitrug,u. a. gleichzeitige Auf- und Untergänge je zweier Sterne, nach Monatsdatengeordnete heliakische Aufgänge sowie Zeitdifferenzen zwischen je zweisolchen Aufgängen während eines Mondjahrs, mit Sternkulminationen gleich-zeitige Aufgänge und schliesslich eine Reihe von zigpu-Sternen, d. h. Ster-nen, die in der Nähe des Zenits kulminieren.

Gerade diesen letzteren scheinen die Babylonier besondere Aufmerksam-keit geschenkt zu haben. Den genauen Moment der zenitalen Kulminationkonnte das Altertum durch Brunnenbeobachtungen festlegen, denn beimZenitstand spiegeln sich hellere Sterne in der Tiefe eines Wasserbrunnens.Bekanntlich ist ERATOSTHENES in Syene auf diese Weise auch die zeitlicheBestimmung der — am Sommersolstitimn dort in den Zenit fallenden —Sonnenkulmination gelungen (Anm. 36). Auch unser Text enthält ja dieAngabe einer Reihe von Zenitsternen. So heisst es z. B., die Leyer — dieübrigens, promiscue mit Wega (= a Lyrae), an zehn verschiedenen Stellenvorkommt — stehe, wenn die Pisces aufgehen, in Zenitnähe. Wir besitzenferner sogar einen keilschriftlichen Katalog von 26 Zenitsternen (Anm. 37).Auch auf ihm figuriert als hellster Stern wiederum Wega. Die Angaben sindnatürlich recht roh. Für Babylon hat die Wega immerhin eine Zenitdistanzvon ca. 7°, Fehler in der Grössenordnung von 5° = 20 71 kommen durch-gängig vor.

Welches Material liefert uns nun das andere chronologische Ende, diehelleHistische Zeit? Mindestens seit dem 5. Jahrhundert (Anm. 38) verzeich-neten die Griechen auf öffentlichen Säulen oder Tafeln (Parapegmen, d. h.«Steckkalender ») die Sonnenstände, die Auf- und Untergänge von Sternen,«welche den Menschen im DieHste des Poseidon oder des Zeus Treffendes(über die Witterung) anzeigen» (Anm. 39) und Daten, die für die täglichenArbeiten vor allem der Landbevölkerung wichtig erschienen. Eine grossekompilatorische SammluHg von Excerpten aus verschiedenen Parapegmenstellt der Kalender des Geminos (1.Jahrh. v. Chr.) oder besser gesagt derAnnex zu seiner Elaaycoyi εls t& patv6µεva dar. Seit 1902 haben wir abersogar Bruchstücke von milesischen Parapegmenplatten aus dem 2. vorchrist-lichen Jahrhundert (Anm. 40). Diese enthielten die vier Jahrespunkte unddie Auf- bzw. Untergänge von Sirius, Arktur, Orion, der Plejaden und derLeyer (Wega). Nach DIELS «ist kein Zweifel, dass zwar nicht die gefundenen

106 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1943

Exemplare, wohl aber die ganze Einrichtung in Milet uralt und mit den Stu-dien der milesischen Astronomen eng verknüpft war» (Anm. 41).

Dass auch THALES sich mit den bevorzugten Gestirnstellungen abgegebenhat, beweist das ihm zugeschriebene Ergebnis über den morgendlichenUntergang der Plejaden (A 18). Bei der Wichtigkeit, die gerade den Zenit-beobachtungen seitens der babylonischen Astronomie beigemessen wurde,wäre es ferner nicht verwunderlich, wenn auch er als deren Adept solcheangestellt hätte. Da die Parapegmen aus Milet die Leyer als Kalendersternerwähnen, so du rite der Vater der altionischen Kalenderastronomie wohlauch den Stand der Wega verfolgt haben. Ja dass er dies tat, lässt sich nochvon anderer Seite her wahrscheinlich machen: vergleicht man den Lauf einesSterns mit dem der Sonne, so zeigt sich ein Unterschied zwischen Stern- undSonnenjahr. Auf den Parapegmen pflegte man diesen Unterschied dadurchauszugleichen, dass man die Monatsnamen und Tagesnummern des zivilen(Sonnen-) Jahres mittels Stiften neben den Daten des astronomischen «bei-steckte». Die gegenseitige Beziehung von Stern- und Sonnenlauf nun mussim naturgegebenen (Grundsystem, nämlich dem) Horizontalsystem vierausgezeichnete Stellungen aufweisen: entweder Sonne und Stern kulminie-ren gleichzeitig (wobei obere und untere Kulmination zu unterscheidensind) oder nur der Stern kulminiert, während die Sonne entweder auf- oderuntergeht. Die Koordinaten der Wega für die Zeiten des THALES (-600)sind nun: Rektaszension a-17' 1 09 ;' 8 und Deklination a= 39° 04 (Anm. 42).Ferner ergibt sich für die Sternzeit im mittleren Mittag des 23. März zu MiletL — 2311 361' 8. Sechs Tage vorher, am 17. März, war die Sternzeit des Mittagsum rund 6 Stunden grösser als die Rektaszension der Wega. Das bedeutet,dass diese zu den Zeiten der Frühlings-Tagundnachtgleiche in der Morgen-dämmerung kulminierte. Entsinnen wir uns hierbei des von uns schon heran-gezogenen Keilschrifttextes, nach dem Lyra, wenn die Pisces aufgehen, inZenitnähe steht. Es wird noch hinzugefügt, dass dies am 15. des MonatsAdar sei. Da nun Adar der zwölfte Monat ist und da die Babylonier ihr Jahrum das Frühlingsäquinoktium herum beginnen (Anm. 43), so fällt der 15.Adar auf den Anfang März, kurz vor Frühlingsanfang. Und da sich zudemalle Angaben in Col. IV. des Textes auf einige Zeit vor dem unmittelbarenSonnenaufgang beziehen (IV, 11), so haben wir hier für unsere nachträg-liche Rekonstruktion sogar noch eine historische Bestätigung (Anm. 44).Wenn man die Ungenauigkeit von einigen Tagen dem damaligen Stand derAstronomie zugute hält, so folgt daraus weiter, dass die Wega um das Herbst-äquinoktium in der Abenddämmerung kulminierte. Ebenso beim Sommersol-stitium um Mitternacht, um das Wintersolstitium am Mittag. Der letzte Auf-gang der Wega, der in der Abenddämmerung noch sichtbar war (akronychi-scher Aufgang) fiel auf den 20. April (Anm. 45), der erste in der Morgen-dämmerung sichtbare Untergang (kosmischer Untergang) war am 16. August.In der Mitte zwischen diesen beiden Daten, am 18. Juni, musste sie also umMitternacht kulminieren. Am 10. November ging die Wega heliakisch auf.Dann rückten ihre Aufgangszeiten immer mehr in die Nachtstunden. Zu-

Jahrg. 88. M. LANDMANN u. J. O. FLECKENSTEIN. Tagesbeobachtungen von Sternen. 107

gleich aber wanderte die Sonne am Himmel immer mehr der Wega entgegen,bis ihre Rektaszension mit der jener übereinstimmte. Da sie alsdann amn23. Januar — dieses Datum ist auch auf einem der aufgefundenen Para-pegmen verzeichnet (Anm. 46) — heliakisch unterging, so musste sie am17. Dezember, also zu den Zeiten des Wintersolstitiums, mit der Sonne, alsoam hellichten Mittag kulminieren.

Nach der von uns bereits herangezogenen Überlieferung nun hat THALESdie Wendepunkte der Sonne bestimmt. Mit einiger Reserve durften wir ihrsogar entnehmen, dass er dies ohne Gnomon unternahm. Wie aber will ersie dann bestimmt haben?

Wäre es nun nicht möglich, dass er mit Hilfe von Zenitbeobachtungengearbeitet, d. h. den von uns nachgezeichneten Funktionsverlauf verfolgtund dabei konstatiert hätte, dass die «singulären» Stellen dieser Funktionin die Nähe der Jahrespunkte fielen? Ein solches Verfahren, dieselbenfestzulegen, wäre zumindest von der Parapegmentradition her leicht zuverstehen. Ja, auch wenn er mit dem Gnomon vertraut gewesen wäre, könnteer dieses Verfahren zusätzlich noch verwendet haben.

Wie aber konnte er die Wega in der Dämmerung der Äquinoktien odergar am hellichten Mittag des Winterbeginns beobachten?

Dass sehr helle Sterne auch am Tage gesehen worden seien, wird immerwieder berichtet (Anm. 47). Schon die Babylonier verzeichnen diese merk-würdige Beobachtung (Anm. 48). Auf Anregung von SCHAUMBERGER hatRACKE. S. J. in Brasilien 1934 den Sirius mehrere Tage lang bis zu 20 Minutennach Sonnenaufgang sogar in einem Quecksilberspiegel wahrnehmen kön-nen (Anm. 49).

In Kleinasien aber, exakt gerechnet auf der Breite von Mytilene, kulmi-nierte die Wega zur Zeit, da THALES dort lebte, nicht nur in der Umgebung,sondern wirklich im Zenit. Die Breite von Milet ist etwas südlicher, 37° 20'.Nach PIHLOSTBAT (Apoll. II, 5, 3) soll THALES auf dem Mykalegebirge nörd-lich von Milet beobachtet haben. Und nach einer anderen, freilich stark be-zweif elten Tradition (A 8) soll er auf Tenedos, also nur wenig nördlich vonMytilene, gestorben sein. Beide Orte weisen etwas günstigere, aber auchMilet weist noch keine ungünstige Lage auf. Für unseren Astronomen alsohat Wega fast als genauer Zenitstern zu gelten.

Nun gibt es eine bis ins Altertum zurückreichende Überlieferung, austiefen Schächten sehe man Sterne auch während des Tages. Schon ARISTO-TELES spricht davon, dass dies «aus Gruben und Brunnen manchmal» ge-schehen könne (Anm. 50). Freilich verrät bereits seine Formulierung, dasser sich wohl nur auf ein — uns freilich durch den Zusatz Mors vertrauens-würdig scheinendes — Hörensagen verlässt. Ebenso hat PLINruS (Anm. 51)nach ARAGO (Anm. 52) eher nicht als Autopt zu gelten. Verlässlicher aller-

108 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Züric. 1943

dings klingt GALEN (Anm. 53). A. VON HUMBOLDT, der infolge seines Berufesals praktischer Bergmann mehrere Jahre lang einen grossen Teil des Tagesin den Gruben der verschiedensten Breitengrade zubrachte, will trotz ange-legentlicher Nachforschung von dort aus nie einen Stern gesehen haben(Anm. 54). Auf seinen und anderer Misserfolg gestützt glaubt R. WOLF(Anm. 55) unsere Quellen für bloss «apokryphisch» ansehen zu dürfen:nach ihm liegt uns in ihnen «kein beglaubigtes Faktum, wohl aber manchesBeispiel der Täuschung» vor (Anm. 56).

Allerdings geben beide Autoren zu, dass die Chance, einen Schacht zu fin-den, in welchem man die Beobachtung anstellen kann, äusserst gering ist, unddass der Mangel an verlässlichen Berichten vielleicht nur hieraus zu erklärenist. Müssen doch für das Zustandekommen einer solchen Beobachtung gleich-zeitig drei Bedingungen erfüllt sein: erstens muss der beobachtete Stern inseiner Helligkeit wohl über der zweiten Grössenklasse liegen; dann aberkommen am ganzen Himmel höchstens 20 Sterne in Betracht. Zweitens musssich der Schacht gerade auf einer der 20 Breiten befinden, für welche einsolcher Stern Zenitstern ist. Und drittens muss genau in dem Moment nachihm gesehen werden, in welchem er die Kulmination erreicht. Es ist in die-sem Zusammenhang bemerkenswert, dass sich zumindest zwei — die beidenersten — dieser Bedingungen für die glaubwürdigen Berichte von Tagbeob-achtungen, die ARAGO (Anm. 52) mitteilt, erweisen lassen, indem diese ausGegenden stammen, in denen hellste Sterne in der Nähe des Zenits kulmi-nieren. Für die Studenten aus Coimbra (Breite 40° 12'), von denen SCHEINERS. J. in der «Rosa Ursina> spricht, war, wie für THALES, Wega ein Zenitstern,und für den Londoner (Breite 51° 37') Optiker TROUGHTON, von deinJ. HERSCHEL in den «Outlines of Astronomy» erzählt, war es a Persei(Anm. 57).

Alle drei Bedingungen aber würden für THALES, wenn er von einemSchacht aus beobachtet hätte, zugetroffen haben. Denn nicht nur war, wiewir sahen, der zweithellste Stern des Himmels zu seiner Zeit und in seinerHeimat Zenitstern, sondern dieser war auch, und zwar, wie wir ausserdemwahrscheinlich zu machen versuchten, gerade für den Moment seiner Kul-`mination, das Beobachtungsziel des THALES. Nehmen wir einen Schacht von20 m Tiefe und 0,6 m Durchmesser an, so besitzt dieser eiHen Kegelöffnungs-winkel, der für einen am Grunde befindlichen Beobachter immer nocheinen Bereich von 1° 8 des Himmels überblicken lässt. THALES kann also •

auch von Milet aus die Wega in ihrer Kulmination beobachtet haben. Ob ersie nur in der Dämmerung der Äquinoktien — wobei dann der Schachtlediglich verstärkende Wirkung gehabt hätte — oder sogar am Mittag (vgl.Anm. 53) des Wintersolstitiums sah, müssen wir dahingestellt sein lassen,da eine solche Tagbeobachtung bisher noch nicht einwandfrei konstatiertworden ist. Die Möglichkeit der Verwendung eines Schachtes mag dabeialtes, empirisches Wissen sein. Sich dasselbe zu kalendariographischenZwecken nutzbar zu machen war dann wohl eine Idee erst der wissenschaft-lichen Astronomen, vielleicht sogar erst des THALES selbst.

Jahrg. 88. M. LANDMANN u. J. O. FLEGKENSTEIN. Tagesbeobachtungen von Sternen. 109

Einen Schacht wird er leicht gefunden haben: er brauchte sich ja nur ineinen Brunnen oder eine unterirdische Zisterne hinabzulassen.

Wie erhaltene Exemplare und Ausgrabungen zeigen, hatten diese oft eineflaschenförmige Gestalt: mit der Oberwelt durch einen steilrechten Halsverbunden (Anm. 58), erweiterten sie sich nach unten zu einem kegelförmi-gen Kuppelraum, in welchem sich das Reservoir befand oder durch den dasin Stollen zugeleitete Wasser hindurchfloss (Anm. 59). Der Platz war reich-lich genug bemessen, damit man hinuntersteigen und Reinigungsarbeitenvornehmen konnte. Zu diesem Zwecke waren die Seitenwände sogar mitAbsätzen oder quergelegten Balken versehen. Der <<Wasserbautechniker»THALES wird jedenfalls gewusst haben, wie am zweckmässigsten hineinzu-gelangen war.

Sollte dies nun vielleicht der qi l x (Anm. 60) gewesen sein, inden hinein unsere Anekdote ihn fallen lässt? Der Zusammenhang mitder Astronomie ist ja auch in ihr noch bewahrt. EntsinHen wir uns, wie schonrein philologische Überlegungen uns zur Annahme geführt hatten, dass dieAnekdote zwar nicht echt, aber auch nicht unecht, sondern vielmehr aus einerhistorischen Urzelle und einer dieser durch Missverstehen verstümmelndennachträglichen Deutung zusammengesetzt sei. Diese Urzelle können wirjetzt, wenn es nicht zu kühn ist, aus ihrer Verstümmelung wieder zurück-rekonstruieren. Sie wird offenbar in einem Bericht bestanden haben, lautdem THALES in einen Brunnen (εis q tau) zu steigen und von dort aushinaufzuschauen (&voo /3d2rovra) und Sterne zu beobachten (ctdr@ovouov'vra)pflegte (Anm. 61). Ob auch die thrakische Magd (Anm. 62) — resp. eineGreisin — in diesem Bericht schon eine Rolle spielte, ist heute nicht mehr zuerkennen. Wohl dagegen wird, dass der Vorgang sich am Tage abspielte, an-fänglich mitberichtet worden sein. Diese Fassung ist vermutlich schon frühuntergegangen. Ein anonym gewordener Nachhall schwingt vielleicht in derAngabe des ARISTOTELES noch mit. Wahrscheinlich wurde zuerst der Zusatz«am Tage» als unverständlich weggelassen. Dadurch aber wurde der Resterst recht unverständlich: denn wozu sollte THALES in der Nacht, wo er sichdoch keinerlei Vorteil davon versprechen konnte, in einen Brunnen gestiegensein? Da hilft nur eine Erklärung: Er ist in ihn nicht gestiegen, sondernaus Unachtsamkeit gefallen. Die kleinasiatische Erzählungskunst hat danndiese Geschichte aufgegriffen, typisiert und — da in ihr nie die Pointefehlen darf — in sententiösen Spott ausklingen lassen. Da freilich ein Fallbei Nacht nicht im selben Masse spottenswert ist als einer bei Tage, sobleibt auch umgekehrt denkbar, dass gerade diese Einzelheit erst zuletztweggefallen wäre.

Unsere Überlegungen verdichten sich also zu der Hypothese, dass dieAnekdote vom Brunnenfall des THALES den verunstalteten Restteil einerälteren Tradition enthält, in welcher er am Tage aus einem Brunnen Sternebeobachtete. Der Fall, der Spott, wohl auch die Magd: all dies ist Konfa-bulation. Zugrunde aber liegt ein wirkliches und, wie wir aus Stand undRichtung seines Wissens folgern durften, im Leben des THALES vielleicht

110 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Züric. 1943

sogar notwendiges und nicht nur einmaliges Ereignis. Wir können es zwarnicht aufs Jahr, wohl aber mutmasslich auf den Tag oder vielmehr auf dieTage, ja auf die Stunden genau datieren. Gewiss könnte er ja ausserdem,irgendwann oder gerade beim. Hinabsteigen einmal auch gefallen sein.Indessen für den von uns freigelegten Sinnzusammenhang ist dies irrelevant.Und während die Anekdote im Bilde des Philosophen einen, wie wir sahen,befremdenden Zug darstellte, fügt unsere Deutung umgekehrt, indem siediesen Zug auslöscht, an seiner Stelle einen passenden hinzu.

Anmerkungen

1 DIELS-KRANZ, Die Fragmente der Vorsokratiker5, 1934, I, 11. lm folgenden werdenQuellennachweise aus DIELE-KRANZ im Text selbst und nur unter Beifügung ihrerNummern angeführt.

2 Platonis Dialogi selecti H2 , 1829, p. 367.3 Philosophoumena, in DIELE, Doxographi Graeci, 1879, p. 553, 9 ff.4 HAUSRATH I, 1940, Nr. 40; vgl. IGNATIUS DIACONUS, MULLER Nr. 52 in: Babrius, Crusius,

1897 (vgl. Nr. 238).5 WESTERMANN, BtôypaTot, 1845, Nr. 68, p. 89.6 Alk. I, 122 e, Phäd. 60 d, 61 b.7 HAUSRATH, Fabel, in PAULY-WISSOWA, Realenzyklopädie der klassischen Altertums-

wissenschaft 6, 2, 1909, p. 1718. SCHMID-STÄHLIN, Geschichte der griechischen LiteraturI 1, 1929, p. 669.

8 HAUSRATH, loc. cit. p. 1707.9 MELISUS = THALES MILESIUS. Vgl. LITERI° DI FRANCIA, Le cento novelle antiche, 1930,

p. 67. Anm. 5.10 Die Beziehung der Anekdote auf ANAXIMENES (vgl. BAYLE, Dictionnaire, sub voce THALES,

B 11) und auf ANAXAGORAS (ibd. in der deutschen Übersetzung) dürfte auf Versehenberuhen.

11 Platonis opera omnia, VHI 1, 1839, p. 159.12 Über die Thraker in Kleinasien vgl. LENK, Thrake (Geschichte), in: PAULY-WISSOWA,

loc. cit. II 6, 1, 1936, p. 417.13 Über Ursprung und Kreislauf des philosophischen Lebensideals, Sitz.-Ber. d. preuss.

Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl. XXV, 1928, p. 390.14 Antisthenis Fragmenta, 1842, p. 36 Anm.15 Antlsthenica, 1882, p. 13.16 DIOGENES LAERTIUS VI 1.17 Der echte und der Xenophontische Sokrates H 2, 1901, p. 759 ff., 852 ff.18 Vgl. DIOGENES LAERTIUS VI 28.19 Träume eines Geistersehers, 1766, I 2.20 Die Philosophie der Griechen I, p. 171 Anm.21 CHAMONARD, Exploration archéologique de Delos, 1924, p. 346, Pl. LIX A—Pl. LXH.

PERNICE, Die Hellenistische Kunst in Pompejl, 1932, H: Zisternenmündungen, p.12-37,Tafeln 7 f f.

22 CHAMONARD und PERNICE, loc. Cit., WIEGAND, Milet, 1919, Abb. 14.

Jahrg. 88. M. LANDMANN U. J. O. FLECKENSTEIN. Tagesbeobachtungen von Sternen. 111

23 CHAMONARD, loc. cit. p. 248. PERNICE, loc. cit. p. 37.24 GRÄBER, Olympia, 1924, H, p. 180 (zu Tafel 104).25 CHAMONARD und GRÄBER, loc. cit., LEROUx, Vases du musée de Madrid, 1912, p. 197.26 Sternkunde und Sterndienst in Babel, 1907-1935.27 BURNET, Die Anfänge der griechischen Philosophie (deutsch), 1913, p. 32.28 TANNERY, Pour l'histoire de la science hellène, 1887, p. 68 f. REY, La jeunesse de la

science grecque, 1933, p. 41.29 loc. cit.30 DIELS, Antike Technik, 1914, p. 4.31 KUGLER, loc. cit. Erg. H. 2, p. 230, Bd. H, p. 521.32 ZINNER, Die Geschichte der Sternkunde, 1931, p. 35.33 Vgl. auch ALLEN, Star names and their meanings, 1899, p. 285.34 GINZEL, Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie, I,1906, p.151.35 Nach BEZOLD, Zenit- und Äquatorialgestirne am babylonischen Fixsternhimmel, Heidelb.

Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl., Jg. 1913, 11. Abh.36 Von der umgekehrten Beobachtung der Sonne aus einem Brunnen heraus — wo dies

möglich ist — spricht KLEOMEDES (De motu circulari corporum caelestium 67).37 Nach KUGLER, loc. cit. Erg. H. 1, pp. 77 ff.38 GINZEL, loc. cit. II, pp. 419 ff.39 ARATUS, Diosemeia 24 f.40 DIELS und REHM, Parapegmenfragmente aus Milet (Sitz.-Ber. d. kgl. preuss. Akad. d.

Wlss. 1904, pp. 92 ff.).41 loc. cit. p. 5.42 NEUGEBAUER, Tafeln zur astronomischen Chronologie, 1912/14.43 KUGLER, loc. cit. H, p. 334, Erg. H. 2, p. 230 u. ö. GINZEL, loc. cit. I, p.125.44 BEZOLD, loc. cit. p. 37, Col. IV, 30. Eine Ungenauigkeit von etwa 3 Tagen kommt sowieso

durch die Abweichung des Lichttages vom Sterntag (infolge 'der Refraktion und desDurchmessers von 1/2 Grad bei der Sonne) hinzu.

45 GINZEL, loc. cit. Tafeln zu II.46 Vgl. DIELs und REHM, loc. cit. p. 105 und Tafel H, Nr. 456 B.47 Vgl. ARAGO, Astronomie populaire, 1857, T. 1, pp. 205 ff.48 Nach KUGLER-SCHAUMBERGER, loe. cit. Erg. H. 3, pp. 290 ff.49 ibd. p. 350.50 o1 yoûv Fv. zeiv ôevyucivcov %αl rPeadrrov Fvlovs dori ns ôeaieiv. De generatione animalium

V 1, 780 b, 21 f. Das für uns Wichtigste, die Tageszeit, erwähnt er freilich nicht, dochgeht es aus dem Zusammenhang hervor. Er unterscheidet nämllch zwischen genauemund weitem Sehen und behauptet, das eine brauche sich nicht notwendig mit demanderen zusammen einzustellen: wer etwa das Auge mit der Hand beschattet oderdurch ein Rohr blickt, sieht zwar in grössere Entfernung, kann aber die Differenzen— etwa der Farben — um nichts genauer auseinanderhalten als vorher. Daun, demnachals ein zusätzlicher Beweis dafür, dass man bei abgedecktem Blickfeld weiter sieht,folgt unsere Stelle. Bezöge sie sich nun aber auf die Nacht, so könnte sie hier nichtfolgen; denn in der Nacht sieht man ja die Sterne sowieso und das Aufsuchen vonGrube oder Brunnen könnte dann höchstens zum Zwecke genaueren Sehens geschehen.Nur dass man tagsüber von dort aus beobachtet, lässt slch dahin interpretieren, dassman auf diese Weise weiter — bis zu den Sternen -- sehe. Die zugrunde liegendeVorstellung muss also die sein, dass mau am Tage durch die Wirkung des Sonnenlichtsnicht so weit sieht wie die Sterne sind, diese Wirkung aber durch Hinabsteigen ineinen dunklen Schacht paralysieren kann. Auch der antike Kommentar des MICHAEL

112 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Züric. 1943

EPHESIUS (HAYDUCK, Commentaria in Aristotelem graeca XIV 3, 1903, 107 r 41) hat —las er noch so oder fügt er es erklärend hinzu? — rijs Ebenso versteht dieenglische Übersetzung von PLATT (1912), anders allerdings die französische vonBARTHELEMY — SAINT HILAIRE (1887).

51 Sicut affixas coelo (scil. stellas) solis fulgor interdiu non cerni (scil. cogit), cum aequedie ac noctu luceant: idque manifestum fiat defectibus solis et praealtis puteis(Hist. nat. H 14).

52 loc. cit. pp. 202/03. ARAGO hat ein eigenes Kapitel «De la visibilité des astres dans lespuits». Er führt auch die physikalischen Gründe au, die für die Möglichkeit einersolchen Sichtbarkeit sprechen.

53 'AUâ xâx rnïv (3α#fwv rfpFâswv âor ÉpF g ôpuivrαe, μn lra^'ör.αv µi) xαzcè ri)v µaapµ(iplav ô ï)keocîasijrαc. (De usu partlum X 776/77 K.)

54 Kosmos HI, 1850, p. 71.55 Über das Sehen der Sterne am Tage aus tiefen Schächten, Mittlgn. d. Berner NaturF.

Ges. 1851, p. 16, Geschichte der Astronomie, 1877, p. 364, Handbuch der Astronomie I,1.890, pp. 398/99, Vierteljahrsschr. Nat. Ges. Zürich, 20 (1875), pp. 179/80. Ein Literatur-verzeichnis über dieses Problem bis 1880 in: HOUZEAU-LANCASTER,Bibliographie généralede l'astronomie, Brüssel 1882, pp. 334/35.

56 Ähnlich WELLMANN (Sterne 20, 1940) pp. 51/53.57 Der bei ARAGO (loc. cit. p. 208) erwähnte R. HOOICE (Lectiones Cutlerianae Nr. 1,

London 1679) beobachtete zwar mit Llnsen, aber am Tage (den Zenitstern y Draconis)und blieb der antiken Schachttradition — wie er selbst betont — dennoch treu. Stattdas damals beliebte Huyghenssche Luftfernrohr zu benutzen, durchbohrte er nämlichdle Stockwerkböden eines hohen Hauses und befestigte dann das Objektiv im Schorn-stein, das Okular im Keller.

58 HUMBOLDT, loc. cit. p. 115, Anm. 20. Vgl. MERCKEL, Die Ingenieurtechnik im Altertum,1899, pp. 475, 491 und 506.

59 MERCKEL, loc. cit. pp. 490-493.60 ß36+9eog (DIOGENES LAERTIUS) wäre demnach dle schlechtere Überlieferung.61 Da er sowohl während beider Äquinoktien wie während des Wintersolstitiums jedes-

mal wohl mehrere Tage hintereinander beobachtet hat, muss er die Prozedur häufiggenug wlederholt haben. Falls diese Häufigkeit des Vorgangs ursprünglich miterzähltwuIde, so rührt daher vielleicht das i' os aïxs des AESOP.

62 Wobei fµuatgs deu KommeDtatoren nie ganz durchsichtig geworden ist. HEINDORF(loc. cit.) bezieht es auf leporem et venustatem in iocando, CAMPBELL (The Theaetetusof Plato 2, 1883, p. 119) dagegen möchte mit trim and dainty ., übersetzen. Aber

, das gehört nicht zur Sache, und nach HEINDORF umgekehrt wäre die Sache doppeltausgedrückt: hätte PLATON nur dies sagen wollen, so wäre %apiaaa« allein genuggewesen. Vielleicht lässt diese Undurchsichtigkeit darauf schliessen, dass auch Fµ,ttrdri g

ursprünglich einem älteren Zusammenhang angehörte. Dort wird es einen unmittelbareinleuchtenden Sinn gehabt haben. Durch seine Hinübernahme in die Anekdote wurdedieser dann abgewandelt oder zumindest uneindeutig.

Basel, im Februar 1942