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  • Die Forscher, ein neues Buch – und ein Termin

    Dr. Bergita Ganse ist Fachärztin für Physio-logie, Sportmedizinerin und Notfallmedizinerin.Sie erforscht die Muskeln und Knochen inSchwerelosigkeit, hat Raumfahrterfahrung beimDeutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt inKöln gesammelt und hält an der RWTH AachenVorlesungen über Weltraummedizin.

    Dr. Urs Ganse ist Theoretischer Astrophysiker.Nach Studium und Promotion an der Universi-tät Würzburg arbeitete er in Finnland und Süd-afrika, derzeit als Weltraumphysiker an der Uni-versität in Helsinki. Er hält gerne populärwis-senschaftliche Vorträge darüber, wie man einRaumschiff fliegt.

    In diesem Monat erscheint „Das kleine Hand-buch für angehende Raumfahrer“ (Springer-Verlag Heidelberg, 291 Seiten, 24,99 Euro)

    Darin beschreiben dieGeschwister, wie einRaumschiff aussieht, wasdie Astronauten essen,wie sie schlafen undarbeiten oder wie derKörper auf Schwerelosig-keit reagiert.Infos: http://raumfahrer-handbuch.de/

    In einer „Space Lecture“ am kommendenSonntag, 19. November, um 15 Uhr stellendie beiden Autoren in der UniversitätsbibliothekWürzburg das kleine Handbuch vor.Eintritt 5 bzw. 3 Euro, Kaffee oder Tee inklusive.Karten gibt es im Vorverkauf im Sekretariat derUB am Hubland, ü (0931) 31-81281www.bibliothek.uni-wuerzburg.de

    Tipps für denAusflug ins All

    Medizin und Physik im WeltraumDie Wissenschaftler Bergita und Urs Ganseerzählen in Würzburg von Schwerelosigkeit,

    Raketentechnik und Shrimpscocktailsfür Astronauten.

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    Das Gespräch führteALICE NATTER

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    W ie reagiert der Körper aufSchwerelosigkeit? Was essenAstronauten am liebsten?Wie beschleunigt ein Raum-schiff am besten? Und welche Ziele könnteman überhaupt ansteuern? Der Astrophysi-ker Urs Ganse und WeltraummedizinerinBergita Ganse bereiten in einem unterhalt-samen wie informativen Handbuch auf eineReise ins All vor. Weil Urs Ganse in Würz-burg studiert hat und die Geschwister vieleFreunde und Familie in Mainfranken haben,stellen sie das druckfrische Buch am 19. No-vember in der Würzburger Universitätsbib-liothek vor – in einer „Space Lecture“.

    Frau Dr. Ganse, der wichtigste Tipp der Medizi-nerin für den Ausflug ins All?DR. BERGITA GANSE: Einen größeren Raum-anzug einpacken! Der Körper wächst inSchwerelosigkeit um durchschnittlich5,5 Zentimeter, weil sich die Bandscheibenausdehnen und der Rücken sich aufrichtet.Ein Kosmonaut ist angeblich einmal 13 Zen-timeter größer geworden und hatte ein ech-tes Problem: Er passte nicht mehr in seinenRaumanzug. Aber Achtung, das ist kein Ge-heimtipp für Kleingebliebene, denn nach derLandung schrumpft man wieder auf denAusgangswert zurück.

    Herr Dr. Ganse, der wichtigste Tipp des Astro-physikers für den Ausflug ins All?DR. URS GANSE: Egal wie stickig es im Raum-schiff wird: nicht die Fenster aufmachen!Aber ernsthaft: Der Weltraum ist ein seltsa-mer Ort, der sich in vielen Fällen andersverhält, als wir es aus dem Alltag gewohntsind. Es gibt kein oben und unten, Hitze istein größeres Problem als Kälte; wenn manalle Ventilatoren abschaltet, erstickt man.Und wenn man abbremst, wird man schnel-ler! All diese Dinge gehen der Alltagsin-tuition entgegen, aber sie haben gute undunkomplizierte physikalische Gründe. DerTipp ist also: gut vorbereitet sein, und un-gewohnten Situationen nicht mit Panik be-gegnen!

    Also, dann vergessen wir mal die Intuition. Welt-raummedizin – wie erforscht man medizinischeWeltallfragen auf der Erde?BERGITA GANSE: Da wir nicht alles direkt anechten Raumfahrern testen können, gibt esverschiedene Methoden, um Raumfahrt aufder Erde zu simulieren. Dazu gehört der„Kotzbomber“, ein Parabelflugzeug, das im-mer abwechselnd hoch fliegt und sich dannwieder fallen lässt. Darin kann man bis zu30 Sekunden Schwerelosigkeit am Stück erle-ben. Für manche Experimente reicht das aus,vieles passiert aber über einen längeren Zeit-raum. Soziale Isolation und die Zusammen-arbeit im Team erforscht man deshalb in Iso-lationsstudien in Wüsten oder der Antarktis.

    Was erforschen Sie?BERGITA GANSE: Mein Thema sind die Verän-derungen der Knochen, Muskeln und desKnorpels. Wir machen Experimente in Bettru-hestudien. Da werden gesunde Probanden fürmehrere Wochen mit sechs Grad Kopf-Tiefla-ge ins Bett gelegt und dürfen unter keinenUmständen aufstehen. Jederzeit muss min-destens eine Schulter auf der Matratze sein. Esgibt eine Duschliege, auf der man sich in die

    Dusche schieben lassen kann. Toilettengängewerden wie im Krankenhaus erledigt.

    Nicht aufstehen? Klingt ja furchtbar . . .BERGITA GANSE: In diesen Studien kann manbesonders gut den Bewegungsapparat und dasHerz-Kreislauf-System erforschen. Es gibt aberauch Dinge, die sich auf der Erde nicht erfor-schen lassen wie der Einfluss der kosmischenStrahlung auf den Menschen. Die meisteStrahlung wird ja vom Erdmagnetfeld und vonder Erdatmosphäre abgeschirmt. Auch dieRaumstationen sind noch in diesem geschütz-ten Bereich. Die NASA plant gerade eine Raum-station, die in der Nähe des Mondes um denLagrange-Punkt 1 kreisen soll. Hier wird manerstmals richtig die Effekte der Weltraumstrah-lung auf den Menschen erforschen können.

    Skelett, Organe, Gehirn – was am menschlichenKörper ist denn überhaupt „weltalltauglich“?BERGITA GANSE: Die Weltraummedizin ist sofaszinierend, weil in Schwerelosigkeit und beiHyper-G, der extremen Anziehungskraft beiStart und Landung im Raumschiff, lauter son-derbare Dinge passieren, die wir von der Erdenicht kennen. Die Weltraumkrankheit, alsoÜbelkeit und Schwindel in den ersten Tagendes Fluges, G-Masern, also Einblutung bei har-ter Landung, oder das Apollo-15-Syndrom.Das sind Herzrhythmusstörungen und andereSymptome, die aufgetreten sind, als Astronau-ten auf dem Mond zu wenig getrunkenhaben. Raumfahrer bekommen ein aufgedun-senes Gesicht und „Vogelbeine“, weil sich dieFlüssigkeit im Körper verschiebt.

    Klingt ungesund . . .BERGITA GANSE: Noch bis in die 1950er Jahrehaben Experten gedacht, dass Menschen dieSchwerelosigkeit nicht überleben können. Eshat sich aber das Gegenteil gezeigt: Wir habenbei kurzen Aufenthalten sehr wenige Proble-me. Zu den wichtigsten Problemen bei Lang-zeitaufenthalten zählen Knochenschwund,Nierensteine, erhöhtes Krebsrisiko durchStrahlung und bleibende Störungen des Se-hens. Etwas, das wir Menschen überhauptnicht vertragen, sind plötzliche Druckabfälle,zum Beispiel bei einem Loch im Raumanzug.Außerdem können wir nur auf der Erde dieLuft atmen und wären auf allen anderen Pla-neten, Asteroiden und Monden des Sonnen-systems völlig aufgeschmissen. Entweder we-gen des Drucks oder der Zusammensetzungder Atmosphäre – oder beidem zusammen.

    Was einen kurzen Aufenthalt angeht: Schlafen,Wachen, Essen, Trinken – wie sehr kommt derBio-Rhythmus im All durcheinander?BERGITA GANSE: Die Internationale Raum-station ISS umkreist alle 90 Minuten einmaldie Erde. In dieser Zeit ist es einmal hell und

    einmal dunkel. Mit diesem kurzen Tag-Nacht-Rhythmus kommen wir Menschenaber überhaupt nicht zurecht. Deshalb hat essich bewährt, auch im Weltraum einen24-Stunden-Tag mit einer langen Schlafpha-se von sieben bis acht Stunden zu leben. Die-sen Tag unterteilt man idealerweise mit Früh-stück, Mittagessen und Abendessen wie aufder Erde. Optimal ist es, wenn alle Crewmit-glieder die drei Mahlzeiten zusammen ein-nehmen um einen festen sozialen Rahmenzu schaffen. Auch für Langzeitflüge, zum Bei-spiel zum Mars, empfiehlt sich dieses Vorge-hen. Denn damit funktionieren wir Men-schen am besten. Helfen kann Licht: mit far-bigen LED-Paneelen kann man die Sinnetäuschen. Morgens und Mittags benötigenwir weißes, helles Licht mit hohem UV-An-teil, während wir abends am besten bei ro-tem, schwachem Licht müde werden.

    Waren Sie selbst schon mal schwerelos? Wie„fühlt“ sich die Schwerelosigkeit an?URS GANSE: Wir waren beide nur in demRahmen schwerelos, wie man es als normalerMensch auf der Erde sein kann: für wenigeSekunden in der Achterbahn oder beimSprung vom 5-Meter-Brett im Schwimmbad.Doch das gibt einem angeblich nicht dasrichtige „Gefühl“ von Schwerelosigkeit wie-der. Das Gleichgewichtsorgan meldet plötz-lich Unsinn, Blut strömt nach oben in denKopf und die Beine haben keinen Halt mehrauf dem Boden. Erst nach ein paar Sekundenoder Minuten fängt man an, sich mit derneuen Situation abzufinden, und dann, soberichten Raumfahrer einstimmig, fühlt sichSchwerelosigkeit sehr natürlich an.

    Gerichte im Flugzeug sind extra stark gewürzt,weil sie sonst nicht schmecken. Wie ist das mitAstronauten-Nahrung?BERGITA GANSE: In Schwerelosigkeit verän-dert sich die menschliche Geschmackswahr-nehmung noch viel stärker als im Flugzeug.Dies liegt wahrscheinlich zum Teil an derFlüssigkeitsumverteilung im Körper, die dieGeschmacksknospen aufquellen und andersfunktionieren lässt. In Isolation steigt zudemunser Bedürfnis nach intensiven und ab-wechslungsreichen Sinneseindrücken. Für dieAstronauten werden relativ gewöhnliche Le-bensmittel in Dosen oder eingeschweißt zurVerfügung gestellt, die sie vor ihrem Raumflugin einem „Food Tasting“ probieren und nach

    ihren Wünschen aussuchen können. VieleRaumfahrer berichten, dass sich ihr Ge-schmack in Schwerelosigkeit geändert habe.Das führt dazu, dass die beliebteste Speise aufder ISS ein Shrimpscocktail ist, der von derRussischen Raumfahrtbehörde auf die Stationgebracht wird. Auf der Erde gilt dieser Cocktailals ziemlich eklig, aber im Weltraum scheinter so lecker zu sein, dass er inoffiziell alsTauschwährung auf der Station benutzt wird.

    Apropos Cocktail. Wie „bequem“ sind Raum-schiffe? Wie sähe das perfekte Raumschiff aus?URS GANSE: In erster Linie sind die heutigenRaumschiffe praktisch und nicht bequem.Das mit Abstand bequemste Raumschiff derGeschichte war sicherlich das Space Shuttleder USA. Es konnte landen wie ein Flugzeugund hatte deshalb bei Weitem die ange-nehmste Landung zu bieten. Alle anderen bis-herigen und aktuellen Raumschiffe landen,indem sie an einem Fallschirm entweder aufdie Erde oder auf Wasser aufschlagen. Das istvergleichbar mit einem Verkehrsunfall – alsosehr unbequem. Auch war im Space Shuttleauf zwei Etagen viel Platz um sich zu bewegenund in Schlafsäcken zu schlafen. Leider wurdedas Space Shuttle-Programm nach zwei tödli-chen Unfällen aus finanziellen Gründen ein-gestellt. Das russische Sojus-Raumschiff istextrem eng und bietet keinen Platz für Schlaf-säcke oder freies Bewegen. Man sitzt währenddes gesamten Fluges angeschnallt in seinempersönlich angepassten Sitz.

    Das ist aber nichts für einen längeren Flug.URS GANSE: Zukünftige Raumschiffe fürLangzeitmissionen müssen ausreichendPlatz zur Bewegung bieten. Außerdem sindpersönliche Schlafkojen auf der Internatio-nalen Raumstation Standard und werden alssehr angenehm empfunden. Bequeme Sofasmachen übrigens in Raumschiffen keinenSinn weil man darauf nicht sitzen bleiben,sondern ständig wegfliegen würde.

    Wie sieht es mit technischen Fortschritten aus:Was sind die wichtigsten Entwicklungen der letz-ten Jahre? Wo sind die größten Schwierigkeiten?URS GANSE: Nachdem die bemannte Raum-fahrt sich in den letzten 50 Jahren quasi aus-schließlich im niedrigen Erdorbit abgespielthat und dort eine gewisse Routine eingekehrtist, sind Flüge zum Mond und Mars in dennächsten zehn Jahren wieder auf dem Pro-

    gramm. Das bedeutet größere Raumschiffeund längere Flugzeiten! Die große Unbe-kannte hierbei ist der Einfluss der kosmi-schen Strahlung: außer den Apollo-Astro-nauten war noch nie jemand außerhalb desschützenden Erdmagnetfelds, und selbst die-se hielten sich nicht mehr als drei Tage amStück auf dem Mond auf.BERGITA GANSE: Weitere Risiken bestehenim medizinischen und psychologischen Be-reich: Was passiert bei einem medizinischenNotfall auf dem Weg zum Mars? Wie vieleMedikamente und medizinische Geräte neh-men wir mit? Sollen Operationen durchführ-bar sein? Wie viele Risiken wollen wir in Kaufnehmen? Bisher kann man von den Raum-stationen im Erdorbit aus innerhalb von24 Stunden zurück auf die Erde und viele Fra-gen haben sich deshalb noch nicht gestellt.

    Was denken Sie: Wann buchen Urlauber stattder Flusskreuzfahrt die ersten Weltraumreisen?URS GANSE: Für die Superreichen ist diesschon seit über zehn Jahren möglich! DasUnternehmen Space Adventures hat bereitseine Reihe von Touristen auf die Internationa-le Raumstation gebracht. Preis: circa 30 Mil-lionen Dollar. Viele, die in den letzten Jahrenbei anderen Anbietern Tickets gekauft haben,hatten leider Pech und ihre Flüge haben niestattgefunden. Hatte man noch vor zehnJahren geglaubt, dass der Weltraumtourismusnun richtig durchstarten würde, so hatten fastalle Firmen mit erheblichen technischen undfinanziellen Problemen zu kämpfen. Aber diekommerzielle Raumfahrt ist ein großerWachstumsmarkt, und mit dem Wachstumpurzeln die Preise. Sie können schon jetzteinen selbst gebauten Satelliten für einen Lis-tenpreis von 100 000 Euro in den Weltraumschießen lassen. Mehrere Raumfahrtunter-nehmen testen derzeit ihre kommerziellenbemannten Raumschiffe, und wir rechnen inden nächsten fünf Jahren damit, dass die ers-ten Linienflüge in den Weltraum beginnen.

    Wohin würden Sie am liebsten reisen?URS GANSE: Eine Landung auf dem Mond,eine geologische Ausgrabung auf dem Marsoder eine Reise zu einem erdnahen Asteroi-den wäre schon toll. In der Raumfahrt sindaber die Reiseziele weniger dadurch be-stimmt, wohin man gerne möchte, sondernmehr davon, was technisch möglich ist.BERGITA GANSE: So lange uns niemandeinen Platz auf einem Raumschiff anbietet,reisen wir am liebsten auf der Erde – dort gibtes sehr viel zu erleben!

    Was sind denn dann die wichtigsten Ratschlägeaus Ihrem Fachgebiet für das Leben auf der Erde?URS GANSE: Auch hier gibt es noch reichlichzu entdecken und zu verstehen, man muss garnicht mal mit einem U-Boot an die Tiefen desMariannengrabens tauchen, um ungewöhn-liche Lebewesen in eigenartigen Bedingungenzu finden! Aus der Raumfahrtforschung sindschon viele technische Entwicklungen in denAlltag übernommen worden. Die Raumfahrtist ein Entwicklungsmotor, der auf der Erdeviele Jobs und Fortschritte ermöglicht. Raum-fahrer sagen nach Langzeitaufenthalten häu-fig, dass ihnen bewusst geworden ist wie kleinund empfindlich unser Planet ist. Das zu er-kennen und entsprechend zu handeln, ist si-cherlich der wichtigste Ratschlag aus derRaumfahrt. Wir müssen unsere Umwelt bes-ser behandeln um auch noch in Zukunft aufdiesem Planeten leben zu können.

    Astrophysiker Dr. Urs Ganse und Weltraum-medizinerin Bergita Ganse. Der Name desKollegen in der Mitte ist nicht bekannt.

    Ein Astronaut beim„Weltraumspaziergang“ an der ISS.

    Fotos: NASA/DPA, GANSE

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