strukturwandel in der ingenieurtechnik der chemischen industrie – wege zum partner und unternehmer

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Strukturwandel in der lngenieurtechnik Vortrag zeigt die Situation auf, wie sie sich derzeit darstellt. Der anschlie- Bende Vortrag Jege zum Partner und Unternehmer" behandelt die Antwort auf die in diesem Vortrag aufgeworfenen Fragen. der chemischen lndustrie - Wo steht der lngenieur heute? Prof. Dr.-Ing. G. Lipphardt (Vortragender), Hoechst AG, 6230 Frank- furt/M.-Hoechst, Dr.-Ing. CI Pilz, Bayer AG, 5090 Leverkusen-Bayerwerk, Dr.-Ing. U. Plocker, Degussa AG, 6450 Hanau, und Dr.-Ing. K. Winter- mantel, BASF AG, 6700 LudwigshafenlRh. In den meisten Chemieunternehmen wird derzeit uber einen erforderlichen Strukturwandel in der Ingenieurtechnik diskutiert. Die Zuordnung inge- nieurtechnischer Kompetenzen zu zentralen Organisationsstrukturen wird in Frage gestellt. Das gilt fur die Planung ebenso wie fur andere Ingenieur- leistungen wie Betriebsbetreuung oder Werkstatten. Sie gelten als unbe- weglich, teuer und in vielem als zu burokratisch. Kritisiert wird auch eine gewisse Monopolstellung der Ingenieurtechnik, da ihre Dienste im Unter- nehmen bevorzugt eingesetzt werden oder sogar eingesetzt werden mussen. Dezentrale Einheiten, die z. B. den Geschaftsbereichenoder Business Units unmittelbar zugeordnet sind, scheinen effektiver oder billiger arbeiten zu konnen. Daraus resultiert die Tendenz, die zentralen Einheiten abzubaueu und statt dessen die zugeordneten Kleinstrukturen mehr und mehr an ihre Stelle treten zu lassen. In diesem Zusammenhang erhalt auch dievergabe von Ingenieurleistungen an externe Anbieter einen hohen Stellenwert. Sie wird als die in vielen Fallen bessere Alternative zur Eigenleistung in den Unternehmen angese- hen. Dabei bleibt in der Argumentation fast unberiicksichtigt, daR bereits heute uberraschend groBe Anteile der ingenieurtechnischen Aufgaben an Fremdfirmen kontrahiert werden. Unabhangig von der Antwort auf die Frage, welche der Losungen die bessere ist , gibt es offensichtlich einen Diskussions- und Handlungsbedarf, um so der sich bereits in einigen Unternehmen abzeichnenden Vertrauens- krise zwischen der zentralen Ingenieurtechnik und den unternehmerischen Bereichseinheiten nicht weiter Vorschub zu leisten. Zu teure Anlagen werden als Ursache fur das derzeit schlechte internationale Geschaft mit Chemieprodukten genannt, wenn in der Bundesrepublik - aber nicht nur dort - Probleme mit der Konkurrenzfahigkeit auftreten. Und diese Argumentation wird durchaus verstandlich, wenn man die in den letzten Jahren stark gestiegenen Kosten fur die Anlagen-Neubauten mit den Preisen fur die Chemieprodukte vergleicht, aus denen sich ein krasses MiRverhaltnis ergibt - gleichgultig, ob man fur beideTatsachen gute Grunde heranziehen kann. Mittlerweile ist es nicht mehr nur einThema innerhalb der Firmen, nachdem bekannte Unternehmensberatungsburos oder Wirtschaftsmagazine die ingenieurtechnischen Zentraleinheiten zum Gegenstand fast persiflierender Angriffe gemacht haben. Als Folge ist eine immer starker werdende Diskussion uber Erfolg oder MiBerfolg der Ingenieure in der chemischen Industrie und uber ihre zweckmabige Einbindung in die notwendigen Arbeitsablaufe entbrannt. Es ist zweifellos nicht damit getan,wenn man sich auf die Erfolge der letzten Jahrzehnte beruft und so tut, als wurde der Ingenieur ungerecht behandelt. Natiirlich gibt es eine Vielzahl von Argumenten, die die These stiitzen konnen, daB der Ingenieur in der chemischen und venvandten Industrie eine akzeptable Leistung selbst unter schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbe- dingungen geboten hat und die Erfolge der Industrie auch auf seine Arbeit zuriickzufiihren sind. Die Zeiten haben sich aber gewandelt. Die interna- tionale Konjunktur auf diesem Gebiet ist auBerst schwierig geworden, in anderen Landern werden fur die chemische Industrie deutlich bessere Bedingungen geboten. Sowohl die Rohstoff- und Energiekosten als auch die hohen Umweltschutzkosten und -abgaben sowie die Lohne spielen in Deutschland eine extrem negative Rolle. Daraus resultiert eine tiefgreifen- de Strukturveranderung, die nicht bei der Organisation der Ingenieurtech- nik Halt machen kann. Auch hier gibt es nicht ausgeschopfte Reserven und erhebliche Verbesserungsmoglichkeiten, die gemeinsam identifiziert und genutzt werden miissen. Und daran mu13 sich der Ingenieur unmittelbar be teiligen . Um den Struktunvandel, der die Verfahrenstechniker unmittelbar beruhrt, in der fachlichen Offentlichkeit nicht nur von AuBenstehenden behandeln zu lassen, hat die GVC eine Veranstaltung in das Programm aufgenommen, in der Ingenieure der chemischen Industrie eine Bestandsaufnahme der Situation und Vorschlage fur ein ,,neues" Selbstverstandnis machen. Dieser 2 Strukturwandel in der lngenieurtechnik der chemischen lndustrie - Wege zum Partner und Unternehmer Dipl.-Ing. D. Francke (Vortragender), BASFAG, 6700 LudwigshafedRh., Dr.-Ing. K. f! Ochel, Bayer AG, 5090 Leverkusen-Bayerwerk, Ing. W Berger, Hoffmann-La Roche AG, CH-4002 Basel, Dr.-Ing. E. Sommer, Hoechst Aktiengesellschaft, 6230 FrankfurtlM., und Dr.-Ing. H. Bode, Degussa AG, 6000 Frankfurt/M. Deutschland hat weltweit die hochsten Arbeitskosten und die niedrigste Jahresarbeitszeit.Vor diesem Hintergrund mull sich jeder Unternehmer die Frage stellen, wie er bei immer freierem Welthandel konkurrenzfahig bleiben will. In der chemischen Industrie ist diese Konkurrenzsituation eher noch scharfer, da deren Mitarbeiter nach Tarifen bezahlt werden, die beachtlich hoher liegen als die anderer Branchen. AuRerdem steigt der Anteil der Personalkosten am Umsatz. Bei der Analyse, wo bedeutende Personal-Ressourcen eingesetzt slnd, wird der Blick unweigerlich auch auf die Technik gelenkt, die zu allem UberfluB keinen unmittelbaren Beitrag zum Umsatz leistet. Diese Zusammenhange bilden den Hintergrund fur die UnmutsauRerungen bezuglich der Rolle der Technik in der chemischen Industrie. Die immer wieder geaderten Vorschlage, zentrale Technikeinheiten zu dezentralisieren, auszugliedern oder statt ihrer Kontraktoren einzusetzen, sind keine Patentrezepte. Der bisher erreichte Status zeigt groBe Unter- schiede: Dezentralisieren verlagert zunachst nur das Problem, spart aber keine Kosten. Nur wenn in einer Zentraleinheit sehr unterschiedliche Gebiete bearbeitet werden, zum Beispiel Pharma und GroBchemie. und wenn deswegen Personalaustausch zwischen diesen Gebieten problematisch ist, iibenviegen die Vorteile der Nahe zum Geschaft. Kontraktoren werden schon immer eingesetzt, wenn das Verfahrens- Know-how beim Kontraktor liegt. Bei Anlagen wie z.B. fur Ammoniak, Salpetersaure, Raffinerien etc. profitiert der Kontraktor naturlich von seiner Erfahrung. Liegt das Know-how dagegen beim Auftraggeber, ist der Kontraktor teurer und ein Einsatz wegen des Know-how-Schutzes proble- matisch. Ganze Firmen auszugliedern. lost ebenfalls keine Probleme, es sind vielmehr detaillierte Funktionsanalysen erforderlich, zumal bei der Ingenieurtechnik die Fertigungstiefe standig abgenommen hat. Es zeigt sich also, daB allein solche organisatorische Anderungen untauglich sind, urn kostengunstig Losungen zu erreichen. Gefragt ist vielmehr Effektivitat - das heist Konzentration der Ressourcen auf die richtigen Arbeiten. Statt einer Monopolstellung ist Wettbewerb notwendig, und zwar innerhalb und auBerhalb der Firmen. Kundenorientierung wird durch Direktverrechnung der Auftrage an Stelle anonymer Umlagen gestarkt. Entscheidend fur die Wirtschaftlichkeit der erarbeiteten Losungen ist aber die mentale Einstellung der Beteiligten. Der Ingenieur lost technische Aufgabenstellungen. Sein Denken und Wirken ist auf die Losung gerichtet. die gestellte Aufgabe wird moglichst elegant und vollstandig gelost. Doch dabei kann der unternehmerische Aspekt zu kurz kommen. Der Ingenieur sollte sich nicht darauf konzentrieren, perfekte Losungen fur unfertige Aufgabenstellungen zu finden, sondern stets die Relation zwischen Auf- wand und Problem beachten und Aspekte der Aufgabenstellungen als veranderlich anzusehen. In der chemischen Industrie besteht das zusatzliche Problem. daB die Forderungen insbesondere der spateren Betreiber einer Anlage nicht unbedingt auf NutzedKOsten-Relationen aufbauen. sondern maximiert sind: hochste Verfiigbarkeit, geringste Wartungskosten, beste Produktqua- litat, hochste Automatisierung und absolute Sicherheit. Natiirlich werden diese hi,nterfragt und reduziert , aber eben nicht immer konsequent genug. Daher gilt es, KostenbewuBtsein und die kritische Haltung zur Aufgaben- stellung zu fordern. Denn die Ruckkopplung zur unternehmerischen Komponente der Ingenieurleistungen ist in der fachorientierten Arbeitstei- lung der chemischen Industrie unterentwickelt, verlorengegangen oder sie ist vie1 weniger direkt und erkennbar als bei kleinen Unternehmen. Chem.-1ng.-Tech. 64 (1992) Nr. 9, S. 769-888 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6940 Weinheim, 1992 0009-286X192/0909-0769 $ 03.50 + .25/0 769

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Page 1: Strukturwandel in der Ingenieurtechnik der chemischen Industrie – Wege zum Partner und Unternehmer

Strukturwandel in der lngenieurtechnik

Vortrag zeigt die Situation auf, wie sie sich derzeit darstellt. Der anschlie- Bende Vortrag Jege zum Partner und Unternehmer" behandelt die Antwort auf die in diesem Vortrag aufgeworfenen Fragen.

der chemischen lndustrie - Wo steht der lngenieur heute?

Prof. Dr.-Ing. G. Lipphardt (Vortragender), Hoechst AG, 6230 Frank- furt/M.-Hoechst, Dr.-Ing. CI Pilz, Bayer AG, 5090 Leverkusen-Bayerwerk, Dr.-Ing. U. Plocker, Degussa AG, 6450 Hanau, und Dr.-Ing. K. Winter- mantel, BASF AG, 6700 LudwigshafenlRh.

In den meisten Chemieunternehmen wird derzeit uber einen erforderlichen Strukturwandel in der Ingenieurtechnik diskutiert. Die Zuordnung inge- nieurtechnischer Kompetenzen zu zentralen Organisationsstrukturen wird in Frage gestellt. Das gilt fur die Planung ebenso wie fur andere Ingenieur- leistungen wie Betriebsbetreuung oder Werkstatten. Sie gelten als unbe- weglich, teuer und in vielem als zu burokratisch. Kritisiert wird auch eine gewisse Monopolstellung der Ingenieurtechnik, da ihre Dienste im Unter- nehmen bevorzugt eingesetzt werden oder sogar eingesetzt werden mussen. Dezentrale Einheiten, die z. B. den Geschaftsbereichen oder Business Units unmittelbar zugeordnet sind, scheinen effektiver oder billiger arbeiten zu konnen. Daraus resultiert die Tendenz, die zentralen Einheiten abzubaueu und statt dessen die zugeordneten Kleinstrukturen mehr und mehr an ihre Stelle treten zu lassen. In diesem Zusammenhang erhalt auch dievergabe von Ingenieurleistungen an externe Anbieter einen hohen Stellenwert. Sie wird als die in vielen Fallen bessere Alternative zur Eigenleistung in den Unternehmen angese- hen. Dabei bleibt in der Argumentation fast unberiicksichtigt, daR bereits heute uberraschend groBe Anteile der ingenieurtechnischen Aufgaben an Fremdfirmen kontrahiert werden. Unabhangig von der Antwort auf die Frage, welche der Losungen die bessere ist , gibt es offensichtlich einen Diskussions- und Handlungsbedarf, um so der sich bereits in einigen Unternehmen abzeichnenden Vertrauens- krise zwischen der zentralen Ingenieurtechnik und den unternehmerischen Bereichseinheiten nicht weiter Vorschub zu leisten. Zu teure Anlagen werden als Ursache fur das derzeit schlechte internationale Geschaft mit Chemieprodukten genannt, wenn in der Bundesrepublik - aber nicht nur dort - Probleme mit der Konkurrenzfahigkeit auftreten. Und diese Argumentation wird durchaus verstandlich, wenn man die in den letzten Jahren stark gestiegenen Kosten fur die Anlagen-Neubauten mit den Preisen fur die Chemieprodukte vergleicht, aus denen sich ein krasses MiRverhaltnis ergibt - gleichgultig, ob man fur beideTatsachen gute Grunde heranziehen kann. Mittlerweile ist es nicht mehr nur einThema innerhalb der Firmen, nachdem bekannte Unternehmensberatungsburos oder Wirtschaftsmagazine die ingenieurtechnischen Zentraleinheiten zum Gegenstand fast persiflierender Angriffe gemacht haben. Als Folge ist eine immer starker werdende Diskussion uber Erfolg oder MiBerfolg der Ingenieure in der chemischen Industrie und uber ihre zweckmabige Einbindung in die notwendigen Arbeitsablaufe entbrannt. Es ist zweifellos nicht damit getan,wenn man sich auf die Erfolge der letzten Jahrzehnte beruft und so tut, als wurde der Ingenieur ungerecht behandelt. Natiirlich gibt es eine Vielzahl von Argumenten, die die These stiitzen konnen, daB der Ingenieur in der chemischen und venvandten Industrie eine akzeptable Leistung selbst unter schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbe- dingungen geboten hat und die Erfolge der Industrie auch auf seine Arbeit zuriickzufiihren sind. Die Zeiten haben sich aber gewandelt. Die interna- tionale Konjunktur auf diesem Gebiet ist auBerst schwierig geworden, in anderen Landern werden fur die chemische Industrie deutlich bessere Bedingungen geboten. Sowohl die Rohstoff- und Energiekosten als auch die hohen Umweltschutzkosten und -abgaben sowie die Lohne spielen in Deutschland eine extrem negative Rolle. Daraus resultiert eine tiefgreifen- de Strukturveranderung, die nicht bei der Organisation der Ingenieurtech- nik Halt machen kann. Auch hier gibt es nicht ausgeschopfte Reserven und erhebliche Verbesserungsmoglichkeiten, die gemeinsam identifiziert und genutzt werden miissen. Und daran mu13 sich der Ingenieur unmittelbar be teiligen . Um den Struktunvandel, der die Verfahrenstechniker unmittelbar beruhrt, in der fachlichen Offentlichkeit nicht nur von AuBenstehenden behandeln zu lassen, hat die GVC eine Veranstaltung in das Programm aufgenommen, in der Ingenieure der chemischen Industrie eine Bestandsaufnahme der Situation und Vorschlage fur ein ,,neues" Selbstverstandnis machen. Dieser

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Strukturwandel in der lngenieurtechnik der chemischen lndustrie - Wege zum Partner und Unternehmer

Dipl.-Ing. D. Francke (Vortragender), BASFAG, 6700 LudwigshafedRh., Dr.-Ing. K. f! Ochel, Bayer AG, 5090 Leverkusen-Bayerwerk, Ing. W Berger, Hoffmann-La Roche AG, CH-4002 Basel, Dr.-Ing. E. Sommer, Hoechst Aktiengesellschaft, 6230 FrankfurtlM., und Dr.-Ing. H . Bode, Degussa AG, 6000 Frankfurt/M.

Deutschland hat weltweit die hochsten Arbeitskosten und die niedrigste Jahresarbeitszeit.Vor diesem Hintergrund mull sich jeder Unternehmer die Frage stellen, wie er bei immer freierem Welthandel konkurrenzfahig bleiben will. In der chemischen Industrie ist diese Konkurrenzsituation eher noch scharfer, da deren Mitarbeiter nach Tarifen bezahlt werden, die beachtlich hoher liegen als die anderer Branchen. AuRerdem steigt der Anteil der Personalkosten am Umsatz. Bei der Analyse, wo bedeutende Personal-Ressourcen eingesetzt slnd, wird der Blick unweigerlich auch auf die Technik gelenkt, die zu allem UberfluB keinen unmittelbaren Beitrag zum Umsatz leistet. Diese Zusammenhange bilden den Hintergrund fur die UnmutsauRerungen bezuglich der Rolle der Technik in der chemischen Industrie. Die immer wieder geaderten Vorschlage, zentrale Technikeinheiten zu dezentralisieren, auszugliedern oder statt ihrer Kontraktoren einzusetzen, sind keine Patentrezepte. Der bisher erreichte Status zeigt groBe Unter- schiede: Dezentralisieren verlagert zunachst nur das Problem, spart aber keine Kosten. Nur wenn in einer Zentraleinheit sehr unterschiedliche Gebiete bearbeitet werden, zum Beispiel Pharma und GroBchemie. und wenn deswegen Personalaustausch zwischen diesen Gebieten problematisch ist, iibenviegen die Vorteile der Nahe zum Geschaft. Kontraktoren werden schon immer eingesetzt, wenn das Verfahrens- Know-how beim Kontraktor liegt. Bei Anlagen wie z.B. fur Ammoniak, Salpetersaure, Raffinerien etc. profitiert der Kontraktor naturlich von seiner Erfahrung. Liegt das Know-how dagegen beim Auftraggeber, ist der Kontraktor teurer und ein Einsatz wegen des Know-how-Schutzes proble- matisch. Ganze Firmen auszugliedern. lost ebenfalls keine Probleme, es sind vielmehr detaillierte Funktionsanalysen erforderlich, zumal bei der Ingenieurtechnik die Fertigungstiefe standig abgenommen hat. Es zeigt sich also, daB allein solche organisatorische Anderungen untauglich sind, urn kostengunstig Losungen zu erreichen. Gefragt ist vielmehr Effektivitat - das heist Konzentration der Ressourcen auf die richtigen Arbeiten. Statt einer Monopolstellung ist Wettbewerb notwendig, und zwar innerhalb und auBerhalb der Firmen. Kundenorientierung wird durch Direktverrechnung der Auftrage an Stelle anonymer Umlagen gestarkt. Entscheidend fur die Wirtschaftlichkeit der erarbeiteten Losungen ist aber die mentale Einstellung der Beteiligten. Der Ingenieur lost technische Aufgabenstellungen. Sein Denken und Wirken ist auf die Losung gerichtet. die gestellte Aufgabe wird moglichst elegant und vollstandig gelost. Doch dabei kann der unternehmerische Aspekt zu kurz kommen. Der Ingenieur sollte sich nicht darauf konzentrieren, perfekte Losungen fur unfertige Aufgabenstellungen zu finden, sondern stets die Relation zwischen Auf- wand und Problem beachten und Aspekte der Aufgabenstellungen als veranderlich anzusehen. In der chemischen Industrie besteht das zusatzliche Problem. daB die Forderungen insbesondere der spateren Betreiber einer Anlage nicht unbedingt auf NutzedKOsten-Relationen aufbauen. sondern maximiert sind: hochste Verfiigbarkeit, geringste Wartungskosten, beste Produktqua- litat, hochste Automatisierung und absolute Sicherheit. Natiirlich werden diese hi,nterfragt und reduziert , aber eben nicht immer konsequent genug. Daher gilt es, KostenbewuBtsein und die kritische Haltung zur Aufgaben- stellung zu fordern. Denn die Ruckkopplung zur unternehmerischen Komponente der Ingenieurleistungen ist in der fachorientierten Arbeitstei- lung der chemischen Industrie unterentwickelt, verlorengegangen oder sie ist vie1 weniger direkt und erkennbar als bei kleinen Unternehmen.

Chem.-1ng.-Tech. 64 (1992) Nr. 9 , S. 769-888 0 VCH Verlagsgesellschaft m b H , D-6940 Weinheim, 1992 0009-286X192/0909-0769 $ 03.50 + .25/0

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Hier ist Dialog gefragt - von beiden Seiten, Auftraggeber und Ingenieur- technik, naturlich im Sinne eines partnerschaftlichen Miteinanders. Wah- rend des Dialogs reift im Auftraggeber die Fahigkeit, den Aufwand zum Erfullen seiner Forderungen abzuschatzen, so daB er diese auch bewerten kann. Der Ingenieur erkennt seinerseits, welche Flexibilitat noch in der Au fgabenstellung steckt. Fur beide Seiten bedeutet das zwar zunachst zusatzlichen Aufwand, aber auch eine Erweiterung der Verantwortung. Im Projektverlauf wird dieser Aufwand nicht nur durch kostengunstige Losungen wieder eingespart. Auch die Ingenieurkosten werden durch die Verringerung von Anderungsauf- wand entlastet. Voraussetzung fur diese Art des Dialogs ist natiirlich eine vertrauensvolle und offene Zusammenarbeit statt gegenseitigem Abgrenzen von Zustan- digkeiten. Dieses Rollenverstandnis, als Partner und Unternehmer, verbes- sert die Akzeptanz, verringert die Kosten und eroffnet neue Perspektiven fur den Ingenieurnachwuchs.

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Der Standort Deutschland aus Sicht der verfahrenstechnischen Forschung, Entwicklung und Produktion

Dr.-Ing. U. Plocker, Degussa AG.Verfahrenstechnik, Postfach 1345, 6450 Hanau 1 (Wolfgang)

ober den Standort Deutschland ist im Laufe des letzten Jahres vie1 diskutiert worden, vor allem wenn es um Fragen der Tarifpolitik und des Umweltschutzes ging. Aus Sicht der Verfahrenstechnik gibt es einevielzahl spezieller Gesichtspunkte, die fur die Zukunft EinfluB auf den Standort Deutschland haben werden. An den Beispielen Forschung und Entwick- lung, Anlagenbau und Produktion werden Faktoren untersucht, die uber derzeitige konjunkturelle Probleme hinaus mittel- und langfristig struktu- relle Veranderungen aufzeigen. So konnen Aspekte der Verlangerung von Entwicklungszeiten, der staatlichen Gesetzgebung, der bestehenden Pro- duktionsstruktur. der Exportmoglichkeiten, der Akzeptanz in der Bevolke- rung etc. langfristig weit starkeren EinfluB haben als allgemein erkannt. Soweit verfugbar sollen Veranderungen nicht nur spekulativ beschrieben, sondern auch quantifiziert werden.

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Bestandsschutz und Umwelt- gesetzgebung in Deutschland

Dr. R. Hurtwig, Bayer AG, Konzernverwaltung RP, 5090 Leverkusen- Bayerwerk

Unter ,,Bestandsschutz" ist der Schutz vorgenommener Investitionen gegen ihre Entwertung durch nachtragliche MaBnahmen aufgrund geanderter Sach- oder Rechtslage zu verstehen. Bestandsschutz ist Eigentumsschutz und nach Artikel 14 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich verankert. Wahrend der sog. passive Bestandsschutz zu Abwehranspruchen gegenuber unberechtigten staatlichen Eingriffen fiihrt, konnen aus dem sog. aktiven Bestandsschutz in seltenen Ausnahmefallen sogar Genehmigungsanspruche erwachsen. Der Gesetzgeber kann den Bestandsschutz unter Beachtung bestimmter Regeln wesentlich einengen. Dabei besitzt er gerade im Umweltschutzrecht besonders groRen Spielraum. Ein Blick in die Kernbereiche des Umwelt- rechtes (BImSchG, AbfG,WHG) zeigt, daB die nach diesen Gesetzen durch Genehmigungen eingeraumten Rechtspositionen standigen Anpassungsre- gelungen untenvorfen sind. Im BImSchG ist u. a.Vorsorge gegen schadliche Umwelteinwirkungen durch Emissionsbegrenzungen nach dem Stand der Technik zu treffen. Die Konkretisierung erfolgt durch Rechtsverordnungen (z. B. GFAVO) oder

durch Venvaltungsvorschriften (z.B. TA Luft). Da sich der ,,Stand der Technik" weiterentwickelt, konnen auch die Anforderungen an die Emis- sionsbegrenzungen standig fortgeschrieben werden. Diese Anforderungen werden durch nachtragliche Anordnungen gegenuber dem Betrieb der Anlage umgesetzt. Diese lassen sich nur bei UnverhaltnismaBigkeit, wenn also der Aufwand in keinen angemessenem Verhaltnis zum angestrebten Erfolg steht, abwehren. Ortsfeste Abfallentsorgungsanlagen nach dem AbfG, bei denen im ubrigen bei Erfiillung der Genehmigungsvoraussetzungen kein Rechtsanspruch auf Genehmigung bestehen soll, sind so zu betreiben, daB das Allgemeinwohl nicht beeintrachtigt wird. Der Stand der Technik spielt auch hier eine wesentliche Rolle, da de facto nach der Pramisse , ,nu eine Abfallentsor- gung nach dem Stand der Technik beeintrachtigt nicht das Allgemeinwohl" agiert wird (so die TA Abfall 1991). Entsprechende nachtragliche Anord- nungen konnen auch hier ergehen und finden ihre Grenzen wiederum nur im VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz. Die nach dem WHG erforderliche Erlaubnis fur die Einleitung von Abwasser in ein Gewasser ist regelmaBig befristet und grundsatzlich widerruflich. Ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Erlaubnis besteht auch bei Erfullung der Genehmigungsvoraussetzungen nicht. Die eingeleitete Schadstofffracht ist so gering zu halten, wie dies nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik oder - fur bestimmte gefihrliche Stoffe - nach dem Stand der Technik moglich ist. Die Konkretisierung erfolgt in Abwasserverwaltungsvorschriften. Diese werden durch nachtragliche Auf- lagen fur die Erlaubnis umgesetzt. In allen Fallen handelt es sich um zulassige Bestimmungen von Inhalt und Grenzen des Bestandsschutzes durch den Gesetzgeber. Juristisch abwehrbar sind danach nur unverhaltnismaaige nachtragliche Anforderungen. Dabei wird es regelmaBig zu einer Gegenuberstellung der Kostcn einerseits mit den erwarteten Emissionsminderungen andererseits kommen. Dabei ist der hohe soziale Stellenwert des Umweltschutzes zu beachten. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daB der Bestandsschutz im Umweltrecht nur eine untergeordnete Rolle spielt.

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Die Gestaltung und Veranderung des deutschen Sicherheitsrechts durch die Rechtsetzung der Europaischen Gemeinschaft

Dr. G. Kitzinger (Rechtsanwalt), Bayer AG, Konzernverwaltung RP, Rechtsabteilung, 5090 Leverkusen-Bayerwerk.

1 Einfuhrung Die Bundesrepublik Deutschland ist gehalten, die im Rahmen der Verwirk- lichung des europaischen Binnemarktes erlassenen und noch zu erlassenen Richtlinien der EG iiber technische Einrichtungen und Gerate sowie zum betrieblichen Arbeitsschutz bis zum 31.12.1992 in deutschc Rechtsnormen umzusetzen. Angesichts der kaum vorhandenen oder zu erkennenden Systematik der Harmonisierungsrichtlinien der EG, ihrer neuen Regelungs- inhalte und der sachlichen Zersplitterung des aufnehmenden und zu verandernden deutschen technischen Rechts und Arbeitsschutzrechts dro- hen die inneren Zusammenhange. die Verstandlichkeit und die Rechtssi- cherheit auf diesen Rechtsgebieten vollends verloren zu gehen, wenn die Bundesrepublik die Umsetzung der EG-Richtlinien durch Ubernahme der Harmonisierungsrichtlinien in bestehende deutsche Vorschriften versucht. Das deutsche Sicherheitsrecht muB demzufolge zumindest in weiten Teilen neu konzipiert werden. Die moglichen gestalterischen Wege des deutschen Gesetzgebers werden z.Z. intensiv diskutiert. Es zeichnet sich ab, daB fur den Bereich des technischen Rechts das Geratesicherheitsgesetz und fur den Bereich des Arbeitsschutzrechts das Arbeitssicherheitsgesetz novelliert werden sollen. Beide Gesetze sind kaum geeignet, die neuen rechtlichen Konzepte in sich aufzunehmen und miissen neu konzipiert werden. Dabei sind die Fragen nach dem Verhaltnis des bestehenden deutschen Rechts zu dem neuen zu ubernehmenden EG-Recht zu klaren. Der

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