sonatensatzform

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Sonatensatzform Sonatensatzform (auch: Sonatenhauptsatzform, Sonatenform) bezeichnet in der musikalischen Formenlehre ein Modell bzw. Gestaltungsprinzip, mit dem in der Regel die Form des ersten Satzes (= Kopfsatz oder „Hauptsatz“) einer Sonate bzw. Sinfonie (und weiterer kammermusikalischer Gattungen) beschrieben wird. Oft weist auch der letzte Satz Sonatensatzform auf, während sie bei Mittelsätzen eher selten anzutreffen ist. Daneben kann sich die Bezeichnung „Sonatenform“ auch auf den Satzzyklus einer Sonate beziehen. 1 Aufbau eines Satzes nach der So- natensatzform Ein nach der Sonatensatzform gegliederter Satz be- steht üblicherweise aus den drei Hauptteilen: Exposition, Durchführung und Reprise. Diese äußerliche Dreiheit sollte aber nicht den Blick darauf verstellen, dass die So- natenhauptsatzform grundsätzlich dialektisch ist, dass sie also grundlegend auf der Idee einer Zweiheit, nämlich auf zwei Themenkomplexen beruht, die in einem allge- meinsten Sinne gegenteilig dialogisieren, bzw. kontrastie- ren (hierzu gehören Eigenschaften wie Staccato/Legato, Forte/Piano, Tonikal/Dominantisch, u. v. m.). Zu die- sem Hauptkörper eines Sonatenkopfsatzes gesellen sich gattungsgeschichtlich zwei optionale Satzteile, die meist nicht eigentlich thematisch exponiertes Material enthal- ten, nämlich evtl. eine (langsame) Einleitung am Beginn und/oder ggf. eine Coda, die das Satzganze beschließt. Bei Gliederung und Benennung der drei wesentlichen Formteile (Exposition, Durchführung, Reprise) handelt es sich um das Ergebnis jahrzehntelanger musikwissen- schaftlicher Theoriebildung zu einer Gattung mit langer Entwicklungsgeschichte; die heute gebräuchlichen Be- griffe wurden erst Anfang des 20. Jahrhunderts (u. a. von Hugo Leichtentritt [1] und Hugo Riemann) etabliert. Ein wesentlicher Teil der Werke, denen der Begriff der Sonatenhauptsatzform zugeschrieben wird, ist also lange Zeit früher entstanden. Da sich in der Praxis so zahlrei- che Abweichungen vom Schema der Sonatenhauptsatz- form finden (sowohl in Sonatensätzen des 19. als auch des 18. Jahrhunderts), dass die jüngere Musikwissen- schaft die Tauglichkeit des Modells insgesamt in Fra- ge stellt, können die folgenden Erläuterungen lediglich eine Orientierungshilfe ohne Anspruch auf historische Angemessenheit oder normative Geltung darstellen. Tat- sächlich ist 'die' Sonatenhauptsatzform (wie sie durch die Theorie des anfänglichen 20. Jahrhunderts zemen- tiert und auf den Ausschnitt der Wiener Klassik verengt wurde) nicht als etwas Voraussetzungsloses misszuverste- hen. Vielmehr stellt dieser Sonatensatz-Typus bereits die Überformung eines älteren und ursprünglich weit simple- ren Formschemas dar (in barocken Suitensatzformen und dann bei C. P. E. Bach oder D. Scarlatti). Erst die ästhe- tischen Funktionen jener urtümlichen Sonatenform las- sen Schlüsse auf die weiteren ästhetischen Absichten der Wiener Klassischen Komponisten mit der abgewandelten Sonatensatzform zu. 1.1 Einleitung Schon vor Beginn der Exposition kann eine kürzere oder längere Einleitung stehen. Meist erscheint sie bei ausge- dehnteren Werken, d. h. eher in einer Sinfonie und selte- ner in einer Klaviersonate. Sie eröffnet den Satz in einem langsamen Tempo, bevor sich die Exposition mit einem schnelleren, kontrastierenden Tempo anschließt. Typisch für Sätze mit Einleitung sind also Tempoangaben wie An- dante – Allegro ma non troppo. Neben dem Spannungsaufbau hatte die Einleitung beim zeitgenössischen Publikum aufgrund ihres typischen Be- ginns mit forte auch eine Signalwirkung: Das Publikum sollte zur Ruhe kommen und wahrnehmen, dass nun ein Werk beginne, dem Aufmerksamkeit zu schenken sei. Daher kann auf eine derartige Einleitung der Beginn der Exposition oftmals ein mit piano gestaltetes Thema fol- gen, während Werke ohne Einleitung meist mit forte be- ginnen. Langsame Einleitungen finden sich beispielsweise bei ei- nigen Sinfonien von Joseph Haydn (z. B. Nr. 6, Nr. 53 und vielen der späteren Werke, vgl. die „Londoner Sin- fonien“) und bei einigen Sinfonien von Ludwig van Beet- hoven (Nr. 1, Nr. 2, Nr. 4 und Nr. 7). 1.2 Exposition Die Exposition (= „Ausstellung“) stellt das thematische Material des Satzes vor. Sie gliedert sich typischerweise in Hauptsatz, Überleitung, Seitensatz und Schlussgruppe bzw. Epilog. 1.2.1 Hauptsatz Der Hauptsatz einer Exposition steht in der Grundtonart (Tonika-Tonart) des Satzes. Er taucht mindestens zwei- 1

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Page 1: Sonatensatzform

Sonatensatzform

Sonatensatzform (auch: Sonatenhauptsatzform,Sonatenform) bezeichnet in der musikalischenFormenlehre ein Modell bzw. Gestaltungsprinzip, mitdem in der Regel die Form des ersten Satzes (= Kopfsatzoder „Hauptsatz“) einer Sonate bzw. Sinfonie (undweiterer kammermusikalischer Gattungen) beschriebenwird. Oft weist auch der letzte Satz Sonatensatzform auf,während sie bei Mittelsätzen eher selten anzutreffen ist.Daneben kann sich die Bezeichnung „Sonatenform“ auchauf den Satzzyklus einer Sonate beziehen.

1 Aufbau eines Satzes nach der So-natensatzform

Ein nach der Sonatensatzform gegliederter Satz be-steht üblicherweise aus den drei Hauptteilen: Exposition,Durchführung und Reprise. Diese äußerliche Dreiheitsollte aber nicht den Blick darauf verstellen, dass die So-natenhauptsatzform grundsätzlich dialektisch ist, dass siealso grundlegend auf der Idee einer Zweiheit, nämlichauf zwei Themenkomplexen beruht, die in einem allge-meinsten Sinne gegenteilig dialogisieren, bzw. kontrastie-ren (hierzu gehören Eigenschaften wie Staccato/Legato,Forte/Piano, Tonikal/Dominantisch, u. v. m.). Zu die-sem Hauptkörper eines Sonatenkopfsatzes gesellen sichgattungsgeschichtlich zwei optionale Satzteile, die meistnicht eigentlich thematisch exponiertes Material enthal-ten, nämlich evtl. eine (langsame) Einleitung am Beginnund/oder ggf. eine Coda, die das Satzganze beschließt.Bei Gliederung und Benennung der drei wesentlichenFormteile (Exposition, Durchführung, Reprise) handeltes sich um das Ergebnis jahrzehntelanger musikwissen-schaftlicher Theoriebildung zu einer Gattung mit langerEntwicklungsgeschichte; die heute gebräuchlichen Be-griffe wurden erst Anfang des 20. Jahrhunderts (u. a.von Hugo Leichtentritt[1] und Hugo Riemann) etabliert.Ein wesentlicher Teil der Werke, denen der Begriff derSonatenhauptsatzform zugeschrieben wird, ist also langeZeit früher entstanden. Da sich in der Praxis so zahlrei-che Abweichungen vom Schema der Sonatenhauptsatz-form finden (sowohl in Sonatensätzen des 19. als auchdes 18. Jahrhunderts), dass die jüngere Musikwissen-schaft die Tauglichkeit des Modells insgesamt in Fra-ge stellt, können die folgenden Erläuterungen lediglicheine Orientierungshilfe ohne Anspruch auf historischeAngemessenheit oder normative Geltung darstellen. Tat-sächlich ist 'die' Sonatenhauptsatzform (wie sie durchdie Theorie des anfänglichen 20. Jahrhunderts zemen-

tiert und auf den Ausschnitt der Wiener Klassik verengtwurde) nicht als etwas Voraussetzungsloses misszuverste-hen. Vielmehr stellt dieser Sonatensatz-Typus bereits dieÜberformung eines älteren und ursprünglich weit simple-ren Formschemas dar (in barocken Suitensatzformen unddann bei C. P. E. Bach oder D. Scarlatti). Erst die ästhe-tischen Funktionen jener urtümlichen Sonatenform las-sen Schlüsse auf die weiteren ästhetischen Absichten derWiener Klassischen Komponisten mit der abgewandeltenSonatensatzform zu.

1.1 Einleitung

Schon vor Beginn der Exposition kann eine kürzere oderlängere Einleitung stehen. Meist erscheint sie bei ausge-dehnteren Werken, d. h. eher in einer Sinfonie und selte-ner in einer Klaviersonate. Sie eröffnet den Satz in einemlangsamen Tempo, bevor sich die Exposition mit einemschnelleren, kontrastierenden Tempo anschließt. Typischfür Sätze mit Einleitung sind also Tempoangaben wieAn-dante – Allegro ma non troppo.Neben dem Spannungsaufbau hatte die Einleitung beimzeitgenössischen Publikum aufgrund ihres typischen Be-ginns mit forte auch eine Signalwirkung: Das Publikumsollte zur Ruhe kommen und wahrnehmen, dass nun einWerk beginne, dem Aufmerksamkeit zu schenken sei.Daher kann auf eine derartige Einleitung der Beginn derExposition oftmals ein mit piano gestaltetes Thema fol-gen, während Werke ohne Einleitung meist mit forte be-ginnen.Langsame Einleitungen finden sich beispielsweise bei ei-nigen Sinfonien von Joseph Haydn (z. B. Nr. 6, Nr. 53und vielen der späteren Werke, vgl. die „Londoner Sin-fonien“) und bei einigen Sinfonien von Ludwig van Beet-hoven (Nr. 1, Nr. 2, Nr. 4 und Nr. 7).

1.2 Exposition

Die Exposition (= „Ausstellung“) stellt das thematischeMaterial des Satzes vor. Sie gliedert sich typischerweise inHauptsatz,Überleitung, Seitensatz und Schlussgruppe bzw.Epilog.

1.2.1 Hauptsatz

Der Hauptsatz einer Exposition steht in der Grundtonart(Tonika-Tonart) des Satzes. Er taucht mindestens zwei-

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2 1 AUFBAU EINES SATZES NACH DER SONATENSATZFORM

mal – manchmal leicht verändert – in Exposition undReprise auf. Dieser Satz enthält das erste Thema, dem dieklassische Formenlehre typischerweise einen eher kraft-vollen Charakter attestiert. Obwohl diese Charakterisie-rung sehr oft zutrifft, kann sie keinen Anspruch auf All-gemeingültigkeit erheben, da es durchaus auch Beispielefür weiche, lyrische Hauptthemen gibt. In selteneren Fäl-len kann der Hauptsatz auch noch weitere Themen bzw.themenähnliche Nebengedanken enthalten.Dem Hauptsatz folgt eine meist modulierende Überlei-tung (auch „Zwischensatz“ genannt) als Verbindung zumSeitensatz. Sie besteht häufig aus einer motivischen Fort-führung des ersten Themas oder, vor allem in denWerkender Früh- und Wiener Klassik, oft aus eher unthemati-schen, motorisch-figurativen Floskeln.Da der Begriff „erstes Thema“ auf ein vorhandenes„zweites Thema“ schließen lässt, und dies nicht in allenFällen auftritt, bedient man sich lieber der allgemeinerenGegenüberstellung Hauptsatz – Seitensatz.

1.2.2 Seitensatz / Seitenthema

Der Seitensatz, der oft (wenn auch nicht immer) das zwei-te oder ein weiteres Seitenthema – manchmal sogar meh-rere – enthält, steht in einer anderen Tonart als der Haupt-satz. Es ist meist auf der 5. Stufe (Dominante) des 1. The-mas. In der Reprise wird es um eine Quinte nach un-ten transponiert und ist somit auf derselben Stufe wiedas Hauptthema.[2] Bei Hauptthemen in Dur steht derSeitensatz meist in der quinthöheren Dur-Tonart, mitdem Begriff der Funktionstheorie auch Dominant-Tonartgenannt. Bei Hauptthemen in Moll hingegen steht dasSeitenthema in der Regel in der parallelen Dur-Tonart(Tonikaparallel-Tonart). Das Seitenthema bildet oft ei-nen Kontrast zum Hauptthema und hat typischerweise ei-nen lyrischeren Charakter als dieses. Anknüpfend darankann sich ein weiterer Teil, die so genannte „Fortführung“oder „Fortspinnung“, befinden, die entweder an die Mo-tivik des Seitenthemas anschließt oder aber durch eherunthematisches Figurenwerk gekennzeichnet ist, und inden sogenannten Kadenzteil mündet, der den Seitensatzbeschließt.Den Abschluss der Exposition bildet meist eine Schluss-gruppe (auch „Epilog“ genannt) in der gleichen Tonartwie der Seitensatz, die somit das Ziel der vorausgegan-genen Modulation bekräftigt. Sie kann neues themati-sches Material enthalten, motivisch an das erste The-ma anknüpfen oder eine motivische Synthese aus ers-tem und zweitem Thema darstellen. Diese Schlussgrup-pe/Epilog entwickelt sich in Symphonien der späterenRomantik (siehe Bruckners Sinfonien) sogar teilweisezu einem eigenständigen, vollwertigen 3. Thema, das inder anschließenden Durchführung mitunter eine beherr-schende Rolle spielt.Traditionell wird die Exposition wiederholt, so dass manihr Ende auch leicht an denWiederholungszeichen erken-

nen kann.Während im 18. Jahrhundert dieWiederholungder Exposition nur gelegentlich weggelassen wird (z. B.in op. 3. Nr. 4 von Franz Ignaz Beck), verzichten Kom-ponisten seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts immerhäufiger auf eine tongetreue Wiederholung der Expositi-on.Das Spannungsverhältnis von Haupt- und Seitensatzist ein wesentliches Merkmal der Sonatensatzform. Esdrückt sich immer in der tonalen Spannung zwischen denverschiedenen Tonarten beider Teile aus. Oft besteht dar-über hinaus zwischen erstem und zweitem Thema eincharakterlicher Kontrast. In solchen Fällen spricht manvom Themendualismus.

1.3 Durchführung

Auf die Exposition folgt die Durchführung, in der dasin den verschiedenen Teilen der Exposition vorgestell-te Material verarbeitet wird. Man spricht von motivisch-thematischer Arbeit.Durchführungen können sehr unterschiedlich gestaltetsein. Als typisch gilt eine „Durchführungseinleitung“,die von der Tonart am Ende der Exposition wegmodu-liert, sowie darauf folgend das Aufstellen eines „Modells“(oder mehrerer), welches sequenziert oder anderweitigverarbeitet wird. Im Falle eines vorliegenden Themen-kontrastes kann in späteren Werken (z. B. der Roman-tik) auch eine dialektische Auseinandersetzung zwischenden beiden Themen stattfinden, wobei es zum charakterli-chen Rollentausch und zu konflikthaft dramatischen Stei-gerungen kommen kann. Es kann aber ebenso vorkom-men, dass nur eines der beiden Themen in der Durchfüh-rung verwendet wird, oder dass die Durchführung aus-schließlich mit den Motiven der Schlussgruppe oder garmit dem aus Überleitung oder Fortspinnung stammen-den Figurenwerk bestritten wird. Manchmal taucht in derDurchführung als Episode sogar ein völlig neuer musika-lischer Gedanke auf, z. B. in Beethovens 3. Symphonie„Eroica“ im 1. Satz.Charakteristisch für nahezu alle Durchführungen ist ei-ne verstärkte Modulationstätigkeit, die oft auch in har-monisch weit entfernte Bereiche vordringt. Üblicherwei-se führen Durchführungen letztlich zu einem „Verweilenauf der Dominante“ (manchmal auch einer „falschen“),wodurch die Reprise harmonisch vorbereitet wird.

1.4 Reprise

Mit der Wiederkehr des Hauptthemas in der Tonika-Tonart setzt die Reprise (von frz.: reprendre = „wiederaufnehmen“) ein. Die Reprise ist eine leicht veränderteWiederholung der Exposition. Die tonale Spannung zwi-schen Haupt- und Seitenthema wird aufgehoben, da jetztauch das Seitenthema in der Grundtonart erscheint. Eineventuell vorhandener Konflikt zwischen Haupt- und Sei-

Page 3: Sonatensatzform

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tensatz erscheint dadurch im Sinne einer Annäherung ge-mildert. Die häufigsten Änderungen finden im Zwischen-satz statt, da er seine harmonische Überleitungsfunktionjetzt eingebüßt hat.

1.5 Coda

Als Coda (ital. Endstück) wird der Schlussteil bezeichnet,in dem meist mit thematischem Material aus dem Haupt-thema der Satz gesteigert und zu Ende gebracht wird.Am Ende der Reprise wird häufig noch eine Coda ange-hängt, die die Ausmaße von einem kurzen Anhängsel biszu einer Erweiterung der Schlussgruppe in der Expositi-on hat. Die Coda wird vor allem bei Beethoven zu einemsehr wichtigen Abschnitt, der den Charakter einer zwei-ten Durchführung annehmen kann. Sie ist im Kopfsatzder 9. Sinfonie länger als die Reprise. Oft ist sie nicht nurim Charakter, sondern auch in der Thematik der Schluss-gruppe sehr ähnlich.

2 Entstehungsgeschichte der Sona-tensatzform

Ursprünglich (seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun-derts) bedeutete „Sonata“ im Gegensatz zur Vokalkom-position (canzona) instrumentales „Klangstück“. Der Be-griff bezeichnete anfangs weder ein spezifisches Form-modell noch einen bestimmten Kompositionsstil. Die ers-ten Werke mit dem Titel „Sonata“ stammen von italieni-schen Komponisten, wie z. B. Giovanni Gabrieli (1597,1615). Gabrielis Sonaten hatten Vorbildfunktion durchdie formale Anlage und ihren improvisatorischen Stil.Das Formmodell bestand aus mehreren klar beschrie-benen Abschnitten in kontrastierendem Tempo und mitkontrastierender Textur (siehe Sonate).Entsprechend zur Ausbreitung der zyklischen Dreisätzig-keit in der Opernsinfonie auf die meisten anderen mu-sikalischen Gattungen bildete sich in der Grundanlagedes Sinfoniesatzes, vor allem des Kopfsatzes, eine Ar-chitektur aus, die modellhaft Geltung erlangte und aufsämtliche Gattungen der Musik übergriff, auch auf diedes Konzertsatzes.[3] In der Zeit bis zum Ende des 18./ Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der sich aus denTanzsätzen der Suite entwickelnde Grundriss eines Sinfo-niesatzes als zweiteilig (jedoch teilweise mit untergeord-neter Dreigliederung) und nicht als dreiteilig angesehen.An dieser zweiteiligen Auffassung der Grundanlage desSinfonie-(Kopf-)Satzes wurde noch bis Anfang des 19.Jahrhunderts festgehalten, wie sich z. B. in der Rezensi-on von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann über Beetho-vens Sinfonie Nr. 5 aus dem Jahr 1810 zeigt. Erst mit demheute üblichen Konzept der Sonatenform geriet die über-geordnete Zweiteiligkeit schrittweise in Vergessenheit.[3]

Einfluss auf die Strukturierung der späteren Sonatensatz-form nahm auch die dreiteilige Da-Capo-Arie mit ei-

nem kontrastreichen Mittelteil und einem Reprisenein-satz in der Grundtonart. Für die Anlage der Sätze warenharmonische Verläufe wesentlicher als die thematisch-motivische Arbeit, die von der Sonatensatzform betontwird. So besteht die Anlage eines Sinfoniesatzes nachHeinrich Christoph Koch in „Versuch einer Anleitung zurComposition“ (drei Bände, erschienen 1782 bis 1793)aus folgenden Abschnitten:[3]

• I. Teil (wiederholt oder unwiederholt):

• Erster Hauptperiode,[4] ggf. mit Anhang: Ab-schnitt in der Grundtonart undÜbergang in dieDominante bzw. in Moll-Sätzen in die Dur-Parallele; Abschnitt in der Dominante, oft miteinem „mehr singbaren, und gemeiniglich mitverminderter Stärke des Tons vorzutragendenSatz“ verbunden, und Kadenzschluss in derDominante.

• II. Teil (wiederholt oder unwiederholt):

• Zweiter Hauptperiode: Beginn in derOberquint-Tonart meist mit dem „The-ma“ oder einem „anderen melodischenHaupttheile“; harmonische Abweichungen,Wiederholungen bzw. „Zergliederungen“melodischer Wendungen. Abschluss in derDominante oder Rückleitung zur Grundtonart(Tonika).

• Dritter Hauptperiode: Beginn in der Grund-tonart mit dem „Thema“ oder mit einem „an-dern melodischen Haupttheile“, Wiederauf-nahme der „vorzüglichsten Sätze“ des erstenHauptperioden in zusammengedrängter Formund in der Grundtonart verbleibend.

Die Interpretation dieser Grundanlage aus der Sichtder zunehmend bedeutender werdenden thematisch-motivischen Vorgänge führte schließlich in der Musik-theorie des 19. Jahrhunderts zum oben beschriebenenSchema der Sonatensatzform, welches teilweise auchrückwirkend (also ahistorisch) auf die vorher komponier-te Musik der Wiener Klassik angewendet wurde. DerBegriff „Sonatenform“ als ideales, von Gattungskriterien(Sinfonie, Quartett, etc.) abstrahiertes Modell erscheintin ausführlicher Beschreibung erstmals in der Komposi-tionslehre von Adolf Bernhard Marx (Die Lehre von dermusikalischen Komposition, Leipzig 1837–1847). Hein-rich Birnbach, von demMarx die Definition des Sonaten-satzes imWesentlichen übernahm, hatte noch den Begriff„Hauptform eines größeren Tonstücks“ verwendet.[3][5]Marx' Kompositionslehre etablierte die Begriffe „Expo-sition“, „Hauptsatz“, „Modulationsteil“, „Seitensatz“ und„Schlussgruppe“. Das wie oben beschriebene „vollständi-ge“ Schema der Sonatensatzform mit den heute üblichenBegriffen taucht erstmals 1904 in Alfred Richters Leh-re von der musikalischen Form auf und wurde schließlich1911 in der Formenlehre Hugo Leichtentritts kodifiziert.

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4 4 EINZELNACHWEISE UND ANMERKUNGEN

Das „Standardmodell“ der Sonatensatzform, wie es üb-licherweise analytisch gebraucht wird, war von Marx alsBeschreibungsform der Sinfonien Beethovens entworfenworden und ist deshalb kaum oder nur eingeschränkt fürentsprechendeWerke der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun-derts geeignet.[6] Eine starre Anwendung dieses Schemasals Maßstab auf viele Werke des 18., aber auch des 19.Jahrhunderts kann dann falsche Vorstellungen wecken,wenn Themen in ihrer Anzahl als zu viel, zu wenig oder an„unpassender“ Stelle erscheinen, wenn Durchführungs-und Reprisenabschnitte nicht konkret trennbar sind oderharmonische Verläufe auffällig anders als „vorgeschrie-ben“ erscheinen. Der normative Anspruch, den diese For-menlehre suggeriert, führt insbesondere bei AnwendungaufWerke der (Früh-) Klassik[7] dazu, dass die Stücke als„unfertige“ Vorläufer eines anzustrebenden Ideals abge-wertet werden.Die romantische Musik des 19. Jahrhunderts (z. B. CarlMaria von Weber, Franz Schubert, Felix MendelssohnBartholdy, Frédéric Chopin, Robert Schumann, FranzLiszt, Anton Bruckner, Johannes Brahms) entwickeltedie Sonatensatzform weiter, wobei neben einer Erwei-terung der Form im Sinne absoluter Musik auch eineStrömung aufkam, welche die Sonatenform nur nochals äußeren Rahmen für den Transport poetischer oderprogrammatischer Inhalte nutzte (Beispiele: Symphoniefantastique, Faustsinfonie).[8] Trotzdem forderte die So-natensatzform im Spannungsfeld zwischen absoluter Mu-sik und Tondichtung bis weit ins 20. Jahrhundert hin-ein die Komponisten immer wieder heraus, sich mitihr auseinanderzusetzen, wovon zahlreiche Beispiele beiDebussy, Ravel, Prokofjew, Hindemith, Britten u. v. a.Zeugnis ablegen.

3 Weblinks• Literaturbeispiel: L. van Beethoven, Klaviersonateop.2, Nr.1, f-moll, 1. Satz

• Sonate und Sinfonie. OpenBook (freies Unterrichts-material für allgemeinbildende Schulen)

• sim.spk-berlin.de (PDF)

4 Einzelnachweise undAnmerkun-gen

[1] Hugo Leichtentritt: Musikalische Formenlehre. Breitkopf& Härtel, Leipzig 1911.

[2] Hugo Leichtentritt: Musikalische Formenlehre. Breitkopf& Härtel, Leipzig 1911.

[3] Stefan Kunze: Die Sinfonie im 18. Jahrhundert. In: Sieg-fried Mauser (Hrsg.): Handbuch der musikalischen Gat-tungen. Band 1, Laaber-Verlag, Laaber 1993, ISBN 3-89007-125-2.

[4] Unter einem „Periodem“ versteht Koch einen größeren, insich zusammenhängenden Abschnitt oder Durchgang.

[5] Heinrich Birnbach: Über die verschiedene Form größererInstrumentalstücke aller Art und deren Bearbeitung. In:Berlinische Allgemeine Musikalische Zeitung, 1827, S. 269ff. Zitiert bei Kunze (1993)

[6] Michael Walter: Haydns Sinfonien. Ein musikalischerWerkführer. C. H. Beck-Verlag, München 2007, ISBN978-3-406-44813-3, S. 16

[7] Beispielsweise die frühen Sinfonien von JosephHaydn wiedie Sinfonie Nr. 1, Sinfonie Nr. 6 oder von WolfgangAmadeus Mozart die Sinfonie KV 19.

[8] Kunze (1993) schreibt dazu: Als „in der romantischenMusik andere Voraussetzungen des musikalischen Den-kens sich ausbildeten, verkam die Grundanlage zum Sche-ma („Sonatensatz“), das – vom „Inhalt“ abtrennbar – keinemusikalische Wirklichkeit mehr repräsentierte.“

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5 Text- und Bildquellen, Autoren und Lizenzen

5.1 Text• Sonatensatzform Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Sonatensatzform?oldid=155341527 Autoren: Jpascher, Zeno Gantner, Aka, Ste-fan Kühn, ErikDunsing, Reinhard Kraasch, Dibe, Qpaly, Fred~dewiki, Richi~dewiki, Andim, Wolfgang Nuss, Hati, Zwobot, HaeB,BerndGehrmann, Stern, Rdb, Nocturne, Sinn, Peter200, Königin der Nacht, Dnaber, Teelittle, Mnh, Ot, Gerhardvalentin, Gauss, HALNeuntausend, Dundak, NeeRoo, 24-online, Magnummandel, Pelz, M.L, Thorbjoern, Diba, Duczmal, FlaBot, Sir, Veitcall, Tafkas, Quirin,Blaubahn, Mst, Jbb, Miastko, Olei, RobotE, Sechmet, STBR, Mautpreller, Savin 2005, 5erpool, WAH, Mo4jolo, FordPrefect42, LKD,Tobnu, Manecke, Ikonos, Wünschi, Flammabel, Nemissimo, Tönjes, Adrian L., Roo1812, Ethun, Rote4132, Spuk968, Summ, Jobu0101,Caeruleus, Taratonga, Horst Gräbner, Gustav von Aschenbach, JAnDbot, YourEyesOnly, Bms72, ABF, Gudrun Meyer, Knoerz, KriSteMühe, Aibot, Regi51, ChrisHamburg, Krawi, Entlinkt, Der Verkehrsminister, Der.Traeumer, Engie, Nikkis, Stefan Graz, Snoopy1964,KnopfBot, Mopskatze, Alnilam, Pittimann, Karmingimpel, Querverplänkler, Ute Erb, Steak, Inkowik, Fish-guts, Destept, Johamar, L47,LinkFA-Bot, Zorrobot, Luckas-bot, Anton Sevarius,Wüstenbewohner, Xqbot, Jkbw, Geierkrächz, RibotBOT, Balliballi, Jivee Blau, Amph-Bot, Timk70, Hll001,Martin1978, Adippold, LZ6387, FrauNilsson, KLBot2, FerrariusK, Zois, Andamoka, Hans Haase, Pt.GM, IamYlem,Enderlin, Murinsel, Rmcharb, ẞ qwertz, Altsprachenfreund, Henry Purcel, Danipu, Kritzolina, TaxonBot, Golgaris Schwinge, Centenier,John Fizgerald Kennedy, Williamwickel, Reussi123 und Anonyme: 178

5.2 Bilder

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