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Vorlesungsskript Konstruktiver Ingenieurbau II

2. Auflage Juli 2008

Technische Universität Berlin Fachgebiet Massivbau Sekretariat TIB 1 - B 2 Gustav-Meyer-Allee 25 13355 Berlin

Prof. Dr. sc. techn. Mike Schlaich Dipl.-Ing. Achim Bleicher

Tel +49 (0)30 314-721 30 Fax +49 (0)30 314-721 32 [email protected] www.massivbau.tu-berlin.de

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Vorwort

Die Vorlesung Konstruktiver Ingenieurbau II und das vorliegende Manuskript dienen der Vertiefung und Erweiterung der in Konstruktiver Ingenieurbau I vermittelten Grundlagen der Bemessung. Während in KI I vor allem stabförmige Bauteile behandelt werden, wird nun auf Flächentragwerke wie Scheiben und Platten eingegangen. Im ersten Kapitel wird allerdings zuerst das Prinzip der Vorspannung und des Spannbetons erläutert, um zu manifestieren, dass es sich hier um ein zentrales und kein Randthema handelt. Den Abschluss bildet das Kapitel Stützen.

Dieses Manuskript ist „betonlastig“. Stahlbetondecken sind im Hochbau so verbreitet, dass ihnen durchaus ein eigenes Kapitel gewidmet sein soll. Gleichzeitig wird betont, dass viele der hier vorgestellten Konzepte sehr wohl werkstoffübergreifend verstanden werden können. So lässt sich die im Rahmen der Scheibenbemessung vorgestellte und ganz wichtige Methode des Bemessens mit Stabwerkmodellen auf Diskontinuitätsbereiche von Bauteilen aus beliebigen Werkstoffen übertragen.

Es soll dankend erwähnt werden, dass in das vorliegende Dokument teilweise Vorlesungsunterlagen der Technischen Universität Stuttgart, Prof. Schäfer (Vorspannung und Stabwerkmodelle) und der TU Berlin, Prof. Specht (Platten und Stützen) eingeflossen sind. Im Übrigen sind die beiden hier erwähnten Manuskripte im Zusammenhang mit den entsprechenden Manuskripten des Fachgebietes Entwerfen und Konstruieren – Stahlbau zu studieren.

Mike Schlaich, Berlin, Juli 2007

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TU Berlin – Fachgebiet Massivbau – Konstruktiver Ingenieurbau II Inhaltsverzeichnis

I

INHALTSVERZEICHNIS

8 VORSPANNUNG 1

8.1 Einführung 1

8.2 Prinzip der Vorspannung 1 8.2.1 Technische Anwendungsformen der Vorspannung 3 8.2.2 Spannobjekt und Spannmedium 7 8.2.3 Offene und geschlossene Spannsysteme 8

8.3 Spannbeton – Arten der Vorspannung 9 8.3.1 Einführung 9 8.3.2 Eigenschaften von Spannbetontragwerken 9 8.3.3 Werkstoffe 10 8.3.4 Vorspannung mit sofortigem Verbund 12 8.3.5 Vorspannung mit nachträglichem Verbund 13 8.3.6 Vorspannung ohne Verbund, externe Vorspannung 18

8.4 Schnittkraftermittlung und Spanngliedführung 23 8.4.1 Schnittgrößen aus Umlenkkraft-Methode 23 8.4.2 Schnittgrößen aus Parabelgleichung 25 8.4.3 Spanngliedführung 28

8.5 Spannkraftverluste 29 8.5.1 Mittelwert der Vorspannkraft 30 8.5.2 Verluste infolge Kriechen, Schwinden und Relaxation 31 8.5.3 Verluste infolge Reibung und Verankerungsschlupf 34

8.6 Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (Vorspannung als Einwirkung) 36 8.6.1 Begrenzung der Rissbreiten und Nachweis der Dekompression 38 8.6.2 Begrenzung der Spannungen 40 8.6.3 Verformungen von Spannbetontragwerken 44

8.7 Grenzzustand der Tragfähigkeit (Vorspannung als Widerstand) 45 8.7.1 Nachweise für Biegung 46 8.7.2 Nachweise für Querkraft 49 8.7.3 Nachweis gegen Ermüdung 50

8.8 Technologie, Konstruktive Durchbildung 50 8.8.1 Nachweis des Verbundes zwischen Spannglied und Beton 55 8.8.2 Verankerungen und Kopplungen 55

9 STABWERKMODELLE 59

9.1 Einführung 59

9.2 Grundgedanke 59

9.3 Modellfindung 61 9.3.1 Einführung 61 9.3.2 Vorbereitungen zur Modellierung 61 9.3.3 Modellentwicklung mittels Lastpfadmethode 62 9.3.4 Modellentwicklung mit Hilfe linear-elastischer Spannungsbilder 64 9.3.5 Grundsätze zur Optimierung von Stabwerkmodellen 66 9.3.6 Typische Modelle 70 9.3.7 Schwierigkeiten beim Entwickeln von Stabwerkmodellen 80

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II

9.4 Berechnung der Stabkräfte 82

9.5 Bemessung der Stäbe und Knoten 83 9.5.1 Bemessungsgrundlagen 83 9.5.2 Bemessung der Zugstäbe 84 9.5.3 Bemessung der Druckstäbe 84 9.5.4 Bemessung der Knoten 87 9.5.5 Zusammenfassende Regel für die Bemessung 98

9.6 Beispiele 98 9.6.1 Querschnittssprung in einem Balken oder einer Platte 98 9.6.2 Abgesetzte Auflager 101

9.7 Rahmen 104 9.7.1 Einleitung 104 9.7.2 Rahmeneck mit negativem (schließendem) Moment 104 9.7.3 Rahmenecken mit positivem (öffnendem) Moment 109 9.7.4 Rahmenecke eines Hohlkastenträgers 114 9.7.5 Rahmenknoten 119

9.8 Konsolen 122 9.8.1 Allgemeines 122 9.8.2 Bemessung 125 9.8.3 Hohe Konsole 130

9.9 Scheiben 131 9.9.1 Einleitung von Seilkräften in den Brückenträger 131 9.9.2 Wände und Wandscheiben 134

10 PLATTEN 141

10.1 Einführung 141

10.2 Tragverhalten 141

10.3 Schnittgrößenermittlung 153

10.4 Bemessung und Konstruktive Durchbildung 154 10.4.1 Grundlagen 154 10.4.2 Einachsig gespannte Platten 159 10.4.3 Zweiachsig gespannte Platten 164 10.4.4 Diskontinuierliche Linienlagerung 171 10.4.5 Öffnungen in Platten 172 10.4.6 Fertigplatten mit Ortbetonschicht 173 10.4.7 Punktgestützte Platten 177

11 STAHLBETON-DRUCKGLIEDER 191

11.1 Einführung 191

11.2 Grundlagen 191 11.2.1 Tragverhalten von Druckgliedern 191 11.2.2 Knicklängen / Ersatzstablängen 195

11.3 Schnittgrößenermittlung nach Theorie II. Ordnung gemäß DIN 1045-1 199 11.3.1 Einteilung der Tragwerke und Bauteile 199 11.3.2 Nachweisverfahren 201 11.3.3 Imperfektionen 202 11.3.4 Schnittgrößenermittlung mittels Modellstützenverfahren 203

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III

11.4 Bemessung / Bemessungshilfsmittel 210 11.4.1 Interaktionsdiagramme 210 11.4.2 µ-Nomogramme 211 11.4.3 e/h – Nomogramme 213

11.5 Konstruktive Durchbildung 214 11.5.1 Konstruktionsregeln nach DIN 1045-1, 13.5 214 11.5.2 Schleuderbetonstützen 217

LITERATUR 219

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IV

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TU Berlin – Fachgebiet Massivbau – Konstruktiver Ingenieurbau II Kapitel 8

1

8 Vorspannung

8.1 Einführung Unter Vorspannung versteht man das „künstliche Unter-Spannung-Setzen“ (Heinz Hossdorf, 2003) von Bauteilen oder Bauwerken, bevor sie den normalen Beanspruchungen aus Eigengewicht, Schnee, Wind,… ausgesetzt werden. Dadurch können sehr gezielt die inneren Beanspruchungen (Schnittgrößen bzw. Spannungen) und die Verformungen, auch zur optimalen Formgestaltung, im gewünschten Sinne beeinflusst werden. In der Fachliteratur findet man zur Definition der Vorspannung ganz unterschiedliche Darstellungen und Erklärungen:

Alf Pfüger (1978) meinte zur Frage, ob die Vorspannung als Last oder als Zwang aufzufassen sei: „…ist nun ein Vorspannungszustand kein Eigenspannungs-zustand,…“

„Die künstlichen Vorspannungen kann man ebenfalls unter die Lastspannungen einordnen“ (Gotthard Franz, 1983)

„Man nennt deshalb das Ergebnis des Vorspannens einen Eigenspannungszustand“ (Jörg Schlaich, 1990)

„Vorspannung verursacht einen Eigenspannungszustand“ (Christian Menn, 1986)

Das Prinzip der Vorspannung ist schon von alters her bekannt und wird auch im Stahlbau, Glasbau, Membranbau, Seilbau, Verbundbau,… häufig angewendet. Das Daubenfass, der Regenschirm, der Pneu im Fahrzeugreifen, fest angezogene Schrauben sind allgegenwärtige Beispiele dafür. Spricht man im Bauwesen von Vorspannung, wird dies unwillkürlich auf vorgespannten Beton projeziert. In den 50er Jahren beeinflusste der Spannbeton nach ausgereifter Technologie spektakulär die Konstruktionsweise von Brückenbauten. Aus dieser Sicht ist der Spannbeton ein Anwendungsbeispiel eines weit allgemeineren mechanischen Konzepts, das auf viele Bereiche der Konstruktionstechnik übertragen werden kann.

8.2 Prinzip der Vorspannung Mit der Erzeugung eines Vorspannungs-Zustands (Eigenspannungszustand) wird das Tragwerk mit potentieller elasto-statischer Energie „aufgeladen“. Die hierzu notwendige Arbeit wird meistens durch spezielle mechanische Vorrichtungen erzeugt.

Womit rechtfertigt sich nun dieser technische Aufwand, der unvermeidlich zu einer Zusatzbeanspruchung der Konstruktion führt, deren Widerstandskraft doch zum Tragen der erwartenden Belastungen zur Verfügung stehen soll?

Die Anwendung der Vorspannung ist nur dann sinnvoll, wenn sie in der Konstruktion vorhandene, im ungespannten Zustand aber ungenutzte Tragreserven aktivieren kann. Diese kommen fast ausschließlich in Konstruktionselementen mit

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TU Berlin – Fachgebiet Massivbau – Konstruktiver Ingenieurbau II Kapitel 8

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Bild 8-1 Asymmetrische Festigkeitscharakteristiken

unterschiedlichen Festigkeitseigenschaften vor. Die Festigkeitseigenschaften des Materials Beton sind bekannt: hohe Druckfestigkeit und äußerst geringe Zugfestigkeit - er reisst. Trotz der symmetrischen Materialfestigkeit eines Seils versagt es bei Druckbeanspruchung aufgrund seiner Schlankheit - es knickt. Ein nur durch Kontakt hergestellter Fugenstoß zwischen zwei Konstruktionselementen kann nur Druck und keinen Zug aufnehemen – er öffnet sich. Festigkeitsasymmetrien können demnach bei Materialien, geometrischen Formen oder Verbindungen auftreten. Meistens werden Festigkeitseigenschaften in Kraft/Verformungs-

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Diagrammen dargestellt. In Bild 8-1 sind Beispiele für die genannten Festigkeits-asymmetrien und möglicher Verschiebungen bzw. Beeinflussungen beschrieben.

8.2.1 Technische Anwendungsformen der Vorspannung

Die mangelhafte Zugfestigkeit des Betons (~ 10% der Druckfestigkeit) führte auf den Gedanken, in der Zugzone des Betontragwerks durch geeignetes "Vorspannen" einen "Vorrat" an Druckspannungen zu erzeugen. Diese müssen erst aufgezehrt werden, bevor aus der einwirkenden Belastung Zugspannungen im Beton entstehen. "Vorgespannter" Beton, eigentlich müsste es heißen: "vorgedrückter" Beton, bleibt

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TU Berlin – Fachgebiet Massivbau – Konstruktiver Ingenieurbau II Kapitel 8

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deshalb bei einer Laststeigerung viel länger im ungerissenen Zustand I als "schlaff bewehrter" Beton. Dies wird später anhand der Modelle eines vorgespannten Zugstabes und eines vorgespannten Balkens ausführlicher behandelt.

Der von den Materialeigenschaften ähnliche Werkstoff Glas erhält durch das Spannmedium Temperatur einen ähnlichen „Vorrat“ an Druckspannungen. Beim Vorspannungsprozess kühlen die Glasoberflächen schneller ab, als das Glasinnere. Die bereits erstarrten Oberflächen werden bei weiterer Abkühlung durch die thermische Kontraktion der Scheibenmittelzone unter Druckspannung gesetzt. Bei Biegebeanspruchung durch äußere Lasten wird diese Druckspannung erst abgebaut bevor das Glas auf Zug beansprucht wird (Bild 8-2).

Bild 8-2 Vorgespanntes Glas

Seile können keine Lasten stützen, da sie schlaff nur eine sehr geringe Steifigkeit für Druckbelastung aufweisen. Zum Aufhängen einer Last sind sie jedoch besser geeignet. Ein hängendes Seil mit der Länge L unter einer Last P längt sich in Abhängigkeit seiner Dehnsteifigkeit (EA) um ∆L (Bild 8-3 I). Wird ein zusätztliches Seil zwischen der Last P und dem Boden verankert so fällt es aufgrund der sehr geringen Steifigkeit für Druckbelastung aus und wird schlaff (Bild 8-3 II).

Werden jedoch beide Seile mit der Kraft V = P zwischen Boden und Decke vorgespannt, so teilt sich die Last P und wird zur Hälfte über das obere Seil auf Zug und zur anderen Hälfte über das untere Seil auf Druck abgetragen (Bild 8-3 III). Die Verformung ist demnach nur ∆L/2. Folglich stellt sich bei der doppelten Last (2 P) die Verformung ∆L ein und das untere Seil wird wieder schlaff. Dieser Zustand wird als Dekompression bezeichnet. Bei weiterer Laststeigerung (nach dem Knick in der Last-Verformungskurve) verhält sich das obere Seil wie ein nicht vorgespanntes Seil und wird beim Erreichen der Streckgrenze unter der gleichen rechnerischen Bruchlast versagen. Es „erinnert“ sich aber daran, dass es vorgespannt war. Die Verformungsdifferenz zwischen vorgespanntem und nicht-vorgespanntem Seil kann deshalb als Gedächtnis G bezeichnet werden.

Bei einer Fußgängerbrücke in Stuttgart (Bild 8-4) wurde zur Erhöhung der Steifigkeit das sehr abstrakte Prinzip aus Bild 8-3 angewendet. Die Seile dieser Seilbinder-brücke wurden dabei so vorgespannt, dass sie in keinem Lastfall schlaff werden.

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TU Berlin – Fachgebiet Massivbau – Konstruktiver Ingenieurbau II Kapitel 8

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Bild 8-3 Prinzip der Vorspannung bei Seilen

Bild 8-4 Seilbinderbrücke am Kochenhof, Ing. Schlaich Bergermann

und Partner, Arch. Luz und Partner

Analog zum vorgespannten Seil verhält sich auch ein zentrisch vorgespanntes Betonprisma (Bild 8-5). In Kapitel 8.3.5.1 wird das Last-Verformungsverhalten des vorgespannten Prismas detailliert erläutert.

Durch das Vorspannen von Schrauben (GV und GVP-Schrauben) werden künstlich Klemmkräfte erzeugt, die eine Übertragung von Zugkräften in einem Trägerstoß ermöglichen, ohne dass die Fuge sich öffnet (Bild 8-6). Außerdem können so auch Schubkräfte mittels Reibung aus den Klemmkräften übertragen werden.

Nietverbindungen (Bild 8-7) ermöglichen eine form- und kraftschlüssige Verbindung zweier Bauteile. Wird die Niet glühend eingebaut, so verkürzt sich diese durch Erkaltung und presst die Bauteile zusammen. Es entsteht eine vorgespannte Verbindung wie durch vorgespannte Schrauben, allerdings zerstörungsfrei nicht lösbar.

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Bild 8-5 Prinzip des Spannbetons

Bild 8-6 links: Kopfplattenstoß; rechts: Laschenstoß mittels vorgespannter Schrauben

Bild 8-7 Laschenstoß mittels Nietverbindung

Beim Preflexträger wird ein leicht gekrümmt hergestelltes Stahlprofil entgegen der Vorkrümmung elastisch verbogen, bevor der untere Flansch einbetoniert wird. Nach dem Erhärten des Betons und Wegnahme der Zwangskräfte federt der Träger wie-der teilweise zurück, und es entstehen günstige Druckspannungen im anbetonierten Flansch (Bild 8-8). Dieser "vorgespannte Beton" erhält, wenn man vom Schwinden

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TU Berlin – Fachgebiet Massivbau – Konstruktiver Ingenieurbau II Kapitel 8

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und Kriechen absieht, erst dann Zugspannungen, wenn der Verbundträger unter Lasten wieder so weit durchgebogen wird, wie beim Anbetonieren des Betonflan-sches. Er bleibt ungerissen und versteift somit sehr wirksam den schlanken Ver-bundträger.

Bild 8-8 Preflexträger: a) bis d) Herstellung

e) Eingebauter Zustand als Doppelverbundträger

8.2.2 Spannobjekt und Spannmedium

Das Prinzip der Vorspannung kommt wie bereits beschrieben in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen zur Anwendung. Jedes Vorspannsystem erfordert zwei Komponenten: Spannobjekt und Spannmedium. Als Spannobjekt wird das durch Vorspannung beeinflusste Element der Konstruktion bezeichnet. Das Spannmedium stellt den Energiespeicher zur Erzeugung und Erhaltung der Spannkraft dar. Elastische Materialien (Stahldrähte) oder komprimierte Gase (Luft) induzieren von außen die Spannkraft. Bei sogenannter Eigenvorspannung übernimmt das Spannobjekt auch die Funktion des Spannmediums, vgl. vorgespanntes Glas sowie vorgespanntes Seil.

Wird die Vorspannung durch ein Spannmedium erzeugt, so beteiligt sich dieses zwangsläufig auch an den Formänderungen, denen das Spannobjekt während seiner Nutzung unterworfen ist. Die Spannkraft variiert entsprechend. Um zur Nutzung des Bauteils eine ausreichende Vorspannung zu gewährleisten, sind als Spannmedien nur Materialien verwendbar, deren Formänderungen beim Spannen ein Vielfaches der beim Gebrauch des Spannobjektes auftretenden Verformungen betragen, vgl. auch Kapitel 8.3.3.

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TU Berlin – Fachgebiet Massivbau – Konstruktiver Ingenieurbau II Kapitel 8

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8.2.3 Offene und geschlossene Spannsysteme

Die Kraft des Spannmediums bildet samt ihrer Reaktionen, völlig unabhängig von den äußeren Belastungen, denen die betreffende Konstruktion sonst noch ausgesetzt ist, für sich allein ein vollständiges Gleichgewichtssystem (vgl. auch Bild 8-11). Davon ist das für die Vorspannung verwertbare, unmittelbar auf die Spannobjekte einwirkende Kräftespiel ein vom Konstruktionstyp abhängiges Teilsystem.

In geschlossenen Spannsystemen stützt sich die Spannkraft ausschließlich auf das Spannobjekt ab und bildet ein mobiles System (Fussball, vorgefertigtes Spannbetonelement, Speichenrad). Bei offenen Systemen wirkt die Spannkraft nicht nur auf das Spannobjekt, sondern auch auf die Umgebung (Bild 8-9), wodurch das System örtlich gebunden ist (abgespanntes Zeltdach, durch Stützensenkung eingeprägte Vorspannung, Bild 8-10).

Bild 8-9 Offenes und geschlossenes System

Bild 8-10 Vorspannung eines Trägers durch künstliche Stützensenkung

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8.3 Spannbeton – Arten der Vorspannung

8.3.1 Einführung

Das Prinzip der Vorspannung und deren Anwendungsgebiete sind wie beschrieben in vielen Bereichen der Konstruktionstechnik anzutreffen. In den weiteren Kapiteln wird dieses interessante Prinzip auf vorgespannten Beton bzw. Spannbeton beschränkt. Selbst dieses Gebiet ist so umfangreich, so dass auch hier nur Teilbereiche behandelt werden können. An dieser Stelle wird deshalb auf weiterführende Literatur im Anhang verwiesen.

8.3.2 Eigenschaften von Spannbetontragwerken

- Durch Vorspannung bleibt das Tragwerk unter Gebrauchslasten länger im Zustand I. Die höhere Steifigkeit in diesem Zustand führt zu geringeren Verformungen.

- Spannbeton erlaubt durch die Ausnützung hochfester Baustoffe (Stahl und Beton) größere Spannweiten und schlankere Tragwerke als Stahlbeton.

- Die Vorspannung verbessert die Gebrauchstauglichkeit bzw. erhöht die Dauerhaftigkeit, indem Risse im Beton weitgehend verhindert oder mindestens die Rissbreiten zuverlässig auf ein unschädliches Maß begrenzt werden (Korrosionsschutz).

- Spannbeton-Tragwerke haben eine hohe Ermüdungsfestigkeit, weil die Schwingbreiten der Stahlspannungen klein und damit unter der Ermüdungsgrenze liegen.

- Frei gekrümmte oder gerade Betonstäbe mit einer Exzentrizität e aus Imperfektionen (Bild 8-11, Bild 8-27) knicken durch zentrisch geführte Vorspannung alleine nicht aus. Die gleichmässig über den Stabquerschnitt verteilten Druckspannungen ändern wie die Zugkraft im Spannglied ihre Richtung in den Krümmungen. Dabei entstehen Umlenkkräfte ub, die denjenigen aus Vorspannung uv genau entgegenwirken (Bowdenzug-Prinzip). Durch die Druckstauchung entsteht lediglich eine proportionale Verkleinerung der Figur. Der Bruch erfolgt aber erst beim Erreichen seiner Material-Druckfestigkeit.

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Bild 8-11 links: Umlenkkräfte aus Vorspannung;

rechts: Perlenkette mit gerader/ gekrümmter Stabachse knickt nicht aus

8.3.3 Werkstoffe

Die Eigenschaften des Werkstoffs Beton sind im Skript „Konstruktiver Ingenieurbau I“, Kapitel 3 ausführlich beschrieben. Für Spannbeton werden in der Regel hochfeste Betone verwendet, um Schwind- und Kriechverküzungen klein zu halten, die Spannkraftverluste verursachen. Die Mindestbetonfestigkeitsklasse hängt von der Art der Vorspannung ab. Für Bauteile mit Vorspannung im nachträglichen Verbund oder ohne Verbund darf jedoch keine kleinere Festigkeitsklasse als C25/30, für Bauteile mit Vorspannung im sofortigen Verbund keine kleinere als C30/37 verwendet werden (DIN 1045-1, 6.2). Besondere Aufmerksamkeit muss aus Gründen der Spannstahlkorrosion auf die Herstellung gelegt werden (keine chloridhaltigen Zusätze).

Das Spannmedium des vorgespannten Betons sind hochfeste und daher auch hoch dehnbare einzelne, zu Kabeln oder Litzen zusammengefasste Stahldrähte oder auch Stäbe (Gewindestangen) die im Weiteren als Spannglieder bezeichnet werden. Dank ihrer Biegsamkeit werden die Litzen/Kabel auf Rollen geliefert und können längs beliebiger räumlicher Kurven durch den Betonkörper geführt werden. Einige Eigenschaften sind bereits im Skript KI I, Kapitel 3 erläuert. Ergänzend werden hier die Anforderungen an diese Stähle kurz beschrieben:

- Hohe Festigkeit, um die Spannkraftverluste durch Schwinden und Kriechen des Betons und Relaxation des Stahls klein zu halten.

- Gute Zähigkeit, damit die Spannstähle bei mechanischen Beschädigungen (Kerben) und bei Kaltverformung an den Verankerungen oder dergleichen nicht spröde brechen.

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- Geringe Empfindlichkeit gegen Korrosion, insbesondere gegen Spannungsrisskorrosion.

- Hohe Verbundfestigkeit zwischen Spannstahl und Beton bei Spannbett-Vorspannung.

Die verwendeten Spannstähle werden nach dem charakteristischen Wert der 0,1 %-Dehngrenze (Streckgrenze) fp0,1k und dem charakterisitschen Wert der Zugfestigkeit fpk bezeichnet (Bild 8-12). Die Hersteller verwenden jedoch oft noch die ältere Bezeichnung, in der anstatt der 0,1 %-Dehngrenze die 0,2 %-Dehngrenze angegeben ist.

Spannstahl St 1570/1770

2p0,1k N/mm 1500 f = 2

p0,2k N/mm 1570 f = 2pk N/mm 1770 f =

Spannstahl St 1600/1860

2p0,1k N/mm 1600 f = 2

p0,2k N/mm 1670 f = 2pk N/mm 1860 f =

Bild 8-12 links: Spannungs-Dehnungs-Linie des Spannstahls für die Bemessung

rechts: Spannungs-Dehnungs-Linien verschiedener (Spann-) Stähle

Anmerkung

Am Rande sei hier nur kurz erwähnt, dass zur Ertüchtigung von Stahlbeton- bzw. Spannbetonträgern Kohlenstofffaser-Lamellen als Spannmedium verwendet werden. Diese werden vorgespannt an das zu verstärkende Bauteil geklebt. Dadurch ist es möglich, die Durchbiegungen zu reduzieren und eine feinere, gleichmäßigere Risseverteilung zu erhalten. Die Spannungsamplituden in der Stahlbewehrung können durch die Verstärkung reduziert und somit das Ermüdungsverhalten verbessert werden. Der Vorteil von kohlenstofffaser-verstärktem Kunststoff (CFK)

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gegenüber Stahl ist die hohe Zugfestigkeit 3000 N/mm2 bei sehr geringem Eigengewicht ≈ 16 KN/m3. Neben der Ertüchtigung liegt vorallem im Neubau ein großes konstruktives und wirtschaftliches Potential, wie die Spannbandbrücke mit CFK-Lamellen in der Peter-Behrens-Halle von Schlaich/ Bleicher zeigt.

8.3.4 Vorspannung mit sofortigem Verbund

Bei dieser auch als "Spannbettvorspannung" (englisch: pretensioning) bezeichneten Vorspannart werden Spanndrähte oder (-litzen) in einer Schalung mit festen Wider-lagern ("Spannbett") mittels hydraulischer Pressen vorgespannt und einbetoniert (Bild 8-13).

Bild 8-13 Vorspannung im Spannbett

a) Anspannen der Drähte, Betonieren, Erhärten, Ausschalen b) Nach dem Lösen der Spanndrähte werden die Vorspannkräfte Fp durch Verbund eingetragen

Der Spannstahl hat dabei die Spannung σp(o) und die Dehnung:

VordehnungAE

FE pp

)o(p

p

)o(p)o(

p =⋅

=ε (8.1)

Der Kopfzeiger (o) kennzeichnet den Spannbettzustand.

Nach dem Erhärten des Betons wird die provisorische Verankerung der Spanndrähte von der Schalung gelöst. Dabei verkürzt sich der gespannte Stahl und der im Ver-bund liegende Beton ein wenig um εc. Im Spannstahl verbleibt die Dehnung:

c)o(

pp ε+ε=ε (εc ist negativ) (8.2)

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Da sich die Baustoffe im Zustand der Vorspannung noch linear-elastisch verhalten, gilt:

cmccppp EE ⋅ε=σε⋅=σ (8.3)

Mit diesen Gleichungen und der Bedingung, dass die Betondruckkraft Fc betrags-mäßig gleich der Spannstahlzugkraft Fp ist (Gleichgewicht),

cp FF = (8.4)

ergibt sich Fp etwas kleiner als die Spannkraft Fp(o).

)0(p

)o(p

cp F1F

FF <αρ+

== (8.5)

cc

pp

AEAE

⋅=αρ Steifigkeitsverhältnis

Diese Beziehung gilt allerdings nicht in den Eintragungsbereichen lp,eff der Spann-gliedkraft. Dort wird zunächst innerhalb der sog. "Übertragungslänge" lbp die Spann-kraft allmählich von Null am kräftefreien Ende durch Verbund eingeleitet. Die "Eintragungslänge" lp,eff schließt auch den D-Bereich ein, in dem sich die Kräfte ausbreiten, bis sich eine lineare Spannungsverteilung eingestellt hat .

Das Verfahren der Spannbettvorspannung wird vor allem für Fertigteile angewendet, wobei mehrere Teile gleichzeitig in einem oft über 100 m langen Spannbett herge-stellt werden. Plattenelemente können ohne Abstellungen betoniert und in beliebiger Länge herausgeschnitten werden.

8.3.5 Vorspannung mit nachträglichem Verbund

Die Vorspannung von Betontragwerken mit nachträglichem Verbund ist die in Deutschland bei weitem häufigste Art der Vorspannung. Dazu werden Hüllrohre (DIN EN 523) einbetoniert, in denen sich der Spannstahl gegenüber dem umgebenden Beton anfänglich noch verschieben kann. Der Spannstahl hat an beiden Enden Ankerplatten oder Ankerköpfe, die im Tragwerk einbetoniert werden.

Nach dem Erhärten des Betons wird der Spannstahl mit einer angekoppelten hyd-raulischen Presse gespannt, wobei er an einem Ende fest mit dem Anker (Festan-ker) verbunden ist und am anderen Ende (Spannanker) im Ankerkopf gleitet. Beim Spannen stützt sich die hydraulische Presse gegen den Beton ab, der dadurch ge-drückt wird. Nach Erreichen der gewünschten Vorspannkraft (Kontrolle durch Pres-senweg und Öldruck der Hydraulikpressen) wird der Spannstahl im Spannanker mittels Gewindemutter, Keilen, Klemmen oder durch aufgestauchte Köpfchen im An-ker befestigt, und die Presse wird herausgenommen. Dabei kann durch Eindrückung und Schlupf im Anker (wenige mm, geregelt in der Spanngliedzulassung) die Spann-kraft etwas zurückgehen. Die Spannkraft stützt sich nun über den einbetonierten

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Spannanker direkt auf den Beton ab, läuft als Druckkraft durch den Beton bis zum Festanker durch und gleicht sich dort mit der Zugkraft des Spannstahles aus. Die im Beton durch die Vorspannung erzeugte Druckkraft ist stets gleich der Zugkraft im Spannstahl.

Möglichst bald nach dem Vorspannen muss der Hohlraum im Hüllrohr mit Zementmörtel verpresst werden. Dadurch wird der Spannstahl in seiner ganzen Länge mit dem umgebenden Beton formschlüssig verbunden ("Vorspannung mit nachträglichem Verbund"). Das ordnungsgemäße Verpressen ist für die Dauerhaftigkeit des Bauwerks insbesondere für den Spannstahl (Spannungs-risskorrosion) sehr wichtig.

Der Spannstahl kann entweder gleich mit den Hüllrohren und Verankerungen als fertiges "Spannglied" verlegt oder nach dem Betonieren in die Hüllrohre und Veran-kerungen mittels spezieller Geräte eingeschoben werden. Letztere Variante ermög-licht zusammen mit Spanngliedkopplungen die abschnittsweise Herstellung und Vorspannung von Tragwerken (Freivorbau, Taktschieben) und hat den Vorteil, dass die Spannglieder nicht so lange ungeschützt (unverpresst) dem Korrosionsangriff ausgesetzt sind.

8.3.5.1 Last-Verformungs-Verhalten des mittig vorgespannten Betonstabs

Im Bild 8-12 ist ein Betonstab dargestellt, der nach dem Erhärten des Betons mit der Spannkraft P vorgespannt wird. Infolge dieser Spannkraft ergeben sich folgende Spannungen und Dehnungen:

(Fußzeiger: Ort, Ursache)

Im Spannstahl: pp

P,pp

P,p EAP

AP

⋅=ε=σ (8.6)

Im Beton: ccn

P,ccn

P,c EAP

AP

⋅=ε=σ (8.7)

Die Betonverkürzung ist also entsprechend dem Steifigkeitsverhältnis um den Faktor α · ρ = Ap · Ep / Acn · Ec kleiner als die Spannstahlverlängerung. Die betragsmäßige Summe der Betonverkürzung und der Spannstahldehnung bei der Vorspannung ge-gen den erhärteten Beton ist gleich der Vordehnung εp

(o), die beim Verpressen des Spanngliedhüllrohres "eingefroren" wird und während aller weiteren Belastungszu-stände erhalten bleibt.

lll ⋅ρα+ε=⋅ε−ε=⋅ε )1()( P,pP,cP,p)o(

p (8.8)

Der Spannweg ∆l (= Pressenhub beim Spannen = Relativbewegung des Spann-stahls gegenüber dem Beton) setzt sich aus der Verlängerung des Spannstahls ∆lp und der Verkürzung des Betons ∆lc zusammen:

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llll ⋅ε=∆+∆=∆ )o(pcp Vordehnung (8.9)

Der Anteil ∆lp entspricht genau der Verformung des Spannstahls und der Anteil ∆lc genau der Verformung des Betons eines im Spannbett mit der Kraft Fp

(o) vorgespannten Stabes, bei welchem nach Lösen der Spannstahl-verankerung im Spannbett die Kraft Fp = P verbleibt.

Nach der Herstellung des Verbundes wirkt die Last F auf den Verbundquerschnitt Ai aus Beton + Spannstahl (+ Betonstahl) und dehnt alle Bestandteile um den gleichen Betrag ε:

F,sF,pF,c ε=ε=ε=ε (Verträglichkeitsbedingung) 8.10

Dadurch steigt die Zugspannung im Spannstahl um σp,F = ε · E über diejenige aus der Vorspannung an. Der vorgedrückte Beton wird gleichzeitig um σc,F = ε · Ec ent-lastet. Dabei nimmt der vorgespannte Stab eine zunehmende Zuglast F so lange mit seinem steifen Gesamtquerschnitt Ai = Acn + α · As auf, wie er ungerissen bleibt, also mindestens so lange, bis die Betondruckkraft aus der Vorspannung aufgezehrt ist. Die Last FD, bei welcher der Beton spannungslos wird (σc = 0), wird als Dekom-pressionslast bezeichnet.

Die Dekompressionslast FD wird erreicht, wenn σc,P+F = 0, also wenn

icnF,cP,cFP,c A

FAP

+−=σ+σ=σ + (8.11)

PA

AAP

AAPF

cn

pcn

cn

iD >

⋅α+⋅=⋅= (8.12)

Sie ist etwas größer als die Vorspannkraft, weil letztere auf den Betonquerschnitt allein, die Dekompressionslast aber auf den Verbundquerschnitt wirkt. Und sie ist gleich der Vorspannkraft Fp

(o) eines im Spannbett vorgespannten Stabes, der nach dem Lösen der Verankerung die Spanngliedkraft P besitzt.

Bis zum Erreichen der Dekompressionslast verlängert sich der Stab um denselben, sehr geringen Betrag εc,P, um den sich der Beton beim Vorspannen verkürzt hat (Gl.(8.7)).

Nach Überschreiten der Dekompressionslast FD um ∆F verhält sich der vorgespannte Stab wie ein schlaff bewehrter Betonstab, der mit der Last ∆F = F - FD belastet wird (Kapitel 6.1). Wenn ∆F die Risslast FR = Ai · fct erreicht, also wennF = FD + FR, dann reißt der Spannbetonstab, und im Rissquerschnitt trägt nur noch der Stahl. Dessen Beanspruchung σp und Dehnung εp können dann unabhängig von seiner Vorspannung aus dem Gleichgewicht mit der Last ermittelt werden:

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ppppy

pp EA

FfAF

=ε≤=σ (8.13)

Bis zur Risslast FR sind lineare Stoffgesetze brauchbar, und es gilt das Super-positionsgesetz für die Spannungen und Dehnungen aus Vorspannung und Last.

Bild 8-14 Zentrisch vorgespannter Betonstab

Beim Nachweis nach DIN 1045-1 sind die Lasten F mit ihren Teilsicherheitsbei-werten γG bzw. γQ zu multiplizieren, die Vorspannung mit γP, wobei in den meisten Fällen γP = 1 gesetzt werden kann. Beim Nachweis des Bruchwiderstandes sind die durch γs bzw. γc dividierten Festigkeiten anzusetzen. Mit fpd = fp0,1k / γs ergibt sich als Bemessungswert der Beanspruchbarkeit (rechnerische Bruchlast)

ps

k1,0pppd A

fAf ⋅

γ=⋅ (8.14)

Da sich der vorgespannte Betonstab oberhalb der Dekompressionslast wie ein mit Betonstahl bewehrter Stab verhält, kann man sein Last-Verformungs-Diagramm durch eine Verschiebung des Koordinatenursprungs aus demjenigen des Stahlbeton-

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zugstabes entwickeln (Bild 8-15). Die Verschiebung in Richtung der Last entspricht der Dekompressionslast. Erst wenn diese überschritten wird, ergeben sich Betonzug-spannungen. Die Verschiebung der Dehnungen des Betons bzw. Spannstahls entspricht deren Vordehnungen. Die Dehnung des Spannstahls ist - starren Verbund mit dem Beton vorausgesetzt - bei allen Lastfällen immer um die Vordehnung εp

(0) größer als diejenige des Betons oder eines nicht vorgespannten Stahles in unmittel-bar benachbarter Lage. Mit der Vordehnung des Spannstahls gegenüber dem Beton wird ein großer Teil (evtl. sogar die ganze) Dehnung des Stahls unter Last "vorweggenommen". Die Verwendung von Spanngliedern mit viel höherer Festigkeit und daraus resultierend viel größeren Dehnungen (der E-Modul von Stahl ist für alle Stahlfestigkeiten ähnlich) führt deshalb nicht zu einer Verlängerung des Spanngliedes die den Rissbreiten in Summe entspricht. In der Praxis liegt die Vordehnung je nach Stahlgüte (Spannstähle haben Fließgrenzen bis etwa 2000 N/mm2) in der Größenordnung von 3 bis 9 ‰.

Zusammenfassend ist festzustellen:

- Der Spannbetonstab bleibt unter Zugkräften viel länger im ungerissenen Zustand I als der nicht vorgespannte Stab. Durch die Vorspannung wird die Risslast um die Dekompressionslast vergrößert.

- Bis zu dieser vergrößerten Risslast wirkt die große Steifigkeit des Verbundquerschnittes. Bei darüber hinausgehenden Lasten reißt und verformt sich der Spannbetonstab wie ein Stahlbetonstab. Der Beton vergisst aber nicht, dass er vorgespannt wurde. Die vorweggenommenen Verformungen bleiben erhalten. Ein Lastanteil in Höhe der Dekompressionslast wird vom ungerissenen Beton mit kleinen Verformungen getragen und nur der darüber hinausgehende Lastanteil ∆F bewirkt große Verformungen.

- Der gerissene Spannbetonstab erlangt nach der Entlastung unter die Dekompressionslast wieder die Steifigkeit des Zustandes I.

- Die Bruchlast ist unabhängig von der Vorspannkraft. Das ausgeprägt nichtlineare Last-Verformungsverhalten des Spannbetons lässt Schlüsse vom Bruchzustand auf den Gebrauchszustand (und umgekehrt) nicht zu. Deshalb werden bei Spannbetontragwerken meistens beide Belastungszustände getrennt untersucht, während man sich bei Stahlbetontragwerken oftmals mit dem Nachweis der Tragsicherheit und zusätzlichen konstruktiven Regeln für die Gebrauchstauglichkeit begnügt.

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Bild 8-15 Last-Dehnungs-Linie des Spannbetonstabes

8.3.6 Vorspannung ohne Verbund, externe Vorspannung

Bei diesen Spannverfahren, bleiben die Spannglieder auf Dauer ohne durchgehende schubfeste Verbindung zum Tragwerk. Doch auch jedes Tragwerk mit nachträglich vorgespannten Spanngliedern (Kapitel 8.3.5) befindet sich während der Bauzeit vor dem Verpressen der Hüllrohre im Zustand der Vorspannung ohne Verbund.

Vorspannung ohne Verbund mittels kunststoffummantelter Litzen (z. B. "Monolitzen", Bild 8-16), die in einer Schmier- und Korrosionsschutzschicht gleiten, ist bei Ge-schossdecken im Ausland sehr gebräuchlich und wird auch bei uns gelegentlich an-gewendet. Eine andere Ausführungsform der Vorspannung ohne Verbund ist die "externe Vor-spannung". Dabei werden die Spannglieder zwischen den Verankerungen und ein-zelnen Umlenkstellen außerhalb des eigentlichen Betonquerschnitts geführt, z. B. im Innern eines Hohlkastenträgers (Bild 8-17). An den Umlenkstellen können die Spannglieder dabei nach dem Vorspannen unverschieblich mit dem Betontragwerk verbunden werden, sie können dort in einem einbetonierten Hüllrohr gleiten, oder das verpresste Spannglied gleitet mitsamt seinem Stahl-Hüllrohr auf einem stähler-nen Umlenksattel.

Die externen Spannglieder oder Seile werden zum Zugband eines "unterspannten Trägers", wenn sie zur Erzielung eines größeren Hebelarms durch Luftstützen auf

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größeren Abstand zum Träger gehalten werden (Bild 8-18). Mit Seilen über dem Fahrbahnträger ergibt sich die Schrägseilbrücke. Bei diesen Tragwerkstypen über-steigt der Anteil der Eigenlasten an den Kräften in den Spanngliedern bzw. Seilen bei weitem die durch Vorspannung zusätzlich eingetragenen Kräfte.

Bild 8-16 VSL Monolitze und Schnitt durch Spannanker

Bild 8-17 Externe Vorspannung bei der Segmentbauweise

Bild 8-18 Unterspanntes Dach am Berliner Hauptbahnhof, Ing. Schlaich Bergermann und

Partner, Arch. von Gerkan, Marg und Partner

8.3.6.1 Last-Verformungs-Verhalten eines vorgespannten Betonstabs ohne Verbund

Wegen der Längsverschieblichkeit der Spannglieder gilt für die erläuterten Ausführungsformen der Vorspannung ohne Verbund (Fertigspannglieder ohne Verbund, externe Vorspannung, Unterspannung) die Bernoulli-Hypothese vom Ebenbleiben der Gesamtquerschnitte nicht. Für Lasten, die nach dem Vorspannen

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aufgebracht werden, tritt an die Stelle der für jeden Verbundquerschnitt geltenden Bedingung "Betondehnung = Spannstahldehnung" (εcp,q = εp,q) die Verträglichkeits-bedingung am Gesamtsystem. Bei flach geneigten, innen liegenden Spanngliedern (Bild 8-19) gilt:

Verlängerung des Spannglieds zwischen den Verankerungen =

Verlängerung der benachbarten Betonfaser.

Bei externer Vorspannung müssen für die Betonkonstruktion und das Spannglied die Ankerverschiebungen und Durchbiegungen an den Unterstützungspunkten gleich sein.

Bild 8-19 Vergleich von Vorspannung mit und ohne Verbund

Grundsätzlich können in allen Fällen die Schnittgrößen für die Betonbauteile (einschließlich des Betonstahls) und die Kraft im Spannglied dadurch berechnet werden, dass das Spannglied im statischen System des Gesamttragwerks als ein eigenes Bauelement (Stab) betrachtet wird, das mit dem Betonbalken nur an den Ankerstellen (unverschieblich) und an den Umlenkstellen (meist längsverschieblich) verbunden ist. Die Schnittgrößen ergeben sich dann aus einer statisch unbestimmten

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Berechnung. DIN 1045-1 empfiehlt diese Vorgehensweise generell bei Spann-gliedern ohne Verbund.

Die Bemessung des Stahlbetonquerschnitts (ohne Spannstahl) für seine Schnitt-größen verläuft dann ebenso wie die Bemessung eines nicht vorgespannten Tragwerks.

Im Folgenden wird der ohne Verbund vorgespannte Balken in Bild 8-20 näher untersucht. Die Zunahme ∆Fp,Q der Spanngliedkraft infolge der Last Q ist sehr gering, wenn die Spannglieder im Querschnitt geführt werden (zp < h/2). Zur Vereinfachung wird ∆Fp,Q in solchen Fällen oftmals ganz vernachlässigt, jedoch nicht bei unterspannten Trägern mit zp >> h. Berechnen lässt sich die Zunahme ∆Fp,Q der Spanngliedkraft infolge der Last Q am einfach statisch unbestimmten System unter der Voraussetzung linear-elastischen Verhaltens der Baustoffe wie folgt:

ccm

pmv

m

ccm

)1()0(

10 IE3lz1M

dxIE

MM−==δ ∫

∫ ∫∫ α++=δ

cosdx

AE)N(

dxAE)N(dx

IE)M(

pp

2)1(p

ccm

2)1(c

ccm

2)1(

11

pp

v

ccm

v

ccm

2pm

v

AEl1

AEl1

IE3zl1

++≈

11

101p XF

δδ

−==∆⇒

)AEAE

1(zAEIE31

1z4

IQF

ccm

pp2

pmpp

ccmpmp

++=∆⇒

Für den gerissenen Zustand II (Nachweis der Tragfähigkeit) lohnt es sich aber, die Spannkraftzunahme infolge der nach dem Vorspannen aufgebrachten Lasten zu berücksichtigen. Die Berechnung der Schnittgrößen mit den örtlich veränderlichen und beanspruchungsabhängigen Steifigkeiten im Zustand II ist allerdings aufwendig, weshalb für Sonderfälle Näherungsverfahren entwickelt wurden.

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Bild 8-20 Balken mit Vorspannung ohne Verbund: Null- und Einheitszustand zur

Berechnung der Spannkraftzunahme aus einer Verkehrslast im Zustand I

Da DIN 1045-1 die Vorspannung ohne Verbund nicht explizit behandelt, wird hier nun exemplarisch für ein solches Näherungsverfahren die Spannstahlspannung in punktgestützten Platten (Flachdecken) zum Nachweis der rechnerischen Bruchlast nach der alten DIN 4227, Teil 6 ("Vorspannung ohne Verbund"), Abschn. 14, berechnet. Das Verfahren beruht auf der Annahme, dass sich Platten mit l/h > 15 vor dem Versagen wenigstens um f = l/50 durchbiegen. Die zugehörige Spanngliedver-längerung beträgt dann nach dem Modell in Bild 8-21:

)xd(lf4)xd(l ppp −=−ϕ=∆ (8.15)

Mit x ≈ dp /4 und f = l/50 ergibt sich daraus die in DIN 4227, Teil 6, 14.2, angege-bene Näherung

17d

d43

5014l p

pp ≈⋅⋅=∆ (8.16)

Bei der Berechnung der zugehörigen Zunahme der Spannstahlspannungen ∆σp ist ∆lp auf die ganze Spanngliedlänge lp zu verteilen, nicht etwa nur auf die Stützweite eines Einzelfeldes:

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p

pppp l

lEE

∆=ε∆=σ∆ (8.17)

Um bei mehrfeldrigen Platten den Spannstahl besser auszunutzen, können Zwischenverankerungen angeordnet werden.

Selbstverständlich darf auch bei Vorspannung ohne Verbund unter rechnerischer Bruchlast die fpd-Grenze im Spannstahl nicht überschritten werden:

pdpgP,p f≤σ∆+σ +

Bild 8-21 Modell zur Berechnung der Verlängerung ∆lp eines Spannglieds ohne Verbund

bei einer Trägerdurchbiegung um f

Die Längsverschieblichkeit der Spannglieder kann bei fehlender zusätzlicher schlaffer Bewehrung dazu führen, dass sich die Spannglieddehnungen aus Verkehrslasten über die ganze Länge des Spannglieds aufaddieren und die Verträglichkeit mit den Betondehnungen durch nur einen oder wenige sehr breite Risse hergestellt wird (Bild 8-21). Wenn bei Vorspannung mit nachträglichem Verbund das planmäßige Verpressen bis zu einem späteren Bauzustand verschoben wird, und dann auch noch etwas höhere Lasten aufgebracht werden, kann dies katastrophale Folgen haben.

8.4 Schnittkraftermittlung und Spanngliedführung Infolge Vorspannung wirken Ankerkräfte, Umlenkkräfte und Reibungskräfte auf den Betonbalken. Diese Kräfte erzeugen Spannungen im Beton, die zu den Schnittgrößen aus Vorspannung zusammengefasst werden. Diese Schnittgrößen lassen sich in verschiedener Weise ermitteln. Zuerst wird die anschaulichste, bei allen Tragwerken und Vorspannarten funktionierende Umlenkkraft-Methode erklärt. Die Herleitung der Schnittgrößen aus der allgemeinen Parabelgleichung wird im Anschluss erläuert. Bei nicht parabelförmiger Spanngliedführung können die Schnittgrößen mittels Simpson-Integration ermittelt werden.

8.4.1 Schnittgrößen aus Umlenkkraft-Methode

Man denkt sich das Spannglied aus dem Tragwerk herausgenommen und setzt stattdessen alle Kraftwirkungen des Spannglieds auf das verbleibende Stahlbetontragwerk an (Bild 8-22).

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Bild 8-22 Schnittgrößen aus Vorspannung mittels Umlenkkraftmethode

Dies sind zunächst die Ankerkräfte, die im Beton Längsdruck erzeugen. Wenn die Anker ausmittig zur Systemlinie (= Schwerlinie) liegen, dann erzeugen die Ankerkräfte P in Bezug auf die Systemlinie auch ein eingeprägtes Moment. Sind die Spannglieder zudem an der Verankerung um den Winkel ϕ geneigt, bewirken sie neben der Längskraft P ⋅ cos ϕ ≈ P eine konzentrierte Querkraft P ⋅ sin α ≈ P ⋅ tan ϕ. Im Allgemeinen ist es zweckmäßig, die Spannglieder so zu führen, dass sie an den Endauflagern eines Trägers in Höhe der Schwerlinie liegen (keine eingeprägten Momente, Querlast steht über dem Auflager) und dass die Umlenkkräfte den Eigen-lasten entgegenwirken. Dann ergibt sich beim Einfeldträger mit Gleichlast eine nach unten durchhängende parabolische Spanngliedführung zwischen den Auflagern (Bild 8-22). Die aus der Spanngliedführung resultierenden Umlenkkräfte u könnnen über die Näherung von Kreis und Parabel bei kleinem Stich f bestimmt werden:

f8lr2

⋅= (8.18)

2lf8P

rPu ⋅⋅

== (8.19)

Das Moment aus Vorspannung ermittelt sich bei einem Einfeldträger über die gleichmäßig verteilten Umlenkkräfte u:

fP8luM2

p ⋅−=⋅

−= (8.20)

Dabei sind die Horizontalkomponenten der Umlenkkräfte (und Reibungskräfte) vernachlässigt.

Bei Durchlaufträgern legt man die Spannglieder über den Stützen möglichst hoch und führt sie girlandenförmig in den Feldern nach unten (Bild 8-23). Die Spanngliedführung kann dabei über eine Aneinanderreihung unterschiedlicher Parabeln beschrieben werden.

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Bild 8-23 Spanngliedführung in Durchlaufträgern:

a) Träger mit Koppelfuge b) Überlappung von Spanngliedern im Stützenbereich c) zusätzliche Spannglieder im Stützenbereich

8.4.2 Schnittgrößen aus Parabelgleichung

Die Ermittlung der Schnittgrößen kann alternativ über die Parabelgleichung erfolgen. Aus der allgemeinen Parabelgleichung kann über Randbedingungen wie z.B.

1pz)0x(y == und 2pz)lx(y == der Spanngliedverlauf beschrieben werden:

)x(zlxf4

lxf4)x(y p

2

=⎟⎠⎞

⎜⎝⎛+⎟

⎠⎞

⎜⎝⎛⋅−= (8.21)

1p2p1p2

p zlx)zzf4()l/x(f4)x(z +⋅+−⋅+⋅⋅−= (8.22)

l/2 l/2

l

zp (+) x

zp1 (-)f (+) zp2 (-)

ϕ (x)

Bild 8-24 Parabelförmige Spanngliedführung

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An jeder Stelle x können über die Neigung die Schnittgrößen Mp, Vp, Np ermittelt werden:

lzzf4

xl

f8dx

)x(dz)x(tan 2p1p

2p +−⋅

+⋅⋅

−==ϕ (8.23)

)x(zP)x(z)x(cosP)x(M ppp ⋅−≅⋅ϕ⋅−= (8.24)

)x(tanPdx

)x(dzP

dx)x(dM

)x(V ppp ϕ⋅−≅⋅−≅= (8.25)

P)x(cosP)x(Np −≅ϕ⋅−= (8.26)

Die Momente Mp(x) aus Vorspannung verlaufen also proportional zur Exzentrizität zp des Spannglieds. Sie sind an der betrachteten Stelle x unabhängig vom Spanngliedverlauf im übrigen Trägerbereich.

Durch die Ableitung der Neigung kann die Krümmung κ im Scheitel und der dazugehörige Krümmungsradius r ermittelt werden (vgl. 8.18):

r1

lf8

dx)x(zd

22p

2

=⋅

−==κ (gilt für 0dx

)x(dzp = im Scheitel) (8.27)

Da die Kräfte aus Vorspannung eine Gleichgewichtsgruppe am Gesamttragwerk bilden, gibt es bei statisch bestimmt gelagerten Tragwerken keine Auflagerkräfte. Die Schnittgrößen des Betonbalkens Np, Vp und Mp infolge der Vorspannung können deshalb allein aus dem Gleichgewicht mit den Vorspannkräften im betreffenden Schnitt ohne Rücksicht auf andere Tragwerksbereiche berechnet werden (Bild 8-25):

Bei statisch unbestimmten Systemen (mehrfeldriger Balken) entstehen im Allgemeinen auch Auflagerkräfte infolge Vorspannung. Diese bilden ebenso eine Gleichgewichtsgruppe und sind in der Summe gleich Null (ΣV = 0), da am Gesamttragwerk Beton + Spannglied keine äußeren Lasten angreifen. Auf den Gesamtquerschnitt des Balkens (einschl. Spannstahl) führen diese zu statisch unbestimmten Momenten M'p und Querkräften V'p. Ihre Berechnung wird in der Vertiefung nochmals aufgegriffen. Die statisch unbestimmten Schnittgrößen sind den berechneten statisch bestimmten Schnittgrößen hinzuzufügen, wenn die auf den Betonquerschnitt (ohne Spannstahl) wirkenden Schnittgrößen gesucht sind. Bei Anwendung der Umlenkkraft-Methode ergeben sich dagegen gleich die endgültigen, auf den Betonquerschnitt wirkenden Schnittgrößen.

Durch die Vorspannung können dadurch auch die Auflagerkräfte aus den Lasten "umgelagert" werden.

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Bild 8-25 Schnittgrößen aus Gleichgewichtsbedingungen für den Querschnitt:

a) Spanngliedführung, b) Ritter'scher Schnitt, c) Schnittgrößenverlauf

In Bild 8-26 ist die Wirkung der Vorspannung in gekrümmten Balken dargestellt. Werden die Momente mit der Umlenkkraftmethode ermittelt, dann ist zu berück-sichtigen, dass bei gekrümmter (oder geknickter) Stabachse auch die Betondruck-kraft NP = - P Umlenkkräfte erzeugt.

Beim Ausknicken eines vorgespannten Druckstabes mit im Verbund liegendem Spannglied gleichen sich die Umlenkkräfte des Betons und des Spanngliedes gerade aus (Bild 8-27, Bild 8-11), so dass die Normalkraft aus Vorspannung die Knickgefahr nicht durch Zusatzmomente erhöht. Sie verändert allerdings die Steifigkeit des Knickstabes.

Bild 8-26 Gekrümmter Balken:

a) gerader Spanngliedführung b) Spannglied in der Schwerachse

Bild 8-27 Vorspannung verursacht keine Zusatzmomenten nachTheorie II. Ordnung (Bild 8-26b)

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Anmerkung:

Streng genommen werden dem Zustand "Vorspannung" diejenigen Schnittgrößen und Spannungen zugeordnet, die im vorgespannten, ansonsten völlig unbelasteten Tragwerk vorhanden wären, wenn es sich linear elastisch verhielte. Die zugehörige Spannstahlkraft heißt Fp,P oder kürzer Fp. Diese unterscheidet sich um Fp,g1 von der wirklichen Spanngliedkraft Fp,P+g1 beim Vorspannen unter Eigengewicht g1 . Aus praktischen Gründen wird oft der ohnehin kleine Anteil Fp,g1 zur Vorspannung zugeschlagen und die gesamte Spanngliedkraft beim Vorspannen als Vorspan-nung P bezeichnet:

1g,pP,p1gP,p FFFP +== + (8.28)

Mitunter bezeichnet man als Vorspannkraft die im jeweiligen Belastungszustand vorhandene Kraft Fp im Spannstahl, die dann auch von den Verkehrslasten abhängt.

8.4.3 Spanngliedführung

Bild 8-28 zeigt die Schnittkräfte aus Vorspannung für andere Spanngliedführungen. Durch die Spannkrafteinleitungen entstehen D-Bereiche, in denen die Spannungen nicht linear verteilt sind, so dass dort die Spannungsnachweise nach der Tech-nischen Biegelehre nicht brauchbar sind.

Bild 8-28 Schnittkräfte aus Vorspannung für verschiedene Spanngliedführungen

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Der Verlauf der Spannglieder bei den bisherigen Beispielen ist zentrisch, exzentrisch, linear oder parabolisch. Die DIN 1045-1 lässt jedoch auch eine freie Spanngliedführung zu, die vorallem im Hochbau sehr wirtschaftlich angewendet wird. Um eine möglichst effektive Vorspannung zu erreichen, ist es normalerweise üblich, mit den Spanngliedern die Momentenlinie unter Dauerlast auszugleichen. Dabei muss mit Hilfe von Unterstützungen eine parabelförmige Spanngliedführung gewährleistet werden. Für das Einmessen und Einbauen der unterschiedlich hohen Unterstützungen fallen beachtliche Kosten an. Bei der freien Spanngliedführung wird auf sämtliche Unterstützungen verzichtet. Das Spannglied wird lediglich über den Stützen mit der oberen Bewehrung und an einigen Punkten im Feld mit der unteren Bewehrung verbunden. Eine hohe Einbaugenauigkeit ist bei der üblichen Vorspannung ohne Verbund im Hochbau nicht erforderlich, da weniger hoch vorgespannt wird. Dadurch werden die Nachweise der Spannungen im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit, für die eine genaue Lage der Spannglieder erforderlich wäre, in der Regel nicht maßgebend.

Bild 8-29 Freie Spanngliedführung

8.5 Spannkraftverluste Durch Reibung des Spannglieds beim Vorspannen nehmen die Spannkräfte vom Spannanker weg ab. Außerdem entstehen sogenannte "Spannkraftverluste" durch die Schwind- und Kriechverkürzungen des Betons, der das Spannglied umgibt und ihm damit dieselbe Verkürzung aufzwingt. Bei hohen Spanngliedspannungen (Die zulässigen Werte gehen bis zu 95 % der Elastizitätsgrenze.) sinkt außerdem die Spanngliedspannung im Laufe der Zeit durch Relaxation um einige Prozent. Durch diese Wirkungen geht ein erheblicher Teil der ursprünglichen Vorspannung im Spannstahl verloren. Dies wirkt sich umso stärker aus, je geringer die anfängliche Spannstahlspannung ist - auch ein Grund dafür, dass sich die Vorspannung erst mit der Herstellung hochfester Stähle in der Praxis durchsetzte.

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8.5.1 Mittelwert der Vorspannkraft

Alle Werte der Vorspannkraft basieren auf dem Mittelwert der Vorspannkraft. Der Mittelwert der Vorspannkraft Pmt zu einem bestimmten Zeitpunkt t ergibt sich im Allgemeinen zu:

Pmt = P0 – ∆Pc – ∆Pt (t) – ∆Pµ (x) – ∆Psl

Pmt Mittelwert der Vorspannkraft zur Zeit t an der Stelle x

P0,max Höchstkraft am Spannende während des Spannvorgangs

∆Pc Verluste infolge elastischer Verformung des Betons. Bei der Vorspannung mit nachträglichem Verbund und ohne Verbund werden die einzelnen Spannglieder nacheinander vorgespannt, da natürlich nicht für jedes Spannglied eine Presse vorgehalten werden kann. Durch die Bauteilverkürzung beim Spannen eines Spannglieds verlieren die bereits vorher gespannten Spannglieder einen Teil ihrer Vorspannung.

∆Pt (t) Verluste infolge Kriechen, Schwinden und Relaxation zur Zeit t

∆Pµ (x) Verluste infolge Reibung

∆Psl Verluste infolge Verankerungsschlupf

Die am Spannglied aufgebrachte Höchstkraft P0 ist nach DIN 1045-1, 8.7 auf den kleineren der folgenden Werte zu begrenzen

⎩⎨⎧

⋅=k1,0p

pkpmax,0 f90,0

f80,0AP

Ap Querschnittsfläche des Spannstahls

Unter der Voraussetzung, dass die Spannpresse eine Genauigkeit der aufgebrachten Spannkraft von ± 5%, bezogen auf den Endwert der Vorspannkraft sicherstellt, darf die höchste Pressenkraft P0,max auf 0,95 · fp0,1k · Ap gesteigert werden.

Neben der maximalen Pressenkraft P0 ist auch der Mittelwert Pm0 zum Zeitpunkt t = t0

zu begrenzen. Pm0 bezeichnet die Vorspannkraft, die unmittelbar nach dem Absetzen der Pressenkraft auf den Anker (Spannen mit nachträglichem Verbund) oder nach dem Lösen der Verankerung (Spannen mit sofortigem Verbund) auf den Beton aufgebracht wird.

⎩⎨⎧

⋅=k1,0p

pkpmax,0m f85,0

f75,0AP

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8.5.2 Verluste infolge Kriechen, Schwinden und Relaxation

Die Beanspruchungen eines vorgespannten Tragwerkes ändern sich auch bei konstant gehaltener Belastung im Laufe der Zeit. Denn außer den unmittelbar zum Zeitpunkt der Belastung eintretenden elastischen und plastischen Verformungen zeigen die Baustoffe auch Verformungen, die erst unter lange andauernden Einwirkungen auftreten:

Als Schwinden (Quellen) bezeichnet man die zeitabhängigen Verformungen des unbelasteten Betons, die hauptsächlich durch Austrocknung bzw. Feuchtigkeits-aufnahme verursacht werden. Die Schwindverkürzungen überwiegen längerfristig gegenüber dem Quellen, weshalb dieses rechnerisch nicht verfolgt wird.

Bild 8-30 Verformung durch Schwinden

Als Kriechen bezeichnet man die zusätzlichen zeitabhängigen Verformungen unter andauernder, im Idealfall konstanter Spannung. Der weitaus größte Teil dieser Verformungen ist plastisch, ein geringer Teil geht nach der Entlastung zurück (verzögert elastische Verformungen).

Bild 8-31 Verformung durch Kriechen

Als Relaxation bezeichnet man das zeitabhängige Nachlassen einer anfänglich aufgebrachten Spannung bei konstant gehaltener Dehnung, also z. B. eines gespannten Stahles zwischen starren Widerlagern oder vollständig gezwängten Betons.

Bild 8-32 Verformung durch Relaxation

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Alle diese zeitabhängigen Verformungen verlaufen anfänglich schnell, werden im Laufe der Zeit zunehmend langsamer und nähern sich asymptotisch einem (vermuteten) Endwert. Die Kriechverformungen εcc des Betons sind bei Bean-spruchungen bis etwa zur halben Druckfestigkeit proportional zu den Spannungen und können mit einem Faktor ϕ (Kriechzahl) aus den elastischen Verformungen berechnet werden:

elastcc ε⋅ϕ=ε

Das Kriechen sowie die Relaxation des Betons nehmen bei hoher Ausnutzung überlinear mit der Beanspruchung zu. Diese Eigenschaft ist sehr segensreich, weil sich örtliche Spannungsspitzen im Beton abbauen und somit Umlagerungseffekte aktiviert werden. Die ebenfalls überlinear mit der Spannung zunehmende Stahlrelaxation spielt nur bei hohen Beanspruchungen, wie sie im Spannstahl vorkommen, eine Rolle.

Bild 8-33 Beton-Spannungsverteilungen aus kriecherzeugenden

Lasten sowie aus Kriechen, Schwinden und Relaxation

Die in statischen Berechnungen anzusetzende Größe und der zeitabhängige Verlauf des Betonschwindens, des Betonkriechens und der Spannstahlrelaxation ist in Abhängigkeit von den wichtigsten Parametern in unterschiedlicher Weise in den Normen oder Zulassungen der Baustoffe angegeben, beispielsweise Schwinden und Kriechen in DIN 1045-1 9.1.4. Kompakter findet man diese Angaben auch in den Tabellenwerken von Schneider und Wendehorst.

Die zeitabhängigen Verformungen bewirken Spannungsumlagerungen innerhalb des Querschnitts (bei statisch unbestimmten Tragwerken zusätzlich noch innerhalb des ganzen Systems), die vergleichsweise aufwendig zu berechnen sind. Sie führen vor allem zu einem Abfall der Spanngliedkräfte, den man als Spannkraftverlust bezeichnet. Die Spannkraftverluste liegen zwischen 10 und 20 % der Vorspannkraft, müssen also bei den Nachweisen der Gebrauchstauglichkeit und Tragfähigkeit berücksichtigt werden, weil sie sich wie eine entsprechend geringere Vorspannung auch auf die Betonspannungen auswirken.

Eine sehr einfache Näherung für die Änderung ∆σp,c+s der Spanngliedspannungen aus Kriechen und Schwinden lässt sich aus der Vorstellung ableiten, dass die

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Kriechverkürzungen εcc = ϕ ⋅ εelast = ϕ ⋅ σc,g+P0 Ecm und die Schwindverkürzungen εsc des Betons in voller Größe dem Spannstahl aufgezwungen werden:

( ) scp0Pg,cpscccpsc,p EE ε⋅+σ⋅ϕ⋅α=ε+ε⋅=σ∆ ++ (8.29)

αp= Ep / Ecm

σc,g+P0 kriecherzeugende Spannung in der Betonfaser unmittelbar neben dem Spannglied (Bild 8-33). Man betrachtet hierzu im Allgemeinen einen Dauerlastfall aus Anfangsvorspannung P0 und Eigengewicht g. Meistens wirken die Verkehrslasten kriechmindernd und werden deshalb hier nicht berücksichtigt.

Die einfache Gleichung (8.29) liefert allerdings etwas zu große Werte, weil sich die kriecherzeugende Spannung durch das Kriechen im Laufe der Zeit selbst ein wenig verringert und weil der Stahl mit seiner (vergleichsweise geringen) Steifigkeit die Kriechverformungen behindert ("Dehnungsbehinderung durch den Spannstahl"). Diese Einflüsse berücksichtigt näherungsweise die untenstehende Gleichung (8.30) aus DIN 1045-1, 8.7.3 mit ihrem zweiten Term im Nenner. Im Zähler finden sich die gleichen Terme wie in Gleichung (8.29) wieder; zudem noch der Term ∆σpr (negativ) für den Spannungsabfall des Spannstahles infolge Relaxation.

[ ])t,t(8,01)zlA1(

AA

1

)()t,t(E)t,t(

02cp

c

c

c

pp

0cpcg0pprp0csrsc,p

ϕ⋅+⋅+⋅⋅α+

σ+σ⋅ϕ⋅α+σ∆+⋅ε=σ∆ ++ (8.30)

σp,c+s+r: Spannungsänderung in den Spanngliedern aus Kriechen, Schwinden und Relaxation an der Stelle x zum Zeitpunkt t

t0: Zeitpunkt der Vorspannung

εcs (t, t0): Schwindmaß im Zeitraum zwischen dem Vorspannen und dem betrachteten Zeitpunkt

∆σpr: Spannstahlrelaxation bei gleich gehaltener Dehnung

ϕ (t, t0): Kriechzahl für den Zeitraum zwischen dem Vorspannen und dem betrachteten Zeitpunkt

σcg: Betonspannung in Höhe der Spannglieder aus Eigenlast und anderen ständigen Einwirkungen

σcp0: Anfangswert der Betonspannung in Höhe der Spannglieder infolge Vorspannung

Ap: Querschnittsfläche aller Spannglieder im betrachteten Bereich

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Ac: Fläche des Betonquerschnitts

lc: Trägheitsmoment der Betonquerschnittsfläche

zcp: Abstand zwischen dem Schwerpunkt des Betonquerschnitts und den Spanngliedern

Alle Größen sind mit Ihren Vorzeichen einzusetzen: Druck negativ, Zug positiv. Der Faktor 0,8 im Nenner von Gleichung (8.30) wird als Relaxationsbeiwert bezeichnet und berücksichtigt näherungsweise die zeitliche Änderung der kriech-erzeugenden Betonspannung.

Damit ergeben sich die Spannkraftverluste infolge Schwinden, Kriechen und Relaxation zu

prsc,prsc,pt AF)t(P ⋅σ∆==∆ ++++ (negativ) (8.31)

Umlagerungen aus Kriechen und Schwinden gibt es grundsätzlich auch in gerissenen Querschnitten. Sie sind dort jedoch sehr viel geringer als in ungerissenen Querschnitten, weil die Verformungen des den Spannstahl umhüllenden gerissenen Betons (d. h. seine Rissbreiten) keinen nennenswerten Einfluss auf die Spannstahlkräfte haben.

8.5.3 Verluste infolge Reibung und Verankerungsschlupf

Beim Spannen reibt das Spannglied in Krümmungen am Hüllrohr, wodurch die Kraft P(x) im Spannglied von der Spannstelle weg (Spannkraft P0) entsprechend der Seilreibungsgleichung abnimmt (Bild 8-34).

)e1(P)x(P 0γ⋅µ−

µ −⋅=∆ bzw. )eP)x(P 0γ⋅µ−

µ ⋅=∆ (8.32)

P0: Vorspannkraft

µ: Reibungsbeiwert (s. Zulassung)

γ: (θ + k ⋅ x)

θ: Summe der Beträge der planmäßigen Umlenkwinkel des Spannglieds zwischen der Spannstelle und der betrachteten Stelle x

k: ungewollter Umlenkwinkel je m (aus Zulassung)

x: Länge des Spannglieds zwischen Spannstelle und der Stelle mit P(x)

Der Term k ⋅ x berücksichtigt den ungewollten aber unvermeidlichen Umlenkwinkel, der z. B. auch in planmäßig geraden Spanngliedabschnitten durch den Durchhang

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des Spannglieds zwischen den Unterstützungen und durch andere Ausführungs-ungenauigkeiten auftritt.

Bild 8-34 Spanngliedführung und zugehöriger Spannkraftverlauf in

einem Zweifeldträger bei Dehnungsbehinderung durch Reibung

"Spannkraftverluste" von 15 bis 20 % durch Reibung sind nicht ungewöhnlich. Sie können durch vorübergehendes Überspannen (mit höheren zulässigen Spannstahl-spannungen) und Nachlassen vermindert und vergleichmäßigt werden (Bild 8-35).

Bild 8-35 Überspannen und Nachlassen vergleichmäßigt den Spannkraftverlauf

Beim Ablassen der Spannkraft um ∆σp geht die Spannstahlspannung wegen der Reibungsumkehr im Bereich l2 in Bild 8-35 auf den Verlauf entsprechend Kurve 2 zurück. Die schraffierte Fläche entspricht der dabei auftretenden Verkürzung des Spannglieds:

p

2p

l p

2p1p2p E2

ldx

El

2⋅

⋅σ∆=

σ−σ=∆ ∫ (lineare Näherung) (8.33)

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Vernachlässigt man die entsprechend verlaufenden aber sehr viel kleineren Betondehnungen, dann ist ∆lp2 = ∆l2 der Nachlassweg. Ein Kurve 2 entsprechender Spannkraftverlauf entsteht auch durch den Schlupf s des Spannglieds beim Um-setzen der Spannkraft auf die Verankerung (Verankerungsschlupf bzw. Keilschlupf aus Zulassung).

Die rechnerischen Spannkräfte bzw. Manometerdrücke sowie die Spannwege sind für jedes Spannglied in einer Liste (Spannanweisung) zusammenzustellen und beim Spannen auf der Baustelle mit den gemessenen Werten zu vergleichen. In der Liste werden alle Spannvorgänge in ihrer zeitlichen Reihenfolge aufgeführt.

Bei sehr großen Umlenkwinkeln, wie sie beispielsweise in vielfeldrigen Brücken und bei Behältern (Bild 8-36 a) auftreten, unterteilt man die Spanngliedlängen, um die Reibungsverluste zu verringern. Die Spannglieder müssen dann, um gespannt werden zu können, in Spannlisenen an die Oberfläche geführt werden (Bild 8-36c). Mindestens die Hälfte der Spannglieder sollte in solchen Stoßstellen ungestoßen durchgeführt werden, da diese stets eine Störung und Schwachstelle darstellen (Bild 8-36 b).

Bild 8-36 Ringspannglieder in einem Behälter

a) Grundriss, b) Spanngliedauszug, c) Spannlisene

8.6 Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (Vorspannung als Einwirkung)

Ziel der Vorspannung ist die Verbesserung der Gebrauchstauglichkeit des Stahlbetons. Zu Beginn der Spannbetonbauweise verfügte man über keine Langzeiterfahrungen. Es bestand die Erwartung, dass mit der Anwendung der vollen oder der beschränkten Vorspannung gemäß alter Spannbeton-Norm DIN 4227-1 rissefreie Tragwerke zu erzielen wären. Unter der vollen Vorspannung versteht man, dass im Beton unter vollen Gebrauchslasten keine Zugspannungen infolge Längskraft und Biegung auftreten. Bei beschränkter Vorspannung unter vollen Gebrauchslasten sind hingegen Zugspannungen bis zur Betonzugfestigkeit zulässig. Die angestrebte Rissefreiheit bedingt jedoch auch eine größere Steifigkeit, die wiederum zu einem unerwünschten Nebeneffekt führt: Zwangsbeanspruchungen erhöhen sich gleichfalls. Vielfach sind diese Beanspruchungen so groß, dass sie durch einen vernünftigen Aufwand an Vorspannung nicht mehr überdrückt werden

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können. Deshalb sollten Zwänge durch gesteuerte Rissbildung abgebaut werden und das Ziel der Rissefreiheit ist aufzugeben.

Die ursprüngliche Definition des Vorspanngrades mit zum Teil unterschiedlichen Erläuterungen in der Literatur, sowie einer Zuordnung in volle, beschränkte, teilweise oder mäßige Vorspannung ist deshalb nicht mehr erforderlich.

Nach der neuen DIN 1045-1, 11.2 sind im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit gemäß den Anforderungsklassen die Rissbreiten zu beschränken und der Nachweis der Dekompression zu führen. Zudem sind wie bei Stahlbetonbauteilen die Betondruck-, Betonstahl- und Spannstahlspannungen gemaß DIN 1045-1, 11.1 zu begrenzen, die aber nur für Spannbetonbauteile praktische Bedeutung haben.

Zwangskräfte (z. B. aus einseitiger Erwärmung, Schwinden und Stützensenkung) sind zu berücksichtigen, wenn diese einen nicht vernachlässigbaren Einfluss auf die Schnittgrößen (bei statisch unbestimmten Systemen) haben.

Aufgrund des erläuterten nichtlinearen Verhaltens (Bild 8-15) ist es bei Spannbetontragwerken nicht möglich, aus dem Verhalten im rechnerischen Bruchzustand auf dasjenige unter Gebrauchslasten zu schließen. Man muss deshalb im Allgemeinen getrennte Nachweise für beide Belastungszustände führen. Bei den Spannungsberechnungen im Zustand I (ungerissen) berechnen sich diese Spannungen unter Annahme von linear-elastischem Verhalten nach der Biegetheorie aus den Schnittgrößen N und M der verschiedenen Lastfälle (einschließlich Vorspannung):

WM

AN

±=σ (8.34)

Beim Ansatz der Querschnittsfläche und der Widerstandsmomente berücksichtigt man, dass die Lasten aus unterschiedlichen Lastfällen auf den Betonquerschnitt alleine oder auf den ideellen Querschnitt wirken.

Bei gewissen Nachweisen im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit und beim Ermüdungsnachweis sind mögliche Streuungen der Vorspannkraft zu berücksichtigen. Dazu werden in DIN 1045-1, 8.7.4 zwei charakteristische Werte der Vorspannkraft festgelegt:

Pk,sup = rsup · Pmt (8.35)

Pk,inf = rinf · Pmt (8.36)

Pk,sup: oberer charakteristischer Wert (superior)

Pk,inf: unterer charakteristischer Wert (inferior)

Pmt: Mittelwert der Vorspannkraft zum Zeitpunkt t

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rsup: 1,05 (sofortiger / ohne Verbund)

1,10 (nachträglicher Verbund)

rinf: 0,95 (sofortiger / ohne Verbund)

0,90 (nachträglicher Verbund)

Der Ansatz der Streuungen der Vorspannkraft erhöht zwar den Rechenaufwand, ist aber für bestimmte Nachweise, die sehr empfindlich auf kleine Änderungen der Eingangswerte reagieren, sinnvoll (z.B. Nachweis der Dekompression, Rissbreitenbeschränkung, Öffnung von Fugen, Ermüdungsnachweis).

Für alle anderen Nachweise reicht i.d.R. ein Nachweis auf Grundlage des Mittelwertes der Vorspannkraft aus. Die Bestimmungsgleichungen der Spannkraftverluste infolge zeitabhängigen Materialverhaltens und Reibung sind lediglich Abschätzungen und mit Fehlern behaftet. Man kann an den Streuungsbeiwerten rsup und rinf erkennen, dass bei Verfahren mit nachträglichem Verbund, bei denen sowohl zeitabhängige als auch Verluste aus Reibung auftreten, die größten Werte angesetzt werden müssen. Bei Vorspannung mit sofortigem oder ohne Verbund können hingegen niedrigere Werte verwendet werden, da Reibungsverluste nahezu oder ganz wegfallen. Die Beiwerte rsup und rinf beziehen sich immer auf die gesamte Vorspannwirkung und nicht etwa auf einzelne Spannglieder.

8.6.1 Begrenzung der Rissbreiten und Nachweis der Dekompression

Kriterien für die Höhe der Vorspannung (früher Vorspanngrad genannt) und die Wahl der Spannstahl- und Betonstahlquerschnitte sind die Anforderungen an die Dauerhaftigkeit. Hierzu werden Tragwerke in Abhängigkeit von Expositionsklasse und Vorspannart in Mindestanforderungsklassen eingeteilt (Tab. 8-1). Für diese Anforderungsklassen sind dann unter der maßgebenden Einwirkungskombination (Tab. 8-2) der Nachweis der Dekompression und die Begrenzung der Rissbreiten zu führen. Bei der Dekompression wird nachgewiesen, dass der Betonquerschnitt unter der maßgebenden Einwirkungskombination im Endzustand vollständig unter Druckspannungen steht. Im Bauzustand muss die infolge Vorspannung vorgedrückte Zugzone am Rand überdrückt sein.

Einwirkungskombinationen für die Nachweise:

Seltene Kombination ∑∑>

⋅ψ+++1i

i,ki,01,kkj,k QQPG

Häufige Kombination ∑∑>

⋅ψ+⋅ψ++1i

i,ki,21,k1,1kj,k QQPG

Quasi-ständige Kombination ∑∑≥

⋅ψ++1i

i,ki,2kj,k QPG

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Wenn Spannbetonbauteile mit nachträglichem Verbund in den Expositionsklassen XD oder XS liegen, dürfen nach DIN 1045-1 unter quasi-ständiger Einwirkungs-kombination keine Zugspannungen im Beton auftreten (Nachweis der Dekom-pression). Bei anderen Bauteilen sind unter häufiger Lasteinwirkung Zugspannungen zugelassen, wobei die Rissbreite beschränkt werden soll.

Die Höhe der Vorspannung sagt nichts über die Qualität des Bauwerks aus. Tragwerke mit hoher Vorspannung und entsprechend geringer schlaffer Bewehrung sind beispielsweise gegenüber unplanmäßigen Zwangbeanspruchungen empfindlicher als Tragwerke mit niedriger Vorspannung. Erstere bleiben aber unter planmäßigen Lasten länger rissefrei.

Expositionsklasse Vorspannung im nachträglichen

Verbund

Vorspannung im sofortigen

Verbund

Vorspannung ohne

Verbund

Stahl-beton-

bauteile

X 0, XC 1 D D F F

XC 2, XC 3, XC 4 C a C E E

XD 1, XD 2, XD 3 b, XS 1, XS 2, XS 3 C a B E E

a Wird der Korrosionsschutz anderweitig sichergestellt, darf Anforderungsklasse D verwendet werden. Hinweise hierzu sind den Allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen der Spannverfahren zu entnehmen.

b Im Einzelfall können zusätzlich besondere Maßnahmen für den Korrosionsschutz notwendig sein.

Tab. 8-1 Mindestanforderungsklassen in Abhängigkeit von der Expositionsklasse nach DIN 1045-1

Einwirkungskombination für den Nachweis der Anforderungs-klasse Dekompression Rissbreitenbegrenzung

Rechenwert der Rissbreite wk

[mm]

A selten -

B häufig selten

C quasi-ständig häufig

D - häufig

0,2

E - quasi-ständig 0,3

F - quasi-ständig 0,4

Tab. 8-2 Anforderungen an die Begrenzung der Rissbreite und die Dekompression im Gebrauchszustand nach DIN 1045-1

Bei Brücken mit ihrem relativ hohen Eigenlastanteil wird meistens eine hohe Vorspannug gewählt, damit unter häufigen Lasten keine offenen Risse entstehen. Dies hat weiterhin den Vorteil, dass die Spannungswechsel im Spannstahl (Ermüdung) sehr gering sind, weil im Zustand I der Spannstahl nur die (sehr

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geringen) α = Ep/Ec -fachen Spannungswechsel des Betons erfährt, während er in aufklaffenden Rissen viel größere Spannungswechsel erfährt. In Flachdecken von Geschossbauten mit ausgeprägten Momentenkonzentrationen über den Stützen und vorwiegend ruhenden Lasten ist es dagegen nicht sinnvoll, diese Bereiche völlig zu überdrücken; hier ist eine geringere Vorspannung angebracht.

Zur Begrenzung der Rissbreite sind für die Tab. 8-2 zu entnehmenden Einwirkungskombinationen folgende Nachweise zu führen, wobei für die Vorspannwirkung der rinf- bzw. rsup-fache Wert anzusetzen ist, um mögliche Streuungen der Vorspannung zu berücksichtigen.

a.) Nachweis der Mindestbewehrung (Kapitel 6.2.1.2 bzw. DIN 1045-1, 11.2.2)

b.) Begrenzung der Rissbreite ohne direkte Berechnung durch Begrenzung der Stababstände und -durchmesser (DIN 1045-1, 11.2.3) oder Begrenzung der Rissbreite durch direkte Berechnung (DIN 1045-1, 11.2.4)

In Klasse A sind rechnerisch keine Risse zugelassen, was das Tragwerk aber unwirt-schaftlich macht und ihm die Duktilität nimmt. Auch hier ist zu bedenken, dass durch Zwänge aus behinderten Verformungen (Temperatur, Schwinden, Setzungen) erhebliche Spannungen auftreten können, die rechnerisch schwer zu erfassen sind. Zur Risseverteilung und um dem Betontragwerk eine größere Zähigkeit zu verleihen, wird deshalb außer dem Spannstahl auch Betonstahl an den Bauteiloberflächen eingelegt.

8.6.2 Begrenzung der Spannungen

Für das nutzungsgerechte und dauerhafte Verhalten eines Bauwerks sind die übermäßige Schädigung des Betongefüges sowie nichtelastische Verformungen des Beton- und Spannstahls durch Einhaltung der Spannungsgrenzen zu vermeiden. Die Spannungsnachweise sind gegebenenfalls für Bau- und Endzustand getrennt zu führen.

Begrenzung der Betondruckspannungen:

Zur Vermeidung von Längsrissen: - seltene Einwirkungskombination: ckc f65,0 ⋅≤σ

Zur Vermeidung überproportionaler Kriechverformungen: - quasi-ständige Einwirkungskombination ckc f45,0 ⋅≤σ

Begrenzung der Betonstahlspannungen:

Zur Vermeidung von großen, ständig offenen Rissen durch Fließen der Bewehrung: - seltene Lastkombination bei Lasteinwirkungen yks f45,0 ⋅≤σ

- seltene Lastkombination bei reiner Zwangeinwirkung yks f0,1 ⋅≤σ

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Begrenzung der Spannstahlspannungen:

- quasi-ständige Einwirkungskombination nach Abzug der Spannkraft-verluste: pkp f65,0 ⋅≤σ

- seltene Einwirkungskombination nach Absetzen der Presskraft:

⎩⎨⎧

⋅⋅

≤σpk

k1,0pp f8,0

f9,0

Die Spannungsermittlung für den Zustand I erfolgt mit Nettobetonquerschnitts- oder ideelen Querschnittswerten. Auf den Nettobetonquerschnitt (Betonquerschnitt nach Abzug des Hüllrohrquerschnitts) sind alle Einwirkungen zu beziehen, die vor dem Verpressen der Hüllrohre auftreten. Einwirkungen, die nach dem Verpressen auftreten, müssen auf den sogenannten ideellen Querschnitt bezogen werden. Bei Vorspannung mit sofortigem Verbund werden generell alle Einwirkungen auf den ideellen Querschnitt bezogen.

Bild 8-37 Ideelle Querschnittswerte für einen Rechteckquerschnitt im Zustand I

(Betonstahlbewehrung vernachlässigt)

ppci A)1(AA ⋅−α+= Ideeller Querschnitt (8.37)

cm

PP E

E=α

i

cppPi A

zA)1(z

−α= Nulllinienlage des Verbundquerschnitts (8.38)

Lage des Spannstahls bezogen auf die Schwerlinie des Verbundquerschnitts:

icpip zzz −=

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2ippci zA)1(II ⋅⋅−α+= Ideelles Trägheitsmoment (8.39)

Bei der Berechnung der Spannstahlspannungen ist zu beachten, dass diese sich aus zwei Anteilen zusammensetzen:

q,pgP,pp σ+σ=σ + mit q,ppq,p E ε⋅=σ (8.40)

Die Spannung σp,P+g wird beim Vorspannen des Spannstahls erzeugt. Dabei wird auch das Eigengewicht g aktiviert, denn das Tragwerk hebt sich beim Vorspannen von der Schalung ab oder die Rüstung wird abgesenkt. Die Lastspannungen σp,q entstehen nach dem Herstellen des Verbundes, weil sich der Spannstahl bei Ver-formungen des Tragwerks um das gleiche Maß wie der umgebende Beton oder der benachbarte Betonstahl dehnen muss:

q,sq,cq,p ε=ε=ε (8.41)

Zur Erläuterung betrachten wir die verschiedenen Belastungszustände des Balkens in Bild 8-38, Bild 8-39 und Bild 8-40.

Bild 8-38 Spannungszustand des vorgespannten Balkens unmittelbar nach dem Spannen

und Verankern

Auf den Betonbalken wirken die Ankerkräfte P als exzentrische Druckkräfte sowie die Eigenlast g1, weil sich der Träger beim Spannen von der Schalung abhebt, also

PN −= 1gcp MzPM +⋅−=

und erzeugen die Randspannungen

c

1gcp

ccc1gP,1c W

MzPAP

WM

AN −⋅

+−=−=σ + oben (8.42a)

c

1gcp

ccc1gP,2c W

MzPAP

WM

AN −⋅

−−=+=σ + unten (8.42b)

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Genaugenommen müssten bei den Querschnittswerten der Hüllrohrabzug (Nettobetonquerschnitt) und die α-fachen Querschnitte des Betonstahls berücksichtigt werden.

Im Spannstahl beträgt die Spannung

p1gP,p A

P=σ + (8.43)

In diesem Zustand wird das Hüllrohr verpresst, wodurch sich an den Spannungen nichts ändert.

Bild 8-39 Spannungszustand des vorgespannten Balkens im Endzustand

Die Verkehrslast q und eventuelle Ausbaulasten g2 (z. B. Fahrbahnbelag) wirken auf den Träger mit ideellen Querschnittswerten (Verbundquerschnitt, Bild 8-37) und erzeugen die zusätzlichen Spannungen.

oi

2gqq,1c W

MM +−=σ oben (8.44a)

ui

2gqq,2c W

MM +=σ unten (8.44b)

ipi

2gqq,cp z

IMM +

=σ in Spanngliedhöhe (8.45a)

q,cpq,p σ⋅α−=σ im Spannstahl (8.46b)

Diese sind zu den Spannungen aus Vorspannung und Eigengewicht zu addieren.

Durch Kriechen, Schwinden und Relaxation ändert sich die Kraft im Spannstahl um ∆P (negativ, Zugkraftabnahme). Die auf den Verbundquerschnitt (Bild 8-37) aus Beton, Betonstahl und Spannstahl wirkenden Schnittkräfte ändern sich um

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∆Np,c+s+r = ∆P (Zug) und ∆Mp,c+s+r = ∆P ⋅ zcp. Folgende zusätzliche Spannungen ent-stehen:

oi

rsc

i

rscrsc,co W

MA

N ++++++

∆−

∆=σ∆ (8.47a)

ui

rsc

i

rscrsc,cu W

MA

N ++++++

∆+

∆=σ∆ (8.47b)

prsc,p A

P∆=σ∆ ++ (8.48)

Wenn man den Unterschied zwischen Nettoquerschnitt und ideellem Querschnitt "verschenkt", vereinfacht sich die Berechnung der Spannungen aus Kriechen, Schwinden und Relaxation zu einer proportionalen Umrechnung aller Spannungen aus Vorspannung (ohne g) im Verhältnis Spannkraftabfall zu Anfangsspannkraft:

P,c0m

rsc,c PP

σ⋅∆

=σ∆ ++ (8.49)

8.6.3 Verformungen von Spannbetontragwerken

Da Spannbetontragwerke unter Gebrauchslasten überwiegend im ungerissenen Zustand I verbleiben, sind die dabei auftretenden Verformungen geringer als bei schlaff bewehrten Tragwerken. Andererseits werden Spannbetontragwerke wegen der besseren Ausnutzung der Werkstoffe im Allgemeinen schlanker ausgeführt. Viel wichtiger als diese Einflüsse ist aber die "negative Durchbiegung" des Tragwerks aus dem Lastfall Vorspannung, welche die Durchbiegungen aus Lasten teilweise oder ganz kompensiert. Beispielsweise biegt sich ein Träger unter der gemeinsamen Wirkung von Vorspannung und Eigengewicht überhaupt nicht durch, wenn die Umlenkkräfte aus Vorspannung gerade so groß gewählt werden wie das entgegen-wirkende Eigengewicht. Man nennt dies "formtreue Vorspannung". Der Beton des Trägers wird dann nur zentrisch auf Druck beansprucht und hat entsprechende Druckreserven für die zusätzlichen, aus Verkehrslasten auftretenden Biegezugs-pannungen. Wenn die Umlenkkräfte aus Vorspannung größer sind als die ständigen Lasten, dann können sogar unschöne "Aufwölbungen" entstehen, die sich durch das Kriechen des Betons im Laufe der Zeit noch vergrößern.

Aus dem gleichem Grund heben sich Spannbetonbrücken beim Vorspannen von der Rüstung ab, wenn diese nicht sehr weit zurückfedert (Bild 8-40). Man kann die Vorspannung auch dazu nutzen, Unterfangungen auszuführen, ohne dass das unterfangene Bauteil sich dabei senkt.

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Bei einem Balken, der nach dem Erhärten vorgespannt wird, ergeben sich beispielsweise die in Bild 8-40 dargestellten Spannungsverteilungen in den Belas-tungszuständen unmittelbar nach dem Vorspannen und bei zusätzlicher Belastung mit Verkehrslast. Da durch Kriechen und Schwinden die Vorspannkraft zurückgeht, wird der Balken im Laufe der Zeit auf der Unterseite Zugspannungen erhalten.

Bild 8-40 Spannungen eines (überhöht dargestellten) Spannbetonbalkens in

verschiedenen Belastungszuständen (ohne Kriechen und Schwinden)

8.7 Grenzzustand der Tragfähigkeit (Vorspannung als Widerstand)

Im Grenzzustand der Tragfähigkeit unter γ-fachen Einwirkungen wird der Spannstahl nicht durch die aktive Kraftwirkung auf den bewehrten Betonquerschnitt bei den einwirkenden Schnittgrößen, sondern durch seinen Beitrag zum Widerstand des Gesamtquerschnitts, bestehend aus Beton, Betonstahl und Spannstahl, gegen die einwirkenden Last- und Zwangsschnittgrößen berücksichtigt.

Der Bemessungswert der Vorspannung Pd darf im Allgemeinen mit γp = 1,0 ermittelt werden.

Pd = γp · Pmt

Folglich braucht eine mögliche Streuung der Vorspannkraft im Grenzzustand der Tragfähigkeit (Ausnahme Ermüdungsnachweis) nicht berücksichtigt zu werden.

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8.7.1 Nachweise für Biegung

Bild 8-41 Dehnungs- und Spannungsverteilung für den Bruch-sicherheitsnachweis

eines Spannbetonbalkens

Die Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit für Spannbeton erfolgen wie für Stahlbeton. Die Gurtzugkraft aus einem Lastmoment MEd muss durch Spannstahl und Betonstahl aufgenommen werden.

Vernachlässigen wir zunächst den stets vorhandenen Betonstahl, dann ergeben sich bei reiner Biegung aus dem Gleichgewicht der inneren Kräfte mit dem aufzunehmendem Moment Mg+q die Betondruckkraft Fc und Spannstahlzugkraft Fp wie bei einem bewehrten Querschnitten mit Betonstahl:

zM

FF qgcp

+== (8.50)

Bei der Berechnung von z geht man von den gleichen Annahmen aus wie bei schlaff bewehrten Querschnitten (Bild 8-41): Gleichgewicht, Verträglichkeit (lineare Dehnungsverteilung, Bernoulli-Hypothese), Stoffgesetze (Parabel-Rechteck-Diagramm für den Beton, lineare σ-ε-Linie für den Spannstahl).

Dabei muss die Vordehnung des Spannstahls gegenüber dem Beton nicht berücksichtigt werden (Bild 8-42), denn die Dehnung der Spannbewehrung ist begrenzt auf:

)0(p

)0(pp ε≤ε+ε=ε + 25 ‰ (8.51)

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Bild 8-42 Spannstahlspannung in Abhängigkeit

von der mittleren Dehnung εc der benachbarten Betonfaser

Exemplarisch sei hier nun die Vorgehensweise bei der Verwendung der ω -Tafel für den Bruchsicherheitsnachweis eines mit Ap bewehrten Querschnitts aufgezeigt. Hierbei tritt Ap unter Beachtung der unterschiedlichen Festigkeiten von Bewehrungs- und Spannstahl an die Stelle von As1.

cd2sEd

sEd fdbM

⋅⋅=µ EdEds MM = für 0NEd = (8.52)

ζ oder ω1 sowie εs1 aus Tafel für µEds ablesen

)0(p1sp ε+ε=ε (8.53)

Aus dem bilinearen σp-εp-Diagramm folgt

pdps

k1,0ppdppp foder

ffE =σ

γ=<⋅ε=σ

Praktisch wird fast immer σp = fpd erreicht, so dass sich der Nachweis von demjenigen für einen bewehrten Balken mit Betonstahl nicht unterscheidet.

erf pd

sEdp fd

MA

⋅⋅ζ= (8.54)

Im Allgemeinen deckt man nur einen Teil des Bruchmoments MRd mit Spannstahl und den Rest mit Betonstahl ab, der auch zur Rissebeschränkung in den Gebrauchs-zuständen benötigt wird. Der Betonstahl As geht in diese Berechnung als zusätzliche Bewehrungslage mit seiner geringeren Stahlspannung σs = εs ⋅ Es ≤ fyd und seinem meist größeren Hebelarm ein. Wenn sich die inneren Hebelarme nur wenig unterscheiden, kann man die Bewehrungskräfte in ihrem gemeinsamen Schwerpunkt

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zusammenfassen und als Näherung die üblichen Bemessungstafeln für einlagige Bewehrung anwenden.

Das ursprüngliche Vorspannmoment und die Druckkraft aus Vorspannung kommen in dieser Berechnung nicht vor. Während man im (ungerissenen) Gebrauchszustand die Vorspannung als Belastung des bewehrten Betonquerschnitts berücksichtigt, werden bei dem beschriebenen Bruchsicherheitsnachweis die Spannglieder ähnlich wie Betonstahl beim Querschnittswiderstand des Gesamtquerschnitts, bestehend aus Beton, Betonstahl und Spannstahl angesetzt (Bild 8-43 a). Bezogen auf diesen Gesamtquerschnitt gibt es in statisch bestimmten Tragwerken (z. B. Bild 8-15) keine Längskraft oder Momente aus Vorspannung, wie eine Gleichgewichtsbetrachtung zeigt.

Man kann den Nachweis für rechnerische Bruchlast auch dadurch führen, dass man die Spanngliedkräfte als äußere Lasten betrachtet. Dabei wird der Widerstand des Spannstahls im Bruchzustand (im Allg. Fpd = Ap ⋅ fpd) durch eine Normaldruckkraft gleichen Betrags ersetzt, die in Höhe des Spannglieds (günstig) auf den bewehrten Querschnitt wirkt (Bild 8-43 b). Zusammen mit den anderen Schnittgrößen aus Lasten und Zwang ergeben sich dann der Dehnungszustand und der Betonstahl wie bei einem Balken ohne Spannstahl. So lässt sich mit üblichen Bemessungstafeln (z. B. der ω-Tafel) die eventuell notwendige zusätzliche Betonstahlbewehrung auch dann exakt ermitteln, wenn Spannstahl und Betonstahl in unterschiedlichen Höhen im Querschnitt liegen.

Bild 8-43 Schnittgrößen und Widerstand beim Bruch-

sicherheitsnachweis: a) Spannstahlkraft als Widerstand, b) Spannstahlkraft als Belastung

Bei allen Arten von Bruchsicherheitsnachweisen sollte man sich vergewissern, ob die zur Dehnungsverteilung im Querschnitt gehörige Spannstahldehnung εp inklusive der Vordehnung groß genug ist, um den Spannstahl bis zur Streckgrenze zu aktivieren, also ob εp ≥ fpd/Ep.

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8.7.2 Nachweise für Querkraft

Betrachtet man ein Stabwerkmodell des vorgespannten Trägers, so zeigt sich ein grundsätzlich anderes Tragverhalten in den Bereichen, in denen die Resultierende aus Spanngliedkraft und Auflagerkraft im Kern des Querschnitts liegt. Dort bildet sich kein Fachwerkmodell aus, sondern eine flach geneigte Druckstrebe.

Die Nachweise für Querkraft für Spannbetonbauteile erfolgen wie für Stahlbeton-bauteile bei deren Nachweisformat die Wirkung der Vorspannung als Druckspannung mit σcd berücksichtigt wird. In Bezug auf die erforderliche Bügelbewehrung wirkt die Vorspannung günstig, da die Druckstrebenneigung flacher wird. Im Gegenzug hierzu erhöhen sich die Spannungen in der Druckstrebe.

Bild 8-44 Stabwerkmodell für einen vorgespannten Balken

Die genauen Gleichungen hierzu können dem KI I Skript, Kapitel 5.5 entnommen werden. Zur Berücksichtigung der geneigten Spannglieder kann man für eine Querkraft VEd bemessen.

Pd0EdEd VVV −=

VEd Bemessungswert der einwirkenden Querkraft

VEd0 Grundbemessungswert der auf den Querschnitt einwirkenden Querkraft

Vpd Querkraftkomponente der Spannstahlkraft im Grenzzustand der Tragfähigkeit (Pmt ≤ Ap · fp0,1k/γs)

Spannglieder, die nicht verpresst sind, sind bei den Querschnittswerten abzuziehen. Auch verpresste Hüllrohre stellen Schwachstellen dar und sollten in dünnen Stegen durch einen Teilabzug berücksichtigt werden. Die genauen Regelungen sind DIN 1045-1 zu entnehmen.

Zusätzliche Torsion ist bei den Nachweisen für Querkraft sinngemäß durch Überlagerung der Spannungen bzw. Kräfte zu berücksichtigen. Im gerissenen Zustand wird ein Fachwerkhohlkasten (mit gleichem Druckstrebenneigungswinkel für Bemessung der Querkraft) zugrunde gelegt.

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Schließlich sind noch die D-Bereiche (Verankerungs- und Auflagerbereiche, konzentrierte Spanngliedumlenkungen usw.) zu untersuchen, wobei die in den Zulassungen enthaltenen Abmessungen, Abstände und Krümmungsradien der Spannglieder zu beachten sind.

8.7.3 Nachweis gegen Ermüdung

Nach DIN 1045-1, 10.8 sind tragende Bauteile, die unter nicht vorwiegend ruhenden Einwirkungen beträchtlichen Spannungsänderungen unterworfen sind, gegen Ermüdung zu bemessen. Bei Tragwerken des üblichen Hochbaus (d. h. bei vorwiegend ruhender Beanspruchung) ist dies in der Regel nicht der Fall. Die Nachweise sind im Grenzzustand der Tragfähigkeit (auf der Einwirkungsseite jedoch mit γ=1,0) zu führen, wobei hinsichtlich der maßgebenden Einwirkungskombinationen zwischen den vereinfachten Nachweisen und den expliziten Betriebsfestigkeits-nachweisen unterschieden wird.

Die Spannungen müssen hierbei auf Grundlage gerissener Querschnitte unter Vernachlässigung der Zugfestigkeit ermittelt werden, die Betonstahlspannungen sind aufgrund des unterschiedlichen Verbundverhaltens von Beton- und Spannstahl zu erhöhen.

Für Beton- und Spannstahl darf der Nachweis gegen Ermüdung über schädigungsäquivalente Spannungsschwingbreiten erfolgen, wenn die Standardfälle der Einwirkungen bekannt sind. Hierzu sind die Parameter der Wöhlerlinien für Beton- und Spannstahl getrennt angegeben. Ebenso darf bei Beton mittels schädigungsäquivalenter Druckspannungen verfahren werden.

8.8 Technologie, Konstruktive Durchbildung Spannsysteme sind in Deutschland bisher nicht genormt und bedürfen daher der bauaufsichtlichen Zulassung durch das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) in Berlin. Typische Spannsysteme einiger Hersteller sind in Auszügen in Tab. 8-3 dargestellt.

Der Spannstahl wird in Form von Drähten bis Ø 12 mm, Stäben bis Ø 36 mm und Litzen bis 0,6" (1,52 cm) verwendet. Drähte und Litzen werden auf Rollen geliefert, wobei die Randspannungen die Elastizitätsgrenze fp0,1k nicht überschreiten dürfen. Stäbe können vorgebogen werden. Mehrere Drähte und Litzen werden in Bündeln zusammengefasst, die in einem Hüllrohr verlegt und zusammen verankert werden.

Die Verankerung am Festanker kann durch Einbetten im Beton (Verbund) erfolgen, wobei durch Wellung der Drahtenden oder durch Schlaufen die Einleitungslänge verkürzt wird (Bild 8-45 a und b). Für bewegliche Verankerungen (Spannanker) und bei größeren Spannkräften werden spezielle Ankerköpfe verwendet, in denen die Spanndrähte und Litzen verkeilt, festgeklemmt oder mit aufgestauchten Enden in einem Ankerkörper gehalten werden (Bild 8-46). Gewindestäbe können auch durch aufgeschraubte Ankermuttern verankert werden (Bild 8-46 c).

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Spannsystem Hersteller Zulassung gültig bis Zulassung für

Litzenspannverfahren mit 3 bis 22 Litzen (150mm²) mit nachträglichem Verbund

Suspa-DSI Z-13.1-118 31.07.2010 Deutschland

Litzenspannverfahren mit 1 bis 22 Litzen (140mm²) mit nachträglichem Verbund

Suspa-DSI Z-13.1-110 28.02.2010 Deutschland

Monolitzenspannverfahren mit 1 Litze ohne Verbund Suspa-DSI Z-13.2-95 28.02.2010 Deutschland

Monolitzenspannverfahren mit 1 bis 5 Monolitzen ohne Verbund Suspa-DSI ETA-03/0036 31.03.2009 EU

Litzenspannverfahren mit 3-37 Litzen (140 und 150mm²), mit nachträglichem Verbund

DSI Dywidag-Systems ETA-06/0022 12.01.2011 EU

Litzenspannverfahren mit 3-27 Litzen (140 und 150mm²), mit nachträglichem Verbund

BBV Vorspanntechnik ETA-05/0202 03.01.2011 EU

Litzenspannverfahren mit 1, 2 und 4 Litzen ohne Verbund

BBR VT International ETA-06/0165 14.11.2011 EU

Litzenspannverfahren mit 4 bis 31 Litzen mit Verbund

BBR VT International ETA-06/0147 24.08.2011 EU

Tab. 8-3 Zugelassene Spannsysteme in Deutschland und Europa (Auszug)

Bei den meisten Spannverfahren wird der Beton zur Erhöhung der Festigkeit im Ver-ankerungsbereich des Spannglieds mit Wendeln umschnürt. Diese dürfen auf die "Spaltzugbewehrung" zur Aufnahme der Querzugkräfte aus der Krafteinleitung (D- Bereich) nicht angerechnet werden.

Die Hüllrohre bestehen im Allgemeinen aus gewickeltem oder längsverschweißtem Blech mit schraubenförmig um das Rohr verlaufenden Versteifungsrippen. Dadurch können die Rohre in beliebiger Länge geschnitten und miteinander verschraubt wer-den, wobei die Stöße mit Klebeband abgedichtet werden. Die Hüllrohre sind in vor-geschriebenen Mindestabständen zu unterstützen, um sie in der erforderlichen Lage insbesondere beim Betonieren (Rütteln) zu fixieren und ungewollten Durchhang zwi-schen den einzelnen Unterstützungen zu vermeiden. Dazu dienen meistens Stehbü-gel mit angeschweißten oder angeklemmten Querstäben (Bild 8-47).

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Bild 8-45 Verankerung von Spanngliedern durch Einbetten im Beton

a) Zwirbelverankerung, b) Schlaufenverankerung

Bild 8-46 Ankerkörper von Spanngliedern, Verankerung mittels:

a) Keilen, b) aufgestauchten Enden in Lochplatte c) Schraubenmuttern

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Bild 8-47 Unterstützungen der Hüllrohre mit angeklemmten bzw.

angeschweißten Querstäben

An die Hüllrohre werden an den Verankerungen sowie an allen Tief- und Hochpunk-ten der Spanngliedführung dünnere Röhrchen oder Schläuche zum Einpressen des Mörtels bzw. zum Entlüften angeschlossen. Vor dem Verpressen werden die Hüllroh-re mit Druckluft durchgeblasen (nachdem sie evtl. vorher mit Wasser durchgespült wurden) und dann von den Tiefpunkten aus solange injiziert, bis an den Entlüftun-gen der Hochpunkte der Einpressmörtel in der richtigen Konsistenz austritt. Das Verpressen (Injizieren) der Hüllrohe ist ein für die Dauerhaftigkeit des Bauwerks besonders wichtiger und schwer zu kontrollierender Vorgang. Viele Schäden an Brü-cken sind auf unvollständiges Verpressen zurückzuführen.

Kopplungen von Bündelspanngliedern bestehen prinzipiell aus Ankerköpfen an den beiden Spanngliedenden, die durch Verschraubungen miteinander verbunden wer-den (Bild 8-48 a und b). Gewindestäbe können direkt durch Überwurfmuttern ver-bunden und durch Kontermuttern fixiert werden (Bild 8-48 c). Beim abschnittsweisen Bauen wird meistens an eine bereits unter Last stehende Verankerung angekoppelt (Koppelanker), es gibt aber auch frei bewegliche Kopplungen in einem örtlich erwei-terten Hüllrohr (Bild 8-48 d). Koppelstellen sollen möglichst in Bereichen mit relativ geringer Beanspruchung angeordnet werden, wobei in einem Querschnitt auch nicht mehr als die Hälfte der Spannglieder gekoppelt werden sollten.

Zylindrische Behälter können auch durch Aufwickeln von blankem Spanndraht mit-tels einer Wickelmaschine vorgespannt werden. Diese wird um den Behälter herum-bewegt, wobei der Spannstahl von einer Haspel abgerollt und durch eine Bremsvorrichtung gespannt wird. Der Spannstahl muss durch Vorsatzbeton (z. B. Spritzbeton) oder eine andere Beschichtung vor Korrosion geschützt werden.

Die Spannanker müssen beim Vorspannen zugänglich sein und werden deshalb an der Betonoberfläche oder in Aussparungen angeordnet, deren Abmessungen für das Ansetzen der Spannpresse ausreichen. Für die Aussparungen gibt es oftmals spe-zielle Schalungselemente, die zum Spannverfahren passen. Nach dem Spannen werden die Spann-Nischen ausbetoniert bzw. die Ankerkörper mit einem Vorsatzbe-ton geschützt; dieser ist durch Anschlussbewehrung mit dem Konstruktionsbeton zu verbinden, wobei oftmals die Anschlussbewehrung wegen der Spannpresse abge-bogen und wieder rückgebogen wird (DIN 1045-1, 12.3.2).

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Spannstähle sind wesentlich empfindlicher gegenüber Korrosion als die üblichen Bau- und Betonstähle und deshalb schon während des Bauvorgangs besonders sorgfältig vor Feuchtigkeit und Schmutz zu schützen. Hohe Beanspruchungen erhö-hen die Korrosionsgefahr noch (Spannungsrisskorrosion). Außerdem sind Spann-stähle empfindlicher gegenüber dynamischen Beanspruchungen, besonders an Umlenkstellen, Klemmstellen und Reibstellen, wie sie im Bereich von Verankerun-gen und Umlenkungen auftreten. Deshalb sind die Schwingbreiten nach DIN 1045-1 10.8.3 nachzuweisen.

Bild 8-48 Kopplung von Spanngliedern:

a) und b) Bündelspannglieder mit fester Koppelstelle c) und d) bewegliche Kopplungen von Gewindestäben bzw. Litzen mit Litzenmuffen

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8.8.1 Nachweis des Verbundes zwischen Spannglied und Beton

Während beim Betonstahl die Verbundspannungen nur im Bereich von Verankerungen nachgewiesen werden müssen, kann bei den relativ dicken Spanngliedern auch der Verbund "auf der freien Strecke" problematisch werden, denn infolge der längs des Spannglieds veränderlichen Momente und der veränderlichen Lage des Spannglieds im Querschnitt entstehen im Spannglied Zugkraftdifferenzen, die durch Verbund ein- bzw. ausgeleitet werden müssen.

In DIN 1045-1 gibt es nur allgemeine Angaben zum diesbezüglichen Nachweis. DIN 4227 enthält in Kapitel 13 ein sehr praktisches Näherungsverfahren für den Nachweis der Verbundspannungen im Bruchzustand: Die Zugkraft Fpd ≤ fpd ⋅ Ap des Spannglieds in den durch Momente hoch beanspruchten Querschnitten ist aus dem Bruchsicherheitsnachweis bekannt, ebenso die Zugkraft Fp = Vorspannkraft im nächstgelegenen Momentennullpunkt (Bild 8-49). Zwischen diesen beiden Quer-schnitten im Abstand l' muss die Differenzkraft Fpd - Fp durch Verbundkräfte einge-leitet werden. Diese werden gleichmäßig verteilt über die Länge l' und den Spanngliedumfang up und mit zulässigen Verbundspannungen zul fbd verglichen:

bdp

ppd fzul'lu

FF<

− (8.55)

Bild 8-49 Berechnung der Verbundspannungen

8.8.2 Verankerungen und Kopplungen

Die Endverankerung von Spanngliedern im nachträglichen oder ohne Verbund erfolgt üblicherweise mit Ankerkörpern. Hier ist eine Spaltzugbewehrung erforderlich, wofür DIN 1045-1 in 8.7.7 auf die bauaufsichtliche Zulassung des jeweiligen Spann-verfahrens verweist. Der Nachweis der Kraftaufnahme und –weiterleitung im Trag-werk kann beispielsweise mit Stabwerkmodellen erfolgen.

Bei Spanngliedern im sofortigen Verbund hingegen muss die Spannstahlkraft im Verankerungsbereich alleine durch Verbund im Beton verankert werden. Nach DIN 1045-1, 8.7.6 ist hierbei zu unterscheiden zwischen:

- der Übertragungslänge lbp, über die die Spannkraft P0 eines Spann-glieds im sofortigen Verbund voll auf den Beton übertragen wird,

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- der Eintragungslänge lp,eff, innerhalb der die Betonspannung in eine lineare Verteilung über den Betonquerschnitt übergeht,

- der Verankerungslänge lba, innerhalb der die maximale Spanngliedkraft im Grenzzustand der Tragfähigkeit vollständig verankert ist.

Die sogenannte "Übertragungslänge lbp" der Vorspannkraft beträgt

lbp = 1bp

0pm

p

p1 fd

Aη⋅

σ⋅

⋅π⋅α (8.56)

α1 1,0 bei stufenweisen Eintragen der Vorspannung 1,25 bei schlagartigem Eintragen der Vorspannung

Ap Nennquerschnitt der Litze oder des Drahts

dp Nenndurchmesser der Litze oder des Drahts

σPm0 Spannung im Spannstahl nach Spannkraftübertragung auf den Beton

η1 1,0 für Normalbeton

Der Bemessungswert lbpd ist mit 0,8 lbp oder 1,2 lbp anzunehmen; es gilt der ungüns-tigere Wert für die betrachtete Wirkung.

Mit linearer Spannungsverteilung darf erst am Ende der "Eintragungslänge lp,eff" gerechnet werden, wobei für Rechteckquerschnitte mit Spanngliedern nahe der Unterseite des Querschnitts gilt:

22bpdeff,p dll += (8.57)

Bei Spanngliedern mit konzentrierter Endverankerung ist die Eintragungslänge gleich der Länge des D-Bereichs (Bild 8-51 b). Im Bereich der Eintragungslänge ist Querbewehrung für die Querzugkräfte anzuordnen, die durch die Ausbreitung der konzentrierten Ankerkräfte entstehen (siehe Stabwerkmodelle).

Für die im Einzelfall erforderliche "Verankerungslänge lba" ist dann in Abhängigkeit vom Ort der Rissentstehung zu unterscheiden zwischen:

Rissbildung außerhalb von lbpd (Bild 8-50 a)

p1bp

pmtpd

p

pbpdba fd

All

η⋅η⋅

σ−σ⋅

⋅π+= (8.58a)

- Rissbildung innerhalb von lbpd (Bild 8-50 b)

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p1bp

rptpd

p

prba f

)lx(d

All

η⋅η⋅

=σ−σ⋅

⋅π+= (8.58b)

ηp 0,5 für Litzen und profilierte Drähte 0,7 für gerippte Drähte

Bild 8-50 Verlauf der Spannstahlspannungen im Verankerungsbereich von Spanngliedern

im sofortigen Verbund nach DIN 1045-1

Bild 8-51 Übertrag Verankerungslänge lba und Eintragungslänge lp,eff bei der Ver

ankerung von Spanngliedern: a) durch Verbund, b) durch Ankerplatten

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9 Stabwerkmodelle

9.1 Einführung Die Stabwerkmodelle sind eigentlich für den gerissenen Stahlbeton entwickelt worden, weshalb dieses Kapitel fast ausschließlich Details aus Konstruktionsbeton behandelt. Zum weitergehenden Selbststudium wird der alle 4 oder 5 Jahre erscheinende Aufsatz "Bemessen und Konstruieren" im Betonkalender empfohlen. Gelegentlich werden die Stabwerkmodelle auch zur Veranschaulichung des Kraftflusses in Stahl- und Mischkonstruktionen herangezogen.

9.2 Grundgedanke Wenn der Beton reißt und seine Zugkräfte vom Bewehrungsstahl übernommen werden, stellt sich im Tragwerk ein neuer Kräftezustand ein, der sich von demjenigen im ungerissenen Zustand I erheblich unterscheidet. Die Zugkräfte verlaufen dann konzentriert in den Bewehrungsstäben, die aus baupraktischen Gründen im Allgemeinen parallel und senkrecht zu den Bauteilrändern eingelegt werden. Die lineare Elastizitätstheorie ist dann nicht mehr anwendbar, so dass man ein anderes Berechnungsmodell benötigt.

Der Grundgedanke der Stabwerkmodelle ist, die Betondruckspannungen bereichs-weise zu geraden Druckstäben zusammenzufassen, die gemeinsam mit den Zug-stäben der Bewehrung ein Fachwerk bilden, aus dem man die Bewehrungskräfte berechnen kann. Das Fachwerkmodell, schon von Hennebique, Ritter und Mörsch publiziert, hat sich für die Bemessung der Bügel in Balken bestens bewährt, und Stabwerkmodelle werden auch in einzelnen anderen Tragwerksbereichen (z. B. Konsolen) zur Bemessung der Bewehrung längst erfolgreich verwendet (Bild 9-1).

Mit Verständnis eingesetzt, leisten Stabwerkmodelle aber viel mehr: sie ermöglichen die Absicherung des Tragwerks gegen Betonversagen, sie zeigen, wo die Be-wehrung zu verankern ist, und vor allem machen sie das Tragverhalten im gerissenen Zustand II anschaulich. Damit bieten sie dem Ingenieur eine wichtige Hilfe zur Vermeidung grober Fehler und zum zweckmäßigen Entwerfen von Details.

Auf Anregung von Jörg Schlaich sind in Stuttgart seit 1980 die Stabwerkmodelle in zahlreichen Forschungsarbeiten für beliebige Bauteilformen systematisch verallgemeinert und durch praktische Bemessungsregeln für die Stäbe und deren Knoten ergänzt worden. Vor allem die Schweizer Forscher um B. Thürlimann haben dafür wichtige Voraussetzungen geschaffen, indem sie die Plastizitätstheorie als solide theoretische Grundlage für die Bemessung von scheibenförmigen Stahlbetontragwerken im gerissenen Zustand II aufbereitet haben.

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Bild 9-1 Fachwerkmodell und Kraftdiagramme des Zug-

und Druckgurts eines Balkens

Der Tragfähigkeitsnachweis wird bei den Stabwerkmodellen nach dem 1. Grenzwertsatz der Plastizitätstheorie geführt. Demnach versagt ein Tragwerk aus plastisch verformbaren Werkstoffen nicht, wenn zu der gegebenen Belastung irgendeine Spannungsverteilung gefunden werden kann, die den Gleichgewichts-bedingungen genügt und nirgends die Fließgrenze der Werkstoffe überschreitet.

Da Beton nur ein eng begrenztes plastisches Verformungsvermögen besitzt, muss das innere Tragsystem so gewählt sein, dass die Dehnfähigkeit des Materials (die Betonstauchung) nicht lokal bereits überschritten ist, bevor sich der angenommene Kräftezustand mit fließender Bewehrung im übrigen Tragwerk einstellen kann. Diese Voraussetzung wird selbst in hochbeanspruchten Bereichen durch die Anpassung des Stabwerkmodells und der Bewehrungsführung an den Kraftfluss nach der Elastizitätstheorie automatisch erfüllt. Eine weitere Vorsichtsmaßnahme ist die Begrenzung der Druckzonenhöhe in einem Querschnitt mit Druck- und Zuggurt (Kapitel 5).

In mäßigen oder wenig beanspruchten D-Bereichen werden auch große Abweichungen von der elastizitätstheoretisch idealen Modellgeometrie verkraftet, ohne dass die Verformbarkeit des Tragwerks überschritten wird. Die Zugstäbe des Modells und somit die Bewehrung können dann entsprechend baupraktischen Überlegungen angeordnet werden. Das Tragwerk passt sich dem angenommenen inneren statischen System an.

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Durch die Orientierung der Modelle am Kraftfluss nach der Elastizitätstheorie ist es möglich, für den Gebrauchs- und Bruchzustand mit den gleichen Modellen auszukommen und Verletzungen der Verträglichkeit in unschädlichen Grenzen zu halten. Dies schließt aber nicht aus, dass im Einzelfall das Modell an die sich mit der Lasthöhe ändernden Steifigkeiten angepasst werden muss, um so die sonst verschenkte, tatsächlich höhere Tragfähigkeit auch rechnerisch auszuschöpfen.

Inzwischen ist die Methode der Stabwerkmodelle auch in die DIN 1045-1 aufgenommen, allerdings nur sehr knapp. Eine ausführlichere Darstellung findet man im Betonkalender 2001.

9.3 Modellfindung

9.3.1 Einführung

Die Modellfindung für D-Bereiche ist der wichtigste und mitunter sehr schwierige Teil bei der Anwendung der Methode der Stabwerkmodelle. Die Entwicklung eines neuen Modells ist sehr lehrreich, setzt aber, ähnlich wie die statische Berechnung von Systemen, eine Schulung und Vertrautheit mit der Methode voraus. Vor "Schnell-schüssen" sei hier gewarnt, denn das Ergebnis ist nur selten richtig. Zum leichteren Einlernen wird dieses Kapitel über die Modellfindung relativ ausführlich gehalten.

Die Geometrie der Modelle hängt prinzipiell von der Belastung ab. Dies hat zur Folge, dass für jede eventuell maßgebende Lastkombination ein Modell zu entwickeln und zu bemessen ist. Dies ist kein Mangel der Stabwerkmodelle, sondern die Folge der nichtlinearen Materialeigenschaften des Konstruktionsbetons; die Bemessung einer Stütze kann ja auch nicht getrennt für Momentenbeanspruchung und für Beanspruchung durch Normalkraft durchgeführt werden. Das Stabwerkmodell spiegelt die Änderungen des Kraftflusses im Tragwerk bei Belastungsänderungen oder Belastungsumkehr wider, wie das Beispiel in Kapitel 9.6.2 sehr deutlich zeigen wird.

9.3.2 Vorbereitungen zur Modellierung

Vor dem Modellieren sind die Randbedingungen der zu modellierenden Bereiche festzulegen. Hierzu sollte folgendes Vorgehen unbedingt berücksichtigt werden:

a) Geometrie, Belastung und Auflagerbedingungen des Gesamttragwerks sind festzulegen. Dabei sind sinnvolle Annahmen zu treffen, die später überprüft und eventuell korrigiert werden müssen z.B. statisch erforderliche Abmessungen

b) Damit getrennte Untersuchungen mittels ebener Stabwerkmodelle möglich sind, sollte das räumliche Gesamttragwerk in verschiedene Ebenen gegliedert werden. Sinnvoll sind Gliederungen in zueinander senkrechte und parallele Ebenen. An den Nahtstellen dieser Ebenen sind die Auflager- bzw. Übergangsbedingungen festzulegen. Beispielsweise sind bei einer Plattenbalkendecke die Steg- und Plattenebenen getrennt zu modellieren.

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c) Die Auflagerkräfte sind an idealisierten statischen Systemen zu ermitteln. Dies kann bei statisch unbestimmten Systemen unter Annahme linear-elastischen Verhaltens geschehen. Schnittkraftumlagerungen infolge Rissbildung, plastischer Verformungen und Kriechens können auch berücksichtigt werden.

d) Das Tragwerk ist in B- und D-Bereiche zu unterteilen.

e) Für die B-Bereiche sind die Schnittkräfte zu ermitteln und anschließend die Bemessung nach DIN 1045-1 oder mittels Stabwerkmodellen durchzuführen. Besteht ein Tragwerk nur aus D-Bereichen, so erübrigt sich die Schnitt-größenermittlung, nicht jedoch die Bestimmung der Auflagerkräfte.

f) Alle Belastungen der D-Bereiche müssen als Eingangsgrößen für den inneren Kraftfluß eindeutig festgelegt werden. Dazu gehören äußere Lasten und Lagerkräfte. Die Schnittkräfte des B-Bereichs werden an den Grenzflächen zu den D-Bereichen als Teil der Belastung der D-Bereiche benötigt. Die nun aus dem Tragwerk herausgelösten D-Bereiche können einzeln untersucht werden.

g) Das Gleichgewicht am einzelnen D-Bereich muss überprüft werden.

9.3.3 Modellentwicklung mittels Lastpfadmethode

Die Lastpfadmethode nutzt eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Strömungsbildern und dem "Kraftfluss" in Tragwerken. Ein Lastpfad stellt den Weg einer Last oder Kraft von der Krafteinleitung durch das Tragwerk hindurch bis zum Auflager dar. Entsprechend dem Kontinuitätsgesetz bei Strömungen und abweichend von den Spannungstrajektorien bleibt die Kraft auf ihrem Weg durch das Tragwerk konstant. Präziser gesagt handelt es sich um die Kraftkomponente der Lastpfad-Kraft, die in einer bestimmten, für das Lastpfadbild gewählten Kraftrichtung wirkt. Bei ausschließlich senkrechten Lasten und Lagerreaktionen bietet sich dafür die senkrechte Richtung an, so dass die Lastpfadmethode besonders einfach ist. Wenn auch horizontale Lasten wirken, kann die Lastpfadmethode zusätzlich für die horizontale Kraftrichtung angewendet werden.

Das prinzipielle Vorgehen bei der Anwendung der Lastpfadmethode wird zunächst an zwei einfachen Beispielen erläutert, in Kapitel 9.6.2 folgt dann ein weiteres ausführliches Beispiel.

Der D-Bereich in Bild 9-2 a sei an seinem oberen Rand mit der unsymmetrischen, linear verteilten Belastung p aus dem angrenzenden B-Bereich belastet. Diese Belastungsfläche wird nun so aufgeteilt, dass die zugehörigen resultierenden Lasten auf der Oberseite des Tragwerks ihre gleich großen Gegenkräfte auf der gegenüberliegenden Seite des Tragwerks finden. Die "Lastpfade" verbinden die gegenüberliegenden Kräfte (Bild 9-2 b). Hier ist offensichtlich, dass sich die Last-pfade nicht kreuzen können. Sie beginnen und enden in den Schwerpunkten der entsprechenden Spannungsflächen und haben dort die Richtung der aufgebrachten Lasten bzw. Auflagerkräfte. Dazwischen nehmen die Lastpfade einen möglichst kurzen stromlinienförmigen Verlauf.

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Bild 9-2 Anwendung der Lastpfadmethode beim Modellieren: a) Geometrie und

Belastung, b) Kraftfluss, c) Lastpfade der zueinander gehörenden Kräfte und die erforderlichen Umlenkkräfte T und C, d) Stabwerkmodell

Da konzentrierte Kräfte das Bestreben haben, sich in der Scheibe möglichst rasch auszubreiten, streben die von den Lagern ausgehenden Lastpfade zunächst ins Scheibeninnere hinein und weisen in der Nähe des Lagers die größten Krümmungen auf.

Bisher wurde nur das Gleichgewicht in Richtung der aufgebrachten Lasten berücksichtigt. Durch die Krümmungen der Lastpfade entstehen aber Umlenkkräfte C und T, die hier der Einfachheit halber horizontal gezeichnet werden. Die Umlenk-kräfte der beiden Lastpfade müssen miteinander im Gleichgewicht stehen, da an der Scheibe keine horizontalen Lasten angreifen.

Nun werden auch die Umlenkkräfte zu Resultierenden zusammengefasst. Diese haben wegen des horizontalen Gleichgewichts für beide Lastpfade jeweils dieselbe Wirkungslinie. Die Lastpfade werden schließlich zu Polygonzügen idealisiert, deren Knicke in den Schnittpunkten mit den Resultierenden der Umlenkkräfte liegen (Bild 9-2 d).

Somit wurde ein Modell des Tragwerks entwickelt, das die wesentlichen Ströme des Kraftflusses wiedergibt und das Tragverhalten verdeutlicht. Dabei repräsentieren die Einzelstäbe gekrümmte ebene oder räumliche "Spannungsfelder" mit der haupt-sächlichen Tragrichtung in Richtung der Stabachse. Die Knotenpunkte der Stäbe sind natürlich keine Gelenke, sondern in Wirklichkeit ganze Bereiche, in denen innere Kräfte (Spannungen) umgelenkt oder eingeleitet (verankert) werden.

Beim nächsten Beispiel, einem D-Bereich mit der Last F an der Ecke (Bild 9-3 a), verfährt man zunächst wie beim vorherigen Beispiel und sucht sich den Anteil der Spannungen am unteren Rande des D-Bereichs, der mit der Last F in vertikalem Gleichgewicht steht (Bild 9-3 b).

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Bild 9-3 Anwendung der Lastpfadmethode beim Auftreten einer U-Schleife:

a) Geometrie und Belastung, b) Lastpfade und Umlenkkräfte, c) Stabwerkmodell

Nach Abtrennen dieses Spannungsanteils bleiben aber am unteren Rand zwei Spannungsbereiche mit den Resultierenden B1 und B2 übrig. B1 und B2 sind gleich groß, haben aber entgegengesetzte Richtungen. Ihre Lastspur tritt bei B1 in den D-Bereich hinein, kehrt darin die Richtung um und tritt bei B2 wieder heraus. Diese "U-Schleife" mit ihren Umlenkungen wird benötigt, um die Umlenkkräfte der eigentlichen Last F auf ihrem Weg durch den D-Bereich ins Gleichgewicht zu setzen. Die Idealisierung der Lastspuren durch Polygonzüge und ihre Verbindung durch die Umlenkkräfte liefert wieder das fertige Stabwerkmodell des Kraftflusses (Bild 9-3 c).

9.3.4 Modellentwicklung mit Hilfe linear-elastischer Spannungsbilder

Diese Methode führt immer zum Ziel, setzt allerdings eine FE-Berechnung der Hauptspannungen voraus, wie sie heutzutage mit jedem linearen Scheibenprogramm auf einem PC durchgeführt werden kann. Es genügt dabei ein recht grobes Netz, denn die für FE-Programme problematischen Singularitäten an konzentrierten Lasteinleitungen erschweren die Modellfindung nicht. Die Stabwerkmodelle lösen diese Problematik sehr elegant mit der Knotenbemessung (Kapitel 9.5.4).

Um aus dem Hauptspannungsbild ein Stabwerkmodell zu entwickeln, müssen benachbarte Spannungstrajektorien bereichsweise zusammengefasst und begradigt werden. Vor allem müssen die Zugstäbe nach baupraktischen Gesichtspunkten angeordnet und ausgerichtet werden. Bei der Modellentwicklung ohne Computerunterstützung empfiehlt sich die Verwendung elastischer Spannungsbilder eher als zusätzliche Hilfe bei der Anwendung der Lastpfadmethode (Bild 9-4):

- Die Hauptspannungsrichtungen zeigen die zweckmäßige Richtung der Druck-stäbe des Modells.

- Wichtige Druck- und Zugstäbe können mit Hilfe eines Spannungsdiagramms in einem charakteristischen Schnitt durch den D-Bereich lokalisiert werden. So kann man z. B. den Randabstand z der horizontalen Druckkraft C in Bild 9-4 aus dem Schwerpunkt der Druckspannungsflächen in einem Vertikalschnitt an

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der Stelle x = l /2 berechnen. Dabei genügt eine grobe Schätzung des Schwer-punktes der Druckspannungen des Spannungsdiagramms, da selbst erhebliche Abweichungen von der elastizitätstheoretisch richtigen Lage bezüglich der Tragsicherheit unproblematisch sind. Beispielsweise ordnet man in Zugspan-nungsfeldern mit dem Spannungsgrößtwert am Bauteilrand die Bewehrung direkt am Rand an, wenn der Zugspannungsbereich nicht sehr breit ist.

Bild 9-4 Orientierung des Stabwerkmodells an der Elastizitätstheorie: Linear-

elastische Spannungstrajektorien, linear-elastische Spannungsverteilung im Mittelschnitt und daran orientiertes Stabwerkmodell

Wenn durch die Abweichung des Modells vom linear-elastischen Spannungsbild die rechnerische Tragfähigkeit erhöht wird (beispielsweise durch eine Vergrößerung des inneren Hebelarmes z in Bild 9-4), ergeben sich sogar zutreffendere Tragfähigkeiten. Ein in diesem Sinne optimiertes Modell liefert beispielsweise 94 % der im Versuch festgestellten Traglast der Scheibe in Bild 9-5, während die übliche Bemessung aufgrund linear-elastischer Stoffgesetze (unter Vernachlässigung der konstruktiven Netzbewehrung) und ebenso das daran orientierte Modell nur 40 % der wirklichen Tragfähigkeit liefert. Allerdings können bei starker Abweichung des Bemessungsmodells vom linear-elastischen Tragverhalten bereits im Gebrauchs-zustand breite Risse auftreten, wenn nicht konstruktiv eine risseverteilende Be-wehrung angeordnet wird.

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Bild 9-5 Bruchversuch an einem wandartigen Träger:

a) Rissbild; b) Modell für den Bruchzustand

9.3.5 Grundsätze zur Optimierung von Stabwerkmodellen

Beim Entwickeln eines geeigneten Stabwerkmodells sind folgende Grundsätze zu beachten:

a) Aus den in Kapitel 9.3.4 genannten Gründen sind die Modelle am Kraftfluss nach der Elastizitätstheorie zu "orientieren". Darunter ist aber nicht ein möglichst genaues Abbilden eines linear-elastischen Spannungsverlaufs zu verstehen, sondern ein Anpassen des Modells an die Hauptströme des Kraftflusses nach der Elastizitätstheorie, unter besonderer Berücksichtigung der Eigenheiten der Stahlbetonbauweise. Vor allem sollen Druckstäbe mit relativ großen Kräften in ihrer Lage und Richtung zumindest grob am Spannungsbild nach der Elastizitätstheorie ausgerichtet werden.

b) Die Bewehrungsführung muss baupraktisch einfach sein: gerade Stäbe mit wenigen Abbiegungen sind zu bevorzugen und möglichst parallel und senkrecht zu den Bauteilrändern anzuordnen. An gezogenen Bauteilrändern legt man die Bewehrung, wie beim Balken, mit der nötigen Überdeckung direkt an den Rand. Mehrere benachbarte Bewehrungsstäbe, die im gleichen Zugbereich liegen, können für das Stabwerkmodell in ihrer gemeinsamen Schwerlinie zu einem einzigen Zugstab zusammengefasst werden.

c) Die Bewehrungsführung soll sich auch für andere Lastfälle eignen.

d) Druck- und Zugstäbe sollen an ihren gemeinsamen Knoten möglichst große Winkel einschließen (Bild 9-6a). Winkel θ unter 45° bis etwa 30° sind nur zulässig, wenn Druckstäbe sich mit aufeinander senkrecht stehenden Zugstäben treffen (Bild 9-6b+c), wie z. B. die schrägen Druckstreben in B-Bereichen (Bild 9-1 und Bild 9-9).

e) Konzentrierte Druckkräfte (Einzellasten, Lagerkräfte, Ankerkräfte), die senkrecht zu einem Bauteilrand angreifen, breiten sich im Bauteil seitlich aus und werden deshalb zweckmäßigerweise in zwei Anteile aufgespaltet, die

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gegenüber der Lastresultierenden um den Winkel δ geneigt sind, wobei sich nach der Elastizitätstheorie in der Nähe der Singularität tanδ = 0,5 ergibt (Bild 9-7a). Je nachdem, ob die beiden Lastpfade danach wieder in die Richtung der Lastresultierenden umgelenkt oder von ihr weiter abgelenkt werden, wird man den Winkel δ für die Druckstäbe etwas kleiner oder größer wählen.

Bild 9-6 Druckstrebenwinkel θ bei:

a) Druck-Zug-Knoten mit Zug in einer Richtung, b) und c) Druck-Zug-Knoten mit Zug in beiden orthogonalen Richtungen

f) Bei Einleitung einer konzentrierten Kraft an einer Bauteilecke (Endauflager, Einzellast auf Konsole oder Wandecke, Bild 9-7b, vgl. auch Bild 9-9b) ergibt sich elastizitätstheoretisch der gleiche Umlenkwinkel δ für die gesamte Last. Der (Ergänzungs-) Winkel θ zwischen Zugstab und Druckstrebe sollte deshalb möglichst über 55° liegen, wobei an gering beanspruchten Knoten auch geringere Winkel bis zu 45° vertretbar sind.

Bild 9-7 Richtungsänderung der Lastpfade:

a) und b) Umlenkwinkel δ bei freier Ausbreitung von konzentrierten Lasten, c) größerer Umlenkwinkel bei entsprechenden Randbedingungen, d) Zwischenaufhängung mindert die Umlenkung bei Krafteinleitungen, e) ebenso eine teilweise Zwischenaufhängung

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g) Die Druckstäbe des Modells stellen in Wirklichkeit Spannungsfelder mit oft beträchtlicher Breite dar und müssen deshalb einen entsprechenden Abstand vom Bauteilrand haben. Gleiches gilt für diejenigen Zugstäbe des Modells, die über eine große Breite verteilte Bewehrung repräsentieren. Schließlich müssen auch die Knoten des Modells so weit von den Bauteilrändern entfernt gewählt werden, dass die Bewehrungsverankerungen im Bauteil Platz haben.

h) Zunächst sollten möglichst einfache Modelle mit wenigen Stäben gesucht werden, die dann später eventuell noch verbessert oder verfeinert werden können. Manchmal ist es zweckmäßig, zwei einfache Modelle zu überlagern, wobei für das superponierte Gesamtmodell auch die oben genannten Grundsätze gelten. Die Aufteilung der Lasten auf die beiden Modelle kann sehr freizügig "mit Augenmaß" erfolgen oder aufgrund von linear-elastischen Span-nungsberechnungen für einzelne Schnitte. Komplizierte, statisch unbestimmte Modelle sind nur dann besser, wenn die Modelle unter Berücksichtigung der Stabsteifigkeiten optimiert werden, was ein entsprechendes nichtlineares Computerprogramm erfordert.

i) Durch die Rissbildung im Zustand II und durch plastische Verformungen der Baustoffe lagern sich die inneren Kräfte gegenüber den nach der Elastizitäts-theorie berechneten um. Dabei ist das Tragwerk bestrebt, die Lasten mit möglichst geringen Kräften und Verformungen abzuleiten. Es ist zweckmäßig, auch die Stabwerkmodelle unter diesem Gesichtspunkt auszuwählen. Weil die Zugstäbe (Bewehrung) sich viel stärker verformen als die Betondruckstäbe, ist im Allgemeinen ein Modell mit wenigen kurzen Zugstäben realistischer als ein anderes mit vielen oder langen Zugstäben. Im Zweifelsfall kann das Produkt aus Zugstablängen li und Stabkräften Ti als ein (vereinfachtes) Kriterium zur statischen Optimierung eines Modells herangezogen werden (Bild 9-8):

∑ =⋅ MinimumIT ii

Wenn ausnahmsweise auch Druckstäbe auf größere Länge (nicht nur in den Knoten) sehr hoch beansprucht werden und dadurch ähnlich große mittlere Dehnungen wie die Bewehrung erhalten, sollten sie näherungsweise in ein besseres Kriterium einbezogen werden:

∑ =ε⋅⋅ MinimumIF miii

Fi: Kraft des Druck- oder Zugstabs i

li: Länge des Stabes i

εmi: mittlere Dehnung des Stabes i

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Damit können auch die geringeren mittleren Dehnungen einzelner Zugstäbe in schwach gerissenem Beton berücksichtigt werden. Obige Gleichung entspricht dem Prinzip der minimalen Formänderungsenergie für linear-elastisches Verhalten der Druck- und Zugstäbe im gerissenen Zustand. Dieses Kriterium ist auch bei einem Vergleich verschiedener Modelle gut zum Ausschluss schlechter Modelle geeignet (Bild 9-8).

Bild 9-8 Zwei unterschiedliche Stabwerkmodelle für das gleiche

Tragwerk: Das gute Modell (a) hat kürzere Zugstäbe als das schlechte Modell (b)

Für die Modellfindung gibt es im Wesentlichen drei Verfahren, die auch miteinander kombiniert werden können: Am anschaulichsten und lehrreichsten ist die Lastpfad-methode, die allerdings nicht in allen Fällen gut funktioniert (Kapitel 9.3.3). Sie eignet sich besonders dann, wenn die wesentlichen Lasten und Lagerreaktionen in derselben Richtung wirken, also z. B. bei Scheibentragwerken mit vorwiegend senkrechten Lasten. Immer anwendbar ist die Entwicklung des Modells aus dem Spannungsbild einer linear-elastischen FE-Berechnung (Kapitel 9.3.4). Am schnell-sten wird das Ziel meist mit der Anpassung von bekannten, typischen D-Bereichen erreicht (Kapitel 9.3.6), wobei hier allerdings das zu lösende Problem mit einem D-Bereich verwandt sein muss.

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9.3.6 Typische Modelle

9.3.6.1 Typisches Modell für B-Bereich

Das „Standard-Fachwerkmodell“ (B1), vgl. Kapitel 5.5, eignet sich für gerissene B-Bereiche mit Biegung, Normalkraft und Querkraft, wenn die Momentenbean-spruchung so überwiegt, dass sich jeweils ein Druck- und Zuggurt ausbilden kann. Es wirken zwei Gurtkräfte T und C sowie die geneigte Strebenkraft Fθ (Bild 9-9).

Bild 9-9 B-Bereich: a) Schnittgrößen, b) gewöhnliches Fachwerkmodell mit nur einer

Strebe im Querschnitt, c) Repräsentation derselben Druckstrebenspannungen durch zwei Streben im Querschnitt, d) zugehörige Bewehrung

θ⋅+= cot2V

zMT (Stahl-Zuggurt)

θ⋅−= cot2V

zMC (Beton-Druckgurt)

θ=θ sin

VF (Beton-Druckstrebe)

Der Querkraftanteil in den obigen Formeln für die Gurtkräfte ist für das Gleichgewicht nötig, weil die schräge Druckstrebenkraft Fθ außer ihrer "Querkraftkomponente" mit der Größe V noch die Längskomponente V cot θ in Richtung der Balkenachse hat. Wird die bei der Biegebemessung üblicherweise vernachlässigte Abminderung der Druckgurtkraft durch die Querkraft V beim Ansatz der Kräfte auf den D-Bereich vergessen, ergeben sich Widersprüche beim Gleichgewicht des D-Bereichs. Vor dem Beginn des Modellierens müssen unbedingt alle auf den D-Bereich einwirkenden Kräfte (auch alle Auflagerreaktionen) bekannt sein. Es empfiehlt sich, Gleichgewichtskontrollen der horizontalen und vertikalen Kräfte sowie der Momente durchzuführen.

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Wenn es für die Modellfindung vorteilhaft ist, können die Resultierenden der schrägen Druckstrebenspannungen auf zwei oder mehr Strebenkräfte aufgeteilt werden, wobei der Schwerpunkt dieser Kräfte in der Mitte der Steghöhe liegt (Bild 9-9 c).

9.3.6.2 Typische Modelle für D-Bereich

Selbst in scheinbar sehr unterschiedlichen Tragwerken kommen einige typische Modelle in vielen Varianten und Kombinationen immer wieder vor.

Der in Bild 9-10 dargestellte, sehr häufig vorkommende D1-Bereich zeigt die Ausbreitung einer mittigen, auf die Breite a konzentrierten Belastung in einem Streifen der Breite b. Durch die Umlenkung der Druckspannungstrajektorien entstehen Querzugspannungen σx, die oft als Spaltzugspannungen bezeichnet werden. Ihr Integral T kann gemäß DAfStb-Heft 240, Kapitel 4 zu

)ba1(

4FT −= (9.1)

berechnet werden. Dieselbe Formel ergibt sich auch aus dem einfachen Modell in Bild 9-11b mit der Annahme z = b/2. Das Diagramm in Bild 9-11e zeigt diese Näherung im Vergleich mit T aus einer elastizitätstheoretischen Berechnung, die aber (zumindest für Zustand II) nicht besser als die Näherung ist. In diesem Dia-gramm ist auch der Neigungswinkel θ der Druckstreben angegeben. Die Bewehrung kann entsprechend der Verteilung der Querzugspannungen im Zustand l auf eine Höhe von 0,6 bis 0,8 b verteilt werden (Bild 9-11c), wobei aber unmittelbar unter der Last hohe Querdruckspannungen herrschen, deren Integral C gleich T sein muss.

Wie die Abgrenzung des D-Bereichs zeigt, hat die Höhe h der dargestellten Scheibe keinen Einfluss auf die Beanspruchungen im D-Bereich, solange h größer ist als die Breite b. Auch bei h < b kann das Modell von Bild 9-11b prinzipiell beibehalten werden (Bild 9-11d), bis der innere Hebelarm z in denjenigen eines B-Bereichs übergeht.

Wenn die Einzellast F von der Randmitte des D1-Bereiches (Bild 9-11) zur Ecke hin versetzt wird, ergibt sich der in Bild 9-12 behandelte D2-Bereich mit einer Zugkraft bis zu T1 = 0,4 F am belasteten Rand und mit einer sehr geringen Verteilbreite bzw. einer Spannungsspitze am Rand. Die Betonzugspannungen sind deshalb mit der Betonzugfestigkeit nicht zu bewältigen und haben bei fehlender oder zu tief liegender Bewehrung verschiedentlich zum Eckabreißen geführt.

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Bild 9-11 D1-Bereich "Einzellast in Scheibenmitte"

a) Hauptspannungen aus FE-Berechnung b) SWM für die hohe und quadratische Scheibe c) Bewehrung d) SWM für die niedrige Scheibe, Übergang zum Balken e) Stabkräfte und Druckstrebenneigung für versch. Abmessungsverhältnisse

Bild 9-12 D2-Bereich “Einzellast am Scheibenrand“

a) Spannungsverlauf Zustand I b) SWM

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Werden die Modelle für zwei D1-Bereiche spiegelbildlich zusammengesetzt, so erhält man das Modell in Bild 9-13d für den “schmalen” D3-Bereich. In einem “breiten” D3-Bereich treten entlang der Ränder Zugspannungen auf, die mit zusätzlichen Lastpfaden in Bild 9-13c berücksichtigt sind. Die Kräfte T2 sind allerdings so gering (maximal 3 % der Einzellast, siehe Bild 9-13e), dass man sie konstruktiv mit der immer nötigen Oberflächenbewehrung abdeckt und die innere Bewehrung mit dem einfachen Modell ermittelt. Entsprechende Vernachlässigungen von "Verträglichkeitsspannungen" kommen (oftmals unerkannt) auch bei anderen Stabwerkmodellen vor. Ihre Vernachlässigung beeinträchtigt die Standsicherheit nicht, kann aber zu schädlichen Anrissen führen, wenn die Oberflächenbewehrung fehlt.

Bild 9-13 D3-Bereich

a) Hauptspannungen aus FE-Berechnung b) Spannungsverläufe c) SWM für den „breiten“ Bereich d) SWM für den „schmalen“ Bereich e) Zugkräfte für verschiedene Seitenverhältnisse

Werden die Modelle für zwei D2-Bereiche in ähnlicher Weise wie die D1-Modelle kombiniert und verzerrt, so ergeben sich die Modelle für den D4-Bereich in Bild 9-14c. Die Randzugkräfte liegen aber in einer ähnlichen Größenordnung wie beim D2-Bereich und dürfen nicht vernachlässigt werden, was bei exzessiver Anwendung der Plastizitätstheorie zwar möglich wäre, aber schon bei einer groben Orientierung am elastischen Verhalten verhindert wird.

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Bild 9-14 D4-Bereich

a) Hauptspannungen aus FE-Berechnung b) Spannungsverläufe c) SWM

Der D5-Bereich ist neben dem D1-Bereich der bei weitem häufigst vorkommende D-Bereich. Dasselbe Modell dient in Bild 9-17 zur Veranschaulichung der inneren Kräfte im Steg eines Balkens. Hierbei wird die Notwendigkeit von geschlossenen Bügeln nochmals deutlich.

Bild 9-15 D5-Bereich

a) Hauptspannungen aus FE-Berechnung b) Spannungsverläufe c) SWM; d) Zugkräfte für verschiedene Seitenverhältnisse

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Bild 9-16 D5-Bereich in drei verschiedenen Tragwerken:

a) Grundmodell b) Wandscheibe mit Öffnungen c) Kraftausbreitung aus der Spanngliedverankerung in einer Hohlkastenbrücke d) Ausbreitung von Kabelkräften in einer Brückenplatte

Bild 9-17 Der D5-Bereich erklärt auch Details des Kraftflusses im Balkensteg

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Der Bereich D6 (Bild 9-18) entspricht dem Bereich D5 (Bild 9-15) nur mit angehängter Last. Legt man elastisches Verhalten zugrunde, unterscheidet sich der innere Hebelarm z in beiden Bereichen nicht.

Bild 9-18 D6-Bereich

a) Hauptspannungen aus FE-Berechnung b) Spannungsverläufe c) SWM d) Stabkräfte und Druckstrebenneigung

Bei dem D7-Bereich in Bild 9-20 kann es zweckmäßig sein, statt des einfacheren Modells im Bild 9-20c ein verfeinertes Modell gemäß Bild 9-20d zu verwenden, um die Querzugkräfte T2 aus der Spreizung der Drucktrajektorien direkt am Modell sichtbar zu machen. Beim einfacheren Modell werden die Querzugkräfte als Bestandteil des Druckfeldes berücksichtigt, so dass beide Modelle schließlich auf dasselbe hinauslaufen. Mit wachsendem h/l (Bild 9-20e und Bild 9-20f) vollzieht sich allmählich der Übergang zum D1-Bereich (oben) und D5-Bereich (unten).

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Bild 9-19 D7-Bereich

a) Hauptspannungen aus FE-Berechnung b) Spannungsverläufe c) einfaches SWM d) verfeinertes SWM e) und f) Übergang zum Breich D1 und D5 g) Zugkräfte für verschiedene Seitenverhältnisse

Der typische D8-Bereich in Bild 9-20 ist mit dem Bereich D5 (Bild 9-15) verwandt. Ein Beispiel für den D8-Bereich ist der Bereich zwischen den Öffnungen der Wandscheibe in Bild 9-16b.

Bild 9-20 D8-Bereich

a) Hauptspannungen aus FE-Berechnung b) Spannungsverläufe c) SWM für verschiedene Abmessungsverhältnisse

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Das Modell für den D9-Bereich vereinigt in sich die Modelle D1 (Bild 9-11) und D5 (Bild 9-15).

Bild 9-21 D9-Bereich

a) Spannungsverläufe b) SWM c) Zugkräfte für verschiedene Seitenverhältnisse d) Die Länge des D9-Bereiches im Verhältnis zur Berandung der Gesamtscheibe

Entsprechend findet man im D10-Bereich des Bild 9-22 die Modelle der Bereiche D3 (Bild 9-13) und D8 (Bild 9-20) wieder. Ab h/l > 2 ist die obere und untere Hälfte von D10 identisch mit D9.

Bild 9-22 D10-Bereich

a) Spannungsverläufe b) SWM

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Der D11-Bereich in Bild 9-23 ist typisch für die End-Auflagerbereiche von Balken und wandartigen Trägern. Er lässt sich gut aus B-Bereichen und dem D12-Bereich (Bild 9-24) zusammenfügen und wird deshalb auch als Teil eines größeren D-Bereichs angewendet, beispielsweise bei konzentrierten Lasteinleitungen in Balken, für Auflagerbereiche über Innenstützen von Durchlaufträgern, bei Rahmen-ecken und Rahmenknoten (Bild 9-23a).

In Rahmen stellt er den Übergang vom D12-Bereich zu den B-Bereichen der Stiele und Riegel her. Der D11-Bereich wird, abgesehen vom "Auflager" (Kapitel 9.5.4.3), wie B-Bereiche bemessen. Dies gilt auch noch für die in Bild 9-23c dargestellten, ineinandergeschobenen D11-Bereiche mit entgegengerichteten konzentrierten Kräften F an beiden Bereichsenden, solange der Abstand a dieser Kräfte so groß ist, dass zwischen den beiden fächerförmigen Druckfeldern ein paralleles Druckfeld wie in einem B-Bereich verbleibt, also wenn

)aa(5,0cotza 21 +⋅+θ⋅≥

Bild 9-23 D11-Bereich für Krafteinleitungen:

a) Anwendungen (vgl. Bild 9-24a) b) SWM c) zwei ineinandergeschobene D11-Bereiche

Der D12-Bereich kommt vor allem in Rahmenecken, Rahmenknoten, Konsolen und in Auflagerbereichen mit auflagernaher Last vor (Bild 9-23a und Bild 9-24a). Er ergibt sich, wenn die konzentrierten Kräfte F in Bild 9-23c so nahe zusammenrücken, dass sich die fächerförmigen Druckstreben berühren bzw. überschneiden (Bild 9-24b). Dann bilden sich zwei Lastpfade aus: Der Direkte leitet einen Teil der Last über eine

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direkte Druckstrebe zum Lager, der Indirekte überträgt den restlichen Teil der Last über ein Fachwerk mit Zugstäben Fw (Bügel) zum Lager.

Vereinfacht kann die statisch unbestimmte Stabkraft Fw nach der in Bild 9-24b angegebenen Formel ermittelt werden. Diese Formel entspricht einer linearen Interpolation von Fw zwischen den beiden Grenzfällen Fw = F (nur Fachwerkmodell) bei a ≥ 2 z und Fw = 0 (nur Streben-Zugband-Modell) bei a ≤ z/2. Ein Verfahren zur Berechnung der Stabkräfte in Abhängigkeit von der Beanspruchung durch "Querkraft" und "Längskraft" sowie der Betonfestigkeiten entwickelten Jennewein und Schäfer (1992). In diesem Beitrag finden sich auch viele Hinweise zur zweckmäßigen Anwendung der D11- und D12-Bereiche in Tragwerken.

Bild 9-24 D12-Bereich für Krafteinleitungen:

a) Anwendungen (vgl. Bild 9-23a) b) SWM

9.3.7 Schwierigkeiten beim Entwickeln von Stabwerkmodellen

Das Entwickeln von Stabwerkmodellen muss ebenso erlernt und geübt werden wie andere Ingenieurfähigkeiten, z. B. die Wahl eines geeigneten statischen Systems und dessen Berechnung. Die Anschaulichkeit eines fertigen Stabwerkmodells lässt oftmals die Schwierigkeit der Modellfindung nicht mehr erkennen. Die häufigsten und gröbsten Fehler sind dann (vgl. auch Bild 9-25):

Fehlende Auflagerkraftermittlung

- Formales, rein optisches Verbinden der Lastangriffspunkte mit einem Stab-werknetz, ohne Rücksicht auf Vorzeichen der Stabkräfte mit der Folge, dass Zugstäbe schräg zu den Bauteilrändern verlaufen und Druckstäbe zu nahe am Bauteilrand liegen

- Verbinden ungleich großer Lasten und Reaktionen mit einem Lastpfad

- Kein Knotengleichgewicht

Der letztere Fehler ist meistens schon ohne Berechnung von Stabkräften an den gleichgerichteten Kraftkomponenten aller in einen Knoten einlaufenden Stäben zu

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erkennen, wenn die Druck- und Zugstäbe konsequent unterschiedlich dargestellt werden, z. B. die Druckstäbe gestrichelt und die Zugstäbe mit durchgehender Linie, wie in den hier wiedergegebenen Modellen, oder (deutlicher) die Druckstäbe rot und die Zugstäbe blau.

Manchmal entstehen solche Fehler auch, wenn kinematische Stabwerkmodelle entwickelt werden, ohne dass dabei die Stabkräfte mitverfolgt werden.

Bild 9-25 Modellierungsfehler:

a) Kein Knotengleichgewicht b) Strebenwinkel zu flach c) eine Druckstrebe zu viel, unnötiger Eigenspannungszustand d) falsche Lage der Innenknoten, kein Gleichgewicht im kinematischen System e) Lastpfade mit unterschiedlichen Kräften an beiden Enden, ein Lastpfad fehlt, kein Gleichgewicht im kinematischen System

Mitunter wird kritisiert, dass die Methode der Stabwerkmodelle keine eindeutige Lösung liefert. Dies hat zwei Ursachen. Erstens liegt es im Wesen des Verbundbaustoffs Stahlbeton, dass dessen Tragverhalten wesentlich durch die Bewehrungsführung beeinflusst werden kann. Die Vieldeutigkeit ist also nicht "Schuld" der Stabwerkmethode, sondern eine Folge der Eigenarten des Stahlbetons. Sie wird bei rezeptartig angebotenen Bemessungsverfahren nur verdeckt und verschleiert, mit der Stabwerkmethode hingegen offengelegt und kann somit dazu genutzt werden, das Tragwerk den speziellen Gegebenheiten anzupassen, z. B. hinsichtlich der Betonabmessungen und einer einfachen Bewehrungsführung. Die zweite Ursache der Vieldeutigkeit liegt im Näherungscharakter der Nachweis-methode. Wie viele andere Berechnungsverfahren kann die Stabwerkmethode nicht die im Einzelfall beste oder "richtige" Lösung liefern, sondern nur eine ausreichend gute. Dieses Ziel lässt sich mit einiger Übung im Modellieren immer erreichen. Bedenkt man die Komplexität der gerissenen D-Bereiche aus Beton und Bewehrung,

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die Unsicherheit der Eingangswerte und die vorhandenen Alternativen ("konstruktive Bewehrung" der D-Bereiche, nichtlineare FE-Berechnung), dann ist die mit den Stabwerkmodellen erreichte Zuverlässigkeit der Ergebnisse geradezu erstaunlich.

Dies liegt nicht zuletzt an der Anschaulichkeit des Ergebnisses, das als Bild vorliegt. Diese Anschaulichkeit hat im Hinblick auf Fehlermöglichkeiten und Zuverlässigkeit enorme Vorteile gegenüber undurchsichtigen „Black-Box“-Ergebnissen, wie sie aus vielen Berechnungen entstehen. Manchmal genügt schon das Entwickeln eines Stabwerkmodells, um grobe Fehler zu vermeiden und die "konstruktive Durchbildung" entscheidend zu verbessern, indem z. B. die Notwendigkeit von Be·-wehrung an bestimmten Stellen erkannt wird.

Außer der Lösung für das spezielle Problem verschafft das Entwickeln von Stabwerkmodellen auch ganz allgemein eine vertiefte Einsicht in das Tragverhalten des Konstruktionsbetons, denn die bildliche Darstellung und das Verfolgen des Kraftflusses ist viel einprägsamer, als Worte und Zahlen oder Rechenverfahren.

Die Tatsache, dass einige Modelle immer wiederkehren, beruht darauf, dass es tatsächlich nur sehr wenige Diskontinuitäten mit grundsätzlich unterschiedlichem Kraftfluss gibt. Solche gemeinsamen Grundlagen von Tragwerken zu erkennen, ist sehr lehr- und hilfreich.

9.4 Berechnung der Stabkräfte Die sich ergebenden Modelle sind sehr oft kinematisch, was aber keinesfalls bedeutet, dass das Tragwerk instabil ist, denn kleinste Bewegungen der viereckigen Stabwerksmaschen würden sofort diagonale Druckkräfte im Beton wecken, die das Tragwerk stabilisieren. Man kann so viele Diagonalstäbe im Modell hinzufügen, bis es formal statisch bestimmt ist. Diese "Nullstäbe" erhalten keine nennenswerten Kräfte und haben keine Auswirkungen auf den Kraftfluss.

Kinematische Modelle gelten allerdings nur für einen Lastfall, weshalb die Geometrie eines kinematischen Modells dem speziellen Lastfall angepasst sein muss. Sie wird in den meisten Fällen durch die Gleichgewichtsbedingungen bestimmt, nachdem nur einige wenige Druck- und Zugstäbe gewählt sind. Das Modellieren und die Statik der Stabwerkmodelle sind also bei kinematischen Modellen miteinander gekoppelt.

Die Stabkräfte von statisch bestimmten Stabwerkmodellen können dagegen geometrisch festgelegt und hinterher mit den Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden. Ein solches Modell verkraftet auch unterschiedliche Laststellungen, wobei es aber naturgemäß die unterschiedlichen inneren Kraftflüsse nicht gleich gut repräsentieren kann.

Statisch überzählige Lagerkräfte werden direkt der elastischen Berechnung entnommen, also wie Lasten auf das Stabwerkmodell angesetzt. Manchmal sind auch innerlich statisch unbestimmte Modelle sinnvoll. Für Handrechnungen ist es dann zweckmäßig, das statisch unbestimmte Modell aus zwei oder mehreren statisch bestimmten Modellen zusammenzusetzen (Beispiel in Kapitel 9.6.1). Dabei muss

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jedes Modell für sich alleine das Gleichgewicht mit den ihm zugewiesenen Lasten herstellen können. Die Aufteilung der Lasten auf die einzelnen statisch bestimmten Modelle oder Stäbe kann unter Berücksichtigung der Steifigkeitsverhältnisse und Rissbreitenbegrenzung relativ freizügig gewählt werden.

9.5 Bemessung der Stäbe und Knoten

9.5.1 Bemessungsgrundlagen

Die Bemessung für den Grenzzustand der Tragfähigkeit muss sicherstellen, dass die berechneten Stabkräfte vom Beton und dem Bewehrungsstahl ertragen werden und dass die Kraftüberleitung in den Knoten funktioniert. Außerdem dürfen im Gebrauchszustand keine unzulässig breiten Risse auftreten.

Bei allen folgenden Bemessungsvorschlägen und Beispielen wird davon ausgegangen, dass die Stabkräfte in den Modellen für Lasten berechnet werden, die bereits mit den zugehörigen Teilsicherheitsbeiwerten multipliziert sind. Die Be-wehrung kann dann mit fyd und der Beton mit seiner Druckstrebenfestigkeit σRd,max

angesetzt werden. Nach DIN 1045-1 sollte dabei eine mögliche Verminderung der Druckfestigkeit infolge von Querzugspannungen oder Rissbildung berücksichtigt werden:

cd1max,Rd f0,1 ⋅η⋅=σ für ungerissene Betondruckzonen

cd1max,Rd f75,0 ⋅η⋅=σ für Druckstreben parallel zu Rissen

c

ckcd

ffγ

⋅α=

η1 = 1,0 für Normalbeton

Bei Druckstreben mit kreuzenden Rissen können kleinere Werte erforderlich sein (vgl. hierzu DAfStb-Heft 525).

Die zweite Druckstrebenfestigkeit entspricht der abgeminderten Druckstreben-festigkeit αc · fcd (mit αc = 0,75 η1) beim Querkraftnachweis VRd,max.

Damit können auch andere Druckfelder mit schräg zur Druckrichtung verlaufenden Rissen bemessen werden. Diese Festigkeitswerte sind aus umfangreichen Versuchserfahrungen über Balken abgeleitet und finden sich verknappt auch in den Bemessungsregeln anderer Normen. Ähnliche Ergebnisse lieferten auch Versuche an Scheiben wie die von Collins/ Vecchio (1982), Kolleger/ Mehlhorn (1988) und Schäfer/ Schelling/ Kuchler (1990), solange die Rissbreiten in der üblichen Größenordnung lagen.

Zweiaxialer Druck erhöht die Festigkeit um wenigstens 10 %, was aber im Allgemeinen vernachlässigt wird. Dreiaxialer Druck steigert die Festigkeit noch viel

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weiter, so dass je nach Spannungsverhältnis bis zu 3-fache Festigkeitswerte vertretbar sind, wie sie in den Normen auch für den Sonderfall einer Teilflächen-belastung zugelassen sind.

9.5.2 Bemessung der Zugstäbe

Die Bemessung des Bewehrungsstahls für die Zugkräfte des Modells ist trivial: Der Stahl wird unter Berücksichtigung der Sicherheitsfaktoren mit dem Bemessungswert der Fließgrenze fyd ausgenutzt und so eingelegt, dass seine Schwerachse mit der Stabachse im Modell übereinstimmt.

Die Beschränkung der Rissbreiten im Gebrauchszustand kann zusätzliche Bewehrung erfordern. Die Nachweise für diejenigen Bereiche, in denen gemäß Stabwerkmodell ein Zugstab liegt, kann man nach den Regeln der Normen wie für einen Stahlbeton-Zugstab führen, indem man der Bewehrung eine Wirkungszone Ac,eff zuordnet (Bild 6-5 bzw. DIN 1045-1, Bild 53).

Allerdings können auch in den Tragwerksbereichen, in denen gemäß Stabwerk-modell kein Zug oder gar Druck erwartet wird, Risse auftreten, denn die Anpassung des Kraftflusses im Tragwerk an das gewählte Modell ist mit Verformungen verbunden, die bei schlechter Orientierung des Stabwerkmodells am linear-elastischen Verhalten eventuell schon im Gebrauchszustand zu unzulässigen Rissbreiten führen. Man ordnet deshalb generell eine konstruktive Netzbewehrung an den Tragwerksoberflächen an. Diese Bewehrung verleiht dem Betontragwerk auch eine gewisse Zähigkeit, die eine Voraussetzung für die Anwendung plastischer Bemessungsverfahren ist.

Wenn keine ausreichenden Erfahrungen über die zweckmäßige konstruktive Bewehrung für den Gebrauchszustand vorliegen, kann man eine linear-elastische FE-Berechnung zu Hilfe nehmen oder (sicherer, weil immer auch Zwänge wirken) die risseverteilende Bewehrung nach den üblichen Regeln für Zwang dimensionieren. Dann erhält man allerdings relativ hohe Bewehrungsgrade.

Die Rissgefahr ist bei Einzelrissen, die von einspringenden Bauteilecken oder Einzellasten ausgehen und von der Bewehrung unter spitzem Winkel gekreuzt werden besonders groß. Man sollte dort quer zum Riss Bewehrung zulegen, z. B. eine Diagonalbewehrung in einspringenden zugbeanspruchten Ecken, oder die Bewehrung für geringere Spannungen bemessen. Am besten ist es, die Modelle so zu wählen, dass solche Risse möglichst rechtwinklig von Bewehrung gekreuzt werden (Bild 9-51).

9.5.3 Bemessung der Druckstäbe

Die Druckstäbe stellen in Wirklichkeit zwei- oder dreidimensionale Spannungsfelder mit einer vorherrschenden Druckrichtung dar (Bild 9-26a). Es empfiehlt sich eine Unterscheidung zwischen annähernd prismatischen (parallelen) Druckfeldern, fächerförmigen Druckfeldern und "flaschenförmigen" Druckfeldern (Bild 9-27).

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Bild 9-26 Typische Spannungsfelder und Knoten in D-Bereichen:

a) Hauptspannungen aus FE-Berechnung des typischen Bereichs D3; b) Spannungsfelder mit singulären Knoten III und IV; c) zugehöriges Stabwerkmodell, welches die Querzugkräfte in den Spannungsfeldern und die verschmierten Knoten zeigt

Prismatische Druckfelder kommen hauptsächlich in den B-Bereichen von Stützen und Balken vor. Flaschenförmige Druckfelder sind an mindestens einem Ende eingeschnürt, weil dort in einem "konzentrierten" oder "singulären" Knoten eine konzentrierte Kraft oder Lagerreaktion eingeleitet wird (Bild 9-26b). Die damit verbundene Umlenkung der Spannungstrajektorien verursacht Querdruck-spannungen in der Nähe der Lasteinleitung im "Flaschenhals" des Druckfeldes und Querzugspannungen im bauchigen Bereich. Diese Zugkräfte müssen entweder vom Beton mit seiner Zugfestigkeit oder - besser - durch eine Querbewehrung aufge-nommen werden, denn ein unbekannter Teil der Zugfestigkeit des Betons ist meistens schon für die Aufnahme von Zwangsspannungen verbraucht.

Die fächerförmigen Druckfelder mit starker Einschnürung stellen eine (bereichsweise) Approximation von flaschenförmigen Druckfeldern dar, wobei hier Querdruck und Querzug formal jeweils konzentriert am Ende des Fächers, z. B. im singulären Knoten, auftreten. Sie können deshalb wie flaschenförmige Druckfelder behandelt werden. Fächer mit nur geringer Einschnürung, wie sie in Trägern mit Öffnungen vorkommen, sind wie parallele Druckfelder zu beurteilen.

Für den Nachweis schmaler prismatischer Druckspannungsfelder entlang dem Bauteilrand kann man im Allgemeinen vereinfacht eine gleichmäßige Spannung entsprechend dem Spannungsblock für B-Bereiche annehmen. Die ansetzbare Höhe des Spannungsblocks ist dann höchstens gleich dem doppelten Abstand des Druckstabes vom Bauteilrand. In Querschnitten mit parallelem Druck- und Zuggurt ist die Breite des Druckspannungsfeldes oder die Höhe des Spannungsblocks außerdem im Hinblick auf die Verträglichkeit zu begrenzen. So sollte diese Abmes-sung nicht größer sein, als sie sich bei Annahme einer linearen Dehnungsverteilung mit den Standard-Bemessungsverfahren ergibt. Bei großen Druckzonenabmes-sungen in Scheiben und an einspringenden Ecken mit ihren ausgeprägten Span-nungsspitzen ist der Spannungsblock durch eine zutreffendere Spannungsverteilung zu ersetzen, wenn seine Höhe größer ist als 1/4 der Querschnittsabmessung.

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Grobe Einzelrisse können die Druckfelder eines Tragwerks wesentlich stärker einschnüren, als mit der Annahme stetiger Dehnungsverteilungen unterstellt wird. Sie sind deshalb auch im Hinblick auf die Tragfähigkeit durch geeignetes Modellieren und Bewehren zu vermeiden oder bei der Bemessung zu berücksichtigen (Kapitel 9.5.2).

Bild 9-27 Grundsätzliche Arten von Druckfeldern: a) "Fächer", b) "Flasche", c) "Prisma"

In prismatischen Druckfeldern entlang einem Bauteilrand (Druckgurt) ist die ansetzbare Festigkeit im Allgemeinen gleich dem Bemessungswert der Einaxialfestigkeit fcd. Bei Druckfeldern im Bauteilinneren sind die in Kapitel 9.5.1 angegebenen Abminderungsfaktoren zu berücksichtigen, falls wesentliche Querzugbeanspruchungen oder Risse auftreten können.

Bei flaschenförmigen Druckspannungsfeldern erübrigen sich im Allgemeinen Nachweise von Betonspannungen, weil die maßgebenden Spannungen in der Einschnürung am Knoten auftreten und mit den Knotennachweisen geprüft werden (Kapitel 9.5.4). Wenn allerdings die Einschnürung des Druckfeldes gering ist (a/b > 0,5), oder wenn in der Nähe des Knotens eine Querschnittsschwächung (Aussparung) vorhanden ist, dann müssen dort die Beanspruchungen abgeschätzt und mit den ansetzbaren Festigkeiten nach Kapitel 9.5.1 verglichen werden.

Die Größe der Querzugkraft im flaschenförmigen Druckfeld ergibt sich bei einseitiger Einschnürung aus dem Stabwerkmodell vom D1 Bereich (Bild 9-11) zu höchstens F/4. Sie wird mit zunehmendem Verhältnis a/b geringer, ebenso dann, wenn sich mehrere Druckfelder gegenseitig seitlich abstützen. Bei einem Druckfeld mit Einschnürungen an beiden Enden (wie z. B. in Bild 9-26), tritt die doppelte Querzugkraft auf.

Die aus Bild 9-13 abgeleitete Größe der Querzugkraft geht von linearem Stoffverhalten aus. Sobald sich aber ein Riss in der Druckfeldachse öffnet, lagern sich die inneren Kräfte um, wodurch das Druckfeld "schlanker" und somit auch die Querzugkraft geringer wird (Bild 9-28). Bei exzessiver Anwendung der

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Plastizitätstheorie könnte man für den Tragfähigkeitsnachweis sogar einen prismatischen Druckstab ohne Querzugspannungen zwischen den beiden konzentrierten Knoten annehmen. Im Hinblick auf die Rissbreitenbeschränkung im Gebrauchszustand und die Tragfähigkeit der singulären Knoten (Sundermann/ Schäfer, 1997) sollte man sich aber auch bei der Bemessung der Querbewehrung von Druckfeldern nicht zu weit von der linearen Elastizitätstheorie entfernen. In Druckfeldern von wandartigen Trägern genügt als Querbewehrung im Allgemeinen die beidseitige Netzbewehrung, die ohnehin zur Beschränkung von Rissen aus Zwangswirkungen eingelegt wird.

Bild 9-28 Umlagerung von inneren Kräften bei der Rissbildung:

a) An der Elastizitätstheorie orientiertes Stabwerkmodell, b) Modell für einen Zustand mit Anriss

9.5.4 Bemessung der Knoten

9.5.4.1 Nachweiskonzept Die Knoten des Modells fassen die Kraftumlenkungen der Spannungsfelder zusammen. Sofern diese Kraftumlenkungen sich weiträumig und sehr allmählich in "kontinuierlichen" oder "verschmierten" Knoten vollziehen, wie beispielsweise in den Knoten I und II in Bild 9-26, erübrigt sich eine Überprüfung der Betonspannungen. Ganz anders bei Spannungskonzentrationen in "singulären" oder "konzentrierten Knoten", die bei Krafteinleitungen und in einspringenden Ecken entstehen, wo auch die "Flaschenhälse" der Druckfelder enden. Beispiele dafür sind die Knoten III und IV in Bild 9-26. Diese singulären Knoten sind die wirklich heiklen Punkte eines Stahlbetontragwerks. Eine sichere Bemessung sowie die sorgfältige Durchbildung dieser Knoten ist äußert wichtig.

Obwohl zahlreiche Möglichkeiten für die konstruktive Durchbildung von singulären Knoten bestehen (und obwohl sich daher alle etwas unterschiedlich verhalten), gleichen sich die Kräfte im Wesentlichen immer über direkte Betondruckspannungen im Knoteninneren aus. Auch "Verbund" ist eine Kraftüberleitung mittels Beton-druckspannungen, die sich auf die Rippen der Bewehrungsstäbe (Bild 9-33) oder auf die Innenseite abgebogener Stäbe (Bild 9-37) abstützen.

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Es ist zwar mit vertretbarem Aufwand nicht möglich, die komplexen individuellen Verhältnisse eines jeden Knotenbereichs quantitativ zu erfassen, die Erfahrung zeigt aber, dass einige Knotentypen und Details immer wiederkehren und dass dafür vereinfachte, auf der sicheren Seite liegende Nachweisverfahren angegeben werden können. Es wird vorgeschlagen, die Knotenbereiche der konzentrierten Knoten geradlinig zu begrenzen. Bei den im Knotenbereich herrschenden hohen Spannungen sind beträchtliche plastische Spannungsumlagerungen vor dem Versagen möglich, weshalb nicht die Betonspannungen an einzelnen Punkten mit Dreiaxialfestigkeiten verglichen werden, sondern am Knoten angreifende Kräfte mit dem zugehörigen Widerstand (Traglast) oder - was auf dasselbe herauskommt - gemittelte Spannungen mit einem Bemessungswert des Betons. Gegebenenfalls ist auch die Sicherheit der Bewehrungsverankerungen nachzuweisen.

Im Wesentlichen gibt es vier unterschiedliche Grundtypen von Knoten. Diese vier Grundtypen werden im Folgenden vorgestellt:

- Bügelknoten

- Druckknoten

- Endauflager- bzw. Druck-Zug-Knoten

- Knoten mit Bewehrungsumlenkung

- Weitere Varianten und Kombinationen

9.5.4.2 Reine Druckknoten (CCC-Knoten) Reine Druckknoten entstehen beispielsweise in den druckbeanspruchten einspringenden Ecken von Konsolen und unter Einzellasten, die senkrecht auf einen Scheibenrand einwirken. Die Kräfte der Druckstäbe gleichen sich in einem Knotenbereich aus, der zwei- oder dreiaxial nur auf Druck beansprucht wird.

In den dreieckigen Knotenbereichen, auf die sich drei Druckstäbe abstützen (Bild 9-29), sind die beiden Hauptdruckspannungen σc0 und σc1 nachzuweisen. Wenn die Begrenzungsflächen des Knotens senkrecht zu den Druckstäben gewählt werden, ergibt sich ein (ebener) hydrostatischer Knoten, in dem die Spannungen in allen Richtungen gleich groß sind und deshalb nur in einer Begrenzungsfläche, z. B. unter der Lastplatte berechnet werden müssen.

Die Knotenspannungen in ebenen Druckknoten dürfen die Zweiaxialfestigkeit des Betons nicht überschreiten. DIN 1045-1 10.6.3 empfiehlt, die Bemessungsdruckspan-nungen für Druckknoten auf

σRd,max = 1,1 · η1 · fcd

zu bemessen. Bei genauerem Nachweis sind hier auch höhere Werte zulässig.

Voraussetzung für den Ansatz obiger Betonfestigkeit ist, dass im "Druckknoten" keine wesentlichen Querzugkräfte in der "dritten" Richtung, also senkrecht zur betrachteten Knotenebene, auftreten.

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Am Beispiel des Knotens K2 (Bild 9-29), der unter einer Einzellast oder in der einspringenden Ecke einer Konsole auftritt, werden die erforderlichen Nachweise erläutert. Die Höhe a0 des Knotens ist wählbar. Da die Spannungsintensität von der Stelle der Krafteinleitung C1 weg abnimmt, ist es realistisch und zwäckmäßig, a0 so groß zu wählen, dass die Spannungen σc2 und σc3 in den anschließenden Druckfeldern nicht maßgebend werden. Ein ebener hydrostatischer Spannungs-zustand

3c2c1c0c σ=σ=σ=σ

liegt vor, wenn:

32

10 tantan

aaθ+θ

= (9.2)

Nachweise:

1. max,RdbaC1

11c σ≤

⋅=σ (9.3)

2. max,Rd0

baC0

0c σ≤⋅

=σ (9.4)

Der 2. Nachweis erübrigt sich, wenn a0 > a0,vorh, weil dann σc0 < σc1. Die Nachweise σc2 ≤ σRd,max und σc3 ≤ σRd,max sind automatisch erfüllt.

Bild 9-29 Knoten K2

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Knoten K3 ist Teil eines größeren Knotenbereichs (Knoten K4). Die Höhe a2 ergibt sich meistens aus einer Dehnungs- und Spannungsverteilung in einem Schnitt (Schnitt 2-2) senkrecht zu C2. Oft wird der Knoten dadurch bemessen, dass in diesem Schnitt ein Standardnachweis für M und N durchgeführt wird (vgl. Übung zur Bemessung einer Konsole).

Bild 9-30 Knoten K3

Nachweise:

1. max,RdbaC1

11c σ≤

⋅=σ (9.5)

2. max,RdbaC2

22c σ≤

⋅=σ (9.6)

Die Nachweise für 3cσ und 4cσ sind damit ebenfalls erbracht.

Knoten K4 setzt sich aus zwei Knoten K3 zusammen. Die Nachweise sind analog Druckknoten K3 zu führen, jedoch sind anstelle von σc2 und C2 die Werte σc0 und C0 zu verwenden.

Bild 9-31 Druckknoten K4

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Knotenbereiche, in denen vier und mehr (in einer Ebene liegende) Stäbe zusammentreffen, kann man aus mehreren aneinandergrenzenden dreieckigen Knotenbereichen zusammensetzen (Bild 9-31) oder man kann für die Knoten-bemessung jeweils zwei eng benachbarte Druckstreben zu einer Resultierenden zusammenfassen.

In räumlichen Druckknoten genügt der Nachweis der Pressung in der Krafteinleitungsfläche mit der Dreiaxialfestigkeit, wie sie in den Normen für Teil-flächenbelastung angegeben ist. Selbstverständlich sind auch die meistens in einigem Abstand von der Krafteinleitungsfläche auftretenden Querzugkräfte abzudecken (Bild 9-32).

Bild 9-32 Teilflächenbelasteter Knoten

9.5.4.3 Druck-Zug-Knoten (CTC-Knoten) Den so bezeichneten Knotentyp findet man sehr häufig bei konzentrierten Krafteinleitungen in der Nähe einer Tragwerksecke, z. B. am Endauflager von Balken oder Scheiben und unter Einzellasten auf Scheibenecken und Konsolen. Die meist näherungsweise senkrecht auf die Betonoberfläche wirkende Druckkraft wird durch eine im Knoten verankerte Bewehrung in die schräge Strebenrichtung umgelenkt (Bild 9-33a). Dabei hat die Druckkraft das Bestreben, sich im Beton auszubreiten. An den Knotenbereich einer konzentrierten Lasteinleitung schließt sich deshalb ein flaschen- oder fächerförmiges Druckfeld an.

Durch einen Überstand der Bewehrung über den eigentlichen Auflagerbereich hinaus wird ein Teil der zu verankernden Bewehrungszugkraft über Druckspannungen "von hinten" auf den Knoten abgesetzt (Bild 9-33b bis d). Diese verteilten Druck-spannungen lenken die Drucktrajektorien der Druckstrebe über die Knotenhöhe allmählich um und vergrößern die wirksame Knotenhöhe. Damit ist auch erklärt, warum sich die Verankerungslänge einer Bewehrung über den eigentlichen Auflagerbereich hinaus nach "hinten" erstrecken darf. In den Stabwerkmodellen erscheint diese Zugkraft hinter dem Auflager nicht, weil sie mit den sie abstützenden Betondruckspannungen eine Gleichgewichtsgruppe bildet (Bowdenzug-Prinzip).

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Bild 9-33 a) Bewehrungverankerung am Endauflager Verbund innerhalb des Knotens

b) Verankerung durch die Ankerplatte hinter dem Knoten c) Modell für den Verbund innerhalb des Knotens und "dahinter" d) Modell für Schlaufenverankerung durch radial wirkenden Druck und Verbund

Der Spannungs- und Dehnungszustand im Knotenbereich ist äußerst kompliziert. Aus dem Bewehrungsüberstand entsteht Druck im Beton in Richtung der verankerten Bewehrung, andererseits wird der Beton in derselben Richtung durch die im Verbund liegende zugbeanspruchte Bewehrung erheblich gedehnt, wobei der Schlupf einen wichtigen Einfluss hat. Hinzu kommt, dass es sich bei Verbundverankerungen immer um räumliche Spannungszustände handelt, denn zur Umlenkung der am Knoten angreifenden Druckfelder durch die Bewehrung müssen sich die Drucktrajektorien auf die Bewehrungsstäbe abstützen und werden dabei auch in der "dritten Richtung" umgelenkt. Es entstehen hohe lokale Druckspannungen an den Rippen der Bewehrung und Querzugspannungen senkrecht zur Haupttragebene, wie sie beispielsweise mit dem Modell in Bild 9-34 aufgezeigt werden können (Sundermann/ Schäfer 1997).

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Der Bemessungswert der aufnehmbaren Druckspannungen muss die im Knoteninnern auftretenden ungleichmäßigen Spannungsverteilungen und den Einfluss quergerichteter Zugspannungen aus der Verbundverankerung berücksichtigen. DIN 1045-1 begrenzt die Bemessungsbruchspannungen im Druck-Zug-Knoten ohne genaueren Nachweis auf:

cd1maxRd, f75,0 ⋅η⋅=σ

Dieser Grenzwert liegt 25% unter der Einaxialfestigkeit, was aber nicht ausschließt, dass bei guter Modellierung (großer Strebenwinkel θ) und besonders sorgfältiger Knotenausbildung (mehrere Bewehrungslagen und Querbewehrung) auch die volle Einaxialfestigkeit erreicht werden kann. Sehr günstig auf die Knotenfestigkeit wirkt sich auch die Querdehnungsbehinderung durch Reibung in der Auflagerfläche aus, die Querdruck im Knotenbereich erzeugt. Die Größenordung dieser Reibung ist jedoch nicht zuverlässig abzuschätzen. Andererseits kann die Festigkeit bei sehr ungünstiger Knotenausbildung auch geringer sein, wobei 0,6 · fcd praktisch einen unteren Grenzwert darstellt.

Bild 9-34 Modellvorstellung (Grundrissprojektion) der Verankerung

gerader Stabenden im Endauflager einer Scheibe

Der Stand des Wissens in dieser praktisch wichtigen Frage ist nicht befriedigend. Großmaßstäbliche Versuche hinsichtlich der Bemessungswerte von Knoten in Abhängigkeit von der Knotenausbildung fehlen. Modellversuche mit Mikrobeton haben die vermuteten Unterschiede aber bestätigt (Sundermann/ Schäfer 1997).

Für die praktische Bemessung von konzentrierten Knoten mit Bewehrungs-verankerung wird empfohlen, den Knotenbereich in der Ebene des Stabwerkmodells entsprechend Bild 9-35 zu idealisieren. Man denkt sich dabei jede Bewehrungslage durch eine Schicht ersetzt, die über die gesamte Bauteildicke b durchläuft, und nimmt konstante Spannungen über die Bauteildicke an.

Die mittleren Spannungen werden dann in den Knotenrändern zu den beiden Druckstreben nachgewiesen. Dabei kann man sich die Grenzfläche zur schrägen Druckstrebe sägezahnförmig berandet vorstellen und erhält so recht einfach die Spannung in Richtung der Druckstrebe, indem die Druckstrebenkraft durch die Projektionsfläche Ac = ai · b geteilt wird. Die Spannung in der Fläche der Kraftein-leitung entspricht der Lagerpressung.

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Beim Knoten K6 wird die Bewehrung über die wirksame Höhe u verteilt, in welcher die Druckspannungsfelder umgelenkt werden. Bei Scheiben sollte diese wie folgt gewählt werden:

,h15,0u ≈

h20,0≤

l20,0≤

h: Höhe D-Bereich,l: Stützweite der Scheibe

In Anlehnung an Baumann (1988) wird u folgendermaßen angesetzt:

0u = bei einlagiger Bewehrung, die nicht über das umgelenkte Druckfeld übersteht (Bild 9-35a).

0s2u = bei einlagiger Bewehrung, die über das Druckfeld um mindestens 2s0 übersteht (Bild 9-35b).

s)1n(s2u 0 ⋅−+= bei n-lagiger Bewehrung mit dem Lagenabstand s und einem Überstand um mindestens 2s0 bzw. s/2

Bild 9-35 Knoten K6 - Rechnerische Knotenhöhe u

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Einlagige Bewehrung ist möglichst nahe bei der Lasteinleitung C1 (also am Bauteilrand) anzuordnen. Bei mehreren Bewehrungslagen ist es günstig, die Bewehrungsmenge der einzelnen Lagen unterschiedlich zu wählen und zwar am größten für die Bewehrungslage direkt über dem Auflager, weil die Umlenkung des Druckfeldes dort am stärksten ist.

Nachweise:

1. max,Rd

1

11c ba

Cσ≤

⋅=σ

2. max,Rd

2

22c

2

1

1c

sincotau

1ba

Cσ≤

θ⋅⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛θ⋅+

σ=

⋅=σ

3. Verankerungslänge nach Norm: net,bdir,b l3/2l ⋅≥ , mit net,bl nach DIN 1045-1, Abschnitt 12.6.2 bzw.

Kapitel 4.3

4. Querzugbewehrung konstruktiv

Die Betonspannungen aus der Verankerung der Bewehrung (hohe Druckspannungen unter den Stahlrippen und Querzugspannungen aus der Umlenkung dieser Druckspannungen) werden traditionell durch mittlere zulässige Verbundspannungen oder zulässige Verankerungslängen begrenzt. Hierzu wird auf die Normen verwiesen, in deren Regelungen bezüglich der Bewehrungsverankerung auch die Begrenzung der Verformungen (Schlupf der Bewehrung) ein wichtiges Kriterium ist. Die Normen berücksichtigen auch die günstige Wirkung von Querdruckspannungen (senkrecht zum verankerten Bewehrungsstab), z. B. über Auflagern.

Wichtig ist, dass die Verankerungslänge dort beginnt, wo die quer zum verankerten Stab verlaufenden Druckspannungstrajektorien umgelenkt werden. Über einem Auflager also stets an der Auflagervorderkante. Der zu verankernde Stab ist dann zumindest bis zum anderen Ende des Knotenbereichs zu führen, bzw. bei ver-schmierten Knoten, bis an den Rand des durch ihn umzulenkenden Druck-spannungsfeldes, um auch die äußeren Drucktrajektorien einzufangen (Bild 9-26).

Zur Knotenbemessung gehört schließlich noch die Betrachtung der "dritten Richtung". Die Ausbreitung der Verankerungskräfte senkrecht zur Haupttragebene (d. h. in Dickenrichtung einer Scheibe) kann ebenfalls mit Stabwerkmodellen veran-schaulicht werden und auch die Abschätzung der Querzugkräfte ist damit möglich. Dies ist beispielsweise notwendig, wenn die Lagerbreite geringer als die Bauteildicke ist. Im Allgemeinen genügt es aber, die Bewehrung im Knotenbereich sinnvoll zu verteilen und eine konstruktive Querbewehrung einzulegen.

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9.5.4.4 Zug-Druck-Knoten (TCT-Knoten) Diese Knoten kommen vor allem in Rahmen- und Scheibenecken ohne direkte Lasteinleitung und gelegentlich auch noch als Bewehrungsaufbiegung in Balken vor. Sie verbinden in ihrer einfachsten Form zwei Zugstäbe eines Stabwerkmodells mit einer dazwischen liegenden Druckstrebe.

Knoten K9 ist der typische Knoten im Zuggurt von Balken, in dem die schrägen Betondruckstreben durch Bügel aufgehängt werden (Bild 9-36). Dabei handelt es sich eigentlich um einen in Balkenlängsrichtung verschmierten Knoten. Der Bügelknoten kommt aber auch oft in den freien Ecken von Scheiben vor und zeichnet sich besonders dadurch aus, dass ein zum freien Bauteilrand hin laufender Zugstab des Modells auf kürzeste Länge unmittelbar am Bauteilrand verankert werden kann. Diese Verankerung muss im Wesentlichen durch die Haken der Bügel oder Schlaufen bewerkstelligt werden. Man wählt deshalb relativ geringe Stabdurchmesser und enge Stababstände für die Bügelbewehrung und lässt sie die andere (Gurt-) Bewehrung umgreifen.

Die Druckspannungen der schrägen Druckstreben sind bei den parallelen Druckfeldern der Balken in DIN 1045-1 auf

cd1maxRd, f75,0 ⋅η⋅=σ

begrenzt. Außerdem sind die üblichen Regeln für die Bügelformen einzuhalten.

Bild 9-36 Knoten K9

a) Zwischenverankerung bzw. Krafteinleitung b) Sonderfall Endverankerung (T2 = 0)

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Nachweise:

Die Nachweise sind vereinfachend wie für den Balken zu führen:

1. cd1maxRd,1

11c f75,0

baC

⋅η⋅=σ≤⋅

Kann nur bei sehr starker, eng liegender Bewehrung maßgebend werden.

2. Verankerungslänge der Bewehrung für die Differenzkraft T1 - T2. Die Verankerungslänge kann vergrößert werden, wenn im Eckbereich eine orthogonale Bewehrung eingelegt wird (Bild 9-41).

3. Verankerung der Bewehrung T3: Über die Verankerungslänge gut verteilte dünne Stäbe (vgl. Balken)

Bei Knoten K10 genügt im Allgemeinen die Einhaltung der zulässigen Biegerollenradien nach Norm als Knotennachweis. Lediglich bei mehrlagiger Bewehrung kann die (mittlere) Betondruckspannung in der Druckstrebe kritisch werden, die dann begrenzt werden muss.

cd1maxRd,c f75,0ba

C⋅η⋅=σ≤

⋅=σ

θ⋅= sinda m

Dabei ist θ der kleinere der beiden Winkel zwischen Druck- und Zugstrebe. Die Krümmungsradien sollten möglichst groß gewählt werden. Die Ecken können durch zusätzliche Schlaufen gesichert werden. Im Hinblick auf die Querzug-beanspruchungen ist eine gleichmäßige Verteilung mehrerer abgebogener Stäbe über die Bauteildicke anzustreben, wobei die an der Betonoberfläche liegenden äußeren Stäbe im Bereich der Krümmung von Bügeln umfasst werden müssen.

Bild 9-37 Knoten K10 (Umlenkung von Bewehrung)

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9.5.5 Zusammenfassende Regel für die Bemessung

Da die singulären Knoten Einschnürungsstellen der Spannungsfelder darstellen, genügt zur Sicherstellung der Tragfähigkeit eines ganzen D-Bereichs folgendes Vorgehen:

a) Bemessung der Bewehrung für die Zugkräfte aus dem Stabwerkmodell

b) Wahl / Bemessung der Querbewehrung für die flaschenförmigen Druckfelder

c) Bemessung der konzentrierten Knoten:

- Entwurf der Knotengeometrie in Abhängigkeit der angreifenden Kräften,

- Nachweis der mittleren Betonspannungen in orthogonalen Knotenschnitten bzw. in den Knotenrändern,

- Nachweis sicherer Verankerung der Bewehrung im Knoten anhand von:

Verankerungslänge,

Krümmungsradius bei Bewehrungsumlenkungen,

Aufnahme der Querzugkräfte in der dritten Richtung durch konstruktive Querbewehrung, falls nicht die Betonzugfestigkeit dafür erfahrungs-gemäß ausreicht.

Es sei hier nochmals betont, dass die angegebenen Abmessungen, Spannungen und Festigkeiten nicht die Wirklichkeit abbilden, sondern als Vergleichswerte zu verstehen sind, mit denen mittelbar ein brauchbares Verhalten des Knotens nachgewiesen werden kann. Das vorgeschlagene Bemessungsverfahren offenbart immerhin die bei der Knotenausbildung zu beachtenden konstruktiven Gesichts-punkte und ermöglicht eine vergleichende Bewertung unterschiedlicher Ausführungs-varianten.

9.6 Beispiele Einige Beispiele sollen die Anwendung der Methode erläutern. Bei der Bemessung wird im Folgenden immer unterstellt, dass die Stabkräfte für die γ-fachen Lasten, also unter Berücksichtigung der Teilsicherheitsbeiwerte auf der Lastseite, ermittelt worden sind.

9.6.1 Querschnittssprung in einem Balken oder einer Platte

Bild 9-38a zeigt den zu untersuchenden D-Bereich eines Balkens mit positivem bzw. negativem Moment (zur Vereinfachung ohne Querkraft).

Ohne viel nachzudenken, würde man vielleicht im Fall des positiven Momentes die untere Gurtbewehrung des niedrigeren Trägers mit der normgemäßen Verankerungslänge in dem höheren Trägerbereich verankern und dessen Gurtbewehrung am Querschnittssprung aufbiegen. Beim Träger mit negativem Moment könnte man ebenfalls auf den Gedanken kommen, die obere Gurtbewehrung im dickeren Bereich zu verankern und auf der Druckgurtseite eine

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konstruktive Oberflächenbewehrung vorzusehen, die dann ebenfalls am Querschnittsrand hochgeführt wird. Wie falsch und gefährlich eine solche gedankenlose Bewehrungsführung ist, zeigen die folgenden Stabwerkmodelle:

a) Lastfall positives Moment (Bild 9-38b)

Die inneren Hebelarme der Gurtkräfte in den angrenzenden B-Bereichen weisen im Beispiel etwa ein Verhältnis von 1:2 auf. Die am D-Bereich links anzusetzenden Gurtkräfte sind also doppelt so groß wie die Gurtkräfte auf der gegenüberliegenden Seite des D-Bereichs. Um gleich große Kräfte der gegenüberliegenden Ränder durch Lastpfade miteinander verbinden zu können, müssen die Gurtzugkraft und das Druckspannungsdiagramm am linken Rand aufgeteilt (in diesem Falle halbiert) werden. Zur Verdeutlichung sind die beiden Lastpfade für diese Gurtkräfte nebeneinander gezeichnet.

Der geradlinige Lastpfad für die Druckgurtkraft C2 ist naheliegend, die Zuggurtkraft T2 muss allerdings auf ihrem Weg durch den D-Bereich in der Höhe versetzt werden. Um gekrümmte und schief geführte Bewehrungsstäbe zu vermeiden, werden die Lastpfade der Zugstäbe soweit gerade in den D-Bereich hineingeführt, dass ihre Kräfte über eine schräge, rückwärts gerichtete Druckstrebe abgetragen werden können.

Die jetzt noch übrigen Gurtkraftanteile auf der linken Seite des D-Bereichs müssen eine U-Schleife bilden, die so weit in den hohen Trägerbereich hineinreicht, dass ihre Umlenkkräfte die Knoten des geknickten Zuggurt-Lastpfades ins vertikale Gleichgewicht bringen. Wie in Bild 9-3 gezeigt, wird der Zuglastpfad gerade geführt, während der Drucklastpfad einen Knick erhält. Dieser Knick wird so platziert, dass ein senkrechter Zugstab den hier entstandenen Knoten mit dem unteren Zuggurtknoten verbindet.

Das so erhaltene Stabwerkmodell zeigt, dass der Schwerpunkt der Verankerungslänge für die Gurtbewehrung einen beträchtlichen Abstand vom Querschnittssprung hat, und dass dieser Abstand von der Neigung der Druckstrebe, also auch von der Stärke der Vertikalbewehrung abhängt. Weiterhin macht das Modell klar, dass die Vertikalbewehrung mit ihrer vollen Kraft in der geringen Druckzonenhöhe zu verankern ist, was mit einer aufgebogenen Gurtbewehrung aus dicken Stäben kaum möglich ist, sondern Bügel erfordert (Bild 9-38b unten, Kapitel 4). Diese Bügel müssen über die Verankerungslänge der unteren Gurtbewehrung verteilt werden, was alle Knoten des Modells ein Stück nach rechts verlagert und damit auch die Einbindelänge für die andere Gurtbewehrung vergrößert. Nicht selten muss aus solchen erst bei der Bemessung erkannten Gründen ein ursprüngliches Modell verbessert werden, wobei dann aber die Topologie des Modells insgesamt erhalten bleibt.

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Bild 9-38 Balken mit Querschnittssprung

a) Ausschnitt mit B- und D-Bereichen b) Lastpfade, entsprechende Stabwerkmodelle und statisch erforderliche Bewehrungen für positives Moment, c) Lastpfade, entsprechende Stabwerkmodelle und statisch erforderliche Bewehrungen für negatives Moment, Lastfall negatives Moment

b) Lastfall negatives Moment (Bild 9-38c)

Die Lastpfadmethode, analog dem vorigen Lastfall angewendet, liefert ein bemerkenswert unterschiedliches Stabwerkmodell, obwohl die beiden D-Bereiche sich nur durch das Momentenvorzeichen unterscheiden; ein Ergebnis, das mit keiner elastischen Berechnung erzielt werden kann und der Eigenart der Stahlbetonbauweise gerecht wird. Der formale Unterschied liegt darin, dass an die Stelle des Zick-Zack-Lastpfades für den unteren Zuggurt ein durchgehender, bereichsweise schräg verlaufender Drucklastpfad tritt. Die Ursache hierfür ist, dass die Druckkräfte in jeder Richtung im Beton abgetragen werden können, während die Zugkräfte einer baupraktisch ausgerichteten Bewehrung folgen müssen.

Ein zunächst erstaunliches Ergebnis des Modells (Bild 9-38c) ist, dass beträchtliche Vertikalzugkräfte in einigem Abstand vom Querschnittssprung auftreten, die beispielsweise bei Plattenbrücken mit den üblichen Kragplatten im Allgemeinen nicht erkannt wurden (Bild 9-39). Man kann sie auch als Spaltzugkräfte für die Druckgurtkraft aus dem Kragarm erklären.

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Standardisierte Nachweise für den Träger mit Höhensprung findet man bei Jennewein/ Schäfer (1992).

Bild 9-39 Einleitung des Kragplattenmoments in eine Brückenplatte:

a) Querschnitt mit D-Bereich, b) Stabwerkmodell, c) Bewehrung

9.6.2 Abgesetzte Auflager

Der D-Bereich des ausgeklinkten Trägerendes ist mit dem D-Bereich des Beispiels in Kapitel 9.6.1a) verwandt, unterscheidet sich aber wesentlich durch die relativ hohe Querkraftbeanspruchung. Da die am D-Bereich angreifenden horizontalen und vertikalen Kräfte von gleicher Größenordnung sind, eignet sich die Lastpfadmethode weniger gut zu Modellfindung. Das Modell in Bild 9-40a kann man, von rechts beginnend, aus dem Fachwerkmodell für Balken und, von links her, aus dem Streben-Zugbandmodell einer Konsole entwickeln; wobei die Verankerung der Zugbandkraft TA im Trägerinnern auch analog Bild 9-40c oder auch entsprechend Bild 9-38a mit zwei Druckstreben erfolgen kann. Eine Optimierung mit den Kriterien nach Kapitel 9.3.5 i) zeigt aber, dass das hier gewählte Modell besser ist. Mit etwas Erfahrung kann man dies auch daran erkennen, dass der Lastpfad der Querkraft vom Auflager weg in einer Zick-Zack-Linie mit gleichsinnig geneigten Diagonalen sein Ziel findet.

Nach gängiger Praxis wird die Auflagerkraft F1 des Balkens in Bild 9-40a neben dem hochgezogenen Auflager hochgehängt (T1 = F1). Die Kräfte aus dem vollständigen Stabwerkmodell zeigen jedoch klar, dass es nicht genügt, die Bewehrung für T1 einfach zur üblichen "Schubbewehrung" für die vertikalen Zugkräfte T'3 = V/z · cot θ hinzuzufügen. Tatsächlich treten noch zusätzliche vertikale Zugkräfte T2 = F1 auf, weil die horizontale Zugkraft des hochgezogenen Auflagers verankert werden muss. Diese Zugkraft T2 verteilt sich über eine Länge l2 < l3, weshalb T'2 deutlich größer als T'3 ist. Wenn, wie üblich, zusätzlich eine Horizontalkraft am hochgezogenen Auflager wirkt, wird die Menge der notwendigen senkrechten Bügelbewehrung noch weiter erhöht (siehe Bild 9-40c).

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Bild 9-40 Balken mit abgesetztem (hochgezogenem) Auflager:

a) Modell und Bügelkräfte bei senkrechter Aufhängebewehrung b) Bewehrung, c) Modell für Horizontalkraft am Lager

Bei obigem Modell ist die erforderliche Einbindelänge der horizontalen Auflager-bewehrung TA bereits mit dem Strebenwinkel θ1 der Auflagerstrebe festgelegt, denn die Strebe zwischen den Knoten 1 und 2 muss aus Gleichgewichtsgründen parallel dazu sein (kinematisches Modell). Der Knoten 1 stellt den Schwerpunkt der Veran-kerungslänge dar.

Ein prinzipiell anderes Tragverhalten ergibt sich, wenn die Gurtstäbe aufgebogen oder Schrägbügel angeordnet werden (Bild 9-41a). Die Schrägstäbe hängen die ankommende Last über dem Lager in den Druckgurt ein. Problematisch ist dabei die Verankerung im Druckgurt, die bei dicken Gurtstäben meist nur mit Ankerkörpern gelingt. Theoretisch tritt unten an der Nase keine horizontale Zugkraft auf, dennoch ist dort eine Bewehrung nötig, um ein Abreißen der Nase entlang der Schrägstäbe zu verhindern. In Wirklichkeit stellt sich nämlich immer eine Kombination der vorher beschriebenen Tragwirkungen mit einer entsprechenden Zugkraft TA ein (Bild 9-41b).

Die höchste Tragfähigkeit wird mit einer Bewehrung für die Kombination beider Tragmodelle erzielt (Bild 9-41c). Die Schrägbewehrung vermindert auch die Breite des von der einspringenden Ecke ausgehenden Risses. Man sollte den Anteil der Schrägbewehrung aber nicht über 70 % wählen. Das kombinierte Modell erleichtert auch die Verankerung der Diagonalstrebe in der Nase.

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Bild 9-41 Auflagerbereich eines Trägers mit abgesetztem Lager:

a) Modell bei Schrägbewehrung b) Kombination der Modelle nach Bild 9-40 a und Bild 9-41 a c) Bewehrung zum kombinierten Modell

Der Knoten 2 in der unteren Ecke in Bild 9-40a entspricht dem Bügelknoten in Kapitel 9.6.1 (Bild 9-38). Für die Bügel sind entsprechend kleine Stabdurchmesser zu wählen. Die Verankerung von Gurtbewehrung und Bügeln in der unteren Ecke wird, wie man mit verfeinerten Modellen zeigen kann, auf eine größere Länge verteilt, wenn horizontale und vertikale Steckbügel im unteren Eckbereich zugelegt werden (Bild 9-42).

Bei großen Abmessungen der Auflagernase und fehlender Diagonalbewehrung ist für den Querzug in der Auflagerstrebe (Kapitel 9.5.3) eine "Stegbewehrung", ähnlich wie in einer Konsole angebracht, die abhängig von der Strebenneigung horizontal oder vertikal oder in beiden Richtungen angeordnet wird.

Bild 9-42 Vergrößerung der Verankerungslänge der Gurtbewehrung im unteren Eckbereich

durch Bügelzulagen (Knoten 2 in Bild 9-41a): a) verfeinertes Stabwerkmodell, b) prinzipielle Bewehrungsführung

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9.7 Rahmen

9.7.1 Einleitung

Die biegesteife Verbindung von Stützen und Riegeln bietet sich bei der monolithischen Stahlbetonbauweise an. Für die biegesteife Verbindung von Stäben aus Stahl oder Holz ist dagegen ein erheblicher zusätzlicher Aufwand für die "Anschlüsse" nötig. In diesem Kapitel wird das charakteristische Tragverhalten und die Bewehrungsführung von Rahmenecken aus Stahlbeton mit der Methode der Stabwerkmodelle erklärt.

Dabei zeigen sich wesentliche Unterschiede zwischen den Rahmenecken mit "negativem" (schließendem) und "positivem" (öffnendem) Moment, die aus dem unterschiedlichen Verhalten des Betons auf Druck bzw. Zug resultieren. Rahmenecken mit negativer Momentenbeanspruchung treten sehr häufig in "unverschieblichen", d. h. horizontal ausgesteiften Tragwerken auf (z. B. in Geschossbauten mit Wänden oder einem Kern), während Rahmenecken mit positiven Momenten viel seltener, vor allem in verschieblichen Tragwerken unter Horizontalbelastung entstehen. Bei Rahmenknoten mit drei und mehr Stäben kommen aber beide Fälle immer kombiniert vor (Bild 9-23).

9.7.2 Rahmeneck mit negativem (schließendem) Moment

Bild 9-43 Spannungen in Rahmenecken im Zustand I: a) Hauptspannungsbild einer Rahmenecke b) und c) Spannungsverteilungen im Diagonalschnitt einer Rahmenecke mit negativem Moment

Die Abgrenzung der D-Bereiche zeigt zunächst, dass ein Stück des Riegels und des Stiels zum D-Bereich gehört. In Bild 9-43a ist auch eine bereits vor der Ecke

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beginnende allmähliche Umlenkung der Biegezugspannungen σ1 aus dem Riegel in den Stiel zu erkennen. Die Biegedruckspannungen σ1 schnüren sich zur Ecke hin ein und werden dort sehr scharf umgelenkt, wobei an der einspringenden Ecke Spannungsspitzen auftreten (Bild 9-43b und c). Diese sind nach der Elastizitäts-theorie zwar unendlich groß, werden aber vom Beton mit seinen plastischen Eigen-schaften vergleichmäßigt. Die Umlenkung der Spannungen σ1 erzeugt radial von der Innenecke ausgehende hohe Druckspannungen σ2, die zur Außenecke hin auf Null abnehmen (Bild 9-43c), da ja die äußerste Ecke wegen der Randbedingungen spannungslos sein muss.

Aufgrund des Trajektorienbildes bieten sich das Modell und die Bewehrungsführung von Bild 9-44 an. Dabei ist der innere Hebelarm im Riegel- und Stielanschnitt des Rahmens jeweils genauso groß wie in den anschließenden B-Bereichen, weshalb man auch die Riegel- und Stielbereiche bis zum Riegel- und Stielanschnitt mit den Standardbemessungsverfahren wie B-Bereiche bemessen kann. Es sind dies typische D11-Bereiche entsprechend Bild 9-23 in Kapitel 9.3.6.

Bei hochbeanspruchten Rahmenecken sollte der Kraftfluss in der Innenecke durch eine Voute oder Ausrundung verbessert werden. Hierdurch ergeben sich größere Hebelarme und es sind auch größere Biegeradien der Gurtbewehrung möglich. Der Krümmungsradius der Gurtbewehrung sollte aufgrund der Umlenkkräfte möglichst groß sein, wobei andererseits der innere Hebelarm im eigentlichen Eckbereich keinesfalls kleiner sein darf als in dem angrenzenden Riegel oder Stiel. Zweckmäßig ist ein Biegeradius von r ≈ 0,6 bis 0,8 · hStiel (bzw. 0,6 bis 0,8 · hRiegel, wenn hRiegel < hStiel).

Zur Aufnahme der Querzugkräfte aus den Umlenkkräften sind Umfassungsbügel nötig, welche die äußeren Gurtstäbe gegen seitliches Ausbrechen sichern (Kapitel 9.5.4.4).

Bild 9-44 Rahmenecke mit gleichen Abmessungen von Stiel und Riegel: Modell und

statisch erforderliche Bewehrung

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Bild 9-45 Beispiel für Übergreifung der Eckbewehrung

mit Hakenschlaufen

Bild 9-46 Rahmenecke mit unterschiedlichen Abmessungen von Stiel und Riegel:

a) einfaches Modell b) dazu falsche Detaillösung c) besseres Stabwerkmodell d) Bewehrung dazu

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Der Stoß von Gurtstäben nahe der Rahmenecke sollte vermieden oder mit Muffen durchgeführt werden. Bei mäßigen Bewehrungsgraden ≤ 0,4 % (BSt 500 und C 20/25) und ds ≤ d/20 ist auch ein Stoß mit sich übergreifenden Hakenschlaufen nach Bild 9-45 möglich, wobei innerhalb der Haken oder Schlaufen Querstäbe gegen ein mögliches Spalten des Querschnitts einzubauen sind. Mit dieser Bewehrungsart lassen sich Arbeitsfugen zwischen Decken und Wänden einfach herstellen, und für die Wandschalung kann eine über die Wandhöhe überstehende Systemschalung verwendet werden. Die Stäbe in der Wand-Deckenkante sind auch als konstruktive Bewehrung für eventuell auftretenden Zugkräfte aus einer (rechnerisch nicht erfassten) Faltwerkwirkung zweckmäßig. Eine solche Bewehrungsanordnung wird auch dann gewählt, wenn in der statischen Berechnung vereinfachend ein Gelenk in der Rahmenecke angenommen wurde.

Das einfache Modell in Bild 9-44 ist nur brauchbar, wenn die inneren Hebelarme zR und zS des Riegels bzw. Stiels nicht stark voneinander abweichen und die gesamte Gurtbewehrung von Stiel und Riegel gemäß Bild 9-44b um die Ecke herumgeführt wird. Wenn nun bei stark unterschiedlichen Hebelarmen versucht wird, das Bild 9-44a entsprechende Stabwerkmodell (Bild 9-46a) konstruktiv umzusetzen, indem für die unterschiedlichen Gurtkräfte T1 und T2 entsprechend unterschiedlich bewehrt wird (wie in Bild 9-46b geschehen), so zeigt sich, dass die Umlenkkraft aus den abgebogenen Gurtstäben mit der Druckstrebe des Modells nicht zusammen passt und sich die Verankerungskraft der Gurtstäbe nicht mit der Umlenkkraft in einem Knoten vereinigen kann. Dies hat zu dem in Bild 9-46b dargestellten Schaden geführt. So wird deutlich, dass trotz Gleichgewichtsmodell bei einer mangelhaften konstruktiven Detaillösung das Gleichgewicht missachtet werden kann.

Werden die beiden Gurtkräfte aus dem Riegel als Belastung des Stiels betrachtet (Bild 9-47), so ist die hohe "Querkraftbelastung" im Eckbereich zu erkennen, die in der Berechnung des statischen Systems überhaupt nicht vorkommt, aber meistens viel größer ist, als die am System berechneten Querkräfte. Weiterhin wird deutlich, dass der Strebenwinkel des einfachen Modells in Bild 9-46a viel zu spitz ist. Wird ein Fachwerkmodell mit einem Strebenwinkel von 45° gewählt (Bild 9-46c), dann ergibt sich unabhängig von der Verankerungslänge als Summe der Horizontalkräfte die Differenz der beiden Gurtzugkräfte im Stiel und im Riegel:

∑ −=∆= 123 TTTT

Dafür sind horizontale Steckbügel gemäß Bild 9-46d einzulegen, oder es sind Bügel (analog zu Stützen) in entsprechend engeren Abständen im Eckbereich anzuordnen.

Eine geringere Bügelmenge ergibt sich bei der Bemessung des Rahmen-Eckbe-reichs als typischen D12-Bereich nach Kapitel 9.3.6 (Bild 9-24). Dabei entspricht die Riegel-Gurtkraft T1 in Bild 9-46a der Querlast F in Bild 9-24b, der innere Hebelarm des Riegels entspricht dem Abstand a der Kräfte F in Bild 9-24b, wo die Bügelkräfte mit Fw bezeichnet sind.

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Außer den Bügeln ist die ausreichende Verankerungslänge der Stielbewehrung für die Kraft ∆T = T2 - T1 nach Bild Bild 9-46c und d bzw. nach den Regeln für den typischen D12-Bereich nachzuweisen. Der Nachweis des konzentrierten Druck-knotens in der Innenecke (ein typischer Knoten entsprechend Bild 9-29) ist mit der Standardbemessung der Riegel- und Stielanschnitte für Moment und Normalkraft erbracht.

Bild 9-47 Schubbeanspruchung des Rahmeneckbereichs:

a) Beanspruchung des Eckbereichs auf Querkraft durch die Gurtkräfte des Riegels b) dickeres Stegblech im Eckbereich eines geschweißten Stahlrahmens c) Spannungstrajektorien im Schubfeld

Die hohe Querkraftbeanspruchung des Rahmeneckbereiches entsprechend Bild 9-47a findet man in geschweißten Rahmenecken von Stahlrahmen als hohe Schubbeanspruchung des Stegblechs wieder. Dieses muss deshalb unter Um-ständen dicker als im Riegel oder Stiel ausgeführt werden (Bild 9-47b). Wird vereinfachend und auf der sicheren Seite liegend angenommen, dass das ganze Moment alleine von den Flanschen abgetragen wird, dann betragen die Schub-spannungen

τxzS

R

S R

Tt h

Mt h h

=⋅

≈⋅ ⋅

(9.7)

Zusammen mit σx = σy = 0 ergeben sich daraus betragsmäßig gleich große Hauptspannungen σ1 = - σ2 = τxz, die gegenüber den Achsen um 45° geneigt und im

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gesamten Eckbereich konstant sind. Die zugehörigen, in Bild 9-47 c dargestellten Trajektorien sind typisch für ein Schubfeld. Bei der Rahmenecke aus (gerissenem) Beton entfallen alle Zugtrajektorien außer den der Bewehrung folgenden Linien. Wegen des Gleichgewichtes am Rand des Schubfeldes müssen dann auch alle Drucktrajektorien, außer derjenigen zwischen den Ecken, verschwinden. Übrig bleibt das Stabwerkmodell von Bild 9-46 a (bzw. Bild 9-46 c, wenn das Schubfeld bewehrt wird).

Umgekehrt tragen in einem dünnen, ausbeulenden Eckblech aus Stahl die Drucktrajektorien nur geringe Kräfte, wodurch sich dann im Wesentlichen eine Tragwirkung mit einem Diagonalstab in der anderen Richtung einstellt. Die Form dieses Modells wird bei der Stahlbeton-Rahmenecke mit positivem Moment wieder auftauchen, wobei dort allerdings Druck und Zug vertauscht werden müssen (Bild 9-48).

9.7.3 Rahmenecken mit positivem (öffnendem) Moment

Die Spannungen für das positive Moment ergeben sich nach der Elastizitätstheorie einfach durch Vorzeichenumkehr aus Bild 9-43. Das einfache Standardmodell für negative Momente (Bild 9-44a) lässt sich aber (nach Vorzeichenumkehr der Kräfte) auf Rahmenecken mit positivem Moment nicht übertragen, weil die großen radialen Zugkräfte nicht in der Innenecke konzentriert verankert bzw. in die Zuggurt-bewehrung eingeleitet werden können.

Bild 9-48 Rahmenecke mit geringem positivem Moment:

a) einfaches Modell, b) zugehörige Bewehrung

Das ebenfalls einfache Modell von Bild 9-48 weicht so stark vom Kraftfluss nach der Elastizitätstheorie ab, dass entsprechend bewehrte Rahmenecken nur sehr geringe Tragfähigkeiten haben. Der äußere Eckbereich mit der Druckgurtumlenkung trennt sich vorzeitig ab und die konzentrierte Verankerung der Zuggurtbewehrung innerhalb der Duckzonenhöhe ist kaum möglich. Die Nachweise der Knoten entsprechend dem typischen Knoten von Bild 9-37 offenbaren diese Schwierigkeiten. Lediglich mit angeschweißten Ankerplatten und einer (konstruktiven) Querbewehrung der

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diagonalen Druckstrebe (Bild 9-48b) oder durch Zulage von Bügeln, die eine allmähliche Umlenkung des Druckgurts ermöglichen, lassen sich befriedigende Tragfähigkeiten erreichen. Bild 9-49 zeigt letztere Möglichkeit in einer Rahmenecke, bei der von vornherein durch die ungleichen Abmessungen von Stiel und Riegel günstigere Voraussetzungen vorliegen: der (hohe) Riegelanschnitt ist nur gering beansprucht und die großen Stielgurtkräfte können umgelenkt bzw. verankert werden.

Bild 9-49 Rahmenecke mit ungleichen Stiel- und Riegelabmessungen:

a) einfaches Modell b) verfeinertes Modell (Ausschnitt) für die Verankerung einer Bewehrungs- zugkraft auf kurzer Länge mittels Zulagen in Form von Bügeln oder Schlaufen c) verfeinertes Gesamtmodell d) Bewehrung dazu

Um dieses Problem zu umgehen und das Abspalten des Druckgurts infolge der radialen Zugspannungen zu verhindern (Bild 9-43 mit Vorzeichenumkehr), muss man entweder die innenliegende Gurtbewehrung in Schlaufenform um die Ecke herumführen oder gut verteilte Schrägbügel anordnen (Bild 9-50b und c). Das zugehörige Stabwerkmodell (Bild 9-50a) macht den Verlauf der inneren Kräfte bewusst und zeigt, wo die Bewehrungskräfte verankert werden. Eine Kombination beider Bewehrungsarten von Bild 9-50 ist auch hier besser als jede einzelne.

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Wegen der Umlenkung des Druckgurtes bereits vor dem Eckbereich (wie beim Zuggurt in Bild 9-43a) und dem damit verbundenen Querzug sollte beim Nachweis des Betondruckgurts am Anschnitt des Stiels bzw. Riegels nur eine abgeminderte Betondruckfestigkeit angesetzt werden. Im Betonkalender wird vorgeschlagen, die Betondruckfestigkeit auf 0,6 fcd abzumindern. Dies führt bei hohen Bewehrungs-graden zu einer deutlichen Verminderung der Momententragfähigkeit MRd,Rahmen gegenüber gleichbewehrten B-Bereichen, die durch einen Wirkungsgrad η = MRd,Rahmen / MRd < 1 charakterisiert werden kann.

Ein erheblicher Nachteil dieser Bewehrungsführung ist die Abweichung der Bewehrungsrichtungen in der einspringenden Ecke von der Richtung der größten Hauptzugspannungen um ca. 45° (Bild 9-43). Diese Abweichung kann, besonders bei hohem Bewehrungsgrad mit dicken Gurtstäben, zu einem klaffenden Diagonalriss führen (Bild 9-51), der auch die Druckzone einschnürt und zu einer stärkeren Abminderung des Wirkungsgrades η am Anschnitt führt.

Bild 9-50 Rahmenecke mit mäßigem positivem Moment:

a) Modell, b) und c) alternative Bewehrungen dazu

Bild 9-51 Gefahr von unzulässig großen Verformungen und Richtung einer zweckmäßigen

Schrägbewehrung an einspringenden Bauteilecken

Modelle mit Schrägstäben an der Ecke sind viel günstiger aber auch komplizierter (Bild 9-52). Die Schrägzulagen helfen einen breiten Diagonalriss zu vermeiden. Wie

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das Stabwerkmodell erkennen lässt, wird die Zugkraft der Diagonalstäbe durch die Bügel neben der Ecke weitergeführt. Die Bügel lenken den Druckgurt wie beim elastischen Kraftfluss bereits vor dem Anschnitt allmählich um und rechtfertigen dort eine höhere Ausnutzung des Betons mit 0,8 · fcd (aus Betonkalender). Die Anschnittsbereiche hoch beanspruchter Rahmenecken sind deshalb gut zu verbügeln. Auf die Vorteile einer Eckabschrägung wurde bereits in Kapitel 9.7.2 hingewiesen.

Bild 9-52 Rahmen mit hohem positivem Moment:

a) Modell, b) und c) zwei alternative Bewehrungen dazu

In Bild 9-53 sind Versuchsergebnisse für verschiedene Bewehrungsführungen mit-einander verglichen. Stabwerkmodelle für die in Bild 9-53 unten dargestellten Bewehrungsarten würden sofort offen legen, warum damit so geringe Tragfähigkeiten erreicht werden.

Ebenso wichtig wie die Bewehrungsführung in der Rahmenebene ist die Verteilung der Bewehrung im Querschnitt. Zwei in den Ecken des Querschnitts liegende schlaufenförmig gebogene Stäbe oder zweischnittige Bügel können im allgemeinen nicht die ganze Breite des umgelenkten Druckgurtes abstützen, da dieser innerhalb der Umlenkbewehrung liegt, also insbesondere bei Schlaufen mit großer Überdeckung einen kleineren Hebelarm hat. Es sollten deshalb immer mindestens 3 bis 4 Umlenkstäbe (Schlaufen) oder vierschnittige Bügel verwendet werden.

Bei hoher Beanspruchung der Rahmenecke platzt die Betondeckung des umgelenkten Druckgurtes ab (Bild 9-54). Zur Betondeckung muss man hierbei alle nicht zurückverankerten Betonflächen zählen:

Übliche Betondeckung der Bügel

+ Bügeldurchmesser

+ ≈ 1/3 des Abstands der Verankerungsstäbe

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Bild 9-53 Bezogene Tragfähigkeit MRu von Rahmenecken mit verschiedenen

Bewehrungsarten bei positivem Moment, abhängig vom Bewehrungsgrad

Man darf diese abplatzenden Betonbereiche beim Nachweis der Grenztragfähigkeit nicht mit anrechnen und somit nicht die für gerade Balken übliche Höhe ausnutzen. Als grober Anhaltswert für die zulässige Ausnutzung kann der nach üblicher Bemessung ermittelte Bewehrungsgrad ρ ≈ 0,8 % (für BSt 500, C 20/25) in den Anschnitten der Rahmenecke dienen. Bei Rahmen mit Plattenbalkenquerschnitt darf die Platte nicht als Teil des Druckgurts mitgerechnet werden, es sei denn, man sieht dort eine radiale Steife mit entsprechender Radialbewehrung vor (Bild 9-60).

Bild 9-54 Ausbrechen der Druckzone bei positivem Moment

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Stumpfwinklige Ecken

Auch bei Stäben mit einem Knick der Stabachse von weniger als 90° gelten die gleichen Grundsätze und eignen sich dieselben Bewehrungsarten wie für rechtwinklige Ecken. Je kleiner der Knickwinkel, desto geringer sind die radialen Umlenkkräfte, und umso besser können diese durch Bügel aufgenommen werden (Bild 9-55).

Wird bei Platten auf die Bügel verzichtet, dann sind die Betonzugspannungen zu prüfen. Auch hier ist es nicht möglich, in der Ecke gleich große (positive) Momente wie in den anschließenden B-Bereichen zu übertragen. Fast immer muss, um die Abminderung des Hebelarms durch den Ausfall der Betondeckung im Eckbereich auszugleichen, eine stärkere Bewehrung im Eckbereich eingelegt werden, als sich für den Anschnitt nach üblicher Bemessung ergeben würde.

Bild 9-55 Trägerbereich mit Knick unter stumpfem Winkel bei

positivem Moment: Modell und Bewehrung

9.7.4 Rahmenecke eines Hohlkastenträgers

Wie können die Kräfte aus dem Hohlkastenträger in Bild 8-47 in die abstützenden Wände übertragen werden? Meistens werden Querschotte im Hohlkastenträger angeordnet, und zwar entweder zwei in Verlängerung der Wände (Bild 8-47c) oder, weil das innere Schott schwer herzustellen ist, nur eines am Ende des Hohlkastenträgers (Bild 9-56b). Die beste Lösung, nämlich eine diagonale Wand, offenbart sich nicht gleich.

Bild 9-56 Ein Hohlkastenträger und seine Auflagerwände: a) Ansicht und Querschnitte

b) und c) Längsschnitte ohne bzw. mit innerem Querschott

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a) Die Rahmenecke mit nur einem Querschott am Trägerende (Bild 9-56b):

Im Grundmodell für die Übertragung eines negativen ("schließenden") Momentes in einer Rahmenecke stellt eine Druckdiagonale das Gleichgewicht zwischen den Zuggurt- und Druckgurtkräften von Riegel und Stiel her (Bild 9-44a). Allerdings kann diese Diagonalkraft bei dem Hohlkastenträger nur durch die beiden Stege übertragen werden, weshalb sich auch die Gurtkräfte, die in den B-Bereichen über die ganze Breite der Deck- und Bodenplatte verteilt sind, an den Eckknoten auf die geringe Breite der Stege einschnüren müssen (Bild 9-57b und f). Diese Kraftumlenkungen erfordern zunächst einmal eine erhebliche Querbewehrung in der unteren Gurtplatte des Trägers und in der auf Druck beanspruchten Wandscheibe entsprechend den Standardmodellen in den Bildern Bild 9-57c und e (vgl. hierzu auch Bild 9-16). Querzug entsteht ebenfalls in der oberen Gurtplatte (Bild 9-57b) und in der auf Zug beanspruchten Auflagerwand (Bild 9-57c und g), denn die um die Ecke gebogene Rahmenbewehrung muss in den Stegen liegen, wo sie die schräge Druckstrebe C3 abfängt. Des Weiteren muss sie mit der Bewehrung der oberen Gurtplatte und der äußeren Wand "gestoßen" werden. Diese Bewehrungen sind aber in den B-Bereichen über die ganze Breite b der Gurtplatte bzw. Zugwand verteilt. Wegen des gegenseitigen horizontalen Abstandes der zu stoßenden Bewehrungen sind die in der Norm festgesetzten Übergreifungslängen hier nicht ausreichend. Bild 9-57g zeigt ein verfeinertes Modell für einen solchen Zugstoß.

Betrachten wir nochmals die Druckstäbe C1, C2 und C3 im Grund- und Aufriss, so wird klar, dass sich die zugehörigen Spannungsfelder durch den Flaschen-hals des konzentrierten Knotens 2 hindurchzwängen müssen, dessen Abmes-sungen durch die Bauteildicken von Pfeilerwand, Steg und unterer Hohlkasten-platte beschränkt sind. Dieser Knoten wird die Betonabmessungen der genannten Bauteile diktieren, da die große Breite b der Hohlkastenplatte nicht als Druckzone genutzt werden kann. Die Problematik dieser Konstruktion wäre bei einer üblichen Querschnittsbemessung nicht erkannt worden.

Ein ähnliches Problem würde auch am Knoten 1 entstehen, wenn die Be-wehrung im Steg scharf um die Ecke gebogen würde (Bild 9-57a). Viel besser ist es, die Bewehrung mit einem größeren, auf die Abmessungen der Rahmenecke abgestimmten Radius zu biegen (Bild 9-58). Dadurch wird auch der Querzug in den Stegen aus der Kraftausbreitung des Steg-Druckfeldes weitgehend vermieden.

Würde man des Weiteren auch die untere Hohlkastenplatte zwischen den beiden Wänden weglassen, so würde dies der (schlechten) konstruktiven Lösung keinen zusätzlichen Nachteil hinzufügen. Benötigt wird entweder keine oder, wie gleich gezeigt wird, zwei senkrecht aufeinander stehende Aussteifungsscheiben.

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Bild 9-57 Stabwerkmodelle für das Tragwerk ohne inneres Querschott:

a) einfaches Modell, b) obere Hohlkastenplatte, c) linke Auflagerwand d) Steg, e) rechte Auflagerwand, f) untere Hohlkastenplatte g) verfeinertes Modell für den in b) und c) schematisch dargestellten Zugstoß

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Bild 9-58 Modell und zugehörige Gurtbewehrung mit angepasstem

größerem Biegeradius

Bild 9-59 Stabwerkmodelle für das Tragwerk mit innerem Querschott:

a) obere Hohlkastenplatte, b) linke Auflagerwand, c) Grundmodell für den Steg, d) rechte Auflagerwand, e) untere Hohlkastenplatte f) verfeinertes Modell für den Steg mit verschmierten Kräften

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b) Die Rahmenecke mit zwei Aussteifungsscheiben:

Auch hier können sich die Gurtkräfte in der Rahmenecke nur über die Stege ausgleichen, so dass die Umlenkung der Kräfte zu den Stegen hin ebenso wie die Notwendigkeit einer Querbewehrung der Gurtplatten und der abstützenden Wände bestehen bleibt (Bild 9-59). Anstelle des Ausgleichs der Kräfte in singulären Knoten werden die Gurt- und Wandkräfte nun jedoch gut verteilt über die ganze Länge der Aussteifungsscheiben eingeleitet (Bild 9-59c) oder mit anderen Worten: Die Gurtplatten und Wände sind nicht mehr an zwei Punkten, sondern längs zweier Kanten gestützt (Bild 9-59f). Durch das zusätzliche Querschott wird also die Tragfähigkeit der Rahmenecke erheblich gesteigert.

c) Die Rahmenecke mit diagonalem Schott:

Die konstruktiv beste Lösung für das diskutierte Problem ist eine diagonale Scheibe, die dem Modell in Bild 8-35a folgt. Diese Anordnung (Bild 8-51) vermeidet nicht nur die konzentrierten Knoten, sondern auch die Querbewehrung in den Gurtplatten und den Wänden. Lediglich die Ausbreitung der Auflagerkraftanteile C3 aus der Querkraft des Hohlkastenträgers, die konzentriert aus den Stegen eingeleitet wird, erfordert eine Querbewehrung im oberen Bereich der Druckwand (Bild 8-51b).

Bild 9-60 Tragwerk mit diagonalem Schott:

a) Modell für die Stege b) Modell für die Abtragung der Riegelquerkraft in der Druckwand

Die Untersuchungen an diesem Beispiel zeigen, dass sich die Stabwerkmodelle nicht nur für die Bemessung unregelmäßiger Tragwerksbereiche eignen, sondern auch beim Entwurf guter konstruktiver Lösungen sehr hilfreich sind.

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9.7.5 Rahmenknoten

9.7.5.1 Rahmenknoten mit durchlaufendem Riegel

Bei Innenstützen mehrstieliger Rahmen mit verhältnismäßig kleinen Stützenkopf-momenten MSt ist es oft ausreichend, die Stützenbewehrung lediglich um die Verankerungslänge lb in den Riegel einzubinden (Bild 9-61a), da dort Biegedruck-spannungen aus den anschließenden Riegeln quer zur Stützenbewehrung wirken. Jedoch ist diese Verankerung der Stützenbewehrung nur dann unproblematisch, wenn die Biegezugbeanspruchungen aus den Stielmomenten von der Stielnormal-kraft überdrückt werden. Für den anderen Fall zeigt das Stabwerkmodell in Bild 9-61b, dass dann die Bewehrung in der Dickenrichtung des Riegels bis zum Zuggurt nach oben geführt und dort verankert werden muss, damit ein Kraftausgleich möglich ist (Bild 9-61b, rechts). Bei einer Verankerung mittels Schlaufen müssen diese die obere Gurtbewehrung umfassen. Besser ist es, die Stützenbewehrung wie bei Rahmenecken mit negativem Moment (9.7.3) in den Riegel abzubiegen. Das Modell in Bild 9-61b zeigt auch, dass die Bügel zur Querkraftübertragung aus dem rechts einlaufenden Riegel eventuell bis in den Kreuzungsbereich hinein verlegt werden müssen, weil die Druckzone des Stieles auch als "Auflager" für den rechten Riegel im Stielquerschnitt links liegt.

Wenn die beiden Riegelmomente im gleichen Drehsinn am Knoten wirken (Bild 9-62), kann man sich das Tragverhalten aus demjenigen einer Rahmenecke mit positivem und einer Rahmenecke mit negativem Moment zusammengesetzt denken.

Bild 9-61 Rahmenknoten aus Stütze und durchlaufendem Riegel mit entgegengesetzt

drehenden Riegelmomenten, Modelle und Bewehrung für: a) Druck im ganzen Stielquerschnitt, b) Stiel mit Zuggurt

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Bild 9-62 Rahmenknoten aus Stütze und durchlaufendem Riegel mit gleichsinnig

drehenden Riegelmomenten: Einfaches Modell und Bewehrung

9.7.5.2 Rahmenknoten mit durchlaufendem Stiel

Meistens wirken die beiden Stielmomente im gleichen Drehsinn auf den Riegel und es überlagern sich dann auch hier die Wirkungen der Rahmenecke mit schließendem und öffnendem Moment.

Das Modell in Bild 9-63 zeigt, dass der Druckgurt des oberen Stiels im Eckbereich durch die Zuggurtkraft des Riegels umgelenkt werden muss. Wie bei den Rahmenecken mit positivem Moment bereitet die Verankerung der Gurtkraft im konzentrierten Knoten eins Schwierigkeiten. Eine in den Riegel gebogene Gurtbewehrung aus dem unteren Stiel kann dieses Problem nicht lösen (Bild 9-46). Man benötigt zur Verankerung zusätzlich Bügel oder Schlaufen im Eckbereich, bei relativ hohen Riegeln außerdem noch Bügel für den bereits in Bild 9-46 erklärten Querzug.

Bild 9-63 Randknoten eines Stockwerkrahmens:

a) Modell b) zugehörige Bewehrung mit zusätzlichen Bügeln zur besseren Verankerung der Gurtkraft T2 im Knoten 1

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Grundsätzlich legt man die Bügel auch im Kopf- und Fußbereich von Stützen (D-Bereich!) enger als im B-Bereich, z. B. nach DIN 1045-1 im 0,6-fachen Abstand. Damit werden konstruktiv die bei Bewehrungsverankerungen auftretenden Zugkräfte berücksichtigt, bzw. die Betondruckfestigkeit wird durch Querdehnungsbehinderung erhöht. Diese Wirkung wird beispielsweise dann benötigt, wenn Druckbewehrung von Stützen im Rahmeneckbereich nicht für die volle Kraft verankert werden kann oder wenn Zugbewehrung im Druckgurt verankert wird (Bild 9-64c).

9.7.5.3 Kreuzung von Stiel und Riegel Für den Rahmenknoten mit durchlaufendem Stiel und Riegel bieten sich zunächst die zwei einfachen Modelle der Bild 9-64a und b an: Das Modell in Bild 9-64a, wo die Gurtbewehrungen innerhalb des Kreuzungsbereichs von Stiel und Riegel verankert werden, stellt keine gute Lösung dar. Denn dabei müssen auch relativ große Zugkräfte in der Diagonalen übertragen werden (eine wegen der Verankerung der Diagonalbewehrung auch wenig praktikable Lösung (Kapitel 9.7.4)). Viel günstiger ist es, die Gurtbewehrungen wie in Rahmenecken abzubiegen (Bild 9-64b) oder sie gerade durch den Knoten durchzuführen und im gegenüberliegenden Bauteil zu verankern (Bild 9-64c). Die Gefahr eines breiten Diagonalrisses im Kreuzungsbereich ist dann auch wesentlich geringer.

Die beiden dargestellten Modelle können dadurch abgeleitet werden, dass man den Knoten aus jeweils zwei Rahmenecken mit positivem bzw. negativem Moment zusammensetzt. So kann auch das Tragverhalten veranschaulicht werden. Bei anderen Rahmenknoten lassen sich ebenfalls geeignete Modelle und Bewehrungs-führungen aus denen für Rahmenecken und Durchlaufträger entwickeln. Dabei sollten die Gurtstäbe möglichst so in das quer verlaufende Bauteil eingebogen werden, dass sich die Tragwirkung wie in einer Rahmenecke mit negativem Moment ausbilden kann oder sie sollten gerade durch den Knoten geführt werden.

Wenn solche Gurtstäbe in der Druckzone des gegenüberliegenden Bauteils verankert werden (z. B. in den Bereichen A in Bild 9-64c), dann überlagern sich im Anschnitt die Druckkraft C1 = T1 aus der Verankerung und die ohnehin vorhandene Druckgurtkraft C2 zu möglicherweise unzulässig hohen Druckbeanspruchungen (Bild 9-64c). Dies wird bei der üblichen Bemessung rechnerisch nicht berücksichtigt, weshalb solcherart doppelt beanspruchten Bereichen die Druckfestigkeit des Betons für die Gurtkraft nicht voll ausgenutzt werden sollte.

In den Knoten von Wänden und Platten oder Stützen und Platten sind grundsätzlich die gleichen Bewehrungsführungen wie in Rahmenknoten möglich, wobei jedoch meist auf eine Bügelbewehrung verzichtet wird.

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Bild 9-64 Rahmenknoten aus durchlaufendem Riegel und durch-

laufendem Stiel, Modelle und Bewehrung für: a) ungünstiges Tragverhalten b) günstiges Tragverhalten c) günstiges Tragverhalten, jedoch erhöhte Druck- beanspruchung im Verankerungsbereich A

9.8 Konsolen

9.8.1 Allgemeines

Aus Stützen oder Wänden auskragende Konsolen sind in ihrem Tragverhalten mit Rahmenknoten (Kapitel 9.7.5) verwandt. Sie tragen ihre Lasten wie eine Rahmenecke mit negativem Moment ab (Bild 9-65a), wenn im oberen Stützen-anschnitt keine oder nur geringe Zugkräfte T3 wirken. Die aufgehängte Konsole (Bild 9-65b) entspricht in ihrem Tragverhalten der Rahmenecke mit positiven Momenten (vgl. Bild 9-52a und c). Bei Konsolen mit Gurtzugkräften T2 und T3 in

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beiden Stützenanschnitten (Bild 9-64c) überlagern sich beide Tragwirkungen. Wegen der Rissbreitenbeschränkung ist eine (evtl. zusätzliche) Schrägbewehrung nahe der oberen Ecke zu empfehlen (vgl. auch Bild 9-51).

Für unten angehängte Lasten oder mittelbare Lasteinleitung, z. B. durch einen Kranbahnträger, zeigen die Bild 9-66a und b zwei charakteristische Modelle, deren Kombination bei der Bewehrungsführung eine günstige Risseverteilung liefert (Bild 9-66c). Hierbei sollten die Gewichte der beiden Modelle abhängig von den Gurtkräften der anschließenden Stützen gewählt werden.

Bild 9-65 Modelle und zugehörige Bewehrung von Konsolen

(ohne konstruktive Bewehrung und Querzug- bewehrung für Druckfelder): a) Abtragung der Last der Konsole nach unten b) angehängte Konsole c) Kombination der Tragwirkungen aus a) und b)

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Wie in den obigen Beispielen gezeigt, müssen die Modelle immer den ganzen D-Bereich, also auch die anschließenden Stützen oder Wände, mit erfassen. Es genügt nicht, die in den Anschnitten erforderliche Bewehrung einfach um die Verankerungslänge in die Stütze oder Wand einzubinden, ohne die Kräfte weiter zu verfolgen.

Die Kräfte im Beton und in der Bewehrung ergeben sich wie immer aus den Lasten und dem gewählten Stabwerkmodell. Als Lasten sind auch Horizontalkräfte H aus behinderter Längenänderung der lastbringenden Bauteile zu berücksichtigen (Bild 9-67).

Druckstreben, Bewehrung und Knoten können nach Kapitel 9.5 bemessen werden, wobei die Ausbreitung der Druckfelder zwischen den konzentrierten Knoten der einfachen Modelle durch eine zusätzliche Querzugbewehrung zu berücksichtigen ist, die bevorzugt horizontal oder vertikal, möglichst "senkrecht" zur Druckrichtung, verlegt wird (Bild 9-68).

Bild 9-66 Konsolen mit angehängter Last oder mittelbarer Lasteinleitung:

a) und b) einfache Modelle möglicher Tragwirkungen c) zugehörige Bewehrung (ohne konstruktive Bewehrung) für die Kombination beider Tragwirkungen

Bild 9-67 Horizontalkräfte, z. B. aus behinderter Verformung der aufgelagerten Bauteile

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Bild 9-68 In Konsolen können zusätzliche Bügel (für T4 und T5) nötig sein

9.8.2 Bemessung

Bei der üblichen Art von Konsolen nach Bild 9-69a kann der auskragende Teil in folgender Weise bemessen werden:

a) Abgrenzung des auskragenden Teils und Bestimmung der erforderlichen Knotenabmessungen des Knotens 2 in der einspringenden Ecke:

Dazu wird ein senkrechter Schnitt im Abstand a1 von der einspringenden Ecke so geführt, dass die Querkraft in diesem Schnitt gerade gleich Null ist (Bild 9-69b). Bei Annahme konstanter Betondruckspannungen fcd in der Randzone des Stützenanschnitts ist

cd

Ed1 fb

Fa

⋅= (9.8)

Somit wird die Druckzone der Stütze durch den geführten Schnitt genau in der Weise auf zwei Lastpfade aufgeteilt, wie es sich nach der Lastpfadmethode (Kapitel 9.3.3) zwangsläufig ergibt. Zugleich wird auch der Bild 9-29 ent-sprechende dreieckige Druckknoten in der einspringenden Ecke durch den geführten Schnitt in zwei dreieckige Knotenbereiche aufgeteilt, die sich über horizontale Druckspannungen σc0 aufeinander abstützen.

Die erforderliche Knotenhöhe a0 ergibt sich aus

cd0

00c f

baC

≤⋅

=σ ,2/ad

cFz

cFC

0

EdEd0 −

⋅=

⋅= zu

cd

Ed2

cd

00 f

cbF2dd

fbCa ⋅

⋅−−=

⋅= (9.9)

Alternative: Allgemeines Bemessungsdiagramm vgl. Übung KI II

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b) Bewehrung für T1:

2/ad2/aaF

zcFT

0

1EdEd1 −

+⋅=⋅= (9.10)

yd

11s f

TAerf =

Der Nachweis für T1 und für die Knotenabmessung a0 kann durch eine Biegebemessung im genannten Schnitt mit den üblichen Bemessungshilfen für Rechteckquerschnitte ersetzt werden (Nutzhöhe d, Moment MEd = FEd ⋅ c nach Bild 9-69b). Diese Biegebemessung führt zum gleichen Ergebnis wie die anderen Nachweise, wenn die Bewehrung beim Versagen die Fliessgrenze erreicht, und liefert ein besseres (niedrigeres) Ergebnis für die Tragfähigkeit, wenn die Höhe a0 des Spannungsblocks im Verhältnis zur Querschnittshöhe zu groß gewählt wurde. Dann ist nämlich die Annahme eines Spannungsblocks nicht mehr vertretbar (Kapitel 9.5.3). Dies gilt auch bei hohen, wandartigen Konsolen, bei denen besser mit einer dreiecksförmigen Druckspannungs-verteilung für σc0 gerechnet wird, wodurch sich der Hebelarm z etwas verringert.

Bild 9-69 Standardkonsole:a) Gesamtmodell, b) auskragender Teil

mit angreifenden Kräften, c) Knoten 1 unter der Last FEd d) Bewehrung

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c) Bemessung von Knoten 1 unmittelbar unter der Last:

Dies ist ein typischer Knoten gemäß Kapitel 9.5.4.3 Die Breite a4 des schrägen Druckfeldes C am Knoten 1 wird durch die Breite a5 der Lastplatte und die Höhe a6 der Gurtverankerung bestimmt (Bild 9-69c), oder aber es werden aus der Bemessung des Druckfeldes für die Breite a4 die Mindestabmessungen für a5 und a6 abgeleitet.

Pressung unter der Last:

cd15

Ed5c f75,0

baF

⋅η⋅≤⋅

Wenn die Bewehrung mit Ankerplatten verankert wird, können im Knotenbereich höhere Spannungen σc ≈ fcd zugelassen werden, wobei auch dann natürlich die Pressung unter der Ankerplatte nachzuweisen ist. Die Spannung σc4 wird hier nicht maßgebend (siehe unten).

Der Nachweis der Verankerungslänge lb wird unter Berücksichtigung des günstigen Querdrucks geführt (Faktor 2/3). Die Verankerungslänge ab Innenkante Lastplatte ist bei voll ausgenutzter Bewehrung für die Abmessungen der Konsole maßgebend. Sie ist immer größer als die sich aus den zulässigen Lagerpressungen ergebende Mindestbreite a5 der Lastplatte.

d) Nachweis der Druckstrebe C:

Wenn die Querzugkräfte des Druckfeldes durch Bewehrung aufgenommen werden und die konzentrierten Knoten 1 und 2 entsprechend a) und c) bemessen sind, erübrigen sich weitere Nachweise von Betonspannungen. Bei gering beanspruchten oder sehr kleinen Konsolen kann auf eine Querbewehrung verzichtet werden, jedoch erhalten die Bauteiloberflächen (zumindest die Bauteilkanten) immer eine konstruktive Bewehrung.

Bild 9-70 Regel für nach unten abgebogene Gurtstäbe in Konsolen

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In der Literatur (Franz ,1976 und Steinle, 1975) und in Normen (EC2 [1992], DafStb [1992] und DIN1045-1 [2001]) finden sich viele halbempirische Bemessungs-vorschläge, die den inneren Hebelarm z nicht wie hier geschehen an der Stelle des größten Momentes (V = 0) verwenden, sondern im Vertikalschnitt durch die Innenecke der Konsole (Konsolenanschnitt). Dort ist der Abstand zwischen Zuggurt und Druckstrebe geringer, und zwar abhängig von der Strebenneigung, weshalb eine Annahme bestimmter z/d-Verhältnisse auch nur für bestimmte Abmessungs-verhältnisse brauchbar ist.

Bild 9-71 Zweckmäßige Bewehrungen in Konsolen (zugehöriges Modell vgl. Bild 9-65a)

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Die Verankerungslänge der Zuggurtkraft im Knoten 1 beginnt unter der Lastplatte und ist meistens so kurz, dass liegende Schlaufen oder Ankerkörper nötig sind. Nach unten abgebogene Gurtstäbe an der Stirnseite dürfen nur verwendet werden, wenn die Lagerplatte vor dem Krümmungsbeginn liegt (Bild 9-70) und keine starke Horizontalbelastung auftritt, da sonst die Vorderkante der Konsole abbrechen kann. In schmalen, hochbelasteten Konsolen wird von solchen Stäben abgeraten. Die Auflagerfläche sollte kleiner als die von der Gurtbewehrung umfasste Fläche sein, damit die Konsolkanten nicht gefährdet werden. Dies muss auch bei Verwendung eines Mörtelbettes sichergestellt sein. Gleichmäßige Pressungen in der Auflagerfläche werden am einfachsten mit Elastomere-Lagern erreicht, die auch in gewissen Grenzen Verdrehungen und horizontale Verschiebungen erlauben.

Verschiedene Möglichkeiten für die Anordnung der Gurtstäbe mit Schlaufen zeigt Bild 9-71. Die Bewehrung wird vereinfacht, wenn man dicke Gurtstäbe mit ange-schweißten Querstäben (Bild 9-72) oder mit Ankerplatten verankert.

Die Querbewehrung zur Aufnahme der Querzugkräfte in der schrägen Druckstrebe muss nicht für die volle Querzugkraft nach Zustand I bemessen werden, weil sich die Kräfte durch Rissbildung umlagern können (Bild 9-28). Die Regelwerke enthalten deshalb sehr unterschiedliche Angaben über die erforderliche "konstruktive" Bewehrung. Bei kurzen Konsolen sind horizontale Bügel besser als vertikale. Bei Strebenneigungen θ < 55o sind vertikale Bügel zweckmäßig, die mit dem Modell für den typischen Bereich D12 (Bild 9-24 in Kapitel 9.3.6) bemessen werden können. Horizontale Bügel können mit demselben Modell, jedoch um 90o gedreht, bemessen werden.

Bild 9-72 Verankerung der Gurtbewehrung von Konsolen mit angeschweißtem Querstab

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9.8.3 Hohe Konsole

Das Modellieren einer hohen Konsole ist in Bild 9-73 dargestellt: Die Spannungen in der Stütze von Bild 9-73a können nach Standardmethoden oder nach der Plastizitätstheorie ermittelt und dann zusammen mit der Konsolenlast F2 auf die D-Bereiche angesetzt werden. Dass die vertikalen Druckstäbe auf beiden Seiten der B2-Bereiche in Bild 9-73b nicht zusammenfallen, ist auf die unterschiedliche Zusammenfassung der Spannungen zu Druckstäben (im Hinblick auf das Model-lieren der D-Bereiche D2 und D3) zurückzuführen.

Bringt man die Kräfte zwischen den Begrenzungen jedes D-Bereichs ins Gleichgewicht (Bild 9-73b), so zeigt sich, dass zwei Zuggurte auftreten: der erste wie üblich direkt am oberen Konsolenrand und ein zweiter im unteren Konsolenbereich. Ihre Kräfte sind in diesem Fall T1 = 0,23 F2 bzw. T2 = 0,32 F2.

Die Druckstäbe dieser Konsole bedürfen keines Nachweises, weil die Spannungen in den anschließenden Stützen und besonders in den singulären Knoten unter den Lasten F1 und A größer sind. Lediglich der Knoten unter der Konsolenlast F2 ist als typischer Knoten nach Kapitel 9.5.4.3 nachzuweisen.

Bild 9-73 Hohe Konsole an einer Stütze:

a) B- und D-Bereiche b) Randkräfte der D-Bereiche und ihre Modelle c) Bewehrungsführung

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9.9 Scheiben

9.9.1 Einleitung von Seilkräften in den Brückenträger

Ein bei Fußgängerbrücken häufig vorkommendes Detail ist die Einleitung großer Seilkräfte S in eine dünne Betonplatte. Bild 9-74 zeigt als Beispiel eine Hängebrücke, deren Hauptseile an einem Gebäude aufgehängt sind und im Punkt A seitlich in der nur 26 cm dicken Betonplatte zu verankern waren. Diese Brücke gab Anlass zur Entwicklung von Verankerungsdetails mittels Stabwerkmodellen, nachdem erste Vorschläge für dieses Detail unter Verwendung von einbetonierten Stahlprofilen nicht befriedigen konnten, weil diese Teile zu hohe Spannungen und Verformungen erfahren hätten (Bild 9-75).

Nach der Regel des Kapitels 2.1 ist durch die Krafteinleitung nur der in Bild 9-75 und Bild 9-76 im Grundriss dargestellte D-Bereich der Brückenplatte betroffen. Dieser wird von den Horizontalkomponenten der Seilkräfte als Scheibe beansprucht. In den anschließenden B-Bereichen ist die Spannung konstant bzw. gleich Null. Damit leuchtet das Stabwerkmodell in Bild 9-76 sofort ein, die zugehörige Konstruktion wäre ein durchgehendes Seil, für das die Betonplatte wie ein großer Umlenksattel wirkt. Sinngemäß wurde diese Lösung später bei den Brücken über den Nordbahnhof und die Heilbronner Straße in Stuttgart angewendet.

Bild 9-74 Fußgängerbrücke über die Neckarstraße in Stuttgart

Bild 9-75 Überlegungen zur Einleitung der Seilkräfte im Detail A mittels Stahlprofilen

(Grundriss)

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Bild 9-76 Stabwerkmodell und zugehörige Seilführung zur Verankerung der Seilkräfte

Bild 9-77 Schrittweise Entwicklung von Verankerungsdetails für Seile:

a) Betonkonsole, b) Stahlblock mit angeschweißter Bewehrung c) und d) gezahnte Stahlplatten oder Stahlgussteile

Die in Bild 9-77a dargestellte Lösung ergibt sich unmittelbar aus dem Modell für den typischen D-Bereich von Bild 9-16. Sie funktioniert allerdings nur bei kleinen Seil-kräften, weil für die Querbewehrung in den kurzen Konsolen kaum Verankerungs-länge vorhanden ist. Setzt man Stahlblöcke ein, um die Querbewehrung anschweißen zu können, dann sollten deren Stirnseiten senkrecht zur Richtung der Druckstäbe des Modells abgeschrägt werden (Bild 9-77b). Ohne Abschrägung und bei Vernachlässigung der Reibung in der Kontaktfuge zum Beton ist ein kompliziertes Stabwerkmodell und entsprechende Bewehrung nötig, um das Kragmoment aufzunehmen (Schlaich [1991 und 1992]). Unnötig komplizierte Lösungen ergeben sich auch, wenn die Stahlblöcke oder -profile weiter in die Brückenplatte hinein-geführt werden, um größere Kontaktflächen zur Aufnahme höherer Seilkräfte zu erhalten.

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Viel besser ist es, die Betonspannung durch eine Längsentwicklung der Stahlteile mit sägezahnförmiger Profilierung zu reduzieren. Mit zunehmender Zahl der Zähne und der Einleitungslänge harmonisiert sich der Kraftfluss (Bild 9-77c und d). Die Kontrolle der Betondruckspannungen an dem Gussstahlelement bedarf keiner weiteren Erklärung.

Verfeinert man aus gestalterischen Gründen das Stahlelement, wie in Bild 9-78a dargestellt, so entsteht eine unerwünschte Exzentrizität der Seilkraft zur Längsachse der Zahnleiste. Man kann dieses Biegemoment entsprechend dem Modell in Bild 9-78b in die Betonscheibe einleiten - vgl. hierzu auch Kap. 9.9.2 Das Trag-verhalten lässt sich anhand der Überlagerung der beiden Modelle in Bild Bild 9-78b und c verstehen. Diese Lösung wurde bei den verschieblichen Verankerungen der drei bereits erwähnten Fußgängerbrücken in Stuttgart realisiert.

Bild 9-78 Aus gestalterischen Gründen verfeinerte Ausbildung der Seilverankerung:

a) Detail, b) Stabwerkmodell zur Aufnahme des Kragmomentes c) Spannungsfelder und Stabwerkmodell für die Einleitung der Horizontalkräfte d) Bewehrung aus beiden Modellen

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Wenn die Kabel unter einem größeren Winkel geneigt sind, wie das üblicherweise bei Schrägseilbrücken der Fall ist, empfiehlt es sich, einen unteren Flansch an der Stahlkonstruktion anzubringen, um die Platte abzustützen. Die Konstruktion in Bild 9-79 mit dem Augenstab über der Brückenplatte hat gegenüber der üblichen, unschönen Seilverankerung unter der Platte den großen Vorteil, dass die Aussparung für die Durchführung des Seilkopfs entfällt, welche sonst die Platte gerade an einer besonders beanspruchten Stelle schwächt.

Die Qualität eines Bauwerks hängt ganz wesentlich von der konstruktiven Durchbildung seiner Details ab. Der Kraftfluss muss dort sorgfältig verfolgt und so gestaltet werden, dass Spannungsspitzen und abrupte Kraftumlenkungen vermieden werden. In den beschriebenen Fällen haben die Stabwerkmodelle den Entwerfenden fast zwangsläufig zu einer neuartigen und einfachen Lösung geführt, mit der die Kabelkräfte unmittelbar ohne wesentliche Biegung von Einbauteilen und die damit verbundenen hohen Spannungen und Verformungen eingeleitet werden können.

Bild 9-79 Konstruktionsdetail der Seilkrafteinleitung der Evripos Brücke in

Griechenland: a) Ansicht und Querschnitt, b) Grundriss

9.9.2 Wände und Wandscheiben

Vorab sei erwähnt, dass im üblichen Sprachgebrauch zwischen „Wänden“ (engl. „walls“) und "wandartigen Trägern" (engl. „deep beams“) unterschieden wird, wobei die Abgrenzung dieser Begriffe schwierig ist. Wände tragen nach üblichem

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Verständnis ihre (verteilten) Lasten im Wesentlichen senkrecht zu den durchgehenden Stützungen, beispielsweise zu den Streifenfundamenten, ab. DIN 1045-1 definiert Wände als durch Kräfte parallel zur Mittelfläche beanspruchte Bauteile, deren größere Querschnittsabmessung das Vierfache der kleineren übersteigt. Identisch belastete, scheibenartige, vorwiegend auf Biegung beanspruchte Bauteile, deren Stützweite weniger als das Zweifache ihrer Querschnittshöhe beträgt, sind als wandartige Träger definiert. Sie sind, der Klassifizierung in Kapitel 2.1 folgend, (große) D-Bereiche, in denen im Allgemeinen die lineare Verteilung der Dehnungen keine brauchbare Bemessungsgrundlage darstellt. Die in Kapitel 9.3.6 entwickelten Modelle, insbesondere jene für die typischen D-Bereiche, lassen sich in vielen Fällen direkt verwenden.

Spannungsverläufe und Hauptspannungsrichtungen (Trajektorienbilder) aus linear-elastischen FE-Berechnungen sind bei der Modellentwicklung hilfreich, aber nicht unbedingt erforderlich. Materialgerecht entworfene Stabwerkmodelle, bei denen die steife Abtragung durch den gedrückten Beton gegenüber der weicheren durch die gezogene Bewehrung bevorzugt ist, liefern im allgemeinen eine bessere Bewehrungsführung als die Zugkeildeckung linear-elastisch berechneter Zugzonen (Kapitel 9.8.3).

Die Stabwerkmodelle lassen auch die Problematik der Knoten (Verankerung der Bewehrung) klarer erkennen: die Bewehrungskräfte "verlieren" sich nicht so leicht in den elastizitäts-theoretisch weniger beanspruchten Bereichen, wo gerne auf Nach-weise verzichtet und dabei jedoch vergessen wird, dass die Bewehrungsstäbe die gesammelten Zugkräfte so lange weiterführen müssen, bis sie im Schnittpunkt mit zwei Druckstreben verankert werden können.

Wände und wandartige Träger erhalten eine beidseitige Netzbewehrung. Bei Wänden verlangt DIN 1045-1 in lotrechter Richtung insgesamt mindestens 0,0015 ⋅ Ac, bei schlanken Wänden oder solchen mit |NEd| ≥ 0,3 ⋅ fcd ⋅ Ac mindestens 0,0030 ⋅ Ac, wobei jeweils die Hälfte dieser Bewehrung an jeder Außenseite liegen sollte. In horizontaler Richtung müssen mindestens 20 % der lotrechten Bewehrung eingelegt werden, bei schlanken Wänden oder solchen mit |NEd| ≥ 0,3 ⋅ fcd ⋅ Ac sind 50 % erforderlich. Im Hinblick auf Risse aus Zwang sind aber gerade in der horizontalen Richtung oft wesentlich höhere Bewehrungsgrade zweckmäßig (vgl. Gebrauchstauglichkeit). Der Abstand der Stäbe sollte die 2-fache Wanddicke bzw. 30 cm nicht überschreiten.

Bei wandartigen Trägern sieht DIN 1045-1 ein rechtwinkliges Bewehrungsnetz vor, wobei je Seite und Richtung eine Querschnittsfläche der Bewehrung von 0,075 % des Betonquerschnitts Ac und 1,5 cm²/m nicht unterschritten werden sollte. Es empfiehlt sich aber, vor allem bei sehr großen und bei über mehrere Stützen durchlaufenden Scheiben sowie bei rechnerisch grob vereinfachter oder unklarer innerer Lastabtragung, die Mindestbewehrung zur Risseverteilung einzulegen, um grobe Risse infolge von Zwangsspannungen oder Schnittkraftumlagerungen auszuschließen. Damit wird auch die Anpassung des inneren Kräfteverlaufs der Scheibe an ungünstige Stabwerkmodelle unter der Voraussetzung ermöglicht, dass

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die Gleichgewichtsbedingungen eingehalten sind. Die Netzbewehrung darf auf die statisch erforderliche Bewehrung angerechnet werden.

Besonderes Augenmerk verdient die Bewehrung in den Auflagerbereichen, da dort die Beanspruchungen am größten sind (Kapitel 9.5.4). Hohe Auflagerpressungen setzen voraus, dass die Druck-Tragfähigkeit der Auflagerzone nicht durch gehäufte oder ungünstige Bewehrung, wie beispielsweise stehende Haken, geschwächt ist.

In Scheiben mit konstanter Dicke und ohne große Aussparungen erübrigen sich Nachweise der Druckstrebenspannungen, da hier die Auflagerknoten und die Knoten unter konzentrierten Lasten maßgebend sind.

9.9.2.1 Mehrfeldrige Wandscheiben In Vertikalschnitten durch mehrfeldrige Wandscheiben ergibt sich der für viele Scheibenspannungszustände charakteristische Spannungsverlauf wie bei der Einfeldscheibe (Bild 9-4), aber mit im Vergleich zur Spannweite oder Trägerhöhe geringerem innerem Hebelarm der Spannungsresultierenden. Insbesondere die Gurtkräfte in den Stützquerschnitten haben nach der Scheibentheorie noch einen geringeren Hebelarm als in den Feldquerschnitten und natürlich auch umgekehrte Vorzeichen.

Bild 9-80a zeigt ein Stabwerkmodell für eine zweifeldrige Scheibe, dessen Stäbe im Schwerpunkt der sich nach linear-elastischer Berechnung ergebenden Spannungsdiagramme liegen. Im Zustand II wird sich der Hebelarm im Feld vergrößern, aber auch über den Stützen ist dies möglich, soweit die Lage der eingelegten Stützbewehrung es erlaubt. Ein so berechnetes Tragwerk weist also Tragreserven auf (Kapitel 9.3.4), und kann ohne Gefahr für die Standsicherheit auch anhand eines vereinfachten Modells gemäß Bild 9-80b bemessen werden.

Da diese Scheibe statisch unbestimmt gelagert ist, lassen sich ihre Gurtkräfte nur ermitteln, wenn die Auflagerkräfte bekannt sind. Sind die Auflagerkräfte aus einer Scheibenberechnung nicht bekannt, kann man sie auch näherungsweise als Mittelwert der Auflagerkräfte des entsprechenden Durchlaufträgers und von Einfeld-trägern abschätzen. Bei l1 = l2 = l und h/l = 1 ergibt sich dann die Auflagerkraft der Mittelstützung zu B = 1,125 ql statt B = 1,12 ql nach der linear-elastischen Scheibenberechnung. Eine recht genaue Berechnung der Auflagerkräfte ist auch nach der Balkenstatik unter Berücksichtigung der Querkraftverformungen möglich, wenn bei h/l > 1 nur der Teil der Scheibe bis h/l = 1 mitgerechnet wird.

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137

Bild 9-80 Zweifeldrige Wandscheibe:

a) Modell mit inneren Hebelarmen nach elastizitätstheoretischer Spannungsverteilung b) vereinfachtes Modell c) Bewehrung

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138

Die Gurtkräfte reagieren zwar sehr empfindlich auf Änderungen der Auflagerkraft-verteilung, jedoch ist eine allzu große Genauigkeit bei deren Ermittlung bzw. bei der Berechnung der Momentenverteilung und inneren Hebelarme nicht angemessen, da alle diese Größen in Wirklichkeit auch sehr stark von der meist vernachlässigten Nachgiebigkeit der Stützungen abhängen. Bei wirklich starren Stützen genügen dem Tragwerk sehr geringe Steifigkeitsänderungen, zum Beispiel durch bereichsweisen Übergang in den Zustand II, um sich an eine angenommene Momentenverteilung anzupassen. Dafür, dass dies ohne große Risse geschieht, hat die Netzbewehrung der Scheibe zu sorgen, die deshalb bei durchlaufenden Scheiben besonders wichtig ist. Aus demselben Grund müssen auch planmäßig druckbeanspruchte Scheiben-ränder durch eine Randlängsbewehrung eingefasst werden.

Die Gurtbewehrung im Feld wird ohne Abstufung auch über die Zwischenstützen durchgeführt bzw. dort übergreifend gestoßen. Sie ist wie bei Einfeldscheiben zu verankern und evtl. über die Zugzone zu verteilen. Die im Scheibeninnern liegende Zuggurtbewehrung über den Stützen oder unter Einzellasten ist für alle h/l ≥ 0,7 über eine Höhe von etwa 0,6 ⋅ l zu verteilen, beginnend etwa 0,1 ⋅ l über dem gedrückten Rand (Bild 9-80a, vgl. hierzu auch Heft 240 des DAfStb). Wenigstens die Hälfte dieser Bewehrung ist über die ganze Scheibenlänge als Teil der Netzbewehrung durchzuführen. Die andere Hälfte kann mit Stablängen von etwa 0,7 bis 0,8 ⋅ l und engen Stababständen zugelegt werden (Bild 9-80c).

9.9.2.2 Wandscheiben mit angehängter Last oder indirekter Lagerung

Bild 9-81 Wandscheibe mit unten angehängter Last: a) Modelle, b) Einflussbereich

aufzuhängender Lasten (einschl. Eigengewicht), c) Bewehrung

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Bei unten angehängter Last ändert sich nach der linearen Elastizitätstheorie nichts an der σx-Spannungsverteilung gegenüber der Lasteinleitung von oben. Deshalb wird die Gurtbewehrung auch im allgemeinen in gleicher Größe wie beim Lastangriff von oben eingelegt, wobei jedoch eine zusätzliche vertikale Aufhängebewehrung nötig ist, mit der die unten angreifenden Lasten in das sich zwischen den Lagern ausbildende Druckgewölbe bzw. die verschmierten innenliegenden Modellknoten eingehängt werden (Bild 9-81).

Ebenso sind die Auflagerkräfte von indirekt aufgelagerten Wandscheiben in den Verschneidungskanten aufzuhängen (Bild 9-82).

Bild 9-82 Mittelbar gelagerte Wandscheiben: a) Tragwerk, b) einfaches Modell

9.9.2.3 Scheiben mit Auflagerlisenen

Im Bereich von Auflagerlisenen wird die Auflagerkraft über die Höhe verteilt in die Scheibe eingeleitet und muss durch Bewehrung in die Druckstrebenrichtung umge-lenkt werden (Bild 9-83).

Bild 9-83 Wandscheibe mit Lisenen über den Auflagern: a) Modelle, b) Bewehrung

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140

9.9.2.4 Öffnungen in Scheiben mit vorwiegend einaxialer Beanspruchung Bild 9-84 zeigt ein Beispiel für den Kraftfluss in Scheiben oder Wänden im Bereich von Öffnungen, Aussparungen oder Löchern (vgl. auch Bild 9-16b). Die immer wiederkehrenden gleichen Stabwerke (Kapitel 9.3.6) sind leicht zu erkennen und zeigen, dass eine "Auswechslung" der Bewehrung der Öffnung durch Zusatz-bewehrung am Öffnungsrand nicht immer genügt.

Bild 9-84 Öffnungen in Scheiben, z. B. in den Platten einer

Hohlkastenbrücke, sowie die zugehörigen, stark vereinfachten Modelle

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141

10 Platten

10.1 Einführung Stahlbetonplatten des konstruktiven Ingenieurbaus bestehen im Wesentlichen aus B-Bereichen (lineare Dehnungsverteilung über die Plattendicke). Diese können prinzipiell in gleicher Weise wie die B-Bereiche von rechteckigen Balken bemessen werden (Kapitel 5), nachdem die Plattenschnittgrößen bekannt sind. Ebenso können auch die D-Bereiche an Auflagern, Lasteinleitungen oder geometrischen Diskontinuitäten im allgemeinen als ebene Probleme mit den Stabwerkmodellen behandelt werden (Kapitel 9), indem man einen Plattenstreifen in der Tragrichtung als Balken betrachtet.

10.2 Tragverhalten Platten sind ebene Flächentragwerke, die orthogonal zu ihrer Ebene belastet sind. Sie lassen sich anschaulich aus den Balken herleiten. Die Differentialgleichung (DGL) des Balkens besagt, dass die Last p längs der Stabachse x durch das Moment Mx zu den Auflagern getragen wird. Ein quer dazu in y-Richtung liegender Balken trägt seine Last p analog durch das in seiner Stabachsenrichtung wirkende Moment My zu den Auflagern (Bild 10-1).

Denken wir uns eine rechteckige Öffnung lx und ly von einer Schar sich kreuzender Balken überdeckt, dann stehen uns zwei "Lastträger" zur Verfügung:

1. die Biegemomente Mx der Balken x ⇒ )y,x(pxM

x2x

2

−=∂

∂ (10.1)

2. die Biegemomente My der Balken y ⇒ )y,x(pyM

y2y

2

−=∂

∂ (10.2)

Bild 10-1 Balkenkreuze über lx x ly

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142

Welchen Teil der Last p jede Balkenrichtung trägt, ist abhängig von Steifigkeit und Stützweite.

Rechteckbalken: 12

dbEB3⋅⋅

= (10.3)

B

)y,x(pxw4

4

=∂∂ (10.4)

Decken wir nun diese Öffnung mit einer monolithischen Platte ab, dann stehen nach der DGL der Plattentheorie drei "Lastträger" zur Verfügung:

1. Das Moment mx (Biegemoment) transportiert einen ersten Teil der Last zu den Auflagern in x-Richtung

)y,x(pxm

12x

2

−=∂

∂ (10.5)

2. Das Moment my (Biegemoment) transportiert einen weiteren Teil der Last zu den Auflagern in y-Richtung

)y,x(pym

22y

2

−=∂

∂ (10.6)

3. Das Moment mxy (Drillmoment) transportiert den letzten Teil der Last über die Diagonalen zu den Eckbereichen

)y,x(pyx

m2 3

xy2

−=∂⋅∂

∂⋅ (10.7)

In welchem Verhältnis sich diese drei "Lastträger" die Last p(x,y) teilen, hängt von den speziellen Randbedingungen wie zum Beispiel Stützweitenverhältnis und Auflagerart ab.

Bild 10-2 Platte über lx x ly

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143

Aus Gleichung (10.5) bis (10.7) folgt, dass die beiden Biegemomente einer Platte von dem Drillmoment entlastet werden und gegenüber einem Balkenkreuz einen um diesen Betrag geringeren Teil der Last übernehmen müssen. Ist die Plattendicke gleich, d.h. d = dx + dy (siehe Bild 10-1 und Bild 10-2), dann führt diese Besonderheit auch zu einer geringeren Durchbiegung w der Platte gegenüber den Balkenkreuzen.

K)y,x(pw

yw

yxw2

xw

)y,x(4

4

22

4

4

4

=∆∆=∂∂

+∂∂

+∂∂ (10.8)

)1(12dE

)1(EIK 2

3

2 µ−⋅⋅

=µ−

= (Plattensteifigkeit) (10.9)

Der Anteil

yxm

2 xy2

∂⋅∂∂

⋅ (Drillmoment)

22

4

yxw2∂⋅∂

∂⋅ (Torsionsverdrehung)

unterscheidet also das Tragverhalten der Platte von dem des Balkens. Welchen bedeutenden Beitrag die Drillsteifigkeit einer Platte leisten kann, soll an einer vierseitig frei aufliegenden Quadratplatte gezeigt werden:

Durchbiegung in Plattenmitte

⎩⎨⎧

⋅⋅

⋅⋅⎭⎬⎫

⎩⎨⎧

= −

)Wippel/Stiglatnach(Platteedrillweich)Czernynach(Platteedrillsteif

10K

lpx2,82,4

w 34

(10.10)

Biegemomente in Plattenmitte

⎩⎨⎧

⋅⋅⋅⋅⎭⎬⎫

⎩⎨⎧

= −

)Wippel/Stiglatnach(Platteedrillweich)Czernynach(Platteedrillsteif

10plx3,768,36

m 32xx (10.11)

Man erkennt, dass die drillweiche Quadratplatte

- sich etwa doppelt so weit durchbiegt und

- ein etwa doppelt so großes Biegemoment erhält

wie die drillsteife Quadratplatte. Eine total drillweiche Platte gibt es ebenso wenig wie eine vollkommen drillsteife. Die Gegenüberstellung hat nur theoretische Bedeutung, besonders wenn noch bedacht wird, dass schon feine Risse die Plattensteifigkeit K erheblich vermindern.

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144

Die Entstehung der Drillmomente kann man anschaulich folgendermaßen darstellen: Zerlegt man die Biegefläche einer Platte in sich rechtwinklig kreuzende Balkenstreifen, so entstehen an den Kanten der Balkenelemente Verformungs-sprünge. Durch die Wirkung von Drillmomenten wird die Kontinuität der Platte hergestellt.

Bild 10-3 Drillmomente einer Platte

Je nachdem wie der Drillmomentenanteil rechnerisch behandelt wird, entsteht entweder

- die drillweiche Platte (mxy klein, aber ≥ 0) oder

- die drillsteife Platte (mxy groß)

Wir können weiterhin feststellen, dass analog zum Balken auch bei der Platte die entstehenden Momente direkt proportional zur Krümmung der Biegelinie sind:

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145

Platte (µ=0): Balken:

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛∂∂

⋅= 2

2

x xwfm ⎟⎟

⎞⎜⎜⎝

⎛∂∂

⋅= 2

2

x xwfm (10.12)

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛∂∂

⋅= 2

2

y ywfm ⎟⎟

⎞⎜⎜⎝

⎛∂∂

⋅= 2

2

y ywfm (10.13)

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛∂⋅∂

∂⋅=

yxwfm

2

xy (10.14)

Im Bereich der Platte und eines Balkenkreuzes ist die Durchbiegung w für beide Richtungen gleich. Der Balken in der kürzeren Spannrichtung muss also eine wesentlich größere Krümmung hinnehmen, um dieses Durchbiegungsmaß w zu erreichen. Je größer aber die Krümmung, desto größer das Moment.

Bild 10-4 Hauptspannweiten einer Platte bzw. eines gekreuzten Balkenpaars

Ergebnis: Sowohl ein Balkenkreuz als auch eine isotrope Platte (gleichgültig, ob drillsteif oder drillweich) tragen stets über die kleinere Spannweite den Hauptteil der Last zu den Auflagern.

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146

Weiterhin spielt das Querdehnverhalten des Materials bei Platten im Gegensatz zum Balken eine wichtige Rolle für das Tragverhalten (Gl. (10.8) und (10.9)).

Ein Werkstoff ist bemüht, auch bei Belastung sein Volumen nahezu unverändert, d.h. gleichgroß zu erhalten. Wird bei einachsiger Beanspruchung eine Dimension z. B. durch Druck verkürzt, dann vergrößern sich ausgleichend die beiden übrigen. Da eine Platte im Verhältnis zu den beiden übrigen Abmessungen sehr dünn ist, beschränkt sich das Verformungsverhalten auf die beiden Richtungen der Plattenebene x und y. Bei üblichen Konstruktionsbetonen rechnen wir mit einer konstanten Querdehnzahl

x

y

εε

=µ (10.15)

obwohl die Konstanz streng nur für ideal elastische, homogene und isotrope Werkstoffe erfüllt ist. Tatsächlich beträgt die Querdehnzahl

µ = 0,16 ... 0,20 (bei Betonen geringer Güte)

µ = 0,20 ... 0,28 (bei Betonen sehr hoher Güte)

In der Plattengleichung erscheint die Querdehnzahl µ in der Plattensteifigkeit

)1(12dE

1EIK 2

3

2 µ−⋅⋅

=µ−

= (10.16)

Damit finden wir sie in den Momentengleichungen und analog in den Spannungs-gleichungen.

⎥⎦

⎤⎢⎣

⎡∂∂

⋅µ+∂∂

⋅⋅−= 2

2

2

2

x yw

xwK)1(m (10.17)

⎥⎦

⎤⎢⎣

⎡∂∂

⋅µ+∂∂

⋅⋅−= 2

2

2

2

y xw

ywK)1(m (10.18)

Mit µ = 0,2 ergibt sich µ2 = 0,04 und damit nur ein untergeordneter Einfluss auf die Biegefläche.

Aus der Verträglichkeit ergibt sich, dass jedem Moment in einer Richtung immer der µ-fache Betrag des Moments der anderen Richtung hinzuzurechnen ist. Die mechanische Erklärung veranschaulicht die folgende Abbildung.

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147

Bild 10-5 Stauchung und Dehnung

Wir zerschneiden gedanklich eine Platte in Haupttragrichtung in dicht nebeneinander liegende Balken. Bei Belastung kann diese Balkenschar nur über das Balkenmoment Mx tragen. Durch die Schnitte kann sich keine Biegekrümmung in Querrichtung ausbilden, so dass gilt:

0m0yw

y2

2

=⇒=∂∂ (10.19)

Bild 10-6 Aufhebung der geometrischen Inkompatibilität der Balkenschar infolge Quer-

dehnung

Infolge des Moments Mx entsteht in den Balken oben Biegedruck und unten Biegezug. Die Folgen sind eine obere Querdehnung (Verbreiterung) und unten eine Querstauchung (Verschmälerung). Soll nun wieder eine kontinuierliche Plattenform zurückgewonnen werden, dann müssen die geometrischen Unverträglichkeiten, die die Querverformung verursacht hat, wieder beseitigt werden, d.h. die senkrechten Balkenränder sind mit Hilfe des Moments my zurückzudrehen.

aus 0yw2

2

=∂∂

2

2

x xwKm

∂∂

⋅−= (10.20)

xy

xyx2

2

y m2,0mmm

mxwKm

⋅=⋅µ=

⇒⋅µ=∂∂

⋅µ⋅−=⇒

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Eine Stahlbetonplatte hat demnach in der untergeordneten Tragrichtung immer mindestens 20 % des Moments der Haupttragrichtung aufzunehmen.

Auch eine Platte, die ihre gesamte Last nur in einer Richtung abträgt, z. B. in x-Richtung, genauso wie eine Schar paralleler Balken längs x, hat dennoch (bei ansonsten gleichen Verhältnissen) eine kleinere Durchbiegung als diese Balkenschar. Das liegt an der behinderten Querdehnung der Platte, ausgedrückt durch die Querdehnzahl µ (vgl. Gleichungen (10.4 und (10.8). Sie vergrößert die Biegesteifigkeit der nur einsinnig tragenden Platte gegenüber der des Balkens und initiiert in Plattenquerrichtung eine Momentenwirkung.

Platte: Balken:

)1(12dEK 2

3

µ−⋅⋅

= 12

dEB3⋅

=

xy mm ⋅µ= 0my = (10.21)

Erst für µ = 0 ist BK =

my = 0 my = 0

Je nach Lagerungsart und Geometrie können Platten ihre Last nach verschiedenen Richtungen hin abgeben. Diese können folgendermaßen zueinander stehen:

- orthogonal, wie bei Rechteckplatten

- schiefwinklig, wie bei Dreiecksplatten

- allseitig, wie bei Kreisplatten

Eine vierseitig frei drehbar gelagerte Rechteckplatte trägt ihre Belastung vorzugsweise im Mittelbereich der Auflagerränder ab. Die einbeschriebene Ellipse in Bild 10-7 zeigt die Auflagerkonzentrationen in dem Bereich, wo sie die Auflagerlinien berührt. Dies bedeutet, dass in den Eckbereichen die Auflagerkräfte zum Ellipsenrand abgetragen werden. Außerhalb der Ellipse heben sich sogar, bedingt durch die Drillmoment, die Plattenecken vom Auflager ab.

Wird eine Ecke durch Verankerung oder Auflast nach unten gedrückt, dann entstehen negative Hauptmomente m1 (Zug an der Oberseite in Richtung der Diagonalen und an der Unterseite in orthogonaler Richtung über Eck ⇒ Moment m2).

Bild 10-7 zeigt das "Aufschlüsseln der Ecken" und links das Entstehen der Momente m1 und m2 bei verankerten Ecken.

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Bild 10-7 Vierseitig gelagerte Rechteckplatte unter Einzellast mit und ohne

Eckverankerung

Die Beanspruchung im Eckbereich kann man sich am besten klar machen, wenn man sich die Ecke zunächst nicht gehalten, also aufgeschlüsselt vorstellt. Sie trägt so wie ein Kragarm und der verlangt bei Belastung eine obere Bewehrung in Richtung der Winkelhalbierenden, wenn er nicht abbrechen soll. Wird diese Bewehrung gedehnt, dann entstehen senkrecht dazu, d.h. über Eck verlaufende Risse an der Plattenoberseite, wie in Bild 10-8 zu sehen ist. Die auf der Plattenecke stehende Last will nun so schnell wie möglich die Auflagerlinien erreichen. Es bildet sich ein versteckter Querträger innerhalb der Platte aus, der die Last über Eck abträgt und an seiner Unterseite Biegezugspannungen erhält. Seine Bewehrung muss demnach unten über Eck laufen, wobei senkrecht dazu in Diagonalrichtung Dehnungsrisse entstehen (vgl. Bild 10-8).

Eine Quadratplatte trägt bei gleichartiger Lagerung der Ränder eine Gleichlast je zur Hälfte nach beiden Richtungen ab. Die Bruchfigur (Bild 10-8) zeigt ein klares doppelsymmetrisches Rissbild. Gut erkennbar sind auch Risse infolge der Hauptmomente m1 (Oberseite) und m2 (Unterseite).

Bild 10-8 Rissbilder einer rechteckigen Stahlbetonplatte unter Gleichlast im Bruchzustand

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In Bild 10-10 sind für diese Quadratplatte die Hauptmomentenlinien links mit frei drehbaren Auflagern, rechts mit eingespannten Auflagern dargestellt. Wie man im Vergleich zu Bild 10-8 erkennen kann, bestimmen die Hauptmomente das vorhandene Rissbild. Verlängert man nun die Seite in y-Richtung zu einer Rechteckplatte, dann strecken sich die Linien der Hauptmomente, und bei einem Seitenverhältnis lx/ly = 2 verlaufen sie über weite Strecken schon parallel zum Rand.

Wieder erkennen wir, dass Platten den größeren Teil ihrer Last über die kleinere Stützweite abtragen: bei der Quadratplatte hauptsächlich diagonal über Eck, bei der Rechteckplatte im Mittelbereich hauptsächlich über die kurze Seite lx (Bild 10-9 und Bild 10-10). Rechteckplatten mit einem Seitenverhältnis lx/ly ≥ 2 können daher im Mittelbereich (!) wie einachsig tragende Platten behandelt werden. Am Querende tragen sie wieder wie eine (dreiseitig gelagerte) Quadratplatte, weshalb dort konstruktive Ergänzungen vorgenommen werden müssen (vgl. auch Bild 10-9 und Bild 10-10).

Das Seitenverhältnis bestimmt also ganz entscheidend das Tragverhalten einer Rechteckplatte.

Bild 10-9 Bruchbild (Unterseite) einer rechteckigen Platte

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Bild 10-10 Hauptmomentenrichtung von allseitig frei drehbaren (a) und allseitig

eingespannten (b) Rechteckplatten unter Gleichlast, gezeichnet in Richtung der von ihnen erzeugten Biegespannungen _____ pos. Hauptmomente (Zug auf Plattenunterseite) -------- neg. Hauptmomente (Zug auf Plattenoberseite) _ . _ . _ Wechsel der Vorzeichen der Hauptmomente

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Alle zuvor geschilderten Zusammenhänge hinsichtlich des Tragverhaltens und der damit verbundenen statischen und konstruktiven Überlegungen lassen sich mit dem nachstehenden Tragmodell erklären. Hat man es vor Augen, kann eigentlich kein bedeutender Fehler bei der Konstruktionsarbeit geschehen.

Bild 10-11 Modell der Tragwirkung einer vierseitig frei drehbar gestützten Rechteckplatte

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10.3 Schnittgrößenermittlung Die Verteilung der inneren Kräfte über den Grundriss der Stahlbetonplatte wird im Allgemeinen auf der Grundlage der linearen Elastizitätstheorie der dünnen Platten berechnet. Nach Eurocode 2 und DIN 1045-1 sind aber auch Verfahren der Plastizitätstheorie, z. B. die Streifenmethode und die Bruchlinientheorie zulässig. Die Schnittgrößen von Platten werden heute vorwiegend mit FE-Programmen ermittelt. Für einfache geometrische Berandungen stehen zahlreiche Tabellenwerke zur Verfügung. Siehe hierzu auch Baustatik IV, Prof. Petryna.

Stiglat/Wippel (1973) Enthält Schnittgrößen und Verformungen von zwei-, drei- und vierseitig gelagerten Rechteckplatten mit gelenkiger Lagerung und voller Einspannung, jeweils für Gleichlast, Linien- und Einzellasten; punktgestützte Rechteckplatten für Gleichlast, Linien- und Einzellast; Kreis- und Kreisringplatten mit gelenkiger Lagerung und voller Einspannung, jeweils für Gleich- und Linienlast bzw. Randmomente.

Czerny, F. (1987) Enthält Schnittgrößen für drei- und vierseitig gelagerte Rechteckplatten mit gelenkiger Lagerung oder voller Einspannung der Ränder in beliebiger Kombination, jeweils für Gleichlast und dreiecksförmig verteilte Lasten.

Pucher, A. (1977) Enthält Einflussflächen von Plattenstreifen, Rechteck- und Kreisplatten mit gelenkiger Lagerung und voller Einspannung in beliebiger Kombination.

Rüsch, H. (1979) Enthält Schnittgrößen zwei-, drei- und vierseitig gelagerter Rechteckplatten mit gelenkiger Lagerung und voller Einspannung für Laststellungen des SLW gemäß DIN 1072 und Gleichlast.

Homberg, H./Ropers, W. (1965/1968) Enthält Einflussflächen von Kragplatten beidseitig eingespannter Platten und Dreifeldplatten mit veränderlicher Dicke.

Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb Heft 240 (1978) Hilfsmittel zur Berechnung der Schnittgrößen und Formänderungen von Stahlbetontragwerken

Nach der linearen Elastizitätstheorie ergeben sich an den Stellen statischer und geometrischer Diskontinuitäten (bei Einzellasten, Stützen, einspringenden Ecken, Aussparungen) sehr große örtliche Beanspruchungen (Spannungsspitzen), die in Wirklichkeit wegen der nichtlinearen Stoffgesetze des Stahlbetons auf größere Bereiche verteilt sind oder umlagert werden. In FE-Berechnungen ist eine solche "Verschmierung" von Spannungsspitzen von der Elementgröße abhängig.

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154

Bei Platten sind die Voraussetzungen für Schnittgrößenumlagerungen besonders günstig, weil Platten "in zwei Richtungen" tragen. Anders als der statisch unbe-stimmte Balken, der bei Überlastung seines Querschnitts nur durch Umlagerung der Momente in Balkenlängsrichtung unter Umständen noch einen Gleichgewichts-zustand findet, kann die Platte den Ausgleich einer örtlichen Überbeanspruchung auch in Querrichtung, im Querschnitt, vornehmen (Unterschied zwischen äußerer und innerer statischer Unbestimmtheit).

Die elastizitätstheoretische Momentenverteilung darf deshalb für die Bemessung von Platten recht großzügig vereinfacht und umgelagert werden, solange die Gleichgewichtsbedingungen - in beiden Koordinatenrichtungen - eingehalten werden und an den möglicherweise zugbeanspruchten Plattenoberflächen eine ausreichende Bewehrung zur Rissbreitenbeschränkung eingelegt wird. Bei sehr geringem Bewehrungsgrad mit wenig duktiler Bewehrung (geschweißte Matten, Bewehrung von der Rolle) ist allerdings Vorsicht geboten.

Ein weiterer Grund für die Unempfindlichkeit der Stahlbetonplatten gegenüber örtlicher Überbeanspruchung und gegenüber Abweichungen der Momentendeckung von der Verteilung nach der linearen Elastizitätstheorie ist die Membran- oder Gewölbewirkung. Platten in Randfeldern und gering beanspruchte Plattenbereiche über Wänden wirken als Widerlagerscheiben und Zugbänder für die Gewölbedruckkräfte in hoch beanspruchten Bereichen; sie entlasten hier die Bewehrung. Dadurch werden die Beanspruchungen insbesondere in Innenfeldern und in Bereichen mit Einzellasten verringert. In einer wirklichkeitsnahen Berechnung müssten deshalb die Scheibenkräfte berücksichtigt werden, in der Praxis wird aber darauf verzichtet.

Die Querkontraktion des Betons kann bei der Schnittgrößenermittlung im Allgemeinen vernachlässigt werden (µ = 0), wenn stets quer zur Haupttragrichtung mindestens 20% der Hauptbewehrung eingelegt werden (vgl. Bild 10-6). Dann ist die Querkontraktion ohne Einfluss auf die Tragfähigkeit, und Risse sind aus Verträglichkeitsgründen gut verteilt.

10.4 Bemessung und Konstruktive Durchbildung

10.4.1 Grundlagen

Platten werden zweckmäßigerweise so dick gewählt, dass keine Bügel erforderlich sind. Die Querkraft muss also durch die lotrechten Komponenten der schiefen Hauptdruck- und -zugspannungen des Betons übertragen werden. Aus den gleich-zeitig wirkenden Momenten entstehen aber vom Zuggurt ausgehende Biegerisse, welche die schiefen Zugstreben in der Biegezugzone durchtrennen. Mit zu-nehmender Dehnung des Zugbandes öffnen sich diese Risse, die Kornverzahnung und die Verdübelung lassen nach, die Betonzugspannungen am oberen Ende der Risse nehmen zu. Einige Risse setzen sich oben gekrümmt fort. Bei weiterer Laststeigerung entwickelt sich plötzlich aus einem der auflagernahen, noch niedrigen

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Biegezugrisse ein sehr flacher Riss, der die Biegedruckzone stark verkleinert und meist gleich zum Bruch führt (Bild 10-12).

Wenn ausnahmsweise die Biegedruckzone nicht gleich versagt, kann sich u. U. auch noch ein zweiter Tragmechanismus, ein Sprengwerk oder Bogen mit Zugband einstellen. Die Zugkraft am Auflager kann dann Werte bis FsR = 4 VA erreichen. Die Querkraft wird nun nahezu vollständig vom geneigten Druckgurt getragen. Bei schlanken Platten ist aber auf diese Tragwirkung, bei der sich die D-Bereiche der Auflager über die ganze Platte ausdehnen müssten, kein Verlass. Wie Versuche gezeigt haben, nimmt die Gurtkraft zum Auflager hin stark ab, was mit dem Bogen-Zugband-Modell nicht zu vereinbaren ist.

Bild 10-12 Riss- und Bruchbild einer Platte mit Gleichstreckenlast.

10.4.1.1 Bewehrungsführung

Hauptbewehrung von Platten

Die Tragfähigkeit hängt stark von der Dehnsteifigkeit des Zuggurts, also von ρ ab, weshalb man die Längsbewehrung as in der Regel voll bis über die Auflager durchführen sollte. Man darf jedoch 1/2 as nach der Zugkraftdeckungslinie (mit Versatzmaß al) abstufen (Bild 10-13 und Bild 10-14).

Auch die Stützbewehrung sollte mit derselben Begründung wie für die Feld-bewehrung mindestens auf eine Länge von 3 h beidseits der Stütze ungeschwächt durchgeführt werden. Eine Abstufung der Stützbewehrung außerhalb dieses Bereichs ist möglich, man sollte dabei aber auch eventuell mögliche Verschiebungen des Momentennullpunktes durch zusätzliche Zwangmomente bedenken.

Bild 10-13 Abstufung der Längsbewehrung mit Matten

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Bild 10-14 Bewehrung durchlaufender Platten mit Matten.

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Bei durchlaufenden Platten auf Unterzügen muss die untere Bewehrung auf eine Länge von mindestens 10 ds bzw. 2/3 lb,net in den Steg eingreifen, besser sollte sie die Bewehrung des Nachbarfeldes übergreifen oder sogar über die Stützung durchlaufen (Bild 10-15). Dabei sind die Querstäbe bei Matten aufzuschneiden.

Bei zweiachsig gespannten Platten kann die Bewehrung auch quer zu ihrer Trag-richtung den abzudeckenden Momenten angepasst werden (Bewehrungsabstufung in der Querrichtung). Eurocode 2 erlaubt eine solche Abstufung auf 50 % der maximalen Feldbewehrung. DIN 1045-1 sieht hierfür keine Regelung vor. Sinnvoll ist eine Abstufung in einem 0,2 min l breiten Randstreifen entlang stützender Ränder (Bild 10-16).

Der Maximalabstand s der Bewehrungsstäbe im Bereich der größten Momente ist in Eurocode 2 und DIN 1045-1 in Abhängigkeit von der Plattendicke h geregelt:

EC 2: Stababstand für die Hauptbewehrung sl ≤ 1,5 ⋅ h ≤ 350 mm

Stababstand für die Querbewehrung sq ≤ 2,5 ⋅ h ≤ 400 mm

DIN 1045-1: Stababstand für die Hauptbewehrung sl = 250 mm für h ≥ 250 mm

sl = 150 mm für h ≤ 150 mm

Zwischenwerte sind zu interpolieren

Stababstand für die Querbewehrung bzw. minderbeanspruchte Richtung: mm250sq =

Bild 10-15 Die untere Bewehrung von durchlaufenden Platten muss genügend weit in die

Unterzüge eingreifen

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Bild 10-16 Abstufung der Hauptbewehrung in Querrichtung

(ohne Darstellung der "Eckbewehrung")

Randeinspannung von Platten

Eine offensichtlich schwache Einspannung von Platten am Endauflager in Wände oder Randunterzüge wird bei der Schnittkraftermittlung für die Platten meistens vernachlässigt. Man sollte dann einen etwa 0,20 l breiten Randstreifen der Platte oben mit mindestens 1/4 der Feldbewehrung bewehren. Bei Randunterzügen verlängert man dazu den oberen Bügelschenkel in die Platte hinein (Bild 10-17 und Bild 10-13).

Bei Einspannung in Randunterzüge hängt der Einspanngrad von der Torsions-steifigkeit des Unterzuges ab, d.h. er wird mit wachsendem Drehwinkel und damit auch mit zunehmender Entfernung von der Einspannstelle des Unterzuges kleiner. Die Torsionssteifigkeit von Stahlbetonbalken nimmt im Zustand II jedoch so stark ab, dass die Einspannung in schlanke Unterzüge fast verloren geht (Bild 10-17, Linie b). Die Feldbewehrung muss also nach Linie c bemessen werden. Andererseits muss das Plattenende für die Einspannung infolge der Torsionssteifigkeit des Unterzuges im Zustand I (Linie a) bewehrt werden. Die oberen Schenkel der Bügel des Unterzuges sollten bis etwa 0,2 l in die Platte einbinden, um grobe Risse an der Oberseite der Platte zu vermeiden.

Eine starke Endeinspannung, z. B. in dicke Betonwände, muss in der Schnittkraft-ermittlung und Bemessung ordnungsgemäß verfolgt werden.

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Bild 10-17 Einspannung in Unterzüge (Linie a) geht

durch Verminderung der Torsionssteifigkeit im Zustand II fast verloren (Linie b)

Bewehrung an freien Rändern

Freie Ränder sind bügelartig einzufassen (Bild 10-19); denn durch die Drillmomente (Hauptmomente nicht parallel zum Rand) wird der Plattenrand auch in der Dickenrichtung beansprucht, ähnlich wie ein tordierter Balken. Zusätzliche Randlängsbewehrung dient zur Aufnahme stets möglicher Randlasten und zur Rissverteilung bei Temperatur- und Schwindverformungen. Bei Fundamenten und Bauteilen des üblichen Hochbaus im Gebäudeinneren darf auf eine Verbügelung der freien Ränder verzichtet werden.

Werden Betonstahlmatten mit Randeinsparung verwendet, so muss selbstverständ-lich die Bewehrung am Rande ergänzt werden.

10.4.2 Einachsig gespannte Platten

Einachsig gespannte Platten können in der Spannrichtung als Plattenstreifen (wie Balken) bemessen werden. Für den Nachweis der Betondruckzone und für die Ermittlung der erforderlichen Gurtbewehrungsmenge dürfen dabei die Balken-momente Mx aus konzentrierten Lasten über eine Lastverteilungsbreite beff gleichmäßig verteilt werden:

eff

xx b

Mm = (10.22)

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Die Bewehrung für das Moment Mx kann auf eine Breite beff in der y-Richtung verteilt werden (vgl. Bild 10-18b).

Bei hoch beanspruchten Platten ist eine Konzentration der zusätzlichen Querbewehrung für die Einzellast in einem Streifen mit der Breite beff/2 besser, wenn im übrigen Bereich großer Momente eine ausreichende Bewehrung zur Rissbreitenbeschränkung vorhanden ist.

Bild 10-18 Berücksichtigung von Einzellasten bei einachsig gespannten Platten:

a) Momentenverteilung b) prinzipielle Bewehrungsanordnung

Bild 10-19 Einfassbewehrung an freien Rändern von Platten

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In DAfStb-Heft 240, 2.2.2 (gültig auch für DIN 1045-1) werden für die Lastverteilungs-breite beff genäherte Angaben gemacht, wobei unterschiedliche Formeln in Abhängigkeit von der Lagerungsart der Platten (frei drehbar oder voll eingespannt gelagerte Einfeldplatten oder Kragplatten) und von der gesuchten Schnittgröße (Feldmoment, Stütz- bzw. Einspannmoment, Querkraft) zu verwenden sind.

Bild 10-20 Lastausbreitung unter 45° bewirkt Ringzugkräfte (Membrankräfte) in der Platte

Dabei wird nach Bild 10-20 die tatsächliche Breite b0 der Aufstandsfläche der Einzellast auf einen Wert t vergrößert, der sich mit Annahme einer Lastausbreitung unter 45° in der Mittelebene der Platte ergibt. Druckfeste lastverteilende Schichten über der Stahlbetonplatte dürfen dabei in Ansatz gebracht werden. Die Lastverteilung gemäß Bild 10-20 stellt eine Verletzung des Momentengleichgewichts dar. Man kann diese jedoch mit der Membranwirkung der Platte rechtfertigen, die die vernachlässigten Horizontalkräfte durch Ringzug weiträumig um die Lastaufstands-fläche herum abtragen kann.

Die Querbewehrung einer einachsig gespannten Platte muss mindestens 20 % der Hauptbewehrung betragen (R-Matten!). Ergänzend sei bemerkt: Bei gleichmäßigen Flächenlasten und geringen Längsstabdurchmessern könnte über den Auflagern und bis etwa 0,2 lx daneben auf Querbewehrung für die Quermomente verzichtet werden, weil dort durch die Linienlagerung das Geradebleiben der Platte in y-Richtung und damit eine ausreichende Risseverteilung erzwungen wird. Im Allgemeinen sollte aber schon wegen der Querzugspannungen aus der Verankerung der Hauptbewehrung eine untere Querbewehrung bis nahe am Auflager vorgesehen werden. Ein Beispiel für die Anordnung der Querbewehrung bei konzentrierter Belastung zeigt (Bild 10-18 b).

Infolge von Einzellasten entstehen auch negative Quermomente my, die auf der Plattenoberseite Zug erzeugen. Sie sind aber im Allgemeinen sehr gering und werden von den positiven Quermomenten my = µ ⋅ mx aus der Querdehnungs-behinderung "überdrückt", so dass auf eine obere Bewehrung verzichtet werden kann. Wenn die Lasten aber in der Nähe eines freien Randes stehen, muss eine obere Querbewehrung eingelegt werden (Bild 10-21).

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Bei Einzellasten am Plattenrand kann man red beff ≈ beff/2 anwenden (beff für randferne Last nach DAfStb-Heft 240), obwohl das so gemittelte Moment kleiner ist als die Momentspitze am Rand. Eine "genauere" Berechnung der mitwirkenden Breite macht wenig Sinn, weil die übliche Annahme gleicher Stahlspannungen bei der Bemessung sowieso im Widerspruch zur Schnittgrößenermittlung nach der Elastizitätstheorie steht. Es empfiehlt sich aber, die Hauptbewehrung entsprechend Bild 10-21 auch neben red beff noch zu verstärken.

Bild 10-21 Momentenverlauf und Anordnung der Bewehrung bei einachsig gespannten Platten mit einer Einzellast P dicht am Rand für verschiedene Plattenbreiten ly

Oftmals genügt es, die Einzellast in einem Streifen ("deckengleicher Unterzug") wie in einem Balken abzutragen und die dafür nötige Bewehrung zur Plattenbewehrung für Gleichlasten hinzuzufügen.

Bei Einzellasten auf Kragplatten wird die Bewehrung auf beff verteilt und im mittleren Drittel enger gelegt (Bild 10-22). Eine untere Querbewehrung von asy = 0,6 asx ist auch hier im Bereich der Einzellast zweckmäßig. An den seitlichen Rändern von Kragplatten, die für Gleichlast zu bemessen sind, sollte im Hinblick auf mögliche Randlasten die Kragbewehrung im Randbereich verstärkt werden.

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Bild 10-22 Lastverteilungsbreite bei Einzellasten auf Kragplatten

Berücksichtigung von Linienlasten

Bei der an zwei gegenüberliegenden Rändern gelenkig gelagerten Einfeldplatte wird für eine in Spannrichtung verlaufende Linienlast q [kN/m] die Hauptbewehrung für das Moment mx = 0,093 q lx (Bild 10-23a) verstärkt und nach Bild 10-23b verteilt.

Die zusätzliche untere Querbewehrung für das in l/2 etwa gleich große Quermoment my wird mit einer Länge von 0,6 lx über die ganze Spannweite ein-gelegt.

Für andere Lagerungen der Platte sind die Schnittgrößen aus Linienlast in Stiglat/ Wippel (1983) angegeben. Bei beliebiger Lastbreite können sie z. B. nach Schmaus (1973) ermittelt werden.

Bild 10-23 Linienlasten bei einachsig gespannten Platten:a) Momentenverlauf

b) Verteilung und Anordnung der verstärkten Bewehrung

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Über rechnerisch vernachlässigten Stützungen (Wände, Unterzüge) ist an der Plattenoberseite wegen der Stützmomente quer zur Spannrichtung eine sogenannte Abreißbewehrung einzulegen (Bild 10-24). Diese "konstruktive Bewehrung" muss die großen, wirklichen Stützmomente, die sich nach der Elastizitätstheorie einstellen würden, nicht voll abdecken. Sie dient lediglich der Rissbreitenbeschränkung im Bereich neben dem Auflager (Querkraftsicherung!).

Bild 10-24 Abreißbewehrung bei einachsig gespannten Platten

10.4.3 Zweiachsig gespannte Platten

Zur Veranschaulichung der Tragwirkung soll an dieser Stelle nochmals auf die Linien der Hauptmomentenrichtungen, die in Bild 10-10 für die vierseitig gelagerte Rechteckplatte dargestellt sind, verwiesen werden. In den Achsen verlaufen sie parallel zu den Rändern, in den Eckbereichen im Wesentlichen entlang den Winkelhalbierenden (45°) und rechtwinklig dazu (135°). Die Richtungen der Hauptmomente bestimmen den Verlauf der Risse in Stahlbetonplatten (Bild 10-9). Bemerkenswert sind die großen Drillmomente in den Ecken, wo zwei gelenkig gelagerte Ränder sich treffen, während sie in denjenigen Ecken verschwinden, wo mindestens ein Rand eingespannt ist. Die Einspannwirkung der niedergehaltenen Ecken bei gelenkig gelagerten Platten vermindert die Feldmomente so stark, dass diese kleiner sind als bei einer einbeschriebenen Kreis- bzw. Ellipsenplatte (Bild 10-25).

Bild 10-25 Vergleich der Biegemomente: Quadratplatte – Kreisplatte

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10.4.3.1 Allseitig frei drehbar gelagerte Rechteckplatte

Bei frei drehbarer Lagerung beeinflusst die Rückverankerung der Plattenecken entscheidend das Tragverhalten (siehe Bild 10-7). Sind die Ecken verankert, dann entstehen im Endbereich in Richtung der Winkelhalbierenden negative Hauptmomente m1 (Zug auf Plattenoberseite) und rechtwinklig dazu positive Hauptmomente m2 (Zug auf Plattenunterseite), vgl. Bild 10-27. Ihr Größtwert in der Ecke ist gleich dem Drillmoment mxye. Die wirksamsten Bewehrungsrichtungen in den Eckbereichen wären daher 45° und 135° zur x-Achse; dies ergibt jedoch unterschiedliche Stablängen, was fertigungstechnisch ungünstig ist; daher wird meist in x-y-Richtung bewehrt (Bild 10-26).

Bild 10-26 Bewehrung einer frei aufliegenden Plattendecke

Bild 10-27 Verlauf der Hauptmomente längs der

Diagonalen der quadratischen, frei drehbar gelagerten Platte mit Gleichlast (Ecken verankert).

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Ränder im Eckbereich sind durch Abbiegen der oberen Bewehrung einzufassen (Bild 10-28a und b). Bei Mattenbewehrung genügt ein Querstab zur Verankerung, wenn eine ausreichende Auflast vorhanden ist (Bild 10-28c).

Bild 10-28 Verankerung der Eckbewehrung frei drehbar gelagerter Platten (Ecken gegen

Abheben gesichert)

Bild 10-29 Vereinfachter Verlauf der Plattenmomente einer allseitig gelenkig gelagerten

Rechteckplatte unter Gleichlast

Aus fertigungstechnischen Gründen und weil sich die Eckmomente auch umlagern können, darf sogar auf eine Eckbewehrung verzichtet werden (bei entsprechender Erhöhung der Feldbewehrung), obwohl die Eckmomente elastizitätstheoretisch berechnet oft größer sind als die größten Feldmomente. Diese offensichtlich in der Praxis bewährte Anwendung plastizitätstheoretischer Methoden ist ein Beispiel dafür, wie gut Stahlbetontragwerke, insbesondere Platten, ihre Schnittgrößen umlagern können und sich mit ihrem Tragverhalten an eine vorgegebene Bewehrung anpassen. Dies kann in dieser exzessiven Form aber nicht empfohlen werden.

Wird auf eine Eckverankerung verzichtet und damit ein Abheben der Plattenecken in Kauf genommen oder schwächt eine Eckaussparung die Steifigkeit der Ecke, dann entfällt die Eckbewehrung und damit die Drillbewehrung der Platte. Somit müssen

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dann die Feldmomente mx und my erhöht werden. Für praktische Zwecke genügt es nach Stiglat/Wippel, die Feldbewehrung um 15 % zu erhöhen.

Wo jedoch im Zustand I große Zugspannungen auftreten, sollte wenigstens eine Bewehrung zur Risseverteilung eingelegt werden. Zumindest die untere Eckbewehrung sollte beibehalten werden, was fertigungstechnisch mit einer nicht abgestuften Feldbewehrung denkbar einfach zu erreichen ist und die beschriebene Lastabtragung zu den Ecken ermöglicht.

Bild 10-30 zeigt eine mit Matten bewehrte Rechteckplatte. Unzureichender Be-wehrungsquerschnitt von Matten in einer Richtung ist durch Stabstahlzulagen zu ergänzen (im Bild nur für untere Drillbewehrung dargestellt).

Bild 10-30 Beispiel für Mattenbewehrung einer allseitig gelenkig gelagerten, drillsteifen

Rechteckplatte unter Gleichlast

10.4.3.2 Allseitig eingespannte oder durchlaufende Rechteckplatte

Die Einspannmomente sind rechtwinklig zu den Rändern gerichtet (Bild 10-10). Auf eine schiefwinklige Eckbewehrung kann verzichtet werden, weil sich die Eckbereiche wegen der Einspannung nicht wesentlich verwinden und die Hauptmomenten-richtungen deshalb in den Eckbereichen fast parallel zu den Rändern bleiben. Bild 10-31 zeigt die Bewehrung einer Platte mit Matten.

Weichen die Stützweiten mehrfeldriger Platten stark voneinander ab, so müssen die Stützmomente unter Berücksichtigung der Plattensteifigkeiten ausgeglichen werden. Vereinfachte Berechnungsverfahren und Tafeln gibt es z. B. von Czerny (1987) und von Pieper/Martens (1966). Werden durchlaufende Platten auf Unterzüge ge-lagert, so können sich die Schnittkräfte durch elastische Nachgiebigkeit der Unterzüge stark verändern. Wenn zur Schnittgrößenermittlung FE-Programme benutzt werden, in denen die Unterzüge symmetrisch zur Plattenmittelfläche

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modelliert sind (oftmals ohne dass dies bei der Dateneingabe erkennbar ist oder im Handbuch erwähnt wird), dann werden diese Umlagerungen an den viel zu geringen Balkenmomenten besonders deutlich.

Eine einfache und statisch einwandfreie Methode für die Berechnung von mehrfeldrigen Platten "von Hand" ist die Schnittgrößen-Überlagerung von Einfeldplatten, die an der Innenstützung gelenkig gelagert bzw. voll eingespannt sind. Dabei werden den verschiedenen Systemen so große Lastanteile zugewiesen, dass die aus der Superposition sich ergebenden Einspannmomente auf beiden Seiten der Innenstützung gleich groß sind und die Gesamtlast stimmt (Gleichgewicht!). Als endgültiges Stützmoment kann dabei das Mittel der Volleinspannmomente von beiden Seiten angestrebt werden. Wie bereits erwähnt, können Plattenmomente großzügig "umgelagert" werden, wobei aber das Gleichgewicht eingehalten werden muss und die ohnehin geringen Feldmomente umfangsgelagerter Platten nicht weiter verringert werden sollten. Hinweise auf die Grenzen gibt beispielsweise DIN 1045-1.

Bild 10-31 Beispiel für Mattenbewehrung einer allseitig eingespannten Rechteckplatte unter

Gleichlast.

10.4.3.3 Dreiseitig gelagerte Rechteckplatten

Gelenkig gelagerte Platten mit ly/lx <1 tragen ihre Lasten vorwiegend über Eck ab, d.h. die Hauptmomenten-Richtungen weichen in größeren Bereichen ähnlich wie in den Ecken vierseitig gelagerter Platten um etwa 45° von den Richtungen der Ränder ab (Bild 10-32). Diese Platten müssen vor allem eine obere Eckbewehrung erhalten, möglichst unter 45° (Bild 10-33), und die Ecken müssen gegen Abheben gesichert werden.

Am freien Rand sind einige Längsstäbe zuzulegen, auch seitlich und oben, wenn der Rand Temperatureinflüssen ausgesetzt ist (Kapitel 10.4.1.1).

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Bild 10-32 Hauptmomentenrichtung der dreiseitig frei drehbar

gelagerten Platte mit einem freien Rand (für Gleichlast)

10.4.3.4 Zweiseitig in einer einspringenden Ecke gelagerte Platte

Die drehbar gelagerte Platte bedingt eine zuverlässige Eckverankerung. Den Haupt-momentenrichtungen (Bild 10-33a) folgend, ist eine untere Bewehrung über Eck und eine obere Bewehrung mit Randverankerung in Richtung der Winkelhalbierenden zweckmäßig (Bild 10-33b).

Die über Eck eingespannte Platte kann genähert so betrachtet werden, als sei sie entlang der Winkelhalbierenden von der Lagerecke aus aufgeschnitten (Bild 10-34). Erforderlich ist hauptsächlich eine obere Kragbewehrung in x- und y-Richtung. Unten genügt eine Netzbewehrung.

Bild 10-33 In einer einspringenden Wandecke drehbar gelagerte Platte:

a) Hauptmomentenrichtungen, b) grundsätzliche Bewehrung

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Bild 10-34 In einer einspringenden Wandecke eingespannte Platte:

a) Hauptmomentenrichtungen, b) grundsätzliche Bewehrung

10.4.3.5 Auflagerkräfte von Rechteckplatten

Für die Bemessung der unterstützenden Bauteile (Unterzüge, Wände) werden die Auflagerkräfte häufig nach untenstehendem Bild angesetzt, obwohl dies eine sehr grobe Näherung darstellt. Beispielsweise betragen die Eckzugkräfte einer quadratischen Platte zusammen 37 % der Gesamtlast, und entsprechend erhöhen sich die Auflagerdruckkräfte zwischen den Ecken (Bild 10-35).

Bild 10-35 Lastverteilung einer Platte zur Ermittlung der

maßgebenden Lasten auf unterstützende Bauteile

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10.4.4 Diskontinuierliche Linienlagerung

Am Ende einer Wand oder an einer Wandecke (Bild 10-36) konzentrieren sich in einer auskragenden oder durchlaufenden Platte die Momente und Querkräfte in einer singulären Stelle mit elastizitätstheoretisch unendlich großen Beanspruchungen. Die Hauptmomente verlaufen hier strahlen- und ringförmig (Bild Bild 10-36a), ähnlich wie bei Punktlasten oder Einzelstützen (Kapitel 10.4.7). Solche Bereiche können deshalb auch durchstanzen. Beide Hauptmomente verlangen obere Bewehrung.

Franz (1968) schlägt vor, zur Bemessung einer über Eck auskragenden Platte von dem Moment mo = ½ q ⋅ l2 der einfachen Kragplatte auszugehen. Die Plattendicke im Eckpunkt wird so bestimmt, dass ein Moment von 2 mo aufgenommen werden kann. Die Bewehrung wird parallel zu den Rändern verlegt und für das Moment mo bemessen, jedoch auf eine Breite von 0,5 l an der Ecke verdoppelt (Bild 10-36d). Diese Bewehrung ist in beiden Richtungen in gleicher Größe einzulegen.

Große Durchbiegungen der Ecke sind durch Überhöhung der Schalung, beginnend im Abstand 2 l von der Ecke (Bild 10-36c), auszugleichen. Nachträgliche Durch-biegungen infolge Schwinden und Kriechen sind zu beachten.

An der Ecke treten auch sehr hohe Beanspruchungen durch Querkraft auf (Durch-stanzgefahr), die mitunter eine "Durchstanzbewehrung", z. B. Dübelleisten, erfordern (Kapitel 10.4.7.2).

Bild 10-36 Hauptmomentenrichtungen und Bewehrung der über

eine Wandecke auskragenden Platte nach Franz (1968).

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10.4.5 Öffnungen in Platten

Die Schnittkräfte unregelmäßiger Platten mit Öffnungen können heute mittels Finite-Element-Programmen ebenfalls mit annehmbarem Aufwand berechnet werden, wobei ein verhältnismäßig grobes FE-Netz genügt, weil sich die Momentenspitzen ohnehin abflachen und umlagern.

Auch eine geschätzte Lastaufteilung auf Plattenstreifen in x- und y-Richtung gemäß der Hillerborg'schen Streifenmethode (Hillerborg [1975]) oder die Aufteilung der Platte in zwei- und dreiseitig gelagerte Plattenbereiche (Bild 10-37) liefern eine bezüglich der Traglast ausreichende Bewehrung. Diese muss aber zur Rissbreitenbeschränkung durch konstruktive Bewehrung in den Bereichen ergänzt werden, wo nach elastizitätstheoretischer Berechnung Zugspannungen auftreten würden. Im Allgemeinen genügt schon die Vorstellung der Biegefläche, um solche Bereiche zu erkennen.

Bei der Aufteilung von Platten sind die Auflagerkräfte der kleineren Plattenbereiche auf dem freien Rand der größeren Plattenbereiche als zusätzliche Linienlast anzusetzen (Gleichgewicht!) oder in einem "versteckten Unterzug" abzutragen.

Bild 10-37 Beispiel zur näherungsweisen Berechnung einer

Platte mit Öffnung, angegebene Aufteilung gültig für 0,6 < a/lx ≤ l und b1/a > 0,5

Bei Rechtecköffnungen mit Abmessungen kleiner als 1/5 der kleineren Spannweite genügt es, die auf die Öffnung rechnerisch entfallende Tragbewehrung zusätzlich neben die Aussparung zu legen (= Auswechseln) und Querzugbewehrung für die

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Umlenkung der inneren Kräfte vorzusehen (vgl. Bild 9-84). Durch die Umlenkung der Kräfte um die Aussparung herum entstehen auch bei einachsig gespannten Platten Querzugkräfte. Es ist deshalb zweckmäßig, entlang allen Lochrändern oben und unten eine Randbewehrung einzulegen, die mindestens um die normgemäße Verankerungslänge + 1/3 Öffnungsbreite über die Öffnung hinausgeführt wird.

Lochränder sollten immer unten und oben längs bewehrt und mit Steckbügeln eingefasst werden. Die in den Ecken auftretenden Spannungsspitzen aus Kerbwirkung führen dort meist zu diagonal verlaufenden Rissen, die durch die Randbewehrung und - wirksamer - durch schräge Zulagen klein gehalten werden.

10.4.6 Fertigplatten mit Ortbetonschicht

Im Werk weitgehend automatisch vorgefertigte, etwa 5 cm dicke und bis zu 2,5 m breite Plattenelemente sind in Deutschland für Deckenplatten im Geschossbau sehr wirtschaftlich. Sie dienen als verlorene Schalung und untere Tragschicht der Deckenplatte, die durch einen mindestens 50 mm dicken Aufbeton ihren vollen Quer-schnitt erhält (Bild 10-38).

Bild 10-38 Querschnitt einer Halbfertigteilplatte mit Gitterträgern und Ortbetonergänzung.

Die Plattenelemente werden auf den Wänden und auf Rüstträgern im Abstand von etwa 1,2 m verlegt. Bei Auflagertiefen unter 3,5 cm sind nach den deutschen Zulassungen Randjoche erforderlich (Bild 10-39a), bei Auflagertiefen über 4 cm wären die Elemente im Mörtelbett zu verlegen.

Die Fertigteile enthalten die untere Längsbewehrung für die gesamte Platte und eine Querbewehrung, die aber durch Zulagen ("Stoßbewehrung") quer zu den Plattenfugen oder - bei zweiachsig gespannten Platten - durch eine durchgehende Querbewehrung ergänzt werden muss. Auch über schmalen Zwischenauflagern (Bild 10-39b) sind Zulagen vorzusehen. Diese Querbewehrung wird unmittelbar auf die Fertigteile verlegt und hat deshalb einen kleineren Hebelarm als die Längsbewehrung, was natürlich bei der Bemessung zu berücksichtigen ist. Oftmals sind die Fertigteilplatten auch etwas dicker als geplant, wodurch sich der Hebelarm weiter verringert. Auch die Längsbewehrung liegt wegen der aus Fertigungsgründen unter ihr liegenden Montagestäbe 6 mm höher, als die Bewehrung einer ent-sprechenden Ortbetonplatte, sofern nicht eine geringere Betondeckung gewählt wird.

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Bild 10-39 Auflager von Deckenelementen: a) Randauflager, b) Zwischenauflager.

Einbetonierte Gitterträger versteifen als „biegesteife Bewehrung“ die Plattenelemente und dienen als sog. Verbundbewehrung für die Fuge zwischen Fertigteil und Aufbeton. Dazu müssen die Gitterträger gemäß Zulassung nur wenige cm in den Auf-beton hineinragen. In der Praxis dienen die Gitterträger aber meistens auch als (steife) Abstandhalter für die obere Bewehrung und sollten dafür in der geeigneten Höhe geplant werden.

Die Kraftübertragung in der Verbundfuge zwischen Fertigplatte und Ortbeton ist gemäß DIN 1045-1, 10.3.6 nachzuweisen. Die aufnehmbare Schubkraft ist in Abhängigkeit von der Oberflächenbeschaffenheit der Fuge geringer als in einer Ortbetonplatte. Der Bemessungswert der aufnehmbaren Schubkraft VRd,sy in Fugen von Verbundbauteilen (nicht nur in Elementdecken) setzt sich nach DIN 1045-1, aus zwei Anteilen zusammen:

4342144444 344444 212

Nd

1

ydssy,Rd bsin)cot(cotfaV ⋅σ⋅µ−α⋅α+θ⋅⋅= (10.23)

Der erste Anteil des Bemessungswertes VRd,sy berücksichtigt den Schubkraftanteil der über die Verbundfuge hinweglaufenden Bewehrung (z. B. KTS-Träger). Dabei beschreibt α die Neigung der Bewehrung und θ die Neigung der anzusetzenden Druckstrebe.

Es gilt: 0,3cot0,1 ≤θ≤ für Normalbeton

0,2≤ für Leichtbeton

Der zweite Anteil erfasst in Abhängigkeit vom Reibungsbeiwert µ die zu übertragende Längsschubkraft infolge einer senkrecht zur Verbundfuge wirkenden Normalkraft. Die rechnerische Normalspannung σNd ist für Druck in Gleichung (10.23) negativ einzusetzen. Planmäßig und dauerhaft wirkende Lasten, die an die Platte gehängt werden führen zu Zug in der Verbundfuge. Teilflächenlasten sind nach Kapitel 10.4.2 entsprechend zu verteilen.

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Die Schubträger sollten eigentlich über die ganze Nutzhöhe der Platte in die Druckzone reichen, was allerdings mit darüber liegenden Bewehrungsmatten und den gerne auf den Matten verlegten Stabstahlzulagen gar nicht möglich ist. Oft werden von den Fertigteilwerken die in Abstufungen von 2 cm vorrätigen KTS-Träger allzu niedrig geplant, damit auch örtlich vorkommende Bewehrungsanhäufungen, z.B. an Wandecken über den Gitterträgern Platz haben. Durch das Verlegen dünner Zulagen in der Lage der Mattenstäbe oder durch Anbinden dickerer Stäbe unter die Matte lässt sich das Problem entschärfen.

Bild 10-40 KTS-Träger

Da die KTS-Träger nur parallel zu den anderen Gitterträgern eingelegt werden können, liegen die KTS-Träger nicht immer in Richtung der Querkraft. Nach DIN 1045-1 ist deshalb der Abstand zwischen den Trägern auf die doppelte Plattenhöhe (2h) begrenzt. Mehrere in engem Abstand (höchstens etwa 1,5 d) nebeneinander liegende Schubträger ermöglichen aber auch eine Querkraft-abtragung senkrecht zur Trägerrichtung. Eine solche Trägeranordnung kommt z. B. an Wandecken und Wandenden vor. Man kann dann allerdings die einseitig geneigten Diagonalen nur sehr eingeschränkt anrechnen.

Sofern die volle Drillsteifigkeit bei der Berechnung angesetzt wird, dürfen im Bereich großer Drillmomente in den Plattenecken keine Plattenfugen liegen. Dies betrifft einen Bereich im Abstand von 0,3 L ab der Plattenecke.

Bereiche mit Durchstanzgefahr über Stützen werden im Allgemeinen bei den Elementen ausgespart und in Ortbeton ausgeführt. Wenn Plattenfugen in einen möglichen Durchstanzkegel am Ende einer linienförmigen Auflagerung hineinlaufen, z.B. an einer Wandöffnung oder an einer einspringenden Wandecke, dann können dort die Ringdruckkräfte des Druckkegels nicht zuverlässig über die Fuge zwischen den Fertigteilen hinweg übertragen werden. Man sollte deshalb im Bereich des Druckkegels die Fuge zwischen den Elementen auf etwa 5 cm verbreitern und mit dem Aufbeton zusammen betonieren.

Bei zweiachsig gespannten Platten darf für die Beanspruchung rechtwinklig zur Fuge nur die Bewehrung berücksichtigt werden, die durchläuft oder durch eine Stoßlage verbunden ist (Bild 10-41).

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Die Planung der Fertigteile und ihrer Bewehrung sollte aus den genannten und vielen weiteren Gründen nicht unkoordiniert vom Tragwerksplaner den Fertigteilwerken überlassen werden.

Bild 10-41 Möglicher Tragstoß bei zweiachsig gespannten Fertigteildecken mit

Ortbetonergänzung.

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10.4.7 Punktgestützte Platten

10.4.7.1 Tragverhalten und Bemessung für Biegung

Die punktförmige Belastung oder Abstützung von Platten ruft sehr ungünstige lokale Beanspruchungen hervor (nach der Plattentheorie sind die Momente unendlich groß). Trotzdem werden unterzugslose Decken ("Flachdecken" [engl.: flat slabs]) sehr häufig im Hochbau ausgeführt, und auch als Fundamentplatten unter Stützen sind entsprechende Tragwerke die Regel.

Die punktgestützten Platten tragen zwar grundsätzlich wie Rechteckplatten ihre Lasten in zwei Richtungen ab (zweiachsig gespannte Platten), im Gegensatz zu diesen werden die Lastelemente aber nicht auf die beiden Tragrichtungen aufgeteilt, sondern jede Last muss in voller Größe sowohl in der x-Richtung als auch in der y- Richtung zur Stütze hin abgetragen werden. Bei einer Flachdecke mit Gleichlast q über einem quadratischen Stützenraster beträgt also das Integral der Feld- plus Stützmomente, berechnet für eine Breite b = l, in beiden Richtungen jeweils:

∫ ∫ ⋅⋅=+=+==

L

0

L

0

2

0xS,xxF,xSF 8)q(dymdymMM

2L

ll (10.24)

Bild 10-42 Verlauf der Biegemomente mx und my in einer Flachdecke. Lösung

nach der Biegetheorie der Platten für Gleichlast in allen Feldern, der Querschnitt des Momentenverlaufs ist schraffiert.

Die Momente mx und my in der Platte sind quer zur betrachteten Tragrichtung sehr ungleichmäßig verteilt: Sie konzentrieren sich vor allem in der Nähe der Stützen (Bild 10-42). Das Trajektorienbild zeigt in der Umgebung der Stütze einen nahezu rotationssymmetrischen Verlauf (Bild 10-50). Die elastische Biegefläche ähnelt dort einem flachen Kegel mit ausgerundeter Spitze. Auf der Plattenoberseite entstehen hohe radiale Biegezugspannungen, die schnell mit der Entfernung von der Stützung abnehmen, und nahezu gleich hohe tangentiale Zugspannungen, die etwas langsamer abklingen (Bild 10-42 und Bild 10-43). Dementsprechend bildet sich auch das zugehörige Rissbild aus, welches in Bild 10-48 dargestellt ist. Die Bewehrung wird aber aus praktischen Gründen parallel zu den Stützenachsen verlegt. Bei

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annähernd gleich großen Hauptmomenten hat die Bewehrungsrichtung ohnehin keinen Einfluss auf Rissbreite und Tragfähigkeit. Die Platte kann außerdem die Tangential- und Radialmomente gegenseitig umlagern, so dass man in Bezug auf die Tragfähigkeit sogar auf die Radialbewehrung verzichten könnte.

Bild 10-43 Biegemomente mt und mr isotroper Platten:

1) Vollplatte mit gleichmäßiger Auflagerpessung über der Stütze 2) Kreisringplatte mit linienförmiger Stützung am Innenrand.

Die Schnittgrößen von mehrfeldrigen Flachdecken mit annähernd gleichen Stütz-weiten in beiden Richtungen werden zweckmäßigerweise nach DAfStb-Heft 240, 3.3 an einem ebenen Ersatzrahmen berechnet (Bild 10-44). Die zunächst für die Gesamtbreite eines Feldes ermittelten Momente werden dann entsprechend Bild 10-45 auf Gurt- und Feldstreifen verteilt. DAfStb-Heft 240, 3.4 enthält auch noch eine an die Elastizitätstheorie besser angepasste Schnittkraftermittlung und -aufteilung.

Bild 10-44 Näherungsweise Berechnung von Flachdecken mit

unverschieblichen Ersatzrahmen (0,75 < lx/ly < 1,33)

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Bild 10-45 Verteilung der Momente von Flachdecken auf Feld- und Gurtstreifen bei

näherungsweiser Berechnung nach DAfStb-Heft 240, Bild 3.4.

Wenn alle horizontalen Kräfte an aussteifende Bauteile abgegeben werden können, dürfen alle Innenstützen als frei von planmäßigen Momenten betrachtet werden. Nicht dagegen die Rand- und Eckstützen. Sie sind stets als Rahmenstiele in biegefester Verbindung mit der Deckenplatte zu berechnen. Sofern keine genaueren Berechnungswerte vorliegen, dürfen die Momente in den Rand- und Eckstützen nach dem sogenannten Co/Cu Verfahren ermittelt werden. Es basiert auf dem Momentenausgleichsverfahren nach CROSS und beschränkt sich auf den 1. Ausgleich des Volleinspannmomentes des Riegels. Dieses Stützmoment des Rahmenriegels bei beidseitiger Volleinspannung lautet:

12b)pg(M

2

L)0(

Rl

⋅⋅+⋅ψ= (10.25)

bL: Lasteinzugsbreite des Riegels

ψ : Beiwert nach Heft 240, der das Ansteigen der Stützmomente bei breiteren Stützen berücksichtigt.

Bild 10-46 Momentenverlauf des starr eingespannten Ersatzstreifens der Flachdecke.

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Mit den Verteilungswerten Co und Cu erhält man die Stützmomente:

R

so

oo h

CΙΙ

⋅=l (10.26)

R

su

uo h

CΙΙ

⋅=l (10.27)

uo

o)0(Rso CC1

CMM++

⋅= (10.28)

uo

u)0(Rsu CC1

CMM++

⋅= (10.29)

)0(RsusoR MMMM ≠+=′ (10.30)

Bild 10-47 Momentenverlauf in den Rand-/Eckstützen.

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10.4.7.2 Durchstanzen

Bruchmechanismus

Als Durchstanzen wird das Versagen von Platten infolge punktförmiger Einzellasten oder punktförmiger Lagerkräfte bezeichnet, bei dem letztlich ein kegelstumpfförmiger Bruchkörper aus der Platte lokal herausgestanzt wird. Typische Beispiele dafür sind das Durchstanzen von Stützen durch Flachdecken oder Fundamentplatten (Bild 10-48).

Bild 10-48 Herausstanzen eines kegelförmigen Bruchkörpers bei punktförmig gestützten

oder belasteten Platten a) Rissbild und Bruchkegel einer Flachdecke b) Bruchkegel bei einer Fundamentplatte.

Die naheliegende Vermutung, dass das Versagen durch Überschreiten der Zugfestigkeit in der kegelförmigen Bruchfuge eintritt, trifft nur für unbewehrte Platten zu (Platten ohne wesentliche Biegebewehrung und Bügel).

Bei Platten mit Biegebewehrung treten entsprechend den Momenten im Zustand I (Bild 10-49) zunächst hauptsächlich Radialrisse sowie Tangentialrisse in der Nähe

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der Stütze auf. Letztere sind im Querschnitt ähnlich den Schubrissen von Balken zur Stützung hin geneigt, wobei diese Neigung im Allgemeinen bei etwa 30° liegt (Bild 10-48 a).

Bild 10-49 Hauptmomentenlinien einer Pilzdecke unter Gleichlast

Das Versagen ("Durchstanzen") tritt ein, nachdem durch einen solchen kegelförmigen Riss die Betondruckzone unmittelbar am Stützenrand so weit eingeschnürt ist, dass sie unter den dort konzentrierten Druckkräften versagt. Der Versagensmechanismus ähnelt insofern demjenigen von Balken an Innenstützen unter Moment und Querkraft. Die Tragfähigkeit hängt hauptsächlich von der Beanspruchung der kegelförmigen Druckzone ab, also von deren Umfang und Dicke. Letztere wiederum ist umso größer, je weniger sich der Kegelriss öffnet, d.h. je stärker die Platte im Stützenbereich bewehrt ist.

Diese Einflussparameter finden sich, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird, auch im Nachweis nach DIN 1045-1, 10.5.

Nachweis für das Durchstanzen nach DIN 1045-1

Im Grenzzustand der Tragfähigkeit darf die einwirkende Querkraft vEd den Wider-stand vRd längs des kritischen Rundschnitts nicht überschreiten.

RdEd vv ≤ (10.31)

Als kritischen Rundschnitt definiert DIN 1045-1 einen Schnitt, der die Lastein-leitungsfläche in einem Abstand von 1,5d umgibt (Bild 10-50). Dabei darf die Lasteinleitungsfläche einen Durchmesser von 3,5d beziehungsweise einen Umfang von 11d bei einem Seitenverhältnis von a/b < 2 nicht überschreiten. Für ausgedehnte Auflager-/Lasteinleitungsflächen ist der kritische Rundschnitt wie in Bild 10-51

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gezeigt zu wählen. Dies kann im Besonderen für Wandvorsprünge und Lisenen bei kontinuierlich gestützten Decken von Interesse sein.

Bild 10-50 Kritischer Rundschnitt für kompakte Lasteinleitungsflächen.

Bild 10-51 Kritischer Rundschnitt für ausgedehnte Lasteinleitungsflächen.

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Für Lasteinleitungsflächen, deren Rand nicht mehr als 6 ⋅ d von Öffnungen entfernt ist, ist ein der Öffnung zugewandter Teil des maßgebenden Rundschnitts als unwirksam zu betrachten. Dieser Umfangsabschnitt wird durch den Abstand der Schnittpunkte der Verbindungslinien mit dem betrachteten Rundschnitt nach Bild 10-52 beschrieben.

Bild 10-52 Kritischer Rundschnitt in der Nähe von Öffnungen

Bei Lasteinleitungsflächen, die sich in der Nähe eines freien Randes oder einer freien Ecke befinden, ist der kritische Rundschnitt nach Bild 10-53 anzunehmen, sofern dieser einen Umfang ergibt (freier Rand ausgeschlossen), der kleiner als derjenige nach Bild 10-50 und Bild 10-52 ist.

Bei Lasteinleitungsflächen im Bereich eines freien Randes mit einem Randabstand von mehr als 3 ⋅ d zum freien Plattenrand, darf die aufnehmbare Querkraft mit einem kritischen Rundschnitt nach Bild 10-50 bestimmt werden.

Bild 10-53 Kritischer Rundschnitt nahe freien Rändern (DIN 1045-1, S.88).

Der Bemessungswert der einwirkenden Querkraft vEd ergibt sich aus der Gleichung:

β⋅=u

Vv Ed

Ed [kN/m] (10.32)

Hierbei ist VEd der Bemessungswert der gesamten durch die Stütze aufzunehmenden Querkraft (Stützenlast), und u ist der Umfang des kritischen Rundschnitts, wobei Aussparungen in Stützennähe berücksichtigt werden.

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Der Korrekturfaktor ß berücksichtigt die Art der Belastung und darf für unverschieb-liche Systeme wie folgt angenommen werden:

- für rotationssymmetrische Belastung ß = 1,00

- bei Innenstützen ß = 1,05

- bei Randstützen ß = 1,40

- bei Eckstützen ß = 1,50

Die Bemessungswerte auf der Widerstandsseite vRd werden durch folgende Werte beschrieben:

vRd,ct: Querkrafttragfähigkeit einer Platte ohne Durchstanzbewehrung.

vRd,max: maximale Querkrafttragfähigkeit einer Platte mit Durchstanzbe-wehrung im Hinblick auf das Versagen der Druckstrebe.

vRd,sy: Querkrafttragfähigkeit einer Platte in Abhängigkeit von der Bewehrung gegen Durchstanzen in jedem inneren Rundschnitt Ui (Bild 10-54).

VRd,ct,a: Querkrafttragfähigkeit außerhalb des durchstanzbewehrten Bereichs längs des äußersten Rundschnittes Ua.

Bild 10-54 Nachweisschnitte der Durchstanzbewehrung

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Der Nachweis gilt als erbracht, wenn:

Fall 1, keine Durchstanzbewehrung erforderlich:

vEd ≤ vRd,ct = [ ] d12,0)f100(14,0 cd3/1

ck11 ⋅σ⋅−⋅ρ⋅⋅κ⋅η⋅ (10.33)

nNormalbetofür0,11 =η

0,2d

2001 ≤+=κ

Diese Formel für den Bemessungswiderstand vRd,ct ist in DIN 1045-1, 10.5.4 für den kritischen Rundschnitt (Bild 10-50 bis Bild 10-53) angegeben. Sie hängt von der Betonfestigkeit fck, der mittleren statischen Nutzhöhe d und vom Bewehrungsgrad ρl der Biegebewehrung ab, welcher über die Rissbreite das Durchstanzen beeinflusst. Der Bewehrungsgrad sollte in beiden Richtungen mindestens 0,5 % betragen und darf höchstens mit 2 % bei der Ermittlung von vRd,ct berücksichtigt werden. Die Vorspannung (Druckspannungen negativ ansetzen) werden als Beton-normalspannungen infolge Längskraft NEd,y und NEd,x erfasst und auf Spannungs-ebene mit

2y,cdx,cd

cd

σ+σ=σ gemittelt. (10.34)

Die Gleichung für vRd,ct ist identisch mit derjenigen für Platten mit linienförmiger Lagerung. Sie unterscheidet sich lediglich durch den Faktor 0,14 für Durchstanzen gegenüber 0,10 für Querkraft ohne Bügelbewehrung. Diese erhöhte Tragfähigkeit für das Durchstanzproblem ohne Querkraft-/Durchstanzbewehrung resultiert aus einer erhöhten mehraxialen Betontragfähigkeit infolge des räumlichen Druckspannungs-zustandes in der Nähe des Stützenfußes.

Fall 2, Durchstanzbewehrung erforderlich:

ct,Rdmax,RdEd v5,1vv ⋅=≤

Diese Nachweisformel beruht auf dem Versagen der Betondruckzone im kritischen Rundschnitt (Bild 10-50 bis Bild 10-53) und wird zur Rechenvereinfachung über einen empirischen Beiwert an die Durchstanztragfähigkeit ohne Bügelbewehrung gekoppelt.

Weiterhin ist die erforderliche Durchstanzbewehrung für die entsprechend zu Bild 10-54 ermittelten Nachweisschnitten zu berechnen.

Für den inneren Nachweisschnitt u1 erfolgt dies nach:

1sy,RdEd1

ydswsct,Rd1sy,Rd vvmit

ufA

vv1

≤⋅⋅κ

+= (10.35)

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Für jeden weiteren Nachweisschnitt im Abstand von sw ≤ 0,75 ⋅ d ist die Durch-stanzbewehrung nach

syi,RdEdiwi

ydswsct,Rdsyi,Rd vvmit

sudfA

vv ≤⋅

⋅⋅⋅κ+= (10.36)

zu ermitteln.

Hierbei gibt der Ausdruck

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎩⎨⎧

≤≥−

⋅+=κ⋅⋅κ mmind;0,17,0

400400d3,07,0fA sydsws

die Tragfähigkeit der Durchstanzbewehrung in Richtung von vEd wieder. Die Bewehrung ist im Bereich des Nachweisschnittes gleichmäßig verteilt anzuordnen, wo sie die Bruchfuge "vernäht".

Bei Platten mit Durchstanzbewehrung darf eine sogenannte "Mindestschub-bewehrung" nicht unterschritten werden (DIN 1045-1, 10.5.5 (5)). Flachdecken, die eine Durchstanzbewehrung enthalten, sollten eine Mindestdicke von 20 cm haben.

Im linearen Abstand von 1,5 ⋅ d zum äußersten Nachweisschnitt der Durchstanz-bewehrung Ua ist die Querkrafttragfähigkeit der Platte ohne Querkraftbewehrung nachzuweisen.

ct,Rdaa,ct,Rd vv ⋅κ= (10.37)

Dabei berücksichtigt der Faktor κa den Rückgang der Mehraxialität der Betonspannungen mit zunehmender Entfernung vom Stützenkopf. Vereinfacht kann κa = 0,71 angesetzt werden, was zu einem klassischen Querkraftnachweis für Platten ohne Querkraftbewehrung führt (DIN 1045-1, 10.3.3).

Damit bei ausmittiger Stützenbelastung die Querkrafttragfähigkeit erhalten bleibt, ist die Platte für Mindestmomente mEdx und mEdy pro Längeneinheit in x- bzw. in y-Richtung zu bemessen, sofern die Schnittgrößen nicht zu höheren Werten führen. Gewarnt sei hier vor Einzelstützen direkt am Rand einer Platte oder in dessen Nähe. Das ohnehin statisch sehr ungünstige Tragverhalten bei den Innenstützen ist in jenen Fällen noch ungünstiger und unübersichtlicher. DIN 1045-1 enthält in Kapitel 10.5.6 aber auch hierfür Bemessungsregeln. Besser ist es, die Platte über die Randstützen auskragen zu lassen.

Durch Stützen belastete Fundamentplatten verhalten sich prinzipiell wie (umge-kehrte) Flachdecken. Auch Einzelfundamente entsprechend Bild 10-48b sind auf Durchstanzen zu untersuchen. Dabei darf der Anteil der Stützenlast, der als Bodenpressung unmittelbar auf den Durchstanzkegel wirkt, bei der maßgeblichen Querkraft vEd für den Durchstanznachweis abgezogen werden.

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Konstruktive Sonderlösungen zur Sicherung gegen Durchstanzen Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte wurden verschiedene Stahlelemente entwickelt, die die Sicherheit gegen Durchstanzen mit einem relativ guten Wirkungsgrad erhöhen, ohne dabei die einfache Ausführbarkeit von Flachdecken zu beeinträchtigen, z.B.

- Walzprofilkreuze (Bild 10-55)

- Stahlkragen (Bild 10-57)

- Dübelleisten (Bild 10-58)

Diese Einbauteile ersetzen dabei die Bügelbewehrung oder sie verteilen die Einleitung der konzentrierten Stützenkraft auf einen größeren Bereich der Platte.

Eine sehr wirksame, aber herstellungstechnisch aufwendige Verbesserung des Tragverhaltens erhält man durch Stützenkopfverstärkungen (Bild 10-56). Darin breiten sich die Stützenkräfte auf einen größeren Umfang aus, so dass die Durchstanzbeanspruchungen wie für eine wesentlich dickere Stütze berechnet werden können.

Bild 10-55 Walzprofilkreuz

Neuerdings werden auch Stützenkopffertigteile mit nachträglich ergänzter Ortbetonplatte entwickelt, die auch die Vorteile einer rationellen Herstellung haben (Bild 10-56d).

Bild 10-56 Stützenkopfverstärkungen: a) allmählicher Übergang, b) Verdickung der Platte

über der Stütze, c) pyramidenförmiger Pilzkopf, d) Fertigteilstützenkopfkons-truktion mit nachträglich ergänzter Ortbetonplatte und möglichen Aussparungen.

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Bild 10-57 Stahlkragen aus Profilträgern (Geilinger Stahlbau) an einer Betonstütze

(Plattenbewehrung nicht vollständig dargestellt)

Bild 10-58 Anordnung von Dübelleisten um eine Verbundstütze

Eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung des Tragverhaltens im Stützenbereich von Flachdecken stellt die Stützstreifenvorspannung dar (Bild 10-59). Die im Feld angesammelte Last wird von den Spanngliedern über der Stütze als Umlenkkraft von "oben" direkt an die Stütze abgegeben und vermindert so die Beanspruchung des kritischen Druckkegels.

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Bild 10-59 Stützstreifen-Vorspannung: verschiedene Spanngliedanordnungen

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11 Stahlbeton-Druckglieder

11.1 Einführung Man weiß aus Erfahrung und Intuition, dass sehr schlanke druckbeanspruchte Bauglieder selbst bei einer Belastung unterhalb der Materialfestigkeit des Querschnitts durch Ausknicken versagen können. Diese Versagensart ist besonders gefährlich, weil sie im Allgemeinen plötzlich und unangekündigt erfolgt. Der Schweizer Mathematiker Leonhard Euler (1707-1783) hat das Problem des elastischen Knickens theoretisch gelöst und behandelt. Wird einem gelenkig gelageten Stab, der durch eine zentrische Normalkraft beansprucht wird (Bild 11-1), kurzfristig eine kleine Auslenkung δ1 aufgezwungen, können folgende Reaktionen auftreten:

- N < Ncr: elastische Federkräfte führen den Stab in seine anfängliche Lage zurück

- N ≥ Ncr: Moment N · δ1 führt zu einer zusätzlichen Auslenkung δ2, die zu einer Kettenreaktion bis zum Bruch durch Knickung führt.

Bild 11-1 Zentrisch beanspruchter Druckstab

11.2 Grundlagen

11.2.1 Tragverhalten von Druckgliedern

Bei Bauteilen, die hauptsächlich auf Biegung beansprucht werden, können die Schnittgrößen am unverformten System nach der linearen Theorie (Theorie I. Ordnung) ermittelt werden. D. h., die Schnittgrößen steigen proportional zur äußeren Beanspruchung. Das Superpositionsprinzip ist gültig. Bei vorwiegend druckbeanspruchten Bauteilen mit linear-elastischem Werkstoffverhalten, kann das Tragverhalten in Spannungs- und Stabilitätsprobleme eingeteilt werden. Als Spannungsproblem wird ein Problem der Elastizitätstheorie II. Ordnung bezeichnet,

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bei dem zu jeder Laststufe ein eindeutig bestimmter Verformungszustand existiert. Haben Verformungen bzw. geometrisch nichtlineare Effekte einen erheblichen Einfluß auf die Schnittgrößen müssen die Gleichgewichtsbedingungen am verformten System nach Theorie II. Ordnung erstellt werden. Im Gegensatz dazu ist ein Stabilitätsproblem durch ein Verzweigungsproblem definiert (Linie 1, Bild 11-2).

Das Verformungsverhalten beim Werkstoff Stahlbeton lässt sich nicht so einfach beschreiben. Die σ-ε-Linie für Beton ist nichtlinear, die Festigkeit im Druckbereich anders als im Zugbereich. Man unterscheidet prinzipiell zwei Versagensarten:

Die materielle (physikalische) Nichtlinearität führt zu einem Festigkeitsproblem nach Theorie II. Ordnung mit nichtlinearem Verlauf im Last-Verschiebungs-Diagramm (Linie 2, Bild 11-2). Das Versagen des Bauteils wird durch Stahlversagen oder Betondruckbruch des maßgebenden Querschnitts verursacht.

Bild 11-2 Versagensarten

Bild 11-3 Stabilitätsproblem ohne Verzweigung

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Beim sogenannten Stabilitätsproblem ohne Verzweigung (Linie 3, Bild 11-2) wächst das äußere Moment schneller als das innere (Bild 11-3). Im Traglastzustand P2 ergibt sich das Gleichgewicht zwischen dem einwirkenden Moment Ma = P · (e + w) und dem Moment Mi des maßgebenden Querschnitts aus einer Geraden, die die nichtlineare Kurve dieses Moments berührt. Das Moment M2 ist geringer als das Bruchmoment M3, so dass eine weitere Steigerung des inneren Moments Mi bzw. äußerem Moment Ma (neues Gleichgewicht) bis zum Bruchmoment M3 nur durch eine Lastverminderung von P2 nach P3 möglich ist. Die Verformungen von w2 auf w3 wachsen aufgrund des physikalisch nichtlinearen Verhaltens überproportional an.

In Bild 11-4 sind nochmals die Möglichkeiten des Versagens in einem Interaktions-Diagramm für Pu und Mu verdeutlicht.

Bild 11-4 Versagensmöglichkeiten dargestellt im Interaktionsdiagramm

Eine Berechnung der Schnittgrößen nach Theorie II. Ordnung muss erfolgen, wenn die Schnittgrößen durch Verformungen um mehr als 10% erhöht werden (Bild 11-5). Die Verformung bzw. Durchbiegung w(x) kann für homogene, isotrope Materialien über die Momenten-Krümmungs-Beziehung ermittelt werden.

( ) ( ) ( )IE

xMxxwII

⋅=κ= Krümmung

( ) ( )∫ +⋅

⋅= 1

I cdxIE

xMxw Neigung

( ) ( )∫ ∫ +⋅⎥⎦

⎤⎢⎣⎡ +⋅

⋅= 21 cdxcdx

IExMxw Durchbiegung

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Bild 11-5 Schnittgrößen nach Theorie I. und II. Ordnung

Für den Werkstoff Stahlbeton ist die Ermittlung der Durchbiegung auf diese Weise allerdings ungeeignet, da

- die unterschiedlichen Festigkeitseigenschaften der Materialien Beton und Stahl im Verbundwerkstoff Stahlbeton ein anisotropes Materialverhalten aufweisen

- Beton und Stahl nichtlineares Materialverhalten haben

- veränderter wirksamer Querschnitt des Betons durch Rissbildung

- effektive Steifigkeit von der Mitwirkung des Betons zwischen den Rissen abhängig

- Kriechen zu einer Vergrößerung der Ausmitte (e0 + e2) und zu Spannungsumlagerungen führt

Aus diesen Gründen wird bei Stahlbeton die im Grenzzustand der Tragfähigkeit auftretende Krümmung κ = 1/r direkt aus dem jeweiligen Dehnungszustand εc2/εc1 bzw. εc2/εs1 ermittelt (Bild 5)

Zustand I: h

tanK 1c2c ε+ε=α==κ (11.1)

Zustand II: 1

1S2c

dhtanK

−ε+ε

=α==κ (11.2)

Der Zusammenhang zwischen Moment, Normalkraft und Krümmung kann vereinfachend nach Bild 11-6 angenommen werden. Hierbei wird ein linearisierter Verlauf zugrundegelegt. Die oben genannten Gründe führen zu einer gekrümmten Momenten-Krümmungs-Beziehung. Bei einem geringen Bewehrungsanteil ist die Krümmung stark ausgeprägt, während bei größeren Bewehrungsanteilen das lineare Materialverhalten des Stahls bis zur Streckgrenze dominiert. Je nach Größe der

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Längskraft kann zuerst die Druckbewehrung oder die Zugbewehrung fließen. Ebenso wird das Rissmoment µcr durch die Längskraft beeinflusst. Die bezogenen Schnittgrößen µ und ν führen zu einer bezogene Biegesteifigkeit B:

cd2

c fhAIEB⋅⋅

⋅= (11.3)

Bild 11-6 Stabkrümmungen aus Dehnungsverteilung

Bild 11-7 Momenten-Krümmungs-Beziehung

11.2.2 Knicklängen / Ersatzstablängen

Die Knicklänge eines durch Druckkräfte beanspruchten Bauteiles ist definiert als die Länge eines beiderseits gelenkig gelagerten Stabes, der dieselben Steifigkeits-eigenschaften und dieselbe Knicklast wie das betrachtete Bauteil hat.

Für Stäbe mit idealen Auflagerbedingungen sind die Knicklängen entsprechend den klassischen Euler-Fällen I bis IV in Bild 11-8 dargestellt. Die Knicklänge kann als Abstand zwischen zwei benachbarten Wendepunkten einer Halbwelle der Knickbiegelinie dargestellt werden.

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Bild 11-8 Knicklängen und Knickfiguren entsprechend den Euler-Fällen

Das Verhältnis zwischen der Knicklänge und der tatsächlichen Länge des Bauteils wird über den Knicklängenbeiwert β angegeben:

col

0k

ll.bzw

ss

=β=β (11.4)

sk bzw. l0 Knicklänge bzw. Ersatzlänge des Bauteils

s bzw. lcol Tatsächliche Länge des Bauteils

Mit Hilfe der Schlankheit λ als Quotient aus Knicklänge sk und Trägheitsradius i

il0=λ (11.5)

AIi = Trägheitsradius

kann schnell entschieden werden, ob keine Knickgefahr besteht oder ob sie nur gering und somit eine Näherungsrechnung möglich ist, oder ob sie groß und deshalb der numerisch sehr aufwendige Weg über M-N-κ-Beziehungen unumgänglich ist.

Sind die Stabenden horizontal verschieblich, dann wird sk sehr viel größer als bei unverschieblicher Lagerung. Man muss also unbedingt beachten, ob Tragwerke mit Stützen horizontal starr festgehalten sind oder ob sie sich verschieben können (Bild 11-9). Die Einspannung an den Stützen ist tatsächlich nicht starr, so dass die Euler-Fälle keine sichere Grundlage zur Bestimmung der Knicklänge sind.

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Bild 11-9 Knickfiguren und Knicklängen verschieblicher und unverschieblicher Rahmen

Bild 11-10 Knickfiguren und Knicklängen unverschieblicher Rahmen

Für die Berechnung von unverschieblichen Rahmensystemen ist die Unter-suchung am Gesamtsystem am genauesten und aufwändigsten. Näherungsweise dürfen in einem horizontal unverschieblich gehaltenen Rahmentragwerk die einzelnen Druckglieder isoliert betrachtet werden. Für die Lage der Wendepunkte und daraus resultierender Ersatzstablänge sind die Steifigkeitsverhältnisse k zwischen anschließenden Stützen und Riegeln in den Endpunkten der zu untersuchenden Stützen maßgebend. Aus den Steifigkeitsverhältnissen an den Stabenden A und B kann dann der Knicklängenbeiwert β aus dem Nomogramm in Bild 11-11 abgelesen werden.

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∑⋅α⋅

=⎭⎬⎫

j eff

bcm

i col

colcm

B

A

IE

IE

kk

l

l (11.6)

Die Summe über i geht über alle am betrachteten Knoten (A oder B) angeschlossenen Stützen. Die Summe über j geht über alle am betrachteten Knoten (A oder B) angeschlossenen Riegel. Für k = 0 liegt volle Einspannung, für k = ∞ frei drehbare, gelenkige Lagerung vor. Oftmals wird dabei für EI der Betonquerschnitt im Zustand I ohne Berücksichtigung des Betonstahls verwendet. Genau genommen müssten die Steifigkeiten unter Gebrauchslast verwendet werden, was für die Riegel praktisch immer Zustand II bedeutet. Die Steifigkeit der Riegel EIII ist dann merklich kleiner als EII (EIII ≈ 0,55 - 0,70 ·EII), was die Einspannung der Stützen vermindert und die Steifigkeitsverhältnisse k vergrößert. Aus diesem Grund sollte selbst bei einer direkten Fuß- bzw. Kopfeinspannung keine volle Einspannung angesetz werden. Der schraffierte Bereich im Nomogramm unterhalb von kA = kB = 0,4 wird deshalb nicht empfohlen.

Bild 11-11 Nomogramm des kA / kB – Verfahrens für unverschieblich

und verschiebliche Rahmen

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Für verschiebliche Rahmensysteme darf das Näherungsverfahren nur bei regelmäßigen Rahmen (Stützen übereinander und annähernd gleiche Steifigkeit in allen Geschossen) bis zu einer mittleren Schlankheit λm angewendet werden.

⎪⎩

⎪⎨

ν≤λ

Ed

m 2050

max

cdc

EdEd fA

N⋅

Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so ist das Gesamtsystem nach Theorie II. Ordnung zu untersuchen.

Anmerkung:

Alternativ zum kA / kB – Verfahren kann das bekannte cu / co – Verfahren aus dem Stahlbau zur Bestimmung des Knicklängenbeiwert verwendet werden. Aber auch hier sollte eine 100 % Fuß- bzw. Kopfeinspannung nicht angesetzt werden.

11.3 Schnittgrößenermittlung nach Theorie II. Ordnung gemäß DIN 1045-1

11.3.1 Einteilung der Tragwerke und Bauteile

Vor jeder Stabilitätsuntersuchung ist zu entscheiden, ob es sich um ein horizontal verschiebliches oder ein unverschiebliches System handelt. Zur Entscheidungshilfe ob verschieblich oder unverschieblich, werden Tragwerke / Bauteile in ausgesteifte oder unausgesteifte eingeteilt, je nachdem, ob aussteifende Bauteile vorgesehen sind oder nicht.

Zu oben genannten Tragwerken / Bauteilen gehören:

- Einzeldruckglieder (Bild 11-12a+b)

- Druckglieder als Teil eines Tragwerks, die jedoch als Einzeldruckglieder betrachtet werden können (Bild 11-12c+d)

Bild 11-12 Arten von Einzeldruckgliedern

a) einzeln stehende Stütze b) gelenkig angeschlossene Druckglieder in einem verschieblichen

oder unverschieblich ausgesteiften Tragwerk c) schlankes aussteifendes Bauteil eines verschieblichen Tragwerks,

das als Einzeldruckglied betrachtet werden kann d) biegesteif angeschlossene Druckglieder in einem verschieblichen

oder unverschieblich ausgesteiften Trawerk, die als Einzeldruckglieder betrachtet werden können

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200

Bauwerke mit aussteifenden Bauteilen

Als aussteifende Bauteile wirken Wandscheiben oder Treppenhauskerne aus Mauerwerk oder Stahlbeton. Die aussteifenden Bauteile sollen nahezu symmetrisch angeordnet sein und mindestens 90 % der horizontalen Lasten aufnehmen. Außerdem sollen sie ausreichend steif sein und nur sehr kleine Horizontal-verschiebungen zulassen. Ausgesteifte Bauwerke können als horizontal unverschieblich eingestuft werden, sofern das nachstehende Kriterium erfüllt ist. Das Kriterium gilt bei annähernd symmetrischer Anordnung von aussteifenden Bauteilen.

⎪⎪⎩

⎪⎪⎨

≥≥

≤⋅+

≥⋅

⋅4mfür

6,01

3mfürm1,02,0

1

FIE

h1

Ed

ccm

ges (11.7)

hges Gesamthöhe des Bauwerks

Ecm Elastizitätsmodul des Betons, sofern die aussteifenden Bauteile aus Stahlbeton bestehen

Ic Gesamtes Flächenträgheitsmoment der aussteifenden Bauteile

FEd Die Summe der auf das Bauwerk wirkenden Vertikallasten

m Anzahl der Geschosse

Bei nicht annähernd symmetrischer Anordnung ist folgende Bedingung zu erfüllen:

⎪⎪⎩

⎪⎪⎨

≥≥

≤⋅+

⋅⋅

⋅+⋅

⋅⋅

∑∑ω

4mfür6,0

1

3mfürm1,02,0

1

rFIG

28,21

rFIE

h1

2jj,Ed

Tcm2jj,Ed

cm

ges (11.8)

rj Abstand der Stütze j vom Schubmittelpunkt

FED,j Vertikallast der Stütze j

Iω Wölbflächenmoment des Betons

IT Torsionsflächenmoment des Betons

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201

Bauwerke ohne aussteifende Bauteile

Derartige Bauwerke gelten als unverschieblich, wenn die Schnittgrößen nach Theorie II. Ordnung höchstens 10 % größer als diejenigen nach Theorie I. Ordnung sind. Vereinfachend können alle unausgesteiften Bauteile als horizontal verschieblich angenommen werden.

11.3.2 Nachweisverfahren

Bei Einzeldruckgliedern darf durch Vergleiche der Schlankheit mit Grenzwerten entschieden werden, ob Auswirkungen nach Theorie II. Ordnung zu berücksichtigen sind.

Unverschiebliche und verschiebliche Einzeldruckglieder gelten als schlank, wenn folgende Grenzwerte der Schlankheit überschritten werden:

⎪⎩

⎪⎨

<νν

≥ν

=λ41,0für1641,0für25

maxEd

Ed

Ed

max

cdc

EdEd fA

N⋅

Unverschiebliche Tragwerke oder Einzeldruckglieder, die als nicht schlank gelten, brauchen nicht nach Theorie II. Ordnung bemessen zu werden.

Rd: Linie der Querschnittstragfähigkeit

E1: Linie nach Theorie I. Ordnung ⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ = 1,0

he1

E25: Linie nach Theorie II, Ordnung (λ = 25)

E75: Linie nach Theorie II, Ordnung (λ = 75)

E125: Linie nach Theorie II, Ordnung (λ = 125)

Bild 11-13: Versagensformen bei unterschiedlichen Schlankheiten

Einzeldruckglieder in unverschieblich ausgesteiften Tragwerken brauchen, selbst wenn sie als schlank gelten, nicht nach Theorie II. Ordnung untersucht werden, wenn ihre Schlankheit λ kleiner oder gleich λcrit ist. Dies gilt nur dann, wenn die Stütze zwischen ihren Enden nicht durch Querlasten oder Lastmomente beansprucht wird und die Längskraft über die Stützenlänge als konstant angenommen werden kann.

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202

( )0201crit ee225 −=λ (11.9)

e01/e02 Verhältnis der jeweiligen Lastausmitten der Längskraft an den Stützenenden mit |e01| ≤ |e02|, vgl. Bild 11-14

Bei Anwendung dieser Regel sind die Stabenden für folgende Mindestschnittgrößen zu bemessen:

Edmin,Ed

Edmin,Ed

NN20hNM

=

⋅=

h Querschnittsabmessung der Stütze in der betrachteten Richtung

Bild 11-14 Einfluss der Momentenverteilung

Kriechauswirkungen dürfen in der Regel vernachlässigt werden, wenn die Stützen an beiden Enden monolithisch mit lastabtragenden Bauteilen verbunden sind oder wenn bei verschieblichen Tragwerken die Schlankheit des Druckgliedes λ < 50 und gleichzeitig die bezogene Lastausmitte e0 > 2 ist.

11.3.3 Imperfektionen

Herstellungsbedingt wird es im Stahlbetonbau wie auch im Stahlbau nie den exakt geraden Stab geben. Die Schalung weist Maßabweichungen auf, die Bewehrung liegt nie exakt symmetrisch und es treten weitere Ungenauigkeiten auf. Deshalb ist der planmäßigen Ausmitte e0 = M/N immer eine ungewollte Ausmitte ea hinzuzu-fügen:

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203

2le 0

1aa ⋅α=

2001

h1001

ges1a ≤

⋅=α Schiefstellung gegen die Sollachse

l0 = β · lcol Knicklänge

hges = lcol tatsächlich vorhandene Länge des Druckgliedes

11.3.4 Schnittgrößenermittlung mittels Modellstützenverfahren

Nach DIN 1045-1, 8.6.5 dürfen für schlanke Einzeldruckglieder die Auswirkungen nach Theorie II. Ordnung vereinfachend nach dem Modellstützenverfahren ermittelt werden. Zur Ermittlung der Schnittgrößen wird unter Berücksichtigung der Verformungen eine Modellstütze verwendet. Das Modelstützenverfahren gilt für Druckglieder mit rechteckigem oder kreisförmigem Querschnitt (oder regelmäßig polygonal mit ≥ 6 Kanten), bei denen die Lastausmitte nach Theorie I. Ordnung die Bedingung e0 ≥ 0,1h (mit der Dicke des Querschnitts h in der betrachteten Ebene) erfüllt. Für andere Querschnittsformen und für Lastausmitten e0 < 0,1h ist das Modellstützenverfahren auch anwendbar, jedoch sind andere Näherungen in DAfStb-Heft 525 geeigneter. Die Modellstütze ist eine Kragstütze mit der Länge l = lcol = l0 / 2, die am Fußpunkt eingespannt und am Kopfpunkt frei verschieblich ist. Sie wird durch eine Längskraft NEd und ein Biegemoment MEd0 um eine Achse am Kopfpunkt beansprucht, wobei am Stützenfuß das maximale Moment auftritt. Stabilitäts-gefährdete Rahmensystme müssen zur Anwendung dieses Verfahrens an die Modellstütze angepasst werden. Der Nachweis des Gleichgewichts wird durch die Bemessung im kritischen Querschnitt am Fuß der Modellstütze auf der Grundlage der Krümmung 1/r des Querschnitts unter der max. Auslenkung der Stütze nach Theorie II. Ordnung erbracht. Die Gesamtausmitte ergibt sich bei Einzeldruckgliedern mit konstantem Querschnitt zu:

etot = e1 + e2

e1 = e0 + ea Ausmitte nach Theorie I. Ordnung (ea siehe 11.3.3)

e2 Ausmitte nach Theorie II. Ordnung

e2,c = e2 + ec Ausmitte nach Theorie II. Ordnung unter Berücksichtigung von Kriechen

Daraus ergeben sich die Bemessungsschnittgrößen:

NEd

MEd2 = NEd · etot bzw. MEd2 = MEd1 + NEd · e2 (11.10)

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204

Bild 11-15 Modellstützenverfahren

11.3.4.1 Ausmitte nach Theorie I. Ordnung (e1)

Die Ausmitte e1 nach Theorie I. Ordnung wird aus der Lastausmitte

Ed

0Ed0 N

Me = (11.11)

und aus ungewollter Schiefstellung (Imperfektion) ea nach Kapitel 11.3.3 ermittelt. Für Druckglieder, die längs der Stabachse eine veränderliche Lastausmitte aufweisen darf bei konstantem Querschnitt vereinfachend die wirksame Lastausmitte e0 verwendet werden:

⎩⎨⎧

⋅+⋅=

02

01020 e4,0

e4,0e6,0maxe (11.12)

Die Stabilitätsgefährdung liegt dann im mittleren Drittel der Ersatzlänge. Aus der Überlagerung der einzelnen Ausmitten ergibt sich die wirksame Lastausmitte für den stabilitätsgefährdeten Punkt wie es im Bild 11-16 dargestellt wird. Als wirksame Lastausmitte wird die größte Ausmitte im mittleren Drittel verwendet. Bei einer einseitigen Ausmitte liegt der stabilitätsgefährdete Punkt dementsprechend bei etwa 0,4 · lcol. Die Knicklänge beträgt hier etwa 0,7 · lcol:

colcol

col l4,03

l7,0l7,0 ⋅≈⋅

−⋅ (11.13)

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205

Bild 11-16 Wirksame Lastausmitte e0 |e01| ≤ |e02|, vgl. Bild 11-14

11.3.4.2 Ausmitte nach Theorie II. Ordnung (e2)

Die horizontale Verformung der Modellstütze am Kopfpunkt nach Theorie II. Ordnung kann mittels Kraftgrößenverfahren ermittelt werden.

( ) ( ) ( )∫ ∫ ⋅⋅=⋅⋅

= dxxMr1dx

EIxMxMe 2

2 (11.14)

Bild 11-17 Bestimmung der Ausmitte e2 mittles Kraftgrößenverfahren

Die Krümmung 1 / r verläuft nach einer unbekannten Funktion, da sie davon abhängig ist, wo im Querschnitt Zustand I und wo Zustand II herrscht. Durch eine

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206

Grenzwertbetrachtung lässt sich aber ein mittlerer Krümmungsverlauf finden, der allgemein angesetzt werden kann.

- Bei einer großen, am Stützenkopf angreifenden Horizontalkraft H ergibt sich ein annähernd dreiecksförmiger Krümmungsverlauf, da der Anteil am Moment aus Theorie II. Ordnung und MEd gering ist.

- Bei geringer Horizontalkraft H und großen Stützenabmessungen oder bei einer Konstruktion mit gestaffelter Bewehrung ist ein annähernd konstanter Krümmungs-verlauf zu erwarten.

- Bei schlanken Stützen wird sich ein parabelförmiger Verlauf einstellen, da der Anteil aus Theorie II. Ordnung groß ist.

Die Berechnung für den dreiecksförmigen Krümmungsverlauf ergibt:

12l

r1

2l

2l

r1

31

2lM

EIM

31e

200002

2 ⋅=⋅⋅⋅=⋅⋅⋅= (11.15)

Die Berechnung für den rechteckigen Krümmungsverlauf ergibt:

8l

r1

2l

2l

r1

21

2lM

EIM

21e

200002

2 ⋅=⋅⋅⋅=⋅⋅⋅= (11.16)

Die Berechnung für den parabolischen Krümmungsverlauf ergibt:

rl

101

rl

485

2l

2l

r1

125

2lM

IEM

125e

20

200002

2 ⋅≈⋅=⋅⋅⋅=⋅⋅⋅

⋅= (11.17)

Der Ansatz mit parabolischem Verlauf bildet etwa den Mittelwert zwischen den beiden Extrema (Dreieck und Rechteck). Der Fehler beträgt nach oben und unten jeweils maximal 20 %.

Dieses Ergebnis kann in folgende Gleichung eingesetzt werden:

2Ed1Ed2Ed eNMM ⋅+= vgl. Gl (11.10)

Mit folgenden Normierungen:

cd

EdEd

cd2

EdEd fbh

Nundfbh

M⋅⋅

=ν⋅⋅

Entsteht folgende Geradengleichung:

1,0rh

hl 20

Ed1Ed2Ed ⋅⋅⎟⎠⎞

⎜⎝⎛⋅ν+µ=µ (11.18)

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207

Diese Gerade ist die Strich-Punkt-Linie im Bild 11-7. Die Gerade beschreibt die Einwirkungen in Abhängigkeit der Krümmung. Die Steigung der Geraden kennzeichnet den Einfluss der Verformung auf das System. Bei einem verformungsunbeeinflusstem System, z.B. bei N = 0, entsteht eine horizontale Gerade. Der Schnitt zwischen der Geraden und der Momenten-Krümmungs-Beziehung stellt einen Gleichgewichtszustand dar. Bildet diese Gerade eine Tangente an die Momenten-Krümmungs-Beziehung, so liegt ein optimales System vor (As,vorh = As,erf). Bei einem Schnittpunkt ist das System überbemessen (As,vorh > As,erf), bei keinem Schnittpunkt ist Tragfähigkeit nicht gewährleistet (As,vorh < As,erf).

Das Modellstützenverfahren geht davon aus, dass der Schnittpunkt der Geraden mit der Momenten-Krümmungs-Beziehung im Punkt y2 liegt, wenn in beiden Bewehrungssträngen die Fließspannung erreicht ist.

Für die Krümmung folgt (Bild 11-18):

d9,02

r1 yd

ε⋅= (11.19)

ss

ykyd E

1f⋅

γ=ε (11.20)

Für BSt 500:

d2071

²mmN00020015,1d9,0

²mmN5002

r1

⋅=

⋅⋅⋅

⋅=

Bild 11-18 Krümmung am verformten Stab

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208

Statt einer „genauen“ Verformungsberechnung, wird beim Modellstützenverfahren die Verformungsberechnung nach Theorie II. Ordnung auf eine Querschnittsbemessung im kritischen Querschnitt unter Ansatz einer Zusatzausmitte e2 zurückgeführt. Die Zusatzausmitte wird in Abhängigkeit von der Schlankheit und unter Ansatz eines vorgegebenen Grenzdehnungsverhältnis (εyd / εyd) bestimmt.

Nach DIN 1045-1, 8.6.5 (8) darf die maximale Auslenkung, die der zusätzlichen Lastausmitte e2 nach Theorie II.Ordnung entspricht, wie folgt angenommen werden:

rl

101Ke

20

12 ⋅⋅= (11.21)

⎪⎩

⎪⎨⎧

≤λ≤−λ

=35für0,1

3525für5,210K1

K1 stellt einen Korrekturfaktor dar, um einen sprunghaften Übergang zwischen der nachweisfreien Querschnitttragfähigkeit bei gedrungenen Stützen zu der geringeren Tragfähigkeit bei schlanken Stützen zu vermeiden.

500BStfürd207

Kd9,0

2K

r1 2yd

2 ⋅=

⋅ε⋅

⋅= (11.22)

K2 berücksichtigt die abnehmende Krümmung bei steigender Längsdruckkraft. Bei einer bezogenen Längskraft ν = -0,4 liegt die größte mögliche Krümmung im Querschnitt vor. Diese Längskraft wird auch mit νbal (balance point) bezeichnet und kennzeichnet den Ort der größten Momententragfähigkeit. Nbal entspricht somit etwa 40 % der maximal vom Querschnitt aufnehmbaren Normalkraft Nud:

)AfAf(N sydccdud ⋅+⋅−= (11.23)

Die Längskraft am Balance Point darf für Rechteckquerschnitte näherungsweise angenommen werden zu:

ccdbal Af4,0N ⋅⋅−= (11.24)

Vereinfachend kann K2 auf der sicheren Seite zu 1,0 angenommen werden, was allerdings für große Normalkräfte unwirtschaftlich ist. Der tatsächliche Normalkraft-Momenten-Krümmungsverlauf kann deshalb über eine lineare Näherung bestimmt werden (Bild 11-19):

0,1NNNNK

balud

Edud2 ≤

−−

= (11.25)

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209

Bild 11-19 Krümmungsverlauf zur Bestimmung von K2 bei N+M

Die Ausmitte unter Berücksichtigung von Kriechen (Kapitel 11.3.2) kann näherungs-weise nach folgender Gleichung bestimmt werden:

e2,c = e2 + ec = e2 · Kc (11.26)

Ed

c,Edc M

M1K += (11.27)

MEd,c Moment aus kriecherzeugender Dauerlast

MEd Bemessungswert des Moments

Alternativ kann die Kriechverformung auch als Vergrößerung der Knicklänge berücksichtigt werden, wenn beispielsweise Nomogramme benutzt werden, in denen die bezogene Knicklänge l0 / h eingeht.

Die bezogene Stützenlänge berechnet sich dann folgendermaßen:

c0c,0 Khl

hl

⋅= (11.28)

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210

11.4 Bemessung / Bemessungshilfsmittel Für die Bemessung eines Querschnitts bei Druck mit geringer Ausmitte = kleines Moment und große Druckkraft (vgl. Kapitel 5.4.5) stehen mehrere Bemessungshilfen zur Verfügung. Diese unterscheiden sich in den Eingangswerten.

11.4.1 Interaktionsdiagramme

Diese Diagramme gibt es für Rechteck- und Kreisquerschnitte für bestimmte d1/h Verhältnisse in 0,05 Schritten. Beispielhaft ist das Interaktionsdiagramm für Kreis-querschnitte mit einem Verhältnis d1/h = 0,15 in Bild 11-20 dargestellt. In Kapitel 5, Bild 5-35 ist das Interaktionsdiagramm für symmetrisch bewehrte Rechteck-querschnitte mit einem Verhältnis d1/h = 0,10 zu finden. Folgende Eingangswerte sind für diese Diagramme erforderlich:

cd

EdEd fhb

N⋅⋅

cd2Ed

Ed fhbM

⋅⋅=µ

MEd = NEd · etot = NEd · (e0 + ea + e2 + ec) Moment nach Th. II. Ordnung

Aus dem Gesamtbewehrungsgrad ωtot kann dann die Gesamtbewehrung As,tot ermittelt werden:

cd

ydtot2s1stot,s

ff

hbAAA ⋅⋅ω=+=

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211

Bild 11-20 Interaktionsdiagramm für Kreisquerschnitt d1/h = 0,15

[Betonkalender 2000]

11.4.2 µ-Nomogramme

Die µ-Nomogramme sind ebenfalls querschnittabhängig. Auch sie gibt es für rechteckige und kreisförmige Querschnitte. Genau wie die Interaktionsdiagramme sind auch die µ-Nomogramme nach den d1/h – Verhältnissen abgestuft.

Im Gegensatz zu den Interaktionsdiagrammen berechnet sich das Moment ohne die Ausmitte nach Theorie II. Ordnung, d.h.:

( )ca0EdEd eeeNM ++⋅= (11.29)

Die Ausmitte nach Theorie II. Ordnung geht hier als Verhältnis l0/h ein.

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212

Bei der Anwendung der µ-Nomogramme ist darauf zu achten, dass die Rechenfestigkeit des Betons ohne den Dauerstandsbeiwert α in die Eingangswerte und bei der Ermittlung der Bewehrung eingeht.

!ohneffM

ckcd α

γ=

Das weitere Vorgehen ist ähnlich wie beim Interaktionsdiagramm. Es werden µEd und νEd berechnet und anschließend wird der Wert für ωtot aus dem Nomogramm abgelesen. Eine Anleitung für die Anwendung findet sich im Nomogramm (Bild 11-21).

Bild 11-21 µ-Nomogramm für rechteckige Querschnitte und ein Verhältnis

d1 / h = 0,1 [Betonkalender 2002]

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213

11.4.3 e/h – Nomogramme

Bei der Benutzung eines e1 / h – Nomogramms muss kein bezogenes Moment µ berechnet werden. Die Wirkung des Momentes geht direkt über den Wert e1 / h ein, der sich wie folgt berechnet:

heee

he ca01 ++

= (11.30)

Zudem sind auch e1/h – Nomogramme von der Querschnittsform und dem Verhältnis d1/h abhängig. Wie beim µ-Nomogramm muss auch hier der Wert l0/h berechnet werden. Es ist ebenfalls darauf zu achten, dass der Wert fcd ohne den Dauerstands-festigkeitsbeiwert α berechnet wird.

Bild 11-22 e1/h - Diagramm für Rechteckquerschnitte mit d1/h = 0,1

[Betonkalender 2004]

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214

11.5 Konstruktive Durchbildung

11.5.1 Konstruktionsregeln nach DIN 1045-1, 13.5

Unter reiner Druckbeanspruchung ist für den druckfesten Werkstoff Beton Bewehrung in Druckrichtung eigentlich unnötig. Greift eine Druckkraft auf Grund von Imperfektionen ausermittig an, oder vergrößert sich eine Ausmitte bei schlanken Druckgliedern nach Theorie II. Ordnung ist Bewehrung in Druckrichtung zur Aufnahme von Zugspannungen immer notwendig. Unabhängig davon können durch Bewehrung auf der Druckseite die Verformungen aus Kriechen und Schwinden verringert werden und damit der Verformung benachbarter Druckglieder angepasst werden. Die Bedeutung der Querbewehrung (Bügel) in Druckgliedern wird meistens unterschätzt. Bügel in Stützen sichern die Druckstäbe nicht nur gegen Knicken, sondern verhindern auch das vorzeitige Entstehen von Spaltrissen, die unter der Einwirkung von Querzugkräften entstehen können.

Die Mindestabmessungen für Stützen sind je nach Herstellungsart mit 20 cm für Stützen mit Vollquerschnitt (vor Ort senkrecht betoniert) und 12 cm für Fertigteilstützen (waagerecht betoniert) nach DIN 1045-1 festgelegt.

Zur Sicherstellung eines duktilen Bauteilverhaltens ist ein Mindestwert für die Längsbewehrung As,min anzuordnen:

yd

Ed2s1smin,s f

N15,0AAA ⋅=+= (11.31)

Um das Einbringen des Betons nicht zu behindern, ist der Bewehrungsgehalt auf fol-genden Wert begrenzt:

hb09,0A09,0A cmax,s ⋅⋅=⋅= (11.32)

Der Abstand der Längsbewehrung darf 300 mm nicht überschreiten. In Stützen mit polygonalem Querschnitt muss mindestens in jeder Ecke ein Stab liegen. In Stützen mit Kreisquerschnitt sind mindestens 6 Stäbe anzuordnen. Der Durchmesser der Längsbewehrung muss mindestens 12 mm betragen.

Bei Übergreifungsstößen an Geschossdecken genügt es meist, die Eckstäbe abgekröpft hochzuführen, um die Momente aufzunehmen. An den Umlenkstellen müssen die nach außen wirkenden Umlenkkräfte der Stäbe durch Bügel aufgenommen werden (Bild 11-23). Um die Verbindung von Bewehrungsstäben großen Durchmessers zu gewährleisten, ist es hingegen vorzuziehen, die Stäbe zu verschweißen oder sie mittels einer geeigneten Muffe zu koppeln. Bei Fertigteilstützen ist es möglich, durch die Herstelllung von durchlaufenden Stützen auf die Bewehrungsstöße zu verzichten. Allerdings muss der Beton an jeder Platte ausgespart werden, um eine monolithische Verbindung zwischen beiden Bauteilen herstellen zu können.

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215

Bild 11-23 Übergreifungsstöße an Geschossdecken

Sind Gebäude durch Wandscheiben bzw. Kerne ausgesteift, so dass die Stützen keine planmäßigen Einspannmomente übertragen müssen (Pendelstab), kann auf die oft hinderliche Durchführung der Stützenbewehrung durch die Decke verzichtet werden. Die Stützen werden dann über Zentrierstifte, Elastomere und bei stark bewehrten Stützen bzw. Stützen mit hochfesten Betonen über angeschweißte Stahlplatten auf die Decke gesetzt (Bild 11-24).

Bild 11-24 Anschluß Stütze / Decke bei Pendelstützen

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216

Mit der Zeit entzieht sich der Beton durch das Kriechen der Belastung und die Längskräfte werden teilweise auf den Stahl umgelagert. Dies kann zu einem Stabilitätsproblem für den Bewehrungsstab führen. Daher ist immer eine Bügelbewehrung zur Knicksicherung der Längsbewehrung anzuordnen.

Der maximale Bügelabstand in Längsrichtung beträgt:

( )⎪⎩

⎪⎨

⎧ ⋅

=mm300

h,bmind12

minsmaxsl

Zur Aufnahme von Querzugkräften an Lasteinleitungsstellen (ober- oder unterhalb von Balken oder Platten) sind die Bügelabstände auf red max sbü auf einer Länge zu reduzieren, die mindestens so groß ist wie die größere Stützenabmessung. Das gleiche gilt für Übergreifungsstöße von Längsstabdurchmessern dsl > 14 mm.

red max sbü = 0,6 · max sbü

Der Mindestbügeldurchmesser beträgt:

⎪⎩

⎪⎨

⎧≥⋅

=

mattenBetonstahlbeimm5mm25dbeid25,0

mm20dbeimm6dmin slsl

sl

sbü

Bild 11-25 Konstruktionsregeln bei Stützen

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217

Für die Bewehrung von Stützen sind nur geschlossene Bügel zulässig. Mit Bügeln können in jeder Ecke bis zu 5 Längsstäbe gegen Knicken gesichert werden. Der größte Achsabstand max sE der äußersten Stäbe vom Eckstab soll 15 · dsbü nicht überschreiten. Längsstäbe in einem größeren Abstand sind durch weitere Bügel (Zwischenbügel) zu sichern (Bild 11-25). Im Bereich von Unterzügen und Fundamenten sind Bügel durchgängig anzuordnen (Bild 11-26).

Bild 11-26 Anschluss Stütze / Unterzug

11.5.2 Schleuderbetonstützen

Stahlbetonstützen in Ortbeton- bzw. Fertigteilbauweise, die gemäß DIN 1045-1 nachzuweisen sind, dürfen einen max. Bewehrungsgrad von 9 % aufweisen. Um höhere Tragfähigkeiten zu erreichen, sind hochfeste Betone erforderlich oder Fertigteilstützen aus Schleuderbeton mit teilweise hochfestem Beton. Das Schleuder-verfahren hat eine lange Tradition und wurde 1907 erstmals zur Herstellung von Masten eingesetzt. Die Bauteile werden in einer liegenden, 2-teiligen, frei drehbaren Stahlschalung gefertigt. Nach dem Einbringen der Bewehrung, die durch Abstandshalter und durch Stahl-Kopf- und Fußplatten exakt positioniert werden kann, und des Betons, wird die Schalung geschlossen und mit Hilfe von Elektromotoren in Rotation versetzt. Die Geschwindigkeit beträgt in der Regel 300 bis 400 U/min. Infolge der Zentrifugalkraft verdichtet sich der Beton bei vollgefüllter Schalung derart, dass im Innern ein Hohlraum von etwa 1/3 des Querschnitts entsteht (Bild 11-27). Dabei werden die schweren Zuschläge nach außen geschleudert, während Luft und überschüssiges Wasser nach innen abgetrieben werden. Infolge dessen können weitaus höhere Betongüten als bei herkömmlichen Verdichtungsverfahren erreicht

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218

werden, eine perfekt glatte, geschlossenporige Oberfläche mit hoher Korrosions-und Feuerbeständigkeit. Werden die Stützen mit einem Bewehrungsgrad > 9 % hochbewehrt und zudem vorgespannt, können die Stützen sehr schlank dimensioniert werden (Bild 11-28). Das Einbringen und Verdichten des Betons bei hohen Bewehrungsgraden ist bei diesem Verfahren einwandfrei möglich. Für Schleuderbetonstützen ist jedoch eine Zustimmung im Einzelfall erforderlich.

Bild 11-27 Links: Querschnitt einer Schleuderbetonstütze; rechts: Lastverteilung gegen

Durchstanzen über Stahlrahmen und Lastdurchleitung über Bewehrung (Produkte von Europoles Pfleiderer)

Bild 11-28 Pinakothek der Moderne, München, Ing. Robert Ottitsch,

Arch. Stephan Braunfels

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TU Berlin – Fachgebiet Massivbau – Konstruktiver Ingenieurbau II Literatur

219

Literatur [1] Avak, R.: Stahlbetonbau in Beispielen, Teil 1: Bemessung von

Stabtragwerken, Düsseldorf: Werner Verlag, 4. Auflage 2004,

[2] Avak, R.: Stahlbetonbau in Beispielen, Teil 2: Bemessung von Flächentragwerken Konstruktionspläne für Stahlbetonbauteile, Düsseldorf: Werner Verlag, 2. Auflage 2002

[3] Bergmeister, K.; Kaufmann, W.: Tragverhalten und Modellierung von Platten, Betonkalender 2007, Teil II, Berlin: Ernst & Sohn Verlag 2007

[4] Beton Kalender 2002, Teil 1+Teil 2, Berlin: Ernst & Sohn Verlag 2002

[5] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: Heft 240, Hilfsmittel zur Berechnung der Schnittgrößen und Formänderungen von Stahlbetontragwerken, Berlin: Ernst & Sohn Verlag, 2. Auflage 1978

[6] Hegger, J.: Bemessung und Konstruktion von vorgespannten Decken im Hochbau, Zeitschrift: Der Prüfingenieur, Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik e. V. (BVPI), Oktober 2003

[7] Holschemacher, K.: Entwurfs- und Berechnungstafeln für Bauingenieure, Berlin: Bauwerk, 1. Auflage 2004

[8] Hossdorf, H.: Das Erlebnis Ingenieur zu sein, Basel: Birkhäuser-Verlag 2003

[9] Kind-Barkauskas, F.; Kauhsen, B.; Polónyi, S.; Brandt, J.: Beton-Atlas, Basel-Boston-Berlin: Birkhäuser-Verlag, 2.Auflage 2002

[10] Leonhardt, F.: Vorlesungen über Massivbau, Teil 1 Grundlagen zur Bemessung im Stahlbetonbau, Berlin-Heidelberg: Springer-Verlag, 3. Auflage 1984

[11] Leonhardt, F.: Vorlesungen über Massivbau, Teil 2 Sonderfälle der Bemessung im Stahlbetonbau, Berlin-Heidelberg: Springer-Verlag 1975

[12] Leonhardt, F.: Vorlesungen über Massivbau, Teil 3 Grundlagen zum Bewehren im Stahlbetonbau, Berlin-Heidelberg: Springer-Verlag, 3. Auflage 1977

[13] Leonhardt, F.: Vorlesungen über Massivbau, Teil 4 Nachweis der Gebrauchsfähigkeit, Berlin-Heidelberg: Springer-Verlag, 2. Auflage 1977

[14] Leonhardt, F.: Vorlesungen über Massivbau, Teil 5 Spannbeton, Berlin-Heidelberg: Springer-Verlag 1980

[15] Schlaich, J.; Schäfer, K.: Konstruieren im Stahlbetonbau, Betonkalender 2001 Teil II, Berlin: Ernst & Sohn Verlag 2001

[16] Stiglat, K.; H. Wippel: Platten, Berlin-München-Düsseldorf: Ernst & Sohn-Verlag, 2. Auflage 1973

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TU Berlin – Fachgebiet Massivbau – Konstruktiver Ingenieurbau II Literatur

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[17] VDI-Gesellschaft Bautechnik; Stahlbetondecken mit Vorspannhilfe nach DIN 1045-1; Oktober 2003

[18] Walther, R.: Bauen mit Beton, Berlin: Ernst & Sohn Verlag 1997

[19] Wommelsdorff, O.: Stahlbetonbau, Bemessung und Konstruktion, Teil 1: Grundlagen, Biegebeanspruchte Bauteile, Düsseldorf: Werner Verlag, 7. Auflage 2002

[20] Wommelsdorff, O.: Stahlbetonbau, Bemessung und Konstruktion, Teil 2: Stützen, Sondergebiete des Stahlbetonbaus, Düsseldorf: Werner Verlag, 6. Auflage 2003