silvano möckli: grenzüberschreitende regionale demokratie. geht das?
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Vortrag auf der Frühjahrstagung der Sozialistischen Bodensee Internationale (SBI).TRANSCRIPT
SILVANO MOECKLIRomanshorn, 16. März 2013
SBI
Grenzüberschreitende regionale Demokratie. Geht
das?
1 Silvano Moeckli
Zur Person
2Silvano Moeckli
3 Silvano Moeckli
Ideen für die Zukunft…� Wir sind gewöhnlich stark mit der Bewältigung
von drängenden Problemen beschäftigt� Heute wollen wir ein paar eher utopische Ideen
durchgehen� Demokratie statt Gouvernokratie� Antwort auf die Frage des Untertitels: Yes we can� «Man ist nicht realistisch, indem man keine Idee
hat.» Max Frisch
4 Silvano Moeckli
Problem resultiert aus Erfreulichem
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� In Kriegs- und Krisenzeiten dominieren die politischen Einheiten. Die Grenzen sind dicht.
� Wenn Grenzen durchlässig werden, Individuen, Unternehmungen und politische Einheiten frei Bindungen eingehen können, verändern sich die funktionalen Räume.
� Was wir jetzt erleben ist nichts anderes als eine politische Anpassung an das Ergebnis des einigermassen freien Spiels der Kräfte.
� Regierungen und Verwaltungen haben sich angepasst.
� Parlamente und direkte Demokratie haben Nachholbedarf. Silvano Moeckli
Kurzdiagnose
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� Die politischen Räume sind fix� Funktionale Räume wandeln sich ständig� Die Prozesse überschreiten die Grenzen der
politischen Räume� Politische Räume können die neu entstehenden
Probleme nur noch gemeinsam lösen, mit bi- und multilateralen Verträgen, die auch gemeinsame Institutionen schaffen.
� Es gibt unter den Schweizer Kantonen etwa 800 Konkordate
Silvano Moeckli
These 1
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� Die unabdingbare horizontale Kooperation der Staaten, Gliedstaaten und Gemeinden transformiert die Demokratie allmählich zu einer Gouvernokratie. Zu den Gewinnern gehören nicht nur die Regierungen, sondern auch die Verwaltungsspitzen und Interessengruppen.
Silvano Moeckli
Begründung These 1
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� Regierungen schaffen die Regeln, Regierungen spielen nach diesen Regeln, Regierungsmitglieder besetzen die wichtigen Ämter in den neu geschaffenen Organen, Regierungen sind für die Kontrolle zuständig, Ausgaben sind gebunden
� Die Entscheidungsvorbereitung und die Umsetzung verschieben sich in ausserparlamentarische und nichtöffentliche Bereiche
Silvano Moeckli
These 2
9
� Die derart gestaltete grenzüberschreitende Politik hat Demokratie-, Diskurs-, Begeisterungs- und Informationsdefizite.
� Regierungen sind zwar auch direkt vom Elektorat gewählt (in den Gemeinden und Kantonen) oder indirekt durch das Elektorat legitimiert, bilden es aber nicht in gleicher Weise ab wie Parlamente.
Silvano Moeckli
Begründung These 2
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� Der Meinungsbildungsprozess in der grenzüberschreitenden Politik ist ein anderer als in der gliedstaatlichen und kommunalen.
� Es findet bei dieser kaum ein öffentlicher Diskurs statt, weil es keinen gemeinsamen öffentlichen Raum gibt.
� Wer nicht mitreden kann, informiert sich auch nicht und lässt sich nicht für eine Sache begeistern.
Silvano Moeckli
These 3
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� Aus einer Gesamtperspektive ist die Frage nicht, wer Macht gewinnt oder verliert, sondern: Wie gestalten wir die Strukturen, Prozesse und Entscheide so, dass sie demokratisch, sachgerecht und bürgernah sind? Grenzüberschreitende Demokratie darf als Option kein Tabu sein.
� Politik ist Interessenvertretung und Kampf um Macht. Aber sie ist auch Ausgleich und die Suche nach der besten Lösung
Silvano Moeckli
Begründung These 3
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� Zentralisierung ist ein anhaltender Prozess seit der Gründung der Bundesstaaten
� Sie setzt sich fort auf internationaler Ebene� Sie muss gekoppelt sein mit Demokratisierung
(wie 1874)� Stärkere Beteiligung des Elektorats erhöht den
Komplexitätsgrad bestehender Verflechtungen zusätzlich
� Momentan nicht realisierbar, muss aber im Auge bleiben, denn die Konstellationen können ändern
� Gerade bei der hohen Komplexität und dem ständigen Wandel der funktionalen Einheiten braucht es stabile Gebilde wie die politischen Einheiten.
Silvano Moeckli
Institutionen und Ideen in der Bodenseeregion
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� Bodenseerat� IBK� Parlamentarier-Konferenz Bodensee� http://www.emb.net (Electronic Mall Bodensee)� Bodensee-Konvent 2011� Forderung der SBI nach einem Bodensee-Parlament
(Romanshorn 1993)� Zukunftskonferenz Bodensee am 13.Juni 2006 in
Friedrichshafen: Einführung eines gewählten Bodenseeparlaments, Einführung einer aktiven Bodenseeregierung
� Bevölkerung muss einbezogen werden� Ein Parlament müsste echte Kompetenzen haben
Silvano Moeckli
Das Modell� Ein Modell der grenzüberschreitenden
Zusammenarbeit mit direkt- und repräsentativdemokratischen Elementen ist der Distrikt.
� Der Distrikt organisiert nicht nur Politik und den Service Public, sondern ist auch ein Mittel zur Herausbildung eines grenzüberschreitenden regionalen Bewusstseins und zur Revitalisierung der Demokratie.
14 Silvano Moeckli
Der Distrikt� Dieser Distrikt wäre gewissermassen eine
Spezialgemeinde über Landesgrenzen hinweg mit repräsentativdemokratischen Organen und direktdemokratischen Instrumenten.
� „Grundeinheiten“ eines Distrikts wären politischen Gemeinden rund um den Bodensee der Gliedstaaten Vorarlberg, Bayern, Baden-Württemberg, Thurgau und St. Gallen.
15 Silvano Moeckli
Aufgabenbereich eines Distrikts� Der Distrikt hätte eine ganz konkrete Aufgabe im
Bereich des Service Public zu erfüllen� Öffentlicher Nahverkehr� Wasserversorgung� Abwasserreinigung� Müllabfuhr und -entsorgung� Schifffahrt� Spitäler
� Beispiel BART in der Region San Francisco� http://www.bart.gov/about/index.aspx
16 Silvano Moeckli
Politische Struktur des Distrikts� Organe
� Elektorat� Distriktsparlament� Distriktsrat� Eventuell Distriktsgericht
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Elektorat
Organ Befugnisse/Aufgaben Personenkreis/Re
-krutierungsbasis
Elektorat Wahl des Distriktsparlaments
Obligatorisches Referendum über rechtliche Grundordnung
Fakultatives Finanzreferendum
Volksinitiative als allgemeine Anregung
Die Wahlberechtigten in den beteiligten Gemeinden
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DistriktsparlamentOrgan Befugnisse/Aufgaben Personenkreis/Rekru-
tierungsbasis
Distriktsparla-ment
Wahl und Entlassung des Distriktsrates
Entscheidungsvorbereitung für Elektorat
Budgethoheit
Setzung von Zielen und Erteilung von Leistungsaufträgen für den Distriktsrat
Controlling
Die Wahlberechtigten in den beteiligten Gemeinden
Mitglieder regionaler und lokaler Räte sind wählbar
Verhältniswahlrecht mit Wahlkreisen
Amtszeitbeschränkung
19 Silvano Moeckli
DistriktsratOrgan Befugnisse/
Aufgaben
Personenkreis/Rekru-
tierungsbasis
Distriktsrat Entscheidungsvorbereitung für das Distriktsparlament
Umsetzung der Zielsetzung
Leistungsvereinbarungen mit Leistungserbringern
Führung der Verwaltung
Politiker und parteipolitisch unabhängige Manager
20 Silvano Moeckli
Ressourcen� Der Distrikt verfügt über hoheitliche Befugnisse� Er ist nicht auf schnellen Gewinn aus (keine
Privatisierung)� Er finanziert sich durch Steuern und Gebühren
21 Silvano Moeckli
Schwierigkeiten� Es gibt sicher hunderte von Einwänden, wieso
der Distrikt die ungeeignete Form der Zusammenarbeit ist, wieso er in dieser Form niemals funktionieren kann... Solche Einwände gibt es immer, wenn eine neue Idee auftaucht.
� Es gibt viele bestehende Interessen� Politische Einheiten müssten Kompetenzen
abtreten und erhielten nicht wie bei der Privatisierung Cash
� Drei Rechtsordnungen – plus EU � Ein Distrikt im Bodenseeraum wäre weltweit
einzigartig� Es bräuchte einen komplizierten Staatsvertrag
22 Silvano Moeckli
Nutzen� Der demokratisch organisierte Distrikt fördert die
Identität und damit auch die Solidarität� In einem Distrikt werden Kosten und Nutzen
verteilt; man kann nicht den Nutzen auf Kosten der anderen erlangen (Spillover-Effekt).
� Um das Band der Verbundenheit um den Bodensee zu schnüren, müssen auch die Menschen einander näher kommen und in dauerhafte Beziehungen treten
� Nicht nur mit besseren öffentlichen Leistungen (= Output), sondern durch Beteiligung (= Input).
� Chancen für einen öffentlichen Raum.
23 Silvano Moeckli
Privatisierung statt Demokratisierung� Stadt St. Gallen: Verkehrsbetriebe als AG geplant� Kanton St. Gallen: Weitere Privatisierung der
Kantonalbank (mit Staatsgarantie)� «Liberalisierung» des Strommarktes� In Rorschach konnte früher zu den Stromtarifen
das Referendum ergriffen werden� Es gibt Dienstleistungen, auf die man nicht
verzichten kann (too important to fail): Auf Lastwagenproduktion konnte man in Arbon verzichten, nicht aber auf die Wasserversorgung
24 Silvano Moeckli
Riegel gegen Privatisierung� Privatisierung des Service public bei
monopolisierten Angeboten führt i.d.R.� Zu höheren Löhnen der Manager� Zu höheren Preisen� Zu schlechterem Service
� Es gibt nach der Vergabe keinen Markt mehr, sondern «Rent seeking»
� Nur der Staat kann die Kontinuität der Leistungen und die Erneuerung der Infrastruktur garantieren
� Vorsicht auch bei PPP: Public Private Partnership
25 Silvano Moeckli
Wasser: Gefahr aus der EU� Europäische Wasserrahmenrichtlinie� Neuer Richtlinenvorschlag bezüglich Ausschreibung
der Wasserversorgung� Konzessionsvergaben mit einem Vertragswert von
mehr als fünf Millionen Euro sollen künftig in ganz Europa ausgeschrieben werden
� Erfahrungen in Portugal, Frankreich und GB� EU-»Bürgerinitiative»: Wasser und sanitäre
Grundversorgung sind ein Menschenrecht! Wasser ist ein öffentliches Gut und keine Handelsware!
� Gegenbewegung in Paris� Forderung nach Demokratisierung geht genau in die
andere Richtung
26 Silvano Moeckli
Fazit� Grenzüberschreitende regionale Demokratie ist
möglich� Idee ist schwer durchzusetzen� Man muss wohl auf «Fenster der Möglichkeit»
warten� Mit Idee kann ein Gegengewicht gesetzt werden
zur Privatisierung des Service public� Die Demokratisierung (Distrikt) kann in einem
ersten Schritt auch innerhalb der Landesgrenzen erfolgen
� Demokratisierung statt Privatisierung27 Silvano Moeckli