sicherheits- wissenschaftliches kolloquium 2009 - 2010

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Sicherheits- wissenschaftliches Kolloquium 2009 - 2010 Schriftenreihe des Instituts für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER) Forschungsbericht - Nr. 25 Pieper/Lang (Hrsg.) Band 6

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Sicherheits-

wissenschaftliches

Kolloquium 2009 - 2010

Schriftenreihe des Instituts für Arbeitsmedizin,Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V.

(ASER)

Forschungsbericht - Nr. 25

Pieper/

(Hrsg.)

Pieper/Lang

(Hrsg.)

Band 6

Schriftenreihe des Instituts für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER)

Forschungsbericht - Nr. 25

Ralf Pieper Karl-Heinz Lang

(Hrsg.)

Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2009 – 2010

Band 6

Wuppertal April 2011

Der hier vorliegende Forschungsbericht – Nr. 25 ist die Dokumentation der eingereichten Schriftbei-träge der Autoren, die innerhalb des Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquiums in den Jahren 2009 und 2010 (Wintersemester 2009/2010 und Sommersemester 2010) Vorträge gehalten haben. Das Sicherheitswissenschaftliche Kolloquium, durchgeführt vom Fachgebiet Sicherheitstechnik / Sicher-heits- und Qualitätsrecht in der Abteilung Sicherheitstechnik des Fachbereichs D der Bergischen Universität Wuppertal in Kooperation mit dem Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER), beschäftigt sich u. a. mit den sich im Wandel befindlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Sicherheit, Gesundheit und Qualität. Die Verantwortung für den Inhalt der Einzelbeiträge dieser Veröffentlichung liegt bei der jeweiligen Autorin bzw. dem jeweiligen Autor.

In die Schriftenreihe Forschungsberichte des Instituts ASER e.V. werden seit dem Jahr 2001 u. a. auch solche Forschungsergebnisse eingestellt, die in Bezug auf die auftraggebende(n) Organisa-tion(en) oder auf die beteiligten Kooperationspartner aus Gründen des Datenschutzes vorerst nicht in einer zusammenhängenden Darstellungsform frei veröffentlicht werden können und eine Anonymisie-rung dieser alleinstehenden Forschungsergebnisse nicht möglich ist oder noch nicht vorgenommen werden konnte. Die Aufarbeitung der Forschungsergebnisse in die Form der formalisierten For-schungsberichte des Instituts ASER e.V. dient dazu, diese Forschungsergebnisse in spätere Ver-öffentlichungen dann mit geringerem Aufwand einfließen zu lassen.

Herausgeber: apl. Prof., Dr. rer. pol. Ralf Pieper Fachgebiet Sicherheitstechnik / Sicherheits- und Qualitätsrecht Abteilung Sicherheitstechnik im Fachbereich D Bergische Universität Wuppertal Gaußstraße 20 42097 Wuppertal E-Mail: [email protected] Internet: www.suqr.uni-wuppertal.de

Dipl.-Ing. Karl-Heinz Lang Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER) an der Bergischen Universität Wuppertal Corneliusstraße 31 42329 Wuppertal E-Mail: [email protected] Internet: www.institut-aser.de

���� by Institut ASER e.V., Wuppertal, 2011 Druck: buch bücher dd ag, Birkach Printed in Germany 2011

ISBN 978-3-936841-21-3

Alle Rechte einschließlich der fotomechanischen Wiedergabe

und des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.

www.institut-aser.de

www.suqr.uni-wuppertal.de

Vorwort und Einleitung

3

Vorwort und Einleitung Mit diesem Forschungsbericht werden die Beiträge der 55. bis 64. Sicherheits-wissenschaftlichen Kolloquien vorgelegt, welche im Wintersemester 2009/2010 und im Sommersemester 2010 vom Fachgebiet Sicherheitstechnik / Sicherheits- und Qualitätsrecht der Abteilung Sicherheitstechnik im Fachbereich D der Bergischen Universität Wuppertal für die interessierten Kreise veranstaltet wurden. Das Sicher-heitswissenschaftliche Kolloquium wird in Kooperation mit dem Institut für Arbeits-medizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER) und am aktuellen Sitz des Instituts ASER e.V. in Wuppertal-Vohwinkel durchgeführt.

Für ihr großes Engagement sei zunächst allen Referenten ganz herzlich gedankt, die ihre Beiträge zusätzlich von der Präsentationsform in die – nunmehr hier vorliegende – Schriftform für den Forschungsbericht – Nr. 25 „Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2009 – 2010 (Band 6)“ transferiert haben. Dieser Dank gilt selbst-redend allen Referenten, die dies schon für die fünf vorangegangenen Forschungs-berichte zum Sicherheitswissenschaftlichem Kolloquium1 geleistet hatten. Zudem werden die Herausgeber beginnend mit Band 6 bei der Erstellung des Dokumentati-onsbandes der Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquien von Frau Maria Teipel vom Institut ASER e.V. unterstützt, so dass der jeweilige Dokumentationsband zukünftig auch wieder zeitnäher herausgeben werden kann.

1 PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):

Sicherheitsrechtliches Kolloquium 2004 – 2005 (Band 1) Forschungsbericht - Nr. 13, Institut ASER e.V., ISBN 978-3-936841-10-7, Wuppertal, Januar 2006 (s.a. www.suqr.uni-wuppertal.de und www.institut-aser.de) PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.): Sicherheitsrechtliches Kolloquium 2005 – 2006 (Band 2) Forschungsbericht - Nr. 14, Institut ASER e.V., ISBN 978-3-936841-12-1, Wuppertal, Januar 2007 (s.a. www.suqr.uni-wuppertal.de und www.institut-aser.de) PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.): Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2006 – 2007 (Band 3) Forschungsbericht - Nr. 18, Institut ASER e.V., ISBN 978-3-936841-15-2, Wuppertal, Januar 2008 (s.a. www.suqr.uni-wuppertal.de und www.institut-aser.de) PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.): Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2007 – 2008 (Band 4) Forschungsbericht - Nr. 19, Institut ASER e.V., ISBN 978-3-936841-16-9, Wuppertal, April 2009 (s.a. www.suqr.uni-wuppertal.de und www.institut-aser.de) PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.): Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2008 – 2009 (Band 5) Forschungsbericht - Nr. 23, Institut ASER e.V., ISBN 978-3-936841-20-6, Wuppertal, Juni 2010 (s.a. www.suqr.uni-wuppertal.de und www.institut-aser.de

Ralf Pieper & Karl-Heinz Lang

4

Die Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquien 2009 – 2010 dienten der fachlichen Weiterentwicklung und dem Wissenschaftstransfer des regionalen Schlüsselpro-jekts Design4All – Das Mehrgenerationengütesiegel, welches im Rahmen des aus dem „Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE)“ kofinanzierten Operationellen Programms für das Land Nordrhein-Westfalen zum Ziel "Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" von der Europäischen Union und dem Land Nordrhein-Westfalen gefördert wird.

Das Sicherheitswissenschaftliche Kolloquium versteht sich als pragmatischer Beitrag zur Weiterentwicklung der Konzeption der „Wuppertaler Sicherheitstechnik“ hin zur „Wuppertaler Sicherheitswissenschaft“. Es wird seit dem Frühjahr 2004 anboten, und versteht sich als fachlich übergreifendes und zeitlich flexibel tagendes Forum. Es wird nachhaltig von interessierten Kreisen jeweilig zur aktuellen Thematik weit über das Bergische Städtedreieck hinaus zum Wissens- und Wissenschaftstransfer ge-nutzt.

Die Herausgeber würden sich freuen, auch mit dem nun vorliegenden Forschungs-bericht – Nr. 25 „Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2009 – 2010 (Band 6)“ sowie auch den zukünftigen Veranstaltungen des Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquiums, Anstöße sowie Diskussions- und Lösungsbeiträge für die gesellschaft-lich relevanten Fragestellungen der Sicherheitswissenschaft geben zu können. Den interessierten Kreisen in und über die Region des Bergischen Landes hinaus soll hierdurch ein Forum für den sicherheitswissenschaftlichen Wissenstransfer, betriebli-che Lösungsmöglichkeiten und konstruktive Diskussionen gegeben werden sowie das Profil der Wuppertaler Sicherheitswissenschaft und der Bergischen Universität Wuppertal weiterentwickelt und damit gestärkt werden.

Wuppertal, im März 2011

Ralf Pieper & Karl-Heinz Lang

Inhaltsverzeichnis

5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort und Einleitung ..................................................................................... 3

Inhaltsverzeichnis ............................................................................................. 5

Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 9

Tabellenverzeichnis ........................................................................................ 14

1 Gesundheitsrisikoinformationen für Produkte: Ein wichtiger Baustein des Verbraucherschutzrechts (GÜNTER BORCHERT) .............................................................. 15

1.1 Einführung................................................................................... 15

1.2 Anbieter müssen Verbraucher informieren oder sollten dies zur Senkung von Haftungsrisiken tun.................................. 17

1.2.1 Produkthaftung............................................................................ 17

1.2.2 Informationspflicht auf Grund verwaltungsrechtlicher Vorschriften; Information durch den Hersteller auf behördliche Anordnung oder Anregung ...................................... 19

1.3 Information durch Behörden........................................................ 19

1.3.1 Information auf Antrag................................................................. 20

1.3.2 Information der Öffentlichkeit von Amts wegen........................... 23

1.4 Erfahrungen, Bewertung, Ausblick.............................................. 25

1.5 Verzeichnis der abgekürzten Vorschriften................................... 26

2 Arbeitnehmerschutz: Integraler Bestandteil oder Fremdkörper im Betrieb? (JOACHIM LARISCH)....................... 28

2.1 Einleitung .................................................................................... 28

2.2 Rechtliche Anforderungen an die betriebliche Arbeitsschutzorganisation ........................................................... 28

2.3 (Selbst-)Regulierung durch Arbeitsschutzmanagement und betriebliche Gesundheitsförderung? .................................... 30

2.4 Ökonomische Ansätze zu einer „Endogenisierung" des Arbeitsschutzes.................................................................... 32

2.5 Arbeitsschutz und organisationales Sozialkapital ....................... 34

2.6 Fazit ............................................................................................ 36

2.7 Literatur....................................................................................... 36

3 Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe (MICHAEL STEIN) .............. 39

3.1 Einleitung .................................................................................... 39

3.1.1 Definition von Simulatorkrankheit................................................ 43

3.1.2 Auftretenshäufigkeit von Simulatorkrankheit ............................... 44

3.1.3 Auswirkungen von Simulatorkrankheit auf den Ausbildungs- und Flugbetrieb? ................................................... 46

Inhaltsverzeichnis

6

3.2 Theorien zur Simulatorkrankheit ................................................. 47

3.2.1 Cue Conflict Theory .................................................................... 47

3.2.2 Evolution Theory ......................................................................... 48

3.2.3 Postural Instability Theory........................................................... 48

3.3 Messung von Simulatorkrankheit ................................................ 49

3.3.1 Subjektive Methoden................................................................... 49

3.3.2 Physiologische Methoden ........................................................... 52

3.4 Empfehlungen zur Vermeidung von Simulatorkrankheit ............. 53

3.5 Diskussion................................................................................... 54

3.6 Literatur....................................................................................... 55

4 Reformbedarf bei überwachungsbedürftigen Anlagen? Erfahrungen aus Sicht der hessischen Arbeitsschutzaufsicht (THOMAS JUST).................................. 58

4.1 Einleitung .................................................................................... 58

4.2 Rückblick und Entwicklung.......................................................... 58

4.3 Reformierung der überwachungsbedürftigen Anlagen durch Erlass der Betriebssicherheitsverordnung......................... 62

4.3.1 Trennung von Beschaffenheit und Betrieb.................................. 62

4.3.2 Reformierung des Sachverständigenwesens.............................. 63

4.3.3 Schlankes Regelwerk / Generalklausel statt Detailregelung....... 64

4.4 Derzeitige Beobachtungen.......................................................... 65

5 Gesundheitscampus NRW: Chancen für eine nachhaltige Gesundheitspolitik in NRW (ANDREAS MEYER-FALCKE) ..................................................... 68

5.1 Der Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen macht das komplexe Gesundheitssystem greifbar ....................................... 68

5.1.1 Gesundheit für alle als Chance ................................................... 69

5.1.2 Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen: Organisation der Kooperation .......................................................................... 70

5.1.3 Entscheidung für den zentralen Knotenpunkt im Herzen Nordrhein-Westfalens ................................................ 71

5.1.4 Von Gesundheit profitieren – in und aus Nordrhein-Westfalen ... 73

5.1.5 Die Partner der ersten Stunde: Weiterentwicklung über alle Grenzen ....................................................................... 75

5.1.6 Fazit – Neue Wege für die Gesundheit der Bevölkerung ............ 77

6 Atypische Beschäftigung – Entwicklung, Muster und Regulierungsprobleme (HARTMUT SEIFERT) ......................... 78

6.1 Problemstellung .......................................................................... 78

6.2 Normalarbeitsverhältnis und Formen atypischer Beschäftigung ............................................................................. 79

6.3 Entwicklung und Ausmaß atypischer Beschäftigung................... 80

6.4 Soziale Risiken atypischer Beschäftigung................................... 84

6.4.1 Sind atypische Beschäftigungsverhältnisse prekär? ................... 84

6.4.2 Langfristige Folgen ..................................................................... 87

6.5 Ausblick....................................................................................... 89

Inhaltsverzeichnis

7

7 Konzepte des Arbeitsschutzrechts in Skandinavien und ihr Einfluss auf das europäische Recht (MAIKA BEER)......................................................................... 92

7.1 Einleitung .................................................................................... 92

7.2 Das Nordische Modell ................................................................. 93

7.3 Reformgesetze der 70er Jahre ................................................... 93

7.4 Der Einfluss der skandinavischen Staaten auf die europäische Gesetzgebung im Bereich der Arbeitsumwelt......... 95

7.5 Umsetzung der Rahmenrichtlinie in Dänemark, Norwegen und Schweden am Beispiel der Gefährdungsbeurteilung ........... 96

7.6 Mitwirkung von Studierenden / Schülern an einer gesunden Arbeitsumwelt in der Schule – am Beispiel Schwedens.............. 99

7.7 Skandinavien – auch heute noch ein Leitbild im Arbeitsumweltrecht?............................................................. 100

7.8 Literatur..................................................................................... 101

8 Überwachungsbedürftige Anlagen – Herausforderungen für den Betreiber am Beispiel eines Müllheizkraftwerkes (HOLGER RABANUS) .................. 103

8.1 Einleitung .................................................................................. 103

8.2 Inverkehrbringen und Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen..................................................................................... 106

8.3 Wesentliche Veränderung......................................................... 108

8.4 Änderung der Anlage ................................................................ 111

8.5 Prüfung der überwachungsbedürftigen Anlagen ....................... 112

8.6 Gemeinsame Vorschriften, Schlussvorschriften........................ 114

8.7 Fazit .......................................................................................... 115

9 Stand und aktuelle Entwicklungen in der Anlagensicherheit (CHRISTIAN JOCHUM).............................. 117

9.1 Wie bewertet man das Risiko?.................................................. 117

9.2 Wie misst man Anlagensicherheit? ........................................... 119

9.3 Wie reguliert man Störfall – Betriebsbereiche? ......................... 122

9.4 Wer gibt Input zur europäischen und deutschen Regelsetzung? .......................................................................... 124

10 Theorie und Praxis der Risikoanalyse (HELMUT SPANGENBERGER)................................................... 130

10.1 Einführung................................................................................. 130

10.1.1 Begriffsdefinitionen ................................................................... 131

10.1.2 Ziel von systematischen Risikoanalysen................................... 135

10.1.3 Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener Methoden.................................................................................. 136

10.1.4 Normen und Richtlinien zu Risikoanalysen ............................... 138

10.2 Beispiel: Risikostudien zu Flugunfällen im Zusammenhang mit stofflichem Störfallpotenzial in Anlagen, welche der Störfall-Verordnung unterliegen ................................................ 138

Inhaltsverzeichnis

8

10.3 Möglichkeiten und Grenzen der quantitativen Risikoanalyse .... 147

10.4 Beispiel: Risikobasierte Wartungs- und Instandhaltung ............ 151

10.5 Zusammenfassung und Schlusswort ........................................ 154

11 Autoren- und Herausgeberverzeichnis ............................. 156

12 Veranstaltungsverzeichnis................................................ 158

Abbildungsverzeichnis

9

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1.1 Veranstalter Prof. Dr. Ralf Pieper zusammen mit Prof. Dr. Günter Borchert vom Lehrstuhl für Arbeits- und Sozialrecht (v.l.n.r.)............................................ 27

Abb. 1.2 Mit rund 30 Teilnehmern wurde das Sicherheitswissen-schaftliche Kolloquium des Wintersemesters 2009 - 2010 am 27. Oktober 2009 beim Institut ASER e.V. in Wuppertal gestartet ........................................................... 27

Abb. 2.1 Inhalte der Interventionen der betrieblichen Gesundheits-förderung 2005-2007 (Quelle: MDS 2008: 89) ........................ 31

Abb. 2.2 Netto-Kosten-Modell einer Intervention zur Reduzierung von Rückenschmerzen (Low Back Pain); Quelle: Larisch 2009: 116 ...................................................... 33

Abb. 2.3 Dr. Joachim Larisch vom Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen referierte am 15. Dezember 2009 beim 56. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium in Wuppertal zum Arbeitnehmerschutz ................................... 38

Abb. 3.1 Eurofighter Cockpit Trainer (Cockpit-Ansicht)......................... 40

Abb. 3.2 Eurofighter Cockpit Trainer (Außensicht) ............................... 40

Abb. 3.3 Eurofighter Full Mission Simulator (Außensicht) ..................... 41

Abb. 3.4 EC 135 Hubschrauber Simulatordom (Draufsicht) .................. 41

Abb. 3.5 EC 135 Hubschrauber Simulatordome (Seitenansicht) ........... 42

Abb. 3.6 Die beiden Promotoren, Prof. Dr. Bernd H. Müller von der Bergischen Universität Wuppertal und Dipl.-Ing. Karl-Josef Keller vom Branchenverband METALL NRW (v.l.n.r.), der wissenschaftlichen Entwicklung von PD Dr. habil. Michael Stein am 12. Januar 2010 in Wuppertal..................... 57

Abb. 3.7 PD Dr. habil. Michael Stein (links) zu Beginn seines Impulsreferats „Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe“ beim 57. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium an alter Wirkungsstätte im Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER) an der Bergischen Universität Wuppertal ............................... 57

Abbildungsverzeichnis

10

Abb. 4.1 Geburtsstunde der Gewerbeaufsicht ...................................... 59

Abb. 4.2 Sicherheitsphilosophie – Beschaffenheit und Betrieb ............. 60

Abb. 4.3 Ressourcen und Aufgabenumfang der Hessischen Gewerbeaufsicht................................................. 61

Abb. 4.4 Vorschriften zur Beschaffenheit von Produkten ...................... 62

Abb. 4.5 Trennung Beschaffenheit – Betrieb ........................................ 63

Abb. 4.6 Schlankes Regelwerk ............................................................ 64

Abb. 4.7 Beobachtungen (Quelle: PANGERT, In: sicher ist sicher 3/2004) .................................................... 66

Abb. 4.8 Austausch zwischen Prof. Dr. Ralf Pieper (Bergische Universität Wuppertal), Dipl.-Ing. Thomas Just (Hessisches Arbeitsministerium, Wiesbaden), Dipl.-Ing. Heinz-Bernd Hochgrefe (Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf) und Dipl.-Ing. Klaus Wettingfeld (TÜV Rheinland AG, Köln) im Anschluss des 58. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquiums (v.l.n.r.).............................................................. 67

Abb. 5.1 Außenraumperspektive Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen in Bochum (Bild: Léon Wohlhage Wernik Gesellschaft von Architekten mbH in Zusammenarbeit mit Bauer und Partner) ............................ 72

Abb. 5.2 In Bochum entsteht auf einem rund 100.000 m² großen Areal die Zentrale des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen.............................................................. 76

Abb. 5.3 Der Gesundheitscampus und die Gesundheitsregionen arbeiten gemeinsam für die Gesundheit der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen .......................................................... 76

Abb. 5.4 Auch die aktuelle Wetterkapriole des Tiefs “Miriam” konnte PD Dr. med. habil. Andreas Meyer-Falcke, Leiter des neuen Strategiezentrums Gesundheit, nicht hindern die Ziele und den Entwicklungsstand des Gesundheits- campus Nordrhein-Westfalen in Wuppertal vorzustellen ......... 77

Abbildungsverzeichnis

11

Abb. 6.1 Dr. Hartmut Seifert, ehem. Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung (HBS), beim Impulsreferat über atypische Arbeitsverhältnisse mit deren Prekaritäts- risiken für Beschäftigte und Arbeitsuchende........................... 91

Abb. 6.2 Dipl.-Ing. Christoph Thust (Leiter der Technischen Überwachung der Infracor GmbH, Marl) und Prof. Dr. Ralf Pieper (Bergische Universität Wuppertal) bei der Moderation der Diskussion beim 60. Sicherheitswissen- schaftlichen Kolloquiums in Wuppertal (v.l.n.r.) ...................... 91

Abb. 7.1 Ass. jur. Maika Beer, wiss. Mitarbeiterin im Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Arbeits-, Unternehmens- und Sozialrecht in der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, referierte am 11. Mai 2010 in Wuppertal über skandinavische Rechtskonzepte für die betriebliche Sicherheit und Gesundheit und ihren Einfluss auf die Europäische Union.... 102

Abb. 8.1 Beispiel: Müllheizkraftwerk Wuppertal der Abfallwirtschaftsgesellschaft mbH Wuppertal (AWG)............ 104

Abb. 8.2 Überwachungsbedürftige Anlagen gem. §1 Abs. 2 der BetrSichV ...................................................... 107

Abb. 8.3 Veränderung einer Rauchgasreinigung in einem Müllheizkraftwerk................................................... 108

Abb. 8.4 Maximale Prüfzeiträume für die innere Prüfung bei Druckbehältern und Dampfkessel der einzelnen europäischen Länder vor 2002............................. 112

Abb. 8.5 Anzahl der Sicherheitstechnischen Bewertungen für das Müllheizkraftwerk Wuppertal .................................... 113

Abb. 8.6 Maximale Prüffristen gem. §15 BetrSichV ............................ 114

Abb. 8.7 Das neue Recht ein zweischneidiges Schwert ..................... 115

Abb. 8.8 Dipl.-Ing. Holger Rabanus von der Abfallwirtschafts- gesellschaft mbH Wuppertal (AWG) bei seinem Impulsreferat über Anlagensicherheit................................... 116

Abbildungsverzeichnis

12

Abb. 8.9 Dipl.-Ing. Bernhard Hoffman (RWE Power AG, Grevenbroich) und Dipl.-Ing. Holger Rabanus (AWG, Wuppertal) nach dem Kolloquium ............................. 116

Abb. 9.1 Graded Scale of Events ....................................................... 121

Abb. 9.2 Dipl.-Ing. Christoph Thust von der Infracor GmbH in Marl im Gespräch mit Prof. Dr. Christian Jochum (v.l.n.r.), Vorsitzender der Kommission für Anlagensicherheit (KAS), vor dem Start der Abendveranstaltung ...................... 128

Abb. 9.3 Dipl.-Ing. Wilfried Schaffeld vom AMD TÜV Arbeits- medizinische Dienste GmbH aus Köln bass erstaunt an alter Wirkungsstätte in Wuppertal.................................... 128

Abb. 9.4 An der Abendveranstaltung des 63. Sicherheitswissen-schaftlichen Kolloquiums beteiligten sich insgesamt 52 Fachleute (Ausschnitt) .................................................... 129

Abb. 9.5 Aufgrund der hohen Nachfrage seitens der Abteilung Sicherheitstechnik der Bergischen Universität Wuppertal wurde die Veranstaltung zur Anlagensicherheit parallel in die Bibliothek des Instituts ASER übertragen.................... 129

Abb. 10.1 Begriffsdefinition.................................................................. 133

Abb. 10.2 Begriffsdefinition (Grenzrisikowerte) – Teil 1 ........................ 133

Abb. 10.3 Begriffsdefinition (Grenzrisikowerte) – Teil 2 ........................ 134

Abb. 10.4 Ziel von systematischen Risikoanalysen – Teil 1 .................. 135

Abb. 10.5 Ziel von systematischen Risikoanalysen – Teil 2 .................. 136

Abb. 10.6 Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener Methoden ..................................................... 137

Abb. 10.7 Verteilung der Abstürze beim Start ...................................... 142

Abb. 10.8 Mathematische Beschreibung der Absturzverteilung ............ 143

Abb. 10.9 Primäres und sekundäres Schadensgebiet .......................... 144

Abb. 10.10 Verteilung der Trefferhäufigkeit............................................ 145

Abb. 10.11 Probabilistische Vorgehensweise......................................... 147

Abb. 10.12 Verfügbarkeit und Akzeptanz von Risikogrenzen.................. 149

Abbildungsverzeichnis

13

Abb. 10.13 Wartung und Instandhaltung als Teil der Anlagensicherheit ................................................................ 151

Abb. 10.14 Durch empirische Daten wird ein statistisches Modell über die Fehlerrate bestimmt ............................................... 152

Abb. 10.15 Risikobasierte Methoden erfordern die Identifizierung der Risiko tragenden Komponenten ..................................... 153

Abb. 10.16 In einer hochsommerlichen Abendveranstaltung am 6. Juli 2010 stellte Dr. Helmut Spangenberger in Wuppertal Methoden der Risikoanalyse in der Anlagensicherheit anhand verschiedener Praxisbeispiele vor .............................................................. 155

Abb. 10.17 Trotz der hochsommerlichen Wetterbedingungen fanden sich Fachleute aus dem Bergischen Städtedreieck sowie aus Dortmund, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Marl, Meinerzhagen und Sankt Augustin zum 64. Sicher-heitswissenschaftlichen Kolloquium in Wuppertal ein ........... 155

Tabellenverzeichnis

14

Tabellenverzeichnis

Tab. 2.1 Dokumentationsbögen betriebliche Gesundheitsförderung 2001-2007 (Quelle: MDS 2008: 78)........................................ 30

Tab. 3.1 Kostenverhältnis zwischen Luftfahrzeugen und Flugsimulatoren (Johnson, 2007) ........................................... 42

Tab. 3.2 Häufigkeit des Auftretens von Simulatorkrankheit bei diversen Flugsimulatoren (Johnson, 2007)............................. 45

Tab. 3.3 Berechnung der Einzelwerte und des Gesamtwertes des Simulator Sickness Questionnaire ................................... 50

Tab. 3.4 Ausprägung von Simulatorkankheit bei unterschiedlichen Simulatortypen .......................................... 51

Tab. 3.5 Interpretation des Gesamtwertes des Simulator Sickness Questionnaire ......................................................... 52

Tab. 6.1 Entwicklung der Formen atypischer Beschäftigung................. 81

Tab. 8.1 Mengenschwellen gemäß Störfallverordnung Anhang VII (Teil 1: Stoffliste für Anlagen nach §1 Abs. 3 BlmSchG-Anlagen) .............................................................. 106

Gesundheitsrisikoinformationen für Verbraucher über Produkte: Ein wichtiger Baustein des Verbraucherschutzrechts

15

1 Gesundheitsrisikoinformationen für Produkte: Ein wichtiger Baustein des Verbraucher-schutzrechts (GÜNTER BORCHERT)

55. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 27. Oktober 2009 in Wuppertal

Prof., Dr. Günter Borchert Bergische Universität Wuppertal,

Schumpeter School of Business and Economics, Lehrstuhl für Arbeits- und Sozialrecht

1.1 Einführung

Verbraucherschutz ist ein weites Feld. Wir Endverbraucher am Ende der Produkti-onsketten von Waren und Dienstleistungen haben eine unübersehbare Fülle von Interessen und persönlichen Wertungen. Entsprechend breit gefächert ist Verbrau-cherschutz mit den Vorkehrungen amtlicher und privater Institutionen, die das Ziel haben, unsere Verbraucherinteressen zu stärken. Verbraucherschutz kann sich auf die Förderung angemessener Marktbedingungen beziehen (Ziele sind dann etwa ein günstiges Qualitäts-Preis-Verhältnis und/oder Markttransparenz), auf faire Rechtsbedingungen im Verhältnis zwischen Verbrauchern und Anbietern oder auf den Schutz vor gesundheitlichen Gefahren, die infolge des Konsums von Waren oder Dienstleistungen auftreten können.

Viele Vorkehrungen eines so breit verstandenen Verbraucherschutzes sind rein pri-vate Angelegenheiten der Beteiligten: Verbraucher können sich zusammenschließen zur Bündelung ihrer Interessen; Verlage und Anbieter von Internet-Medien können Publikationen zur Erhöhung der Markttransparenz anbieten. Viele Vorkehrungen des Verbraucherschutzes sind demgegenüber in Rechtsvorschriften verankert. So etwas gab es wohl schon vor lang zurück liegenden Zeiten. Berichtet wird, dass vor Jahr-tausenden ein Architekt sein Leben oder das seines Sohnes riskierte, der durch fal-sche Statik verursachte, dass ein Haus zusammenbrach und ein Bewohner unter

Günter Borchert

16

den Trümmern starb1. In den letzten Jahrzehnten ist national und international eine Zunahme der Regelungsdichte des Verbraucherschutzrechts festzustellen2.

Mein Beitrag bezieht sich auf rechtlich geregelten Verbraucherschutz. Er bezieht sich auf Verbraucherschutz-Vorkehrungen mit dem Haupt-Ziel, Gesundheitsschä-den zu vermeiden (und nicht auf rein wirtschaftlichen Verbraucherschutz). Und er bezieht sich auf Produkte im engeren Sinne, also auf Waren und nicht auf Dienst-leistungen.

Zur Systematisierung des derart eingegrenzten Verbraucherschutzrechts dient die Unterscheidung:

��Verbote und Einschränkungen werden geregelt, um die Gesundheit der Verbrau-cher zu schützen, vgl. §§ 5 LFGB, 4f. GPSG, 5 AMG, 4 Absatz 1 MPG, 1 Chem-VerbotsV, Art. 5 REACH-VO3. Zur Überwachung der Einhaltung der Verbote und Gebote werden Behörden mit Aufgaben und Befugnissen betraut. Dabei erhalten die Behörden selbstverständlich Kenntnisse über produktbezogene Gesundheits-risiken.

��Informationsrechte der Verbraucher oder Informationspflichten von Anbie-tern oder Behörden werden rechtlich verankert in der Hoffnung, dass die Nut-zung der Informationen zum Gesundheitsschutz der Verbraucher beiträgt.

Exemplarisch nenne ich Gesundheitsrisiken, wie sie für das Thema meines Beitrags relevant werden können:

��Spielzeug enthält kleine, leicht lösbare Teile, die bei Kleinkindern in die Atem- oder Verdauungsorgane geraten können;

��Kinderkleidung enthält gesundheitsschädliche Chemikalien; ��Käse enthält Listeria-Bakterien; ��eine in einem gastronomischen Betrieb angebotene Nachspeise enthält

Salmonellen; ��wegen eines Materialfehlers lassen Fahrzeuge sich nicht abbremsen; ��Elektrogeräte oder Leuchten können durch von außen erreichbare spannungs-

führende Teile Stromschläge verursachen.

(Im vorliegenden Zusammenhang meine ich also nicht in erster Linie Gesundheits-risiken, die durch zu fette oder zu zuckerhaltige Lebensmittel entstehen können.)

1 Sattler, Egon: Produkthaftung und Risikominderung – Eine allgemeinverständliche Einführung.

München 1995, 3 2 Borchert, Günter: Verbraucherschutzrecht. 2. Aufl. München 2003, 5f. 3 Im Anhang befindet sich ein Verzeichnis der im Text abgekürzten Vorschriften. Für das deutsche

Recht wird auf die Datenbank www.gesetze-im-internet.de, für das europäische Recht auf http://eur-lex.europa.eu hingewiesen.

Gesundheitsrisikoinformationen für Verbraucher über Produkte: Ein wichtiger Baustein des Verbraucherschutzrechts

17

1.2 Anbieter müssen Verbraucher informieren oder sollten dies zur Senkung von Haftungsrisiken tun

Rechtliche Rahmenbedingungen für die Obliegenheit eines Herstellers oder eines Verkäufers, über Gesundheitsrisiken zu informieren, sind vor allem durch Haftungs-Vorschriften geprägt. In meinem Beitrag beziehe ich mich nur auf Informationen, die sich an die Verbraucherinnen und Verbraucher richten, also auf nicht solche, die den gewerblichen oder freiberuflichen Abnehmern von Produkten zur Verfügung gestellt werden müssen (vgl. §§ 11 a AMG, 10 MPBetreibV, 6 GefStoffV, Art. 31 f. REACH-VO).

1.2.1 Produkthaftung

1.2.1.1 Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG)

Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Ge-sundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Prod-HaftG der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus ent-stehenden Schaden zu ersetzen. Nach § 3 Absatz 1 ProdHaftG hat ein Produkt ei-nen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Um-stände, insbesondere

a) seiner Darbietung,

b) des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,

berechtigterweise erwartet werden kann.

Daher hat der Hersteller, um sein Haftungsrisiko zu mindern, die Obliegenheit, den potenziellen Konsumenten die Informationen, insbesondere die Gebrauchsinforma-tionen zu geben, die es den Konsumenten ermöglichen, Schäden beim Gebrauch zu vermeiden. (Dass deswegen in der Gebrauchsanweisung eines Mikrowellenherds gewarnt werden müsste, nicht etwa den frisch gewaschenen Pudel im Mikrowellen-herd zu trocknen4, trifft nicht zu, und die Sage, bei einem solchen Trocknungsver-such sei ein Pudel zu Tode gekommen, hat keinen realen Hintergrund5.)

Vor dem Hintergrund des Haftungsrechts kann es auch geboten sein, die Konsumen-ten über einen Rückruf eines Produkts wegen dessen – unter Umständen dem Her-steller erst nach Inverkehrbringen bekannt gewordenen – Risikos zu informieren.

4 Vgl. Hoechst, Peter: Die US-amerikanische Produzentenhaftung. Köln u. a. 1986, 57. 5 Brednich, Rolf W.: Die Spinne in der Yucca-Palme: sagenhafte Geschichten von heute. München

1992, 110 ff.

Günter Borchert

18

(Vgl. zum Rückruf durch eine zuständige Behörde § 8 Absatz 4 Satz 2 Nr. 7 GPSG; vorrangig hat aber die Behörde nach § 8 Absatz 5 GPSG an den Hersteller gerichte-te Maßnahmen zu ergreifen.)

1.2.1.2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Der Verkäufer oder Vermieter eines Produkts haftet ebenfalls für Produktschäden nach § 280 Absatz 1 Satz 1 BGB, jedenfalls dann, wenn er den Schaden fahrlässig verursacht hat (§§ 280 Absatz 1 Satz 2, 276 Absatz 1 BGB; bei Vorsatz haftet er selbstverständlich auch, aber so etwas gibt es allenfalls in Drehbüchern von Krimi-Autoren). Dies löst die gleichen Instruktionspflichten aus.

Beide, Hersteller und Vertreiber, haften bei Fahrlässigkeit auch nach § 823 Absatz 1 BGB für den Schaden, den die Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Ge-sundheit verursacht hat. Verbraucherschutzvorschriften, wie sie noch zu nennen sind, sind Schutzgesetze im Sinne des § 823 Absatz 2. BGB Auch dies ist eine An-spruchsgrundlage für Produktschäden. Auch die Anspruchsgrundlagen des § 823 BGB bringen zur Senkung des Haftungsrisikos die Obliegenheit der potenziell Haf-tenden mit sich, die Verbraucher über Risiken und den sachgerechten Gebrauch oder einen Rückruf der Produkte zu informieren.

1.2.1.3 Arzneimittelgesetz (AMG)

§ 84 AMG regelt eine verschuldensunabhängige Haftung pharmazeutischer Unter-nehmer für Gesundheitsschäden von Arzneimittelkonsumenten, wenn

1. das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft ver-tretbares Maß hinausgehen oder

2. der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissen-schaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinfor-mation eingetreten ist.

Die Gebrauchsinformation ist in § 11 AMG für Fertigarzneimittel vorgeschrieben. Die Angaben müssen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 AMG „allgemein verständlich in deut-scher Sprache, in gut lesbarer Schrift“ dem Verbraucher in einer Packungsbeilage verfügbar gemacht werden.

Gesundheitsrisikoinformationen für Verbraucher über Produkte: Ein wichtiger Baustein des Verbraucherschutzrechts

19

1.2.2 Informationspflicht auf Grund verwaltungsrechtlicher Vorschriften; Information durch den Hersteller auf behördliche Anordnung oder Anregung

1.2.2.1 Arzneimittelgesetz (AMG)

Auf § 11 AMG wurde schon hingewiesen.

1.2.2.2 Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG)

Wenn die nach dem GPSG zuständige Überwachungsbehörde den begründeten Verdacht hat, dass ein Verbraucherprodukt (§ 2 GPSG) nicht den Anforderungen an Sicherheit und Gesundheit entspricht, ist sie nach § 8 Absatz 4 Satz 2 Nr. 4 GPSG befugt, anzuordnen, dass geeignete, klare und leicht verständliche Warnhinweise über Gefährdungen, die von dem Produkt ausgehen, angebracht werden. Nach § 8 Absatz 4 Satz 2 Nr. 8 GPSG ist sie befugt, anzuordnen, dass alle, die einer von ei-nem in Verkehr gebrachten Produkt ausgehenden Gefahr ausgesetzt sein können, rechtzeitig in geeigneter Form auf diese Gefahr hingewiesen werden.

1.2.2.3 Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB)

Im Anwendungsbereich des LFGB, der sich im Übrigen mit dem Anwendungsbereich des GPSG überschneidet6, ist zwar nicht ausdrücklich eine Anordnungsbefugnis ge-regelt, aber eine nach § 40 Absatz 1 LFGB mögliche Information der Öffentlichkeit ist nach § 40 Absatz 2 Satz 1 LFGB „nur zulässig, wenn andere ebenso wirksame Maß-nahmen, insbesondere eine Information der Öffentlichkeit durch den Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmer oder den Wirtschaftsbeteiligten, nicht oder nicht recht-zeitig getroffen werden oder die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht erreichen.“ Die Behörde wird wohl, bevor sie selbst die Öffentlichkeit informiert, in der Anhörung nach § 40 Absatz 3 LFGB darauf hinwirken, dass der Anbieter selbst dies tut.

1.3 Information durch Behörden

Es gibt eine schwer überschaubare Vielfalt von Vorschriften, die sich auf Informati-ons-Befugnisse oder Informations-Pflichten von Behörden beziehen:

6 Borchert, Günter: Kommentierung zu § 1 Rn. 83, in: Beyerlein/Borchert, Verbraucherinformations-

gesetz. München 2010

Günter Borchert

20

1.3.1 Information auf Antrag

1.3.1.1 Überblick

Dass ein Dritter auf Antrag Informationen von der Behörde erhält, ist im GPSG nicht vorgesehen. Auch im LFGB gibt es dazu keine Vorschrift. Beteiligte haben im Ver-waltungsverfahren ein Recht auf Akteneinsicht; dazu möchte ich hier nichts näher ausführen. Auch möchte ich nicht erörtern, inwieweit Journalisten presserechtlich ein Recht haben könnten, von Regierungsstellen Informationen zu erhalten.

Hier geht es um

��das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) und Informationsfreiheitsgeset-ze, die es in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nord-rhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen gibt,

��das Umweltinformationsgesetz des Bundes (UIG) und die Umweltinformationsge-setze der Bundesländer

��und vor allem um das Verbraucherinformationsgesetz (VIG).

1.3.1.2 Umweltinformationsgesetze

Umweltinformationen sind nach § 2 Absatz 3 UIG insbesondere Informationen über den Zustand von Luft, Atmosphäre, Wasser, Boden, Landschaft und natürliche Le-bensräume und den davon beeinflussten Zustand der menschlichen Gesundheit und Sicherheit. Da es in diesem Beitrag um Produkt-Informationen geht, sind solche In-formationen wohl nur insoweit relevant, als es um kontaminierte Lebensmittel geht. Die Ansprüche auf freien Zugang zu Umweltinformationen nach dem UIG oder nach Länder-Umweltinformationsgesetzen entsprechen insoweit in etwa den Ansprüchen nach dem später erläuterten VIG.

1.3.1.3 Informationsfreiheitsgesetze

Die meisten Bundesländer7 haben Gesetze, die grundsätzlich einen Anspruch jeder Person auf Informationen gibt, über die die Behörden verfügen. Manche Länder-Informationsfreiheitsgesetze regeln, dass das VIG vorrangig zur Anwendung kommt. Sie sind dann nur anzuwenden für Informationen über Verbraucherprodukte, die nicht im LFGB oder im WeinG geregelt werden, aber im GPSG. Die Informationsfrei-heitsgesetze von Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein kommen neben dem VIG parallel zur Anwendung8.

7 s.o. 1.3.1.1 8 Borchert, Günter: Kommentierung zu § 1 Rn. 75, in: Beyerlein/Borchert, Verbraucherinformations-

gesetz. München 2010

Gesundheitsrisikoinformationen für Verbraucher über Produkte: Ein wichtiger Baustein des Verbraucherschutzrechts

21

1.3.1.4 Verbraucherinformationsgesetz (VIG)

Das VIG nimmt Bezug auf europäisches und deutsches Lebensmittelrecht ein-schließlich Weinrecht und Futtermittelrecht. Dass zu den relevanten Produkten auch Kosmetika und so genannte Bedarfsgegenstände gehören, erschließt sich wohl nur Experten. Bedarfsgegenstände sind eine recht große Produktgruppe, nämlich nach § 2 Absatz 6 Satz 1 LFGB

„1. Materialien und Gegenstände ..., die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen ...,

2. Packungen, Behältnisse oder sonstige Umhüllungen, die dazu bestimmt sind, mit kosmetischen Mitteln in Berührung zu kommen,

3. Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit den Schleimhäuten des Mundes in Berührung zu kommen,

4. Gegenstände, die zur Körperpflege bestimmt sind,

5. Spielwaren und Scherzartikel,

6. Gegenstände, die dazu bestimmt sind, nicht nur vorübergehend mit dem menschlichen Körper in Berührung zu kommen, wie Bettwäsche, Masken, Perü-cken, Haarteile, künstliche Wimpern, Armbänder,

7. Reinigungs- und Pflegemittel, die für den häuslichen Bedarf oder für Bedarfs-gegenstände im Sinne der Nummer 1 bestimmt sind,

8. Imprägniermittel und sonstige Ausrüstungsmittel für Bedarfsgegenstände im Sinne der Nummer 6, die für den häuslichen Bedarf bestimmt sind,

9. Mittel und Gegenstände zur Geruchsverbesserung in Räumen, die zum Aufent-halt von Menschen bestimmt sind.“

1.3.1.4.1 Grundsatz

Das VIG gibt jeder Person ein subjektives öffentliches Recht auf Zugang zu Informa-tionen, die bei solchen Behörden vorhanden sind, die Zuständigkeit für die Anwen-dung des LFGB und des WeinG haben (§ 1 VIG). Bei entgegenstehenden öffentli-chen oder privaten Belangen besteht der Anspruch nicht (§ 2 VIG), z. B. während der Dauer eines Verwaltungsverfahrens oder bei entgegenstehenden überwiegenden Datenschutzbelangen. Die Information wird auf schriftlichen Antrag erteilt (§ 3 VIG).

1.3.1.4.2 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse

Das Recht auf Zugang zu Informationen – ein Recht, auf dass sich ja nicht nur Verbraucher, sondern auch Konkurrenten beziehen könnten – steht selbstverständ-

Günter Borchert

22

lich in einem Spannungsverhältnis zum Recht der Anbieter, dass ihre Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gewahrt werden. Ob die Informationsfreiheitsgesetze hier zu angemessenen Abwägungen der informationspflichtigen Behörden führen, ist noch nicht absehbar.

1.3.1.4.3 „Verstöße“

Wenn das Informationsbegehren sich auf Verstöße gegen das Lebens- und Futter-mittelrecht bezieht, werden keine Kosten für den Informationszugang erhoben (§§ 6 Absatz 1 Satz 2, 1 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 VIG), der Informationszugang ist trotz even-tuell entgegenstehender Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu gewähren (§ 2 Satz 3 VIG), und ein laufendes Verwaltungsverfahren hindert die Informationsgewäh-rung nicht (§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b VIG).

„Verstöße“ im Sinne des VIG sind alle Handlungen oder Unterlassungen, die mit Ge-boten oder Verboten des Lebens- und Futtermittelrechts nicht übereinstimmen. Die Meinung, nur Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten seien Verstöße, findet im Gesetz oder der amtlichen Begründung keine Stütze9. Ein Verstoß liegt erst dann vor, wenn er förmlich von einer Behörde oder einem Gericht festgestellt wurde10. Unter den le-bensmittelrechtlichen Verstößen sind auch solche, die nicht zum Thema dieses Bei-trags gehören. Denn das Lebensmittelrecht schützt nicht nur vor gesundheitlichen Gefahren (§ 1 Absatz 1 Nr. 1 LFGB), sondern auch vor Täuschung (§§ 1 Absatz 1 Nr. 2, 11, 19, 27, 33 LFGB).

1.3.1.4.4 Erwartete Wirkungen

Ein Faltblatt des zuständigen Ministeriums11 gab die folgenden Beispiele für Informa-tionsbedarfe, die nach dem VIG befriedigt werden:

��„Sie erfahren aus den Medien, dass eine Firma Schlachtabfälle umetikettiert und als Frischfleisch verkauft haben soll (‚Gammelfleischskandal’) und haben auf der Internetseite der zuständigen Behörde gelesen, bei welchen großen Einkaufsket-ten die Ware verkauft wurde. Sie möchten nun wissen, ob auch der Laden, bei dem Sie immer einkaufen, von dieser Firma beliefert wurde oder wird.“

9 Borchert, Kommentierung zu § 1 Rn. 30, in: Beyerlein/Borchert, Verbraucherinformationsgesetz.

München 2010 10 Borchert, Kommentierung zu § 1 Rn. 33, 34, in: Beyerlein/Borchert, Verbraucherinformations-

gesetz. München 2010 11 www.bmelv.de, Flyer „Mehr Information – mehr Transparenz. Das Verbraucherinformationsgesetz“,

abgerufen zuletzt am 30.12.2010

Gesundheitsrisikoinformationen für Verbraucher über Produkte: Ein wichtiger Baustein des Verbraucherschutzrechts

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��„Sie haben gehört, dass ein Anbieter Hautcreme verkauft, die einen Inhaltsstoff enthalten soll, der in Verdacht steht, krebserregend zu sein. Da Sie keinen Inter-netzugang haben, um eine entsprechende Veröffentlichung bei der Behörde nach-zulesen, möchten Sie wissen, welche Chargennummern betroffen sind.“

��„Sie können vorhandene Daten über Belastungen von Erzeugnissen beispiels-weise mit Acrylamid oder Pestiziden selbst dann erfragen, wenn die Grenzwerte eingehalten werden oder keine Grenzwerte vorhanden sind.“

��„Sie möchten wissen, welche genauen Aromastoffe bei der Herstellung eines Produktes verwendet werden.“

Neben anderen Zielsetzungen des VIG12 wird erkennbar, dass Verbraucher die Informationen nutzen sollten, um Gesundheitsschädigungen vorzubeugen.

1.3.2 Information der Öffentlichkeit von Amts wegen

Nach § 8 Absatz 4 GPSG trifft die zuständige Behörde die erforderlichen Maßnah-men, wenn sie den begründeten Verdacht hat, dass ein Produkt nicht den Anforde-rungen an Sicherheit und Gesundheit entspricht. Zu diesen Maßnahmen gehören Anordnungen vor dem Inverkehrbringen (§ 8 Absatz 4 Satz 2 Nr. 2 GPSG), vorüber-gehende und auf Dauer verfügte Verbote des Inverkehrbringens (§ 8 Absatz 4 Satz 2 Nrn. 5, 6 GPSG). Solche Anordnungen macht die Behörde nach § 10 Absatz 1 GPSG öffentlich bekannt, wenn sie unanfechtbar geworden sind oder die sofortige Vollziehung angeordnet worden ist. Personenbezogene Daten dürfen nur veröffent-licht werden, wenn sie zur Identifizierung des Produkts erforderlich sind.

Nach § 10 Absatz 2 GPSG (unter einschränkenden Voraussetzungen der Absätze 3 und 4) werden der Öffentlichkeit sonstige Informationen über von Verbraucherpro-dukten ausgehende Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Verwender zu-gänglich gemacht; dies betrifft insbesondere Informationen zur Identifizierung der Verbraucherprodukte, die Art der Gefahren und die getroffenen Maßnahmen.

Nach § 40 Absatz 1 Sätze 1 und 2 LFGB (unter einschränkenden Voraussetzungen des Satzes 3 und der Absätze 2 und 3) soll die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels und des Le-bensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Le-bensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt wurde oder in den Verkehr gelangt ist, und, wenn dies zur Gefahrenabwehr geeigneter ist, auch unter Nennung des Inverkehrbringers, nach Maßgabe des Artikels 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 informieren. Eine Information der Öffentlichkeit in der in Satz 1 genannten Art und Weise soll auch erfolgen, wenn

12 BR-Drs. 273/07, 11 ff.

Günter Borchert

24

1. der hinreichende Verdacht besteht, dass ein kosmetisches Mittel oder ein Be-darfsgegenstand ein Risiko für die menschliche Gesundheit mit sich bringen kann,

2. der hinreichende Verdacht besteht, dass gegen Vorschriften im Anwendungsbe-reich dieses Gesetzes, die

a) dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefähr-dungen dienen, verstoßen wurde, oder

b) dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Täuschung dienen, in nicht unerheblichem Ausmaß verstoßen wurde,

3. im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von einem Er-zeugnis eine Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit ausgeht oder ausge-gangen ist und auf Grund unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnis oder aus sonstigen Gründen die Unsicherheit nicht innerhalb der gebotenen Zeit be-hoben werden kann,

4. ein nicht gesundheitsschädliches, aber zum Verzehr ungeeignetes, insbesondere ekelerregendes Lebensmittel in nicht unerheblicher Menge in den Verkehr ge-langt oder gelangt ist oder wenn ein solches Lebensmittel wegen seiner Eigenart zwar nur in geringen Mengen, aber über einen längeren Zeitraum in den Verkehr gelangt ist,

5. Umstände des Einzelfalles die Annahme begründen, dass ohne namentliche Nennung des zu beanstandenden Erzeugnisses und erforderlichenfalls des Wirt-schaftsbeteiligten oder des Inverkehrbringers, unter dessen Namen oder Firma das Erzeugnis hergestellt oder behandelt wurde oder in den Verkehr gelangt ist, erhebliche Nachteile für die Hersteller oder Vertreiber gleichartiger oder ähnlicher Erzeugnisse nicht vermieden werden können.

Zum Verhältnis der §§ 10 GPSG, 40 LFGB zueinander regelt § 1 Absatz 3 Satz 2 GPSG, dass nur das LFGB gilt, was bei Verbraucherprodukten wie Spielzeug, Klei-dung, Kosmetika und Lebensmitteln relevant wird.

Nach Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 informieren die nationalen Behör-den die Öffentlichkeit. Sie haben nicht nur die Befugnis, sondern unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen („Besteht ein hinreichender Verdacht, dass ein Lebensmittel oder Futtermittel ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier mit sich bringen kann“) auch die Verpflichtung, vor gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln zu warnen.

Gesundheitsrisikoinformationen für Verbraucher über Produkte: Ein wichtiger Baustein des Verbraucherschutzrechts

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Nach § 5 Absatz 1 Sätze 2 und 3 VIG kann die informationspflichtige Stelle Informa-tionen, zu denen Zugang zu gewähren ist, auch unabhängig von einem Antrag über das Internet oder in sonstiger öffentlich zugänglicher Weise zugänglich machen; die Informationen sollen für die Verbraucherinnen und Verbraucher verständlich darge-stellt werden.

Nach § 69 Absätze 1 Satz 3, 4 AMG kann eine öffentliche Warnung durch die zu-ständige oberste Bundesbehörde erfolgen, wenn sie einen zur Abwehr von Gefahren für die Gesundheit von Mensch oder Tier gebotenen Rückruf eines Arzneimittels an-geordnet hat.

Die Richtlinie 2001/95/EG regelt in Art. 11 Absatz 1 Satz 4, 12 und im Anhang II das RAPEX-Verfahren, in dessen Rahmen Risiko-Informationen über gefährliche Produk-te aktuell im Internet verfügbar gemacht werden13. Veröffentlicht wird u. a. eine Be-schreibung und Abbildung der Produkte mit Firmennamen und Herkunftsland. Die Grundlage der Informationen sind die Überwachungsmaßnahmen der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten. Geschäftsgeheimnisse betroffener Anbieter dürfen nach Art. 16 Absatz 2 der Richtlinie nicht der Weitergabe von Informationen, die für die Gewährleistung der Wirksamkeit der Überwachungsmaßnahmen und der Markt-überwachung relevant sind, an die zuständigen Behörden entgegenstehen; aber wenn die Behörden Informationen erhalten, die unter das Geschäftsgeheimnis fallen, schützen sie deren Vertraulichkeit.

1.4 Erfahrungen, Bewertung, Ausblick

Anscheinend sind es weniger Normalverbraucher, die sich um Informationen nach den Informationsfreiheitsgesetzen bemühen, sondern eher Lobby-Organisationen oder Journalisten. Berichtet wird zum VIG, „dass die Zahl der Anfragen ‚normaler’ Verbraucher im Vergleich zu denjenigen ‚institutioneller’ Fragesteller wie Verbrau-cherorganisationen und Journalisten vergleichsweise gering ist“14. Von Verbraucher-organisationen liegen zum VIG Bewertungen vor, dass das Gesetz wenig nütze, vor allem weil für die Informationen hohe oder nicht einschätzbare Gebühren zu zahlen sind, oder weil die Verfahren zu lange dauern, zumal die Behörden vor einer Aus-

13 http://ec.europa.eu/consumers/dyna/rapex/create_rapex.cfm?rx_id=331 14 Bericht der Bundesregierung über die Ergebnisse der Evaluation des Verbraucherinformations-

gesetzes. BT-Drs. 17/1800 vom 14.05.2010, S. 11

Günter Borchert

26

kunft die betroffenen Anbieter zu beteiligen haben (§ 4 VIG)15. Von Anbieterseite oder seitens informationspflichtiger Behörden wird – ohne nachvollziehbare empiri-sche Belege – geäußert, Informationsfreiheit wirke sich blockierend auf Verwaltungs-abläufe aus und habe die Wirkung eines rechtsstaatlich bedenklichen Prangers16.

Mir ist einerseits kein Fall bekannt, in dem deutlich geworden wäre, dass die Verfüg-barkeit von Gesundheitsrisikoinformationen unmittelbar und nachweisbar zum Ge-sundheitsschutz von Verbraucherinnen oder Verbrauchern beigetragen hätte.

Dennoch bin ich generell von der präventiven Wirkung der genannten Vorschriften überzeugt, insbesondere von der mittelbaren Wirkung, die sich daraus ergibt, dass Lobby-Organisationen des Verbraucherschutzes und Journalisten die Informations-möglichkeiten nutzen und die Erkenntnisse in die Öffentlichkeit tragen.

1.5 Verzeichnis der abgekürzten Vorschriften

AMG Arzneimittelgesetz

BGB Bürgerliches Gesetzbuch

ChemVerbotsV Chemikalienverbotsverordnung

GefStoffV Gefahrstoffverordnung

GPSG Geräte- und Produktsicherheitsgesetz

IFG Informationsfreiheitsgesetz (des Bundes)

LFGB Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch

MPBetreibV Medizinprodukte-Betreiberverordnung

ProdHaftG Produkthaftungsgesetz

REACH-VO Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (Registration, Evaluation, Authorisation of Chemicals)

UIG Umweltinformationsgesetz (des Bundes)

VIG Verbraucherinformationsgesetz

WeinG Weingesetz

15 Borchert, Günter: Kommentierung Einführung Rn. 19 ff., in: Beyerlein/Borchert, Verbraucher-

informationsgesetz. München 2010 16 Böhm, Monika/Lingenfelder, Michael/Voit, Wolfgang: Endbericht. Auswertung der Anwendungs-

erfahrungen mit dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) sowie Erarbeitung von konkreten Empfehlungen für Rechtsänderungen. http://www.vigwirkt.de/de/vig-im-dialog/, 64, 68, 112, 122, 130, 141

Gesundheitsrisikoinformationen für Verbraucher über Produkte: Ein wichtiger Baustein des Verbraucherschutzrechts

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Abb. 1.1 Veranstalter Prof. Dr. Ralf Pieper zusammen mit Prof. Dr. Günter

Borchert vom Lehrstuhl für Arbeits- und Sozialrecht (v.l.n.r.)

Abb. 1.2 Mit rund 30 Teilnehmern wurde das Sicherheitswissenschaftliche

Kolloquium des Wintersemesters 2009 - 2010 am 27. Oktober 2009 beim Institut ASER e.V. in Wuppertal gestartet

Joachim Larisch

28

2 Arbeitnehmerschutz: Integraler Bestandteil oder Fremdkörper im Betrieb? (JOACHIM LARISCH)

56. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 15. Dezember 2009 in Wuppertal

Dr. Joachim Larisch Zentrum für Sozialpolitik (ZeS), Universität Bremen

2.1 Einleitung

Die Frage nach der Integration des Arbeitsschutzes in die betrieblichen Routineauf-gaben scheint weitgehend geklärt zu sein: Fast wie selbstverständlich wird in diver-sen Publikationen der einschlägigen Fachorgane davon ausgegangen, dass es im ureigensten Interesse der Unternehmen liegt, präventiven Arbeitsschutz zu betrei-ben. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass sich der Gewinn durch eine unter-brechungsfreie Produktion erhöhen lässt, präventiver Arbeitsschutz zudem eine (al-ternde) qualifizierte Belegschaft erhält und darüber hinaus gut geeignet ist, sich flexi-bel auf veränderte Marktanforderungen einlassen zu können. In diesem Sinne er-scheint der Arbeitsschutz als "Gebot wirtschaftlich vernünftigen Handelns" (Palsherm/Scheible 2009: 298). Da sich die Unternehmen bedauerlicherweise dieser Sichtweise nur sehr begrenzt anzuschließen scheinen und wie auch immer begrün-dete Zweifel daran haben, dass aus mehr Sicherheit am Arbeitsplatz auch zwangs-läufig ein höherer Unternehmensgewinn resultiert, lohnt es sich der Frage nachzuge-hen, welche Möglichkeiten und Grenzen einer „Verbetrieblichung" des Arbeitsschut-zes bestehen. Dies ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil im Zuge der Europäisierung der Arbeitsschutzgesetzgebung eine starke Betonung der Betriebs-orientierung festzustellen ist.

2.2 Rechtliche Anforderungen an die betriebliche Arbeits-schutzorganisation

Seit dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) am 1. Juli 1987 hat die Europäische Union (EU) die Rechtsetzungsbefugnis im Arbeitsschutz. Mit der

Arbeitnehmerschutz: Integraler Bestandteil oder Fremdkörper im Betrieb?

29

EU-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz (89/391/EWG) hat die EU einen einheitlichen Rahmen für das Arbeitsschutzrecht in den Mitgliedstaaten gesetzt. Im Hinblick auf die organisatorischen betrieblichen Anforderungen handelt es sich um einen „Top-down-Ansatz", bei dem der Arbeitgeber Normadressat des Arbeitsschutzes ist. Er hat frühzeitig gesundheitliche Risiken zu identifizieren und Maßnahmen zu ihrer Vermin-derung oder Beseitigung einzuleiten, wobei sich der Gesundheitsbegriff nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs an der Definition der Weltgesund-heitsorganisation orientiert und sich somit einem Gesundheitsverständnis im Sinne des Public Health annähert (vgl. Larisch 2009: 28 ff.). Allerdings ist weder die durch den Arbeitgeber vorzunehmende Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich der anzule-genden Mindestanforderungen spezifiziert, noch sind es die weiteren Organisations-pflichten, nach denen der Arbeitsschutz in die betriebliche Führungsstruktur zu integ-rieren ist. Dies gilt auch für die Umsetzung der EU-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz durch das deutsche Arbeitsschutzgesetz 1996. Die allgemeinen und speziellen Or-ganisationspflichten des Arbeitgebers nach § 3 Arbeitsschutzgesetz geben kein spe-zifisches Organisationsmodell vor, und im Hinblick auf die Gefährdungsbeurteilung bleibt es bei einem großen Ermessenspielraum für den Arbeitgeber (Bundesarbeits-gerichturteil vom 12.8.2008, 9 AZR 1117/06)1.

Das sich so ergebende rechtliche Vakuum zwischen der Betriebsorientierung des Arbeitsschutzes und der fehlenden Spezifizierung diesbezüglicher Anforderungen kann in mehrfacher Hinsicht interpretiert werden: Zum einen reflektiert es den ge-genüber dem tradierten deutschen Arbeitsschutzverständnis veränderten Gesund-heitsbegriff, der sich nicht allein auf die Abwehr von physischen und psychischen Gefährdungen der gesundheitlichen Integrität der Beschäftigten richtet, sondern die Entwicklung ihrer gesundheitlichen Potenziale in den Blick nimmt, die auf betriebli-cher Ebene Aushandlungsprozesse zwischen den Beschäftigten und der Unterneh-mensleitung erfordern. Zum anderen reflektiert dieses rechtliche Vakuum die Verän-derung des betrieblichen Beanspruchungs- und Belastungsspektrums, welches durch eine multikausale Veränderung des Gesundheitszustands der Beschäftigten durch geänderte psychische und physische Anforderungen in Produktions- und Dienstleistungsprozessen gekennzeichnet ist. Nicht zuletzt reflektiert dieses rechtli-che Vakuum allerdings auch die Unsicherheit in der Bestimmung des Verhältnisses zwischen betrieblicher Selbstorganisation und staatlicher Aufsicht in Bezug auf Si-cherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten.

1 Auch wenn es 13 Jahre nach dem Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes gelungen ist, ein

Internet-Portal zur Gefährdungsbeurteilung zu errichten, ist weiterhin unabsehbar, ob und wann Mindestanforderungen für Gefährdungsbeurteilungen durch Rechtsverordnung der Bundesregierung erlassen werden.

Joachim Larisch

30

2.3 (Selbst-)Regulierung durch Arbeitsschutzmanagement und betriebliche Gesundheitsförderung?

Durch die Aufnahme von prozessorientierten Elementen in die EU-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz ergeben sich Ansatzpunkte für eine Systematisierung im Sinne eines Arbeitsschutz-Managementsystems. Dieses könnte als eine Form der (Selbst-) Regulierung angesehen werden, die bei einer Kombination von Zielen oder bei einer problematischen Spezifizierung von Zielen angemessen ist. Hinsichtlich der erforder-lichen Beteiligung der Beschäftigten ist insbesondere auf den Vorschlag der Interna-tionalen Arbeitsorganisation zu verweisen, der aber ebenso wenig verbindlich ist wie andere in Deutschland verbreitete Ansätze, für die wenig belastbare Auswertungen vorliegen (vgl. Larisch 2009: 49 ff.).

Tab. 2.1 Dokumentationsbögen betriebliche Gesundheitsförderung 2001-2007 (Quelle: MDS 2008: 78)

Rücklauf Dokumentationsbögen

Berichtsjahr Anzahl Dokumentationsbögen (gemeldete Fälle)

2007 3.014 (+5.366 AU-Profile*)

2006 2.422 (+5.454 AU-Profile*)

2005 2.531 (+3.125 AU-Profile*)

2004 2.563 (+2.665 AU-Profile*)

2003 2.164 (+628 AU-Profile*)

2002 1.895 (+463 AU-Profile*)

2001 1.189

* Fälle, in denen reine AU-Analysen durchgeführt wurden.

Ansatzpunkte ergeben sich ferner für die Verbindung zwischen dem Arbeitsschutz und der betrieblichen Gesundheitsförderung, da zum einen die Erweiterung des ar-beitsschutzrechtlichen Gesundheitsbegriffs inhaltliche Schnittstellen für betriebliche Aktivitäten der gesetzlichen Krankenkassen bietet und zum anderen durch § 20a So-zialgesetzbuch V eine entsprechende Verpflichtung besteht. Die seit etwa 1991 durchgeführten betrieblichen Aktivitäten werden seit 2001 durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen dokumentiert. Hinsichtlich des Umfangs und der Qualität der Maßnahmen ist mit einer gewissen Ernüchterung festzustellen, dass im Jahr 2007 etwa 3.000 Dokumentationsbögen ausgewertet werden konnten und nur in gut

Arbeitnehmerschutz: Integraler Bestandteil oder Fremdkörper im Betrieb?

31

25% der dokumentierten Fälle Gesundheitszirkel mit etwa vier Sitzungen durchge-führt wurden. Ferner dominieren bei den Maßnahmen Unternehmen des verarbei-tenden Gewerbes und Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten (vgl. MDS 2008: 80f.). Hinsichtlich der Interventionen stehen körperliche Belastungen mit über 70 v. H. deutlich im Mittelpunkt (vgl. Abbildung 1), so dass kaum von einer zureichenden Erfassung des veränderten Belastungs- und Beanspruchungsspektrums gesprochen werden kann.

Abb. 2.1 Inhalte der Interventionen der betrieblichen Gesundheitsförderung

2005-2007 (Quelle: MDS 2008: 89) Da weder durch die freiwillige Einführung von Arbeitsschutzmanagementsystemen noch durch die ebenfalls freiwillige Durchführung von betrieblichen Gesundheitsför-derungsmaßnahmen eine „Endogenisierung" des betrieblichen Arbeitsschutzes zu erwarten ist, stellt sich die Frage, ob dies mit explizit ökonomischen Argumentations-linien erreichbar ist.

Joachim Larisch

32

2.4 Ökonomische Ansätze zu einer „Endogenisierung" des Arbeitsschutzes

Ökonomische Begründungen für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftig-ten bei der Arbeit lassen sich im wesentlichen aus dem Bedürfnis der Identifizierung und Messung der Kosten von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen, der Erforschung der Beziehung zwischen der Funktionsweise von Unternehmen und Märkten und Arbeitsschutzproblemen sowie der ökonomischen Analyse zur Bewer-tung sozialpolitischer Handlungsalternativen herleiten (vgl. Dorman 2000: 1f.). Die zentralen Kategorien der ökonomischen Analyse sind dabei der Nutzen und die Kos-ten von Maßnahmen des Arbeitsschutzes. Bezüglich der Auswirkungen regulatori-scher Maßnahmen ergeben sich dabei für die Bereiche Umweltschutz, Gesundheit und Arbeitssicherheit keine strukturellen Unterschiede. Für alle diese Bereiche gilt aus ökonomischer Sicht, dass Maßnahmen dann effizient sind, wenn der zusätzliche Nutzen die zusätzlichen Kosten dieser regulatorischen Maßnahmen übersteigt (vgl. Larisch 2009: 101f.). Allerdings ergeben sich erhebliche Probleme, Kosten und Nut-zen zu messen und den jeweiligen Interventionen zuzurechnen. Hinsichtlich der sozio-ökonomischen Ansätze wird nach den drei Ebenen Individuum, Unternehmen und Gesamtgesellschaft differenziert. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wird bei-spielsweise für die Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 1998 von etwa 1,6% des Bruttoinlandsprodukts als Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen ausgegangen (vgl. Bödeker et al. 2002). Für die „Verbetrieblichung" des Arbeitsschutzes scheint diese Aussage aber wenig relevant zu sein, da eine Belastung des Bruttoinlandspro-dukts - wenn überhaupt - nur in sehr indirekter Weise Einfluss auf das betriebliche Geschehen nehmen kann.

Wenn aber der Arbeitgeber Norm-Adressat der europäischen Arbeitsschutzregelun-gen ist, die eine starke Betriebsorientierung aufweisen bei einer vergleichsweise ge-ringen Spezifizierung der betrieblichen organisatorischen Anforderungen, dann ist es erforderlich, betriebswirtschaftlich orientierte Ansätze zum Management von Sicher-heit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu entwickeln. Die dies-bezüglichen Ansätze beziehen sich auf die Kosten-Nutzen-Analyse, die Kosten-Effektivitäts-Analyse, die Nutzwertanalyse, die Kosten-Wirksamkeits-Analyse und die erweiterte Wirtschaftlichkeitsrechnung. Die genannten Verfahren unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Monetarisierung, das heißt der Bewertung der Kosten und des Nut-zens in Geldeinheiten (vgl. Larisch 2009: 111ff.). Da Maßnahmen des Arbeitsschut-zes wegen der Erweiterung des Gesundheitsbegriffs im Sinne des Public Health auf die Erhaltung und Erweiterung der gesundheitlichen Potenziale der Beschäftigten ausgerichtet sind, entzieht sich der „Nutzen" einer (kurzfristigen) Quantifizierung auf betrieblicher Ebene. Es ist dann nicht verwunderlich, dass die entsprechenden be-trieblichen Analysen sich weitgehend auf den betrieblichen Krankenstand konzentrie-ren, dessen Reduzierung als „bezahlter Krankenstand" monetär bewertet wird. Die

Arbeitnehmerschutz: Integraler Bestandteil oder Fremdkörper im Betrieb?

33

Anwendung komplexerer Analyseinstrumente, die auf eine Monetarisierung des Nut-zens verzichten, erfordert ein betriebliches Ursache-Wirkungs-Modell für gesundheit-liche Interventionen und setzt in der Regel erhebliche zusätzliche Datenaufbereitun-gen voraus. Da die Unternehmung auf der Basis finanzieller Informationen gesteuert wird, reduziert sich in der Praxis die ökonomische Begründung von Arbeitsschutz-maßnahmen auf die Ermittlung von Arbeitsunfall-Kosten. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Vorgehen weder der Intention der europäischen Arbeitsschutzgesetzge-bung entspricht noch den betrieblichen Erfordernissen gerecht wird, da Arbeitsunfälle nur ein sehr unzureichender Indikator für das betriebliche Gesundheitsgeschehen darstellen. Darüber hinaus ist auch bei differenzierteren Ansätzen zur Messung der betriebswirtschaftlichen Effekte von gesundheitlichen Interventionen, wie sie in Ab-bildung 2 dargestellt sind, zu beachten, dass die Effekte wesentlich durch die Effekti-vität der Interventionen und durch die Steigerung der Produktivität beeinflusst wer-den. Dabei ist es fraglich, ob die Produktivitätssteigerungen tatsächlich (ausschließ-lich) auf die gesundheitliche Intervention zurückgeführt werden können.

Cost of Equip-ment

Cost of Labor

A

Intervention

Degree ofEffectiveness

Enhance-ment in

productivity

Displacement of workers

Retraining costs

D

C

Productivity losses (LBP)

Lost Work Time (LBP)

Medical Care

Avoided Economic

Costs

Disability

Replacement Non-market

B

Net costs of inter-ventions

A-B-C+D

Abb. 2.2 Netto-Kosten-Modell einer Intervention zur Reduzierung von Rücken-schmerzen (Low Back Pain); Quelle: Larisch 2009: 116

Bei näherer Betrachtung der ökonomischen Begründungen für Maßnahmen zum Ge-sundheitsschutz und zur Sicherheit der Beschäftigten bei der Arbeit reduziert sich die Tragfähigkeit dieser Ansätze auf ein recht enges Spektrum, nämlich die Arbeitsunfäl-le und den Krankenstand. Da sich hieraus nur ein sehr begrenzter Anknüpfungspunkt an die zur Steuerung der Unternehmung verwendeten finanziellen Parameter gibt, wird in Anknüpfung an die internationale Diskussion über den Zusammenhang von Sozialkapital und Gesundheit versucht, diese Diskussion auch für das betriebliche

Joachim Larisch

34

Gesundheitsmanagement und den Arbeitsschutz fruchtbar zu machen. Hierbei wird insbesondere auf die Diskussion im angelsächsischen Raum eingegangen, während die wirtschaftssoziologischen Bezüge und insbesondere der Ansatz von Pierre Bourdieu zumindest im deutschsprachigen Bereich vernachlässigt werden (vgl. hier-zu Larisch 2009: 120 ff.).

2.5 Arbeitsschutz und organisationales Sozialkapital

Der Begriff des Sozialkapitals hat eine erstaunliche Karriere gemacht und ist in den letzten 25 Jahren nicht nur in der Soziologie und Politikwissenschaft, sondern auch in der Ökonomie in den verschiedensten Anwendungsbereichen und Zusammenhän-gen benutzt worden (vgl. Matiaske/Grözinger 2008: 7). Im Kontext der betrieblichen Fundierung des Arbeitsschutzes erscheint es als bedeutsam, dass es sich um einen wirtschaftssoziologischen Ansatz zur Untersuchung der sozialen Struktur der Öko-nomie handelt, der sich von der (betriebswirtschaftlichen) ökonomischen Rationalität abwendet und im Sinne Bourdieus einen erweiterten Rationalitätsbegriff entwickelt, welcher die historische Konstituierung der Akteure und ihres Handlungsraums be-rücksichtigt (Bourdieu 2000: 235, 2005). Die Unternehmung wird in diesem Ansatz als Feld begriffen, in dem die Handlungsräume der Akteure durch das Volumen, die Struktur und die Verteilung des finanziellen, kulturellen, kommerziellen, sozialen und symbolischen Kapitals sowie durch die Verteilungsstruktur der Kosten bestimmt sind. In deutlicher Abgrenzung zum Konzept des rational handelnden wirtschaftlichen Sub-jekts entwickelt Bourdieu ein Konzept des ökonomischen Habitus, in welchem öko-nomisches Verhalten als Ergebnis spezifischer ökonomischer und sozialer Bedin-gungen begriffen wird. In diesem Sinne handeln Wirtschaftssubjekte nicht "rational", sondern "verständlich" im Sinne von nachvollziehbar.

In der wesentlich von Badura geprägten deutschen Diskussion über Sozialkapital und Gesundheit bzw. Sozialkapital und betrieblicher Gesundheitspolitik wird dagegen Sozialkapital als Ressource der sozialen Gruppe aufgefasst, im Gegensatz zu indivi-duellen Ressourcen einzelner Gruppenmitglieder. Sozialkapital fördert nach dieser Auffassung Gesundheit und Arbeitsleistung, indem Ressourcen durch homogene soziale Gruppen (bonding capital) oder durch die Durchbrechung sozialer Identitäten (bridging capital) freigesetzt werden (vgl. Badura 2007: 6 ff.). Sozialkapital ist in die-ser Auffassung im wesentlichen reduziert auf soziale Beziehungen und die durch sie vermittelte Kultur, ohne dass die Unternehmung selbst als heterogenes Feld begrif-fen wird, in welchem unterschiedliche Interessen agieren und die betrieblichen bzw. unternehmerischen Entscheidungen durch die Struktur der Machtbeziehungen zwi-schen unterschiedlichen Agenten bestimmt werden (vgl. Bourdieu 2000: 93ff.). Die in diesem Ansatz vorhandene ausschließlich positive Bewertung des Sozialkapitals

Arbeitnehmerschutz: Integraler Bestandteil oder Fremdkörper im Betrieb?

35

blendet mögliche negative Effekte aus, die sich aus unterschiedlich verteilten Zugän-gen zu Netzwerken ergeben können oder daraus, dass soziale Beziehungen auch zum Nachteil anderer genutzt werden können (vgl. Knorringa/Staveren 2007: 3f.). Darüber hinaus ist der ökonomische Kapitalbegriff durch eine dauerhafte Mittelbin-dung charakterisiert mit dem Ziel, über eine bestimmte zeitliche Dauer durch die Nut-zung des Kapitals Einkommen zu erzeugen. In diesem Zusammenhang wird der Ka-pitalbegriff auf die Investitionen in physische Güter, aber auch auf die Aufwendungen für Bildung und Ausbildung bezogen, nicht aber auf soziale Beziehungen. Es wäre daher zu klären, was eigentlich als Investition in das Sozialkapital zu gelten hätte und wodurch sich Sozialkapital erhöhen bzw. verringern würde (vgl. Schuller 2007: 23).

Unter dem Begriff "Sozialkapital" lassen sich recht unterschiedliche Sachverhalte subsumieren, nämlich zum einen die für ein Individuum aufgrund seiner Netzwerkzu-gehörigkeit möglicherweise verfügbaren Ressourcen, zum anderen das allgemeine Vertrauen in Personen und Institutionen und schließlich die Existenz allgemeiner Normen wie zum Beispiel Fairness (vgl. Franzen/Pointner 2007: 71). Es ist daher durchaus fraglich, ob auf dieser Basis ein theoretisch fundierter und für die betriebli-che Praxis tragfähiger Ansatz zur „Verbetrieblichung“ des Arbeitsschutzes gefunden werden kann. Dennoch erscheint es als sinnvoll, mit der Betonung der betrieblichen Sozialbeziehungen spezifische Managementfunktionen anzusprechen, die über die Erfüllung rechtlicher Anforderungen hinaus für die Implementierung eines Arbeits-schutz- und Gesundheitsmanagements von Bedeutung sind. Anzuknüpfen wäre da-bei an das Personalmanagement, da der Bereich des Personalwesens sowohl als betriebliche Routineaufgabe etabliert ist als auch im betrieblichen Rechnungswesen als dem wirtschaftlich entscheidenden Steuerungsbereich berücksichtigt wird. Aller-dings wäre in einem auf das Sozialkapital gestützten Ansatz eine Rückfall in die mo-netäre Bewertung zu vermeiden, wie auch die Leistungsanforderungen und die Struktur der sozialen Beziehungen selbst nicht als gegeben zu unterstellen wären, sondern thematisiert und problematisiert werden müssten2. Insoweit steht der Ar-beitsschutz vor einer dem Umweltschutz vergleichbaren Aufgabe, die darin besteht, die betriebswirtschaftliche Rationalität als dominierendes Handlungsparadigma zu erweitern oder gar zu ersetzen. Die diesbezüglichen Entwicklungen im Umweltschutz können, um es zurückhaltend zu formulieren, nicht als besonders ermutigend ange-sehen werden, mangelt es doch trotz einzelner Instrumente wie das Öko-Controlling oder betrieblicher Umweltinformationssysteme an einer betriebswirtschaftlichen In-ternalisierung des Umweltschutzes, welche den Stoff- und Energieverbrauch der Wirtschaft drastisch zu reduzieren geeignet ist (vgl. Müller-Christ 2001: 530). Eine

2 Diesem Anspruch wird das Human Resource Performance Model nicht gerecht, wenn in der dies-

bezüglichen, von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin geförderten Studie die Leistungsanforderungen an Fluglotsen offensichtlich nicht thematisiert werden (vgl. Penning/Vogt 2007: 80 ff.)

Joachim Larisch

36

solche Ressourcen schonende Orientierung hinsichtlich der Nutzung der natürlichen und anthropogenen Umwelt erfordert die Entwicklung einer Theorie der Unterneh-mung, in welcher die anthropogene und natürliche Umwelt nicht als statische, gege-bene Faktoren des Produktionsprozesses begriffen werden, sondern als Produkti-onsvoraussetzungen und zugleich Ergebnis der Produktion. Der Erhalt der natürli-chen und anthropogenen Umwelten als Bestandteil einer ressourcenorientierten Aus-richtung der Unternehmung ist als Unternehmensziel mikroökonomisch zu internali-sieren, wozu Marktpreise nur begrenzt geeignet sind.

2.6 Fazit

Keineswegs kann davon ausgegangen werden, dass sich „Arbeitsschutz rechnet“ und die mit der Europäisierung des Arbeitsschutzrechts verbundene „Verbetrieb-lichung“ nahtlos an die einzelwirtschaftlich dominierende betriebswirtschaftliche Rati-onalität anknüpfen kann. Sofern dies geschieht, werden Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit auf Arbeitsunfälle und den bezahlten Krankenstand reduziert und damit gegenüber einem an Public Health orientierten präventiven Ansatz entscheidend verkürzt. Mit der Kategorie des Sozialkapitals wird ein Ansatz gesucht, den wirt-schaftlichen Nutzen einer betrieblichen Gesundheitspolitik zu operationalisieren und betriebswirtschaftlich nutzbar zu machen. Dies könnte bei einer Anknüpfung an das Personalmanagement ein Weg sein, diesbezügliche betriebliche Initiativen auch im Hinblick auf die erwartbare Verknappung personeller und qualifikatorischer Ressour-cen zu routinisieren. Erforderlich aber bleibt die Entwicklung einer gesundheitlichen Theorie der Unternehmung, welche die Ressourcen schonenden Ansätze sowohl auf die natürliche als auch auf die anthropogene Umwelt bezieht.

2.7 Literatur

Badura, B. (2007): Grundlagen präventiver Sozialpolitik: Das Sozialkapital von Organisationen. In: Kirch, W.; Badura, B.; Pfaff, H. (Hrsg.). Prävention und Versorgungsforschung. Ausgewählte Beiträge des 2. Nationalen Präventions-kongresses und 6. Deutschen Kongresses für Versorgungsforschung. Dresden, 24. bis 27. Oktober 2007. Heidelberg: Springer Medizin Verlag. 3-34.

Bödeker, W.; Friedel, H.; Röttger, C.; Schröer, A. (2002): Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen. Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits-medizin, Forschung, Fb 946. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW

Arbeitnehmerschutz: Integraler Bestandteil oder Fremdkörper im Betrieb?

37

Bourdieu, P. (2000): Les structures sociales de l'économie. Paris: Éditions du Seuil.

Bourdieu, P. (2005): Priciples of an Economic Anthropology. In: Smelser, N. J.; Swedberg, R. (Hrsg.). The Handbook of Economic Sociology. 2. Aufl. Princeton N.J.: Princeton University Press. 75-89.

(Original: Principe d’une anthropologie économique. In : Bourdieu, P. (2000): Les structure sociales de l’économie. Paris : Éditions du Seuil. 234-270).

Dorman, P. (2000): The Economics of Safety, Health, and Well-Being at Work: An Overview. InFocus Program on SafeWork, International Labour Organisation. The Evergreen State College.

http://www.oit.org/public/english/protection/safework/health/hlthserv.pdf; Zugriff: 2.3.2007.

Franzen, A.; Pointner, S. (2007): Sozialkapital: Konzeptualisierungen und Messungen. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderheft 4/2007. 66-90.

Knorringa, P.; Staveren, I. v. (2007): Beyond social capital: A critical approach. Review of Social Economy. Vol. 65. No. 1. 1-9.

Larisch, J. (2009): Arbeitsschutz und ökonomische Rationalität. Berlin: ed. sigma.

Matiaske, W.; Grözinger, G. (2008): Sozialkapital: eine (un)bequeme Kategorie. Editorial. In Matiaske, W.; Grözinger, G. (Hrsg.), Sozialkapital - eine (un)bequeme Kategorie. Ökonomie und Gesellschaft Jahrbuch Bd. 20. Marburg: Metropolis Verlag. 7-15.

Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS) (2008): Präventionsbericht 2008. (Berichtsjahr 2007). Essen.

Palsherm, I., Scheible, D. H. (2009): Warum Gesundheit ökonomisch ist – Gesundheitsökonomie unter Berücksichtigung des Arbeitsschutzes. Die BG, (6), 294-298.

Penning, S.; Vogt, J. (2007): Entwicklung und Erprobung des Human Resources Performance Modells zur ökonomischen Evaluation von Maßnahmen in den Bereichen Humanfaktoren (HF), Humanressourcen (HR) und Training (T). Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Abschlussbericht Projekt F 2105. Dortmund/Dresden/Berlin.

Schuller, T. (2007): Reflections on the use of social capital. Review of Social Economy. Vol. 65 (1). 11-28.

Joachim Larisch

38

StB Dr. Joachim Larisch

Universität Bremen Zentrum für Sozialpolitik (ZeS)

Fachbereich 11 Abteilung Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung

UNICOM-Gebäude Mary-Somerville-Straße 5 28359 Bremen

Telefon: 0421 / 218 – 58552 E-Mail: [email protected] Internet: www.zes.uni-bremen.de

Abb. 2.3 Dr. Joachim Larisch vom Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität

Bremen referierte am 15. Dezember 2009 beim 56. Sicherheitswissen-schaftlichen Kolloquium in Wuppertal zum Arbeitnehmerschutz

Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe

39

3 Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe (MICHAEL STEIN)

57. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 12. Januar 2010 in Wuppertal

PD Dr. Michael Stein Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe/Abt. Ergonomie, Manching

3.1 Einleitung

Ein sicherer und effizienter Betrieb von modernen fliegenden Waffensystemen (Eurofighter, A 400 M, UH Tiger, NH 90) ist aufgrund der gestiegenen Systemkom-plexität (Informatisierung durch die Einführung des glass cockpit, hoher Grad an Teil-Automatisierung, u. a.) aber auch der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nur im Verbund zwischen Real- und Simulatorflug zu verwirklichen. Dabei werden Flug-simulatoren (siehe als Beispiel Abbildungen 3.1 bis 3.5) in allen Teilstreitkräften zur

��Ausbildung (fliegerische Basisschulung [initial flight training], Musterberechtigung [type rating], Luftkampftraining [air combat training] u. a.),

��Standardisierung (Instrumentenflug [instrument flight rules], Sichtflug [visual flight rules]),

��Einübung von Notfallprozeduren [emergency procedures] u. a., ��als auch für Überprüfungsflüge (Navigationsplanung [navigation planning],

Treibstoffplanung [fuel planning], Gefährdungsanalyse [threat analysis planning] u. a.) eingesetzt.

Vorteile der Simulatornutzung sind u. a.:

��Erhöhung der Flugsicherheit (Missions- und Trainingsinhalte können vor dem Realflug eingeübt sowie Notfallprozeduren optimiert werden u. a.),

��Möglichkeit in einem sicheren Umfeld spezielle Missionen planen und durchführen zu können,

��Unabhängigkeit der Missionsdurchführung von Wetterbedingungen, ��Verringerung von Emissionen (Lärm, CO2) sowie ��Betriebskostenminderung gegenüber der alleinigen oder überwiegenden

Durchführung von Trainingsmissionen im Realflug (siehe Tabelle 3.1).

Michael Stein

40

Abb. 3.1 Eurofighter Cockpit Trainer (Cockpit-Ansicht)

Abb. 3.2 Eurofighter Cockpit Trainer (Außensicht)

Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe

41

Abb. 3.3 Eurofighter Full Mission Simulator (Außensicht)

Abb. 3.4 EC 135 Hubschrauber Simulatordom (Draufsicht)

Michael Stein

42

Abb. 3.5 EC 135 Hubschrauber Simulatordome (Seitenansicht)

Tab. 3.1 Kostenverhältnis zwischen Luftfahrzeugen und Flugsimulatoren (Johnson, 2007)

Luftfahrzeug Kostenverhältnis zwischen Realflug und Simulatorflug

Boeing 747 (Passagier- und Frachtflugzeug) 40:1

F/A 18 (Kampfflugzeug) 18:1

SH Blackhawk (Hubschrauber) 15:1

Die beschriebene Entwicklung führt seit einigen Jahren, international sowie national, zu einer „neuen Quantität“ der Nutzung von Flugsimulatoren: Wurden früher Flugsi-mulatoren eher optional zur Ausbildung oder zum Training spezieller Missionen ein-gesetzt, so nimmt ihre Bedeutung und auch ihre zeitliche Nutzung im Verhältnis zum Realflug stetig zu. Dies zeigt sich beispielsweise im Bereich der Heeresfliegerwaf-

Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe

43

fenschule im Rahmen der Hubschrauberführergrundausbildung. Hier werden im ers-ten Ausbildungsabschnitt das Luftfahrzeug EC 135 und der entsprechende Flugsimu-lator im Verhältnis 22 Stunden zu 35 Stunden eingesetzt. Ähnliche Verschiebungen der Nutzungsverhältnisse sind beim Kampfhubschrauber Tiger bei der Ausbildung zu beobachten.

Neben den benannten Vorteilen der Simulatornutzung können jedoch während und/oder nach der Nutzung körperliche Beeinträchtigungen wie z. B. Übelkeit, Ma-genprobleme, Desorientierung, Augenermüdung, auftreten. Diese werden unter dem Terminus Simulatorkrankheit (simulator sickness) subsumiert. Dabei ist der Problem-bereich Simulatorkrankheit aufgrund der Zunahme von Simulatorstunden im Rahmen von Ausbildung und Training sehr stark zu gewichten, da er sicherheitskritische As-pekte (Flug- und Fahrsicherheit) sowie das Erreichen bzw. Nicht-Erreichen von Aus-bildungszielen tangiert.

3.1.1 Definition von Simulatorkrankheit

Der Begriff Simulatorkrankheit (simulator sickness1) wurde erstmalig von Havron & Butler im Jahre 1957 benutzt und eingeführt, um Symptome zu beschreiben, die bei der Nutzung eines Hubschraubersimulators auftraten. Der Terminus Simulatorkrank-heit wird dabei definiert als:

“a term used to describe the diverse signs or symptoms that have been experienced by flight crews during or after a training session in a flight simulator (...) simulator sickness is a special case of motion sickness that may be due to these accelerative forces or may be caused by visual motion cues without actual movement of the sub-ject...” (McCauley, 1984, S. 1).

Zur Simulatorkrankheit hält Kolasinski (1995) fest, dass es sich um ähnliche Sym-ptome wie bei der Bewegungskrankheit (motion sickness) handelt, diese jedoch auch ohne Bewegung des Simulators zustande kommen. Die Nähe der beiden Termini (insbesondere in der anglo-amerikanischen Literatur) Simulatorkrankheit (simulator sickness) und Bewegungskrankheit (motion sickness) zeigen auch vormalig benutzte Begriffe wie visuell induzierte Bewegungskrankheit (visually induced motion

1 Während der Terminus simulator sickness fälschlicher Weise eher auf ein Krankheitsbild referiert

und eigentlich nur ein Unwohlsein meint, verweist der Begriff simulator induced syndrome darauf, dass es sich um ein komplexes Symptombild handelt, welches überdies multi-causal bedingt ist. Da auch die Ursachen selten durch einen einzelnen Faktor herbeigeführt werden, bezeichnen Kennedy & Folkes (1992) diese als polygenic. Wie u. a. in Kennedy & Folkes, 1992; (siehe auch Antunano, 1991 u. a.) beschrieben und diskutiert, erscheint der Begriff simulator induced syndrome adäquater und genauer als simulator sickness. Jedoch hat sich der Terminus simulator sickness in der internationalen (englischsprachigen) Literatur durchgesetzt. Von daher soll nachfolgend zwar der Begriff Simulatorkrankheit angewandt werden, jedoch unter Beachtung der weiter oben ge-schilderten Aspekte.

Michael Stein

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sickness; Benson, 1978; Reason & Brand, 1975 u. a.) und Kinokrankheit (cinerama sickness). Bemerkenswert ist, dass in der wissenschaftlichen Literatur häufig beide Termini äquivalent benutzt werden.

Im Rahmen von Simulatorkrankheit kommt dem Begriff „Eigenbewegungsillusion“ (vection) eine wichtige Bedeutung zu: Dieser beschreibt eine visuell stimulierte und vom Piloten wahrgenommene Eigenbewegung (ohne das Stattfinden einer realen Eigenbewegung), die im Rahmen von Simulatornutzung oder in der virtuellen Realität (virtual reality) zu ähnlichen Symptomen wie bei der Bewegungskrankheit führt. Johnson (2007) zufolge wird jedoch generell der Begriff Simulatorkrankheit anstatt Bewegungskrankheit für auftretende Symptome bei der Simulatornutzung ange-wandt, unabhängig, ob es sich um einen bewegten Simulator (full motion simulator) oder einen „statischen“ Simulator (procedure trainer) handelt.

Zu den am häufigsten in der Literatur beschriebenen Symptomen der Simulator-krankheit zählen: Allgemeines Unwohlsein, Apathie, Benommenheit, Kopfschmerz, Desorientierung, Ermüdung, Blässe, Schwitzen, Speichelfluss, „flaues“ Gefühl im Magen, Übelkeit, Erbrechen, Schlucken, Würgen, Konzentrationsschwierigkeiten, Verwirrung, Augenermüdung, „verzerrte“ Sicht, Druckgefühl im Kopfbereich, häufiges Gähnen, Appetitlosigkeit, Aufstoßen, Stuhldrang / erhöhte gastrointestinale Aktivität, Benommenheit, Schwindel / Gleichgewichtsstörungen (Kennedy & Folkes, 1992).

Hierzu sei angemerkt, dass eine interne Meta-Studie (Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe, Abteilung Ergonomie, 2009) durchgeführt wurde, in der ca. 250 Publikatio-nen daraufhin untersucht wurden, welche Symptome beschrieben und unter den Begriff Simulatorkrankheit subsumiert wurden. Die Ergebnisse dieser Meta-Studie zeigen, dass ca. 90 zu differenzierende Symptome beschrieben werden. Es handelt sich, wie bereits weiter oben erwähnt, um ein diffuses und breit gefächertes Symptomfeld.

3.1.2 Auftretenshäufigkeit von Simulatorkrankheit

Ob Simulatorkrankheit bei dem einzelnen Piloten tatsächlich auftritt hängt u. a. von

��den Eigenschaften des Flugsimulators (Bildaufbaurate, Flickerfrequenz, Größe der Projektionsfläche u. a.),

��der durchzuführenden Mission (z. B. Höhe über Grund, schnelle Raum-Lage Änderungen u. a.),

��dem Luftfahrzeug-Typ (in Helikopter-Simulatoren tritt häufiger Simulatorkrankheit auf, da diese wegen der bodennäheren Operation sehr viel mehr optische Reize generieren),

Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe

45

��der individuellen Disposition (Neigung zu Schwindel und Übelkeit, Haltungsstabili-tät u. a.) ab.

Für weiterführende Informationen sei der interessierte Leser auf Kolasinski [1995] verwiesen.

Kennedy et al. (1989) konnte in einer Studie (Daten US Navy und Marine Corps) zei-gen, dass während und nach der Flugsimulatornutzung zwischen 20 % und 40 % der Militärpiloten ein oder mehrere Symptome von Simulatorkrankheit zeigten. Diese Er-gebnisse werden auch durch eine Meta-Studie von Johnson (2007, siehe Tabelle 3.2) bestätigt.

Tab. 3.2 Häufigkeit des Auftretens von Simulatorkrankheit bei diversen Flug-simulatoren (Johnson, 2007)

Simulator Am häufigsten genannte

Symptome

Häufigkeit des am stärksten ausgeprägten

Symptoms (erstgenannt)

Combat Mission Simulator for Apache AH-64A

(motion-base, six-degree of freedom),

Gower et al., 1987

Ermüdung, Schwitzen, Augenbelastung 43 %

Cobra AH-1 Flight Weapons Simulator

(motion-base, six-degree of freedom), Gower & Folkes, 1989

Augenbelastung, Ermüdung 37 %

ARI Simulator Training Research Advanced Test-

bed for Aviation (STRATA), A-Model Apache,

fixed-base, 180 degree horizontal by 45-degree

vertical field of view, Johnson, 2007

diverse Symptome von Simulatorkrankheit

unmittelbar nach der Simulatornutzung 68 %

12 Stunden nach der Simulatornutzung 35 %

TH-67 Creek Flight Motion Simulator (FMS), Webb et al., 2009

Augenbelastung, Allgemeiner Diskomfort, Übelkeit

Vorstudie:

72 % Fluglehrer 91 % Flugschüler

Nachstudie:

64 % Fluglehrer 90 % Flugschüler

Michael Stein

46

Aufgrund der Tatsache, dass die dargestellten Ergebnisse (durchschnittlich ca. 20-90 % Auftretenshäufigkeit von Simulatorkrankheit, unabhängig von der Schwere der Symptomausprägung!) auch von neueren Studien gestützt werden, kann ange-nommen werden, dass bessere Projektionssysteme oder auch bessere Bewegungs-systeme nicht zwangsläufig zu einer Minderung der Auftretenshäufigkeit bei Simula-torkrankheit führen (vgl. Webb et al., 2009).

3.1.3 Auswirkungen von Simulatorkrankheit auf den Ausbildungs- und Flugbetrieb?

Crowley (1987) und Kolasinski (1995) u. a., weisen auf folgende Auswirkungen von Simulatorkrankheit auf den Schulungs- und Flugbetrieb hin:

��Minderung des Trainingserfolges (Simulatorflüge können bei Auftreten von Simulatorkrankheit nicht vollständig durchgeführt werden, wodurch das Lernziel nicht gänzlich erreicht wird),

��Vermeidungsverhalten (Piloten, bei denen Simulatorkrankheit auftritt oder die ein Auftreten antizipieren, werden mit großer Wahrscheinlichkeit ein Vermeidungsver-halten entwickeln und konditionieren. Dieses wird sich auf bestimmte, die Sym-ptome hervorrufende, Flugmanöver (Stimuli) beziehen. Auch kann dies zur gänzli-chen Vermeidung von Simulatorflügen führen),

��Entwicklung von „schlechten Gewohnheitsmustern“ (bad habit patterns; von Simu-latorkrankheit betroffene Piloten werden Flugmanöver nicht nur vermeiden, son-dern ggf. derart modifizieren, dass Simulatorkrankheit nicht auftritt. Jedoch können sich Abweichungen von der Standardisierung gerade bei Notfallprozeduren nega-tiv auf die Flugsicherheit auswirken),

��Minderung der Konzentrationsleistung (betroffene Piloten fokussieren auf Strategien (coping-strategies) um mit Simulatorkrankheit umgehen zu können. Dies führt zu einer erhöhten kognitiven aber auch emotionalen Belastung. Somit stehen weniger kognitive Ressourcen für die Ausführung der Mission und zur Erreichung des Trainingszieles zur Verfügung),

��Angst vor der Simulatornutzung (Angst vor den als aversiv erlebten Symptomen), ��Nacheffekte (flash backs) und verminderte Haltungsstabilität können die Flug- und

Fahrsicherheit negativ beeinflussen, ��Abnahme der freiwilligen Nutzung von Simulatoren, ��Misstrauen gegenüber der Simulatorausbildung (Fluglehrer und -schüler

identifizieren sich nicht mit der Flugsimulatorausbildung).

Aus den oben beschriebenen Aspekten wird deutlich, welche Relevanz das Problem-feld Simulatorkrankheit für die Streitkräfte beinhaltet, die sich aufgrund von Kosten-druck und veränderten Einsatzbedingungen in immer größerem Maße gezwungen sehen, reale Flüge durch Simulatorflüge zu ersetzen.

Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe

47

3.2 Theorien zur Simulatorkrankheit

3.2.1 Cue Conflict Theory

Die am weitesten verbreitete und anerkannte Theorie zur Erklärung von Simulator-krankheit ist die sogenannte cue conflict theory (Reason, 1970; Reason & Brand, 1975; vgl. auch Benson, 1978 und Kolasinski, 1995). Im Rahmen dieser wird ange-nommen, dass Simulatorkrankheit aufgrund eines Konfliktes zwischen zwei oder mehreren Sinneskanälen (u. a. visuell, vestibulär und propriozeptiv) oder auch inner-halb eines Sinneskanals hervorgerufen wird.

1. Beispiel (Simulator, ohne Bewegungssimulation):

In diesem Flugsimulator wird durch visuelle Stimuli (Projektion) der Eindruck von Ei-genbewegung (vection) erzeugt. Da jedoch keine reale Eigenbewegung stattfindet, nimmt das Vestibular-System auch keine Bewegung wahr. Dies führt zu einem cue conflict zwischen visuellem und vestibularem System, der zu den bekannten Sym-ptomen von Simulatorkrankheit führen kann.

2. Beispiel (Simulator, mit Bewegungssimulation):

Korrespondieren visuelle Stimuli (Projektion) nicht exakt mit der simulierten Bewe-gung, kommt es ebenfalls zu einem cue conflict zwischen visuellem und vestibularem System.

3. Beispiel (Störungen in der Projektion):

Treten beim Betrieb eines Flugsimulators sogenannte optical distortions auf (nicht synchrone Projektion, nicht ausreichende Bildaufbaurate, ungenügende Auflösung, unscharfe Darstellung), so führt dies zu einem cue conflict innerhalb des visuellen Systems.

Johnson (2007) führt zur cue conflict theory weiter aus, dass bei bestimmten Bewe-gungsmustern alle relevanten, parallel verarbeiteten sensorischen Muster in einem neuronalen Speicher - mit Verweis auf die jeweilige spezielle Raum-Lage-Situation oder auch -Veränderung - abgelegt sind und das dieser, bei aktuellen Bewegungs-mustern und den dadurch erzeugten sensorischen Mustern mit den abgespeicherten kollationiert werden. Stimmen diese nicht überein, so kommt es zu einem cue conflict.

4. Beispiel (Erfahrene Piloten):

Haben sich bei erfahrenen Piloten durch den Realflug bestimmte sensorische Muster, zu bestimmten Raum-Lage-Mustern gebildet, die nicht mit den wahr-genommenen Mustern im Flugsimulator übereinstimmen, kommt es zu einem cue conflict.

Michael Stein

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Ein in der Literatur nicht diskutierter Fall, welcher ebenfalls zu einem cue conflict füh-ren kann, ist der, dass sich durch den Realflug ein bestimmtes „mentales Model“ über die Synchronizität und auch die zeitliche Abfolge zwischen Steuereingaben und den wahrgenommenen Raum-Lage-Veränderungen des Luftfahrzeuges ergibt. Stimmt das gebildete kognitive Modell nicht mit dem im Simulator wahrgenommenen überein, so kann dies zu einem mentalen cue conflict führen, der von vielen, beson-ders erfahrenen Hubschrauberpiloten berichtet wird.

3.2.2 Evolution Theory

Treisman (1977) zufolge, bietet - aus dem evolutionsbiologischen Blickwinkel - weder die cue conflict theory noch die im Nachfolgenden beschriebene postural instability theory eine Erklärung für die Frage, warum Bewegunskrankheit auftritt, bzw. warum ein solches adaptives Verhalten einen evolutionsbiologischen Vorteil darstellt. Im Sinne eines evolutionsbiologischen Erklärungsansatzes führt Treisman (1977) hierzu weiter aus, dass Simulatorkrankheit aus einer „Fehlanwendung“ eines adaptiven Me-chanismus zum Schutz des Organismus resultieren könnte. Die Begründung seiner Hypothese stützt er auf drei Annahmen:

��Die bei der Kontrolle von Bewegungen beteiligten Systeme „Augen-Kopf“ und „Kopf-Körper“ müssen hoch-sensitiv sein, um ihre Funktionen ausführen zu können,

��Neurotoxine können im Körper die Bewegungskontrolle beeinträchtigen (aufgrund ihrer hohen Sensibilität könnten die Systeme zur Bewegungskontrolle, daher auch als Frühwarnsystem im Hinblick auf die Feststellung von Neurotoxine im Körper wirken),

��Neurotoxine lösen bei ihrer Einnahme normalerweise Brechreiz aus.

Aus diesen drei Annahmen folgernd stellt Treisman (1977) fest, dass der mit Bewe-gungskrankheit einhergehende Brechreiz auf einen Mechanismus als Reaktion auf die eingenommenen Neurotoxine zurückzuführen ist, fälschlicherweise jedoch auch in Übelkeit erzeugenden Situationen ausgelöst werden kann. Darüber hinaus können Reaktionen in Form von Übelkeit und Unwohlsein als ein Mechanismus der aversi-ven Konditionierung betrachtet werden, welcher zur Vermeidung der künftigen Ein-nahme dieser Neurotoxine durch den Organismus führen kann. Die Hypothese Treismans, die auf einen adaptiven Vorteil bei Auftreten der Bewegungskrankheit deutet, ist eine der wenigen Erklärungen für solche Erscheinungen/Nachwirkungen.

3.2.3 Postural Instability Theory

Im Rahmen der postural instability theory (Riccio & Stoffregen, 1991) wird ange-nommen, dass in Situationen, in denen unbekannte Stimuli (z. B. Texturveränderun-gen, Raum-Lage-Veränderungen) auftreten, oder in denen es zu einer Differenz

Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe

49

(mismatch) zwischen wahrgenommenen und erwarteten Stimuli kommt, der Pilot sei-ne Haltungskontrolle oder -stabilität (postural control) nicht aufrechterhalten kann. Das Unvermögen, die Haltungskontrolle auszuüben, führt zu allgemeinem Un-wohlsein und den bekannten Symptomen der Simulatorkrankheit (Johnson, 2007). Ergänzend muss angemerkt werden, dass es interindividuelle Unterschiede in Bezug auf die generelle Fähigkeit der Haltungskontrolle bei neuen Stimuli gibt.

3.3 Messung von Simulatorkrankheit

Zur Messung der Auftretenshäufigkeit und des Schweregrades von Simulatorkrank-heit werden, wie in der Literatur dargestellt, sowohl subjektive als auch quasi-objektive Methoden angewandt. Ein Standardverfahren zur subjektiven Erhebung von Simulatorkrankheit stellt der Simulator Sickness Questionnaire (Kennedy et al., 1993) dar, der sich durch ein hohes Maß an Standardisierung und sehr guten Testei-genschaften (Reliabilität, Validität) auszeichnet. Überdies kann der Simulator Sickness Questionnaire gerade in der anglo-amerikanischen Forschung als das Standardverfahren bezeichnet werden, das sich in zahlreichen Studien bewährt hat (siehe u. a. Webb et al., 2009). Der Simulator Sickness Questionnaire wurde von Kennedy et al. (1993) entwickelt, um Simulatorkrankheit - als ein multidimensionales Konstrukt - erfassen zu können. Das Verfahren basiert auf einer früheren Version des Motion Sickness Questionnaires von Kellogg, Kennedy & Graybiel (1965), wel-cher die Intensität von 23 Symptomen von Bewegungskrankheit erfasst.

3.3.1 Subjektive Methoden

Der Simulator Sickness Questionnaire besteht aus 16 Items (siehe Tabelle 3.3), die jeweils eine vierstufige Intensitätsskala (gar nicht, gering, mittel, schwer) beinhalten, mittels derer Piloten das Ausmaß des jeweiligen Symptoms bewerten. Basierend auf Ergebnisse von Faktorenanalysen konnten drei Subskalen (Übelkeit, okulomotori-sches Unwohlsein und Desorientierung) differenziert werden. Jedoch muss ange-merkt werden, dass einige der Skalen auf mehr als eine Dimension laden. Ferner kann ein allgemeiner Index der Symptomausprägung berechnet werden, welcher einem Generalfaktor der Simulatorkrankheit gleicht, da alle Subskalen auf ihm laden (Johnson, 2007). Die Werte der Subskalen können diagnostische Informationen über die Ausprägung und Art von Simulatorkrankheit liefern, während der Gesamtwert Aussagen über die Schwere der Symptomatik und damit über das Simulatorkrankheit auslösende Potenzial eines Simulators erlaubt (Kennedy & Lane et al., 1993).

Michael Stein

50

Mit Hilfe der Ausgangsdaten (n = 1119) von gesunden Piloten bildeten die Autoren Prozentränge und berechneten Mittelwerte sowie Standardabweichungen, mit denen andere Daten verglichen werden können. Kennedy et al. (1999) berichten über eine Split-half-Reliabilität von r = .80; Yoo (1999) über r = .78.

Tab. 3.3 Berechnung der Einzelwerte und des Gesamtwertes des Simulator Sickness Questionnaire

Kennedy et al. (1993) führen zwei Restriktionen des Simulator Sickness Questionnai-re auf: Dieser sollte nur in einem experimentellen Umfeld angewandt werden, indem Versuchspersonen teilnehmen, die sich in ihrem „normalen“ Gesundheits- und Leis-tungszustand befinden. Diese Forderung basiert auf der Tatsache, dass das Instru-ment an der Gruppe „gesunde und leistungsfähige Piloten“ entwickelt und validiert

Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe

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wurde. Werte von kranken oder nicht leistungsfähigen Piloten können daher nur un-zureichend interpretiert werden. Die Autoren empfehlen, den Simulator Sickness Questionnaire nur direkt nach der Simulatornutzung anzuwenden, jedoch nicht vor-her. „This is because the high correlation usually found between pre and post can render the difference scores unreliable (Johnson, 2005, S. 30; siehe auch Regan & Ramsey, 1996).”

3.3.1.1 Interpretation

In der Originalliteratur zum Simulator Sickness Questionnaire (Kennedy et al., 1993) geben die Autoren keine genauen Hilfen zur Interpretation der Werte an, sondern verweisen auf eine Tabelle, in der die Ergebnisse der Normierungsstichprobe abge-bildet sind (Übelkeit [nausea], okulomotorisches Unwohlsein [oculomotor], Desorien-tierung [disorientation],Gesamtwert [total-score]), welche dazu dient, einen Vergleich mit anderen Simulatoren herstellen zu können (siehe Tabelle 3.4).

Tab. 3.4 Ausprägung von Simulatorkankheit bei unterschiedlichen Simulator-typen

Gesamtwert des Simulator Sickness Questionnaire

Simulator Luftfahrzeug Übelkeit

okulomotorisches Unwohlsein

Desorientierung Gesamtwert

2F64C SH-3 14,7 20,0 12,4 18,8

2F120 CH-53E 7,5 10,5 7,4 10,0

2F121 CH-53D 7,2 7,2 4,0 7,5

2F110 B-2C 7,1 13,1 6,8 10,3

2E7 F/A-18 6,1 5,1 6,2 6,8

2F117 CH-46E 5,4 7,8 4,5 7,0

2F87F P-3C 4,5 15,2 4,3 10,5

2F132 F/A-18 2,7 6,1 0,6 4,2

2F112 F-14 1,7 1,8 0,0 1,5

Michael Stein

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Hierzu muss angemerkt werden, dass in internationalen Studien unterschieden wer-den kann zwischen „Einmalmessung“ mittels Simulator Sickness Questionnaire (nach der Simulatorexposition) und „Vorher-/Nachhermessungen“, bei denen häufig Differenzwerte in die Berechnungen miteinbezogen werden. Nachteil von Letztge-nanntem ist, dass zum einen Differenzwerte als weniger reliabel beschrieben werden und dass kein Vergleich der Werte mit den erstgenannten Studien möglich ist (Ken-nedy et al., 1993).

Stanney et al. (1997, vgl. auch Kennedy et al., 2003) beschreiben eine Methode, um Simulatoren auf der Grundlage der Ergebnisse des Simulator Sickness Question-naire klassifizieren zu können. Diese ist in Tabelle 3.5 wiedergegeben.

Tab. 3.5 Interpretation des Gesamtwertes des Simulator Sickness Questionnaire

Simulatorkrankheit (Gesamtwert) Interpretation

0 keine Symptome

bis 5 vernachlässigbare Symptome

5-10 minimale Symptome

10-15 bedeutsame Symptome

15-20 bedenkliche Symptome

� 20 „Problemsimulator“

3.3.2 Physiologische Methoden

Casali & Frank (1988) haben zur Erfassung und Bestimmung des Schweregrades von Simulatorkrankheit unterschiedliche physiologische Methoden eingesetzt: „Changes in bodily, cardiovascular, gastrointestinal, respiratory, biochemical, and temperature regulation function often arise with Simulatorkrankheit. Several physio-logical measures have been electronically instrumented and transduced directly from subjects in simulator experiments (Casali & Frank, 1988, S. 9-10).”

Als sehr sensitive Maßnahmen zur Erkennung und Messung von Simulatorkrankheit haben sich Verfahren zur Erfassung der Atemfrequenz (respiration rate), des Schwit-zens, der Gesichtsblässe sowie der gastrointestinalen Aktivität erwiesen. Die erho-bene Herz- und Pulsrate haben sich dagegen bei genauerer Betrachtung als nicht sensitiv herausgestellt (siehe u. a. Casali & Frank, 1988).

Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe

53

3.4 Empfehlungen zur Vermeidung von Simulatorkrankheit

Johnson (2007) und Webb et al. (2009) führen diverse Vorschläge zur Vermeidung von Simulatorkrankheit in Hubschraubersimulatoren auf:

��“2 hrs daily maximum, ��close eyes before freeze/reset, ��no flying into buildings, radio towers, or air traffic, ��if discomfort arises, limit hover/autorotation training, ��limit head movements, ��if discomfort arises, turn off side screens ��…” (Webb et al., 2009, S. 5). ��“Simulator flights should not be scheduled on the same day as aircraft flights, ��avoid fatigue or sleep loss, hangover, upset stomach, head colds, ear infections, ��do not schedule simulator sessions for greater than two hours for any reason, ��the more nauseogenic the mission, the shorter the mission should be (aggressive,

violent manoeuvres, near ground level, are more nauseogenic than high, straight-and-level flight,

��minimize head movement, particularly when new or dynamic manoeuvres are being trained

��…” (Johnson, 2007, S. 35).

Die aufgeführten Vorschläge zur Vermeidung von Simulatorkrankheit müssen in Be-zug auf ihre empirische Evidenz, ihre Praktikabilität sowie ihre Auswirkungen auf den Trainingserfolg diskutiert werden. Wie beschrieben, konnten Webb et al. (2009) in ihrer Untersuchung mittels des Simulator Sickness Questionnaire (Vorhertest, Nach-hertest) an der Flight School XXI (TH-67 Creek flight motion simulator) zeigen, dass nach Anwendung der aufgeführten Vorschläge prozentual weniger Piloten über Simulatorkrankheit berichteten als zuvor (siehe Tabelle 5). Jedoch scheint der Effekt gerade bei den Fluglehrern sehr gering, also nicht bedeutsam, ausgeprägt zu sein. Mit Bezug auf den erreichten Gesamtpunktwert im Simulator Sickness Questionnai-re, gibt es zwar einen signifikanten Unterschied, also eine Verbesserung zwischen Vor- und Nachher-Test. Jedoch wird auch nach Anwendung der aufgeführten Vor-schläge bei den Fluglehrern ein Wert erreicht, bei dem der Simulator laut Stanney et al. (1997) immer noch als „Problemsimulator“ eingestuft werden muss. Überdies existieren kaum Untersuchungen, welche gerade bei schweren Fällen von Simulator-krankheit den Nachweis geführt haben, dass derartige Behandlungsmethoden zu einer bedeutsamen Verbesserung für den einzelnen Piloten führen. Dies bedeutet nicht, dass die aufgeführten Handlungsanweisungen zur Vermeidung von Simulator-krankheit per se wirkungslos sind; hier sind jedoch weitere Forschungsbemühungen notwendig. Betrachtet man die Wirkung der aufgeführten Vorschläge in Bezug zum

Michael Stein

54

Trainingserfolg (z. B. Einschränkung von Kopfdrehbewegung), so minimieren diese z. T. Simulatorkrankheit, verschlechtern aber in der Regel auch den Trainingserfolg. Demgegenüber ist ein Teil der aufgeführten Vorschläge („schließen der Augen vor dem Anhalten des Simulators“, „nicht in Gebäude fliegen“) sehr praktikabel und be-einflusst den Trainingserfolg nicht negativ. Andere Vorschläge (u. a. „täglich nicht mehr als zwei Flugsimulatorstunden“, „nicht am gleichen Tag Realflüge und Simula-torflüge durchführen“) greifen in die Flug- und Ausbildungsplanung ein. Hier müssen Aufwand und Nutzen genau abgewogen werden. In Bezug auf die Evidenz der Vor-schläge zeigen gerade neuere US-amerikanische Studien zu Simulatorkrankheit (Webb et al., 2009), dass hinsichtlich der theoretischen und auch empirischen Grundlagen weiterhin eine gewisse „Hilflosigkeit“ vorherrscht. Durchschlagende Er-folge in der Bewältigung der Problematik sind bisher nicht in Sicht.

3.5 Diskussion

Wie beschrieben, tritt die Simulatorkrankheit in Hubschraubersimulatoren häufig und in einer stärkeren Ausprägung auf als in Jet-Simulatoren. Bei den letztgenannten ist der Effekt vernachlässigbar. Der Unterschied zwischen den Simulatoren in Bezug auf Simulatorkrankheit liegt darin begründet, dass Hubschrauber - und somit auch die jeweiligen Simulatoren - in einer geringen Höhe über Grund als Kampfflugzeuge ope-rieren und, dass in Hubschraubersimulatoren der Bodenbereich detaillierter model-liert sein muss. Hierdurch wird die Entstehung von „Eigenbewegungsillusion“ (vecti-on) gefördert, also einem visuell vermittelten Bewegungseindruck, der nicht im Vesti-bular-System abgebildet ist und somit zu einem sogenannten cue conflict und zu Si-mulatorkrankheit führt.

Auswirkungen von Simulatorkrankheit sind u. a. Befindlichkeitsstörungen der Piloten (Übelkeit, Erbrechen, Augenermüdung u. a.) und damit eine Verminderung der Flug- und Verkehrssicherheit als auch Einbußen im Trainingserfolg. Der zuletzt genannte Aspekt liegt darin begründet, das u. U. sogenannte „schlechte Gewohnheitsmuster“ (bad habit pattern) erlernt werden. Dies geschieht dann, wenn Standardverfahren (z. B. Notfallprozeduren) im Simulator vom Piloten so abgeändert werden, dass eine latente Neigung zu Simulatorkrankheit vermeintlich beherrscht werden kann.

Trotzdem in der anglo-amerikanischen Literatur zahlreiche Veröffentlichungen zu Simulatorkrankheit vorliegen und darin diverse Aspekte der Symptomatik mit vielfälti-gen Methoden (subjektive und quasi-objektive) untersucht wurden, zeigen neuere Studien der US Army, dass Handlungsanleitungen zur Vermeidung von Simulator-krankheit (die auf diesen Studien beruhen) nur bedingt Erfolg versprechend sind. Dies trifft auch auf die Behandlungsmöglichkeiten von Piloten zu, die unter der Simu-latorkrankheit leiden.

Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe

55

Forschungsbedarf besteht bei der Weiterentwicklung von Therapien für an Simula-torkrankheit erkrankten Piloten. Auch ist es sinnvoll nach Prädiktoren für Simulator-krankheit zu suchen, um bei der Pilotenauswahl zwischen geeigneten und ungeeig-neten Anwärtern differenzieren zu können. Dabei ist es von fundamentaler Bedeu-tung, dass die zu entwickelnden Verfahren ein Höchstmaß an Reliabilität und Diffe-renzierungsfähigkeit aufweisen, denn im Bereich der Pilotenanwärter, stehen zu we-nig geeignete Bewerber zur Verfügung. Es wäre fatal, aufgrund einer ungeeigneten Methode, geeignete Bewerber abzuweisen.

3.6 Literatur

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Casali, J. G., & Frank, L. H. (1988): Manifestation of visual/vestibular disruption in simulators: Severity and empirical measurement of symptomatology. In AGARD, Motion cues in flight simulation and simulator induced sickness (AGARD Conference Proceedings No. 433, pp. 11.1-11.18). Neuilly Sur Seine, France: Advisory Group for Aerospace Research and Development.

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McCauley, M. E. (Ed., 1984): Research issues in simulator sickness: Proceedings of a workshop. Washington, D.C.: National Academy Press. S. 1

Johnson, D.M. (2007): Simulator Sickness During Emergency Procedures Training in a Helicopter Simu-lator: Age, Flight Experience, and Amount Learned. Technical Report 1211 Sep-tember 2007

Jones, S. A.; Kennedy, R. S.; Lielienthal, M. G. and Berbaum, K. S. (1993): (Unpublished manuscript). Comparison of simulator sickness incidence in two Navy flight trainers: A field investigation. Orlando, FL: Essex Corporation.

Michael Stein

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Kellogg RS, Kennedy RS, Graybiel A (1965): Motion sickness symptomatology of labyrinthine defective and normal subjects during zero gravity maneuvers. Aerosp Med. 1965;36:315–8.

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Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe

57

Abb. 3.6 Die beiden Promotoren, Prof. Dr. Bernd H. Müller von der Bergischen

Universität Wuppertal und Dipl.-Ing. Karl-Josef Keller vom Branchen-verband METALL NRW (v.l.n.r.), der wissenschaftlichen Entwicklung von PD Dr. habil. Michael Stein am 12. Januar 2010 in Wuppertal

Abb. 3.7 PD Dr. habil. Michael Stein (links) zu Beginn seines Impulsreferats

„Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luft-waffe“ beim 57. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium an alter Wirkungsstätte im Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER) an der Bergischen Universität Wuppertal

Thomas Just

58

4 Reformbedarf bei überwachungsbedürftigen Anlagen? Erfahrungen aus Sicht der hessi-schen Arbeitsschutzaufsicht (THOMAS JUST)

58. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 26. Januar 2010 in Wuppertal

MinR Dipl.-Ing. Thomas Just Hessisches Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit, Referat III 4B „Produkt- und Betriebssicherheit“, Wiesbaden

4.1 Einleitung

Wenn gerade im Rahmen der aktuellen Diskussionen um Entbürokratisierung, Dere-gulierung und Evaluierung von Rechtsnormen im Zusammenhang mit überwa-chungsbedürftigen Anlagen von Reformbedarf gesprochen wird, lässt dies zumindest vermuten, dass es sich sicherlich nicht nur um kosmetische Korrekturen sondern um umfassende Änderungen der Regelungen handeln muss. Gegebenenfalls sind sogar Änderungen der gewohnten Rechtssystematik notwendig. Insofern macht es bei der Frage nach dem Reformbedarf durchaus Sinn, zunächst die gemachten Erfahrungen mit den aktuellen Randbedingungen abzugleichen.

4.2 Rückblick und Entwicklung

Die Geburtsstunde der Gewerbeaufsicht geht auf das Jahr 1839 mit dem Verbot der Kinderarbeit zurück. Mit der Industrialisierung hielten neue Technologien Einzug in die Arbeitswelt und führten zu vielen teilweise verheerenden Unfällen. So wurden aufgrund der vielen Unfälle mit Dampfkesseln (1831 Erlass der Preußischen Dampf-kesselverordnung) 1849 mit dem Dampfkesselgesetz im Königreich Sachsen staat-liche Fabrikinspektoren eingesetzt, die den sicheren Betrieb der Dampfkessel über-wachen sollten.

Reformbedarf bei überwachungsbedürftigen Anlagen? Erfahrungen aus Sicht der hessischen Arbeitsschutzaufsicht

59

Geburtsstunde der Gewerbeaufsicht

• 1839 Verbot der Kinderarbeit vor dem neunten Lebensjahr; Fabrikarbeiter unter 16 Jahre dürfen höchstens 10 Stunden beschäftigt werden; Verbot der Nachtarbeit und der Arbeit an Sonn- und Feiertagen

• 1849 Staatliche Fabrikinspektoren; 1831 Erlass der Preußischen Dampfkesselverordnung1849 Dampfkesselgesetz im Königreich Sachsen

Abb. 4.1 Geburtsstunde der Gewerbeaufsicht

Etwa in den gleichen Zeitraum fällt auch die Geburtsstunde der Technischen Über-wachung. 1865 gründeten die Dampfkesselbetreiber einen eigenen Dampfkessel-überwachungsverein (DÜV) um den Gefahren, die durch den Betrieb der Dampfkes-sel entstanden sind, entgegenzuwirken. Damit erreichten die Betreiber im Rahmen ihrer Eigenverantwortung so gute Erfolge bei der Unfallverhütung, dass 1871 eine Befreiung von der staatlichen Aufsicht erfolgen konnte, wenn man sich der Eigen-überwachung durch den DÜV angeschlossen hat. Verantwortlich für die technische Sicherheit blieb damit zwar der Staat, aber er bediente sich durch entsprechende Beleihungen am Sachverstand der Ingenieure des DÜV.

Im Laufe der Zeit konnten die technischen Überwachungsvereine durch ihre Unab-hängigkeit vom Betreiber, die Beleihung durch den Staat im Rahmen des personen-bezogenen Sachverständigenwesens und den Vorteil der finanziellen Unabhängig-keit (Monopolstellung) quasi eine eigene Marke „TÜV“ entwickeln. Dies geht mittler-weile soweit, dass bei jeglichen Unglücken oder Krisen der Ruf der Bevölkerung nach dem TÜV laut wird, wie das Beispiel des Rufs zur Einführung eines Finanz-markt-TÜVs im Rahmen der Finanzmarktkrise beweist.

Seit den Geburtsstunden der Gewerbeaufsicht und des DÜVs hat sich eine funktio-nierende Symbiose zwischen staatlicher und privatwirtschaftlicher Aufsicht (TÜV) entwickelt, wobei die Eingriffe in die Grundrechte durch Gesetz der staatlichen Auf-sicht vorbehalten sind und die Durchführung der Prüfungen durch die technischen Überwachungsvereine erfolgte. Die gemachten Erfahrungen in der staatlichen Auf-sicht sowie bei der Durchführung der Prüfungen, aber auch aufgrund des immer noch vorhandenen Unfallgeschehens fanden ihren Niederschlag in einer sehr detail-lierten Verordnungsgebung und dem ebenso konkreten technischen Regelwerk.

Thomas Just

60

Es gibt verschiedene Wege wie man ein bestimmtes Sicherheitsniveau für den siche-ren Betrieb der Anlage erreichen kann. Zum Beispiel kann man zur Erreichung viel Wert auf die Beschaffenheit, d. h. die technische Ausgestaltung, der Anlage legen, um damit die organisatorischen Anforderungen im Betrieb möglichst gering zu halten, oder aber man verzichtet auf die technischen Sicherheiten und bezahlt dies durch kürzere Prüfintervalle, ständige Beaufsichtigung oder stärkere Qualifizierung des Be-dienpersonals. Mit dem bisherigen Vorschriften und Regelwerk hatte Deutschland den ersten Weg beschritten. Noch heute vertraut die Gesellschaft auf diesen Weg. In der Regel geht der Bürger nach wie vor davon aus, dass ein Produkt oder eine Anla-ge sicher ist „egal was man damit tut“. In vielen Vorschriften findet sich daher auch heute noch der Vorrang der technischen Lösung vor der organisatorischen Lösung.

Aufwand für die Beschaffenheit der Anlage

Aufwand für organisatorische Maßnahmen

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uErmittlung v. Gefährdungenangepasste Prüffristen, qualifiziertes Bedien- u. Prüfpersonal….

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Sicherheitsphilosophie

• Bewertung des Gesamten

- Beschaffenheit und- Betrieb

Abb. 4.2 Sicherheitsphilosophie – Beschaffenheit und Betrieb

Bei der Erreichung des gewünschten Sicherheitsniveaus setzt sich die Symbiose zwischen staatlicher Aufsicht und Sachverständigenprüfung fort. Während der „TÜV“ die Beschaffenheit und den Zustand der Anlage prüft, beschränkt sich der Staat weitgehend auf die Genehmigung der Anlage, die Kontrolle der Durchführung der Prüfung und die Durchsetzung der Mängelabstellung.

Reformbedarf bei überwachungsbedürftigen Anlagen? Erfahrungen aus Sicht der hessischen Arbeitsschutzaufsicht

61

Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet sich das System vor dem Jahr 2000, so stellt man fest:

Staat und technische Überwachung arbeiten eng zusammen, oftmals verschwimmt für den Bürger die Grenze zwischen TÜV und Behörde. Manch einer sieht den TÜV gar als staatliche Institution. Es hatte sich ein sehr detailliertes, aber starres Regel-werk entwickelt. Mit sinkendem Unfallgeschehen ist das Vertrauen der Gesellschaft in den TÜV gestiegen. Andere gesellschaftliche Entwicklungen führten gerade in den vergangen Jahren zu einem Ansehensverlust staatlicher Behörden. Dies blieb selbstverständlich nicht ohne Konsequenz bei den Behörden selbst. Aufgrund des gewachsenen Vertrauens in den TÜV gepaart mit dem Personalabbau auf Behör-denseite durch einen stark erweiterten Aufgabenkatalog fanden immer weniger eige-ne Inaugenscheinnahmen in diesem Bereich durch die Behörden statt. Staatliche Aufsicht durch Stichproben und ein regelmäßiger Austausch mit den TÜVen sicher-ten die Qualität der Prüfungen und damit die Sicherheit der Anlagen. Man kann sa-gen, dass sich das über 100 Jahre gewachsene System bei den damaligen Randbe-dingungen bewährt hat.

ca. 170 Aufsichtspersonen

ca. 200.000 Betriebe• Überwachungsbedürftige Anlagen

(Drittschutz), Biostoff, Gefahrstoffe, Arbeitsmittel, Schutzausrüstungen, Arbeitssicherheit, Mobbing, Stress, Managementsysteme, Sachverständigenwesen

• Mutterschutz, Jugendarbeitsschutz, Arbeitzeit, Ladenöffnungszeiten, Heimarbeitsrecht

• Sprengstoffwesen• Produktsicherheit vom Kinderbett

über Elektroartikel, Maschinen, Aufzüge, Gasverbrauchs-einrichtungen, Sportboote, Druckgeräte usw. GS-Zeichen, CE-Zeichen

• Medizinprodukte inkl. klinische Prüfungen, Betrieb von Medizingeräten (Sterilisationsvorschriften)

• Sozialvorschriften Straße

Abb. 4.3 Ressourcen und Aufgabenumfang der Hessischen Gewerbeaufsicht

Thomas Just

62

4.3 Reformierung der überwachungsbedürftigen Anlagen durch Erlass der Betriebssicherheitsverordnung

1997 haben sich die Länder, die für die Überwachung zuständig sind, im Rahmen einer Bundesratsentschließung für eine Reformierung des Rechts der überwa-chungsbedürftigen Anlagen entschieden. Das neue Regelwerk sollte anwender-freundlich, modern (flexibel) und EG-konform sein. Das bestehende Sicherheitsni-veau sollte aber erhalten bleiben.

Mit dem Wechsel ins neue Jahrtausend war ohnehin ein umfassender Systemwech-sel erforderlich. Europa und die Welt wachsen zusammen. Mehr und mehr treten na-tionale Regelungen hinter europäische Regelungen zurück, um einen gemeinsamen europäischen Binnenmarkt zu gewährleisten, der im globalen Wettbewerb konkur-renzfähig ist. Für die überwachungsbedürftigen Anlagen bedeutete dies: Beschaffen-heit und Betrieb mussten getrennt werden. Im Rahmen der Deregulierungs- und Ent-bürokratisierungsdebatten sowie dem Wunsch nach mehr Flexibilität sollte ein schlankes Regelwerk entstehen, dass mehr durch Generalklauseln als durch Detail-regelungen bestimmt war. Ebenso war im Rahmen auch von den Diskussionen rund um die Dienstleistungsrichtlinie eine Aufrechterhaltung des Monopols der TÜV nicht mehr möglich. Insofern musste auch das bestehende Sachverständigenwesen re-formiert werden.

4.3.1 Trennung von Beschaffenheit und Betrieb

Welche Auswirkung hat die Trennung von Beschaffenheit und Betrieb auf den Be-trieb von überwachungsbedürftigen Anlagen? Zunächst sei erwähnt, dass zur Ge-währleistung des freien Warenverkehrs im europäischen Binnenmarkt harmonisierte Beschaffenheitsanforderungen 1:1 in jedem Mitgliedstaat umzusetzen sind.

Vorschriften zur Beschaffenheit• Verordnungen als 1:1 Umsetzung der Richtlinie• Grundlegende Anforderungen befinden sich in den

Anhängen zur Richtlinie- grundlegende Sicherheitsanforderungen- Konformitätsverfahren- das CE-Zeichen (kein Prüfsiegel!) usw.

Niederspannungsgeräte, Spielzeug, einfache Druckgeräte, Gasverbrauchseinrichtungen, persönliche Schutzausrüstungen, Maschinen, Sportboote, Anlagen im Ex-Bereich, Aufzüge, Aerosolpackungen, Druckgeräte

Abb. 4.4 Vorschriften zur Beschaffenheit von Produkten

Reformbedarf bei überwachungsbedürftigen Anlagen? Erfahrungen aus Sicht der hessischen Arbeitsschutzaufsicht

63

Die derzeit definierten überwachungsbedürftigen Anlagen unterliegen hinsichtlich ihrer Beschaffenheit alle bereits harmonisierten Vorschriften, so dass die Klassifizie-rung der überwachungsbedürftigen Anlagen über die Geltungsbereiche der verschie-denen Richtlinien bzw. deren nationalen Umsetzungen erfolgt.

Somit wurde das System der „aufeinander abgestimmten Anforderungen an den Be-trieb und die Beschaffenheit“ geteilt. Die Flexibilisierung auch im Rahmen des New Approach hinsichtlich der Beschaffenheit machte es notwendig die betrieblichen An-forderungen so flexibel zu gestalten, dass es dem Betreiber möglich ist, selbst die Verteilung zwischen Aufwendungen für Beschaffenheit oder Betrieb zu wählen, um das vorgeschriebene Sicherheitsniveau zu erreichen. Aber gerade diese Beschrei-bung bereitet in den Diskussionen immer wieder Probleme. Hat man das Niveau in der Vergangenheit durch konkrete Beschaffenheitsanforderungen und dazugehörige konkrete Betriebsvorschriften staatlich festgelegt, so steht man jetzt vor der Frage, wie man das zulässige Niveau in einem flexiblen System beschreiben kann.

Sic

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Betriebssicherheitsverordnung

Beschaffenheit und Betrieb • in verschiedenen Vorschriften• keine konkreten Anforderungen• Betreiber bestimmt Verteilung

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Betriebssicherheitsverordnung

Beschaffenheit und Betrieb • in verschiedenen Vorschriften• keine konkreten Anforderungen• Betreiber bestimmt Verteilung

Abb. 4.5 Trennung Beschaffenheit – Betrieb

4.3.2 Reformierung des Sachverständigenwesens

Mit Änderung des Gerätesicherheitsgesetzes GSG (später GPSG) zum 31.12.2000 wurde die Änderung des Systems der Technischen Überwachung vorgenommen. Damit ging der Wandel von der personenbezogenen zur organisationsbezogenen technischen Überwachung einher [vom amtlich anerkannten Sachverständigen zur zugelassenen Überwachungsstelle (ZÜS)].

Thomas Just

64

Grundsätzlich ist durch dieses Verfahren auch das Monopol der Technischen Über-wachung gefallen. Die Öffnung des Prüfmarktes erfolgte in einem zweistufigen Ver-fahren, wobei die vollständige Öffnung mit dem 31.12.2007 erfolgte.

Bei der neuen Begrifflichkeit (ZÜS) ist allerdings zu beachten, dass die „Zugelassene Stelle“ (auch “benannte Stelle”) nach § 11 Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) im Rahmen des Inverkehrbringens definiert ist (z. B. im Konformitätsverfah-ren). Dagegen agiert die „Zugelassene Überwachungsstelle“ nach § 17 GPSG als neue Sachverständigenorganisation zur Durchführung von Prüfungen an überwa-chungsbedürftigen Anlagen. Die Prüfbefugnis kann je nach Einzelfall landes- oder bundesweit erteilt sein. Für den Bürger ist häufig nicht zu unterscheiden, wer denn nun welche Prüfung durchgeführt hat, da die zugelassenen Überwachungsstellen häufig als Unternehmen auch als zugelassene Stelle im Rahmen des Inverkehrbrin-gens notifiziert sind.

4.3.3 Schlankes Regelwerk / Generalklausel statt Detailregelung

Mit der Betriebssicherheitsverordnung wurden die verschiedenen Verordnungen über überwachungsbedürftige Anlagen mit den Vorschriften zur Benutzung von Arbeitsmit-teln im Allgemeinen in einer Vorschrift zusammengefasst. Gleichfalls wurden berufs-genossenschaftliche Regelungen und das umfassende technische Regelwerk in den technischen Regeln Betriebssicherheit zusammengeführt.

TRR TRA TRbF

Berufsgenossen-schaftliche

Regelungen

Betriebssicherheitsverordnung

Technisches Regelwerk

Arbeitsschutz-vorschriften

TRDTRGS

ENTRB

TRR TRA TRbF

Berufsgenossen-schaftliche

Regelungen

Betriebssicherheitsverordnung

Technisches Regelwerk

Arbeitsschutz-vorschriften

TRDTRGS

ENTRB

Abb. 4.6 Schlankes Regelwerk

Reformbedarf bei überwachungsbedürftigen Anlagen? Erfahrungen aus Sicht der hessischen Arbeitsschutzaufsicht

65

Im Fall der Betriebssicherheitsverordnung bzw. weitgehend im gesamten Arbeits-schutzrecht ist als wesentliche Kernvorschrift im Sinne einer Generalklausel die Ge-fährdungsbeurteilung zu sehen. Hier hat der Betreiber im Rahmen seiner Eigenver-antwortung die notwendigen Maßnahmen festzulegen, um den sicheren Betrieb der Anlagen zu gewährleisten. Dies bringt ihm zwar wesentlich mehr Flexibilität zur An-passung an seine spezifischen betrieblichen Anforderungen, erfordert aber auch mehr eigenes know how zur Beurteilung der Gefährdungen und der Ableitung von notwendigen Maßnahmen.

4.4 Derzeitige Beobachtungen

Betrachtet man sich Veröffentlichungen in den Medien zum Thema Arbeitsschutz findet man häufig Hochglanzbroschüren, die eine heile Arbeitswelt zeigen (z. B. ein PC-Arbeitsplatz mit einer Tasse Kaffee neben dem PC in einem hellen weitläufigen Büro mit angenehmer Atmosphäre). Häufig wird dem „Soll“ statt mit dem „Ist“ für Ar-beitsschutz geworben und spiegelt so in der Gesellschaft (und insbesondere bei den Entscheidungsträgern) ein unscharfes Bild vom tatsächlichen Handlungsbedarf. Schaut man in der Praxis aber mal genauer hin, fehlt es an allen Ecken und Kanten. Den Arbeitgebern aber Profitgier oder Eigeninteresse zu unterstellen wäre den meis-ten Arbeitgebern gegenüber sehr ungerecht. Vielmehr ergeben sich häufig Mängel in Unkenntnis der Gefährdungen oder der Anforderungen des Regelwerks. Gerade im Bereich der KMU möchte ich folgende Thesen aufstellen:

��Arbeitgeber/Betreiber lesen keine Gesetze sondern Zeitung und Fachzeitschriften und kennen so häufig die zugrunde liegenden Vorschriften nicht

��Arbeitgeber/Betreiber vertrauen auf Experten ��Arbeitgeber/Betreiber sind nur so gut wie ihre Berater ��Die Berater stehen im wirtschaftlichen Wettbewerb

Im Rahmen der aktuellen Reformierungsbestrebungen stehen im Wesentlichen fol-gende Fragen zur Debatte:

1. Ist der Anlagenkatalog noch zeitgemäß oder sind nicht andere Arbeitsmittel bei der Nutzung wesentlich gefährlicher und sollten durch Dritte geprüft werden?

2. Soll an einem gestuften Prüfwesen (Bediener – befähigte Person – unabhängige Sachverständige) festgehalten werden.

3. Will man den begonnen Weg der gefährdungsorientierten Regelung beibehalten oder wieder den Anlagenbezug einführen?

Thomas Just

66

4. Schließlich stellen sich noch die Fragen: Wer soll Adressat der Vorschriften werden? (Arbeitgeber/Betreiber einer Anlage) Und was sollte durch Bundes- oder Länderregelungen erfolgen ?

5. Schlussfolgerung

Vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung und unter Einbeziehung der – wenn auch erst kurzfristigen – Erfahrungen des Vollzugs aufgrund der Reform des Anlagenrechts am Anfang dieses Jahrzehnts zeigt sich, dass gerade Kleinbetriebe überfordert sind, wenn es um die Ausfüllung von Generalklauseln geht. Teilweise zeigt sich aber auch, dass die gesamte Reform noch nicht angekommen ist (Be-triebssicherheitsverordnung oder Aufhebung des Monopols der TÜVs weitgehend noch nicht bekannt.). Selbst in Großbetrieben fällt der Umgang mit Generalklauseln innerhalb der dortigen Hierarchien aufgrund der gestiegenen Eigenverantwortlichkeit nicht immer leicht, wenn es darum geht ohne behördliche Absegnung oder konkrete Detailregelung Entscheidungen zu treffen. Durch die entlastende Prüfbescheinigung bewährt sich damit auch heute noch das System der Drittprüfung für alle Beteiligten. Die Drittprüfung sollte allerdings auch weiterhin einer staatlichen Qualitätskontrolle unterliegen.

Erfahrungen DDR 1968 bis 1989 bei überwachungsbedürftigen Anlagen

• 1968 Abschaffung TÜV, Übertragung auf betriebsinterne Personen, Prüffristermittlung durch Betreiber,

• signifikanter Anstieg der Unfälle erst nach ca. 10 Jahren,

• 1984 Rückkehr zum alten System• Spitze der Unfallhäufigkeit erst

später zeitverzögert eingetreten. Danach wieder drastische Abnahme der Unfälle

• (Quelle: Dr. rer. nat. habil. Pangert, in sicher ist sicher 3/2004)

Abb. 4.7 Beobachtungen (Quelle: PANGERT, In: sicher ist sicher 3/2004)

Reformbedarf bei überwachungsbedürftigen Anlagen? Erfahrungen aus Sicht der hessischen Arbeitsschutzaufsicht

67

Die Unternehmen brauchen klare Regelungen, um sie eigenverantwortlich umsetzten zu können. Wenn vielleicht auch nicht in Form von Detailregelungen aber dann doch so strukturiert, dass man Sie ohne weitere umfangreiche Studien zumindest ansatz-weise in ihrer Tragweite versteht. Und unabhängig davon, wie man sich letztlich hin-sichtlich eines gefährdungsorientierten oder anlagenbezogenen Ansatzes entschei-det, gilt es zu überlegen, welche Anlagen oder Gefährdungen so relevant sind, dass die Anlage durch unabhängige Dritte überprüft werden muss, d.h. der Katalog der überwachungsbedürftigen Anlagen muss in jedem Fall angepasst werden.

Abschließend sei noch angemerkt, dass es bei Überlegungen zu einer Rechtsverein-fachung auch dazu gehört, dass gleiche Sachverhalte gleich geregelt werden. Die Sicherheit der Anlage bzw. die Anforderungen an den sicheren Betrieb dürfen nicht vom Normadressaten der Vorschrift abhängen, sondern sollten sich an den Betriebs-bedingungen orientieren.

Abb. 4.8 Austausch zwischen Prof. Dr. Ralf Pieper (Bergische Universität

Wuppertal), Dipl.-Ing. Thomas Just (Hessisches Arbeitsministerium, Wiesbaden), Dipl.-Ing. Heinz-Bernd Hochgrefe (Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf) und Dipl.-Ing. Klaus Wettingfeld (TÜV Rheinland AG, Köln) im Anschluss des 58. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquiums (v.l.n.r.)

Andreas Meyer-Falcke & Anne Ewelt

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5 Gesundheitscampus NRW: Chancen für eine nachhaltige Gesundheitspolitik in NRW (ANDREAS MEYER-FALCKE)

59. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 2. Februar 2010 in Wuppertal

PD Dr. Andreas Meyer-Falcke Leiter des Strategiezentrums Gesundheit,

Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen, Bochum

5.1 Der Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen macht das komplexe Gesundheitssystem greifbar

Nordrhein-Westfalen braucht ein Gesundheitswesen, das auf seinen bedeutendsten Akteur ausgerichtet ist: den Menschen. Anstatt in starren, voneinander abgeschlos-senen Strukturen zu denken, sollten sich die Akteure im Gesundheitswesen daran orientieren, was der Mensch braucht, um gesund zu bleiben oder gesund zu werden. Dazu bedarf es einer ganzheitlichen Sichtweise: Nur durch die Zusammenarbeit der Akteure kann eine nutzer- und patientenorientierte Gesundheitsversorgung gewähr-leistet werden. Der Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen wird diese Zusam-menarbeit unterstützen, organisieren und intensivieren.

Ziel aller Aktivitäten des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen ist die Förderung und Sicherung der Gesundheit jedes Menschen - unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Einkommen, Wohnort oder eventuellen körperlichen oder psychischen Handicaps. Konzepte und Maßnahmen liegen unter anderem bei der systematischen Aufarbeitung der Versorgungssituation, der Bündelung von bereits vorhandenen Kompetenzen und deren Vermarktung, der Beschleunigung von innovativen Prozes-sen und Entwicklungen sowie der Qualifizierung der Beschäftigten des Gesund-heitswesens auf allen seinen Ebenen. Der Gesundheitscampus wird dadurch zum Ausbau der Spitzenposition des nordrhein-westfälischen Gesundheitswesens beitra-gen. Die Steigerung der Attraktivität des Standortes Nordrhein-Westfalen ist dabei kein Selbstzweck: Über allem steht der Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger, seien sie Patienten, Wissenschaftler oder Unternehmer.

Gesundheitscampus NRW: Chancen für eine nachhaltige Gesundheitspolitik in NRW

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Denn der Gesundheitscampus nutzt allen als …

��Katalysator einer optimalen gesundheitlichen Versorgung, ��Wissenszentrale, ��Vorreiter und Wegbereiter, ��Innovationsförderer für Wirtschaft und Wissenschaft.

5.1.1 Gesundheit für alle als Chance

Gesundheit ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein wichtiges Gut: An erster Stelle natür-lich für die Menschen, für die ihre Gesundheit die persönlichste Angelegenheit über-haupt ist. Die Gesundheit wiederherstellen, sie erhalten, verbessern und alle Men-schen in unserem Land an ihr teilhaben zu lassen, stellt uns auch künftig vor große Herausforderungen. Gerade der demografische Wandel, verbunden mit dem techno-logischen Fortschritt im medizinischen Bereich, erfordert umfassende und ganzheitli-che Lösungen. Um den damit einhergehenden Herausforderungen gerecht zu wer-den, müssen wir Gesundheit für alle als Chance – und nicht einfach als Kostenfaktor – verstehen.

Solche Chancen bieten sich in vielerlei Hinsicht – zum Beispiel auf dem weiten Feld der Gesundheitswirtschaft. Dieser Markt boomt: Landesweit finden sich in diesem Bereich die meisten Arbeitsplätze und auch in den kommenden Jahren ist ein enor-mes Wachstum zu erwarten. Schon jetzt sind in dieser Branche allein in Nordrhein-Westfalen mehr als eine Million Menschen beschäftigt – Tendenz steigend. Bundes-weit hat die Gesundheitswirtschaft sogar bereits die Autoindustrie überholt.

Die Gesundheitswirtschaft ist die Branche mit den meisten Arbeitsplätzen und der größten Wachstumsdynamik in Nordrhein-Westfalen. Beispielsweise wurden in Nord-rhein-Westfalen im Jahr 2008 in mehr als 400 Krankenhäusern (rund 120.000 Bet-ten) über vier Millionen Patienten versorgt. Im Landesgesundheitsbericht 2009 wurde ausgewiesen, dass 2006 fast 52 Milliarden Euro für medizinische Heilbehandlung, Präventions-, Rehabilitations- oder Pflegemaßnahmen inklusive Verwaltungskosten in Nordrhein-Westfalen aufgewendet wurden. Knapp die Hälfte der direkten Krank-heitskosten fällt ab einem Alter von 65 Jahren an. Angesichts der demografischen Entwicklung wird der Personalbedarf weiter wachsen. In den nächsten Jahren ist mit einem Zuwachs von weiteren rund 200.000 Arbeitsplätzen zu rechnen, insbesondere in der ambulanten Pflege.

Die Gesundheitswirtschaft: Damit sind nicht nur Bereiche ambulanter und stationärer ärztlicher, nichtärztlicher und pflegerischer Dienstleistungen gemeint, sondern auch Handel, Gesundheitshandwerk, Herstellung von pharmazeutischen und medizintech-nischen Produkten, gesundheitsbezogene Forschung und Bildung, Gesundheitstou-rismus und – mit zunehmender Bedeutung – die Gesundheitsvorsorge.

Andreas Meyer-Falcke & Anne Ewelt

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Neben der medizinischen Versorgung ist Nordrhein-Westfalen auch ein wichtiger Standort für Forschungs- und Wissenschaftsaktivitäten: An jeder Universität mit ei-nem Universitätsklinikum, an weiteren Universitäten und Fachhochschulen sowie an außeruniversitären Forschungseinrichtungen wird auf den Gebieten der Medizin, der Medizintechnik, der Gesundheitswissenschaften und der Versorgungsforschung ge-lehrt und geforscht. An den sieben medizinischen Fakultäten und den sechs Universitätskliniken des Landes arbeiten insgesamt rund 29.000 Beschäftigte. Etwa 270.000 Patienten werden jedes Jahr in den Universitätskliniken stationär behandelt; der gemeinsame Jahresumsatz beträgt rund 2,7 Milliarden Euro. An den medizini-schen Fakultäten in Nordrhein-Westfalen bilden rund 650 Professoren mehr als 17.000 Studierende aus. Hinzu kommen die Kliniken der Universität Bochum, rund 80 Lehrkrankenhäuser, das Forschungszentrum Jülich, Max-Planck-, Leibniz- und Fraunhofer-Institute sowie kleine, mittlere und Großunternehmen. Die Deutsche For-schungsgemeinschaft fördert derzeit 244 Sonderforschungsbereiche im ganzen Bundesgebiet. Im Vergleich der Bundesländer untereinander liegt Nordrhein-Westfalen auf Platz 1 mit fast einem Viertel aller Forschungsbereiche: Auf Nordrhein-Westfalen entfallen 57 Sonderforschungsbereiche, gefolgt von Bayern mit 41.

Es ist Ziel des Gesundheitscampus, diese im Land vorhandenen Kompetenzen the-matisch zu bündeln und in Nordrhein-Westfalen als einzigartige Verdichtung von Wissen in der Forschung und Entwicklung rund um die „Gesundheit“ zu verankern.

Aber bei der Verbesserung der Gesundheit dürfen wir nicht nur an neueste Technik und wirtschaftliche Entwicklung denken. Gesundheit muss vom Menschen her ge-dacht werden, die Versorgung muss unabhängig von Faktoren wie Einkommen, Al-ter, Geschlecht, Abstammung, sozialer Herkunft oder gesundheitlichem Risiko wei-terhin für alle qualitativ hochwertig und wohnortnah verfügbar sein.

In Nordrhein-Westfalen profitieren die Menschen von hohen Qualitätsstandards. Um diese stetig zu verbessern, reicht ein Nebeneinander nicht aus – es braucht ein Mit-einander aller beteiligten Akteure und Interessen. Gemeinsam ist mehr zu erreichen: Für den Standort Nordrhein-Westfalen und seine Regionen, vor allem aber auch für die Gesundheit der Menschen, die hier leben. Moderne, patientenorientierte Medizin lebt von interdisziplinärer Zusammenarbeit. Ein gemeinsamer Anlaufpunkt für alle Beteiligten, eine Bündelung und Kanalisierung der gemeinsamen Interessen ist also wichtig für die künftige Entwicklung der Gesundheit.

5.1.2 Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen: Organisation der Kooperation

Vor diesem Hintergrund hat das Land Nordrhein-Westfalen schon früh die richtigen Weichen gestellt, um das Gesundheitswesen „made in NRW“ fit für die Zukunft zu machen. In einem einzigartigen Projekt mit bundesweitem Vorbildcharakter entsteht

Gesundheitscampus NRW: Chancen für eine nachhaltige Gesundheitspolitik in NRW

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der Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen. Übergeordnetes Ziel aller Aktivitäten ist die Förderung der Gesundheit in Nordrhein-Westfalen. Dazu leistet der Gesund-heitscampus durch die Verzahnung von Gesundheitspolitik mit Wissenschaft, For-schung und Lehre einerseits und Wirtschaft andererseits einen wichtigen Beitrag.

Mithilfe von Leitprojekten und dem Auf- und Ausbau von Netzwerken fördert er Ko-operationen im Gesundheitswesen. Der Gesundheitscampus bringt dazu sektoren-, professionen- und institutionenübergreifend Akteure zusammen, unterstützt und in-tensiviert den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen ihnen und ermöglicht damit eine Verzahnung sowohl bereichsintern als auch bereichsübergreifend zwi-schen Gesundheitspolitik, Wissenschaft, Forschung, Lehre und Wirtschaft. Er arbei-tet dabei als Vermittler von Partnern; dazu gehört auch die Suche und Ansprache neuer Partner. Bei der Organisation der Kooperation wird der Campus tätig durch die Initiierung, Erarbeitung und Unterstützung des Prozesses bis hin zur Etablierung der Kooperation.

5.1.3 Entscheidung für den zentralen Knotenpunkt im Herzen Nordrhein-Westfalens

Im Juni 2008 fiel die Entscheidung für die Einrichtung des Gesundheitscampus Nord-rhein-Westfalen. Im Mai des darauf folgenden Jahres gab eine renommierte Jury un-ter der Leitung von Prof. Dr. med. Karl Max Einhäupl, dem Vorsitzenden des Vor-stands der Berliner Charité, ihre Entscheidung zu Gunsten von Bochum als Standort der Campus-Zentrale bekannt, angrenzend an die Ruhruniversität Bochum und in unmittelbarer Nähe zum BioMedizinPark Bochum. Der BioMedizinPark Bochum, wel-cher Raum für Unternehmensansiedlungen bietet, wird unter der Regie der Entwick-lungsgesellschaft Ruhr-Bochum (EGR) entwickelt und gehört zum festen und sicht-baren Bestandteil des Gesundheitscampus und seines interaktiven Konzeptes.

Die neue Landesregierung bestätigte im Sommer 2010 den Aufbau des Gesund-heitscampus und wird das zukunftsweisende Konzept weiter ausbauen. Ziel ist, den Gesundheitscampus zu einem sichtbaren Zeichen des Fortschritts und Umdenkens weiterzuentwickeln und als starken und kompetenten Partner für die Bevölkerung, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zu positionieren.

Schrittmacher des Gesundheitscampus ist das Strategiezentrum Gesundheit Nord-rhein-Westfalen. Die Aufnahme der Arbeit des Strategiezentrums Gesundheit Nord-rhein-Westfalen in einem Interimsquartier im BioMedizinZentrum (BMZ) Bochum im Sommer 2009 war das erste sichtbare Zeichen der Realisierung dieses Projektes. Das Strategiezentrum ist von der Landesregierung federführend mit der Entwicklung des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen beauftragt worden. Der Entwicklungs-prozess wird auf allen Ebenen – lokal, regional, landesweit und darüber hinaus in Deutschland und international – inhaltlich und zeitlich parallel vorangetrieben. Der

Andreas Meyer-Falcke & Anne Ewelt

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lokale Standort Bochum wird in ein landesweites Netz integriert. So wird beispiels-weise themenspezifisch mit Einrichtungen und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen an Projekten oder Initiativen gearbeitet; einzelne Themen werden in Modellregionen zusammengeführt. Dadurch entsteht ein Arbeits-, Lehr- und Forschungsnetzwerk im Bereich Gesundheit für Nordrhein-Westfalen. Auf das ganze Bundesland gehen so Impulse von Bochum aus. Zugleich können und sollen Innovationen, Kooperationen und Kreativität der Campuspartner aus allen Regionen den Gesundheitscampus in und für ganz Nordrhein-Westfalen bereichern.

Abb. 5.1 Außenraumperspektive Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen in Bochum (Bild: Léon Wohlhage Wernik Gesellschaft von Architekten mbH in Zusammenarbeit mit Bauer und Partner)

Am Standort der Campus-Zentrale in Bochum wird ein repräsentatives Zentrum ent-stehen, das durch seine Nähe zwischen den Partnern und zum BioMedizinPark (An-siedlungsfläche für gesundheitsaffine Unternehmen) viele Synergien ermöglicht.

Der Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen ist der Ort, an dem Experten mit Selbsthilfegruppen diskutieren, an dem sich Lehre und Praxis begegnen oder kleine Unternehmen mit Großkonzernen gemeinsam austauschen. Hier werden zukunftsfä-hige Kompetenzen gebündelt, Kooperationen gefördert und gemeinsam Strategien entwickelt.

Gesundheitscampus NRW: Chancen für eine nachhaltige Gesundheitspolitik in NRW

73

Der Gesundheitscampus ist die Kommunikationsplattform, um künftig …

��die Bevölkerung bedarfsgerecht über alle Themen rund um die Gesundheit zu informieren,

��einen schnelleren Zugriff auf Forschungsvorhaben oder Daten zu ermöglichen, ��durch Vernetzung einen direkten Wissensaustausch und fachübergreifende

Zusammenarbeit zu fördern und neue Märkte zu erschließen.

5.1.4 Von Gesundheit profitieren – in und aus Nordrhein-Westfalen

Der Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen macht das komplexe Gesundheitssys-tem greifbar. In seiner Zentrale in Bochum ermöglicht er persönliche Begegnungen und schafft Raum für Kommunikation und menschlichen Kontakt. Aber eine alleinige lokale Zusammenführung von Akteuren z. B. in Bochum reicht nicht aus. Ziel ist eine starke Vernetzung mit und eine Verankerung in den Regionen sowie die Einbindung ihrer Kompetenzen, denn Nordrhein-Westfalen lebt von seiner regionalen Vielfalt. Die sechs Gesundheitswirtschaftsregionen sind dabei wichtige Partner und Anknüp-fungspunkte für weitere regionale Akteure und Aktivitäten.

Es gibt bereits heute zahlreiche Netzwerke, Kooperationen und Initiativen, in denen die Partner des Gesundheitscampus fachbezogen tätig sind. Diese können in zwei-facher Hinsicht genutzt werden: Auf der einen Seite bieten die bestehenden Netz-werke Anknüpfungspunkte, wenn Akteure mit dem Gesundheitscampus in Kontakt kommen möchten; andererseits kann der Gesundheitscampus die bestehenden Ver-netzungsstrukturen nutzen und ausbauen. Die Vision, für die der Campus steht, ist geprägt von einem partnerschaftlichen Miteinander. Dies verstärkt die Nachhaltigkeit seines Wirkens.

Gemeinsam mit seinen Partnern arbeitet der Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen systematisch die Versorgungssituation der Bevölkerung auf. Er hilft dabei, politische Entscheidungen auf eine verlässliche Grundlage zu stellen. Deshalb wurde z. B. eine Expertengruppe beauftragt, die zukünftigen Herausforderungen an das Gesundheitssystem fundiert zu ermitteln und so die Gesundheitsversorgung in Nord-rhein-Westfalen möglichst passgenau an den Bedürfnissen der Menschen auszurich-ten. In diesem Projekt erfolgt zunächst eine Bestandsaufnahme der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung und der Versorgungsstrukturen. Ein zweites Modul umfasst Modellrechnungen unter Berücksichtigung des demografischen Wandels. Hieraus werden Empfehlungen für Vorgaben der Gesundheitspolitik und für die Forschung, für neue Programme und die medizinische Versorgungslandschaft abgeleitet. Ab-schließend sollen auf dieser Basis die wichtigsten Handlungsfelder in Nordrhein-Westfalen benannt werden.

Andreas Meyer-Falcke & Anne Ewelt

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Nicht zuletzt der demografische Wandel erfordert einen umfassenden und ganzheitli-chen Ansatz wie den des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen. Insbesondere in der Ruhrregion mit ihrem deutlich höheren Altersdurchschnitt und einem hohen Anteil von Migrantinnen und Migranten lässt sich die Bedeutung von Gesundheit für alle als Chance – und nicht lediglich als Kostenfaktor – bereits heute erleben, hier wird der Mehr-Wert von Gesundheit ganz besonders deutlich.

Das Betätigungsfeld des Gesundheitscampus ist so weit wie nur irgend möglich ge-dacht und ständig offen für neue Entwicklung. Es reicht von der Gesundheit der Kin-der bis zur versorgungssicheren Wohnsituation älterer Menschen. So fördert der Campus die handlungsgerichtete Auswertung von Daten zu verschiedenen Krankhei-ten wie z. B. zu Krebs oder zu HIV/Aids. Er bezieht die Schaffung von arbeitnehmer- und familienfreundlichen Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen im Gesundheitswe-sen mit ein und leistet so auch einen Beitrag zur Bekämpfung des Fachkräfte- und Ärztemangels. Auf allen diesen Feldern kann der Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen als unabhängige, ganzheitlich aufgestellte Einrichtung des Landes jenseits aller Zwänge agieren, die sich ansonsten aus Partikularinteressen ergeben. Der ganzheitliche Ansatz des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen ist deutschland-weit einzigartig und ein Alleinstellungsmerkmal für das Land.

Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass künftig Themen wie Versorgungs- und Alters-forschung, Epidemiologie, gesundheitliche Vorsorge oder E-Health noch an Bedeu-tung gewinnen werden. Diese strategischen Aufgabenfelder werden auf dem Ge-sundheitscampus Nordrhein-Westfalen zusammengeführt. Gemeinsam mit den Campuspartnern gilt es, Lösungen zu erarbeiten und die im Land vorhandenen Kernkompetenzen auf die bedeutenden Schlüsselthemen auszurichten. Der Ge-sundheitscampus Nordrhein-Westfalen versteht sich dabei auch als Katalysator: Mit ihm wird die Anpassung der Strukturen des Gesundheitswesens als Ganzes be-schleunigt, um so den immer kürzer werdenden Innovationszyklen der Gesundheits-wirtschaft gerecht zu werden. Zudem soll der Gesundheitscampus alle an der Wert-schöpfungskette des Gesundheitswesens beteiligten Akteure zunächst erkennen und benennen, um sie dann ansprechen und bei der Vernetzung und Kooperation unter-einander unterstützen zu können.

Im Rahmen der Verzahnung von Akteuren können sich thematische Schwerpunkte herauskristallisieren. Dies wird im Folgenden am Beispiel „Gesundheit und Bildung“ verdeutlicht. Mit der Entwicklung des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen wird ein Bildungs- und Qualifizierungsschwerpunkt aufgebaut. An der Schnittstelle von „Gesundheit“ und „Bildung“ werden Akteure und Inhalte miteinander verzahnt. Ziel ist es, durch Kooperationsvermittlungen des Gesundheitscampus Bildungseinrichtungen aller Ebenen rund um „Gesundheit“ miteinander zu vernetzen – von der Handwerks-Akademie bis zur Universität. Bereits heute sind die Hochschule für Gesundheit so-wie die Ruhr-Universität Bochum wichtige Partner in Bochum und in der Hochschul-

Gesundheitscampus NRW: Chancen für eine nachhaltige Gesundheitspolitik in NRW

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landschaft gut verankert. Die Aufnahme des Gesundheitscampus in den „Masterplan Universität – Stadt Bochum“, der die verschiedenen Bildungseinrichtungen in die „Bildungsachse“ der Stadt Bochum integriert, bildet ebenfalls eine wichtige Grund-lage.

Ergänzt werden kann der thematische Schwerpunkt um weitere Einrichtungen oder Unternehmen rund um das Thema Bildung vor Ort in Bochum durch Ansiedlungen und im Rahmen von Kooperationen in ganz Nordrhein-Westfalen. Dabei stehen die verschiedenen Akteure nicht in Konkurrenz zueinander, sondern können sich sinnvoll ergänzen und voneinander profitieren. Die Zusammenarbeit von Einrichtungen und Unternehmen rund um das Thema Bildung entspricht der Idee des Gesundheits-campus: der Verzahnung von Gesundheitspolitik, Wissenschaft, Forschung, Lehre und Wirtschaft.

5.1.5 Die Partner der ersten Stunde: Weiterentwicklung über alle Grenzen

Auf dem Campus-Areal in Bochum gibt es in der ersten Entwicklungsphase neun Institutionen: Neben dem Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen hat die bundesweit erste öffentlich-rechtliche Hochschule für Gesundheit hier ihren Sitz, ge-nauso wie auch das Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit, das Clustermanage-ment Gesundheitswirtschaft Nordrhein-Westfalen, das regionale Netzwerk MedEcon Ruhr, das Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen, das Krebsregister NRW, das elektronische Beruferegister für Gesundheitsberufe und das europäische Proteinfor-schungszentrum PURE. Der Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen eröffnet weit-reichende Perspektiven – nicht nur durch die neuen Studiengänge in der Gesund-heitsbranche: So entstehen bereits in der Startphase 1.000 Studienplätze und 1.000 Arbeitsplätze. Weitere Informationen zu den Aufgaben- und Betätigungsfeldern der Partner und zum Gesundheitscampus sind zu finden unter www.gc.nrw.de

Vom Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen gehen zahlreiche Impulse aus. Hier erfolgen die Steuerung und Koordination des Gesundheitscampus sowie federführend die Entwicklung der Strategie. Marketing, Presse und Öffentlichkeit fin-den hier ihre Ansprechpartner. Um das Strategiezentrum herum bildet sich der innere Kern des Gesundheitscampus mit den neun Institutionen der ersten Phase. Die „Partner der ersten Stunde“ werden sukzessive um weitere Einrichtungen sowie Un-ternehmen auf dem BioMedizinPark Bochum, der so zum festen Bestandteil des Ge-sundheitscampus wird, ergänzt.

Der Gesundheitscampus ist Nordrhein-Westfalen-weit aufgestellt. Weitere Partner werden durch die landesweite Ausrichtung des Campus gewonnen. Hierbei geben die Gesundheitsregionen (Aachen, Köln/Bonn, Münsterland, Ostwestfalen-Lippe, Metropole Ruhr, Südwestfalen) Orientierung. Darüber hinaus werden der Gesund-heitscampus Nordrhein-Westfalen als Ganzes, aber auch einzelne Aktivitäten in ein

Andreas Meyer-Falcke & Anne Ewelt

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nationales und internationales Umfeld eingebettet. Auf der zum Gesundheitscampus gehörenden Gewerbefläche – dem BioMedizinPark Bochum – werden für Einrichtun-gen und Unternehmen der Gesundheitswirtschaft ca. 55.000 m² voll erschlossene Entwicklungsfläche der Stadt Bochum bereitgestellt.

Abb. 5.2 In Bochum entsteht auf einem rund 100.000 m² großen Areal die

Zentrale des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen

Kontakt:

Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen Strategiezentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen Universitätsstraße 136 44799 Bochum

Tel.: +49 (0)234 546 837-810 Fax: +49 (0)234 546 837-811 E-Mail: [email protected] Internet: www.gc.nrw.de

Abb. 5.3 Der Gesundheitscampus und die Gesundheitsregionen arbeiten ge-meinsam für die Gesundheit der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen

Gesundheitscampus NRW: Chancen für eine nachhaltige Gesundheitspolitik in NRW

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5.1.6 Fazit – Neue Wege für die Gesundheit der Bevölkerung

Der Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen ist ein zukunftsweisendes Konzept. Mit seiner ganzheitlichen und integrativen Ausrichtung geht der Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen neue Wege für die Gesundheit der Bevölkerung. Er entwickelt sich zu einem starken und kompetenten Partner für die Bevölkerung, Politik, Wissen-schaft und Wirtschaft. Dies steigert nicht zuletzt auch wirtschaftlich die Attraktivität des Standortes Nordrhein-Westfalen. Durch seinen eigenen innovativen Charakter gibt er Anstoß zu weiteren Neuerungen. Die Errichtung der Gesundheitscampus-Zentrale in Bochum ist zudem ein wichtiger strukturpolitischer Impuls für die Metropo-le Ruhr.

Abb. 5.4 Auch die aktuelle Wetterkapriole des Tiefs “Miriam” konnte PD Dr. med.

habil. Andreas Meyer-Falcke, Leiter des neuen Strategiezentrums Gesundheit, nicht hindern die Ziele und den Entwicklungsstand des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen in Wuppertal vorzustellen

Berndt Keller & Hartmut Seifert

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6 Atypische Beschäftigung – Entwicklung, Muster und Regulierungsprobleme (HARTMUT SEIFERT)

60. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 27. April 2010 in Wuppertal

Dr. Hartmut Seifert ehemaliger Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen

Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI), Düsseldorf

6.1 Problemstellung

In den vergangenen Jahrzehnten haben in Deutschland atypische Beschäftigungs-verhältnisse deutlich zugenommen. Sie verändern das Beschäftigungssystem und die soziale Lage der Beschäftigten. Die Prekaritätsrisiken wachsen. Die Expansion atypischer Beschäftigungsformen wirft auch lange Schatten auf die sozialen Siche-rungssysteme, die im Prinzip auf dem Normalarbeitsverhältnis beruhen. Sie geraten sowohl auf der Einnahme- als auch der Ausgabenseite unter Druck. Die Politik ist gefordert, den arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Regelungsrahmen an die verän-derten Herausforderungen anzupassen.

Der Beitrag behandelt Entwicklung, Umfang, Muster und soziale Wirkungen atypi-scher Beschäftigungsformen und diskutiert Regulierungsprobleme. Er grenzt zu-nächst Normal- und atypische Arbeitsverhältnisse voneinander ab. Anschließend be-handelt er die Entwicklung der verschiedenen Formen über den vergleichsweise lan-gen Zeitraum seit der deutschen Vereinigung im Jahr 1990. Danach vergleicht er an-hand sozialer Kriterien, wie sich atypische und Normalarbeitsverhältnisse unter-scheiden. Einige Schlussfolgerungen zu Regulierungsproblemen atypischer Beschäf-tigung, einschl. ihrer besseren sozialen Absicherung, schließen den Beitrag ab.

Atypische Beschäftigung – Entwicklung, Muster und Regulierungsprobleme

79

6.2 Normalarbeitsverhältnis und Formen atypischer Beschäftigung

Atypische Beschäftigungsverhältnisse werden in aller Regel in einer negativen Ab-grenzung zum so genannten Normalarbeitsverhältnis (NAV)1 definiert. Es handelt sich um eine Sammelkategorie recht heterogener Beschäftigungsformen, die in einer detaillierten empirischen Analyse explizit zu unterscheiden sind. Als Ausgangspunkt der weiteren Ausführungen dient das NAV, welches durch folgende Merkmale ge-kennzeichnet ist:

��Vollzeittätigkeit mit entsprechendem subsistenzsicherndem Einkommen, ��unbefristetes Beschäftigungsverhältnis, ��Integration in die sozialen Sicherungssysteme

(vor allem Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung), ��Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis, ��Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber.

Wir gebrauchen den Begriff im Folgenden ausschließlich als analytische und nicht als normative („so sollte es eigentlich sein“) Kategorie, weil die sozialen Sicherungs-systeme diese Kriterien häufig als Bezugspunkt nehmen. Für die Funktionsweise des Arbeitsmarktes ist bedeutsam, dass atypische Beschäftigungsformen, ungeachtet aller Unterschiede, im Vergleich zum NAV das Flexibilitätspotenzial der Betriebe und teilweise auch das der Beschäftigten erweitern.

Atypische Beschäftigungsverhältnisse weichen in mindestens einem der genannten Kriterien vom NAV ab2:

��Teilzeittätigkeit (ohne geringfügige Beschäftigung), bei der die regelmäßige Wochenarbeitszeit und entsprechend das Entgelt reduziert sind.

��Geringfügige Beschäftigung, die eine spezifische, durch Einkommensgrenzen definierte Variante von Teilzeit darstellt; sie wurde durch die in den Jahren 2003 und 2004 in Kraft getretenen Hartz-Gesetze zu Mini- und Midi-Jobs erweitert. Dabei gelten monatliche Entgeltgrenzen von 400,- bzw. 800,- Euro, die vorher bestehende Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf maximal 15 Stunden wurde abgeschafft. Die pauschalierten Sozialversicherungsbeiträge und Steuern in Höhe von 30 Prozent3 hat allein der Arbeitgeber zu leisten.

1 Ulrich Mückenberger, Die Krise des Normalarbeitsverhältnisses – hat das Arbeitsrecht noch

Zukunft?, in: Zeitschrift für Sozialreform 31 (1985), S. 415-434, S.457-475. 2 Hier nicht einbezogen werden u. a. Honorarkräfte bzw. Freelancer, Ein-Euro-Jobs als Arbeits-

gelegenheiten, Praktikanten. 3 Davon entfallen 2 %-Prozentpunkte auf Steuern, 13 auf die gesetzliche Kranken- und 15 auf die

gesetzliche Rentenversicherung.

Berndt Keller & Hartmut Seifert

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��Befristete Beschäftigung: die Höchstdauer der Befristung wurde seit Mitte der 1980er Jahre mehrfach bis auf zwei Jahre ausgeweitet.

��Leiharbeit, deren Besonderheit im Vergleich zu allen anderen Formen in der drei-seitigen Beziehung zwischen Arbeitnehmer, Verleih- und Entleihunternehmen liegt. Dadurch fallen Arbeits- (zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer) und Be-schäftigungsverhältnis (zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer) auseinander. Im Rahmen der Hartz-Gesetze erfolgte eine weitgehende Deregulierung: Die Überlassungshöchstdauer, das Synchronisationsverbot von Arbeitsvertrag und Entleihdauer sowie das Wiedereinstellungsverbot wurden abgeschafft. Im Gegen-zug wurde das Prinzip „Equal pay for equal work“ eingeführt, von dem allerdings im Rahmen von Tarifverträgen abgewichen werden kann.

Neue Selbständigkeit soll die alte-freiberufliche, wie bei Anwälten oder Ärzten, er-gänzen. Sie wurde durch den im Rahmen der Hartz-Gesetze 2003 eingeführten Exis-tenzgründungszuschuss (Ich-AG bzw. Familien-AG) gefördert. Dieser wurde ab Au-gust 2006 mit dem ähnlichen Instrument des Überbrückungsgeldes zum neuen Gründungszuschuss zusammengelegt. Die Abgrenzung zwischen abhängiger und selbständiger Erwerbstätigkeit („Scheinselbständigkeit“) fällt nicht immer leicht. Die Grenzlinien zwischen selbständiger und abhängiger Beschäftigung können fließend sein. Auf diese Erwerbsform wird hier nicht näher eingegangen4. Einzelne Merkmale atypischer Beschäftigung können in kombinierter Form auftreten, so können z. B. Leiharbeiter oder Teilzeitbeschäftigte zugleich ein befristetes Arbeitsverhältnis besit-zen.

6.3 Entwicklung und Ausmaß atypischer Beschäftigung

Seit den frühen 1990er Jahren5 nehmen sämtliche Formen atypischer Beschäftigung zu, allerdings mit unterschiedlichem Tempo und von unterschiedlichen Niveaus aus-gehend6.

4 Zur Einführung und als Überblick eignet sich Berndt Keller, Hartmut Seifert (Hrsg.), Atypische

Beschäftigung. Flexibilisierung und soziale Risiken, Berlin 2007. Vgl. auch die nach verschiedenen Kriterien gegliederte Informations-Plattform des IAB: http://infosys.iab.de/infoplattform/thema.asp.

5 Dieser Zeitpunkt bietet sich wegen der Wiedervereinigung als Referenzpunkt an. 6 Die empirischen Informationen zu Entwicklung und Stand atypischer Beschäftigung haben sich in

den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Demgegenüber sind theoretische Erklärungen nach wie vor selten und bleiben unvollständig. Vgl. B. Keller, H. Seifert (Anm. 7).

Atypische Beschäftigung – Entwicklung, Muster und Regulierungsprobleme

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Tab. 6.1 Entwicklung der Formen atypischer Beschäftigung

Berndt Keller & Hartmut Seifert

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��Teilzeit stellt, ähnlich wie in anderen EU-Mitgliedsländern, mit Abstand die am wei-testen verbreitete Form dar (über 26 Prozent aller abhängig Beschäftigten). Ihre kontinuierliche Zunahme über die Konjunkturzyklen hinweg hängt eng mit der zu-nehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen zusammen, die nach wie vor über 80 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten ausmachen. Neben freiwilligen gibt es auch un-freiwillige Teilzeitbeschäftigte, die gern länger arbeiten würden, wenn sie entspre-chende Optionen hätten.

��Einer geringfügigen Beschäftigung gehen inzwischen ca. 20 Prozent aller abhän-gig Beschäftigten nach. Diese Form erfuhr nach einer anfänglich deutlichen Zu-nahme infolge der Änderungen der Hartz-Gesetze (Erhöhung der Entgeltgrenze von 325,- auf 400 Euro, Abschaffung der Arbeitszeitgrenzen) anschließend eine Konsolidierung auf hohem Niveau. -. Explizit zu unterscheiden ist zwischen Mini-Jobs als ausschließlich ausgeübter Tätigkeit und Mini-Jobs, die als Nebenerwerbstätigkeit, also zusätzlich zu einer nicht-geringfügigen Beschäftigung, ausgeübt werden. Die zuerst genannte, in sozialpolitischer Hinsicht eindeutig problematischere Variante dominiert; auf sie entfallen etwa drei Viertel aller Minijobs. Die Bedeutung der Midi-Jobs bleibt mit etwa 0,7 Mio. gering im Vergleich zu den Mini-Jobs.

��Befristete Beschäftigungsverhältnisse haben trotz mehrfacher Deregulierungen seit Mitte der 1980er Jahre nur moderat im Vergleich zu den anderen Formen auf ca. 10 Prozent zugelegt. Ursprüngliche Befürchtungen, es würde aufgrund der schrittweisen Deregulierungen seit Mitte der 1980er Jahre zu einer massiven Ausweitung befristeter Beschäftigung kommen, sind nicht eingetreten. Allerdings erfolgen Neueinstellungen mehr und mehr auf der Basis von zunächst befristeten Arbeitsverträgen. Zwischen 2001 und 2009 ist der Anteil der Befristungen an den Neueinstellungen von 32 auf 47% gestiegen7. Dadurch verlängert sich die Probe-zeit. Entscheidend ist die Frage, ob der Übergang in ein unbefristetes Arbeitsver-hältnis gelingt.

��Leiharbeit umfasst nach wie vor nur ein recht kleines Segment des Arbeitsmarktes und stellt die in quantitativer Sicht unwichtigste Form atypischer Beschäftigung dar. Sie ist aber langfristig, vor allem seit der Deregulierung im Zuge der Hartz-Gesetze ungewöhnlich stark expandiert (auf über zwei Prozent Anteil an allen Be-schäftigten). Diese hohen Wachstumsraten bedingen ein überproportional hohes öffentliches Interesse. Mit der Wirtschaftskrise hat sich die Entwicklung schlagartig umgekehrt. Dem steilen Anstieg folgt ein ebenso steiler Abschwung und mit dem Konjunkturaufschwung in 2010 ein neuerlicher steiler Anstieg8. Diese Kurve spie-gelt die extreme Konjunkturabhängigkeit der Leiharbeit. Sie reagiert besonders sensibel auf Veränderungen in der Arbeitsnachfrage sowohl im Auf- als auch um-gekehrt im Abschwung.

7 Vgl. Hohendanner, C. (2010): Unsichere Zeiten, unsichere Verträge? In: IAB-Kurzbericht 14,

Nürnberg 8 Allein zwischen Mitte 2008 und Februar 2009 sank die Zahl der Leiharbeiter um etwa ein Drittel

von 821.000 auf nur noch etwa 550.000. Vgl. Handelsblatt, Nr. 76, 6-4-2009, S. 3.

Atypische Beschäftigung – Entwicklung, Muster und Regulierungsprobleme

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Der Anteil aller atypisch Beschäftigten ist, wenn man Doppelzählungen (wie Teilzeit und Befristung) berücksichtigt, mittlerweile (2007) auf über ein Drittel aller Beschäf-tigten gestiegen9. Zu Beginn der 1990er Jahre lag der Anteil erst bei etwa 20 Pro-zent. Längst handelt es sich nicht mehr um ein marginales Segment, das problemlos aus der Analyse des Arbeitsmarktes ausgeblendet bleiben könnte. Das Normalar-beitsverhältnis stellt den abnehmenden Regel-, atypische Formen hingegen den zu-nehmenden Ausnahmefall dar. Die Beschäftigungsexpansion der Jahre 2005 bis 2008 ging zu einem erheblichen Teil auf die Zunahme der atypischen Formen zu-rück, besonders die Ausweitung geringfügiger Beschäftigung (Minijobs) und der Leiharbeit10.

Angesichts dieser Entwicklung beschreibt die Formel „Pluralisierung bzw. Differen-zierung der Erwerbsformen“ die Veränderungen im Erwerbssystem trefflicher als die häufig verwandte Begrifflichkeit einer Krise oder gar einer „Erosion des Normalar-beitsverhältnisses“11. Im Rahmen des weiterhin fortschreitenden Wandels der Er-werbsformen ist - unabhängig von Konjunkturzyklen sowie der Entwicklung der Ge-samtbeschäftigung - eine weitere, säkulare Zunahme der atypischen Beschäftigung zu erwarten, ohne dass das Normalarbeitsverhältnis zum „Auslaufmodell“ wird. – Im Vergleich der EU-Mitgliedsländer ist unabhängig vom Typus des Sozialstaats (vor allem sozialdemokratisch, konservativ, liberal) eine Zunahme atypischer Beschäfti-gungsverhältnisse (vor allem in den alten Mitgliedsländern) zu beobachten12.

Die Varianten atypischer Beschäftigung unterscheiden sich in Bezug auf ihre Zu-sammensetzung der Arbeitnehmer nach den üblichen sozialstatistischen Kriterien (u. a. Geschlecht, Alter und Qualifikationsniveau der Beschäftigten sowie Branche und Region, vor allem Ost und West)13: Sie tragen erheblich zur stärkeren Segmentation der Arbeitsmärkte in Kern- und Randbelegschaften (oder Insider und Outsider) bei.

Bei sämtlichen Formen - mit der einzigen Ausnahme der Leiharbeit - sind Frauen mehr (Teilzeit) oder weniger (Befristung) deutlich überrepräsentiert, d.h. atypische Beschäftigung hat eine ausgeprägte geschlechtsspezifische Dimension, die in der öffentlichen Auseinandersetzung häufig außer Acht gelassen wird Die Mehrheit der

9 Vgl. W. Brehmer, H. Seifert, Sind atypische Beschäftigungsverhältnisse prekär? Eine empirische

Analyse sozialer Risiken, in: Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung 4 (2009), S. 501-531. 10 Statistisches Bundesamt, Atypische Beschäftigung auf dem deutschen Arbeitsmarkt, Wiesbaden

2008. 11 Für andere: Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, Erwerbstätigkeit

und Arbeitslosigkeit in Deutschland, Bonn 1996. 12 Schmid, Günther, Protsch, Paula, Wandel der Erwerbsformen in Deutschland und Europa.

Discussion Paper SP I 2009-505, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. 13 Vgl. Lutz Bellmann, Gabriele Fischer, Christian Hohendanner, Betriebliche Dynamik und Flexibilität

auf dem deutschen Arbeitsmarkt, in: Joachim Möller, Ulrich Walwei (Hrsg.), Handbuch Arbeitsmarkt 2009, Nürnberg 2009, S. 360-401.

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Frauen (57 Prozent) arbeitet in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis. Man kann von einer „neuen Normalität“ sprechen, die zugleich eine geschlechtsspezifi-sche Spaltung des Arbeitsmarktes markiert. Die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen (auf derzeit ca. 70%) ist eng mit dem Wachstum atypischer Beschäfti-gungsverhältnisse, vor allem von Teilzeit und Befristung, verbunden.

In Bezug auf die Qualifikation sind Personen ohne anerkannte berufliche Ausbildung häufiger betroffen als solche mit abgeschlossener Berufsausbildung oder tertiärem Bildungsabschluss. Hinsichtlich des Alters verteilen sich atypische Beschäftigungs-verhältnisse über alle Gruppen, allerdings mit einem überdurchschnittlichen Anteil junger Arbeitnehmer (15 bis 24 Jahre), deren Arbeitsverträge häufig befristet sind und zudem auf Teilzeitbasis starten. Schließlich sind Nicht-EU-Ausländer häufiger betroffen als EU-Ausländer und Inländer14.

6.4 Soziale Risiken atypischer Beschäftigung

6.4.1 Sind atypische Beschäftigungsverhältnisse prekär?

Die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse impliziert eine Steigerung sozia-ler Risiken während und nach der Erwerbsphase. Diese Tatsache führt zu der Frage nach dem Zusammenhang von atypischer und prekärer Beschäftigung15. In der poli-tischen wie auch in der wissenschaftlichen Diskussion wird atypische häufig mit pre-kärer Beschäftigung gleich gesetzt16. Diese populäre, u. a. auf Konzepten von Bourdieu und Castel entwickelte Position versucht, Entwicklungen auf dem Arbeits-markt in breitere sozialwissenschaftliche Kontexte, d. h. Lebenszusammenhänge in der Ungleichheitsforschung, zu stellen17. Sie bleibt in Bezug auf unsere Fragestel-lung jedoch recht undifferenziert, weil sie nicht zwischen den nachstehenden objekti-ven Dimensionen von Prekarität unterscheidet und Kontextbedingungen nicht be-rücksichtigt18.

14 Statistisches Bundesamt, Atypische Beschäftigung auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Begleit-

material zum Pressegespräch am 9. September 2008 in Frankfurt am Main, Wiesbaden. 15 Rodgers, G. and Rodgers J. (eds) Precarious jobs in labour market regulation: The growth of

atypical employment in Western Europe. International Institute for Labour, Geneva 1989. 16 Für andere: Klaus Dörre, Prekäre Arbeit. Unsichere Beschäftigungsverhältnisse und ihre sozialen

Folgen, in: Arbeit 1 (2006), S. 181-193. 17 Vgl. einleitend „Abstieg – Prekarität – Ausgrenzung“, Aus Politik und Zeitgeschichte 33-34/2008,

11. August 2008. 18 Eine freiwillig gewählte, unbefristete Teilzeittätigkeit kann kurz- und mittelfristig unproblematisch

sein, wenn sie z. B. temporär die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert, und wenn das Einkommen aus einem Normalarbeitsverhältnis die materielle Basis sichert.

Atypische Beschäftigung – Entwicklung, Muster und Regulierungsprobleme

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Wir schlagen in Anlehnung an die von Rodgers19 in die Diskussion gebrachten Krite-rien vor, mehrere, vergleichsweise leicht zu operationalisierende, nicht rein subjekti-ve Dimensionen von Prekarität zu unterscheiden, die kombiniert auftreten können:

��ein subsistenzsicherndes Einkommen, wie international üblich definiert als zwei Drittel des Medianlohnes, wobei explizit zwischen Individual- und Haushaltsein-kommen zu unterscheiden ist,

��Integration in die Systeme sozialer Sicherung, vor allem in die Rentenversiche-rung,

��Beschäftigungsstabilität (bezogen auf ein möglichst ununterbrochenes Beschäfti-gungsverhältnis und nicht auf ein- und denselben Arbeitsplatz),

��Beschäftigungsfähigkeit (employability).

Grosso modo stufen die mittlerweile zahlreichen, auf unterschiedlichen Datensätzen basierenden empirischen Analysen atypische Beschäftigung als inferior gegenüber Normalarbeitsverhältnissen ein. Sie zeigen aber auch, dass nicht jedes atypische Beschäftigungsverhältnis als prekär einzustufen ist. Und umgekehrt sind Normalar-beitsverhältnisse nicht frei von Prekaritätsrisiken. Diese sind jedoch, gemessen an den genannten Kriterien, deutlich höher als bei Normalarbeitsverhältnissen.

Beim Lohn schneiden alle Formen atypischer Beschäftigung schlechter ab als Nor-malarbeitsverhältnisse, wenn man individuelle Merkmale kontrolliert. Unterschiede bestehen nicht nur zwischen normalen und atypischen Beschäftigungsverhältnissen sondern auch zwischen letzteren. Es besteht ein Gefälle von Prekaritätsrisiken. Be-sonders krass fallen die Lohnabschläge im Vergleich zu Beschäftigten mit Normalar-beitsverhältnis bei geringfügig Beschäftigten aus20, etwas moderater bei der Leihar-beit21, aber auch befristet22 und Teilzeitbeschäftigte23 sind nicht den Beschäftigten

19 Rodgers, G. (1989: Precarious work in Western europe: The state oft he debate, in: Rodgers, G.

and Rodgers J. (eds) Precarious jobs in labour market regulation: The growth of atypical employ-ment in Western Europe. International Institute for Labour, Geneva 1989

20 Vgl. Ch. Anger, J.Schmid, Gender Wage Gap und Familienpolitik, in: IW Trends 2 (2008), S. 55-68; W. Brehmer, H. Seifert (Anm. 12).

21 Vgl. Elke Jahn, Helmut Rudolph, Auch für Arbeitslose ein Weg mit Perspektive, in: IAB-Kurzbericht 20, (2002); Cordula Sczesny, Sophie Schmidt, Helen Schulte, Patrick Dross, Zeitarbeit in Nord-rhein-Westfalen. Strukturen, Einsatzstrategien, Entgelte, Endbericht, Dortmund 2008; Michael Kvasnicka, Axel Werwatz, Lohneffekte der Zeitarbeit, in: Bundesarbeitsblatt 2 (2006); Hartmut Sei-fert, Wolfram Brehmer, Leiharbeit: Funktionswandel einer flexiblen Beschäftigungsform, in: WSI-Mitteilungen 6 (2008).S. 335-341.

22 Vgl. Antje Mertens, Frances McGinnity, Einkommensverluste durch befristete Beschäftigung? Ein Überblick über den Stand der Debatte, in: Martin Kronauer/Gudrun Linne (Hrsg.), Flexicurity. Die Suche nach Sicherheit in der Flexibilität, Berlin 2005, S. 169-182; Johannes Giesecke, Martin Gross, Flexibilisierung durch Befristung. Empirische Analysen zu den Folgen befristeter Beschäfti-gung, in: Berndt Keller/Hartmut Seifert (Hrsg.), Atypische Beschäftigung – Flexibilisierung und so-ziale Risiken, Berlin 2007, S. 83-106.

23 Vgl. Elke Wolf, What Hampers Part-Time work. An Empirical Analysis of Wages, Hours Restrictions and Employment from a Dutch-German Perspective, ZEW economic studies 18, Mannheim 2003.

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mit Normalarbeitsverhältnissen gleichgestellt. Die ausgeprägte Lohndiskriminierung der geringfügig Beschäftigten dürfte mit der Subventionierung dieser Beschäftigungs-form zu tun haben. Selbst wenn man den jeweiligen Haushaltskontext berücksichtigt, resultieren aus diesen Zusammenhängen Probleme für die Subsistenzsicherung bzw. ein Armutsrisiko während und nach der Erwerbsphase im Rentenalter. Bereits aktuell beziehen gut 1,3 Mio. oder knapp 4 Prozent aller Beschäftigten wegen nur geringer Einkommen aufstockende öffentliche Transferleistungen.

Auch bei der Beschäftigungsstabilität zeigen sich signifikante Unterschiede. Als be-sonders instabil im Vergleich zu Normalarbeitsverhältnissen wird Leiharbeit einge-stuft24. Eine höhere Volatilität wird auch bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen diagnostiziert25. Für Teilzeitarbeit stellen Brehmer/Seifert26 eine gegenüber allen an-deren Formen höhere Beschäftigungsstabilität fest und führen diesen Befund darauf zurück, dass Teilzeitarbeit vor allem bei Frauen in der Familiengründungsphase den weiteren Verbleib im Erwerbsleben sichert. Ohne die Möglichkeit, bei veränderten familialen Bedingungen von Vollzeit- zu Teilzeitarbeit wechseln zu können, würden sie vermutlich häufig die Erwerbsarbeit unterbrechen.

Benachteiligt sind atypisch Beschäftigte außerdem beim Zugang zu betrieblich-beruflicher Weiterbildung27. Die Möglichkeiten, die eigene Beschäftigungsfähigkeit auf dem internen wie externen Arbeitsmarkt zu sichern, sind eingeschränkt. Das Ri-siko der Diskriminierung trifft Beschäftigte mit reduzierter Arbeitszeit stärker als die-jenigen mit befristeten Arbeitsverträgen. Diese Diskriminierung dürfte sich kaum durch verstärkte Aktivitäten in Eigenregie ausgleichen lassen, da die skizzierten Pre-karitätsrisiken kumulativ auftreten können. Aufgrund der schlechteren Entlohnung fehlen die finanziellen Ressourcen. Außerdem erschwert die relativ hohe Beschäfti-gungsinstabilität den Zugang zum Lernort Betrieb. Angesichts dieser mehrfachen Benachteiligungen droht eine Art „Teufelskreis“ wiederholter, durch Arbeitslosigkeit unterbrochener Phasen atypischer Beschäftigung, der bei eingeschränkten Qualifi-zierungschancen nur schwer zu durchbrechen ist und langfristig erhebliche soziale Risiken für die Betroffenen birgt.

24 Vgl. Michael Kvasnicka, Does Temporary Help Work Provide a Stepping Stone to Regular

Employment? NBER Discussion Paper w13843 Cambridge, 2008; Karl Brenke, Leiharbeit breitet sich rasant aus, in: DIW-Wochenbericht 19 ( 2008); W. Brehmer, H. Seifert (Anm. 11).

25 Vgl. Bernhard Boockmann, Tobias Hagen, Befristete Beschäftigungsverhältnisse – Brücken in den Arbeitsmarkt oder Instrumente der Segmentierung? Baden-Baden 2006; J. Giesecke, M. Gross (Anm. 22).

26 Vg. W. Brehmer, H. Seifert (Anm. 11). 27 Vgl. Katrin Baltes, Andrea Hense, Weiterbildung als Fahrschein aus der Zone der Prekarität

(2006); Eva Reinowski, Jan Sauermann, Hat die Befristung von Arbeitsverträgen einen Einfluss auf die berufliche Weiterbildung geringqualifiziert beschäftigter Personen? In: Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung 4 (2008), S. 489-499.

Atypische Beschäftigung – Entwicklung, Muster und Regulierungsprobleme

87

Die Bedeutung der aufgezeigten Prekaritätsrisiken wäre in dem Maße zu relativieren, wie atypische Beschäftigung als Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt und als nur kurzzeitige Durchgangsstation zu Normalarbeitsverhältnissen dienen würde. Die Aufwärtsmobilität funktioniert jedoch nur sehr eingeschränkt. Bei Arbeitsplatzwechsel gelingen Übergänge aus atypischer Beschäftigung in Normalarbeitsverhältnisse deutlich seltener als aus unbefristeter Vollzeittätigkeit. Befristet Beschäftigte und Leiharbeitnehmer münden nach Verlust ihres Arbeitsplatzes, wenn man den Verbleib in Arbeitslosigkeit außer Acht lässt, überproportional häufig wieder in vergleichbar unsichere Beschäftigungsformen28.

Stark eingeschränkt ist auch die Aufwärtsmobilität beim Einkommen. In einem Zeit-raum von vier Jahren verbleiben fast zwei Drittel der Personen im unteren Einkom-menssegment29. Diese Beharrungsquote ist in den letzten Jahren sogar gestiegen. Auf dem deregulierten Arbeitsmarkt fällt es schwerer, den Niedriglohnbereich zu ver-lassen und Anschluss an Aufwärtsmobilität zu finden. Offensichtlich bedeutet mehr Flexibilität nicht automatisch auch mehr Mobilität. Unklar bleibt, welche Faktoren mo-bilitätseinschränkend wirken. Diese Frage ist in der Arbeitsmarktforschung bislang unbeantwortet geblieben.

6.4.2 Langfristige Folgen

Die Entwicklungsmuster atypischer Beschäftigung werfen nicht nur die bisher analy-sierten, während der Erwerbsphase auftretenden Probleme auf (vor allem in Bezug auf Einkommenshöhe und Beschäftigungsfähigkeit bzw. -stabilität). Sie führen dar-über hinaus zu langfristigen Problemen der sozialen Sicherung, die in den vorliegen-den Analysen trotz ihrer erheblichen Bedeutung meistens unberücksichtigt bleiben. Die Folgen reichen über den Arbeitsmarkt hinaus in die Nacherwerbsphase und da-mit weit hinein in die soziale Sicherung, vor allem die Rentenversicherung. Diese Systeme sind in einem konservativen Sozialstaat wie der Bundesrepublik stark er-werbszentriert bzw. relativ strikt an den Kriterien des Normalarbeitsverhältnisses (mit Beitragsfinanzierung und Äquivalenzprinzip) ausgerichtet. Die Analyse der sozialen

28 Vgl. J. Giesecke, M. Gross (Anm. 22). Gensicke, M./Herzog-Stein, A./Seifert, H./Tschersich, M.

(im Erscheinen): Einmal atypisch – immer atypisch beschäftigt? Mobilitätsprozesse atypischer und normaler Arbeitsverhältnisse im Vergleich; Hierzu auch: Markus Promberger, Lutz Bellmann, Christoph Dreher, Frank Sowa, Simon Schramm, Stefan Theuer, Leiharbeit im Betrieb: Strukturen, Kontexte und Handhabung einer atypischen Beschäftigungsform. Abschlussbericht des Forschungsprojektes HBS-2002-418-3, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung, Nürnberg 2006.

29 Schäfer, H/Schmidt, J. (2009): Strukturen und Determinanten der Einkommensmobilität in Deutschland, In: Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.), Agenda 20D – Wege zu mehr Wachstum und Verteilungseffizienz, Köln, S. 131-168

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Folgeprobleme lässt die bisherigen strikten Grenzziehungen zwischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik obsolet erscheinen30. Reformansätze erfordern integrative Lösun-gen.

Die Kumulation sozialer Risiken bei atypisch Beschäftigten hat zur Folge, dass sie im Vergleich zu Beschäftigten mit Normalarbeitsverhältnissen häufiger nur Niedriglöhne beziehen, deshalb häufiger aufstockende Transferleistungen erhalten und wegen des größeren Beschäftigungsrisikos bzw. wegen nur kurzer Beschäftigungsphasen häufi-ger nach Arbeitsplatzverlust nur Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben. Besonders krass fallen die Unterschiede zwischen Leiharbeitnehmern und Beschäftigten mit Normalarbeitsverhältnis aus, abgesehen von den geringfügig Beschäftigten, die nicht in die Arbeitslosenversicherung einbezogen sind. Bei den Leiharbeitnehmern bezieht etwa jeder Zweite unmittelbar nach Arbeitsplatzverlust die geringeren Leistungen des Arbeitslosengeldes II, während es bei der Referenzgruppe nur knapp jeder Siebente ist. Der Hauptgrund für diese gravierende Differenz liegt in der nicht ausreichenden Dauer der vorangegangen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Hinzu kommt, dass ein Anspruch auf den Bezug von Arbeitslosengeld II voraussetzt, zu-nächst Ersparnisse, die über die Grenzwerte des sogenannten Schonvermögens hinausgehen, zur Subsistenzsicherung einzusetzen. Unter diesen Vorzeichen kann die den Beschäftigten abverlangte größere Eigenverantwortung bei der Alterssiche-rung nicht aufgehen.

Langfristig relevant ist sowohl individuell als auch kollektiv vor allem die unzurei-chende Integration in die Rentenversicherung. Längere Phasen einer Teilzeitbe-schäftigung oder ausschließlich ausgeübte Minijobs, aber auch Arbeitslosigkeit infol-ge von Befristungen, führen aufgrund geringer Beiträge zu nicht-subsistenzsichern-den Ansprüchen31. Die eingetretenen Veränderungen der Erwerbsformen erhöhen in individueller Perspektive das Risiko der Altersarmut. Es konnte in der Bundesrepublik über Jahrzehnte als gelöst angesehen werden, könnte in Zukunft jedoch wieder an Bedeutung gewinnt, wenn keine Maßnahmen ergriffen werden. In kollektiver Sicht belasten sie wegen der notwendigen, aufstockenden Transferzahlungen. die öffentli-chen Haushalte in beträchtlichem Maße und bergen das Risiko einer allmählichen Erosion der Beitragsbasis32.

30 Folgen für die individuelle Lebensführung oder die Gesundheit, die ebenfalls auftreten, bleiben hier

aus Platzgründen ausgeklammert. Eine breiter angelegte Einführung bietet Arne Kalleberg, Presidential Address: Precarious work, insecure workers: Employment relations in transition, American Sociological Review 74 (2009), S.1-22.

31 In Bezug auf die soziale Sicherung im Alter ist zu unterscheiden zwischen „klassischer“, abgeleiteter und eigenständiger Sicherung. In gleichstellungspolitischer Sicht geht es um die zuletzt genannte Variante.

32 Bei der Unterscheidung zwischen abgeleiteten und eigenen Ansprüchen müsste es um eigene gehen.

Atypische Beschäftigung – Entwicklung, Muster und Regulierungsprobleme

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6.5 Ausblick

Resümierend lässt sich festhalten, dass atypische Beschäftigungsformen systema-tisch höhere Prekaritätsrisiken als Normalarbeitsverhältnisse aufweisen. Als nur ge-ring sind die Beschäftigungseffekte einzustufen. Insofern ist die Bilanz der Deregulie-rungsmaßnahmen ambivalent zu bewerten.

Angesichts dieses Befundes stellt sich die Frage, wie die Formen atypischer Be-schäftigung zukünftig behandelt werden sollen. Soll man weiterhin auf die Marktme-chanismen vertrauen und sie sogar durch weitere Deregulierungsmaßnahmen för-dern33 - oder soll man sie politisch regulieren und dadurch gestalten? Im Rahmen der zweiten Option ginge es um die Minderung, im günstigsten Fall um die Eliminierung der skizzierten sozialen Risiken durch (Re-) Regulierung. Da die Formen atypischer Beschäftigung recht heterogen sind, müssen entsprechende Maßnahmen differen-ziert ansetzen und notwendigerweise zu einer „neuen Unübersichtlichkeit“ ihrer Re-gulierung führen.

Gleichwohl versprechen folgende generelle Regelungen und Gestaltungsprinzipien, die beschriebenen Prekaritätsrisiken zu mindern. Hierzu gehört die Verwirklichung, d. h. die faktische Durchsetzung des Equal-pay-Prinzips, das den deutlichen Lohn-abstand zwischen atypisch und regulär Beschäftigten einebnet. Bei einem funktionie-renden Marktmechanismus wäre angesichts der höheren Beschäftigungsrisiken so-gar mit einer Risikoprämie zu rechnen.

Deutschland gehört zu den wenigen EU-Mitgliedsländern, die keinen (gesetzlichen oder vertraglichen) Mindestlohn kennen. Ein kollektivvertraglich vereinbarter Lohn kann auf Antrag für allgemeinverbindlich für die betreffende Branche erklärt werden, was faktisch allerdings recht selten geschieht. - Atypisch Beschäftigte gehören über-proportional häufig zu den Arbeitnehmern, die „Armutslöhne“ beziehen, d.h. weniger als zwei Drittel des Medianlohnes verdienen. Ihnen würde die Einführung eines all-gemeinen gesetzlichen Mindestlohnes die Aussichten verbessern, durch das Ar-beitsentgelt die materielle Existenz sichern zu können. Allerdings würde ein Mindest-lohn in der diskutierten Größenordnung von 8,50 Euro das Problem von Niedriglöh-nen nicht völlig beseitigen können. Weiterhin würde ein allerdings erheblich verklei-nerter Personenkreis verbleiben, der trotz Vollzeitbeschäftigung auf aufstockende Transferleistungen angewiesen bliebe.

Generelle (gesetzlich oder tarifvertragliche Ansprüche auf betrieblich-berufliche Wei-terbildung würden nicht nur die individuellen Arbeitsmarktchancen fördern, sondern ebenso die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes verbessern. Nicht zuletzt den im

33 Die im Herbst 2009 gewählte Regierung aus CDU/CSU und FDP plant zwei Maßnahmen:

Bei der geringfügigen Beschäftigung (Minijobs) eine Erhöhung und Dynamisierung der bestehenden 400-Euro-Grenze, bei der Befristung eine Lockerung der Höchstgrenze von zwei Jahren sowie die Möglichkeit einer erneuten Befristung bei demselben Arbeitgeber.

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internationalen Vergleich eher nur mittelmäßigen Weiterbildungsaktivitäten der Be-triebe in Deutschland ist es zuzuschreiben, dass sich im letzten Konjunkturauf-schwung Mismatch-Probleme verschärft hatten. Gravierende Funktionsstörungen am Arbeitsmarkt drohen langfristig. Der demografische Wandel bei anhaltendem techni-schen und organisatorischem Fortschritt sowie dem Wandel zur Dienstleistungsge-sellschaft erfordert eine höhere Beteiligung der Beschäftigten an beruflicher Weiter-bildung. Diese Anforderungen an lebenslanges Lernen aber erfüllt der Anstieg atypi-scher Beschäftigung gerade nicht. Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind kein guter Wegbegleiter in die Wissensgesellschaft.

Die vor allem bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen und Leiharbeit systema-tisch hohe Beschäftigungsinstabilität rechtfertigt eine Art Risikosprämie, wie sie eini-ge EU-Länder kennen, zum Ausgleich der ungleich verteilten Risiken.

Eine dritte generelle Reformperspektive betrifft die Alterssicherung. Eine systemkon-forme Alternative wäre der systematische Übergang zu einer dreistufigen Lösung aus allgemein-steuerfinanzierter Basissicherung, beitragsfinanzierten Ansprüchen aus der Erwerbstätigkeit gemäß dem geltenden Äquivalenzprinzip sowie freiwilliger Zu-satzversicherung; die zuletzt genannte Säule rein privater Sicherung setzt allerdings ein entsprechendes Einkommen voraus. Eine weiter gehende, nicht-systemkonforme Lösung wäre die Einführung einer bedarfsorientierten Mindestsicherung im Alter, die unabhängig von den Voraussetzungen einer vorherigen Erwerbstätigkeit auszuges-talten und aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu finanzieren wäre. Ihre Einfüh-rung wird seit langem auch unabhängig von der Entwicklung atypischer Beschäfti-gungsverhältnisse und des drohenden Problems der Altersarmut diskutiert, gewinnt jedoch in unserem Kontext an aktueller Bedeutung.

Einen Ansatz, der die genannten Reformvorschläge konzeptionell integrieren könnte, bieten die neu aufgekommenen Überlegungen zu Flexicurity. Sie verlagern die Rich-tung der Auseinandersetzung um die Regulierung des Arbeitsmarktes. Das Konzept soll die von den Unternehmen geforderte höhere Flexibilität mit den Interessen der Arbeitnehmer an mehr sozialer Sicherheit besser austarieren als dies bisher unter den Vorzeichen von ausschließlicher Flexibilisierung und Deregulierung geschehen ist34. Es ist der - nach der Anwendung in einzelnen Mitgliedsländern der Europäi-schen Union, vor allem den Niederlanden und Dänemark, inzwischen auch von der Kommission der EU offiziell zum Teil der europäischen Beschäftigungspolitik erklärte – Versuch, eine Kombination von Flexibilität und sozialer Sicherung zu erreichen35.

34 Vgl. als Einführung und Überblick M. Kronauer, G. Linne (Anm. 22). 35 Berndt Keller, Hartmut Seifert, Flexicurity: Ein europäisches Konzept und seine nationale

Umsetzung. Expertise für die Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2008.

Atypische Beschäftigung – Entwicklung, Muster und Regulierungsprobleme

91

Abb. 6.1 Dr. Hartmut Seifert, ehem. Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissen-

schaftlichen Instituts (WSI) in der Hans- Böckler-Stiftung (HBS), beim Impulsreferat über atypische Arbeitsverhältnisse mit deren Prekaritätsrisiken für Beschäftigte und Arbeitsuchende

Abb. 6.2 Dipl.-Ing. Christoph Thust (Leiter der Technischen Überwachung der

Infracor GmbH, Marl) und Prof. Dr. Ralf Pieper (Bergische Universität Wuppertal) bei der Moderation der Diskussion beim 60. Sicherheits-wissenschaftlichen Kolloquiums in Wuppertal (v.l.n.r.)

Maika Beer

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7 Konzepte des Arbeitsschutzrechts in Skandi-navien und ihr Einfluss auf das europäische Recht (MAIKA BEER)

61. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 11. Mai 2010 in Wuppertal

Ass. jur. Maika Beer ehem. wiss. Mitarbeiterin im Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und

Europäisches Arbeits-, Unternehmens- und Sozialrecht in der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Witten

7.1 Einleitung

Im Folgenden sollen Konzepte des dänischen, schwedischen und norwegischen Ar-beitsumweltrechtes in Hinblick auf die Partizipation der Arbeitnehmer und deren Ein-flüsse auf das Europäische Recht im Überblick beleuchtet werden.

Obwohl es einige bedeutende Unterschiede bzgl. des dänischen, schwedischen und norwegischen Arbeitsrechtes gibt, so kann doch festgehalten werden, dass die skan-dinavischen Staaten einer vergleichbaren arbeitsrechtlichen geschichtlichen Entwick-lung unterlagen, sich vergleichbare Strukturen am Arbeitsmarkt vorfinden lassen und die Staaten wesentliche gemeinsame arbeitsrechtliche Prinzipien teilen. Dies wurde durch eine enge politische und wirtschaftliche Verbundenheit der Länder gefördert, die sich beispielsweise in der Initiierung des Nordischen Rates (Nordisk Råd, 1952) oder des Nordischen Ministerrates (Nordisk Ministerråd, 1971) sowie einem gemein-samen Dachverband der Nordischen Gewerkschaften (Nordens fackliga Samorgani-sation, NFS, 1972) widerspiegelt.

Des Weiteren hat die Europäische Union in den letzten 20-30 Jahren verschiedene Richtlinien erlassen, die das Arbeitsrecht in den skandinavischen Staaten beeinflusst haben. Zwar ist Norwegen kein Mitglied der Europäischen Union, aber als ein EFTA-Staat ebenfalls an die Umsetzung arbeitsrechtlicher europäischer Richtlinien gebun-den.

Konzepte des Arbeitsschutzrechts in Skandinavien und ihr Einfluss auf das europäische Recht

93

7.2 Das Nordische Modell

Sowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber sind in großem Umfang in Ge-werkschaften bzw. Arbeitgeberverbänden organisiert. So liegt der gewerkschaftliche Organisationsgrad Schwedens bei circa 80 %, Dänemarks bei circa 75 % und Nor-wegens bei circa 55 %, während im Vergleich dazu Deutschland einen Organisati-onsgrad von circa 23 % aufweist.

Der nordische Arbeitsmarkt wird weitgehend durch Kollektivverträge ergänzt. Die starke Position und die Macht der Gewerkschaften beeinflussen daher fast alle Wirt-schaftszweige. Kollektivvereinbarungen dienen u.a. der Konkretisierung von gesetz-geberischen Generalklauseln im Arbeitsrecht und spielen auch im Bereich des Ar-beitsumweltrechts neben den arbeitsumweltrechtlichen Rahmengesetzen und den sie ausfüllenden Verwaltungsvorschriften eine nicht unwesentliche Rolle.

7.3 Reformgesetze der 70er Jahre

Die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts werden in der arbeitsumweltrechtlichen skandinavischen Literatur als Dekade der Neuorientierung betitelt. Dies hat den Hin-tergrund darin, dass das Thema Arbeitsschutz aufgrund größerer und Aufsehen er-regender Arbeitsunfälle in den 60er Jahren1 in der skandinavischen Gesellschaft vermehrt Gegenstand politischer und juristischer Debatten wurde sowie auch auf in-ternationaler Bühne ein neues Bewusstsein bzgl. des Arbeitsschutzes wuchs2.

Das skandinavische Verständnis veränderte sich weg vom Begriff des rein techni-schen Arbeitsschutzes hin zum Begriff der Arbeitsumwelt3 und soll damit soziale Fak-toren sowie Langzeitwirkungen und Wechselwirkungen von einzelnen Arbeitseinflüs-sen einbeziehen.

Durch die Initiierung von wissenschaftlichen Pilotprojekten und Fallstudien beein-flussten sich die skandinavischen Staaten gegenseitig und tauschten Erfahrungen untereinander aus.

1 Zu den größten Arbeitsunfällen in Skandinavien dieses Jahrzehnts gehörte 1962 die Explosion

in einem Bergwerk in Ny Ålesund, Norwegen, welche auf Mängel im Sicherheitsverfahren und fehlende Kommunikation zurückzuführen ist.

2 Zu denken ist hier insbesondere an die ILO-Konventionen und die entsprechenden ILO-Empfehlungen.

3 Der Begriff „Arbeitsumwelt“ ist die Übersetzung von „arbetsmiljö“ (Schwedisch), arbejdsmiljø (Dänisch) bzw. arbeidsmiljø (Norwegisch).

Maika Beer

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Die Ende der 70er Jahre in den jeweiligen Ländern erlassenen arbeitsumweltrecht-lichen Rahmengesetze, welche maßgeblich von den Gewerkschaften durch deren Mitwirkung in den vorbereitenden Gesetzesausschüssen mit beeinflusst wurden, ha-ben alle zum Ziel, eine gesunde Arbeitsumwelt unter Beteiligung der Arbeitnehmer zu sichern. Deren grundlegende Bestimmungen sind heute noch in Kraft.

Den Gesetzen ist gemein, dass den Arbeitgebern aufgrund der öffentlich-rechtlichen Fürsorgepflicht gegenüber den Arbeitnehmern eine generelle und umfassende Ver-antwortung zugewiesen wird, die betriebliche Sicherheitsorganisation jedoch unter wesentlicher Beteiligung der Arbeitnehmer zu erfolgen hat.

Dabei wurden unterschiedliche Institute mit Arbeitnehmerbeteiligung entwickelt, die zwar in den Grundzügen in den hier vorgestellten drei Staaten gleich sind, im Kon-kreten jedoch je nach nationalem Gesetz Unterschiede aufweisen. Grundsätzlich ist den skandinavischen Staaten jedoch gemein, dass sich neben speziellen, den Ar-beitsumweltgesetzen zu entnehmenden Beteiligungsinstituten, wie z. B. Schutzbe-auftragter und Schutzkomitee, gleichfalls allgemeine Mitarbeitervertretungen im Be-reich der Arbeitsumwelt finden lassen.

Der Schutzbeauftragte ist dabei der Vertreter der Arbeitnehmer in Fragen des Ar-beitsschutzes und wird für jeden größeren Arbeitsbereich in Betrieben mit mindes-tens 10 (in Schweden ab 5 Arbeitnehmern) aus der Mitte der Arbeitnehmer gewählt. Die Wahl erfolgt entweder durch die Arbeitnehmer des Betriebes4 oder durch die ört-liche Gewerkschaft5. Neben der Beteiligung an der Planung und Durchführung von arbeitsumweltrechtlichen Maßnahmen besteht seine Aufgabe auch in der Beratung der Arbeitnehmer und der Kontrolle der einzuhaltenden Schutzvorschriften bis hin zum Recht, die Arbeit bei unmittelbarer Gefahr – auch gegen den Willen des Arbeit-gebers – vorläufig einstellen zu lassen.

Daneben wird in Betrieben mit 20 Arbeitnehmern (Dänemark) bzw. 50 Arbeitnehmern (Norwegen und Schweden) ein Schutzkomitee eingerichtet, welcher als paritätisch besetzter Ausschuss aus Repräsentanten des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer besteht. Neben Beratungs- und Kontrollrechten liegt seine Aufgabe in der Fassung von arbeitsumweltrechtlichen Beschlüssen, bei welchen dem Arbeitgeber grundsätz-lich eine Umsetzungspflicht trifft.

In Schweden und Norwegen wird daneben noch ein regionaler Schutzbeauftragter in einem bestimmten geographischen Gebiet oder einer Branche einberufen, der meh-rere Betriebe betreut und nicht zu den Arbeitnehmern des Betriebes zählt. In Schwe-den beispielsweise wird er von den allgemeinen Steuereinnahmen finanziert und von

4 Norwegen und Dänemark

Konzepte des Arbeitsschutzrechts in Skandinavien und ihr Einfluss auf das europäische Recht

95

der örtlichen Gewerkschaft, die Mitglieder in den jeweiligen Unternehmen haben, be-stimmt. In Schweden gibt es derzeit circa 1300 regionale Schutzbeauftragte, die die gleichen rechtlichen Kompetenzen wie die Arbeitsschutzbeauftragten haben.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Dänemark mit dem Arbeitsumweltrat und dem Bran-chensicherheitsrat, die sich jeweils aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden zusammensetzen und den Gesetzgeber vor Verabschiedung neuer Gesetze beraten bzw. als Ansprechpartner für arbeitsumweltrechtliche Fragestellungen innerhalb ei-ner Branche zur Verfügung stehen.

Obwohl die Umsetzung der gesetzlichen Verpflichtungen aus den jeweiligen Rahmengesetzen bereits kurz nach deren Inkrafttreten in vielen Betrieben erfolgte6, stagnierte die Zahl von Arbeitsunfällen während Berufskrankheiten weiterhin anstie-gen. Dieser Effekt, der in der wissenschaftlichen Literatur als „sidevogn“-Effekt7 beti-telt wird, wurde darauf zurückgeführt, dass Arbeitsschutz immer noch als Konkurrenz zu rein wirtschaftlichen Fragen angesehen wurde und trotz der neuen Strukturen kei-ne aktive Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer stattfand. Viele Arbeitgeber überließen arbeitsschutzrechtliche Fragen des Betriebes lediglich als „Beiwerk“ alleinig den Sicherheitsorganisationen.

7.4 Der Einfluss der skandinavischen Staaten auf die europäi-sche Gesetzgebung im Bereich der Arbeitsumwelt

In den 80er Jahren war von den hier vorgestellten Staaten lediglich Dänemark Mit-glied der Europäischen Union. Lange Zeit herrschte in der dänischen Gesellschaft Skepsis bzgl. der europarechtlichen Bestrebungen auf dem Gebiet des Arbeits-schutzrechtes; fürchtete man doch um das nordische Modell und die Rolle der Sozi-alpartner. So sprach sich noch im Juni 1985 der dänische Premierminister gegen eine Ausweitung der europäischen Kompetenzen und die Bildung der EEA, der Ein-heitlichen Europäischen Akte mit dem Ziel eines Europäischen Binnenmarktes, aus.

Als jedoch der Europäische Rat für die Verabschiedung der EEA stimmte, nahm Dä-nemark eine aktive Rolle bei der rechtlichen Ausgestaltung der EEA ein und forderte, der Europäischen Gemeinschaft Kompetenzen zum Erlass von Mindestvorschriften im Bereich der Arbeitsumwelt einzuräumen. Insbesondere der Wortlaut des Art. 118a EWGV, der die Grundlage zum Erlass der Europäischen Rahmenrichtlinie 89/391

5 Schweden 6 In Schweden hatten 1980, also zwei Jahre nach Inkrafttreten des Rahmengesetzes, bereits 90%

aller Betriebe mit über 50 Arbeitnehmern ein Schutzkomitee errichtet. 7 Übersetzung der Verfasserin: Beiwagen-Effekt

Maika Beer

96

EWG8 bildet, welche wiederum als Grundgesetz des Arbeitsschutzes angesehen wird, ist maßgeblich von Dänemark mitbestimmt wurden. So basiert der Wortlaut „insbesondere der Arbeitsumwelt“ auf dem dänischen Formulierungsvorschlag.

Die Zielsetzung der daraufhin am 12.06.1989 erlassenen Rahmenrichtlinie 89/391 EWG ist es, den Arbeitsschutz bei gleichzeitiger Harmonisierung der bestehenden nationalen Vorschriften weiterzuentwickeln und zu verbessern. Leitbild sind also ins-besondere die im Bereich des Arbeitsschutzrechtes weit entwickelten Staaten, zu denen auch die skandinavischen Staaten zählen.

Die Rahmenrichtlinie stellt hierzu Mindestvorschriften auf, die im Bereich der betrieb-lichen Partizipation neben Informationsrechten der Arbeitnehmer auch Anhörungs- und Beteiligungsrechte umfasst. Dabei differenziert die Richtlinie zwischen Arbeit-nehmervertreter und Arbeitnehmervertreter mit einer besonderen Funktion bzgl. der Sicherheit und beim Gesundheitsschutz. Mit dieser Dualität unterscheidet sich die Rahmenrichtlinie von anderen europäischen Richtlinien, die Partizipationsrechte für Arbeitnehmer festlegen.

Diese Dualität von allgemeinen und speziellen Arbeitnehmervertretungen ist dem skandinavischen Recht wohl bekannt.

7.5 Umsetzung der Rahmenrichtlinie in Dänemark, Norwegen und Schweden am Beispiel der Gefährdungsbeurteilung

Die Frist zur Umsetzung der europäischen Rahmenrichtlinie 89/391 EWG in nationa-les Recht lief zum 31.12.1992 ab. Zu diesem Zeitpunkt war von den hier untersuch-ten skandinavischen Staaten nur Dänemark Mitgliedsstaat der Europäischen Ge-meinschaft.

Das Institut der Gefährdungsbeurteilung an sich als eine Dokumentation und Bewer-tung von Risiken unter Beteiligung der Arbeitnehmer war dem skandinavischen Ver-ständnis nicht fremd. Bereits 1981 wurde in Norwegen die Verpflichtung zu einer „In-ternen Kontrolle“ von Offshore-Arbeitsstätten eingeführt, was 1987 zu einer wissen-schaftlichen Untersuchung darüber führte, ob die „Interne Kontrolle“ in sämtlichen Arbeitsbereichen einzuführen sei. Die daraus resultierenden Forschungsergebnisse und Erkenntnisse flossen gleichfalls in die europäische Gesetzgebung mit ein.

In Dänemark ging man davon aus, dass das nationale Arbeitsumweltgesetz aufgrund des Leitbildcharakters Skandinaviens und der aktiven Teilnahme Dänemarks an der Gestaltung der Rahmenrichtlinie den Anforderungen der Rahmenrichtlinie entsprä-che und nur geringfügige Änderungen vorzunehmen seien. Die Verpflichtung des

8 Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur

Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit

Konzepte des Arbeitsschutzrechts in Skandinavien und ihr Einfluss auf das europäische Recht

97

Arbeitgebers, Gefährdungsbeurteilungen gem. Art. 6 Abs. 3 Buchstabe a) und Art. 9 Abs. 1 Buchstabe a) der Rahmenrichtlinie zu verfassen, ist dabei die wichtigste Neu-erung, die das europäische Arbeitsumweltrecht für das dänische nationale Recht mit sich brachte9.

Im Arbeitsumweltrat, einen Gremium aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden, fand man den Kompromiss, die neuen europäischen gesetzlichen Anforderungen auf alle Arbeitsstellen auszuweiten, bzgl. des Schriftformerfordernisses jedoch nur be-sonders gefährliche Arbeitsbereiche zu verpflichten. Dies änderte sich erst mit der Gesetzesreform von 1997, die zum einen auf den 1993 vollzogenen Regierungs-wechsel zu den Sozialdemokraten und zum anderen auf neue wissenschaftliche Studien über die Effektivität der Arbeitsumweltpolitik zurückzuführen ist. Die Gefähr-dungsbeurteilung wurde als Chance wahrgenommen, arbeitsumweltrechtliche Fra-gestellungen in die Entscheidungsprozesse des Arbeitgebers verstärkt einfließen zu lassen. Dementsprechend wurde nicht nur ein allgemeines Schriftformerfordernis sowie die Beteiligung der Arbeitnehmer im gesamten Prozess aufgestellt, sondern mittels Richtlinien des staatlichen Arbeitsaufsichtsamtes und der Branchenarbeits-umwelträte gleichfalls der Umfang der Bewertung von Risiken konkretisiert und als dynamischer Prozess verstanden.

Während die europäische Rahmenrichtlinie lediglich verlangt, dass die Risiken des jeweiligen Arbeitsplatzes bewertet werden, spricht der dänische Gesetzgeber davon, „arbejdspladsvuderingen“ (übersetzt: „Arbeitsplatzbeurteilung“) durchzuführen. Mit dieser Formulierung sollte erkennbar werden, dass es bei der Erfassung und Bewer-tung nicht um eine auf Expertenmeinungen basierte Risikoanalyse gehe, sondern vielmehr eine generelle Arbeitsplatzbeurteilung in Kooperation mit den Arbeitneh-mern angestrebt ist10.

Mit einer neuerlichen Reform 2004 wurde vor allem ein staatliches Screening-Programm eingeführt, bei welchem das Arbeitsaufsichtsamt alle dänischen Betriebe von 2005 bis 2016 mittels Arbeitsumweltzertifikaten in Form von grünen, gelben oder roten Smileys bewerten soll. Im Internet ist auf der Homepage des Arbeitsauf-sichtsamtes11 einsehbar, welcher Betrieb in diesem Aufsichtsverfahren wie abge-schnitten hat, wobei konkrete arbeitsumweltrechtliche Probleme des Betriebes nicht aufgelistet werden. Neben dem damit erzielten Publicity-Effekt und der Schärfung des Bewusstseins für Arbeitsumweltpolitik in der Gesellschaft bedeuten rote „Smi-leys“ für den jeweiligen Betrieb wiederholte und detailliertere Inspektionen, während grüne „Smileys“ u.a. eine Minimierung der aufsichtsrechtlichen Kontrollen bedeuten.

9 Nielsen, Arbejdsmiljøret S. 73 10 Jensen EID 2002, 205 11 www.at.dk

Maika Beer

98

Norwegen ist als EFTA-Staat ebenfalls über den Annex XVIII zum EWR-Abkommen zur Umsetzung der europäischen Rahmenrichtlinie verpflichtet. 1992 führte Norwe-gen eine „internkontrol“, also eine Interne Kontrolle ein, wobei – im Gegensatz zu den anderen skandinavischen Staaten – auch ökologische Aspekte wie z.B. Umwelt-schutz und Abfallverwertung einzubeziehen sind. Die Interne Kontrolle setzte damit im Wesentlichen die von der europäischen Rahmenrichtlinie aufgestellten Grundsät-ze über die Gefährdungsbeurteilung um. Dabei wurde die Einführung der internen Kontrolle nicht nur durch die Europäische Gesetzgebung, sondern auch durch die eigenen nationalen Erfahrungen begünstigt, die Norwegen seit 1981 mittels der Pi-lotprojekte in den „Offshore“-Betrieben sammeln konnte.

Zum 01.01.2006 trat in Norwegen ein neues Gesetz über die Arbeitsumwelt, Arbeits-zeit und Gleichstellung in Kraft12, das nun eine ausdrückliche Verantwortungszuwei-sung der Gefährdungsbeurteilung an den Arbeitgeber sowie konkrete Handlungsvor-gaben bei der Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen enthält. Vor allem aber for-dert das neue Gesetz die Verpflichtung der Arbeitnehmer zur Mitwirkung an der Be-urteilung.

Schweden, das bereits 1991 unter den Erfahrungen der norwegischen Pilotprojekte eine Interne Kontrolle ins nationale Arbeitsumweltgesetz aufnahm, konkretisierte und reformierte die Bestimmungen erst 2001 mit der Einführung der „Systematischen Ar-beitsumweltkontrolle“13. Die neu eingeführten Bestimmungen regeln, dass die tägli-che Arbeit in einem Betrieb ganzheitlich von einem systematischen Ansatz bzgl. ar-beitsumweltrechtlicher Fragestellungen geprägt sein soll. Sinn und Zweck der Einfüh-rung der „Systematischen Arbeitsumweltkontrolle“ ist es, der Arbeitsumweltarbeit den gleichen Stellenwert einzuräumen, der auch der Ökonomie, Produktion und andere Bereiche des Unternehmens vom Arbeitgeber eingeräumt wird und sie als ein In-strument zu begreifen, durch dass sich das Unternehmen an sich verbessern kann. Der Mitwirkung der Arbeitnehmer an diesem Prozess kommt dabei eine Schlüsselrol-le zu. Danach ist wesentliches Erfordernis, dass die Arbeitsschutzbeauftragten bei der Erstellung der Gefährdungsanalyse und des daraus resultierenden Handlungs-planes in sämtlichen Schritten mitwirken dürfen und sollen. Dieses Recht wird unter-mauert, indem den Arbeitsschutzbeauftragten bei jeglichen Änderungen des Arbeits-umfeldes ein umfassender Informationsanspruch eingeräumt wird. Daneben sollen allen Arbeitnehmern regelmäßig in schriftlicher Form Informationen über ihr persönli-ches Arbeitsumfeld bekommen.

12 Lov om arbeidsmiljø, arbeidstid og stillingsvern wurde beschlossen am 17.06.2005 und basierte

auf dem Gesetzesvorschlag Ot.prp.nr. 49 (2004-2005). 13 AFS 2001:1 und AFS 2003:4

Konzepte des Arbeitsschutzrechts in Skandinavien und ihr Einfluss auf das europäische Recht

99

7.6 Mitwirkung von Studierenden / Schülern an einer gesunden Arbeitsumwelt in der Schule – am Beispiel Schwedens

Die schwedischen Schulen sind mit ca. 1,4 Millionen Schüler und ca. 235 000 Be-schäftigten einer der größten Arbeitsplätze des Landes. Das Arbeitsumweltgesetz gilt nicht nur für die Beschäftigten sondern auch für die Schüler. Die Schüler werden folglich den Angestellten eines Unternehmens gleichgestellt14. Bereits seit 1990 sind in Schweden Schüler zur Mitwirkung in arbeitsumweltrechtlichen Fragen berechtigt. Für die Schüler ist die Schule auch in dieser Hinsicht eine Vorbereitung auf die zu-künftige Rolle der Schüler als aktive Akteure bzgl. der Arbeitsumwelt am künftigen Arbeitsplatz. Sie werden dadurch für die dann anzutreffenden arbeitsumweltrechtli-chen Fragestellungen auch sensibilisiert. Nach umfangreichen Vorschlägen des Schulaufsichtsamtes skolverket15 wurde die Partizipation der Schüler und Studieren-den an der schulischen bzw. universitären Arbeitsumwelt zum 01.01.2010 wesentlich ergänzt. Dabei wurde die Möglichkeit der Mitwirkung der Schüler bzgl. ihrer Arbeits-umwelt für alle Schüler festgeschrieben. Diese Partizipation soll an das Alter und der Reife der Schüler angepasst werden, jedoch auch Schüler der Vorschulen und Schü-ler in den unteren Klassenstufen umfassen. Sowohl die Beschäftigten der Schule als auch alle Schüler sollen die ihnen auffallenden Gefahren für die Gesundheit anzei-gen, Vorschläge zur Verbesserung unterbreiten und über die Effektivität bereits durchgeführter Maßnahmen berichten.

Daneben sieht das Gesetz vor, aus der Mitte der Schüler Schülerschutzbeauftragte zu wählen. Diese Art der Mitwirkung, die bereits seit 1990 Eingang in das Gesetz gefunden hat, wurde 2010 noch einmal ergänzt16. Schülerschutzbeauftragte sollen aus der Mitte der Schüler gewählt werden und mindestens die 7. Klassenstufe er-reicht haben. Es gibt keine gesetzlich festgelegte Anzahl von Schülerschutzbeauf-tragten, sondern deren Anzahl hat sich nach der Schülerschaft und den Verhältnis-sen an der Schule zu richten.

Der Schuldirektor ist verpflichtet, alle Schüler darüber zu unterrichten, welche Mög-lichkeiten ihnen offen stehen, aktiv an dem schulischen Arbeitsumfeld mitzuwirken und wie die rechtlichen Bestimmungen bzgl. der Wahl eines Schülerschutzbeauftrag-ten aussehen. Diese Informationspflicht dient außerdem dazu, die arbeitsumwelt-rechtlichen Kenntnisse der Schüler zu entwickeln.

Der Schülerschutzbeauftragte hat im Wesentlichen die gleichen Rechte wie ein Schutzbeauftragter: dies umfasst nicht nur einen arbeitsrechtlichen Anspruch auf In-formationen bzgl. geplanter Veränderungen im Betrieb und einen Anspruch auf Aus-

14 Rimsten, Skoljuridik 2. Aufl. S. 155 15 Skolverket Rapport „Elevmedverkan i arbetsmiljöarbetet“ v. 29.09.2003 16 Prop. 2008/09:138

Maika Beer

100

und Weiterbildung in arbeitsumweltrechtlichen Fragen sowie einen – trotz bestehen-der Schulpflicht – Freistellungsanspruch zum Zwecke der Ausübung ihres Amtes, sondern gleichfalls ein Mitsprache- und Initiativrecht hinsichtlich neuer Maßnahmen. Mit der Gesetzesänderung 2010 wurde das Recht des Schülerschutzbeauftragten noch weiter der Stellung des Schutzbeauftragten angeglichen: während vor der Re-form der Schülerschutzbeauftragte lediglich das Recht hatte dem Schutzausschuss ohne Stimmrecht beizuwohnen, ist diese Beschränkung zum 01.01.2010 entfallen. Die Schülerschutzbeauftragten haben nun nicht nur ein Vorschlagsrecht, sondern gleichfalls die Möglichkeit an den Beschlüssen des Ausschusses teilzunehmen. Eine Einschränkung gilt lediglich gemäß § 8 a der das Rahmengesetz ergänzenden Ar-beitsumweltverordnung, so dass Schülerschutzbeauftragte nicht berechtigt sind, al-leinig mit ihrer Stimme eine Beschlussfassung der übrigen Mitglieder des Ausschus-ses zu verhindern17. Ihnen ist auch das Recht, Arbeit bei Gefahr einstellen zu lassen, versagt.

Mit der Gesetzesreform 2010 wurde neben dem Schülerschutzbeauftragten das Insti-tut des Studierendenschutzbeauftragten eingeführt, der im Vergleich zu dem Schü-lerschutzbeauftragten eine stärkere Stellung einnimmt und gänzlich dem Schutzbe-auftragten gleichgestellt wird18. Die Studierendenschutzbeauftragten sind mit zwei Vertretern in dem vierteljährlich stattfindenden Schutzausschuss vertreten und ge-nießen die gleichen Mitwirkungsrechte wie die übrigen Mitglieder des Ausschusses19. Außerdem sind die Studierendenschutzbeauftragten rechtlich genauso geschützt wie die Schutzbeauftragten: dies bedeutet, dass sie nicht an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert werden dürfen. Anderenfalls steht ihnen ein Schadensersatzanspruch zu.

7.7 Skandinavien – auch heute noch ein Leitbild im Arbeits-umweltrecht?

Obwohl die hier untersuchten skandinavischen Länder selbst einen wesentlichen Einfluss auf die europäische Rechtsentwicklung im Arbeitsumweltrecht hatten, wur-den sie jedoch gleichfalls von den europäischen Direktiven beeinflusst.

Es stellt sich die Frage, ob Dänemark, Schweden und Norwegen auch heute noch im Arbeitsumweltrecht eine Vorreiterrolle einnehmen können.

17 Gullberg / Rundquist, Arbetsmiljölagen, 6. Kap. § 18, S. 250 18 LO Rapport “Skyddsombudes rättigheter och nyheter i arbetsmiljölagstiftningen”, 2009 S. 10 19 Hiervon ausgenommen sind wie oben ausgeführt die Schülerschutzbeauftragten.

Konzepte des Arbeitsschutzrechts in Skandinavien und ihr Einfluss auf das europäische Recht

101

Dabei fällt auf, dass arbeitsumweltrechtliche Fragen in der skandinavischen Gesell-schaft einen wesentlich höheren Stellenwert einnehmen als beispielsweise in Deutschland. Dies zeigt sich zum einen dadurch, dass Unternehmen aktiv mit dem Verweis auf die bei ihnen bestehenden Arbeitsumweltbedingungen für sich werben, und zum anderen auch an der Offenheit und Transparenz bezüglich dieses Themas, wie beispielsweise das dänische im Internet einsehbare Screening - Programm aller Betriebe belegt. Gleichzeitig sind wesentliche Informationen bzgl. der Arbeitsumwelt-arbeit sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber aufbereitet und auf den ent-sprechenden Seiten der staatlichen Aufsichtsämter als auch der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände im Internet kostenlos und leicht zugänglich abrufbar.

Die Europäische Rahmenrichtlinie 89/391 EWG war auf europäischer Ebene der Be-ginn für eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer in ihrer Arbeitsumwelt; allerdings ist die Rolle der Arbeitsschutzbeauftragten und ihre rechtliche Stellung in vielen Mit-gliedsstaaten noch weiter entwicklungsfähig20. So zeigt sich vor allem in kleineren und mittleren Unternehmen, dass es an einer Partizipation der Arbeitnehmer im Be-reich des Arbeitsschutzes mangelt. In diesem Bereich sind die skandinavischen Län-der mit den von den Gewerkschaften organisierten regionalen Arbeitsschutzbeauf-tragten im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten wegweisend.

Auch im Bereich der Arbeitsumwelt in der Schule nimmt zumindest Schweden mit der gesetzlichen Verpflichtung der Mitwirkung der Schüler und Studenten eine Vor-bildrolle ein. Diese gesetzliche Verpflichtung trägt nicht nur dazu bei, die Arbeitsum-welt in der Schule zu verbessern, sondern führt auch dazu, die Schüler für das The-ma zu sensibilisieren und auf ihre Verantwortung als künftige Arbeitnehmer und Ar-beitgeber vorzubereiten.

7.8 Literatur

Gullberg, Hans / Rundquist, Karl-Ingvar: Arbetsmiljölagen i lydelse den 1 januari 2010, Kommentarer och Författningar, 15. Auflage, Solna 2010

Jensen, Per Langaa: Assessing Assessment: The Danish Experience of Worker Participation in Risk Assessment, Economic and Industrial Democracy Vol. 23(2) 2002, 201-227

LO Rapport “Skyddsombudes rättigheter och nyheter i arbetsmiljölagstiftningen”, 2009, einzusehen unter: www.lo.se

20 Menéndez / Benach / Vogel, The impact of safety representatives on occupational health – A

European perspective, 2009, S.14

Maika Beer

102

Menéndez, María / Benach, Joan / Vogel, Laurent: The impact of safety represen-tatives on occupational health – A European perspective, ETUI Report 107, 2009

Nielsen, Ruth: Arbejdsmiljøret, 1. Auflage, 3. Ausgabe, Kopenhagen 2004

Rimsten, Olle: Skoljuridik, 2. Aufl. Solna 2008

Skolverket: Rapport Elevmedverkan i arbetsmiljöarbetet genom Elevskyddsombud vom 29.09.2003, einzusehen auf der Homepage: www.skolverket.se

Abb. 7.1 Ass. jur. Maika Beer, wiss. Mitarbeiterin im Lehrstuhl für Bürgerliches

Recht, Deutsches und Europäisches Arbeits-, Unternehmens- und Sozialrecht in der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, referierte am 11. Mai 2010 in Wuppertal über skandinavische Rechtskonzepte für die betriebliche Sicherheit und Gesundheit und ihren Einfluss auf die Europäische Union

Überwachungsbedürftige Anlagen – Herausforderungen für den Betreiber am Beispiel eines Müllheizkraftwerkes

103

8 Überwachungsbedürftige Anlagen – Heraus-forderungen für den Betreiber am Beispiel eines Müllheizkraftwerkes (HOLGER RABANUS)

62. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 18. Mai 2010 in Wuppertal

Dipl.-Ing. Holger Rabanus Leiter Arbeitssicherheit,

Abfallwirtschaftsgesellschaft mbH Wuppertal (AWG)

8.1 Einleitung

Zum Zwecke der Schaffung eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes hatte die Europäische Kommission Mitte der 1980er Jahre ein "Neues Konzept" ("New Ap-proach"1) für die technische Harmonisierung und Normung erstellt. Mit dem Konzept wird nach wie vor das Ziel verfolgt, die technischen Rechtsvorschriften und Normen zu harmonisieren und damit den freien Warenverkehr in Europa zu verbessern. Pa-rallel dazu wurde im Rahmen der „sozialen Dimension“ des gemeinsamen Marktes die Grundlage für Mindestvorschriften auf dem Gebiet des betrieblichen Arbeits-schutzes geschaffen. Seit 1987 sind in dem Zusammenhang zahlreiche EU-Richtlinien in Kraft getreten, von denen in Deutschland einige durch das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz bzw. durch die Arbeitsmittelbenutzungsverordnung und 2002 durch die Betriebssicherheitsverordnung in deutsches Recht umgesetzt wur-den. Die Einführung dieses neuen Systems und dessen Weiterentwicklung werfen zwangsläufig Fragen auf. Mit diesen Fragen werden insbesondere auch die Betreiber von Anlagen konfrontiert, da sie häufig in Eigenregie Anlagen zusammen bauen oder verändern lassen.

Beispielhaft soll die rechtliche Situation insbesondere von Änderungen an der Anlage am Beispiel eines Müllheizkraftwerkes mit ca. 100 Beschäftigten verdeutlicht werden.

1 Entschließung 85/C 136/011 des Rates vom 7. Mai 1985

Holger Rabanus

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Müllheizkraftwerke sind genehmigungsbedürftige Anlagen im Sinne des Bundesim-missionsschutzgesetzes2. §16 BImSchG3 behandelt die wesentliche Änderung, die dann ggf. einer Änderungsgenehmigung bedarf.

Abb. 8.1 Beispiel: Müllheizkraftwerk Wuppertal der Abfallwirtschaftsgesellschaft mbH Wuppertal (AWG)

In wie weit ein Müllheizkraftwerk auch der auf das BImSchG gestützten Störfallver-ordnung4 unterliegt, hängt im wesentlichen von der Art und Menge der umweltgefähr-lichen Betriebsstoffe ab, die dann mit den Mengenschwellen der Spalte 9a und 9b des Anhangs I der Störfallverordnung verglichen werden. Aber auch die Größe der explosionsfähigen Bereiche5 von Staub-Luft-Gemischen der Zone 20, kann zur An-wendung der Grundpflichten (ab 50m3) oder erweiterten Pflichten (ab 100m3) führen.

2 Anlage gem. Nr. 8.1 Spalte 1 der 4. BImSchV (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen) 3 "Bundes-Immissionsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 2002

(BGBl. I S. 3830), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. August 2009 (BGBl. I S. 2723) geändert worden ist"

4 12. BImSchV; Störfall-Verordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Juni 2005 (BGBl. I S.1598)

5 Definition siehe BetrSichV §2 Abs. (10)

Überwachungsbedürftige Anlagen – Herausforderungen für den Betreiber am Beispiel eines Müllheizkraftwerkes

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Für die Bereitstellung von Arbeitsmitteln durch den Arbeitgeber sowie für deren Be-nutzung durch Beschäftigte gilt in Deutschland die Betriebssicherheitsverordnung6, die am 3. Oktober 2002 in Kraft getreten ist. Abschnitt 2 BetrSichV enthält gemein-same Vorschriften für alle Arbeitsmittel. Danach hat der Arbeitgeber bei der Gefähr-dungsbeurteilung nach §§ 4 und 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und § 6 Gefahr-stoffverordnung (GefStoffV) die notwendigen Maßnahmen für die sichere Bereitstel-lung und Benutzung der Arbeitsmittel zu ermitteln, insbesondere Art, Umfang und Fristen von Prüfungen (§ 3 BetrSichV).

Der Arbeitgeber darf nach § 4 BetrSichV nur geeignete Arbeitsmittel zur Verfügung stellen. Die Eignung eines Arbeitsmittels bestimmt sich aus dem betrieblichen Ver-wendungszusammenhang. Zudem muss der Arbeitgeber darauf achten, dass die von ihm erstmalig zur Benutzung bereitgestellten Arbeitsmittels den zum Zeitpunkt ihres Inverkehrbringens geltenden Vorschriften entsprechen (§ 7 BetrSichV). Die entspre-chenden Beschaffenheitsanforderungen, für die der Inverkehrbringer einzustehen hat, ergeben sich entweder verpflichtend aus den Rechtsvorschriften, durch die EU-Recht in deutsches Recht umgesetzt werden, z. B. der Maschinenrichtlinie, oder aus den Mindestanforderungen des Anhangs 1 BetrSichV.

Die Pflicht zur Ermittlung der explosionsgefährdete Bereiche ist im § 5 BetrSichV verankert. Elektrische und mechanische Geräte innerhalb dieser explosionsgefährde-te Bereiche und Schutzsysteme fallen dann ebenfalls unter den dritten Abschnitt der BetrSichV. Die Erfüllung der Forderungen zur Erstellung des Explosionsschutzdoku-ments gem. § 6 BetrSichV hat für das Müllheizkraftwerk mehrere Jahre in Anspruch genommen:

��Erstellung des Explosionsschutzdokuments anhand der Genehmigungen und der Sicherheitsanalyse (2003-2004)

��Überprüfung der Theorie mit der Realität (2005-2006) ��Prüfung des Explosionsschutzdokuments durch den TÜV (2007) ��Ausbildung von „Befähigten Personen“ (2008) ��Prüfung der Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen gem. §15 durch eine

zugelassene Überwachungsstelle (2009-2010)

Beim Vorhandensein explosionsgefährdeter Staub-/Luftgemische ist zudem die schon erwähnte Störfallverordnung zu beachten. Im Anhang VII (Stoffliste für Anla-gen nach § 1 Abs. 3 BImSchG) der Störfallverordnung werden Mengenschwellen für explosionsfähige Staub-/Luftgemische vorgegeben. Bei der Erreichung dieser Schwellen müssen die Grundpflichten oder auch die erweiterten Pflichten der Stör-fallverordnung angewendet werden.

6 Betriebssicherheitsverordnung vom 27. September 2002 (BGBl. I S. 3777), zuletzt geändert durch

Artikel 5 Absatz 7 der Verordnung vom 26. November 2010 (BGBl. I S. 1643

Holger Rabanus

106

Tab. 8.1 Mengenschwellen gemäß Störfallverordnung Anhang VII (Teil 1: Stoffliste für Anlagen nach §1 Abs. 3 BlmSchG-Anlagen)

Nr.

Gefährliche Stoffe,Einstufungen 1)

$ 1 Abs. 3 Nr. 1aGrundpflichten

$ 1 Abs. 3 Nr. 2Erweiterte Pflichten

Spalte 1 Spalte 2 Spalte 4 Spalte 5

1 ExplosionsfähigeStaub-/Luftgemische

Die Summe aller Teilvolumina einer Anlage, die der Zone 20 nach der Verordnung über elektrische Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen (ElexV)

a) 50 m3 oderb) 100 m3, wenn die Anlage durchexplosionsfeste Bauweise geschützt ist.

Die Summe aller Teilvoluminaeiner Anlage, die der Zone 20nach der Verordnung überexplosionsgefährdeten Bereichen(ElexV) zuzuordnen sind, istgrößer als 100 m3.

Anlagen nachMengenschwellen

Die Benutzung besonders gefährlicher Arbeitsmittel, z. B. Druckbehälter mit einem entsprechenden Gefährdungspotenzial, muss den hierfür speziell unterwiesenen Be-schäftigten vorbehalten bleiben (§ 9 BetrSichV).

8.2 Inverkehrbringen und Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen

Die Betriebssicherheitsverordnung enthält im Abschnitt 3 besondere Regelungen für den Betrieb der überwachungsbedürftigen Anlagen. Für welche der überwachungs-bedürftigen Anlagen die Vorschriften der BetrSichV anzuwenden sind, wird im § 1 Abs. 2 BetrSichV festgelegt.

Die besonderen Vorschriften für überwachungsbedürftige Anlagen des Abschnitts 3 sind in den Paragraphen § 12 bis § 23 BetrSichV formuliert. Insbesondere bei Anla-genänderung ist hier der § 12, der den Betrieb dieser Anlagen regelt, von besonde-rem Interesse.

Bezogen auf das Inverkehrbringen müssen bei der erstmaligen Inbetriebnahme und bei wesentlichen Änderungen überwachungsbedürftige Anlagen i.S. von § 2 Abs. 7 des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes (GPSG)7 den Verordnungen nach § 3 Abs. 1 GPSG und dadurch umgesetzten EG-Richtlinien entsprechen. Diese Richtli-nien sind für die Hersteller von überwachungsbedürftigen Anlagen von großer Be-deutung. Bevor ein Produkt in der Gemeinschaft in den Verkehr gebracht wird, muss

7 Geräte- und Produktsicherheitsgesetz vom 6. Januar 2004 (BGBl. I S. 2 (219), zuletzt geändert

durch Artikel 3 Abs. 33 des Gesetzes vom 7. Juli 2005 (BGBl. I S. 1970)

Überwachungsbedürftige Anlagen – Herausforderungen für den Betreiber am Beispiel eines Müllheizkraftwerkes

107

der Hersteller es einem in der anwendbaren Richtlinie vorgesehenen Konformitäts-bewertungsverfahren unterziehen. Als in Frage kommende Richtlinien ist hier bei-spielhaft, die Druckgeräterichtlinie8 zu nennen.

Aufzüge (RL 95/16/EG)

Geräte und Schutzsysteme in Ex-Bereichen (RL 94/9/EG)

Aufzugsanlagen zum Heben

von Personen (RL 98/37/EG)

Druckgeräte (RL 97/23/EG)

Einfache Druckbehälter (2009/105/EGRL

ehemals 87/404/EWG)

Lageranlagen/Abfüllstellen Tankstellen

BetrSichV

Abb. 8.2 Überwachungsbedürftige Anlagen gem. §1 Abs. 2 der BetrSichV

Für den überwiegenden Teil der überwachungsbedürftige Anlagen gem. § 2 Abs. 7 GPSG sind gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 BetrSichV die Vorschriften dieser Verordnung anzuwenden. Im Hinblick auf die Montage, die Installation und den Betrieb von über-wachungsbedürftigen Anlagen wird in § 12 BetrSichV auf den Stand der Technik und die Technischen Regeln zur Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) verwiesen.

8 Richtlinie 97/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Mai 1997 zur Anglei-

chung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Druckgeräte (Amtsblatt Nr. L 181 vom 09/07/1997 S. 0001 – 0055)

Holger Rabanus

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8.3 Wesentliche Veränderung

Ein Produkt9, an dem nach seiner Inbetriebnahme Veränderungen mit dem Ziel der Modifizierung seiner ursprünglichen Leistung, Verwendung oder Bauart vorgenom-men worden sind, kann gemäß des Gesetzes über technische Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte (Geräte- und Produktsicherheitsgesetz - GPSG) als neues Produkt angesehen werden. Dies ist bei einer wesentlichen Veränderung der Fall. Auch im §13 BetrSichV gilt hinsichtlich der „Wesentlichen Veränderung“ ein Erlaub-nisvorbehalt.

Der Fall der „Wesentlichen Veränderung“ soll am Beispiel des Umbaus einer Rauch-gasreinigungslinie diskutiert werden. Im Rahmen der Anlagenerneuerung und -opti-mierung eines Müllheizkraftwerkes wird eine Rauchgasreinigungsanlage grundle-gend umgestaltet. Sie ist eingebunden zwischen mehreren Dampfkesseln und nach-geschalteten Rauchgasreinigungsstufen (siehe Abbildung 8.3).

Abb. 8.3 Veränderung einer Rauchgasreinigung in einem Müllheizkraftwerk

Die Umgestaltung umfasst den Abriss alter Komponenten (E-Filter, Saugzug, Rauchgaskanalabschnitte), den Umbau eines Sprühabsorbers und den Neubau ei-nes Schlauchfilters einschließlich der zugehörigen Rauchgaskanäle und Nebenanla-gen (Saugzug, Förderanlagen).

Die erste Fragestellung im Hinblick auf die Palette der in Frage kommenden Pflichten lautet: Welcher Art ist die Veränderung? Handelt es sich bereits um ein „neues“ Pro-dukt im Sinne des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes? Diese Frage kann im Sinne des „neuen“ Rechts nur im Rahmen einer Risiko- und Gefährdungsbeurteilung entschieden werden. Da es für die Betriebssicherheitsverordnung bis zur Veröffentli-

9 Definition gem. § 2 Abs. 1 GPSG

Überwachungsbedürftige Anlagen – Herausforderungen für den Betreiber am Beispiel eines Müllheizkraftwerkes

109

chung der TRBS 1123 „Änderungen und wesentliche Veränderungen von Anlagen nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BetrSichV - Ermittlung der Prüfnotwendigkeit gemäß § 14 Abs. 1 und 2 BetrSichV“ im Februar 2010 keine speziellen Leitfäden zur Ermitt-lung einer wesentlichen Veränderung gab, wurden zur Beantwortung dieser Frage die Normen aus dem Maschinenrecht, die Risikobeurteilung nach DIN EN ISO 12100 bzw. nach EN ISO 14121-1 (ehemals DIN EN 1050) herangezogen. Im vorliegenden Beispiel ergeben sich neue Risiken und als Ergebnis der Beurteilung wurde festge-legt, dass es sich um eine „Wesentliche Veränderung“ handelt. Neben objektiven Kriterien spielen bei der Entscheidung auch subjektive Erfahrungen und Einschät-zungen eine Rolle. Es ist daher ratsam, diese Risikobeurteilung in einem Team zu erarbeiten.

Gemäß §16 BImSchG10 ist das Bauvorhaben als „wesentliche Änderung“ einzustu-fen. Es ist eine Änderungsgenehmigung erforderlich. Die Begriffe der „wesentliche Veränderung“ gem. Betriebssicherheitsverordnung und „wesentliche Änderung“ gem. Bundesimmissionsschutzgesetz haben ihren Ursprung in unterschiedlichen Rechts-gebieten und müssen von einander getrennt gesehen werden.

Im weiteren Verlauf wird die Zuordnung zu den Richtlinien geprüft, um die sich dar-aus ergebenden Pflichten zu ermitteln. Gemäß der EN 12952-1 „Wasserrohrkessel und Anlagenkomponenten – Teil 1: Allgemeines“ und der Definition der TRBS 2141 „Gefährdungen durch Dampf und Druck – Allgemeine Anforderungen“ wird eine Rauchgasreinigung zum Umfang einer Wasserrohr-Dampfkesselbaugruppe gezählt. Auch ist die maßgebliche Gefahr, das Aufreißen der Rauchgaskanäle/-Anlagenteile mit dem Austritt von Rauchgas, eine Druckgefahr. Die Temperaturauslegung, die Strömungs- und Druckauslegung, sowie Erosionsreserven bestimmen maßgeblich die Hauptgefahr, die von einem solchem Anlagenteil ausgehen. Die maschinentech-nischen Gefahren von drehenden oder bewegenden Teilen (z. B. Saugzug und För-deraggregate), sind demgegenüber als Sekundärgefahren zu betrachten. Eine nicht unwesentliche Gefahr geht häufig auch von druckbeaufschlagten Begleitheizungen aus. Der Betreiber hat wie ein Hersteller hier gemäß der Risikoeinschätzung zu er-mitteln, welche Richtlinien in Frage kommen und angewendet werden. Bei einer Dampfkesselanlage ist es zweifelsfrei die Druckgeräterichtlinie, da Druckgeräte als Produkte gem. Artikel 1 Absatz (3) der bisherigen Maschinenrichtlinie 98/37/EG11

10 "Bundes-Immissionsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 2002

(BGBl. I S. 3830), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. August 2009 (BGBl. I S. 2723) geändert worden ist"

11 Richtlinie 98/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 zur Anglei-chung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen, Amtsblatt Nr. L 207 vom 23/07/1998 S. 0001 – 0046; Anmerkung: Die "alte" Maschinenrichtlinie 98/37/EG war noch bis einschließlich 28.12.2009 anzuwenden. Die "neue" Maschinenrichtlinie 2006/42/EG konnte bereits ab dem 29.12.2009 angewendet werden.

Holger Rabanus

110

ausdrücklich ausgenommen sind. In diesem Zusammenhang ist auch Artikel 3 der überarbeiteten Neufassung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG12 von Interesse. Zitat Artikel 3 der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG (seit dem 29.12.2009 gültig):

„Werden die in Anhang I genannten, von einer Maschine ausgehenden Gefährdun-gen ganz oder teilweise von anderen Gemeinschaftsrichtlinien genauer erfasst, so gilt diese Richtlinie für diese Maschine und diese Gefährdungen nicht bzw. ab dem Beginn der Anwendung dieser anderen Richtlinien nicht mehr.“

Im dem Beispiel des Umbaus der Rauchgasreinigungslinie wurde vom Betreiber ent-schieden, das aufgrund des Gefahrenpotentials und der Zugehörigkeit zur Dampf-kesselbaugruppe primär die Druckgeräterichtlinie anzuwenden ist.

Im Erwägungsgrund 5 der Druckgeräterichtlinie wird aber die rechtliche Anwendung eingegrenzt:

„...Diese Richtlinie gilt dagegen nicht für den Zusammenbau von Druckgeräten, der auf dem Gelände des Anwenders, beispielweise in Industrieanlagen, unter seiner Verantwortung erfolgt.“

Hier wird ausdrücklich auf die Eigenverantwortung verwiesen.

Gleiches gilt auch für Baugruppen, da nach der Definition im Artikel 1 Abs. 2.1.5 der Druckgeräterichtlinie eine Baugruppe im Sinne der Richtlinie von einem Hersteller zusammengebaut werden muss. Der Begriff „Hersteller“ ist hier durchaus von Bedeu-tung. Hersteller ist nach §2 Abs. 10 GPSG jede natürliche oder juristische Person, die ein Produkt herstellt oder ein Produkt wiederaufarbeitet oder wesentlich verändert und erneut in den Verkehr bringt. Da der Betreiber eines Müllheizkraftwerkes seine Anlage nicht in Verkehr bringt, ist er nach der Legaldefinition nicht Hersteller. In dem diskutierten Fall werden die Baugruppen durch den Betreiber zusammen gebaut. Dieser wird hierdurch im Sinne der Druckgeräterichtlinie daher nicht zum Hersteller.

Gestützt wird die Auffassung auch durch die LASI-Leitlinie zum Geräte- und Produkt-sicherheitsgesetz13. Hier ist zu § 1 Abs. 1 „Anwendung des Geräte- und Produktsi-cherheitsgesetzes bei der Eigenherstellung von Produkten“ die Fragestellung zur Eigenherstellung folgendermaßen beantwortet:

12 Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über

Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (Neufassung); Amtsblatt Nr. L 157 vom 09/06/2006 S. 0024 - 0086

13 LASI-Veröffentlichung - LV 46, Leitlinien zum Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG), Stand: September 2010, Herausgeber: Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI)

Überwachungsbedürftige Anlagen – Herausforderungen für den Betreiber am Beispiel eines Müllheizkraftwerkes

111

„Werden Produkte im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung zur ausschließli-chen Verwendung in der eigenen Unternehmung hergestellt, so finden kein Besitz-übergang und damit kein Inverkehrbringen im eigentlichen Sinne des Geräte- und Produktsicherheitsgesetz statt. Ausnahmen (siehe § 3 Abs. 1 Satz 2 Geräte- und Produktsicherheitsgesetz) sind die Bestimmungen der Maschinenverordnung (9. GPSGV § 3 Abs. 4) und der Aufzugsverordnung (12. GPSGV § 4 Abs. 5), in denen auch die Herstellung von Produkten für den Eigengebrauch geregelt wird.“

Der Umbau der Rauchgasreinigung erfolgt demgemäß im Verantwortungsbereich des Betreibers. Die Pflichten bezüglich des Erlaubnisvorbehalts im §13 BetrSichV und die Pflicht zur Prüfung vor Inbetriebnahme im §14 BetrSichV müssen aber be-achtet werden. Auch die Pflicht gem. §12, dass die überwachungsbedürftige Anlage nach einer wesentlichen Veränderung dem Stand der Technik entsprechen muss.

8.4 Änderung der Anlage

Aber auch bei Änderungen macht §12 BetrSichV Auflagen geltend. Überwachungs-bedürftige Anlagen dürfen nach einer Änderung, bei der die Sicherheit der Anlage beeinflusst wird, nur wieder in Betrieb genommen werden, wenn sie hinsichtlich der von der Änderung betroffenen Anlagenteile dem Stand der Technik entsprechen. Hier wird der Umfang auf die betroffenen Anlagenteile eingegrenzt. Der Begriff der Änderung ist hier von besonderem Interesse, da seine Abgrenzung naturgemäß schwierig ist. Inhaltlich entspricht der Begriff „Änderung“ dem Begriff der „wesentli-chen Änderung“ des alten Anlagenrechtes. Die Betriebssicherheitsverordnung defi-niert den Begriff im §2 Absatz (5) wie folgt:

„Änderung einer überwachungsbedürftigen Anlage im Sinne dieser Verordnung ist jede Maßnahme, bei der die Sicherheit der Anlage beeinflusst wird. Als Änderung gilt auch jede Instandsetzung, welche die Sicherheit der Anlage beeinflusst.“

Da eine Änderung eine Prüfung vor Inbetriebnahme gem. §14 Abs. 2 BetrSichV zur Folge hat, ist die Abgrenzung des Begriffes für Instandsetzungsarbeiten im laufenden Betrieb von großer Tragweite. Insbesondere die Formulierung „Als Änderung gilt auch jede Instandsetzung, welche die Sicherheit der Anlage beeinflusst.“ lässt einen großen Interpretationsspielraum zu.

Die DIN 31051 definiert Instandsetzung als Maßnahmen zur Rückführung einer Be-trachtungseinheit in den funktionsfähigen Zustand mit Ausnahme von Verbesserun-gen. Dies bedeutet: jede Maßnahme, die über die Bewertung des Zustandes des Gerätes Inspektion hinausgeht, ist eine Instandsetzung; also auch der Austausch einer Dichtung oder Armatur, z.B. Austausch der Dichtungen an Trommelwasser-standsanzeigern. Im Falle des Einbaus ungeeigneter Ersatzteile kann die Sicherheit

Holger Rabanus

112

der Anlage beeinflusst sein. Dies sicher zu stellen, liegt in der Organisationsverant-wortung des Betreibers. Legt man diese Instandsetzungsarbeiten generell als „Ände-rung“ im Sinne des § 2 Abs. 5 BetrSichV aus, dürfte das Anlagenteil bis zur Prüfung durch die zugelassene Überwachungsstelle gem. § 14 Abs. 2 nicht mehr betrieben werden. Eine solche Auslegung hätte weitreichende Folgen für den Betrieb der Anla-gen.

Es ist für die Zukunft zu hoffen, dass hier durch eine pragmatische Abgrenzung der Formulierung „welche die Sicherheit der Anlage beeinflusst“ nicht zu einer Ein-schränkung der Verfügbarkeit kommt. Für den Bereich des Explosionsschutzes wur-de mit der TRBS 1201 Teil 3 bereits eine Abgrenzung vorgenommen. Für die über-wachungsbedürftigen Anlagen im Bereich der Druckgeräterichtlinie ist eine ver-gleichbare Regelung wünschenswert.

8.5 Prüfung der überwachungsbedürftigen Anlagen

Eine der größten Herausforderungen ist sicherlich die Verlagerung von Verantwor-tung bei der Festlegung der Prüffristen der Gesamtanlage und der Anlagenteile. Gem. § 15 BetrSichV hat der Betreiber die Prüffristen der Gesamtanlage und der An-lagenteile auf der Grundlage einer sicherheitstechnischen Bewertung innerhalb von sechs Monaten nach der Inbetriebnahme der Anlage zu ermitteln.

Dies wirft insbesondere mit dem Hintergrund der Öffnung des deutschen Marktes für überwachungsbedürftige Anlagen, die nach anderen Regelwerken hergestellt wur-den, viele Fragen auf. Beispielhaft soll hier auf die Situation beim Kauf und Betrieb von Druckbehältern eingegangen werden.

D F B I NL GB S

Druck-behälter

5 1, 5-3 1-3 1-2 4 2,17 3

Dampf-kessel

3 1,5 1 2 2 1,17 1

Abb. 8.4 Maximale Prüfzeiträume für die innere Prüfung bei Druckbehältern und Dampfkessel der einzelnen europäischen Länder vor 2002

Überwachungsbedürftige Anlagen – Herausforderungen für den Betreiber am Beispiel eines Müllheizkraftwerkes

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Seit 2002 gilt in der Europäischen Union und damit auch in Deutschland für die Her-stellung von Druckgeräten allein das europäische Recht in Form der Druckgeräte-richtlinie. Die Einhaltung des AD-Regelwerkes der Arbeitsgemeinschaft Druckbehäl-ter ist nicht mehr zwingend gefordert. Ein Druckbehälter kann auch nach anderen europäischen Regelwerken unter Einhaltung der europäischen Druckgeräterichtlinie hergestellt und in Deutschland vertrieben werden. Die Regelwerke unterscheiden sich aber erheblich, was sich auch in unterschiedlichen Prüfzeiträumen widerspie-gelt.

Auch hinsichtlich der Herstellungskontrolle hat der Hersteller im Rahmen des Kon-formitätsbewertungsverfahrens nicht unerhebliche Variationsmöglichkeiten. Die Wahl des angewendeten Regelwerkes, als auch die Wahl des Konformitätsbewertungsver-fahrens haben Einfluss auf die Sicherheit der Anlage.

3 Seiten pro Behälter

16-32 Seiten pro System

Dampfkessel6 Kessel

RohrleitungssystemeHD, ND, Druckluft

Besonders überwachungs-bedürftige Druckbehälter

ca. 200

ArbeitsmittelDruckbehälter

ca. 100

Druckgeräte

3 Seiten pro Behälter

16-32 Seiten pro System

Dampfkessel6 Kessel

RohrleitungssystemeHD, ND, Druckluft

Besonders überwachungs-bedürftige Druckbehälter

ca. 200

ArbeitsmittelDruckbehälter

ca. 100

Druckgeräte

Abb. 8.5 Anzahl der Sicherheitstechnischen Bewertungen für das Müllheiz-

kraftwerk Wuppertal

Beim Betreiber liegt ein hohes Maß an Freiheit, aber auch an Verantwortung. Er muss gem. §15 BetrSichV eine sicherheitstechnische Bewertung vornehmen und dabei den Umfang der notwendigen Prüfungen ermitteln. Um seine sicherheitstech-

Holger Rabanus

114

nischen Bewertung ordnungsgemäß erstellen zu können, benötigt er Kenntnisse, die im Bereich des Herstellerrechtes liegen. Achtet er nicht bereits beim Einkauf auf die angewendeten Regelwerke und die besonderen Eigenschaften des Druckbehälters (z. B. Zahl der An-/Abfahrten, Korrosionszuschlag, Höhe der Wechselbeanspru-chung) wird er möglicherweise bei der Wahl der Prüfzeiträume weit unter seinen Er-wartungen bleiben.

DruckbehälterInnere Prüfung alle 5 Jahre

Festigkeitsprüfung alle 10 JahreÄußere Prüfung alle 2 Jahre

Rohrleitungen Äußere Prüfung alle 5 JahreFestigkeitsprüfung alle 5 Jahre

DampfkesselInnere Prüfung alle 3 Jahre

Festigkeitsprüfung alle 9 JahreÄußere Prüfung jedes Jahr

DruckbehälterInnere Prüfung alle 5 Jahre

Festigkeitsprüfung alle 10 JahreÄußere Prüfung alle 2 Jahre

Rohrleitungen Äußere Prüfung alle 5 JahreFestigkeitsprüfung alle 5 Jahre

DampfkesselInnere Prüfung alle 3 Jahre

Festigkeitsprüfung alle 9 JahreÄußere Prüfung jedes Jahr

Abb. 8.6 Maximale Prüffristen gem. §15 BetrSichV

In bestimmten Fällen ist die Prüfung einer überwachungsbedürftigen Anlage durch eine zugelassene Überwachungsstelle (ZÜS) erforderlich. Der Betreiber muss die Prüffristen innerhalb von sechs Monaten nach der Inbetriebnahme der überwa-chungsbedürftigen Anlage der zuständigen Behörde melden, wobei die gem. §15 vorgegebenen maximalen Prüffristen einzuhalten sind.

8.6 Gemeinsame Vorschriften, Schlussvorschriften

Der Ausschuss für Betriebssicherheit, hat gemäß §24 BetrSichV seit Inkrafttreten der Verordnung ein zeitgemäßes Regelwerk zu erarbeiten. Solange diese Regeln noch nicht vollständig erarbeitet sind, gelten die bisherigen Technischen Regeln weiter, allerdings nur bis zum 31.12.2012.

Prüfungen an überwachungsbedürftigen Anlagen, die von zugelassenen Überwa-chungsstellen (ZÜS) vorzunehmen sind, durften bis zum 31.12.2005 nur von den amtlich anerkannten Sachverständigen der Technischen Überwachungsvereine

Überwachungsbedürftige Anlagen – Herausforderungen für den Betreiber am Beispiel eines Müllheizkraftwerkes

115

vorgenommen werden. Prüfungen an überwachungsbedürftigen Anlagen, die nicht den Anforderungen einer Verordnung nach dem früheren § 4 GSG entsprechen, durften bis zum 31.12.2007 nur von amtlich anerkannten TÜV-Sachverständigen vorgenommen werden. Seitdem ist der Prüfmarkt „liberalisiert“14.

8.7 Fazit

Das derzeit bestehende Recht für überwachungsbedürftige Anlagen gewährt einen größeren Entscheidungsspielraum beim Kauf und bei der Festlegung der Prüffristen.

Gefährdungs-beurteilung?

Eigenverant-wortung

Verschlankungder Vorschriften

Abbau von Handels-hemmnissen

Platz für individuelle Lösungen

Gefahrenanalyse?

Abb. 8.7 Das neue Recht ein zweischneidiges Schwert

Auf der anderen Seite ist die Verantwortung des Betreibers bei der Auswahl und Be-trieb überwachungsbedürftige Anlagen massiv gewachsen. Insbesondere der Um-fang der Dokumentationspflichten, die sich aus der Gefährdungsbeurteilung bzw. sicherheitstechnischen Bewertung ergeben, hat beachtlich zugenommen.

14 Vgl. VDI-Nachrichten v. 4.1.2008

Holger Rabanus

116

Abb. 8.8 Dipl.-Ing. Holger Rabanus von der Abfallwirtschaftsgesellschaft mbH

Wuppertal (AWG) bei seinem Impulsreferat über Anlagensicherheit

Abb. 8.9 Dipl.-Ing. Bernhard Hoffman (RWE Power AG, Grevenbroich) und

Dipl.-Ing. Holger Rabanus (AWG, Wuppertal) nach dem Kolloquium

Stand und aktuelle Entwicklungen in der Anlagensicherheit

117

9 Stand und aktuelle Entwicklungen in der Anlagensicherheit (CHRISTIAN JOCHUM)

63. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 1. Juni 2010 in Wuppertal

Prof. Dr. Christian Jochum Vorsitzender der Kommission für Anlagensicherheit (KAS),

Bad Soden

9.1 Wie bewertet man das Risiko?

Wie für jede andere Aufgabe auch braucht man für Anlagensicherheit Bewertungs-maßstäbe und Meßmethoden. Als potentielle erhebliche Gefahrenquelle benötigt Anlagensicherheit einen rechtlichen Rahmen, für dessen Ausgestaltung der Gesetz-geber fachkundig beraten werden muss.

Grundsätzlich kann man (Anlagen-) Sicherheit deterministisch oder probabilistisch bewerten. Während Deutschland traditionell deterministische Methoden anwendet, setzt man in einer zunehmenden Zahl von Industrieländern, wie z. B. den Niederlan-den, der Schweiz, Frankreich und England, zusätzlich vermehrt die Probabilistik ein. Wenngleich die Verfechter der einzelnen Methoden häufig ein anderes Bild zeichnen, so sind in der praktischen Anwendung die Unterschiede nicht so gravierend. Dies soll im Folgenden (zugegebenermaßen pointiert und vereinfacht) deutlich gemacht wer-den.

Beide Methoden setzen eine sorgfältige Analyse des Gefahrenpotentials voraus, die auf einer genauen Kenntnis der Stoffe, der Technik und der Organisation des zu un-tersuchenden Verfahrens und des entsprechenden Unternehmens aufbauen muss.

Bei beiden Verfahren werden anschließend die relevanten Störungsszenarien defi-niert. In der Deterministik ergeben sich diese aus Konventionen („Stand der Tech-nik“) oder einer Expertenbewertung im Einzelfall. Die Kernfrage ist, ob (vorhandene oder geplante) Sicherheitseinrichtungen als wirksam oder nicht wirksam anzusehen sind – unter Würdigung aller relevanten Randbedingungen. Werden z. B. für Druck-behälteranlagen die grundlegenden technischen Anforderungen erfüllt, so wird kein spontanes Behälterbersten o. ä. unterstellt. Leckagen werden jedoch nicht ausge-schlossen. Je besser die zusätzlichen technischen und organisatorischen Maßnah-men sind, desto kleiner ist die als „verbleibendes“ Störungsszenario zu unterstellen-

Christian Jochum

118

de Leckage. Es ist evident, dass bei einer derartigen Expertenbewertung im Einzel-fall sowie bei der verallgemeinerten Expertenbewertung in Form von Konventionen die Wahrscheinlichkeit bestimmter Versagensszenarien deutlich eingeht. „Wirksam“ kann immer nur heißen „mit für unser Rechtsverständnis ausreichenden Wahrschein-lichkeit wirksam“.

Die Probabilistik geht in der reinen Lehre von derartigen „Vorab – Festlegungen“ nicht aus, sondern untersucht im Grundsatz alle Störungsszenarien. Sie zerlegt sie in „Teilszenarien“ wie korrosionsbedingte Leckage, Ventilstörung etc., ordnet diesen Störungen Wahrscheinlichkeiten zu und kommt so, meist im Sinne einer systemati-schen Fehlerbaumanalyse, zu einer quantifizierten Wahrscheinlichkeit für das zu vermeidende Ereignis, also den Störfall. In der Realität allerdings kann der Anspruch, umfassend und systematisch alle denkbaren Störungen abzuarbeiten, wegen des immensen Aufwands bei komplexen Chemieanlagen nicht erfüllt werden. Auch hier müssen Experten vorab eine Auswahl der zu untersuchenden Szenarien machen, was dem deterministischen Ansatz sehr nahe kommt.

Für die so definierten Störfallszenarien werden nun in beiden Methoden die Auswir-kungen untersucht, wie Schadstoffausbreitung, Explosionsdruck etc., und mit ent-sprechenden Grenzwerten verglichen. Sind diese Auswirkungen nicht akzeptabel (z. B. „ernste Gefahr“ im Sinne der StörfallV), führt das in der Deterministik zwingend zu zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen. Durch diese muss erreicht werden, dass entweder die Auswirkungen begrenzt werden oder das entsprechende Störfallszena-rio „vernünftigerweise ausgeschlossen“ werden kann – also ein Rückgriff auf die letztlich probabilistische Experteneinschätzung des Szenarios.

In der probabilistischen Betrachtung ist das Ergebnis die Wahrscheinlichkeit, mit der eine bestimmte Auswirkung (insbesondere Todesfälle) zu erwarten ist. Für eine ab-schließende Bewertung benötigt man nun Grenzwerte für das (noch) akzeptable To-desrisiko. Solche Grenzwerte existieren in unseren Nachbarländern, die die Probabi-listik praktizieren. In Deutschland gibt es in der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) nach wie vor eine Debatte darüber, ob solche Grenzwerte moralisch (und ver-fassungsmäßig) akzeptabel wären. Ohne einen solchen Grenzwert kann das Ergeb-nis probabilistischer Sicherheitsbetrachtungen nur für den Vergleich von Designalter-nativen verwendet werden – was ein durchaus interessanter Anwendungsfall ist.

Die KAS diskutiert seit Jahren intensiv und kontrovers über die Einführung der Pro-babilistik auch in Deutschland. Einigkeit besteht darüber, dass die Probabilistik die ja durchaus bewährte Deterministik nicht verdrängen soll, sondern in ausgewählten Fäl-len ergänzen kann. Dies ist so auch der Fall in unseren Nachbarländern.

Stand und aktuelle Entwicklungen in der Anlagensicherheit

119

Die wesentlichen Argumente für die Probabilistik sind

��umfassendere Analyse von Störungsszenarien ��Optimierung von Designalternativen/Investitionsentscheidungen ��Differenziertere Entscheidungshilfe bei Raumordnungsplanung,

insbesondere für Bewertung bestehender Konflikt-Situationen („Gemengelagen“) ��gilt in vielen Nachbarländern (CH, NL, UK, F) als „Stand der Erkenntnis“ ��ohne entsprechende Empfehlungen der KAS verliert diese die Meinungsführer-

schaft und eine unkritische Übernahme publizierter Methoden ist zu befürchten

Die wesentlichen Argumente gegen die Probabilistik sind

��„vorgetäuschte“ Genauigkeit (fragliche Qualität der Eingangsdaten = Ausfallwahrscheinlichkeiten, nur praktikabel bei Beschränkung der Szenarien)

��mangelnde Transparenz (Eingangsdaten; Abhängigkeit von Gutachtern – insbesondere eine Sorge der Behörden!)

��(bisher) keine in Deutschland parlamentarisch/gesellschaftlich akzeptierten Risikogrenzwerte (Verstoß gegen Grundrecht auf Unversehrtheit von Leben und Gesundheit??)

��„Aushebeln“ des bei der Deterministik implizit vorhandenen Drucks zur ständigen Fortschreibens des Standes der Technik

Im November 2009 wurde von der KAS beschlossen, die Anwendung der Probabi-listik zunächst für die „Dennoch – Störfälle“ im Rahmen der externen Gefahrenab-wehrplanung zu untersuchen und hierüber dem Bundesministerium für Umwelt, Na-turschutz und Reaktorsicherheit (BMU) zu berichten. Dann wird sich die KAS erneut zur Frage der Probabilistik positionieren müssen.

9.2 Wie misst man Anlagensicherheit?

Das Niveau der Anlagensicherheit ist ein wesentliches Kriterium für die Nachhaltig-keit insbesondere der chemischen Industrie, sowohl unter den Aspekt der Sicherheit als auch der Ökologie und der Ökonomie. Daher wird „Performance Monitoring“ auch seit über 10 Jahren in der Seveso II – Richtlinie bzw. der Störfallverordnung als Teil des Sicherheitsmanagementsystems nach Anhang 3 gefordert.

Konkret müssen allerdings nur Störfälle gemeldet werden (Anhang 6 StörfallV). De-ren Zahl ist erfreulicherweise gering. So verzeichnet das Umweltbundesamt in sei-nem Erfassungssystem (ZEMA) für 2006 in Deutschland 7 Störfälle und 17 „sonstige Ereignisse“. Das Erfassungssystem MARS der EU verzeichnet für alle EU – Mitglied-

Christian Jochum

120

staaten für 2004 lediglich 18 Störfälle. Damit sind Störfälle bei weitem zu selten, um sie sinnvoll als Indikator zu benutzen. Statistisch aussagekräftige Werte erhält man nur bei Berücksichtigung von Ereignissen auch unterhalb der Störfall-Schwelle.

Die vom Arbeitsschutz bekannte Unfallpyramide existiert auch für die Anlagensicher-heit. An der Spitze der Pyramide stehen hier die Störfälle. Darunter sind wesentlich häufigere Ereignisse mit geringeren oder keinen Auswirkungen, wie Betriebsstörun-gen mit Stoffaustritt („loss of containment“), Beinahe – Unfälle, Ansprechen von Si-cherheitseinrichtungen etc. Wie im Arbeitsschutz kann man diese Abweichungen vom bestimmungsgemäßen Betrieb als Warnzeichen nutzen.

Ein hierauf aufbauendes „Frühwarnsystem“ dient nicht nur den Sicherheitsfachleu-ten. Diese haben in der Regel ohnehin ein recht gutes Gefühl für die Qualität der An-lagensicherheit. Sie sind jedoch Berater und selten Entscheider. Die für die Anlagen-sicherheit zumindest langfristig wichtigen Entscheidungen fallen im oberen Manage-ment der Unternehmen. Dort zählt weniger das „Bauchgefühl“ von Experten, sondern standardisierte Zahlen und Trendaussagen. Diese gibt es seit langem für den Arbeitsschutz, aber nicht für die Anlagensicherheit.

Die Statistik der Arbeitsunfälle sind hierfür kein Ersatz, denn wenig Arbeitsunfälle sind kein Indikator für gute Anlagensicherheit. Der Arbeitsschutz kann aber als Vor-bild dienen: Die (praktisch) weltweite Nutzung weniger und vergleichbarer Indikato-ren kann zwar im Einzelfall unangemessen oder sogar irreführend sein, hat aber ent-scheidend zum dramatischen Rückgang der Arbeitsunfälle beigetragen.

Leider bedarf es manchmal gravierender Störfälle, um schon lange diskutierte Ent-wicklungen voranzutreiben. So war es die schwere Explosion einer Raffinerie in Te-xas City 2005, die die Entwicklung von „Key Performance Indicators“ für Anlagensi-cherheit zu einer der wesentlichen Forderung der U.S. – Regierung an die chemi-sche und petrochemische Industrie machte.

In der Folge entwickelte das U.S. Centre of Chemical Process Safety (CCPS) ein System, bestehend aus

��„lagging indicators“ • Störfälle • Stoffaustritte („loss of primary containment“) • Beinahe-Unfälle, Ansprechen von Sicherheitseinrichtungen etc.

��„leading indicators“ • (auch) Ansprechen von Sicherheitseinrichtungen • nicht abgearbeitete Auditbefunde • Trainingsmaßnahmen etc.

Stand und aktuelle Entwicklungen in der Anlagensicherheit

121

Das System für „lagging indicators“ ist „risk based“ und bewertet gefährliche Emissi-onen auf Basis der Transport-Klassifizierung (UNDG) und damit unter Berücksichti-gung der relativen Flüchtigkeit. Es ist in leicht modifizierter Form 2010 in den API - Standard 754 eingegangen.

Der europäische Chemieverband Cefic begann 2008 mit der Entwicklung eines „per-formance based“ Systems für „lagging indicators“, in dem (fast) alle Emissionen auf Basis der neuen GHS-Klassifizierung bewertet werden. Das European Process Safe-ty Centre (EPSC) hat 2010 eine vergleichende Bewertung beider Systeme durchge-führt und ein einfaches EDV - Programm zur Erfassung der Daten für beide Systeme entwickelt.

Tier 1

Tier 2

Tier 3

Tier 4Operating Discipline & Management System

Performance Indicators

Leading Indicators

Lagging Indicators

LOPC Events of Greater Consequence

LOPC Events of Lesser Consequence

Challenges to Safety Systems

Tier 1

Tier 2

Tier 3

Tier 4Operating Discipline & Management System

Performance Indicators

Leading Indicators

Lagging Indicators

LOPC Events of Greater Consequence

LOPC Events of Lesser Consequence

Challenges to Safety Systems

Large loss of primary containment (LOPC) event

Small loss of primary containment event

Challenges to thesafety system

Operating discipline & management system

Abb. 9.1 Graded Scale of Events

Beide Systeme benutzen ein Stufensystem. Die verschiedenen „tiers“ entsprechen dem unterschiedlichen Schweregrad der registrierten Ereignisse. „Tier 1“ entspricht den Störfällen, wie sie auch bisher schon in USA und Europa registriert werden. Eine Beschränkung auf „tier 1“ wäre nicht aussagekräftig. Für externes Reporting, das sowohl der US- als auch der europäische Chemieverband seinen Mitgliedern im Rahmen des Responsible Care® – Programms empfiehlt, sind „tier 1&2“ geeignet. Sie beziehen geringere Stoffaustritte ein. Für „tier 1&2“ ergibt das auf „performance“ zielende Cefic – System ca. doppelt so viele Ereignisse wie CCPS/API – was insbe-sondere auch von den Grenzmengen abhängt und für die statistische Auswertung vorteilhaft ist.

Christian Jochum

122

„Tier 3“ (Beinahe-Unfälle, Ansprechen von Sicherheitseinrichtungen ohne Emissio-nen) und „tier 4“ (Defizite im Process Safety Management System, wie Defizite bei der Abarbeitung von Auditbefunden, bei Schulungen und bei Instandhaltung / Inspek-tionen) sind wichtige Indikatoren für Verbesserungsprozesse im einzelnen Unter-nehmen, sind aber schwerer zu standardisieren.

Wie sieht die Zukunft aus? Der Druck auf ein weit über die Meldung von Störfällen hinausgehendes Reporting – System wird auch in Europa wachsen. Die Erfahrungen des Arbeitsschutzes zeigen, dass wenige, möglichst weit vergleichbare Indikatoren trotz aller sachlicher Defizite („Äpfel mit Birnen vergleichen“) bei den Entscheidungs-trägern bevorzugt beachtet werden und zu erheblichen Verbesserungen führen kön-nen. Wenngleich langfristig ein globaler Standard anzustreben ist, ist ein zwischen-zeitlicher „Wettbewerb“ zwischen einem U.S- und einem EU- System kein Unglück (vgl. auch hier den Arbeitsschutz!). Für die primär geforderten „lagging indicators (tier 1&2)“ sind die zu erfassenden Daten so ähnlich, dass sowohl eine nachträgliche An-passung als auch eine parallele Auswertung nach beiden Systemen möglich sind. Die Unternehmen sollten damit unverzüglich beginnen. Für die „leading indicators (tier 3&4)“ wäre die Entwicklung eines globalen Systems noch direkt möglich, braucht aber wegen der primär unternehmensinternen Verwendung nicht abgewartet werden.

9.3 Wie reguliert man Störfall – Betriebsbereiche?

Obwohl die Seveso II – Richtlinie und mit ihr ihre deutsche Umsetzung als Störfall-verordnung sich entsprechend dem „new approach“ der technischen Regelsetzung der EU weitgehend auf die Formulierung von Schutzzielen konzentriert und versucht, Detailregelungen zu minimieren, wird sie kontinuierlich auf Änderungsbedarf über-prüft.

Dies geschieht im „Committee of Competent Authorities (CCA)“ der EU – Kommissi-on, einer Vertretung der in den Mitgliedstaaten für die Umsetzung des Störfallrechts zuständigen Behörden. Das CCA bildet für bestimmte Themenbereiche „Technical Working Groups (TWG)“ unter Führung des „Major Accidents Hazard Bureau“ der EU in Ispra/Italien.

Treibende Kraft für Novellierungen des Störfallrechts waren in der Vergangenheit stets Störfälle, zuletzt (in der Novelle von 2003, umgesetzt in Deutschland 2005):

��Die Explosion eines Lagers für Feuerwerksartikel in Enschede (Niederlande) mit Todesfällen auch außerhalb des Werksgeländes � Neu-Klassifizierung explosi-onsgefährlicher Stoffe

Stand und aktuelle Entwicklungen in der Anlagensicherheit

123

��Der Bruch eines Auffangbeckens für cyanidhaltige Ablaugen eines Goldbergwerks in Baia Mare (Rumänien) � Einschluss störfallrelevanter Tätigkeiten im Bergbau etc.

��Explosion eines Düngemittellagers in Toulouse (Frankreich) � Neu-Klassifizierung Ammoniumnitrat (analog auch Kaliumnitrat); „Datenbank“ für Raumordnungspla-nung, Erweiterung des Katalogs von Schutzobjekten (§ 50 BImSchG) - dezidiert nur erste Konsequenzen!

Im politischen Kielwasser solcher Ereignisse wurden stets auch weitere Korrekturen vorgenommen, die das CCA für erforderlich hielt, z.B. 2003/2005

��Korrektur der unrealistisch niedrigen Mengenschwelle für krebserzeugende Stoffe: Anhebung auf 500/2.000 kg (entsprechend 0,1 % T+); Berücksichtigung von Gemischen erst > 5 %; aber Aufnahme weiterer „akut wirkender“ Carcinogene

��Absenkung der im Vergleich zu giftigen Stoffen zu hohen Mengenschwellen für Umweltgefährliche Stoffe, dann aber keine Addition mit T,T+ mehr

��Einführung einer neuen Kategorie „Erdölerzeugnisse“ für u. a. Dieselkraftstoffe, die sonst als „umweltgefährlich“ hätten eingestuft werden müssen, was selbst grö-ßere Tankstellen in den Geltungsbereich der StörfallV gebracht hätte

��Verstärkte Berücksichtigung von Fremdpersonal bei dem Sicherheitsmanage-mentsystem und Notfallplanung als Reaktion auf beobachtete Defizite

Aktuell besteht ein Zwang zur Novellierung nicht durch Unfälle, sondern durch die Einführung des „Globally Harmonized System (GHS)“ im Gefahrstoffrecht, auf das sich das Störfallrecht in seinem Stoffanhang bezieht. Um auchbei dieser anstehen-den Novellierung weiteres Verbesserungspotential zu nutzen, hat die EU – Kommis-sion 2008/2009ergänzend zu den Aktivitäten des CCA 2 Forschungsprojekte zu Er-fahrungen/Verbesserungsvorschlägen der „Stakeholder“ mit/zu Seveso II durchfüh-ren lassen. Eine „Stakeholder-Konferenz“ am 10. November 2009 brachte weitere Erkenntnisse. Nach einem formalen „impact assessment“ will die Kommission bis Ende einen Vorschlag für die Novelle der Seveso II – Richtlinie vorlegen. Mit einer Verabschiedung durch EU – Parlament und Ministerrat ist frühestens Ende 2011 zu rechnen. Dann schließen sich noch Umsetzungsfristen sowohl für die Mitgliedstaaten (i.d.R. 18 Monate) als auch für die Betreiber (i.d.R. 3-12 Monate) an.

Die wesentliche zu erwartende Änderungen der Seveso II – Richtlinie betrifft die An-passung des Anhangs 1 an das GHS. Hierfür war das (politische) Ziel eine möglichst konstante Zahl der in den Geltungsbereich der Richtlinie fallenden Betriebsbereiche. Dies erwies sich als relativ unproblematisch für die Anpassung der PC-Kategorien (brennbar, explosionsgefährlich etc.). Deutlich schwieriger war die Anpassung der 5 „Health“-Kategorien des GHS an die 2 bisherigen „Seveso“-Kategorien (sehr giftig,

Christian Jochum

124

giftig). Ein nach heftigen Diskussionen entwickelter Kompromissvorschlag der ent-sprechenden TWG des CCA hat den Nachteil, dass es für den Betreiber schwieriger sein wird, die Zuordnung seines Betriebsbereichs und von dessen Teilen zur Richtli-nie festzustellen. Die KAS hat diese Diskussionen begleitet und dadurch die deut-schen Vertreter in den Verhandlungen bei der EU unterstützt.

Darüber hinaus sind zumindest aus Sicht der EU-Kommission keine grundlegenden Änderungen der Richtlinie erforderlich, sondern lediglich „Klarstellungen zur besse-ren Umsetzung“ – was in der Praxis aber durchaus relevant werden könnte. Ver-schiedene „Stakeholder“ fordern mehr, z. B.

��Erweiterung der Grundpflichten ��Einbeziehung von Verschiebebahnhöfen, Pipelines, „Security“, ...

Offen bleibt wie immer bei diesem Rechtssetzungsprozess, welche Änderungen noch vom EU – Parlament eingebracht und durchgesetzt werden. Es ist jedoch da-von auszugehen, dass es (mit Ausnahme des Anhangs 1) bei punktuellen Änderun-gen bleibt, also keine „Seveso III“ – Richtlinie entstehen wird.

Einige bekannte Problemfelder sind noch nicht „Novellierungs-reif“. Mittelfristig sind zu erwarten schärfere oder zumindest präzisere Regelungen zu „Land Use Plan-ning“. In Diskussion ist auch das Thema „Industrieparks“. Hier gab es im November 2009 einen Workshop der „Seveso-Inspektoren“. Ein Report ist in Arbeit. Es konnte erfolgreich der SFK-Leitfaden zu diesem Thema eingebracht werden, der eine gute Chance hat, wesentliche Grundlage des EU – Reports zu werden. Aktuell befasst sich die EU – Kommission auch mit den Themen „Performance Indikatoren“ und „Process Safety Culture“. Es gab hierzu Workshops im März und Oktober 2010.

9.4 Wer gibt Input zur europäischen und deutschen Regel-setzung?

Neben den Verbänden der Interessengruppen sind hier vor allem zu nennen auf eu-ropäischer Ebene das European Process Safety Centre (EPSC), auf nationaler Ebe-ne die Kommission für Anlagensicherheit (KAS).

Das EPSC ist ein Netzwerk, das von ca. 40 in Europa tätigen Unternehmen der chemischen, petrochemischen und pharmazeutischen Industrie getragen wird. Sein Ziel ist die Förderung der Anlagensicherheit durch gegenseitige Unterstüt-zung/Vernetzung der Fachleute in den Mitgliedsunternehmen und durch zur Verfü-gung stellen des gemeinsamen Sachverstands für die Allgemeinheit und insbesonde-re auch die Entscheidungsträger in (europäischer) Politik und Verwaltung. Nähere Informationen finden sich unter www.epsc.org.

Stand und aktuelle Entwicklungen in der Anlagensicherheit

125

Die KAS berät als ehrenamtliches Beratungsgremium die Bundesregierung in Fragen der Anlagensicherheit. Neben Daueraufgaben, wie der Fortentwicklung von Seveso II, gehören hierzu auch aktuelle Entwicklungen der Anlagensicherheit (z. B. Konse-quenzen aus Störfällen wie Texas City und Buncefield oder auch aus der zunehmen-den Terrorismusbedrohung), die rasche Reaktionen erfordern. Die KAS löste zum 1. 11. 2005 die Störfallkommission (SFK) und den Technischen Ausschuss für Anla-gensicherheit (TAA) ab und führt deren Aufgaben weiter.

Sie besteht z. Zt. aus 33 Mitgliedern, die die wesentlichen „Stakeholder“ der Anla-gensicherheit repräsentieren. Auftrag und Zusammensetzung der KAS sind in § 51a BImSchG vorgegeben. Keine der in ihr vertretenen Gruppen hat eine „eigene“ Mehr-heit. Sowohl diese Zusammensetzung als auch die Abstimmungsregeln erzwingen „Koalitionen“, ohne Mehrheitsentscheidungen zu verhindern.

Die KAS hat seit Nov. 2005 in bisher 15 Sitzungen verabschiedet

��eine neue Geschäftsordnung ��2 Arbeitsprogramme (jeweils zu Beginn der 3-jährigen Berufungsperiode) ��12 Leitfäden/Berichte/Merkblätter ��3 Jahresberichte ��Bildung von Ausschüssen, Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen

(siehe folgende Folien) ��Benennung von Berichterstattern für frühere, ggf. wieder aktuell werdende

Themen (u. a. Eingriffe Unbefugter, Industrieparks, Notfallmanagement)

Für Daueraufgaben bildet die KAS Ausschüsse (AS)

��AS Ereignisauswertung (Vorsitz Schendler/BAM) • Vertiefte Behandlung von in der KAS diskutierten Ereignissen (z. B. Ineos/Köln-

Worringen) • Auswertung von Ereignissen unterhalb der Meldeschwelle der StörfallV

(darüber: ZEMA). Hier Zusammenarbeit mit DECHEMA und anderen Quellen (Kontrovers: Detaillierungsgrad der Ereignisdarstellungen)

• Erarbeitung von Merkblättern für identifizierte Unfallschwerpunkte. Aktuell: Biogasanlagen (KAS-12), Rohrleitungen (KAS-14), CO2-Löschanlagen (KAS-15)

��AS Erfahrungsberichte (Vorsitz Ziegenfuß/HE) • Auswertung der Jahresberichte der Sachverständigen nach § 29a BImSchG

(Letzte Auswertung der Jahresberichte: KAS-11 für 2007) • Zulassung der Veranstaltungen zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch • Überarbeitung des Leitfadens für Sachverständige zu den Jahresberichten und

dem Meinungs- und Erfahrungsaustausch (KAS-4)

Christian Jochum

126

��AS Seveso (Vorsitz Wiese/NRW) • Begleitung der Novellierung der Seveso II – RL („außer GHS“) • Beratung der Bundesregierung • Deutsche Position in Committee of Competent Authorities

(in Abstimmung mit dem AISV der LAI) • AG Stoffe (Vorsitz Rochlitz)

– Diskussion der Liste namentlich benannter Stoffe des Anhangs 1 • AG LUP (Vorsitz Marder/NRW)

– Überarbeitung des Leitfadens SFK/TAA-GS-1 – Einbindung des Bundesbauministeriums – Abschluss 2010

Für zeitlich befristete Aufgaben bildet die KAS Arbeitskreise (AK)

��GHS (V Wiese/NRW) • Begleitung der Diskussionen zur Anpassung der Seveso II –

RL in Technical Working Group der EU • Abschluss 2010

��Menschliche Faktoren (V Fischbach/BUND) • Vorbereitung/Auswertung OECD – Workshop Mai 2007 • „Empfehlungen für interne Berichtssysteme als Teil des Sicherheits-

managementsystems gemäß Anhang III Störfall-Verordnung“ (KAS-8) • Begleitung Forschungsprojekt „Kompetenzen bezüglich menschlicher Faktoren

im Rahmen der Anlagensicherheit“, z. Zt. Erarbeitung Leitfaden, Abschluss 2011

��Probabilistik (V Schiess/Sachsen) • Fortsetzung von Arbeiten der SFK • Entscheidung über Fortsetzung der Arbeiten November 2009 • Konzentration auf „Dennoch-Störfälle“

��Umgebungsbedingte Gefahrenquellen (V Jochum) • Umsetzung von Vorschlägen eines früheren UBA – Projekts • Erarbeitung einer TRAS bzw. eines Leitfadens zu Hochwasser und Erdbeben • Begleitung eines „zuarbeitenden“ UBA-Projekts • Abschluss 2011

��Einstufung von Abfällen (V Kalusch/BBU) • Erarbeitung eines Leitfadens zur Interpretation des Regelwerks im Hinblick

auf die StörfallV • Abschluss 2011

Stand und aktuelle Entwicklungen in der Anlagensicherheit

127

��Sicherheitsmanagementsystem (V Kurth/Öko-Institut) • Zusammenlegung und Überarbeitung der SFK-Leitfäden zu SMS und

zum „Konzept zur Verhinderung von Störfällen“ • Abschluss 2011

��Carbon Capture and Storage (V Klosowski/TÜV Nord) • Begleitung aktueller Entwicklungen im Rahmen der Aufgaben der KAS

��Abgeschlossene Arbeiten der KAS • „Richtwerte für sicherheitsrelevante Anlagenteile (SRA) und sicherheits-

relevante Teile eines Betriebsbereiches (SRB)“ (KAS-1) • „Risikokommunikation: Anforderungen nach Störfall-Verordnung, Praxis und

Empfehlungen“ (KAS-5) • „Empfehlungen der KAS für eine Weiterentwicklung der Sicherheitskultur –

Lehren nach Texas City 2005“ (KAS-7) • „Bewertung des Tanklagerbrands von Buncefield/GB vom 11.12.2005 und

daraus für deutsche Großtanklager für Ottokraftstoff abgeleitete Empfehlungen“ (KAS-13) – Problematik des unerwartet hohen Explosionsdruck zunächst zurückgestellt

Weitere und aktuelle Informationen zu der KAS finden sich im Internet unter www.kas-bmu.de

Nach meiner persönlichen Einschätzung hat sich die Zusammenführung von SFK und TAA zur KAS bewährt. Die zunächst zu Lasten der Sacharbeit gehenden grund-sätzlichen Diskussionen waren notwendig und sind inzwischen weitgehend abge-schlossen, die erfolgreiche Sacharbeit von SFK und TAA konnte fortgesetzt werden. Trotz rein ehrenamtlicher Tätigkeit ist die KAS in der Lage, rasch zu reagieren (z. B. Buncefield, Texas City) – das muss so bleiben! Interessenskonflikte zwischen den in der KAS vertretenen Gruppen sind nicht vermeidbar, im Prinzip sogar gewollt. Hand-lungsfähig kann die KAS allerdings nur bleiben, wenn ein Konsenszwang (nur ein-stimmige Entscheidungen) weiterhin nicht eingeführt wird, andererseits aber Minder-heitsmeinungen respektiert werden und die in der KAS vertretenen „Bänke“ kompro-missbereit und entscheidungsbefugt sind.

Christian Jochum

128

Abb. 9.2 Dipl.-Ing. Christoph Thust von der Infracor GmbH in Marl im Gespräch

mit Prof. Dr. Christian Jochum (v.l.n.r.), Vorsitzender der Kommission für Anlagensicherheit (KAS), vor dem Start der Abendveranstaltung

Abb. 9.3 Dipl.-Ing. Wilfried Schaffeld vom AMD TÜV Arbeitsmedizinische Dienste

GmbH aus Köln bass erstaunt an alter Wirkungsstätte in Wuppertal

Stand und aktuelle Entwicklungen in der Anlagensicherheit

129

Abb. 9.4 An der Abendveranstaltung des 63. Sicherheitswissenschaftlichen

Kolloquiums beteiligten sich insgesamt 52 Fachleute (Ausschnitt)

Abb. 9.5 Aufgrund der hohen Nachfrage seitens der Abteilung Sicherheitstechnik

der Bergischen Universität Wuppertal wurde die Veranstaltung zur An-lagensicherheit parallel in die Bibliothek des Instituts ASER übertragen

Helmut Spangenberger

130

10 Theorie und Praxis der Risikoanalyse (HELMUT SPANGENBERGER)

64. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 6. Juli 2010 in Wuppertal

Dr., Dipl.-Phys. Helmut Spangenberger Gesellschaft für Anlagen- und Betriebssicherheit mbH,

Bad Dürkheim

10.1 Einführung

Das bisherige und in weiten Bereichen auch heute noch praktizierte Konzept der technischen Sicherheit geht von der Vorstellung aus, dass ein technisches System dann als sicher gilt, wenn es die hierfür anzuwendenden deterministischen Sicher-heitsvorschriften erfüllt.

Es ist hierbei allen fachlich Beteiligten bewusst, dass das auf diese Art festgelegte Sicherheitsniveau keinen vollständigen Schutz vor Schäden garantiert, es bestätigt nur, dass das Objekt für den Betrieb, das Inverkehrbringen, die Nutzung etc. „zuge-lassen“ ist.

Da insbesondere das trotz Einhaltung der Sicherheitsvorschriften verbleibende Risi-ko nicht explizit ermittelt und ausgewiesen wird, können, abhängig von der Art und der Komplexität der technischen Systeme, unterschiedliche Sicherheits- oder Risiko-niveaus entstehen.

Dieser Umstand der nicht ausgewiesenen „Restrisiken“ bietet oftmals auch Anlass für eine subjektiv motivierte Ablehnung technischer Aktivitäten. Risiken, welche nicht erfasst, bewertet und in einem Akzeptanz-Ablehnungskontext eingeordnet werden können, werden abgelehnt, da hierdurch die vermeintlich sichere Wahl getroffen wird.

Dass durch eine auf derartiger Unkenntnis basierenden Entscheidung technische Entwicklungen behindert werden, wird ebenso in Kauf genommen wie die weniger bekannte Schlussfolgerung, dass durch Unkenntnis Sicherheit an der falschen Stelle, zum Teil mit hohem und unnötigem Aufwand, gesucht wird, während die relevanten Risikofelder „unerkannt“ bleiben.

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

131

Aus diesem Grund haben sich insbesondere bei komplexen technischen aber auch sozioökonomischen Zusammenhängen Risikoanalysen etabliert. Durch Risikoanaly-sen soll mittels geeigneter Methoden und einer geeigneten Datenbasis der Risiko-grad, d. h. die Eintrittshäufigkeit und das damit verbundene Schadensausmaß ermit-telt werden.

Gelingt es für einzelne Lebensbereiche akzeptierte Risikoniveaus festzulegen, dann ist eine Entscheidung über die „Zulässigkeit“ sicherheitstechnisch relevanter Aktivitä-ten auf eine nachvollziehbare Basis gestellt.

Im vorliegenden Beitrag werden die Methoden, die Anforderungen, die Einschrän-kungen und die Vorteile sowie Konsequenzen unter Einbeziehung realer Beispiele vorgestellt.

10.1.1 Begriffsdefinitionen

Risiko ist definiert als Produkt aus Schadensausmaß mal Eintrittshäufigkeit:

Risiko = Schadensausmaß x Eintritts-Häufigkeit

Das Schadensausmaß „S“ hängt ab von den folgenden Faktoren:

��Stofflichen Gefahrenpotenzial • Kinetik (stoffbedingt), • Toxizität, • Entzündlichkeit, • Abbrandverhalten, • Schadgasentwicklung im Brandfall, • Deflagration-, Explosions- oder Detonationspotenzial (Brisanz).

��Verfahrenstechnischen Gefahrenpotenzial • Kinetik (verfahrensbedingt), • Druck, • Temperatur.

��Ausbreitungspotenzial • Fähigkeit geschlossene Containments verlassen zu können, • Transportfähigkeit mit der Luftströmung in die Umgebung zu gelangen, • Fähigkeit durch Wärmestrahlung auf Personen oder benachbarte Einrichtungen

Schaden auszuüben, • Fähigkeit durch Druckwellen auf Personen oder benachbarte Einrichtungen

Schaden auszuüben, • Fähigkeit den Boden oder Gewässer kontaminieren zu können.

Helmut Spangenberger

132

��Standortfaktoren • Lokal vorhandene Betroffenheit, • Nähe zur Wohnbebauung (Bevölkerungsdichte), • Nähe zu benachbarten Industrie- und Gewerbeanlagen, • Nähe zu benachbarten stofflichen oder verfahrenstechnischen Gefahrenpoten-

zialen, Nähe zu öffentlichen Verkehrswegen (Straße, Schiene, Wasserwege), • Nähe zu „Schutzgütern“.

Eintrittshäufigkeit definiert sich als die Wahrscheinlichkeit (ausgedrückt durch den Erwartungswert der statistischen Größe), mit der das ausgewählte Schadensszena-rio eintreten kann. Die Eintrittshäufigkeit ist immer eine statistische Größe, d. h. sie besteht aus einem statistischen Erwartungswert plus/minus einer Schwankungsbreite (Bandbreite), welche ein Maß für die statistische Unsicherheit angibt.

In vielen Fällen besteht ein Schadensszenario aus mehreren Teilereignissen. Wenn diese unabhängig voneinander zum Schadensszenario führen, dann kann die Ein-trittshäufigkeit H für das Schadensszenario bestimmt werden aus der Summe des Produktes aus Eintrittshäufigkeit hi, eines auslösenden Teilereignisses „i“ und der Versagenswahrscheinlichkeit ui, dass eine gegen den Eintritt des Teilereignisses er-richtete „Barriere“ (d. h. Sicherheitsmaßnahme), versagt. Die Summe läuft über alle Teilereignisse und zugehörige Barrieren, welche zum betrachteten Ereignis gehören.

�=

=N

i

ii uhH1

*

Die Eintrittshäufigkeit wird beeinflusst von praktisch allen Faktoren, die für die Funk-tion eines technischen Systems relevant sind:

��Planung, ��Konstruktion, ��Werkstoff und Fertigung, ��Betrieb, ��Wartung, Inspektion und Instandhaltung ��Ausbildung der Mitarbeiter, ��Umwelt- und Standortbedingungen ��etc..

Bei der qualitativen sowie der deterministischen Vorgehensweise wird die Eintritts-häufigkeit meist gleich „1“ gesetzt, d. h. wenn ein bestimmtes Schadensszenario ver-nünftigerweise nicht auszuschließen ist, wird angenommen, dass dieses mit Sicher-heit eintritt.

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

133

Bei der quantitativen Risikoanalyse müssen die Instrumentarien der Probabilistik zugrunde gelegt werden, d. h. es sind Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten der relevanten Faktoren zu bestimmen.

Risiko (Sicherheit/Unsicherheit) ist eine probabilistische Größe

Auslösende Faktoren und Folgensind in der Regel „eindeutig“ bestimmbar

Häufigkeit, mit der Auslöser wirken oder Schutzmaßnahmen versagen,ist ein Erwartungswert, behaftet mitUnsicherheiten.

Schadensmaß Eintrittshäufigkeit

Abb. 10.1 Begriffsdefinition

Niederlande:Akzep. individuelles Risiko10-5/a (bestehende Anlagen)10-6/a (neue Anlagen)

Großbritannien:Akzep. individuelles Risiko10-3/a (Arbeiter)10-4/a (Öffentlichkeit)

Schweiz:F-N-DiagrammAkzeptanzlinie bei > 10 Toten und 10-5 Ereignisse pro Betrieb und Jahr

Todesopfer pro Ereignis

Häufigkeit (Ereignis pro Jahr); F-N-Diagramm

10-9

10-8

10-7

10-6

10-5

10-4

10-3

10-2

10-1

1 10 100 1.000 10.000

Risiko akzeptabel

Risiko nicht akzeptabel

„Übergangsbereich“

100.000

„ALARP“As low as reasonably

practicableFall 1

Fall 2

Fall 3

Fall 4

Fall 5

Abb. 10.2 Begriffsdefinition (Grenzrisikowerte) – Teil 1

Helmut Spangenberger

134

Die in den Niederlanden und Großbritannien zugrunde gelegten Werte beziehen sich auf den Eintritt eines Todesfalles durch ein Unfallereignis.

Das in der Schweizer Störfall-Verordnung verwendete F-N-Diagramm korreliert die Häufigkeit eines Ereignisses mit dem Ausmaß an Schaden. Dies bedeutet, je größer der Schaden umso seltener darf das Ereignis auftreten.

Die im obigen Diagramm eingetragenen Fälle 1 bis 5 stehen für verschiedene Risi-kosituationen. Die Breite und Höhe der Felder soll die statistische Bandbreite bzgl. dem möglichen Schaden und der Eintrittshäufigkeit darstellen.

Im Übergangsbereich gilt das Konzept, dass Risiko „so gering wie vernünftigerweise praktikabel“ zu halten, („ALARP“) oder „so gering wie vernünftigerweise akzeptabel“, („ALARA“).

Neben dem in der Schweiz eingeführten F-N-Diagramm gibt es (z. B. in der Versi-cherungswirtschaft) F-N-Diagramme, die einen diskontinuierlichen Verlauf zeigen. Dies bedeutet, dass erst ab einer „Schwelle“ eine lineare Abhängigkeit zwischen Schadenshöhe und Eintrittshäufigkeit zugrunde gelegt wird.

Außerhalb der „akzeptierten“ Risikobereiche gilt das Risiko als „nicht versicherbar“.

Fall 4 liegt in einem Bereich, in dem die Häufigkeit der „Schäden“ nicht akzeptabel ist.

Fall 5 liegt in einem Bereich, in dem die Höhe des Schadens nicht akzeptabel ist.

Fall 3 liegt in einem Bereich, in dem Häufigkeit und Höhe des Schadens den Grad des Versicherungsschutzes bestimmen.

Konsequenzen (z. B. in 1.000 €)

10-9

10-8

10-7

10-6

10-5

10-4

10-3

10-2

10-1

1 10 100 1.000 10.000

Risiko akzeptabel

Risiko nicht akzeptabel(versicherbar)

„ALARA“as low as reasonablyacceptable

100.000

Fall 1

Fall 2

Fall 3

Fall 4

Fall 5

„ALARP“as low as reasonably practicable

Häufigkeit (Ereignis pro Jahr); F-N-Diagramm

Abb. 10.3 Begriffsdefinition (Grenzrisikowerte) – Teil 2

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

135

10.1.2 Ziel von systematischen Risikoanalysen

Da es insbesondere bei komplexen technischen Systemen keine absoluten Risiko-werte gibt, besteht eine der wesentlichen Herausforderungen an die Risikoanalyse eine Basis für Vergleichbarkeit zu schaffen.

Gefahren erkennenAuswirkungen berechnen oder mindestens einschätzen

Eintrittshäufigkeit bestimmen (empirisch, Model gestützt, geschätzt)

Risiken bewerten

Vergleichbarkeit sicherstellen

Maßnahmen festlegen

Zielwert

Abb. 10.4 Ziel von systematischen Risikoanalysen – Teil 1

Nur auf dieser Basis lassen sich dann Risiken für verschiedene Szenarien (Konfigu-rationen) vergleichen und bewerten.

Dies gilt auch für die Vergleichbarkeit einzelner Optimierungsschritte innerhalb des Anlagenprozesses.

Die „Symbolik“ in der nachfolgenden Abbildung 10.5 setzt nicht voraus, dass in je-dem Prozessschritt durch eine qualitative Risikoanalyse der gleiche Grad der Opti-mierung erreichbar ist. Die einzelnen Stufen symbolisieren eine Zielsetzung für einen möglichen Grad der Risikominimierung mit jedem einzelnen Prozessschritt. Abhängig von der Art der Anlage (Prozess) können die einzelnen Stufen der Risikominimierung unterschiedlich ausfallen.

Wesentlich für die Durchführung eines derartigen Prozesses ist es, dass in jedem einzelnen Schritt denkbare Risiken erkannt und alternative Minimierungsmaßnahmen untersucht werden.

Helmut Spangenberger

136

Risiko

Maßnahmen

Start-Risiko vor

Maßnahmen

Risikoanalyse bei Planung

Risikoanalyse bei Herstellung/ Errichtung

Risikoanalyse bei Inbetriebnahme

Risikoanalyse beim BetriebWartung, Inspektion, Instandhaltung

Risikoanalyse bei Anlagenänderungen„Management of Change“

Ziel-Risiko nach

Maßnahmen

Systematische Minimierung des Risikos durch Maßnahmen im Verlauf des „Lebenszyklus“ der Anlage

Abb. 10.5 Ziel von systematischen Risikoanalysen – Teil 2

Auf der Grundlage einer quantitativen Risikoanalyse können verschiedene Lösungs-ansätze verglichen werden und damit der Grad der Risikominimierung bestimmt wer-den.

10.1.3 Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener Methoden

Bei den im Sicherheitsbericht nach der Störfall-Verordnung geforderten Auswir-kungsbetrachtungen („Störfall-Szenarien“) wird überwiegend die auswirkungsorien-tierte Vorgehensweise gewählt. Dies bedeutet, dass für die sicherheitstechnisch be-deutsamen Anlagebereiche Szenarien ausgewählt werden, in denen bestimmte, im Rahmen einer systematischen Sicherheitsuntersuchung ermittelten, Gefahren „akti-viert“ werden. Auf der Basis technisch-wissenschaftlicher Methoden wird das Aus-breitungspotenzial der untersuchten Gefahr und das Einwirkungspotenzial ermittelt und bewertet. Variablen, welche das Ausbreitungs- und Einwirkungsverhalten bestimmen, werden in der Regel in Richtung der ungünstigen Seite, d. h. des maxi-malen Schadens, ausgewählt.

Bei der risikoorientierten Betrachtung wird hinterfragt, mit welcher Wahrscheinlichkeit die relevanten Faktoren innerhalb eines Szenariums auftreten können. Dies führt zu einer statistischen Verteilung der ermittelten Schäden mit Angabe der Wahrschein-lichkeit ihres Eintretens.

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

137

Qualitative Betrachtung

Quantitative Betrachtung

ProbabilistischeBetrachtung

Erfahrungswerte

Persönliches Urteil

„Bauchgefühl“

Vergleich

Analytisches Modell

Feste Anfangswerte

Feste Endwerte

Vergleich der Endwerte mit „Grenzwerten“

Stochastische Modelle

„Unscharfe“ Anfangs-werte

Erwartungswerte als Ergebnis

Wahrscheinlichkeits-Verteilung

Nicht exakt aber akzeptabel, da

„common sense“angesprochen“

Exakt aber„angreifbar“, da „feste“Anfangswerte oft zu

konservativ oder nichtzweifelsfrei bestimmt

Nicht exakt aber näher an der Realität;

Datenbeschaffung aufwendig,

mathematisch aufwendig.

Abb. 10.6 Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener Methoden

Die qualitative Betrachtung ist die erste Stufe einer jeden Sicherheitsbetrachtung. Auf Basis von Erfahrung wird beurteilt, welche Gefahren „relevant“ oder „vernachlässig-bar“ sind. Wenn dies nach einer systematischen Methode erfolgt, in der die Rele-vanzkriterien nachvollziehbar festgelegt sind, ist dies eine zulässige und sichere Vor-gehensweise.

In der Regel wird für die als relevant eingestuften Gefahren in einem zweiten Schritt eine quantitative Betrachtung angeschlossen, in der auf Basis von festen Randbe-dingungen die Auswirkungen (Schäden) ermittelt werden.

Bei komplexen Systemen gilt es, aus einer größeren Anzahl von qualitativ ähnlichen Szenarien die Szenarien zu bestimmen, welche für das Festlegen von Sicherheits-maßnahmen (Maßnahmen zur Reduzierung des Risikos) relevant sind.

Wenn diese Szenarien auch im Rahmen einer quantitativen Auswirkungsbetrachtung zu einem ähnlichen Schadensausmaß führen, muss die Frage nach der Eintritts-wahrscheinlichkeit für die einzelnen Szenarien gestellt werden. Dies führt zur quanti-tativen Risikobetrachtung. Diese ist von Natur aus nicht exakt, bietet aber eine Ver-gleichsbasis für die Beurteilung des Risikos verschiedener Szenarien, welche auf der qualitativen und quantitativen Auswirkungsbetrachtung nicht eindeutig zu beurteilen sind.

Helmut Spangenberger

138

10.1.4 Normen und Richtlinien zu Risikoanalysen

Einen Auszug relevanter Normen und Richtlinien sind z. B.:

Systematische Methoden, z. B. PAAG (P� Prognose, A� Auffinden, A� Abschätzen, G� Gegenmaßnahmen) oder HAZOP (HAZ� Hazard, Op� Operability) Ausfalleffektanalyse (DIN 25448) Fehlerbaumanalyse (DIN 25424) Ereignisablaufanalyse (DIN 25419)

Technische Normen / Richtlinien: DIN 2180 DIN 19250 IEC 61508, IEC 61511 (VDE 0810) API 581 (Risk based inspection)

10.2 Beispiel: Risikostudien zu Flugunfällen im Zusammenhang mit stofflichem Störfallpotenzial in Anlagen, welche der Störfall-Verordnung unterliegen

Im folgenden wird ein konkretes Beispiel für eine systematische, quantitative Risiko-analyse vorgestellt, welche im Planfeststellungsverfahren für den Ausbau des Flug-hafens Frankfurt/Main zur Anwendung kam.

Aufgabenstellung:

1. Bestimmung der statistischen Häufigkeit (Wahrscheinlichkeit) für den Eintritt eines Störfalls (im Sinne der StörfallV) aufgrund eines Flugzeugabsturzes auf den Betriebsbereich oder im Einwirkungsbereich zum Betriebsbereich.

Einwirkungsbereich meint hier, ein Absturz außerhalb des Betriebsbereichs aber mit Einwirkungen (Brand, Trümmerflug) auf den Betriebsbereich in einer Art und Weise, dass auf dem Betriebsbereich ein Störfall ausgelöst wird.

2. Berechnung des individuellen Risikos für Personen aufgrund der Aktivierung des Störfallpotenzials.

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

139

In Großbritannien und in den Niederlanden wurden Risikostudien im Zusammenhang mit dem Absturzrisiko im Nahbereich zu Großflughäfen durchgeführt.

Großbritannien (1997): Untersuchung zum individuellen Risiko von am Flugbetrieb unbeteiligten Personen („Third Party Risk“).

Niederlande (1993): Untersuchung für den Flughafen Schiphol in Amsterdam.

Ziel: Definition von Ausschlussflächen („Public Safety Zones“), in denen „sensible“ Objekte nicht mehr zulässig sein sollen.

„Grenzwert“ in Großbritannien: Wert von 10-4 für bestehende und 10-5 für neue Ob-jekte, d. h., wenn in einem Zeitraum von 10.000 bzw. 100.000 Jahren eine beliebige nicht mit dem Flugbetrieb in Zusammenhang stehende Person an einem beliebigen Punkt am Boden zu Tode kommt, dann ist für dieses Areal der zulässige Risikowert überschritten.

Im Zusammenhang mit dem Ausbau des Flughafens Frankfurt/Main wurden Risiko-studien angefertigt. Diskussion über Risikomanagement und Grenzwerte in Deutsch-land, Einschalten der Störfallkommission.

Bei den in Großbritannien und den Niederlanden im Zusammenhang mit Verkehrs-flughäfen durchgeführten Risikoanalysen wurde das individuelle Risiko aufgrund ei-nes Flugzeugabsturzes im Umfeld zu Flughäfen untersucht. Schadenserhöhende Faktoren durch Gefahrstoffe am Boden wurden bei den Berechnungen nicht berück-sichtigt.

Im vorliegenden Beispiel wurde die Risikoermittlung gezielt um die Fragestellung er-weitert, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Störfalls ist, wenn der Störfall durch einen Flugzeugabsturz ausgelöst wird.

Da in einem derartigen Fall das Schadensgebiet, abhängig vom stofflichen Gefah-renpotenzial am Boden, über das primäre Schadensgebiet, welches durch den Ab-sturz allein verursacht wird, hinausgehen kann, ergeben sich unter Umständen höhe-re Risikowerte. Es gilt hierbei zwischen den folgenden Risikodefinitionen zu unter-scheiden:

Externes Risiko

Risiko für eine am Flugverkehr unbeteiligte Person am Boden, außerhalb des Flug-hafengeländes, durch einen Absturz zu Tode zu kommen.

Einzelrisiko

Das Einzelrisiko gibt Auskunft darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit pro Jahr ein Mensch, der sich fortwährend an einem bestimmten Ort im Untersuchungsraum auf-hält, an den Folgen eines Flugzeugunfalls zu Tode kommt.

Helmut Spangenberger

140

Gruppenrisiko, kumuliert

Das Gruppenrisiko gibt die Wahrscheinlichkeit pro Jahr an, nach der eine Gruppe von N Personen gleichzeitig aufgrund eines Flugzeugabsturzes, stirbt.

Störfallhäufigkeit

Eintrittswahrscheinlichkeit für einen Störfall, welcher durch einen Flugzeugabsturz auf oder im Einwirkungsbereich einer Anlage nach Störfall-Verordnung ausgelöst wird.

Berücksichtigung externer Gefahrenpotenziale:

Externe Gefahrenpotenziale sind Auswirkungspotenziale, die nicht mit dem Flugbe-trieb zusammenhängen, aber bei einem Treffer aktiviert werden können.

Daraus folgt:

1. Auswirkungen der externen stofflichen Potenziale können weit über die Auswirkungen des primären Absturzes hinausgehen.

2. Eine größere Anzahl von Personen kann betroffen sein.

3. Das Schadensausmaß und damit das externe individuelle Risiko nehmen zu.

Die erforderlichen Angaben über den Betriebsbereich sollten in der Regel in einem aktuellen Sicherheitsbericht nach Störfall-Verordnung enthalten sein. In der Realität ist allerdings eine intensive Begehung der Anlage erforderlich, da nur auf diesem Weg ein detailliertes, räumliches Gefahrenkataster für den Betriebsbereich erstellt werden kann. Hierbei sind insbesondere die für eine Dominoberechnung erforderli-chen Informationen zur baulichen Ausführung der Anlagen, Befestigungen, Trenn-wände, Rohrbrücken, Rückhalteeinrichtungen etc. zu erfassen.

Die Daten über Absturzereignisse können verschiedenen Datenbanken sowie Unfall-berichten entnommen werden.

Die wichtigsten Datenquellen sind:

ICAO (International Civil Aviation Organization) NTSB (National Transportation Safety Board) BOEING statistical summary of commercial jet airplane accidents BFU Bundesanstalt für Flugunfalluntersuchungen

Für die Bestimmung der Absturzrate werden zunächst aus der Gesamtheit der Ab-sturzereignisse der zurückliegenden Jahre die Ereignisse herausgefiltert, welche nach bestimmten Kriterien wie Flugbewegungszahlen, technische Ausstattung des Flughafens, Art des Fluggerätes, Art der Flugphase vor dem Absturz etc. für den Flughafen (hier Frankfurt/Main) nach statistischen Kriterien vergleichbar sind.

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

141

Für die Bestimmung der Absturzverteilung sowie die Größe des primären Schadens-gebietes werden aus der Gesamtheit der Absturzereignisse die Ereignisse herausge-filtert, bei denen der Absturzort und die Flugphase mit ausreichender Sicherheit (Ge-nauigkeit) dokumentiert sind. Weiterhin muss der Flugzeugtyp in das Flugmuster des zu untersuchenden Flughafens (hier Frankfurt/Main) passen. Da sich die Absturzver-teilungen zwischen Lande- und Start- sowie Overrununfällen unterscheiden, sind verschiedene Verteilungen zu bestimmen.

Die grundlegenden Ergebnisse derartiger Auswertungen sind nachfolgend zusam-mengefasst.

Erkenntnisse:

Die Absturzrate wird bestimmt durch

��Zeitraum der Auswertung ��Land und Ort (Flughafen) der Ereignisse ��Generation (Typ, Alter etc.) des Flugzeugs

� Die Absturzrate (AR) liegt zwischen 0,96 und 0,05 Abstürzen pro 1 Million Flugbewegungen (abhängig von den Auswahlkriterien).

Die Absturzverteilung zeigt eine Häufung der Ereignisse mit

��abnehmendem Abstand zur Bahnschwelle, ��abnehmendem Abstand zur An- Abfluggrundlinie.

� Die Trefferhäufigkeit (Risiko) nimmt mit Nähe zum Flughafen und Flugroute zu.

Mathematisch kann für die Wahrscheinlichkeit T(TnA) eines Treffers T infolge eines Absturzes A angenommen werden, dass die räumliche Verteilung der Trefferhäufig-keit von der Absturzrate unabhängig ist:

( ) ( ) ( )APATPATP ⋅=∩

In diesem Fall können für die Bestimmung der Absturzrate und die Bestimmung der Absturzverteilung unterschiedliche Datensätze herangezogen werden.

Für die Bestimmung der Absturzverteilung, dies ist eine zweidimensionale, bedingte Wahrscheinlichkeitsdichte, wird eine ausreichende Anzahl von möglichst exakt veror-teten Absturzereignissen (Anzahl > 100 pro Verteilung) benötigt.

Helmut Spangenberger

142

Für die Absturzrate sollten nur die Ereignisse zugrunde gelegt werden, welche statis-tisch repräsentativ für einen konkreten Flughafen (hier Frankfurt/Main) sind. Dies sind vergleichsweise wenig Ereignisse (Anzahl << 100).

Die Absturzrate berechnet sich dann aus

)(

)()(

ngenFlugbeweguderAnzahlM

AbstürzederAnzahlAARAP ==

Bei den eingezeichneten Absturzorten liegen tatsächlich stattgefundene Flugzeugab-stürze zugrunde. Dies bedeutet, dass für jeden Eintrag der Untersuchungsbericht mit Auswertung der Ursache und Vermessung des Absturzortes vorliegt. Es ist somit der Flugzeugtyp, die Flugphase, der Flughafen, das Land etc. bekannt. Da hier nur Flug-zeugabstürze mit einem maximalen Startgewicht von größer 5,7 t ausgewertet wur-den, liegen in der Regel verschiedene Datenquellen vor. Dies erlaubt eine zusätzli-che Überprüfung der Angaben.

01.000

2.0003.000

4.0005.000

6.0007.000

0

1

2

3

4

5

6

4.0003.000

2.0001.000

0-1.000

-2.000-3.000

-4.000

Startrichtung

Anz

ahl d

er A

bstu

rzer

eign

isse

Entfernung se

itlich zu

r Startb

ahn [m]

Entfernung in Startrichtung [m]

01.000

2.0003.000

4.0005.000

6.0007.000

0

1

2

3

4

5

6

4.0003.000

2.0001.000

0-1.000

-2.000-3.000

-4.000

Startrichtung

Anz

ahl d

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bstu

rzer

eign

isse

Entfernung se

itlich zu

r Startb

ahn [m]

Entfernung in Startrichtung [m]

Abb. 10.7 Verteilung der Abstürze beim Start

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

143

Für die mathematische Beschreibung der Absturzverteilung werden die longitudinale Absturzverteilung (Verteilung entlang der Verlängerung der Bahnmittellinie) und die laterale Verteilung (senkrecht zur Verlängerung der Bahnmittellinie) benötigt. Hierzu kommen verschiedene Verteilungsfunktionen zum Einsatz, deren Funktionalparame-ter durch entsprechende mathematische Verfahren aus den empirischen Daten be-stimmt werden. Die Güte der Anpassung der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen (PDF`s) wird ebenfalls durch erprobte mathematische Verfahren getestet.

0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.0000

2

4

6

8

10

12

14

16

18

y(x)=16,96291 exp{-x/1.135,2634} mit R2 = 0,87263

Startrichtung

An

zah

l der

Ere

ign

isse

pro

Inte

rval

l

Abstand von der Startschwelle in m

0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.0000

2

4

6

8

10

12

14

16

18

y(x)=16,96291 exp{-x/1.135,2634} mit R2 = 0,87263

Startrichtung

An

zah

l der

Ere

ign

isse

pro

Inte

rval

l

Abstand von der Startschwelle in m

Abb. 10.8 Mathematische Beschreibung der Absturzverteilung

Die Bestimmung der primären Schadensfläche, die beim Absturz eines Flugzeugs am Boden entsteht, erfolgt aus der Auswertung der empirischen Daten wie sie in den Unfallauswertungen zu finden sind.

Helmut Spangenberger

144

Abb. 10.9 Primäres und sekundäres Schadensgebiet

Für die Berechnung der Trefferhäufigkeit (siehe folgende Folie) muss die lokale zweidimensionale, bedingte Wahrscheinlichkeitsverteilung f(s,t) für einen Absturz am Ort {PX, PY}, bezogen auf die longitudinale und laterale Koordinate der Flugbahn, über die Schadensfläche AT integriert werden. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen der primären Schadensfläche, welche allein durch den Absturz am Punkt {PX, PY} bestimmt ist (kleine Ellipse in der obigen Folie) und zwischen der sekundären Scha-densfläche, welche als Folge der Freisetzung von „Störfallpotenzial“ am Boden ent-steht (große Ellipse). Wenn die sekundäre Schadensfläche z. B. eine „luftgetragene“ Emission auslöst, wird sich diese mit der zum Unfallzeitpunkt vorherrschenden Wind-richtung ausbreiten. Daher kann die sekundäre Schadensfläche auch seitlich zur primären Schadensfläche zu einem relevanten Schaden führen.

Die konkrete Berechung der Trefferhäufigkeit RT am Ort {X,Y} über die Schadensflä-che AT berechnet sich aus der Summe über die Flächenintegrale der bedingten Ab-sturzwahrscheinlichkeiten fi X,Y(s,t) multipliziert mit der Anzahl der Flugbewegungen N,i und den Absturzraten ARi für die verschiedenen Absturzkategorien.

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

145

Die Trefferhäufigkeit errechnet sich aus der folgenden Gleichung:

���� ⋅⋅⋅⋅=

= =TA

iy,xj,i

4

1i

M

1jiTT dtds)t,s(fNAR)A,y,x(R

Die verwendeten Bezeichnungen sind im Folgenden erklärt:

Ari: Absturzrate für die versch. Absturzkategorien (i) Ni,j: Anzahl der Flugbewegungen (Start, Landung, Route) fi X,Y(s,t): bedingte Wahrscheinlichkeit für einen Absturz an einem Ort P(x,y)

bezogen auf die longitudinale (s) und laterale (t) Koordinate der Flugbahn. i: Absturzkategorien Start, Landung, Overrun (Start/Landung) j: Flugrouten (i = 1 bis M) AT: Trefferfläche

Bei Großflughäfen gibt es für jede Startbahn eine Vielzahl von Abflugrouten (z. T. 20 und mehr) und für jede Landebahn zwei Anflugrouten (abhängig von der Windrich-tung). Dementsprechend ergeben sich abhängig von der Routenverteilung verschie-dene Risikoverteilungen für Absturzereignisse am Boden.

0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 9.000

-3.000

-2.000

-1.000

0

1.000

2.000

3.000

Longitudinaler Abstand in m

Lat

eral

er A

bst

and

in m

1E-143,162E-141E-133,162E-131E-123,162E-121E-113,162E-111E-103,162E-101E-93,162E-91E-83,162E-81E-73,162E-71E-6

Abb. 10.10 Verteilung der Trefferhäufigkeit

Helmut Spangenberger

146

Ergebnis für die Eintrittshäufigkeit eines durch einen Absturz ausgelösten Störfall:

Die differenzierte Berücksichtigung der lokalen Gefahrenpotenziale zeigt, dass bei einem Absturz in den Bereich von Produktionsanlagen, d. h. dort, wo sich die zu-sammenhängenden stofflichen Gefahrenpotenziale befinden, mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit der Verlust dieser Anlagen eintritt.

Eintrittshäufigkeit für Eintritt Störfall:

1,629 10-5 Erwartungswert für ein Ereignis in 61.400 Jahren.

Untere Schranke:

4,142 10-6, Erwartungswert für ein Ereignis in 241.400 Jahren.

Obere Schranke:

3,34 1 0-5, Erwartungswert für ein Ereignis in 29.900 Jahren.

Die „untere“ und „obere“ Schranke für die Störfall-Eintrittshäufigkeit ergibt sich aus den Fehlerschranken, welche bei der Bestimmung der einzelnen Faktoren (Absturz-rate, Absturzverteilung, primäre Schadensfläche, Störfallauswirkungsfläche, Domino-Schadenspropagation) resultieren.

Ergebnis für das individuelle Einzelrisiko mit und ohne Berücksichtigung des Störfallpotenzials:

Ohne Berücksichtigung des stofflichen Gefahrenpotenzials:

1,62 10-6 (Erwartungswert für ein Ereignis in 617.284 Jahren)

Mit stofflichem Gefahrenpotenzial:

2,643 10-5 (37.836 a-1) im Bereich der Produktionsanlagen

Der Vergleich des individuellen Risikos mit und ohne Berücksichtigung des am Bo-den befindlichen Störfallpotenzials zeigt, dass abhängig vom Auswirkungspotenzial der am Boden befindlichen Stoffe das Risiko um einen Faktor 16 zunimmt.

Als Ergebnis derartiger Risikountersuchungen kann festgestellt werden:

Im Zusammenhang mit dem externen Risiko Flugzeugabsturz sind die Wechselwir-kungen mit örtlich vorhandenen Gefahrenpotenzialen zu betrachten.

Es sind dem Grad des Risikos angemessen entsprechende Vorkehrungen bei

��der Katastrophenschutzplanung, ��der Minimierung der Gefahrenpotenziale am Boden oder ��der Minimierung der Absturzhäufigkeiten

vorzusehen.

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

147

10.3 Möglichkeiten und Grenzen der quantitativen Risikoanalyse

Für ein komplexes System (z. B. eine größere verfahrenstechnische Anlage) müssen für die verschiedenen, parallel oder sequenziell ablaufenden Teilprozesse D1 bis DN die verschiedenen Fehlermöglichkeiten sowie die Anfangs- und Randbedingungen bestimmt werden. Hierfür sind binäre (stochastische) Variablen sowie kontinuierliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu bestimmen. Dies kann im konkreten Fall an der fehlenden oder unzureichend statistisch abgesicherten Datenbasis scheitern.

≥≥≥≥1

&

F1

F3

F2

D1

DN

Ereignisablauf

Fehlerbaum

Anfangs- und Randbedingungen

Leckfläche,Druck,Temperatur, Dichte,Stoffkonzentration,...

Alle Merkmale, die einembestimmtenEreignisablauf (Szenarium)zugeordnet sind

Diskrete (binäre) stochastische VariableFehler wirksam/ nicht wirksam

Kontinuierliche WahrscheinlichkeitsverteilungMittelwert/ Vertrauensbereich/ Varianz

Abb. 10.11 Probabilistische Vorgehensweise Selbst wenn die binären (stochastischen) Variablen durch Standard-Fehlermodelle beschrieben werden, müssen die Anfangs- und Randbedingungen der kontinuierli-chen Variablen z. B. aus empirischen Daten, Messungen etc. bekannt sein, damit eine technisch-wissenschaftlich begründete Analyse des Risikos möglich ist.

Wenn die Eintrittswahrscheinlichkeiten für einzelne auslösende Ereignisse aus empi-rischen oder modellgestützten Daten ermittelt sind, kann aus der logischen Kombina-tion der verschiedenen Ereignisabläufe die Gesamtwahrscheinlichkeit für den Eintritt eines Ereignisses bestimmt werden.

In Verbindung mit der räumlichen Verteilung der Auswirkungen für die einzelnen Teilereignisse kann dann die lokale und ggf. zeitliche Verteilung des Risikos ermittelt werden.

Hierbei gilt wie bei allen Berechnungen, dass das Endergebnis nur so sicher ist wie die den Berechnungen zugrunde liegende Datenbasis.

Helmut Spangenberger

148

Auch wenn die hier beschriebenen Methoden der quantitativen Risikoanalyse auf gesicherten mathematischen Methoden beruhen und damit einen entsprechenden Anspruch auf „Exaktheit“ haben, muss immer bedacht werden, dass der Bearbeiter über die Auswahl der zugrunde gelegten Daten entscheidet. Gerade in den Fällen, in denen die Datenbasis gering oder statistisch wenig abgesichert ist, besteht das Risi-ko, dass Daten in die Untersuchungen einfließen, welche zu einer Verfälschung der Ergebnisse führen können. Daher muss die Auswahl begründet, rückverfolgbar und damit für Dritte überprüfbar sein.

Risiken und Gefahren sind bei komplexen und z. B. nicht linear wechselwirkenden Systemen nur in Grenzen erkennbar und beschreibbar. Aus diesem Grund gehört zu jeder seriösen Risikobetrachtung die Angabe der Fehlergrenzen, der Unsicherheiten in der Datenbasis, Modellunsicherheiten und die Angabe des Vertrauensbereichs.

Eine weitere sehr wesentliche Herausforderung der quantitativen Risikoanalyse stellt die Verfügbarkeit und Akzeptanz von Risikogrenzen dar.

Wenn mittels einer quantitativen Risikoanalyse ein Risikowert ermittelt wurde (z. B. als Anzahl von Toten pro Jahr für einen konkreten Ereignisablauf), dann ist dies eine „Zahl“.

Über die Zulässigkeit mit gesetzlichen Vorgaben, soweit diese existieren oder die Akzeptanz dieses Risikos durch die potenziell Betroffenen, ist an dieser Stelle noch nicht entschieden.

In der Störfall-Verordnung der Schweiz werden konkrete Vorgaben zur Zulässigkeit bzw. Ablehnung bestimmter Risikowerte genannt.

Wenn auf der Basis eines Kurzberichts die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt eines schweren Unfalls nicht hinreichend klein ist, dann erfolgt von Seiten der Schweizer Behörde die Verfügung zur Durchführung einer Risikoermittlung.

Bei der Risikoermittlung werden nicht nur die Gefahren für Personen, sondern auch die Einwirkungen auf Schutzgüter (Gewässer) betrachtet.

Es werden Schwellen für das Vorliegen eines Unfalls, eines Großunfalls bzw. einer Katastrophe festgelegt.

Nach diesem Schema (siehe folgende Abbildung 10.12) werden Unfälle mit einer maximal zulässigen Häufigkeit belegt [Quelle: Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, BUWAL, Bern, Schweiz].

Unfälle mit mehr als 10 Toten werden dann als zu hohes (nicht akzeptables Risiko) bewertet, wenn mit einer Eintrittshäufigkeit von mehr als 10-5-Jahren zu rechnen ist. Bereits für den Übergangsbereich von 10-7-Jahren bis 10-5-Jahren können ergänzen-de Sicherheitsmaßnahmen zur Risikominimierung von Seiten der Behörden gefordert werden.

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

149

Abb. 10.12 Verfügbarkeit und Akzeptanz von Risikogrenzen

Bei der Festlegung von Risikogrenzen gilt analog zur Festlegung von Störfallbeurtei-lungswerten (AEGL-, ERPG-Werte), Immissionsgrenzwerten, Arbeitsplatzgrenzwer-ten etc., dass diese vergleichbar sein müssen.

Helmut Spangenberger

150

Für Risikogrenzen können hierzu schwere Unfälle aus der Vergangenheit und die damit verbundenen Schäden herangezogen werden. Durch eine Post-Störfall durch-geführte Risikoermittlung ist dann eine Entscheidung möglich, ob „man“ mit derarti-gen Auswirkungen, wie sie in der Vergangenheit aufgetreten sind, auch zukünftig „leben“ kann. In diesem Fall wäre das mit dem Unfall verbundene Risiko „akzepta-bel“. Sollen solche Auswirkungen zukünftig mit einer geringeren Häufigkeit oder ge-ringeren (weniger schwerwiegenden) Auswirkungen auftreten, dann wäre das fest-gestellte Risiko nicht tragbar.

Die Bestimmung von Risikowerten und die Festlegung von Risikogrenzen müssen im gleichen Kontext stehen (dies erfordert Vergleichbarkeit).

Aus der systematischen Auswertung von schweren Unfällen und den damit verbun-denen Konsequenzen (Anzahl betroffener Personen, Umweltschäden, Investment-schäden) lassen sich Risikogrenzwerte „technisch begründet“ festlegen.

Die Akzeptanz ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, es gilt verschiedene Faktoren wie

��persönliche Betroffenheit, ��wirtschaftliche Belange (Wettbewerbsfähigkeit), ��Transparenz der gewählten Verfahren zur Bestimmung des Risikos und der

Risikogrenzen ,

zu beachten.

Insbesondere die persönliche Betroffenheit ist zu beachten. Hierbei ist zu unter-scheiden zwischen dem persönlichen Risiko, das jeder von uns bewusst oder unbe-wusst täglich eingeht und dem Risiko, welches von „außen“ durch Dritte einwirkt und in der Regel zunächst abgelehnt wird. Die Ablehnung von zusätzlichen Risiken steht aber häufig im Widerspruch zu wirtschaftlichen Belangen.

Dies führt zu einem Interessenkonflikt der letztendlich gesellschaftspolitisch zu ent-scheiden ist.

In letzter Konsequenz werden zulässige, d. h. genehmigungsfähige Risiken durch höchstrichterliche Entscheidungen festgelegt. Die folgenden Risikowerte zeigt die (vorläufige) Entscheidung zum Ausbau des Frankfurter Flughafens.

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

151

Für den Ausbau des Flughafens Frankfurt/Main wurden im Planfeststellungsbe-schluss sowie im Urteil des Hessischen Oberverwaltungsgerichts die folgenden Risi-kowerte als gesellschaftlich akzeptiertes Risiko eingestuft:

Einzelrisiko für Wohnimmobilien: 3 x 10-5

(gleich einem Ereignis in 33.000 Jahren)

Einzelrisiko für Gewerbeimmobilien: 1 x 10-4

(gleich einem Ereignis in 10.000 Jahren)

Gruppenrisiko für 1 betroffene Person: 1 x 10-1

(gleich einem Toten in 10 Jahren)

Gruppenrisiko für 10.000 betroffene Personen: 1 x 10-5

(gleich 10.000 Toten in 100.000 Jahren)

10.4 Beispiel: Risikobasierte Wartungs- und Instandhaltung

Das folgende Beispiel für die konkrete Anwendung der quantitativen Risikoanalyse kommt aus dem Bereich der Wartung und Instandhaltung.

Schadens-mechanismus Schädigung

RelationBelastung zu

Widerstandskraft+ Versagen

• Korrosion• Ermüdung• Erosion• Überbean-

spruchung• Ablagerungen

• Lochfraß• Rissbildung• Wandstärke-

verlust

Ursachen

• Auslegung• Werkstoffwahl• Betriebsbedingungen

Kriterien

Anzeichen

• Inspektion• Reparatur• Austausch

Maßnahmen

• Belastung• Werkstoff• Rest-

wandstärke

Ursachen

• Inspektion• Reparatur• Austausch

Maßnahmen

• Leck• Riss• Abriss• Bruch

Ursachen

• Freisetzung• Brand• Explosion

Konsequenzen

Abb. 10.13 Wartung und Instandhaltung als Teil der Anlagensicherheit

Helmut Spangenberger

152

Auch wenn in der Regel bei der Festlegung von Prüffristen und Prüfmethoden keine Hinweise auf quantitative Risikomethoden angegeben werden, kommen diese Me-thoden, zumindest implizit, zur Anwendung. Häufig werden Auswertungen von Scha-densentwicklungen aus der Vergangenheit herangezogen um Prüffristen festzulegen, welche sicherstellen sollen, dass bestimmte Schadensentwicklungen durch Prüfung erkannt werden , bevor es zum Eintritt eines Schadens kommt. Diese Vorgehenswei-se ist, wenn die hierzu erforderlichen statistischen Methoden beachtet werden, eine typische quantitative Risikoermittlung.

Die vorhergehende Abbildung 10.13 soll verdeutlichen, wie durch gezielte Inspekti-onsmaßnahmen dem Eintritt eines Schadens entgegengewirkt werden kann.

Für die Ermittlung des Zustandes zu einem bestimmten Zeitpunkt sind aussagefähi-ge und erprobte Mess- und Datenerfassungsmethoden erforderlich (z. B. Wanddi-ckemessungen). Aus dem Vergleich mit einem vorher festzulegenden Sollzustand kann die zeitliche Entwicklung der Zustandsveränderung ermittelt werden. Durch z. B. Zeitreihenanalysen kann ein Modell für die zukünftige Zustandsänderung be-stimmt werden. Aus der „Vorhersage“ der zukünftigen Zustandsentwicklung können dann Fristen für die Inspektion oder den Austausch von Komponenten festgelegt werden.

Wahrscheinlichkeitsdichte

Wanddickenverlust

nach 2. Jahren

nach 4. Jahren

nach 6. Jahrennach 8. Jahren nach 10. Jahren

nach 12. Jahren

Wanddicke

Ausfallsicherheit R„reliability“

M=0S

Fehlerbereich

M = R - S

Fehlerbereich

Abb. 10.14 Durch empirische Daten wird ein statistisches Modell über die Fehlerrate bestimmt

Aus der zeitlichen Entwicklung in Richtung eines Fehlzustandes kann der Zeitraum bestimmt werden, nach dem spätestens eine Inspektion oder ein Austausch erforder-lich wird.

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

153

Da die zeitliche Entwicklung eine statistische Vorhersage ist, treten statistische Unsi-cherheiten auf. Dies bedeutet, dass der Zeitpunkt der nächsten Inspektion oder Re-paratur nur innerhalb der statistischen Unsicherheiten bestimmt ist. Es müssen ent-sprechende Sicherheitsfaktoren einbezogen werden.

Veränderungen in der Betriebsweise, die in dem festgelegten Zeitraum eintreten, können die statistische Vorhersage verändern.

Abb. 10.15 Risikobasierte Methoden erfordern die Identifizierung der Risiko

tragenden Komponenten

Eine risikobasierte Wartung und Instandhaltung erfordert eine Vorgehensweise, die den Anteil einer Komponente am Gesamtrisiko berücksichtigt.

Auf diese Weise wird der „Aufwand“ dem Risiko entsprechend auf die einzelnen Komponenten zugemessen.

Helmut Spangenberger

154

10.5 Zusammenfassung und Schlusswort

Die Entwicklung geht in Richtung

��Risikobasierte Sicherheitsanalyse, ��Risikobasierte Auswahl, Spezifikation von Schutzsystemen

(siehe IEC 61508), ��Risikobasierte Wartung und Inspektion

(Beispiel: API 581 „Risk based inspection“).

Als Analysemethoden stehen bereits heute EDV-Systeme zur Verfügung, Experten-systeme werden weiterentwickelt.

Risikobasierende Sicherheitsanalysen, quantitative Risikoanalysen erfordern Daten über

��Ausfallhäufigkeiten, ��Fehlerraten im Anforderungsfall, ��Gefahrenpotenzial <-> Konsequenzrelationen. Solche Daten lassen sich nur durch eine systematische Erfassung und Auswertung von schweren Unfällen mit Angaben über

��Art, Menge, Zustand der beteiligten Stoffe, Verfahren etc., ��Ablauf des Ereignispfades, ��Art und Umfang der Konsequenzen,

ermitteln.

Die wesentliche Konsequenz ist, dass in weit größerem und insbesondere auch de-tailliertem Umfang als bisher, Unfalldaten, Versagensmerkmale von Anlagen und Komponenten systematisch erfasst und ausgewertet werden müssten.

Alle Methoden beginnen mit einer qualitativen Bewertung und „Vertrauen“ auf den „gesunden Sachverstand“.

Die deterministische Methode vertraut darauf, dass man die Randbedingungen und die Anfangsbedingungen realistisch beschreiben kann.

Die probabilistische Methode ergänzt die deterministische Methode durch die „natur-gegebenen“ Unsicherheiten. Soweit diese ausreichend beschreibbar sind, entsteht ein besseres Abbild der „Realität“.

Kein Risikowert ist frei von Unsicherheiten, daher müssen diese mit angegeben wer-den.

Nur unter gleichen Randbedingungen können Risikowerte miteinander verglichen werden.

Theorie und Praxis der Risikoanalyse

155

Abb. 10.16 In einer hochsommerlichen Abendveranstaltung am 6. Juli 2010 stellte

Dr. Helmut Spangenberger in Wuppertal Methoden der Risikoanalyse in der Anlagensicherheit anhand verschiedener Praxisbeispiele vor

Abb. 10.17 Trotz der hochsommerlichen Wetterbedingungen fanden sich Fachleute

aus dem Bergischen Städtedreieck sowie aus Dortmund, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Marl, Meinerzhagen und Sankt Augustin zum 64. Sicherheitswissenschaftlichen Kolloquium in Wuppertal ein

Autoren- und Herausgeberverzeichnis

156

11 Autoren- und Herausgeberverzeichnis

Ass. jur. Maika Beer ehem. wiss. Mitarbeiterin im Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Arbeits-, Unternehmens- und Sozialrecht in der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Prof., Dr. Günter Borchert Lehrstuhl für Arbeits- und Sozialrecht der Schumpeter School of Business and Economics in der Bergischen Universität Wuppertal

Anne Ewelt Strategiezentrum Gesundheit des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen, Bochum

Prof., Dr. Christian Jochum Kommission für Anlagensicherheit (KAS), Bad Soden

MinR Dipl.-Ing. Thomas Just Hessisches Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit, Wiesbaden

Prof. i.R., Dr. rer. soc. Berndt Keller ehem. Lehrstuhl für Arbeitspolitik an der Universität Konstanz

Dr. Joachim Larisch Zentrum für Sozialpolitik (ZeS), Universität Bremen

PD Dr. Andreas Meyer-Falcke Strategiezentrum Gesundheit des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen, Bochum

Dipl.-Ing. Holger Rabanus Abfallwirtschaftsgesellschaft mbH, Wuppertal

Autoren- und Herausgeberverzeichnis

157

Dr. Hartmut Seifert ehem. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI), Düsseldorf

Dr., Dipl.-Phys. Helmut Spangenberger Gesellschaft für Anlagen- und Betriebssicherheit mbH, Bad Dürkheim

PD Dr. Michael Stein Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe/Abt. Ergonomie, Manching

Veranstaltungsverzeichnis

158

12 Veranstaltungsverzeichnis

Sicherheitsrechtliches Kolloquium im Sommersemester 2004

Neue Wege bei der Prävention: Das Konzept der Steinbruch-Berufsgenossenschaft (StBG) 1. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 27. April 2004 in Wuppertal Dipl.-Ing. Helmut Ehnes Leiter des Geschäftsbereiches Prävention der Steinbruchs-Berufsgenossenschaft, Langenhagen

Neugestaltung der rechtlichen Anforderungen der Berufsgenossenschaften im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz 2. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 8. Juni 2004 in Wuppertal Dipl.-Ing. Manfred Rentrop stv. Leiter der Berufsgenossenschaftlichen Zentrale für Sicherheit und Gesundheit (BGZ), Sankt Augustin

Responsible Care - eine weltweite Initiative der chemischen Industrie zur kontinuierlichen Verbesserung bei Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz 3. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 22. Juni 2004 in Wuppertal Dr. Birgit Sewekow Koordinatorin für Responsible Care bei der Bayer Industry Services GmbH & Co. OHG, Leverkusen

Staatliche Arbeitsschutzaufsicht zwischen Deregulierung, Verwaltungsreform und neuen Herausforderungen 4. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 27. Juli 2004 in Wuppertal Dr. rer. nat. Bernhard Brückner Leiter der Abteilung „Arbeit, Arbeitsschutz“ im Hessischen Sozialministerium, Wiesbaden

Veranstaltungsverzeichnis

159

Sicherheitsrechtliches Kolloquium im Wintersemester 2004/05

Die neue Konzeption der Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit – Rahmenbedingungen, Inhalte und Erfahrungen 5. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 16. November 2004 in Wuppertal Dipl.-Sozialwirt Wieland Wettberg Leiter der Gruppe 3.1 „Arbeitsschutzorganisation, Qualifizierung“ bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund

Neue Entwicklungen bei der sicherheitstechnischen und betriebsärztlichen Betreuung 6. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 30. November 2004 in Wuppertal Dipl.-Ing. Gerhard Strothotte Leiter der Abteilung „Sicherheit“ bei der Berufsgenossenschaftlichen Zentrale für Sicherheit und Gesundheit (BGZ), Sankt Augustin

Gesünder Arbeiten mit System – Chefsache Arbeitschutz: Ein Angebot des Staatlichen Amtes für Arbeitsschutz in Wuppertal 7. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 14. Dezember 2004 in Wuppertal Dipl.-Ing. Elke Lins Leiterin des Dezernats „Arbeitsschutzsystem, Strahlenschutz“ beim Staatlichen Amt für Arbeitsschutz Wuppertal, Wuppertal

Nützliche Online-Werkzeuge für Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit 8. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 18. Januar 2005 in Wuppertal Dipl.-Ing. Karl-Heinz Lang Leiter des Bereichs „Sicherheitstechnik und Arbeitsschutz“ beim Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER) an der Bergischen Universität Wuppertal, Wuppertal

Veranstaltungsverzeichnis

160

Sicherheitsrechtliches Kolloquium im Sommersemester 2005

Instrumente zur Bewertung der betrieblichen Qualität des Arbeitsschutzes 9. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 10. Mai 2005 in Wuppertal Dipl.-Psych. Andreas Saßmannshausen Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich „Arbeit und Gesundheit“ beim Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER) an der Bergischen Universität Wuppertal, Wuppertal

Produktsicherheit und Wettbewerb: Staatliche Verantwortung zwischen Verbraucherschutz und Marktwirtschaft 10. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 24. Mai 2005 in Wuppertal Dipl.-Ing. Matthias Honnacker Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gruppe 2.1 „Produktbeschaffenheit, Grundsatzfragen“ bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund

Management von Sicherheit und Gesundheitsschutz – ein Unternehmensziel 11. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 31. Mai 2005 in Wuppertal Dr. Albert Ritter Leiter des Instituts Forschung • Beratung • Training (FBT), Otterberg

Arbeitnehmermitwirkung im europäischen Arbeitsrecht 12. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 14. Juni 2005 in Wuppertal Prof., Dr., Dr. h.c. Manfred Weiss Geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeits-, Wirtschafts- und Zivilrecht und Professur Arbeitsrecht im Fachbereich Rechtswissenschaft in der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main

Methodik und Erfahrungen mit Audits im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz 13. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 12. Juli 2005 in Wuppertal Dr. Siegfried Böhm Freier Unternehmensberater, Pulheim Mitglied des Beraterkreises "Arbeitsschutzmanagement" beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA), Berlin

Veranstaltungsverzeichnis

161

Sicherheitsrechtliches Kolloquium im Wintersemester 2005/06

Gesünder Arbeiten in NRW 14. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 8. November 2005 in Wuppertal Dr. Gottfried Richenhagen Leiter des Referates II 2 „Übergreifende Fragen des Arbeitsschutzes, Arbeitsorganisation, Arbeitsschutzrecht, Arbeitsrecht“ beim Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NRW), Düsseldorf

Älterwerden der Gesellschaft als Herausforderung für den betrieblichen Arbeitsschutz 15. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 6. Dezember 2005 in Wuppertal Dr. Thomas Langhoff Geschäftsführer der Gesellschaft für betriebliche Zukunftsgestaltungen GmbH (Prospektiv), Dortmund

SOBANE - A participative management strategy to improve health and safety at work 16. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 17. Januar 2006 in Wuppertal Prof., Dr. Jacques B. Malchaire Occupational Hygiene and Work Physiology Unit Catholic University of Louvain, Brüssel

Anforderungen an das betriebliche Arbeitsschutzrecht aus Arbeitgebersicht 17. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 24. Januar 2006 in Wuppertal RA Saskia Osing Referentin bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Berlin

Netzwerke für Sicherheit und Gesundheitsschutz: Theorie und Praxis 18. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 31. Januar 2006 in Wuppertal Dr. Kai Seiler Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Landesanstalt für Arbeitsschutz Nordrhein-Westfalen (LAfA NRW), Düsseldorf

Veranstaltungsverzeichnis

162

Sicherheitsrechtliches Kolloquium im Sommersemester 2006

Duales Arbeitsschutzsystem in Deutschland - Stand der Debatte aus Sicht des staatlichen Arbeitsschutzes 19. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 25. April 2006 in Wuppertal Dr. Eleftheria Lehmann Vorstandsvorsitzende vom Verein Deutscher Gewerbeaufsichtsbeamter e.V. (VDGAB), Berlin

Aktuelle Fragen der Gefahrstoffverordnung 2005 20. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 16. Mai 2006 in Wuppertal Dr. Henning Wriedt Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Beratungs- und Informationsstelle Arbeit und Gesundheit, Hamburg (BAG), Hamburg

Neue Qualität der Arbeit: Strategie, Schwerpunkte, Perspektiven 21. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 30. Mai 2006 in Wuppertal Dipl.-Ing. André Große-Jäger Leiter des Referates III b 7 „Fachaufsicht BAuA, Arbeitswissenschaft, Branchenspezifische Fragen des Arbeitsschutzes“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Bonn

CE-Kennzeichnung von Maschinen - Aktuelle Handlungshilfen 22. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 20. Juni 2006 in Wuppertal Dipl.-Ing. Andrea Lange Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Berufsforschungs- und Beratungsinstitut für interdisziplinäre Technikgestaltung e.V. (BIT), Bochum

Sifa was nun? Rahmenbedingungen und zeitgemäße Anforderungen an die Fachkraft für Arbeitssicherheit 23. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 4. Juli 2006 in Wuppertal Dr. Lutz Wienhold Geschäftsführer der Gesellschaft für Systemforschung und Konzeptentwicklung mbH (Systemkonzept), Köln

Veranstaltungsverzeichnis

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Sicherheitsrechtliches Kolloquium im Wintersemester 2006/07

Zur Systematik der Sicherheitswissenschaft 24. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 24. Oktober 2006 in Wuppertal Univ.-Prof., Dr. rer. pol. Volker Ronge Professor für Allgemeine Soziologie und Rektor der Bergischen Universität Wuppertal, Wuppertal

Der Arbeitskampf - Historische und aktuelle Aspekte eines Grundtatbestands der Arbeitsbeziehungen 25. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 5. Dezember 2006 in Wuppertal Univ.-Prof. em., Dr. jur. Michael Kittner em. Professor für Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Kassel und langjähriger Justitiar der IG Metall, Kassel

Integrierte Services zum Themenbereich Beschäftigungsfähigkeit – Neues Arbeiten in NRW: Erfahrungen und Ausblick 26. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 12. Dezember 2006 in Wuppertal RGD Dipl.-Ing. Michael Deilmann Referent im Referat II 2 „Übergreifende Fragen des Arbeitsschutzes, Arbeits-organisation, Arbeitsschutzrecht, Arbeitsrecht“ Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS NRW), Düsseldorf

Betriebliches Management von Sicherheit und Gesundheitsschutz – Aktuelle Aktivitäten der Berufsgenossenschaften 27. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 16. Januar 2007 in Wuppertal Dipl.-Ing. Josef Merdian Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten (BGN), Nürnberg

Ziele, Entwicklung und Ergebnisse des Entgelt-Rahmen-Abkommens (ERA) 28. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 23. Januar 2007 in Wuppertal Dipl.-Psych. Axel Hofmann METALL NRW - Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V., Düsseldorf

Europäische Chemikalienpolitik (REACh) – Erfahrungen aus betrieblichen Beratungen 29. Sicherheitsrechtliches Kolloquium am 6. Februar 2007 in Wuppertal Dipl.-Chem. Kerstin Heitmann Institut für Ökologie und Politik GmbH (Ökopol), Hamburg

Veranstaltungsverzeichnis

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Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Sommersemester 2007

REACh: Eigenverantwortung als Regulierungskonzept – Spannungsverhältnis zum Anlagen- und Wasserrecht? 30. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 17. April 2007 in Wuppertal Prof., Dr. jur. Martin Führ Hochschule Darmstadt, Sonderforschungsgruppe Institutionenanalyse (sofia), Darmstadt

Seveso, Bhopal, Toulouse keine Ende abzusehen? Stand und Erwartungen an eine zeitgemäße Störfallvorsorge 31. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 22. Mai 2007 in Wuppertal Dr. Hans-Joachim Uth Umweltbundesamt (UBA), Fachgebiet Anlagensicherheit, Störfallvorsorge, Dessau

Arbeitshygiene - Ein Handlungsfeld für Sicherheitsingenieure 32. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 5. Juni 2007 in Wuppertal Dr.-Ing. Frank Hamelmann Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Arbeitshygiene e.V. (DGAH), Köln

Das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 33. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 19. Juni 2007 in Wuppertal Prof., Dr. jur. Olaf Deinert Universität Bremen, Fachbereich Rechtswissenschaft, Bremen

Methodischer Ansatz für ein interdisziplinäres Konzept der Sicherheitstechnik 34. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 10. Juli 2007 in Wuppertal Dipl.-Ing. Wolf-Dieter Pilz Leiter des VDI Arbeitskreises Technische Sicherheit, Düsseldorf / München

Veranstaltungsverzeichnis

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Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Wintersemester 2007/08

Menschengerechte Arbeitszeitgestaltung 35. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 6. November 2007 in Wuppertal WissD’in Dr. Beate Beermann Leiterin der Gruppe 1.2 „Politikberatung, Soziale und wirtschaftliche Rahmen-bedingungen“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund

Der Wuppertaler Schwebebahnunfall aus juristischer Sicht – Verantwortung und Haftung 36. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 27. November 2007 in Wuppertal RA Andreas Klett Kanzlei Prellwitz, Klett & Kollegen, Langenfeld

Altersgerechte Montage in der Automobilindustrie 37. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 4. Dezember 2007 in Wuppertal Prof., Dr. phil. Ekkehart Frieling Universität Kassel, Institut für Arbeitswissenschaft und Prozessmanagement, Kassel

Sicherheit und Gesundheit in den mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten – Erfahrungen aus Twinningprojekten 38. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 15. Januar 2008 in Wuppertal Dr. rer. nat. Bernhard Brückner Hessisches Sozialministerium (HSM), Wiesbaden

Arbeitsschutz im Umbruch – Eine Zeitreise von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart 39. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 22. Januar 2008 in Wuppertal Staatssekretär Rudolf Anzinger Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Berlin

Sicheres und gesundes Lernen, Lehren und Forschen an der Bergischen Universität Wuppertal 40. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 29. Januar 2008 in Wuppertal Universitätskanzler Hans Joachim von Buchka Bergische Universität Wuppertal, Wuppertal

Veranstaltungsverzeichnis

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Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Sommersemester 2008

Neue Entwicklungen in der sicherheitstechnischen und betriebsärztlichen Betreuung 41. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 22. April 2008 in Wuppertal Dipl.-Ing Gerhard Strothotte Abteilung Sicherheit und Gesundheit in der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), Sankt Augustin

Risikofaktor Arbeitszeit 42. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 20. Mai 2008 in Wuppertal Prof., Dr. Friedhelm Nachreiner Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Oldenburg

Unsichere Produkte und Strategien der Marktüberwachung 43. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 17. Juni 2008 in Wuppertal Dir. und Prof. Dr. Karl-Ernst Poppendick Leiter des Fachbereichs 2 „Produkte und Arbeitssysteme“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund

Aktuelle Aktivitäten des Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Bereich Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 44. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 24. Juni 2008 in Wuppertal MR Michael Koll Leiter der Unterabteilung Arbeitsschutz im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Bonn

Methoden zur Ermittlung und Beurteilung von arbeitsbedingten Beschwerden und Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems sowie Präventionskonzepte 45. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 1. Juli 2008 in Wuppertal Dipl.-Ing., M. Sc. André Klußmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V. (ASER) an der Bergischen Universität Wuppertal, Wuppertal

Veranstaltungsverzeichnis

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Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Wintersemester 2008/09

Die Ursachen der juvenilen Adipositas in der modernen Gesellschaft 46. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 28. Oktober 2008 in Wuppertal Dr. Michael M. Zwick Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart, Stuttgart

Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie – Anforderungen an das staatliche Aufsichtshandeln im Arbeitsschutz 47. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 18. November 2008 in Wuppertal Dr. jur. Jörg Windmann Leiter der Abteilung 5 „Justiziariat, Fahrpersonalrecht„ im Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Hannover, Hannover

Gefährdungsfaktor Lärm – Aktuelle Aspekte der Prävention 48. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 9. Dezember 2008 in Wuppertal WissD Dr. Patrick Kurtz Leiter der Gruppe 2.6 „Emission von Maschinen, Lärm“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund

Die neue Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge 49. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 13. Januar 2009 in Wuppertal MinR’in Rita Janning Leiterin des Referats „Arbeitsschutzrecht, Arbeitsmedizin, Prävention nach dem SGB VII“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Bonn

Arbeitsschutz in der Krise – Rechte der Beschäftigten “S“. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 3. Februar 2009 in Wuppertal apl. Prof., Dr. rer. pol. Ralf Pieper Leiter des Fachgebiets Sicherheits- und Qualitätsrecht in der Abteilung Sicherheitstechnik im Fachbereich D der Bergischen Universität Wuppertal, Wuppertal

Veranstaltungsverzeichnis

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Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Sommersemester 2009

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – Aufgaben und Perspektiven 50. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 28. April 2009 in Wuppertal Präsidentin und Prof. Isabel Rothe Präsidentin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund / Berlin / Dresden

Prozessorientierte Produkterstellung mit dem Leitfaden für Hersteller zur Anwendung des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes 51. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 12. Mai 2009 in Wuppertal Dipl.-Ing. Christof Barth Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gesellschaft für Systemforschung und Konzeptentwicklung GmbH (Systemkonzept), Köln

Vibrationen – Gefährdungen, Maßnahmen, Handlungshilfen 52. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 26. Mai 2009 in Wuppertal Dr.-Ing. Gerhard Neugebauer Leiter der Fachstelle „Lärm und Vibrationen“ in der Präventionsabteilung der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft, Düsseldorf

Geräte- und Produktsicherheitsgesetz: Aktuelle Entwicklungen 53. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 9. Juni 2009 in Wuppertal Dipl.-Ing. Dirk Moritz Referent im Referat III c 6 „Geräte- und Produktsicherheit“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), Bonn

Lebensmittelüberwachung in Wuppertal – Ein Beitrag zum Verbraucherschutz 54. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 30. Juni 2009 in Wuppertal Dr. Günter Brengelmann Leiter des Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamtes der Stadt Wuppertal, Wuppertal

Veranstaltungsverzeichnis

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Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Wintersemester 2009/10

Gesundheitsrisikoinformationen für Produkte: Ein wichtiger Baustein des Verbraucherschutzrechts 55. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 27. Oktober 2009 in Wuppertal Prof., Dr. Günter Borchert Lehrstuhl für Arbeits- und Sozialrecht der Schumpeter School of Business and Exonomics der Bergischen Universität Wuppertal

Arbeit(s)(nehmer)schutz: Integraler Bestandteil oder Fremdkörper im Betrieb? 56. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 15. Dezember 2009 in Wuppertal Dr. Joachim Larisch Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen

Simulatorkrankheit bei der Nutzung von Flugsimulatoren in der Luftwaffe 57. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 12. Januar 2010 in Wuppertal PD, Dr. Michael Stein Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe, Abteilung Ergonomie, Manching

Reformbedarf bei überwachungsbedürftigen Anlagen? Erfahrungen aus Sicht der hessischen Arbeitsschutzaufsicht 58. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 26. Januar 2010 in Wuppertal MinR, Dipl.-Ing. Thomas Just Hessisches Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit, Referat III 4B “Produkt- und Betriebssicherheit“, Wiesbaden

Gesundheitscampus NRW: Chancen für eine nachhaltige Gesundheitspolitik in NRW 59. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 2. Februar 2010 in Wuppertal PD, Dr. Andreas Meyer-Falcke Leiter des Strategiezentrums Gesundheit des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen, Bochum

Veranstaltungsverzeichnis

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Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium im Sommersemester 2010

Atypische Beschäftigung – Entwicklung Muster und Regulierungsprobleme 60. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 27. April 2010 in Wuppertal Dr. Hartmut Seifert ehem. Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI), Düsseldorf

Konzepte des Arbeitsschutzrechts in Skandinavien und ihr Einfluss auf das europäische Recht 61. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 11. Mai 2010 in Wuppertal Ass. jur. Maika Beer ehem. wiss. Mitarbeiterin im Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Arbeits-, Unternehmens- und Sozialrecht der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Witten

Überwachungsbedürftige Anlagen – Herausforderungen für den Betreiber am Beispiel eines Müllheizkraftwerks 62. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 18. Mai 2010 in Wuppertal Dipl.-Ing. Holger Rabanus Leiter Arbeitssicherheit, Abfallwirtschaftsgesellschaft mbH Wuppertal (AWG)

Stand und aktuelle Entwicklungen in der Anlagensicherheit 63. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 1. Juni 2010 in Wuppertal Prof., Dr. Christian Jochum Vorsitzender der Kommission für Anlagensicherheit (KAS), Bad Soden

Theorie und Praxis der Risikoanalyse 64. Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium am 6. Juli 2010 in Wuppertal Dr., Dipl.-Phys. Helmut Spangenberger Gesellschaft für Anlagen- und Betriebssicherheit mbH, Bad Dürkheim

Schriftenreihe der ASER-Forschungsberichte:

SCHAFFELD, W.; LANG, K.-H.; GEBHARDT, HJ.:

Hitzearbeit in der Aluminiumindustrie

Forschungsbericht - Nr. 1, Institut ASER e.V., Wuppertal, Juni 2001

GEBHARDT, HJ.; LANG, K.-H.:

Beurteilung der Belastungen durch manuelle Handhabung von Lasten beim Einlegen von Prospekten in der Zeitungsproduktion

Forschungsbericht - Nr. 2, Institut ASER e.V., Wuppertal, August 2001

LANG, K.-H.; SCHRAMM, H.:

Hitzearbeit in der Papierindustrie

Forschungsbericht - Nr. 3, Institut ASER e.V., Wuppertal, Dezember 2001

ECHTERHOFF, W.; KRAFT, C.:

Sicherungssysteme an Gewässern - Analyse verhaltenswissenschaftlicher Bedingungen von Unfällen externer Personen

Forschungsbericht - Nr. 4, Institut ASER e.V., Wuppertal, März 2002

SASSMANNSHAUSEN, A.; LANG, K.-H.:

Evaluation des Umsetzungsstandes der sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Betreuung in den deutschen Niederlassungen eines internationalen Logistikunternehmens

Forschungsbericht - Nr. 5, Institut ASER e.V., Wuppertal, Juli 2003

SEILER, K.; RODOULI, F.; LANG, K.-H.; MÜLLER, B.H.:

Untersuchungsergebnisse zur Reflektion beteiligter Netzwerkpartner am Kooperationsnetzwerk “Gesünder Arbeiten mit System“ der rheinisch-bergischen Region

Forschungsbericht - Nr. 6, Institut ASER e.V., Wuppertal, November 2003

TASCHBACH, T.; LANG, K.-H.; MÜLLER, B.H.:

Ergonomische Gestaltung von Maschinen: Berücksichtigung von europäischen Normen bei der Konstruktion von Maschinen

Forschungsbericht - Nr. 7, Institut ASER e.V., Wuppertal, Dezember 2003

RODOULI, F.:

Commitment und Motivation von Informationsgebern in einem virtuellen Informations-Netzwerk zum Arbeitsschutz

Forschungsbericht - Nr. 8, Institut ASER e.V., Wuppertal, Januar 2004

SASSMANNSHAUSEN, A.; RODOULI, F.; LANG, K.-H.; TIELSCH, R.; SEILER, K.:

Orientierende Bestandsaufnahme zur Beteiligung von Unternehmen an Kooperationsnetzwerken mit dem Schwerpunkt 'Betriebliche Gesundheitsförderung'

Forschungsbericht - Nr. 9, Institut ASER e.V., Wuppertal, Mai 2004

LANG, K.-H.:

Stand von Good-Practice-Datenbanken zur Arbeitsgestaltung in Deutschland

Forschungsbericht - Nr. 10, Institut ASER e.V., Wuppertal, Juni 2004

LANG, K.-H.; SCHÄFER, A.; SCHAUERTE, N.; SPIELMANN, T.:

Good-Practice-Projekt der Gemeinschaftsinitiative Gesünder Arbeiten (G2P GiGA) - Machbarkeitsstudie

Forschungsbericht - Nr. 11, Institut ASER e.V., Wuppertal, Februar 2005

LANG, K.-H.; LANGHOFF, T.:

Arbeitsschutzberatung als Teil einer neuen Qualität der Unternehmensgründung

Forschungsbericht - Nr. 12, Institut ASER e.V., Wuppertal, März 2005

PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):

Sicherheitsrechtliches Kolloquium 2004 – 2005 (Band 1)

Forschungsbericht - Nr. 13, Institut ASER e.V., Wuppertal, Januar 2006

PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):

Sicherheitsrechtliches Kolloquium 2005 – 2006 (Band 2)

Forschungsbericht - Nr. 14, Institut ASER e.V., Wuppertal, Januar 2007

LANG, K.-H., SAßMANNSHAUSEN, A., SCHÄFER, A., NOLTING, K.:

Abschlussbericht zum Pilotprojekt REACH-Net – Langfassung –

Forschungsbericht - Nr. 15, Institut ASER e.V., Wuppertal, Juli 2007

LANG, K.-H., SAßMANNSHAUSEN, A., SCHÄFER, A., NOLTING, K.:

Abschlussbericht zum Pilotprojekt REACH-Net – Kurzfassung –

Forschungsbericht - Nr. 16, Institut ASER e.V., Wuppertal, Oktober 2007

LANG, K.-H., DEILMANN, M., NOVER, H.:

Zusammenfassung und Fortschreibung der Ergebnisse zum Pilotprojekt REACH-Net

Forschungsbericht - Nr. 17, Institut ASER e.V., Wuppertal, November 2007

PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):

Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2006 – 2007 (Band 3)

Forschungsbericht - Nr. 18, Institut ASER e.V., Wuppertal, Januar 2008

PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):

Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2007 – 2008 (Band 4)

Forschungsbericht - Nr. 19, Institut ASER e.V., Wuppertal, April 2009

KLUSSMANN, A.:

Ermittlung und Bewertung von Ansatzpunkten zur Prävention von Kniegelenksarthrosen im Arbeitsleben

Forschungsbericht - Nr. 20, Institut ASER e.V., Wuppertal, Oktober 2009

MÜHLEMEYER, C., GEBHARDT, HJ., LANG, K.-H.:

Entwicklung einer Einstufungshilfe zur Beurteilung von sonstigen Umgebungseinflüssen für die Anwendung im Rahmen des ERA-TV BW

Forschungsbericht - Nr. 21, Institut ASER e.V., Wuppertal, Oktober 2009

ROSKOPF, N.:

Kontinuierliche Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz als Herausforderung und Chance für Fremdfirmen in Unternehmen der Rheinischen Braunkohlenindustrie

Forschungsbericht - Nr. 22, Institut ASER e.V., Wuppertal, Januar 2010

PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):

Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2008 – 2009 (Band 5)

Forschungsbericht - Nr. 23, Institut ASER e.V., Wuppertal, Juni 2010

MÜHLEMEYER, CH., K.-H. LANG, A. KLUßMANN, HJ. GEBHARDT

Ermittlung von Erholzeiten bei typischen Arbeitssystemen in der Metall- und Elektroindustrie Forschungsbericht - Nr. 24, Institut ASER e.V., Wuppertal, 2010

PIEPER, R., LANG, K.-H. (Hrsg.):

Sicherheitswissenschaftliches Kolloquium 2009 – 2010 (Band 6)

Forschungsbericht - Nr. 25, Institut ASER e.V., Wuppertal, April 2011

Herausgeber:apl. Prof., Dr. rer. pol. Ralf Pieper, Leiter des FachgebietsSicherheitstechnik / Sicherheits- und Qualitätsrecht in der Abteilung Sicherheitstechnik der Bergischen Universität &Dipl.-Ing. Karl-Heinz Lang, Geschäftsführer beim Institut

für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Ergonomie e.V.

(ASER)

Das Sicherheitswissenschaftliche Kolloquium be-

Rahmenbedingungen für Sicherheit und Gesund-heit bei der Arbeit sowie der Qualität der Arbeitund der Qualität von Waren und Dienstleistungen. Zur Diskussion werden Konzepte, Methoden undInstrumente der Sicherheitswissenschaft und desQualitätsmanagements gestellt. Dies umfasst denBereich der arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisseund Regeln der Technik, den Stand der Technik sowie den Stand von Wissenschaft und Technik.Einbezogen werden Fragen der betrieblichen undüberbetrieblichen Sicherheits- und Gesundheits-organisation sowie das Compliance.Das Sicherheitswissenschaftliche Kolloquium richtetsich insbesondere an alle im Bergischen Land undim Land Nordrhein-Westfalen, die an Fragestellungenund Lösungsansätzen der Sicherheitswissenschaftenund des Qualitätsmanagements interessiert sind.

www.suqr.uni-wuppertal.dewww.institut-aser.de

ISBN 978-3-936841-21-3 Sic

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2009 -

2010

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(Hrsg.)

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