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Seymour M. Hersh Atommacht Israel Das geheime Vernichtungspotential im Nahen Osten Aus dem Amerikanischen von Hans Bangerter, Gabriele Burkhardt und Karlheinz Dürr Droemer Knaur

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  • Seymour M. Hersh

    Atommacht IsraelDas geheime Vernichtungspotential

    im Nahen Osten

    Aus dem Amerikanischen vonHans Bangerter, Gabriele Burkhardt

    und Karlheinz Dürr

    Droemer Knaur

  • © Copyright für die deutschsprachige Ausgabe beiDroemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1991'

    © by Seymour M. Hersh, 1991Redaktionelle Bearbeitung: Dr. Ulrich Mihr, Tübingen

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile isturheberrechtlich geschützt.

    Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts-gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

    Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung

    in elektronischen Systemen.Umschlaggestaltung: Agentur ZERO, MünchenSatzarbeiten: Büro Dr. Ulrich Mihr, Tübingen

    Druck und Bindearbeiten: Mohndruck, GüterslohPrinted in GermanyISBN 3-426-26592-3

    2 3 5 4

    Für Elizabeth, Matthew, Melissa and Joshua.

    Originaltitel: The Samson OptionOriginalverlag: Random House, New York

  • Inhalt

    Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

    1 Ein Geheimabkommen . . . . . . . . . . . . 9

    2 Der Wissenschaftler . . . . . . . . . . . . . 24

    3 Die French Connection . . . . . . . . . . . 39

    4 Erste Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . 53

    5 Interne Kriege . . . . . . . . . . . . . . . . 65

    6 Die Sache wird publik . . . . . . . . . . . 77

    7 Doppelte Loyalität . . . . . . . . . . . . . . . 88

    8 Ein Präsident kämpft . . . . . . . . . . . . 99

    9 Jahre des politischen Drucks . . . . . . . 123

    10 Die Samson-Option . . . . . . . . . . . . 136

    11 Das Spiel wird fortgesetzt . . . . . . . . . 151

    12 Der Botschafter . . . . . . . . . . . . . . 167

    13 Eine israelische Entscheidung . . . . . . 181

    14 Ein Geschenk des Präsidenten . . . . . . 191

    15 Der Tunnel . . . . . . . . . . . . . . . . 204

    16 Vorspiel zum Krieg . . . . . . . . . . . . 217

    17 Nukleare Erpressung . . . . . . . . . . . 232

    18 Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

    19 Carters Unbehagen . . . . . . . . . . . . 268

    20 Ein israelischer Atomtest . . . . . . . . . 281

  • 21 Der israelische Atomspion . . . . . . . . 295

    22 Ein israelischer Aktivposten . . . . . . . 319

    Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

    Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

    Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

    Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

  • Einführung

    Dieses Buch schildert den geheimen Weg Israels zur nuklearenAtommacht. Der Beweis wird erbracht, daß dieses Geheimnisden höchsten politischen und militärischen Kreisen der Vereinig-ten Staaten seit Eisenhower bekannt war, daß die israelischeAtomrüstung insgeheim gutgeheißen und verräterische Aktionenauf dem Weg zur Bombe bewußt ignoriert wurden.Viele höhere amerikanische Beamte werden zitiert. Sie berichten,was sie und seit wann sie es wußten. Häufig gaben sie zum er-sten Mal solche Stellungnahmen ab. Diese Menschen brachen ihrSchweigen nicht aus Feindseligkeit gegenüber der israelischenRegierung, sondern weil ihnen die Unredlichkeit der amerikani-schen Politik bewußt geworden war: Nach außen hin wird in Wa-shington vorgegeben, man wisse nichts von Israels nuklearemWaffenarsenal. Diese Politik wurde und wird fortgesetzt.Ich zog es vor, bei den Recherchen für dieses Buch nicht nachIsrael zu reisen. Zum einen waren die wenigen Israelis, die bereitwaren, mit mir zu reden, viel offener und zugänglicher, wenn siein Washington, New York und auch in Europa interviewt wurden.Zum anderen unterwirft Israel alle in- und ausländischen Korre-spondenten der Zensur. Nach israelischem Recht muß alles Mate-rial, das Journalisten in Israel produzieren, der Militärzensur vor-gelegt werden. Die Zensoren können jederzeit Änderungen undStreichungen vornehmen, wenn sie die nationale Sicherheit Isra-els bedroht sehen. Aus einleuchtenden Gründen konnte ich michder israelischen Zensur nicht unterwerfen. Wer in der Vergangen-heit gegen diese Gesetze verstieß, wurde von Israel mit Einreise-verbot belegt.Die Israelis, die mir Informationen gaben, waren keine Kritikerdes israelischen Nuklearpotentials. Sie halten die Bombe für not-

  • wendig zur Sicherung des Staates Israel. Sie gaben Auskünfte,weil sie glauben, daß eine umfassende und offene Diskussiondes israelischen Atomarsenals - und der Konsequenzen, die dasmit sich bringen müßte - in einer demokratischen Gesellschaftunerläßlich ist.

    Seymour M. HershWashington, D.C.

  • lEin Geheimabkommen

    Im Jahr 1979 umkreiste das wichtigste militärische Geheimnis derVereinigten Staaten von Amerika die Erde im Weltall. Mühelos be-schrieb es alle sechsundneunzig Minuten seine Bahn um die Erdeund machte frappierend gute und unschätzbar wertvolle Aufklä-rungsfotos von allem, was Hunderte von Kilometern unter ihmlag. Der Satellit hieß KH-11 und stellte in technischer Hinsicht ei-ne erstaunliche Weiterentwicklung dar. Er übermittelte den Bo-denstationen digitalisierte Bilder, die - ohne zeitliche Verzöge-rung - von den Geheimdiensten analysiert werden konnten. EinÜberraschungsangriff wie 1941 auf Pearl Harbor konnte sichnicht wiederholen.Der erste KH-11-Satellit war am 19. Dezember 1976, nach JimmyCarters Sieg über Gerald Ford bei den Präsidentschaftswahlen imNovember, auf seine Umlaufbahn gebracht worden. Die Regie-rung Carter hielt - wie auch schon die Regierung Ford - die wert-vollen Bilder streng unter Verschluß. Sogar bei den Briten, die inder Welt der Geheimdienste als engste Verbündete Amerikas gel-ten, mußte von Fall zu Fall entschieden werden, ob sie die Auf-nahmen zu Gesicht bekamen oder nicht.Im März 1979 wurden dann die strengen Sicherheitsvorschriftengelockert. Präsident Carter beschloß, Israel KH-11-Fotos zur Ver-fügung zu stellen. Wenn in einem Gebiet im Umkreis von 160Kilometern um Israel (also auf den Territorien der NachbarländerLibanon, Syrien, Ägypten und Jordanien) Truppenbewegungenoder andere potentiell bedrohliche Aktivitäten stattfanden, sollteIsrael Zugang zu allem Geheimmaterial bekommen, das der Satel-lit lieferte. Die Israelis sollten erstklassige Informationen bekom-men: Die spektakulären ersten Bildserien, die der KH-11 -manchmal sogar dreidimensional - übermittelte, und nicht jene

  • absichtlich unscharf und trübe gemachten Fotos, die der amerika-nische Geheimdienst sonst an die Behörden und die ausländi-schen Verbündeten verteilte, um zu verbergen, welch exzellenteBildauflösung mit den optischen Instrumenten des KH-11 mög-lich war.1

    Für die israelische Regierung war Jimmy Carters Entscheidung eingroßer Triumph. Sie hatte seit der Stationierung des KH-11 dreiJahre zuvor an einer Teilnutzung des Satelliten höchstes Interessebekundet. Amerikanische Geheimdienstleute vermuteten, daß dieIsraelis High-Tech-Bilder bekamen, um sie für die kooperativeTeilnahme von Premierminister Menachem Begin am Gipfel vonCamp David mit Präsident Anwar El Sadat zu belohnen. DieseBeamten hatten verstanden, was vielen Mitarbeitern des WeißenHauses nicht klar war: Die Einbeziehung der Israelis in die Nut-zung des Systems brachte eine völlig neue Verbindlichkeit insSpiel, die mit der ursprünglichen Aufgabe des KH-11 in Konfliktkommen mußte. Der KH-11 war damals die modernste Technolo-gie der Luftaufklärung, erläuterte ein früherer Beamter der Natio-nal Security Agency (NSA). Der Satellit sei für alle Arten vonNachrichtenübermittlung eingesetzt worden, und jeder militäri-sche und zivile Nachrichtendienst der Regierung habe ihn unbe-dingt nutzen wollen. Es war das Ziel der Einsatzleiter des KH-11,die Prioritäten so zu setzen, daß er möglichst zur rechten Zeit amrechten Ort war. Abrupte Flugbahnänderungen sollten ebensovermieden werden wie jähe, treibstoff-fressende Manöver. Da-durch sollte der viele Millionen Dollar teure Satellit mit seinembegrenzten Treibstoffvorrat länger in seiner Umlaufbahn bleiben,mehr Informationen liefern und kostengünstiger arbeiten kön-nen. Carters Entscheidung, Israel direkten Zugang zum KH-11 zugewähren, warf diese ausgeklügelten Pläne über den Haufen. Au-ßerdem mußten einige amerikanische Nachrichtendienste eineEinschränkung ihres Zugangs zum Satelliten hinnehmen. »Es wareine in wirklich vielerlei Hinsicht unpopuläre Entscheidung«, sag-te der frühere Beamte der NSA.Innerhalb der Regierung wurden jedoch keine offiziellen Protestelaut. Den wenigen, die das KH-11-Abkommen beunruhigte, warbewußt, daß jede Besorgnis, die sie darüber (selbst im nachhin-

  • ein) äußerten, ihren eigenen Zugang zu solchen Informationenund damit ihren Status als Insider gefährden könnte.Die Israelis hingegen werteten das KH-11-Abkommen selbstver-ständlich als Zeichen, daß sie den Respekt und die Unterstützungder Regierung Carter wiedergewonnen hatten. Der CIA-Direktorund Ex-Admiral Stansfield Turner hatte nämlich die geheim-dienstliche Zusammenarbeit mit Israel und anderen befreundetenNationen im Rahmen einer Neustrukturierung der CIA erheblicheingeschränkt. Die Israelis waren von den früheren PräsidentenRichard Nixon und Gerald Ford eine weit bessere Behandlunggewohnt. Sie hielten die maßgeblichen Leute in der RegierungCarter für naiv und antisemitisch; vielleicht fehlte diesen Beamtenauch das volle Verständnis dafür, wie eng während des KaltenKrieges die Verbindungen zwischen dem wichtigsten israelischenAuslandsgeheimdienst Mossad und der CIA geworden waren.Das KH-11-Abkommen von 1979 war schon die achtundzwanzig-ste offizielle amerikanisch-israelische Vereinbarung zur Zusam-menarbeit auf dem Gebiet der strategischen Nachrichtenübermitt-lung, die seit den fünfziger Jahren getroffen worden war. Überdiese Vereinbarungen ist nie etwas an die Öffentlichkeit gedrun-gen. Viele wurden nicht aus dem normalen Etat finanziert, son-dern aus einem Reptilienfonds, den der CIA-Direktor persönlichverwaltete. So flössen in den sechziger Jahren ungezählte Millio-nen in bar von der CIA an den Mossad. Diese äußerst heikle Ope-ration trug den Decknamen KK MOUNTAIN (KK war das interneKürzel für Nachrichten und Materialien, die Israel betrafen). ImGegenzug wies der Mossad seine Agenten an, in ganz Nordafrikaund in Ländern wie Kenia, Tansania und dem Kongo die ameri-kanischen Interessen zu vertreten. Andere Geheimabkommen mitdem Mossad bezogen sich auf die heikelsten israelischen Aktio-nen im Nahen Osten wie die Verwendung amerikanischer Gelderzur Finanzierung von Operationen in Syrien und in der Sowjet-union, wo die Agenten der CIA Schwierigkeiten bei der Nachrich-tenbeschaffung hatten. Manche Aktivitäten in der Sowjetunionwurden offenbar aus dem regulären Etat der CIA finanziert, wo-durch sie von den zuständigen Ausschüssen des Kongresses ab-gesegnet waren. Die komplexen Zusammenhänge der amerikani-

  • sehen Finanzierung israelischer Operationen bleiben jedoch ei-nes der großen Geheimnisse des Kalten Krieges.Admiral Turner lockerte jedoch 1977 die Zusammenarbeit mitden Israelis und strich die Gelder für die Operationen in Afrikaund anderen Ländern. Daraufhin lieferten auch die Israelis er-heblich weniger Informationen nach Washington. Aus israeli-scher Sicht stand hinter dem KH-11-Abkommen vom März 1979nicht der Erfolg von Camp David, sondern der Mißerfolg derCIA. Sie hatte den wachsenden sowjetischen Druck auf Afghani-stan 1978 und die möglichen Folgen der Aufstände im Iran völ-lig falsch eingeschätzt. In beiden Ländern gab es große jüdischeGemeinden - in der afghanischen Hauptstadt Kabul lebten vielejüdische Ladenbesitzer -, und die Informationen des Mossad wa-ren erheblich besser als die der CIA. Am ärgerlichsten für denPräsidenten und seine höchsten Berater war die unzureichendeBerichterstattung der CIA über den Iran, wo Schah MohammadResa Pahlawi, ein altgedienter Verbündeter der USA, im Februar1979 durch einen Volksaufstand gestürzt wurde, obwohl in nai-ven CIA-Berichten ein Jahr lang prognostiziert worden war, erwürde sich halten können.2 Die CIA hatte die israelische Inter-pretation der Lage zurückgewiesen. Uri Lubrani, ein früherer is-raelischer Botschafter im Iran, hatte 1978 in einer scharfsinnigenAnalyse dargelegt, warum sich der Schah nicht an der Machtwerde halten können. Die CIA hatte den Präsidenten enttäuschtund die amerikanische Führung gezwungen, einmal mehr die Is-raelis um Hilfe bei der Prognose von Weltereignissen zu bitten.Nicht zufällig gehörte Lubrani der israelischen Delegation an, diedann im März 1979 das KH-11-Abkommen in Washington aus-handelte.

    Die KH-11-Bilder, die Israel nun zur Verfügung standen und diejede militärische Aktivität auf dem Gebiet seiner vier Nachbarstaa-ten wiedergaben, bekamen die Bezeichnung »I & W« (intelligenceand warning) und wurden von den amerikanischen Geheimdien-sten als top secret eingestuft. Sobald die Fotos entwickelt waren,mußten sie von israelischen Militärattaches in einem besonderenPentagon-Büro abgeholt werden, das unter der Leitung der De-

  • fense Intelligence Agency (DIA, zuständig für Militärspionage)stand. Einen entscheidenden Vorbehalt gab es dabei allerdings:Die Israelis durften keine Informationen bekommen, die ihnenbei der Planung eines Präventivschlags gegen ihre Nachbarstaa-ten hätten von Nutzen sein können.»Ich setzte die Regeln fest«, erinnerte sich ein höherer amerikani-scher Geheimdienstmann. »Das System war darauf angelegt, sie(die Israelis) mit allem zu versorgen, was sie eventuell im Rah-men ihrer erlaubten Reichweite (von 160 Kilometern) gebrauchenkonnten. Wenn es in Syrien oder Ägypten war, bekamen sie es.Wenn es im Irak, in Pakistan oder Libyen war, bekamen sie esnicht.«Der Beamte räumte jedoch ein, er und seine Kollegen hätten vonAnfang an damit gerechnet, daß die Israelis alles tun würden, umdie Beschränkungen des Abkommens zu umgehen. Israel vertratsogleich die Position, die Beschränkungen dürften für den ge-meinsamen Feind der Vereinigten Staaten und Israels, die Sowjet-union, nicht gelten. In den darauffolgenden Monaten drängtendie Israelis beharrlich darauf, Daten der Satellitenaufklärung überdie sowjetischen Nachschublinien nach Syrien und über das so-wjetische Engagement bei der Ausbildung der irakischen Kampf-divisionen im westlichen Irak zu bekommen. Diese Anfragenwurden von der Regierung Carter ausnahmslos abschlägig be-schieden.Trotzdem war Israel wieder in die Position eines wichtigen Ver-bündeten aufgerückt, selbst wenn ihm kein unbeschränkter Zu-gang zu den Satellitenbildern des KH-11 gewährt wurde. Das Ab-kommen von 1979 enthielt Formulierungen, die Israel das Rechteinräumten, spezifische Daten aus der Satellitenaufklärung anzu-fordern. Über jede Anfrage sollte von Fall zu Fall entschiedenwerden.Die Vertreter des britischen Geheimdiensts seien empört gewe-sen, erinnerten sich sachkundige Amerikaner, daß Israel Informa-tionen erhielt, die ihnen - den Alliierten aus dem Zweiten Welt-krieg und Nato-Mitgliedern - verweigert wurden.3

    Wie die Briten vielleicht vermuteten, hatte Israel tatsächlich ge-heime Absichten bei seinen ständigen Bemühungen, zum KH-11

  • Zugang zu erhalten. Aber erst im Herbst 1981 fanden einige poli-tische Berater in der Regierung Reagan diese Absichten heraus.Die Aktion begann mit einem Bombenangriff auf den Irak.

    An einem Sonntagnachmittag Anfang Juni 1981 nippte Richard V.Allen, der nationale Sicherheitsberater von Präsident Ronald Rea-gan, auf der Sonnenterrasse seiner Vorortvilla in Virginia an ei-nem Glas Eistee und sah geruhsam die ungelesenen Telegrammedurch, die sich im Lauf einer Woche angesammelt hatten. Vielevon ihnen waren streng geheim.Aus dem Lagebesprechungsraum im Weißen Haus, der rund umdie Uhr besetzt ist, rief ein Berater an und berichtete, die Israelishätten Washington darüber informiert, sie hätten den irakischenKernreaktor in Osirak, 19 Kilometer südöstlich von Bagdad, bom-bardiert und zerstört. Allen rief sofort Reagan an, der das Wo-chenende in Camp David in den nahe gelegenen Catoctin-BergenMarylands verbrachte.Der Präsident, erfuhr er, habe gerade den Hubschrauber bestie-gen, der ihn zurück zum Weißen Haus bringen sollte. »Holt ihnwieder raus«, befahl Allen. Schließlich handelte es sich um die er-ste Nahostkrise der neuen Regierung. Der Präsident kam ans Te-lefon. Im Hintergrund war das Gedröhn der Rotorblätter seinesHubschraubers zu hören.»Mr. President, die Israelis haben gerade einen Kernreaktor imIrak mit F-l6-Bombern zerstört.« Israel wurde von den USA mitlangfristigen Krediten zu niedrigen Zinsen unterstützt und hatte1975 die Genehmigung erhalten, fünfundsiebzig F-l6-Flugzeuge•nur zu Verteidigungszwecken- zu kaufen.»Was wissen Sie darüber?«»Nichts, Sir. Ich warte auf einen Bericht.«»Warum haben sie es Ihrer Meinung nach getan?«Der Präsident ließ diese rhetorische Frage einen Augenblick inder Luft hängen und fügte dann hinzu:»Nun ja, Buben sind eben Buben.«4

    Am nächsten Morgen, so Allen, trat Reagans Oberkommando zu-sammen. Verteidigungsminister Caspar Weinberger schlug vor, dieLieferungen der F-16 zu stornieren. Auch Vizepräsident George

  • Bush, Stabschef James Baker und andere sprachen sich für Sank-tionen gegen Israel aus. Einmal warf Reagan Allen einen Blick zuund bedeutete ihm mit einer Geste, er habe nicht die Absicht, einesolche Maßnahme zu ergreifen. «Er sah mich an und rollte mit denAugen«, sagte Allen.Daß der Präsident den Luftangriff persönlich billigte, war den of-fiziellen Reaktionen der Regierung jedoch nicht zu entnehmen.Noch am selben Nachmittag gab das Außenministerium eine Stel-lungnahme ab, die angeblich vorn Präsidenten und von Außen-minister Alexander Haig abgesegnet war. Der Bombenangriffwurde offiziell verurteilt. Er könne »die schon angespannte Lagein der Region nur verschlimmern«. Dennoch, erinnerte sich Allen,war Reagan »entzückt (und) sehr befriedigt« von dem Überfall aufden Reaktor in Osirak. Der Angriff zeigte, so gab Allen den Präsi-denten wieder, daß die Israelis die Zähne zeigen könnten, etwasvon Strategie verstünden und in der Lage seien, Probleme anzu-packen, bevor sie unlösbar würden. Und welchen Schaden hätteIsrael schon angerichtet? Auch Haig äußerte sich privat ähnlichnachsichtig.Der israelische Bombenangriff löste weltweit Proteste aus, undein paar Tage später gab das Weiße Haus bekannt, die im Rah-men des Abkommens von 1975 geplante Lieferung von vier wei-teren F-l6-Bombern sei ausgesetzt worden. Zwei Monate späterzeigte sich jedoch, welche Politik die amerikanische Regierung inWahrheit verfolgte: Der Lieferstopp wurde aufgehoben, und dieFlugzeuge gelangten ohne großes Aufsehen nach Israel.

    Auch in Israel gab es Meinungsverschiedenheiten über den Bom-benangriff. Seit Ende 1979 war er in der israelischen Regierungauf höchster Ebene diskutiert worden. Yitzhak Hofi, der Direktordes Mossad, und Generalmajor Yehoshua Saguy, der Chef des mi-litärischen Nachrichtendienstes, waren gegen den Angriff. Sie kri-tisierten, der Beweis fehle, daß der Irak schon in der Lage sei,eine Atombombe zu bauen.5 Ihren, allerdings vergeblichen, Ein-wänden schloß sich auch der stellvertretende MinisterpräsidentYigael Yadin an. Bei einer Planungssitzung Ende 1980 schimpfteSaguy noch über die Aktion. Er vertrat die Ansicht, die negative

  • Reaktion aus Washington würde für Israel eine schwerwiegende-re nationale Bedrohung darstellen als der irakische Reaktor.6 Sa-guy widersprach der Auffassung, jede militärische Aktion Israelszur Vermeidung eines >zweiten Holocaust- sei vertretbar. Als Chefdes militärischen Nachrichtendienstes mußte er für seine abwei-chende Meinung büßen. Erst am 4. Juni erfuhr er von der Aktion,also drei Tage vor dem Einsatzflug der Bomber. Daraufhin lehnteer jede Verantwortung für den Überfall ab und drohte vorüberge-hend damit, vertrauliches Material zurückzuhalten.Die militärischen Köpfe der Aktion waren wegen internationalerProteste besorgt und hatten strenge Vorsichtsmaßnahmen ergrif-fen, um geheimzuhalten, daß Israel für die Operation verantwort-lich war. Den Irakern und der Weltöffentlichkeit sollte es unmög-lich gemacht werden, die nicht gekennzeichneten Flugzeuge zuidentifizieren. Der Angriff war planmäßig in zwei Minuten ausge-führt worden, und die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung warminimal. Aber Menachem Begin, vom Erfolg beflügelt, verblüffteam 8. Juni seine Kollegen und bekannte sich eigenmächtig zudem israelischen Schlag. Am nächsten Tag erhob sich ein Sturmvon Protesten. Der Premierminister verteidigte die Operation undgelobte, Israel sei zu einem weiteren Schlag entschlossen, wennes notwendig sei, den Feind an der Entwicklung der Atombombezu hindern. »Wenn der Kernreaktor nicht zerstört worden wäre«,sagte Begin, »hätte in der Geschichte des jüdischen Volkes einzweiter Holocaust stattgefunden. Und es wird nie wieder einenHolocaust geben ... Nie, nie wieder!«Bei einem diplomatischen Empfang der Engländer zwei Tagespäter schockierte Begin die höheren Beamten seiner Regierungund die Vertreter des Geheimdiensts seines Landes abermals: Erprahlte damit, die israelischen Flugzeuge hätten auch eine gehei-me, unterirdische Anlage zerstört, die vierzig Meter unter dem Re-aktor in Osirak gelegen habe, und in der die irakischen Kernwaf-fen hätten montiert werden sollen. Die entsetzten israelischenBeamten wußten, daß Begin keineswegs eine unterirdische Anla-ge zur Waffenmontage in Osirak beschrieb. Eine Anlage diesesTyps gab es dort nämlich gar nicht, aber in Israel war sie bereitsin Betrieb!Vor Presseleuten erzählte Begin bei dem Empfang ferner, die iraki-sche Regierung habe die Anlage vor der Internationalen Atom-energie-Organisation (IAEA) geheimgehalten, die den Reaktor von

  • Osirak im Januar 1981 gemäß dem Atomwaffensperrvertrag von1968 inspiziert hatte. (Der Irak hatte den Vertrag unterzeichnet.)Israelische Regierungssprecher versuchten am nächsten Tag, denSchaden wiedergutzumachen. Sie teilten der Presse mit, Beginhabe sich versprochen. Die Anlage sei nur vier und nicht vierzigMeter unter dem Boden gelegen. Die schlimmsten Befürchtun-gen der Regierung bewahrheiteten sich in den nächsten Tagenund Wochen jedoch nicht: Israels größtes Geheimnis wurde niepublik.7

    Israelische Wissenschaftler und Ingenieure hatten schon 1968 be-gonnen, an einem abgelegenen Ort namens Dimona Kernwaffenherzustellen. Dimona liegt in der Wüste Negev, ungefähr fünf-undachtzig Kilometer südlich von Jerusalem. Mit französischerHilfe hatte Israel einen Kernreaktor gebaut und eine separate, un-terirdische Anlage errichtet, wo in einem komplexen chemischenProzeß das wichtigste Abfallprodukt des Reaktors gewonnenwurde: waffenfähiges Plutonium. Begin war 1977 Premierministergeworden und hatte seitdem die unterirdische Anlage in Dimonamindestens einmal besucht. Israelische Beamte berichteten mir,er habe wenige Tage vor dem Angriffsflug auf Osirak ausführ-liche Informationen über Dimona erhalten. Die Beamten warender Meinung, Begin habe in seinen öffentlichen Äußerungen ein-fach das, was er über Dimona gesehen und gelesen hatte, aufOsirak übertragen. »Er hat das eine mit dem anderen verwech-selt«, meinte ein Israeli und gestand gleichzeitig, daß dies einenachsichtige Interpretation von Begins Verhalten war.Yitzhak Hofi, der Chef des Mossad, war weniger zurückhaltend.Zwei Wochen nach der Bombardierung des irakischen Reaktorsgab er ein beispielloses Zeitungsinterview. Hofi wurde - gemäßden Auflagen der israelischen Zensur - nicht namentlich zitiert. Erbeklagte sich, allerdings ohne einen Namen zu nennen, über Po-litiker, die Staatsgeheimnisse ausplauderten. In israelischen Ge-heimdienstkreisen gab es keinen Zweifel, welchen Politiker Hofimeinte.

    Die Geheimnisse von Dimona waren zwar vielleicht vor der west-lichen Presse gerettet worden, aber die Anlage war nun einer vielkonkreteren Bedrohung ausgesetzt. Israelische Beamte gaben zu,

  • ihre Geheimdienste hätten in den Tagen nach dem Angriff vom7. Juni Hinweise darauf erhalten, daß der Irak damit begonnenhabe, einige seiner sowjetischen Scud-Raketen näher an die ira-kisch-jordanische Grenze zu transportieren. Offensichtlich planeer einen Vergeltungsschlag. Von einer ein wenig weiter westlichgelegenen Position in Jordanien hätten die irakischen Scud-Rake-ten Dimona erreichen können. Im Unterschied zu dem Reaktor inOsirak, der noch nicht voll betriebsbereit war, wurde in Dimonaacht Monate im Jahr rund um die Uhr an der Aufbereitung vonBrennstäben und der Herstellung von waffenfähigem Plutoniumgearbeitet. Ein irakischer Angriff würde das Land im Umkreis vonvielen Kilometern mit tödlicher Radioaktivität verseuchen.Israelische Beamte hatten jedoch lange vor dem Luftangriff aufOsirak angeordnet, den kuppeiförmigen Reaktor und die unterir-dische Wiederaufbereitungsanlage in Dimona abzuschalten. Bei-de wurden bis Ende des Jahres nicht mehr in Betrieb genommen.Außerdem hielt die israelische Luftwaffe vierundzwanzig Stundennonstop Aufklärungsflugzeuge in der Luft. Es gibt keine Hinweisedarauf, daß Washington die israelischen Verteidigungsmaßnah-men bemerkt oder ihren Sinn verstanden hätte.Einige britische Geheimdienstler schöpften sofort den Verdacht,Israel habe die hochauflösenden KH-11-Bilder dazu benutzt, denirakischen Reaktor anzuvisieren, und beschwerten sich darüberbei ihren amerikanischen Kollegen. Nach Darstellung eines Ame-rikaners sagten sie lediglich: »Wir haben es euch gleich gesagt.«Ironischerweise wirkte sich der erfolgreiche israelische Luftangriffpositiv auf den ohnehin schon ausgezeichneten Ruf des KH-11-Systems aus. Wenige Stunden nach dem Überfall lagen auf denSchreibtischen der Washingtoner Entscheidungsträger erstklassigeSatellitenfotos des zerstörten Forschungsreaktors.Wie eine anschließende, streng geheime Untersuchung zeigte,hatten die Briten recht: Israel hatte sich über den KH-11 wertvolleInformationen beschafft. Anscheinend hatte dabei William Casey,Reagans CIA-Direktor, unabsichtlich eine Schlüsselrolle gespielt.

  • Casey hatte sich seit seinem Amtsantritt nachdrücklich dafür ein-gesetzt, Israel die KH-11-Bilder zur Verfügung zu stellen. Zu Be-ginn seiner Amtszeit ließ er den israelischen Verbindungsoffi-zieren ein privates Büro in der Nähe des CIA-Hauptquartierszuweisen. Damit wollte er den Israelis offenbar direkten Kontaktzu denjenigen amerikanischen Geheimdienstoffizieren verschaf-fen, die die KH-11-Fotos entwickelten. Auf diese Weise sollte da-für gesorgt werden, daß die Israelis alle wichtigen Informationenbekamen. Nur Israelis, war die Überlegung, konnten beurteilen,was für Israel wichtig war. Als dem CIA-Direktor nach demBombenangriff plötzlich ernste Fragen über den israelischenMißbrauch des KH-11-Abkommens zur Weitergabe von Informa-tionen gestellt wurden, richtete er in aller Eile einen kleinen Ex-pertenausschuß ein, der den Vorfall untersuchen sollte.8 DerAusschuß sollte unter den verschärften Sicherheitsbedingungenarbeiten, die immer galten, wenn der israelische Geheimdienstim Spiel war.Der Ausschuß förderte Verblüffendes zu Tage.In etwas mehr als zwei Jahren hatten die Israelis ihre Tätigkeit imRahmen des als beschränkt gedachten Abkommens so stark aus-geweitet, daß sie praktisch dem KH-11-System jedes Foto entlok-ken konnten, das sie haben wollten. Am erstaunlichsten war, daßsie Bildmaterial angefordert und auch bekommen hatten, dasganz Westrußland einschließlich Moskau abdeckte. »Es fehlte nurnoch, daß die Israelis das Ding selbst dirigierten«, meinte ein be-unruhigter Offizier. Bei einigen höheren Beamten der CIA undder DIA machte sich Ärger darüber breit, wie nachlässig das Ab-kommen in ihren Augen gehandhabt worden war: »Wir habendas System eingerichtet und uns dann nicht genug darum geküm-mert, was sie (die Israelis) damit anstellten-, sagte der Offizier.9

    William Bader, 1979 Assistant Deputy Undersecretary of Defensefor Policy, mußte frustriert feststellen, daß die Israelis ihre Ohrenüberall hatten und niemand wußte, wie man ihnen Einhalt ge-bieten sollte. »Man wußte nicht, bei wem man sich beschwerensollte«, sagte Bader. »Wir wußten zwar, daß diese Burschen (dieIsraelis) sich an den Bossen und anderen Instanzen vorbei Infor-mationen beschaffen konnten.« Aber wenn eine Beschwerde im

  • falschen Büro landete, »mußte man damit rechnen, daß einem derKopf abgerissen wurde«.Ein früherer höherer NSA-Beamter wurde sehr zornig, als er zu Be-ginn der Amtszeit Reagans erfuhr, daß israelische Offiziere Penta-gonsitzungen beiwohnen durften, auf denen zukünftige Operatio-nen und Flugbahnen des KH-11-Satelliten diskutiert wurden. »Werdavon wußte, dem wurde fast schlecht«, sagte er. »Wenn wir darandachten, wie sorgfältig sonst damit (mit dem KH-11) umgegangenwurde, sind wir wirklich fast durchgedreht.« Ein anderer höhereramerikanischer Geheimdienstoffizier berichtete zwar auch, »vielevon unseren Jungs« seien »schockiert und verstört« gewesen, fügteaber hinzu, er selbst habe sich weniger Sorgen wegen der israeli-schen Übergriffe gemacht: »1981 lag es in unserem nationalen In-teresse, dafür zu sorgen, daß die Israelis überlebten.« Dieser Offi-zier beschrieb den direkten Zugriff, der Israel eingeräumt wordenwar, als Kompromiß. »Israel wollte sicherstellen, daß ihm nichtsWichtiges entging. Israel muß dafür sorgen, daß es alles bekommt,was es braucht.« Der israelische Offizier, der dem Pentagon zuge-teilt war, gab nach Auffassung des amerikanischen Offiziers nurdie israelischen nachrichtendienstlichen Wünsche an die Männerweiter, die für das KH-11-Programm zuständig waren. Dann durfteer dabeisein, wenn in Washington die Echtzeitbilder des KH-11empfangen wurden.Ein Beamter des Außenministeriums sagte, er und AußenministerHaig hätten die Auseinandersetzungen über den Zugang der Is-raelis zu den Informationen »als akademischen Streit in Geheim-dienstkreisen betrachtet. Wozu die Aufregung? Sollen sie die Bil-der doch kriegen. Das schafft Vertrauen.« Für die Israelis sei es einNullsummenspiel gewesen. Wenn die Regierung Reagan ihnenden Zugang zum KH-11 verweigert hätte, hätten sie sich an denKongreß gewandt »und - ausgewiesen als Teil des Auslandshilfe-Etats - das Geld für einen Satelliten samt Abschußrampe undEmpfangsstation bekommen«.Auch für Richard Allen war Israels Umgang mit dem KH-11-Ab-kommen keine große Sache: »Ich nahm an, sie hätten Freunde«, -nämlich im Pentagon, die ihnen unter der Hand den erweitertenZugriff verschafft hätten.

  • Nach dem Bericht des Ad-hoc-Ausschusses wurde im WeißenHaus schließlich beschlossen, den Israelis weiterhin die Aufnah-men zur Verfügung zu stellen, aber den ursprünglichen Beschrän-kungen von 1979 nachdrücklich Geltung zu verschaffen. »Wir ha-ben den Hahn ein wenig zugedreht«, sagte Allen. Israel solltekeine Bilder mehr aus der Sowjetunion oder irgendeinem ande-ren Land außerhalb der l60-Kilometer-Zone bekommen. RichardAllen persönlich übermittelte Ariel Sharon im Herbst 1981 dieseBotschaft. Der umstrittene israelische General, Hardliner undKriegsheld war im August von der gerade wiedergewählten Re-gierung Begin zum Verteidigungsminister ernannt worden.Begin und Sharon reisten im September nach Washington, um imWeißen Haus Unterstützung für einen weitreichenden israeli-schen Plan zu suchen. Eine amerikanisch-israelische strategischeAllianz gegen den gemeinsamen Feind Sowjetunion sollte ge-schmiedet werden. In einem israelischen Memorandum an Wa-shington wurde daraufhingewiesen, die zwei Länder müßten »ge-gen die Bedrohung des Friedens und der Sicherheit der Region-kooperieren. Diese Bedrohung werde »von der Sowjetunion odervon sowjetisch beherrschten Kräften von außerhalb der Region indie Region hineingetragen«. Deshalb wollten die Israelis ReagansEinverständnis für folgende Punkte einholen:- Vorsorgliche Stationierung amerikanischer Truppen;- gemeinsame Nutzung von Flughäfen;- gemeinsame Planung für militärische und politische Krisensi-

    tuationen im Nahen Osten und am Persischen Golf und- amerikanische Finanzierung einer Empfangsstation für die KH-

    11-Bilder in Tel Aviv.Die israelischen Vorstellungen wurden in Amerika verständlicher-weise als überzogen angesehen und zu Sharons Kummer in denVerhandlungen der nächsten Monate stark verwässert. Sharon be-mühte sich besonders um die Empfangsstation und darum, daßnur Israel in der Lage sein sollte, die verschlüsselten Signale zwi-schen dem Satelliten und der Empfangsstation zu empfangen. DieVereinigten Staaten wären dadurch in die unhaltbare Situation ge-kommen, daß sie nicht gewußt hätten, welche Nachrichten Israelvon dem US-Satellitensystem empfangen hätte.

  • Sharohs Vorschlag war grotesk, und privat sagte Allen ihm dasauch. »Das Gespräch verlief nicht gerade liebenswürdig«, erinner-te sich Allen. »Er fing an herumzumeckern, die amerikanische Hil-fe sei nichts als ein Trostpflaster. Immer wieder sagte er: >Ihr wolltuns einfach abspeisen. Wenn ihr das unter strategischer Allianzversteht, sind wir nicht interessiert..« Allen, ein großer Freund Is-raels, ließ sich dadurch nicht einschüchtern: »Ich hielt Sharon füreinen Schwadroneur, der den Mund ziemlich voll nahm.«

    Der Bombenangriff auf Osirak bewirkte keine entscheidende Ver-änderung in den amerikanisch-israelischen Beziehungen. Auchstellte niemand ernstlich die Frage, wozu Israel eigentlich so vieleKH-11-Bilder von so vielen Weltgegenden brauche. Wegen diesesBedürfnisses waren immerhin die amerikanisch-israelischen Be-ziehungen gefährdet worden. Trotz der vorübergehenden Aufre-gung über Israels Zugriff wurden keine Konsequenzen daraus ge-zogen, und die KH-11-Fotos kamen nach wie vor in israelischeHände. Aber ein paar weitreichende Veränderungen ergaben sichdoch für Israel.Die Franzosen waren auch die wichtigsten Lieferanten von nu-klearem Material und Know-how an den Irak gewesen. Als Ge-genleistung hatten sie Öl erhalten. Nun brachte sie der israelischeÜberfall in Verlegenheit. Verärgert versuchten ein paar Beamteaus Paris, sich zu rächen. Sie brachen das vereinbarte Stillschwei-gen, das sie lange Zeit gewahrt hatten, und redeten von einemanderen französischen nuklearen Engagement im Nahen Osten:der geheimen Zusammenarbeit mit Israel zur Entwicklung der is-raelischen Bombe.Ariel Sharon sah sich nach dem Treffen im Kabinett in der Mei-nung bestätigt, die Vereinigten Staaten seien keine verläßlichenstrategischen Verbündeten. Er wandte sich an einen israelischenNachrichtendienst, den das Verteidigungsministerium kontrollier-te und dessen Existenz geheimgehalten wurde. (Auch die Ameri-kaner wußten damals nicht viel über diese Organisation.) Dieser"Nachrichtendienst war in Kommunikationswege amerikanischerDienste eingedrungen und fing Informationen höchster Geheim-haltungsstufe über den Nahen Osten und die Sowjetunion ab: ge-

  • nau jene Informationen, die Israel von den USA nicht mehr be-kommen sollte. Ein amerikanischer Jude, der in US-Geheim-dienstkreisen arbeitete, hatte diesem israelischen Nachrichten-dienst einige Jahre zuvor seine Dienste angeboten. Er sollte balddazu eingesetzt werden, sein Land für Israel auszuspionieren.

    Es steht mit größter Wahrscheinlichkeit fest, daß kein Mitarbeiterdes Weißen Hauses unter Ronald Reagan Sharons Bemühungenum eine KH-11-Empfangsstation in Tel Aviv in Zusammenhangmit Israels nuklearen Ambitionen brachte. Auch der Ad-hoc-Aus-schuß, den William Casey nach Osirak eingerichtet hatte, um dieEinhaltung des Abkommens von 1979 zur Weitergabe von Infor-mationen zu überwachen, akzeptierte unbekümmert Israels Er-klärung, warum es die Regeln gebrochen habe: Die verbotenenKH-11-Bilder der Sowjetunion habe es sich nur besorgt, um dieNachschubverbindungen zwischen der UdSSR und ihren Verbün-deten Syrien und Irak zu überwachen.Selbst in amerikanischen Geheimdienstkreisen hatten 1981 nurwenige begriffen, zu welchem Zweck Israel die Satellitenfotosvon der Sowjetunion sammelte, und warum Sharon so erpicht aufden kontinuierlichen Zugriff auf dieses Material war: Israel warselbst eine Atommacht, die ihre Gefechtsköpfe und Raketen aufdie Sowjetunion richten wollte.

  • 2

    Der Wissenschaftler

    Der wissenschaftliche Vater der israelischen Bombe, ihr J. RobertOppenheimer, war ein schmächtiger, blasser, kettenrauchenderForscher namens Ernst David Bergmann, Sohn eines aus Nazi-deutschland geflohenen Rabbi.Nach der Ausrufung des Staates Israel 1948 - und dem erstenarabisch-israelischen Krieg - machte sich Bergmann in der in-ternationalen Wissenschaft einen Namen. Er wurde als hervorra-gender Fachmann auf dem Gebiet der organischen Chemie undals Direktor der chemischen Abteilung des Weizman-Instituts be-kannt, der wichtigsten israelischen Forschungseinrichtung. Erwar Vorsitzender der 1952 gegründeten israelischen Atomener-giekommission, und bei seinen wenigen öffentlichen Auftrittensetzte er sich entschieden für die Erforschung der Atomkraft zufriedlichen Zwecken ein. Unablässig rauchend, tauchte er bei in-ternationalen Konferenzen über die Atomforschung auf und ver-sprühte Charme und Witz. Seine Intelligenz beeindruckte, undviele Menschen konnte er überzeugen, daß Israel Atomkraftbrauchte, weil der Staat kein Öl von seinen arabischen Nach-barn kaufen konnte.Bergmann erzählte 1947 seinen Freunden, die großen Phosphat-lager in der Wüste Negev enthielten kleine, aber abbaubare Spu-ren von Uran. Innerhalb von zwei Jahren wurde am Weizman-In-stitut eine Abteilung für Isotopenforschung eingerichtet, undjunge israelische Wissenschaftler wurden ins Ausland geschickt,um sich mit den neuen Forschungen auf den Gebieten Kernener-gie und Nuklearchemie vertraut zu machen. Mit der entstehendenfranzösischen Atomenergiekommission wurde ein gemeinsamesForschungsprogramm in die Wege geleitet. 1953 entwickelten is-raelische Forscher am Weizman-Institut ein neues Verfahren zur

  • Herstellung von schwerem Wasser, das zur Kontrolle nuklearerKettenreaktionen gebraucht wird, und ersannen eine effektivereMethode zur Gewinnung von Uran aus den Phosphatlagern.Im November 1954 stellte sich Bergmann der israelischen Öffent-lichkeit in einer Rundfunkansprache vor und berichtete vom is-raelischen Fortschritt bei der Atomforschung zu friedlichenZwecken. Mit zweijähriger Verspätung gab er die Gründung derisraelischen Atomenergiekommission bekannt. Im nächsten Jahrunterzeichnete Israel im Rahmen des Atomsfor Peace-Programmsder Regierung Eisenhower mit den USA ein Abkommen zur Zu-sammenarbeit auf dem Gebiet der zivilen Nutzung der Atomener-gie. Washington half bei der Finanzierung und Brennstoffversor-gung eines kleinen Forschungsreaktors in Nahal Sorek südlichvon Tel Aviv. Das Abkommen sah vor, daß die USA den Reaktorim Rahmen des Atomenergiegesetzes von 1954 inspizieren durf-ten. Es verpflichtete Israel, das nukleare Material nicht zu militäri-scher Forschung zu verwenden, was durch Inspektionen über-prüfbar sein sollte.In diesen Jahren brüstete sich David Ben Gurion - Israels weiß-mähniger »Alter Mann«, der von 1948 bis 1963 (mit einer kurzenUnterbrechung) entweder Premierminister oder Verteidigungsmi-nister war - Besuchern gegenüber wiederholt damit, Israel werdeseinen eigenen Atomreaktor bauen und sein eigenes Uran undvor Ort hergestelltes schweres Wasser verwerten. Atomkraftwer-ke, versprach Ben Gurion, würden bald die Elektrizität und dieEnergie für die Meerwasserentsalzung liefern, mit denen man dieWüste Negev zum Blühen bringen könne.Bergmann war es ernst mit seinem Traum von der friedlichenNutzung der Kernkraft. Gleichzeitig aber stellte dieser Traum ei-ne sehr wirksame Tarnung für seine Pläne zur Entwicklung derBombe dar. Ben Gurion war für all dies verantwortlich, und anseiner Seite stand Shimon Peres, sein brillanter junger Protege,der erst dreißig Jahre alt war, als Ben Gurion ihn Ende 1953 ineine Spitzenposition des Verteidigungsministeriums berief. DieÖffentlichkeit erfuhr in Bergmanns Rundfunkansprache jedochnicht, daß die israelische Atomenergiekommission Peres unddem Verteidigungsministerium direkt unterstellt war. Die friedli-

  • ehe Nutzung der Kernkraft war nicht Ben Gurions höchste Prio-rität - die Wüste sollte zuerst strahlen, bevor sie blühte.Diese drei Männer mußten einen ausländischen Verbündeten fin-den, der ihnen beim Bau der Bombe helfen würde. Außerdemhatten sie sofort begriffen, daß die Bombe auf privatem Wege vonreichen amerikanischen und europäischen Juden finanziert wer-den mußte, die ihren Traum der endgültigen Abschreckungswaf-fe in israelischer Hand teilten. Nur so konnte der Bau der israeli-schen Bombe geheimgehalten werden.

    Im Washington des Kalten Krieges ahnte man nichts von IsraelsBemühungen um die Atombombe in den frühen fünfziger Jahren.Die Vereinigten Staaten waren mit dem Koreakrieg beschäftigt,mit den ökonomischen und sozialen Verhältnissen in Europa, mitder Stärke der Kommunistischen Parteien in Frankreich und Ita-lien, mit der befürchteten kommunistischen Subversion im eige-nen Land und mit dem permanenten politischen Schlagabtauschmit der Sowjetunion.Auch im Nahen Osten gab es Krisen. Ägyptens korrupter KönigFaruk wurde 1952 bei einem Putsch gestürzt, und 1954 wurde derneue radikale Führer Gamal Abd el Nasser Ministerpräsident. DieBriten, die mehr als siebzig Jahre in Ägypten präsent gewesenwaren, und ebenso die Franzosen, zogen ihre Truppen aus Nord-afrika ab. 1955 war die französische Regierung in drei Kolonienmit Rebellionen konfrontiert: in Marokko, Tunesien und Algerien.Marokko und Tunesien errangen 1956 ihre Unabhängigkeit, aberAlgerien, dessen oppositionelle Nationale Befreiungsfront (FLN)von Nasser tatkräftig unterstützt wurde, entwickelte sich zu einemder gefährlichsten Krisenherde des Jahrzehnts. Der blutige Unab-hängigkeitskrieg kostete 250 000 Menschenleben, brachte Frank-reich in den nächsten fünf Jahren an den Rand der nationalenKatastrophe und inspirierte eine ganze Generation arabischer Re-volutionäre im Nahen Osten.Mit seiner Beschwörung eines Panarabismus verunsicherte Nas-ser auch die Israelis, die sich instinktiv an die USA wandten. Dieamerikanischen Juden waren Israels Rettung: Viele hundert Mil-lionen amerikanischer Dollars flössen jedes Jahr nach Israel. Ben

  • Gurion hatte jahrelang vergeblich versucht, mit Washington einenregionalen Sicherheitspakt abzuschließen, um unter den atoma-ren Schutzschild der Amerikaner zu gelangen. Israel hatte dieamerikanische Position im Koreakrieg öffentlich unterstützt undwar auf der Ebene der Geheimdiplomatie noch einen Schritt wei-tergegangen: Ben Gurion erbot sich, israelische Truppen zumKampf auf Seiten der UNO-Truppen in Südkorea zu entsenden.1

    Präsident Harry Truman lehnte ab, da er offenbar fürchtete, sichin ein Sicherheitsarrangement mit Israel zu verstricken. Die Verei-nigten Staaten, England und Frankreich hatten sich in ihrem Drei-mächteabkommen von 1950 auf den Status quo im Nahen Ostenverpflichtet. Weder die islamischen Staaten noch Israel solltenmassiv mit militärischem Gerät versorgt werden. 1953 kam dieRegierung Eisenhower an die Macht. Auch sie bekundete nichtdie Absicht, an dieser Politik etwas zu ändern.Dennoch versuchte Israel, eine Art special relationship mit Präsi-dent Eisenhower herzustellen, allerdings ohne Erfolg. Mitte derfünfziger Jahre gingen jahrelange Gespräche mit Washingtonüber ein Abkommen zur bilateralen Sicherheit ergebnislos zu En-de. Einmal erwog Ben Gurion — wie er seinem Biographen Mi-chael Bar-Zohar erzählte -, Eisenhower die Errichtung amerikani-scher Militärstützpunkte in Israel anzubieten. Im Gegenzug sollteIsrael eine amerikanische Sicherheitsgarantie bekommen. Aberdie Gespräche gerieten ins Stocken, und die Idee wurde fallenge-lassen. Auch verschiedene Bemühungen, Kampfflugzeuge undandere Waffen in Amerika zu kaufen, blieben erfolglos. Eisen-hower hielt sich während seiner achtjährigen Präsidentschaft imPrinzip an das 1950 beschlossene Waffenembargo gegen Israel.Als Folge davon verringerte sich der amerikanische Einfluß imNahen Osten, und Washington verpaßte die Gelegenheit, auf dieisraelische Außenpolitik einzuwirken. Das kam den Juristen vonder Wall Street in der Umgebung Eisenhowers sehr gelegen, dennsie fürchteten, Waffenverkäufe an Israel könnten die Ölversor-gung der USA gefährden.Von Ben Gurions engsten Beratern wissen wir, daß er in diesenJahren unter dem Alptraum eines zweiten Holocaust litt, diesmaldurch die Araber. Israels einzige Sicherheit, predigte Ben Gurion

  • wiederholt, liege in seinem Selbstvertrauen und seiner Selbstver-teidigung. »Was ist Israel?« wurde er von einem Berater zitiert.»Nur ein kleiner Fleck. Ein Pünktchen auf der Landkarte! Wiekann es mitten in dieser arabischen Welt überleben?« Ben Gurionglaubte, den arabischen Charakter zu verstehen, und war über-zeugt davon, daß es so lange keinen Frieden und keine Anerken-nung für Israel geben werde, wie die Araber glaubten, sie könn-ten den Judenstaat zerstören. Viele Israelis, die den Holocaustüberlebt hatten, waren überzeugt, daß es keine Alternative zumBau der Bombe gebe. In ihrem Weltbild war Israel von unver-söhnlichen Feinden umgeben und hatte deshalb keine andereWahl, als sich offensiv zu wehren. Hitler und Nasser waren für sienahezu auswechselbare Figuren.Deshalb hielten sie ein Atomwaffenarsenal für unabdingbar. BenGurion wies in den fünfziger Jahren in öffentlichen Reden immerwieder auf den Zusammenhang zwischen der Sicherheit Israelsund dem wissenschaftlichen Fortschritt in seinem Land hin. »Un-sere Sicherheit und unsere Unabhängigkeit erfordern, daß sichmehr junge Leute der wissenschaftlichen Forschung auf den Ge-bieten der Nuklear- und Solarenergie, der Elektronik und so wei-ter widmen-, sagte er vor der Knesset, dem israelischen Par-lament, im November 1955. Zwei Jahre später äußerte ErnstBergmann diese Überlegungen ganz explizit in einem Brief: »Ichbin überzeugt davon, ... daß der Staat Israel ein eigenes militäri-sches Forschungsprogramm braucht, damit wir nie wieder wieLämmer zur Schlachtbank geführt werden.«Ben Gurion, Shimon Peres und Ernst Bergmann glaubten, Israelsautonome Rüstungspolitik könne schließlich garantieren, was Prä-sident Eisenhower nicht garantieren wollte - einen atomarenSchutzschild.

    Kein Außenstehender - weder aus der internationalen Wissen-schaft, noch der israelischen Öffentlichkeit, noch aus amerikani-schen Geheimdienstkreisen - konnte erkennen, welche Bedeu-tung zwei andere Bereiche hatten, die Bergmann Anfang derfünfziger Jahre in der Regierung unterstellt waren. Er war wissen-schaftlicher Berater des Verteidigungsministers und Forschungs-

  • und Planungsdirektor des Verteidigungsministeriums. Nur die Is-raelis, in deren Zuständigkeitsbereich diese Posten lagen, wuß-ten, daß Bergmann als kompromißloser und tatkräftiger Befür-worter von Atomwaffen - zusammen mit den Franzosen - direktdafür verantwortlich war, daß es Israel bis Ende der sechzigerJahre zu einer Atommacht bringen konnte. Bergmann und dieFranzosen machten sich in der Wüste Negev an die Arbeit undhielten ihre Tätigkeit geheim - so wie Robert Oppenheimer undseine Kollegen das Manhattan-Projekt in der Wüste bei Los Ala-mos geheimgehalten hatten.Der junge Bergmann hatte die Welt der Atome Anfang der zwan-ziger Jahre als Student der organischen Chemie am Emii-Fischer-Institut der Universität Berlin kennengelernt.Einer von Bergmanns Kollegen in Berlin war der ÖsterreicherHerman Mark, später ein bekannter Chemiker und Dekan desBrooklyn Polytechnic Institute. Im Lauf seiner Karriere veröffent-lichte er zwanzig Bücher und mehr als fünfhundert Artikel überPolymere. (Sein Sohn Hans diente in der Regierung Carter in ho-her Funktion in der Administration der Luftwaffe.)2 -Wir warenkeine Theoretiker«, erinnerte sich Herman Mark. -Wir wolltenDinge herstellen. Kunststoffe waren für uns das Entscheidende.Zuerst muß man etwas herstellen, das sonst noch keiner hat -und dann kann man es benutzen.« In Berlin arbeiteten Berg-mann und Mark zusammen und veröffentlichten gemeinsam Ar-tikel über die chemischen Strukturen von Gummi, Farbe undKlebstoffen.Bergmanns Vater war ein wichtiger Berliner Rabbi und engerFreund Chaim Weizmans, des russisch-jüdischen Biochemikersund Zionisten, der damals in England lebte. 1933 machten dieNazis es Bergmann und allen anderen Juden mit einer Reihedurchgreifender Verordnungen unmöglich, weiterhin in Deutsch-land wissenschaftlich zu arbeiten. Weizman holte den jungenBergmann zu sich nach England an die Universität von Manche-ster, wo Bergmann seine Forschungen über Kunststoffe fortsetzteund wieder enge Verbindungen mit den Wissenschaftlern unter-hielt, die sich mit der Spaltung des Atoms beschäftigten. (WieWeizmnn machte auch Bergmann Frederick Alexander Linde-

  • mann auf sich aufmerksam, den späteren Lord Cherwell, einendeutschstämmigen Wissenschaftler aus Oxford, der in den Jahrenvor dem Zweiten Weltkrieg Winston Churchills höchster wissen-schaftlicher Berater wurde.)Über den Beitrag Bergmanns zur militärischen Forschung der Bri-ten ist wenig bekannt. In diesen Jahren wurde er zum ersten Malmit militärischen Fragen zu Palästina konfrontiert. In einer Bio-graphie Weizmans ist zu lesen, die Hagana, der militärische Armder zionistischen Bewegung in Palästina, habe Weizman 1936 ge-beten, einen Chemiker zu nennen, der einen wirksamen Spreng-stoff zum Einsatz im Untergrundkampf gegen Araber und Britenherstellen könne. Unter den klimatischen Bedingungen des Na-hen Ostens war der Einsatz von Dynamit viel zu gefährlich. Weiz-man betraute Bergmann mit der Angelegenheit. Er entwickelteden Sprengstoff und wurde Mitglied des technischen Komiteesder Hagana. Bergmann soll 1939 für die Hagana nach Paris ge-reist sein. Dort habe er mit den Franzosen, deren Truppen damalsin Nordafrika operierten, Erfahrungen ausgetauscht.Kurz nach dem deutschen Überfall auf Polen im Herbst 1939verließ Bergmann England. Wieder hatte sich Weizman für ihneingesetzt und ihm bei alten Freunden, die in Philadelphia einChemielabor besaßen, Arbeit verschafft. Das ging aber nicht gut,und ein anderer alter Freund aus Deutschland, Herman Mark,kam ihm zu Hilfe. »Er konnte sich nicht richtig entfalten. Alsoluden wir ihn nach Brooklyn ein.« Mark hatte Europa 1938verlassen müssen und landete bei einer kanadischen Papierfirmain Ontario, für die er wissenschaftlich arbeitete. 1940 leitete erein Labor am Polytechnic Institute of Brooklyn; zwei Jahre spä-ter war er Dekan der Fakultät und verwandelte das Institut ineine Zuflucht für jüdische Flüchtlinge, zu denen auch ChaimWeizman gehörte. »Die ganze Bande kam nach Amerika«, sagteMark. Zum Zeitpunkt der Interviews für dieses Buch war Her-man Mark das einzige (bekannte) noch lebende Mitglied dieser»Bande«.Nach Hitlers Niederlage stand für Bergmann die letzte Etappe sei-ner Wanderschaft an: Er zog nach Palästina, um beim Aufbau desspäteren Weizman-Instituts in Rehovat südlich von Tel Aviv mit-

  • zuhelfen. Der Ehrgeiz der Israelis kannte anscheinend keineGrenzen. Oppenheimer und seine Kollegen vom Manhattan-Pro-jekt, darunter auch John von Neumann, der Mathematiker undComputerpionier, wurden - erfolglos - von Weizman schon imJahr 1947 umworben und dann immer wieder gebeten, in Israelwissenschaftlich zu arbeiten.3

    Weizman wollte Bergmann gleich zum Leiter des Instituts ma-chen, aber Weizmans Frau Vera widersetzte sich diesem Plan ausdem ältesten aller Gründe: Es mißfiel ihr, daß Bergmann seit län-gerem eine Affäre mit der Privatsekretärin ihres Mannes hatte.4

    Statt dessen wurde Bergmann zum Leiter der Abteilung Organi-sche Chemie ernannt. Vielleicht konnte er sich damit trösten, wieexzellent seine Kollegen waren: Amos Deshalit. der Leiter der Ab-teilung Physik, war ein Quantenforscher vom Rang eines Oppen-heimer oder Niels Bohr. Der Leiter der anorganischen Chemiehieß Aharon Katchalsky (später Katzir) und war ein Spezialist fürdie elektrolytischen Eigenschaften von Kettenmolekülen. (WieBergmann führte Katzir ein Doppelleben: Bis zu seinem Tod 1972war er insgeheim für das inzwischen florierende israelische Kern-waffenprogramm aktiv.) Nach Israels Unabhängigkeit im Jahr1948 kam Bergmann auf Wunsch Ben Gurions ins Verteidigungs-ministerium, wo er unter Shimon Peres das erste israelische Insti-tut für militärische Forschung gründete. Mehr als vierzig Jahrespäter erzählte Peres einem israelischen Zeitungsreporter, Berg-mann habe schon 1948 ständig davon gesprochen, daß Israel Ra-keten haben müsse. »Vielleicht bin ich in hundert Jahren bereit,die volle Wahrheit über ihn zu sagen«, meinte Peres. »Wir habendreizehn Jahre lang zusammengearbeitet, und das waren viel-leicht die besten Jahre meines Lebens.«

    Ohne Bergmann, behauptete Mark, hätte es keine israelischeBombe gegeben: »Er war für alles in Israel zuständig, was mitKernkraft zu tun hatte. Er verstand sie (die Kernspaltung) voll-kommen und erklärte sie dann anderen.« Nach dem ZweitenWeltkrieg pendelte Herman Mark ständig zwischen Brooklyn undIsrael hin und her, saß in Planungsausschüssen und arbeitete alswissenschaftlicher Ratgeber für das noch junge Weizman-Institut.

  • Er hielt weiterhin Kontakt mit Bergmann und war wie dieser derMeinung, israelische Forschung zu Kernwaffen sei unerläßlich:»Wir dachten beide, Israel müsse letzten Endes über den vollenKenntnisstand in der Nuklearphysik verfügen. Wissen Sie, in LosAlamos war eine neue Art von chemischer Reaktion entdecktworden. Ob es sich nun um ein Kraftwerk oder eine Bombe han-delt - es ist in jedem Fall eine Kernspaltung.«Nachdem Bergmann 1966 gezwungen worden war, den Staats-dienst zu verlassen, wies er in einem Interview mit einer israeli-schen Zeitung auf denselben Punkt hin: »Man muß begreifen, daßman durch Entwicklung der Atomenergie zu friedlichen Zweckenauch die Option auf die Kernwaffe bekommt. Es gibt nicht zweiverschiedene Atomenergien.« Niemals sprach Bergmann offenerüber die Bombe als in diesem Interview neun Jahre vor seinemTod. »Bergmann war mit Recht darauf bedacht«, sagte Mark, »daßnicht zuviel geredet wurde. Es war streng geheim, genau wie dasManhattan-Projekt.«Aber Bergmann hatte auch bei einer früheren Gelegenheit etwasvon seinem Wissen preisgegeben. Abraham Feinberg, ein wohl-habender New Yorker Geschäftsmann und glühender Befürwor-ter der Souveränität Israels, gehörte zu den engsten Vertrautenund Verbündeten Ben Gurions in den USA. Ende der vierzigerJahre spielte Feinberg eine wichtige und äußerst diskrete Rolle alsGeldbeschaffer und Lobbyist für Israel und für die DemokratischePartei. In den nächsten zwei Jahrzehnten operierte er auf höch-ster Ebene zwischen Washington und Jerusalem. Im Herbst 1947war Bergmann in New York und besuchte wie gewöhnlich mitAbe Feinberg und seiner Familie Freitag abends den Gottesdienstin der Synagoge. Anschließend traf sich die Gruppe meistens inFeinbergs Wohnung. »Bergmann hatte ständig Hunger«, erinnertesich Feinberg. »Er freute sich immer auf die Rühreier, die meineFrau ihm machte.« Eines Abends hätten »Bergmanns Augen ge-leuchtet, und er sagte: -In der Wüste gibt es Uran.'« Feinberg ver-stand sofort, was Bergmann damit sagen wollte, nämlich daß jetztder Weg frei sei für die Entwicklung der israelischen Atombombe.Er wunderte sich über Bergmanns Offenheit und ließ ihn nichtweitersprechen.

  • Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre waren IsraelsBedürfnisse nahezu identisch mit denen Frankreichs. Beide Län-der waren weit davon entfernt, über die technischen Möglichkei-ten zum Bau der Bombe zu verfugen, und in beiden Ländern gabes keinen internen Konsens darüber, ob der Besitz der Bombeüberhaupt wünschenswert sei.Ben Gurion, Peres und Bergmann mußten über die Jahre viel Zeitund Energie für Auseinandersetzungen über das Atomwaffenpro-gramm innerhalb der israelischen Regierung aufbringen. Die mei-sten wichtigen Mitglieder der regierenden Arbeitspartei (Mapai)hielten eine israelische Bombe für selbstmörderisch und zu teuer;sie erinnerte sie an die Schrecken, die den Juden im ZweitenWeltkrieg widerfahren waren.In Frankreich drehte sich die Debatte um den Kalten Krieg. Fre-deric Joliot-Curie, Nobelpreisträger und Hochkommissar der fran-zösischen Atomenergiekommission, hatte vor dem Krieg wichtigeForschungen in der Kernphysik gemacht, war aber Mitglied derKommunistischen Partei, die sich einer Beteiligung Frankreichsan der Nato und jeder französischen Atombewaffnung widersetz-te. 1950 unterzeichnete er als erster den (von Moskau lancierten)Stockholmer Appell, in dem ein Verbot aller Kernwaffen gefor-dert wurde. Französische Wissenschaftler hatten zwar vor demKrieg entscheidende Beiträge zur Kernforschung geleistet. Den-noch war ihnen bei den amerikanischen und britischen Bom-benprogrammen des Zweiten Weltkriegs keine große Rolle zuge-standen worden, und aufgrund der Politik Joliot-Curies bliebFrankreich isoliert. Joliot-Curie wurde nach seiner Unterzeich-nung des Stockholmer Appells entlassen. Seine Nachfolger warenPierre Guillaumat, der im Krieg beim geheimen französischenNachrichtendienst gearbeitet hatte, und Francis Perrin, ein Mitar-beiter Joliots, der 1939 als erster eine Formel zur Berechnung derkritischen Masse des Urans veröffentlicht hatte. (Die kritischeMasse ist die zur Auslösung einer nuklearen Kettenreaktion erfor-derliche Menge.) Die Franzosen mußten ohne amerikanische Hil-fe weiterarbeiten, da die Amerikaner glaubten, die französischeAtomenergiekommission sei von sowjetischen Agenten unter-wandert.

  • Perrin war auch für die französisch-israelischen Kontakte wichtig.Er war Sozialist und nach der deutschen Invasion 1940 aus Frank-reich nach England geflohen. Bei welcher Gelegenheit er Berg-mann kennenlernte, ist nicht bekannt, aber sie wurden Freunde,und Perrin reiste 1949 nach Tel Aviv. Nach diesem Besuch durf-ten einige israelische Wissenschaftler das neue französischeAtomforschungszentrum in Saclay bei Versailles besuchen undsich am Bau des kleinen Versuchsreaktors von Saclay beteiligen.Das war für die Kernkraftspezialisten beider Länder eine lehrrei-che Erfahrung.In einem unveröffentlichten Interview mit einem amerikanischenDoktoranden sprach Bergmann darüber, was er, Ben Gurion undPeres von den französisch-israelischen Kontakten erwarteten:»Wir waren der Auffassung, Israel müsse ... mit einem Land zu-sammenarbeiten, das technisch auf einem vergleichbaren Standwar. Das Wichtigste war die Ausbildung der israelischen Fachleu-te. Erst dann konnten wir genau beurteilen, welche Art von Zu-sammenarbeit wir suchen und welchen Beitrag wir zu einer ge-meinsamen Unternehmung leisten müßten — und zwar beides inAbhängigkeit von Israels Möglichkeiten und Ressourcen. DieseZusammenarbeit sollte auf keinen Fall in eine Einbahnstraße füh-ren.«Eine für Frankreich und deshalb auch für Israel wichtige Ent-scheidung fiel 1951. Guillaumat genehmigte trotz der BedenkenPerrins den Bau eines mit Natururan beschickten Reaktors, dernach der chemischen Wiederaufbereitung jährlich ungefähr zehnKilogramm waffenfähiges Plutonium produzieren konnte. DieKettenreaktion sollte mit Graphit moderiert werden - eine Metho-de, die in den riesigen, plutoniumproduzierenden Reaktoren inden Vereinigten Staaten und der Sowjetunion eingesetzt wird. Inder Nähe von Limoges in Zentralfrankreich waren einige Jahrezuvor große Vorkommen von Natururan gefunden worden, unddiese Entdeckung machte es Guillaumat und Perrin leicht, eineandere Möglichkeit zur Versorgung des Reaktors mit Brennstoffnicht weiter in Betracht zu ziehen: die Verwendung von künstlichangereichertem Uran. Angereicherte Brennstoffe hätten, sofernsie überhaupt verfügbar gewesen wären, eingeführt werden müs-

  • sen. Die französischen Wissenschaftler waren damals noch nichtin der Lage, Natururan anzureichern. Aber die Abhängigkeit vonausländischen Lieferanten und die unvermeidbaren internationa-len Kontrollen wären der atomaren Autarkie Frankreichs im Wegegewesen, und damit dem wichtigsten Ziel der französischenAtompolitik. »Frankreich«, schrieb Charles de Gaulle in seinen Me-moiren aus dem Zweiten Weltkrieg, »ist nur Frankreich, wenn esGröße hat.« Die Entscheidung, waffenfähiges Plutonium zu pro-duzieren, mußte Frankreich über kurz oder lang in die Lage ver-setzen, die Atombombe zu bauen. Guillaumat, Perrin und die Is-raelis mußten das wissen, aber die französische Öffentlichkeitund die Führungskräfte des französischen Militärs wußten nichtsdavon.Ein Jahr später wurde in Marcoule im südlichen Rhonetal mit demBau begonnen. Saint-Gobain Techniques Nouvelles (SGN), eingroßer Chemiekonzern, bekam den Auftrag, auf dem Geländevon Marcoule eine chemische Wiederaufbereitungsanlage zu er-richten. Solche Anlagen sind für den Bau der Bombe unerläßlich.Wenn das Natururan im Reaktor abgebrannt wird, zerfällt es inUran, Plutonium und hochgiftigen Atommüll. Die abgebranntenBrennelemente müssen transportiert, gekühlt und dann chemischbehandelt werden, bevor das reine Plutonium chemisch abge-trennt werden kann. Diese Vorgänge können nur ferngesteuertund in einer eigens dafür gebauten abgeschlossenen Anlage ab-laufen. Eine solche Wiederaufbereitungsanlage braucht sehr auf-wendige und teure Schutzvorrichtungen für die Bedienungs-mannschaften.Bergmanns Leute konnten zu all dem etwas beitragen. Wiederflammte in Israel der Streit auf über das ständig anwachsende is-raelische Engagement in Frankreich. Aber Ben Gurion blieb hart.»Im Jahr 1952«, sagte Shimon Peres zu einem israelischen Repor-ter, »stand ich ganz alleine da mit meinem Ziel, die israelischeKernwaffenoption durchzusetzen. Ich fühlte mich schrecklich. Al-le waren gegen mich - nur Ben Gurion sagte: 'Warte nur ab, eswird in Ordnung gehen.« Manche sagten zu Ben Gurion: 'HörenSie nicht auf Shimon; er und Bergmann phantasieren doch nur.Israel wird nie in der Lage sein, ein Projekt wie dieses durchzu-

  • ziehen. Kaufen Sie doch lieber von den Kanadiern oder denAmerikanern.- Aber ich wollte mich an die Franzosen halten, weilBergmann bei den französischen Kernkraftexperten sehr angese-hen war.«Französische Beamte revanchierten sich für das israelische Ver-trauen: Nur israelische Wissenschaftler bekamen die ganze gehei-me Nuklearanlage in Marcoule zu sehen. Israelis durften sich dort»nach Belieben« umsehen. Ein naheliegender Grund für diese Ge-nerosität war die herausragende Fachkompetenz der Israelis aufdem Gebiet der Computertechnologie. Die Franzosen bliebenwährend des ganzen nächsten Jahrzehnts - der erste französischeAtomtest fand I960 statt - von israelischem Computerwissen ab-hängig. Ein zweiter Grund für die Präsenz der Israelis in Marcoulewar emotionaler Natur: Viele französische Beamte und Wissen-schaftler hatten in der Resistance gearbeitet, und der Holocausthatte sie emotional sehr stark berührt. Und schließlich waren vie-le führende französische Kernphysiker Juden und entschiedeneBefürworter des neuen jüdischen Staates, der sich - zu ihrer Freu-de - zum engsten Verbündeten Frankreichs im Nahen Osten ent-wickelte.Kein Franzose hatte stärkere emotionale Bindungen an Israel ge-habt als der Nuklearchemiker Bertrand Goldschmidt. Im ZweitenWeltkrieg hatte er zu den wenigen französischen Wissenschaftlerngehört, die - obwohl Ausländer - direkt an der amerikanischenNuklearforschung beteiligt wurden. Er war Fachmann für Plutoni-um und Plutoniumgewinnung geworden und hatte beim Bau ei-nes Versuchsreaktors mitgeholfen, der mit Natururan beschicktund mit schwerem Wasser moderiert wurde. Als hervorragenderChemiker hatte er nach dem Krieg das Angebot bekommen, beimamerikanischen Atombombenprogramm weiterzuarbeiten. Aberer zog es vor, nach Frankreich zurückzukehren und Mitglied derfranzösischen Atomenergiekommission zu werden. Nach intensi-ven Verhandlungen gaben amerikanische Sicherheitsbeamte ihmdie Erlaubnis, weigerten sich aber, ihn aus der Geheimhaltungs-pflicht zu entlassen, die er im Krieg eingegangen war. »Es herrschtestillschweigendes Einvernehmen darüber«, schrieb Goldschmidtspäter, -daß wir unser Wissen zum Nutzen Frankreichs anwenden

  • konnten, indem wir unseren Forschungsteams Informationen wei-tergaben; aber nur in dem Umfang, wie es für unsere Arbeit not-wendig war, und wir durften nichts veröffentlichen. Das war einvernünftiger Kompromiß« - um den sich bald niemand mehr küm-merte.Goldschmidt war ein Jude, dessen Familie wie viele jüdische Fa-milien in Europa im Krieg gelitten hatte. Seine Heirat verstärkteseine Bindungen zu Israel. Seine Frau entstammte der Bankiers-familie Rothschild, die für Israel und die jüdische Sache achtstel-lige Dollarsummen stiftete. Goldschmidt und seine Frau waren inden frühen fünfziger Jahren nach Israel gepilgert. Ernst Bergmannhatte sie zu einem denkwürdigen Treffen mit Ben Gurion in des-sen Fachwerkhaus in der Wüste Negev mitgenommen.' Inzwi-schen arbeitete Goldschmidt als chemischer Direktor für dieAtomenergiekommission; in den siebziger Jahren wurde er dannzum allgemein geachteten französischen Gegner der Proliferationvon Atomwaffen und äußerte sich auch zu anderen internationa-len Themen, die mit Kernenergie zu tun hatten. Er gehörte auchzu den wenigen Außenstehenden, die in den sechziger Jahrenden fertiggestellten Reaktor von Dimona besichtigen durften -damals ein klassisches Beispiel für die nach internationalemRecht illegale Verbreitung der Atomtechnologie.»Wir haben ihnen (den Israelis) nicht direkt geholfen«, sagte Gold-schmidt Jahre später. »Wir haben ihnen nur unsere Forschungser-gebnisse mitgeteilt, ohne zu wissen, wohin das führen würde.Wir wußten selbst nicht, wie schwierig das werden würde.« Wasman verstehen müsse, setzte er betreten hinzu, sei der Umstand,daß »der Besitz einer Atomwaffe in den fünfziger und sechzigerJahren als etwas Gutes betrachtet wurde, wozu einem gratuliertwurde. Es war keine Schande wie heute.«

    Bis 1953 gelang es den wissenschaftlichen Mitarbeitern des Weiz-man-Instituts, einen verbesserten lonenaustauschmechanismuszur Herstellung von schwerem Wasser und ein effektiveres Ver-fahren zum Uranabbau zu entwickeln.6 Beide Ideen wurden nachFrankreich verkauft. Das führte zu einem formellen Koopera-tionsabkommen auf dem Gebiet der Kernforschung, das von den

  • beiden Staaten unterzeichnet wurde. Goldschmidt erinnerte sich,daß Bergmann selbst nach Frankreich kam, um den Verkauf desAbbauverfahrens mit Pierre Guillaumat auszuhandeln. Er verlang-te einhundert Millionen Francs dafür, weigerte sich aber, es imvoraus im einzelnen zu beschreiben, um seinen Wert nicht zuschmälern. Die Verhandlung geriet ins Stocken. Goldschmidt be-richtete weiter: »Schließlich sagte Guillaumat zu mir: >Ich habeden größten Respekt vor diesen Leuten', und dann wurde ge-feilscht.« Bergmann ließ sich auf sechzig Millionen Francs herun-terhandeln. Israel arbeitete mit Frankreich bei Atomgeschäftenweiterhin auf einer Cash-and-carry-Grundlage zusammen.

  • 3Die French Connection

    Ende 1953 zog sich Ben Gurion desillusioniert in seinen Wüsten-kibbuz in Sdeh Boker in der Nähe der späteren Anlage von Di-mona zurück. Er glaubte, die israelische Gesellschaft sei im Be-griff, ihren Pioniergeist und ihren Gemeinschaftssinn zu verlieren.Zur Wiederbelebung dieser Ideale wollte er ein Beispiel geben,indem er sich mit seiner Frau wieder in der Wüste niederließ.Aber die politische Kontrolle über seine Mapai-Partei gab er - wieein Mafiaboß - keinen Augenblick aus der Hand, und die Regie-rung hielt er nach wie vor am Zügel. Ben Gurion ließ sich nichtvon einem, sondern von zwei Nachfolgern ersetzen. Er sorgte da-für, daß die Ämter des Premier- und des Verteidigungsministers,die er bisher beide innegehabt hatte, nun getrennt wurden. Mo-she Sharett ernannte er zum neuen Premierminister. Ben Gurionund Sharett hatten völlig unterschiedliche Positionen zur arabi-schen Frage. Sharett hatte als Kind in einem Araberdorf gelebt,sprach (im Gegensatz zu Ben Gurion) arabisch und glaubte, daßFrieden mit den Arabern möglich sei, aber nur durch militärischeSelbstbeschränkung und unter Einbeziehung der Vereinten Natio-nen. Als Premierminister führte er geheime Friedensverhandlun-gen mit Nasser.Bevor er sein Amt niederlegte, designierte Ben Gurion Pinhas La-von zum neuen Verteidigungsminister. Lavon verfocht den Ara-bern gegenüber einen härteren Kurs als Sharett. Ben Gurion hatteoffenbar die Absicht, ein Gegengewicht zu Sharett zu schaffen.Außerdem sorgte er dafür, daß Moshe Dayan, ebenfalls ein Hard-liner, neuer Generalstabschef der israelischen Armee wurde. Chefdes Verteidigungsministeriums blieb Shimon Peres: ein wohlbe-kannter Günstling Ben Gurions.In bezug auf die nukleare Frage konnte sich Ben Gurion auf

  • Sharett verlassen. Aus Sharetts umfangreichen, bisher in engli-scher Sprache nur unvollständig veröffentlichten persönlichenTagebüchern geht hervor, daß er den Ehrgeiz des alten Mannesfür das »Unternehmen« teilte. Bergmann gegenüber war er aller-dings mißtrauisch. In einem typischen Eintrag bezeichnete erBergmann als Chemiker, der »völlig in Forschung und Lehre ver-tieft« sei und »das 'Problem- nicht überschauen« könne. »Problem«war eines von vielen Synonymen für die Bombe. »Bergmannsgeringe organisatorische Fähigkeiten«, schrieb Sharett, »beschrän-ken und stören die Perspektiven des 'Unternehmens- und hem-men seine Entwicklung.«Die Lösung der arabischen Frage war in den nächsten Jahren al-lerdings das wichtigste Thema, und es traten unvermeidlicheSpannungen auf, als Dayan und Peres, die fast ständig in Kontaktmit Ben Gurion in seinem Kibbuz standen, Sharetts »Tauben-Po-litik und seine geheimen Gespräche mit den Ägyptern zu unter-laufen versuchten. Mitte 1954 gab es einen Skandal: Die ägypti-schen Behörden hoben einen israelischen Spionagering aus, derim Lauf des Jahres Bombenattentate und andere Sabotageakte ge-gen amerikanische, britische und ägyptische Einrichtungen ver-übt hatte. Die Sache wurde als die »Lavon-Affäre« bekannt. Zielder Anschläge war es gewesen, die schwebenden britischen undamerikanischen Verhandlungen mit der Regierung Nasser platzenzu lassen und die möglichen Annäherungen, die sich hätten erge-ben können, zu verhindern. Bei einer internen israelischen Unter-suchung konnte nicht geklärt werden, wer den Befehl für die Sa-botageakte gegeben hatte. Sharett hatte nichts davon gewußt; imJanuar 1955 nahm er Lavons Rücktrittsgesuch an. Ein paar Tagespäter wurde Ben Gurion aus dem Ruhestand zurückgerufen undnahm Lavons Platz auf dem Stuhl des Verteidigungsministers ein.1

    Sharett blieb Premierminister, aber es gab keinen Zweifel daran,wer in der Regierung das Heft in der Hand hielt.Die erste öffentliche Aktion des Alten Mannes sollte die Moral derArmee und das Vertrauen der Bürger in die Regierung wiederher-stellen. Bei seinem Amtsantritt war er überzeugter denn je, daß ei-ne Politik militärischer Repressalien notwendig war. Jede Einmi-schung in die militärische Planung, warnte er Sharett schriftlich,

  • würde ihn dazu zwingen, wieder zurückzutreten und Neuwahlenanzuberaumen. Sechs Tage nach seinem Amtsantritt, am 28. Fe-bruar 1955, reagierte Ben Gurion auf eine Grenzverletzung durchpalästinensische Guerillas (Fedajin) mit einem großangelegtenVergeltungsschlag gegen das ägyptische Militärlager in Gaza. Beidem israelischen Angriff wurden sechsunddreißig Ägypter und Pa-lästinenser getötet. Die Operation wurde von Oberstleutnant ArielSharon geleitet. Sharon war für sein militärisches Können und sei-ne Brutalität schon damals berüchtigt. Nach dem Angriff auf Gazaeskalierten die Grenzgeplänkel fast zu einem Guerillakrieg. Diearabischen Verluste waren viermal höher, als Sharett von den Mili-tärs angekündigt worden war. Die geheimen Kontakte zwischenSharett und Nasser wurden abgebrochen, und die Ägypter be-schlossen, ihre Fedajin-Angriffe vom Gazastreifen aus zu verstär-ken. Der israelische Historiker Avi Shlaim schrieb, Sharett habe diedaraufhin zunehmenden Grenzkonflikte im Gazastreifen als die»unvermeidliche Folge« des Überfalls vom 28. Februar betrachtet.Ben Gurion dagegen sah sie »als Zeichen wachsender ägyptischerKriegslüsternheit, die eine prinzipielle Bedrohung der israelischenSicherheit darstellen wird, wenn man ihr nicht Einhalt gebietet«.Als die Spannungen zunahmen, wandte sich Nasser an die kom-munistische Welt um Hilfe. Im April 1955 reiste er nach Bandungzur Konferenz asiatischer und afrikanischer Nationen und erhieltvon Chou En-lai, dem chinesischen Premierminister, die Zusage,die Ägypter könnten so viele Waffen kaufen, wie sie bezahlenkönnten. Im Juli traf eine sowjetische Delegation in Kairo einund bot militärische Hilfe an. Im September gab Nasser bekannt,daß Ägypten die schwindelerregende Menge von 200 modernensowjetischen Kampfflugzeugen, 230 Panzern, 200 Truppentrans-portflugzeugen und mehr als 500 Geschützen erhalten werde.Auch sowjetische Berater wurden zugesagt.In Israel machte sich Bestürzung breit. Der dritte Tempel Israelswar in Gefahr.2 Ben Gurion bekam zu diesem Zeitpunkt immernoch keine amerikanische Unterstützung. Jetzt wandte er sich andie Franzosen. Die Israelis wollten mehr als Artillerie. Und dieFranzosen hatten etwas, das den israelischen Wünschen ent-sprach.

  • Ende 1954 hatte die Koalitionsregierung unter Pierre Mendes-France (eine der vierzehn Koalitionen, von denen die chaotischeVierte Republik regiert wurde) die Genehmigung für die Bildungeiner Kernwaffen-Planungsgruppe innerhalb der Atomenergie-kommission erteilt. Damit hatten höhere Beamte des Verteidi-gungsministeriums zum ersten Mal mit Kernkraft zu tun. Vielefranzösische Militärs waren einem unabhängigen atomaren Ab-schreckungspotential mit Skepsis begegnet, aber diese Einstel-lung änderte sich, als Ho Chi Minh die Franzosen im Jahr 1954 beiDien Bien Phu in Nordvietnam besiegte, und der französischeKolonialismus in den nordafrikanischen Unabhängigkeitskriegenzusammenbrach. Vielen Franzosen wurde schmerzlich bewußt,daß sich Frankreich zum Schutz rein französischer Interessennicht auf seine Nato-Verbündeten verlassen konnte. Das galt be-sonders für Algerien, wo die Aufständischen Blutbäder in denKasbas und in der Wüste anrichteten.Im Januar 1955 fand wieder ein Regierungswechsel statt. Dieneue sozialistische Regierung unter Guy Mollet verfocht im Alge-rienkrieg eine viel härtere Linie gegenüber Nasser und anderenarabischen Führern, die den Rebellen Unterstützung leisteten. Is-rael hatte einen intensiven Guerillakrieg gegen Ägypten geführtund wurde nun allgemein als verläßlicher Verbündeter Frank-reichs betrachtet. Noch im selben Jahr erklärte sich Mollet bereit,heimlich modernste Bomber an Israel zu verkaufen; das Geschäftwurde von Shimon Peres arrangiert und zwischen den beidenVerteidigungsministerien abgewickelt. Es gab keinerlei diplomati-sche Honneurs und keine Beteiligung der beiden Außenministe-rien. Zwölf Jahre lang wurden nun Waffen von Frankreich nachIsrael geliefert.Israel erklärte sich im Gegenzug bereit, nachrichtendienstliche Er-kenntnisse über den Nahen Osten, die USA und Europa an Frank-reich weiterzugeben. Die israelischen Kommunikationsnetze inNordafrika waren deshalb so gut, erinnerten sich israelische Be-amte, weil die Juden meistens als Händler und Geschäftsleute inden arabischen Vierteln lebten. Besondere Bedeutung hatten diemehr als 100 000 Juden in Algerien, von denen viele zwischender Gewalt und der Irrationalität der Kontrahenten in der Falle

  • saßen. Diese Juden wurden von der israelischen Regierung auf-gefordert, die Franzosen mit Informationen über die Führung derFLN zu versorgen und auch auf andere Weise mit ihnen zusam-menzuarbeiten.Zwangsläufig zogen Bergmann und Peres den Schluß, Israel habenun genug Einfluß, um von Frankreich Hilfe für die israelischeBombe fordern zu können. Würde die Regierung Mollet das unge-wöhnliche israelische Engagement in Algerien und anderswo wür-digen und in Israel einen großen Reaktor - eine chemische Wie-deraufbereitungsanlage - bauen? Die Israelis wußten, daß ohneWiederaufbereitungsanlage für Plutonium keine Waffe gebautwerden konnte und daß der Bau einer solchen Anlage ohne dieFranzosen nicht möglich war. Es war vorgesehen, daß die französi-sche Atomenergiekommission Mitte 1955 mit dem Bau ihrer eige-nen chemischen Wiederaufbereitungsanlage in Marcoule begin-nen sollte. Israelische Wissenschaftler waren von Anfang an beider Planung dabeigewesen.Hätten die Franzosen die Forderung erfüllt, hätte das ironischer-weise eine Krise in der israelischen Regierung auslösen können.Ein französisches Engagement hätte Peres und Bergmann ge-zwungen, dem Kabinett mitzuteilen, daß Israel eine geheimeNuklearanlage baute. Schon von den wenigen Menschen, diebislang davon wußten, wurden viele Bedenken dagegen geäu-ßert. Levi Eschkol, der Finanzminister, glaubte wie Ben Gurion,daß es zur Bombe keine Alternative gebe. Eschkol war aberauch davon überzeugt, daß Atomrüstung aus finanziellen Grün-den verrückt sei. Eschkol wich von dieser Auffassung auch nichtab, als er 1963 Premierminister wurde. In der israelischen Füh-rungsschicht gab es außer finanziellen auch noch andere Ein-wände: Konnte Israel den Reaktor geheimhalten? War es für Is-rael, dessen Volk so unsäglich unter dem Holocaust gelittenhatte, in moralischer Hinsicht akzeptabel, eine Massenvernich-tungswaffe zu erwerben? Was würde die amerikanische Regie-rung dazu sagen? Würde der Strom der amerikanischen Dollarsversiegen?Der September 1955 brachte einen Durchbruch für die Befürwor-ter der Atomrüstung. Die kanadische Regierung gab bekannt, sie

  • werde für Indien einen Schwerwasser-Forschungsreaktor bauen.Eine internationale Aufsicht war in dem kanadischen Angebotnicht vorgesehen, denn bisher gab es kein internationales Ab-kommen zur nuklearen Sicherheit. Indien versprach, den Reaktornur »friedlich« zu nutzen. Endlich gab es einen internationalenPräzedenzfall für einen israelischen Reaktor.Ende 1955 wurde eine neue israelische Regierung gebildet. BenGurion war nun wieder Premier- und Verteidigungsminister. Mo-she Sharett blieb trotz diverser Befürchtungen als Außenministerim Kabinett. Bei den Wahlen im Sommer schrumpfte die Mapai-Mehrheit in der Knesset. In der Öffentlichkeit wuchs die Unzu-friedenheit mit der »Tauben-Politik von Moshe Sharett.3 Eisen-howers Versuch, eine Annäherung zwischen Nasser und BenGurion zu erreichen, schlug fehl. Der ägyptische Präsident wei-gerte sich 1956, direkt mit Jerusalem zu verhandeln, und präsen-tierte Forderungen, von denen er (nach Meinung vieler Israelis)genau wußte, daß sie völlig unannehmbar waren. Ein paar Mo-nate später wurden auch die seit langem geführten direkten Ge-spräche zwischen Jerusalem und Washington abgebrochen; aufein Sicherheitsabkommen mit den USA konnte Israel nun nichtmehr hoffen. Am 10. Juni beauftragte Ben Gurion General MosheDayan, mit Paris in Geheimverhandlungen über einen gemeinsa-men Krieg gegen Ägypten zu treten. Im Juli verstaatlichte Nasserwie erwartet den Sueskanal; dadurch veranlaßte er auch die erbo-ste britische Regierung zur Teilnahme an den geheimen Kriegs-plänen. Shimon Peres pendelte nun im Auftrag Ben Gurions zwi-schen Paris und Tel Aviv hin und her. Die Trennungsliniezwischen öffentlicher Politik und Privatdiplomatie wurde täglichdünner, was viele Mitarbeiter beider Regierungen veranlaßte, hin-ter vorgehaltener Hand zu protestieren.In diesem Sommer trat Moshe Sharett ganz unauffällig als Außen-minister zurück. Er hatte eine offene Debatte vor Mapai-Mitglie-dern über Israels Außenpolitik verlangt, was Ben Gurion jedochmit einer Rücktrittsdrohung verhinderte. Die israelische Öffent-lichkeit erfuhr erst 1980 durch die Veröffentlichung der persönli-chen Tagebücher Sharetts von den großen Meinungsverschieden-heiten an der Spitze der Regierung. Nachfolgerin Sharetts war

  • Golda Meir, die Arbeitsministerin. Das herausragendste Merkmalihrer Qualifikation war, wie Ben Gurion später zugab, ihre Igno-ranz auf dem Gebiet der Außenpolitik. Golda Meir billigte BenGurions Anliegen, einen Präventivkrieg zu fuhren. Trotzdem wur-de ihr Ministerium von Ben Gurion, Peres, Dayan und Bergmannimmer wieder übergangen, wenn es um die Vertiefung der Zu-sammenarbeit mit Frankreich ging.Mitte September 1956, sechs Wochen vor der Sueskrise, hatte esnoch keinen internationalen Protest gegen den Verkauf des kana-dischen Reaktors an Indien gegeben. Jetzt hielt Ben Gurion denZeitpunkt für gekommen, formell um französische Hilfe beimBau der israelischen Bombe zu bitten. Israelische Nuklearwissen-schaftler, die in Saclay arbeiteten, waren seit 1949 an der Planungund Konstruktion des französischen Versuchsreaktors mit der Be-zeichnung EL 2 beteiligt gewesen. Er wurde mit Natururan be-schickt und mit schwerem Wasser moderiert. Es war durchausmöglich, einen ähnlichen Reaktor in Israel zu bauen. In Israel gabes Uran und in gewissem Umfang auch schweres Wasser. Mehrschweres Wasser, das sicherlich gebraucht werden würde, könnteFrankreich liefern, oder es könnte auf illegalem Weg in Norwe-gen oder in den Vereinigten Staaten gekauft werden. Die beidenStaaten waren damals die wichtigsten Schwerwasserproduzentender Erde. Ben Gurion hatte schon einen Platz für den israelischenReaktor gefunden: Im Untergeschoß einer alten, verlassenenWeinkellerei in Rishon Le Zion, ein paar Kilometer vom Weiz-man-Institut entfernt.Shimon Peres und Ernst Bergmann wurden nach Paris geschickt.Dort fand eine Sitzung der französischen Atomenergiekommis-sion statt, an die sich Bertrand Goldschmidt lebhaft erinnerte: »Siekamen zu mir und sagten, sie wollten so einen Schwerwasser-Forschungsreaktor bauen wie den kanadischen Reaktor in In-dien. Sie glaubten, die Amerikaner würden ihnen eine Sicher-heitsgarantie geben, wenn sie merkten, daß Israel die Bombehätte. All das wurde vor der Sueskrise beschlossen.«Vier Tage später, am 17. September, aßen Bergmann und Peresmit Francis Perrin und Pierre Guillaumat bei Jacob Tzur, dem is-raelischen Botschafter in Frankreich, zu Abend. Wieder verlang-

  • ten die Israelis einen Reaktor von den Franzosen. »Wir hattenden Eindruck, die israelische Bombe sei gegen die Amerikanergerichtet«, erklärte Perrin später. »Nicht um sie auf Amerika abzu-werfen, sondern um sagen zu können: Wir werden euch schondazu bringen, uns in einer kritischen Situation zu helfen. Dennsonst werden wir unsere Atombomben einsetzen.««Goldschmidt war noch Jahre später davon überzeugt, die prin-zipielle Entscheidung, Israel zur Bombe zu verhelfen, sei bei die-sen beiden Gesprächen Mitte September getroffen worden. Esgibt keine schriftlichen Aufzeichnungen von den Gesprächen,und es kann nicht genau rekonstruiert werden, was wann ge-schah. Trotzdem steht fest, daß Israel mindestens sechs Wochenvor den ersten Schüssen am Sueskanal französische Hilfe für dieBombe anforderte und auch zugesagt bekam.

    Viele Israelis meinten, ihre Partner hätten sie während des Feld-zugs auf dem Sinai verraten. Das unmittelbare taktische Kriegs-ziel Israels war es, die ägyptische Armee zu zerschlagen, weil siedie wachsende palästinensische Fedajinbewegung unterstützteund die Guerillas ausbildete. Das strategische Ziel jedoch warerheblich ehrgeiziger: Nasser sollte daran gehindert werden, diearabische Einheit zu verwirklichen. Die Zwietracht zwischen denislamischen Staaten war stets wichtigstes Ziel der israelischenStrategie gewesen, und Nasser stellte mit seinen panarabischenBestrebungen — aus israelischer Sicht gleichzusetzen mit der He-gemonie Ägyptens - eine ernste Bedrohung der nationalen Si-cherheit dar. Außerdem glaubten die Israelis, eine demütigendeNiederlage Ägyptens würde unweigerlich zum Sturz Nassers füh-ren.Nach dem Schlachtplan sollte Israel den Angriff am 29. Oktoberbeginnen. Fallschirmjäger sollten auf der Halbinsel Sinai landenund die ägyptischen Nachschublinien nach Gaza zerstören. Dannsollten Frankreich und Großbritannien beide Seiten auffordern,die Kampfhandlungen einzustellen, sich sechzehn Kilometer vomSueskanal zurückzuziehen und eine demilitarisierte Zone zu bil-den. Wenn die Ägypter, denen der Kanal gehörte, das ablehnten -und damit wurde gerechnet -, sollten Frankreich und Großbritan-nien am 6. November den Kanal aus der Luft angreifen, Schleusenzerbomben und ihn anschließend besetzen.Der tatsächliche Angriff verlief noch weit besser als geplant. Is-

  • rael überrannte die ägyptische Armee und hatte bis zum 4. No-vember die ganze Sinaihalbinsel erobert. Nur die Forderung derUN nach einem Waffenstillstand konnte die israelische Armeedavon abhalten, den Sueskanal zu überqueren und Kairo ein-zunehmen. Guy Mollet drängte Anthony Eden, den britischenPremierminister, den gemeinsamen Angriff vorzuziehen, aberEden, beunruhigt durch den schnellen Vormarsch der israeli-schen Armee und die UN-Forderung, lehnte ab. Britische undfranzösische Truppen landeten wie geplant am Morgen des6. November in Port Said. Auch dieser Angriff konnte nur durchdas - so die israelische Sichtweise - nukleare Ultimatum der So-wjetunion gestoppt werden. Die Sowjets, zu diesem Zeitpunktmit der blutigen Niederschlagung des ungarischen Aufstandesbeschäftigt, schickten diplomatische Noten an Ben Gurion, Mol-let und Eden.In dem sowjetischen Telegramm an Ben Gurion wurde Israel be-schuldigt, es spiele »verbrecherisch und unverantwortlich mitdem Frieden und dem Schicksal des eigenen Volkes. Es sät unterden Menschen des Ostens Haß auf den Staat Israel, der sich un-weigerlich auf die Zukunft Israels auswirken muß und die Exi-stenz Israels als Staat gefährdet.« In einer zweiten Note, die vonPremierminister Nikolai Bulganin unterzeichnet war, wurde BenGurion explizit mit dem Einsatz sowjetischer »ferngesteuerterFlugkörper« und der Entsendung von Truppen zum »freiwilligen«Einsatz in den Nahen Osten gedroht.Anthony Eden gab als erster nach. Er stand sowohl von Seiten derRegierung Eisenhower unter starkem Druck, die Operation zu be-enden, als auch von seiten der britischen Labour-Opposition. Erinformierte Paris, er habe seinen Truppen befohlen, das Feuereinzustellen. Die Franzosen zogen nach. Israel war von seinenzwei Verbündeten im Stich gelassen geworden und mußte einpaar Tage später einen Waffenstillstand schließen und schließlichder Stationierung von UN-Friedenstruppen auf der Sinaihalbinselzustimmen.

    Die Israelis waren enttäuscht von den Franzosen und wütend aufEisenhower. Ben Gurion hätte nie geglaubt, daß Eisenhower inden Wochen vor den Präsidentschaftswahlen von Israel abrücken

  • würde. Viele Menschen in Israel und Frankreich hatten die USAfür die unumschränkte Schutzmacht Israels gehalten und dachtennun, die Amerikaner hätten angesichts der nuklearen Drohungder Sowjetunion klein beigegeben.4 Den Israelis erschien die Lek-tion eindeutig: Die jüdische Gemeinde in Amerika konnte Israelnicht retten.»Ihr Amerikaner habt uns reingelegt«, sagte ein früherer israeli-scher Regierungsbeamter in Erinnerung an seine damaligenGefühle. »Wenn ihr euch nicht eingemischt hättet, wäre Nassergestürzt und der Rüstungswettlauf im Nahen Osten gebremstworden. Israel wäre militärisch und technisch führend geblieben.Statt dessen kommt Ike daher, dieser dämliche Golfspieler, undverkündet im Namen der Menschlichkeit und der Unparteilich-keit: >Wir werden nicht zulassen, daß koloniale Mächte ihre Inter-essen durchsetzen.' Er begreift nicht, daß Nasser gestärkt und Is-raels Glaubwürdigkeit ein Schlag versetzt wurde.« Voller Bitterkeitließ sich der Israeli, der aus erster Hand über das Atomwaffenpro-gramm seiner Regierung Bescheid wußte, noch zu folgender Be-merkung hinreißen: »Wir haben schon verstanden. Wir könnenuns noch sehr gut an den Gestank von Auschwitz und Treblinkaerinnern. Das nächste Mal nehmen wir euch alle mit uns.«Als Ben Gurion am 6. November erfuhr, daß die Franzosen undBriten das Feuer eingestellt hatten, schickte er Peres und GoldaMeir nach Paris. Mollet hatte den Waffenstillstand verhindernwollen, aber angesichts der britischen Entschlossenheit zumR�