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Ansprechstellen im Land NRW zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung April 2017 Ausgabe 71 Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen Schwerpunkt: JUNGE MENSCHEN IN HOSPIZARBEIT UND PFLEGE

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Ansprechstellen imLand NRW zurPalliativversorgung,Hospizarbeit undAngehörigenbegleitung

April 2017 Ausgabe 71Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen

Schwerpunkt:JUNGE MENSCHEN IN HOSPIZARBEIT UND PFLEGE

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Liebe Leserinnen und Leser,

in seiner Ansprache anlässlich der Ehrungjunger ehrenamtlich Engagierter im Juni2015 im Schloss Bellevue erklärte derBundespräsident, dass es nicht eine Frage des Alters sei, ob sich jemand engagiert. Aber es ist eben auch keineSelbstverständlichkeit. Menschen wie sie,so sagt er, in der „Rush Hour“ ihres

Lebens, erleben eine solche Verdichtung an Lebens-inhalten und -entscheidungen, dass ihr ehrenamt-licher Einsatz etwas Besonderes ist. Ihre intrinsischeMotivation zum freiwilligen Engagement ist jedochnur die eine Seite der Medaille. Das junge Ehrenamtist nicht immer ein Selbstläufer. Es braucht ein deut-liches Sichtbarmachen des Ortes, an dem sich diejungen Leute engagieren können, und der Struktu-ren, in die sie eingebettet sind. So sind also auchdie Institutionen gefragt, die sich über den ehren-amtlichen Einsatz junger Menschen freuen würdenoder für die dieser – aufgrund ihrer spezifischenAufgaben – eine besondere Bedeutung hat.

Von einigen Beispielen der Umsetzung werden Siein dieser Ausgabe lesen, aber auch von einem ganzanderen Einsatz junger Menschen. Gemeint sinddiejenigen, die innerhalb der Familie Verantwortungfür pflegebedürftige Angehörige tragen müssen unddie ihrerseits gerade wegen ihrer Jugend und derdamit verbundenen Lebensphase einer Unterstüt-zung bedürfen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre!

Ihre

Gerlinde Dingerkus

Editorial

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INFORMATION

Unterstützung für einen starken LandesverbandSabine Löhr 4

Jeder Moment ist LebenFrank Gunzelmann 5

Die ambulante Palliativversorgung in Nordrhein-WestfalenInterview mit Ulrike Hofmeister, Heike Zimmermann und Achim Merling 7

SCHWERPUNKTJUNGE MENSCHEN IN HOSPIZARBEIT UND PFLEGE

Gibt’s vielleicht jemanden, mit dem ich zocken kann? Junges Ehrenamt in der Hospizarbeit für Kinder und JugendlicheKatrin Wassermann 10

FrühlingstageVom Zivildienst zu Bildern von Leben und TodDaniel Schumann 13

Lebendigkeit, Kreativität, Ideenreichtum Junge Menschen im Ehrenamt Martina Gerdes 16

Versteckt, benachteiligt, vernachlässigtJunge Menschen mit Pflegeverantwortung Hanneli Döhner 18

Veranstaltungen 23

Inhalt

IMPRESSUM

HerausgeberALPHA - Ansprechstellen im Land Nordrhein-Westfalen zurPalliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung

RedaktionAnsprechstelle im Land Nordrhein-Westfalen zur Palliativversorgung, Hospizarbeit undAngehörigenbegleitungim Landesteil Westfalen-LippeSigrid KießlingFriedrich-Ebert-Straße 157-159, 48153 MünsterTel.: 02 51 - 23 08 48, Fax: 02 51 - 23 65 [email protected], www.alpha-nrw.de

LayoutArt Applied, Hafenweg 26, 48155Münster

DruckBuschmann, Münster

Auflage2.500

Die im Hospiz-Dialog-NRW veröffentlichten Artikel gebennicht unbedingt die Auffassung der Redaktion und der Herausgeber wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskriptewird keine Gewähr übernommen. Fotos der Autoren mit Zustimmung der abgebildeten Personen. Foto S. 13 CarlaCrawley; Fotos S. 13/14 Daniel Schumann; Fotos S. 9/16/21Grete Achtermann

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Wer nicht den tiefen Sinndes Lebens im Herzensucht, der sucht verge-bens.

Friedrich Martin von Bodenstedt

„ … dem Herzen folgend …“ – mit die-sen Worten habe ich mich beim Vor-stand des HPV beworben und ich binsehr froh, dass ich den Vorstand vonmeiner Motivation überzeugen konn-te. Rein räumlich betrachtet kehre ich

zu meinen Wurzeln zurück, denn geboren und auf-gewachsen bin ich in Schwelm. Mein Studium derSozialwissenschaften absolvierte ich in Bochum.1988 ging ich für meineerste Stelle nach Berlinund dort bin ich geblie-ben, stets in dem Bewusstsein, eine im„Berliner Exil lebendeRuhrgebietspflanze“ zusein. Mein Herz schlägtfür NRW und ich freue mich darauf, jetzt wieder indiesem Bundesland leben und arbeiten zu dürfen.

„… dem Herzen folgend …“ bezieht sich aber nochstärker auf meine zukünftige Arbeit: die Stärkung,Vernetzung, Förderung der Hospiz- und Palliativar-beit in NRW.

Seit 2009 engagierte ich mich aus vollem Herzenehrenamtlich in der Hos piz- und Palliativarbeit. Die-se Erfahrungen aus vielen Jahren Ehrenamt, die

Fachkenntnisse aus verschiedenen Fortbildungensowie mein Werkzeug aus Studium und knapp 30 Jahren Berufstätigkeit werden die Grundlage bilden für die Umsetzung meiner neuen Aufgabe.

Die Hospiz- und Palliativbewegung hat in den letz-ten Jahren an Kraft und Stärke gewonnen. Der HPVNRW hat durch seine intensive Verbandsarbeit sowohl auf Länder- als auch auf Bundesebene vieldazu beigetragen. Wesentlichen Anteil daran hatteder Vorstand, der jedoch zunehmend an seineGrenzen geriet. Die Führung eines so großen Lan-desverbandes ist in der gewünschten Qualität aufDauer nicht allein durch einen ehrenamtlich arbei-tenden Vorstand zu leisten.

Meine Hauptaufgabesoll es daher sein, in en-ger Zusammenarbeit mitFrau Petra Brockhues inder Geschäftsstelle inAhlen den Vorstand zuentlasten und die Konti-

nuität der guten Arbeit zu gewährleis ten. Dies inerster Linie mit Blick auf unsere Mitgliedseinrich-tungen, denn von ihnen werden wir getragen undfür diese sind wir da. Ein besonderes Anliegen istes mir daher, die bestehenden Arbeitsgruppen undArbeitstreffen inhaltlich zu begleiten und zu unter-stützen.

Für die Stärkung der Hospiz- und Palliativarbeit inNRW ist es aber auch wichtig, sich bei regions- undländerübergreifenden Diskussionen, Entwicklun-

gen und Veränderungen mit star-ker Stimme einzubringen. Die bereits bestehende Zusammenar-beit von ALPHA, DGP NRW unddem HPV NRW ist hierfür einewichtige Voraussetzung.

Das Hospiz- und Palliativgesetz istein gutes Beispiel, was sich auf

UNTERSTÜTZUNG FÜR EINEN STARKENLANDESVERBANDDie neue Vorstandsassistentin des Hospiz- und PalliativVerbandes Nordrhein-Westfalen stellt sich vor

SABINE LÖHR

Sabine Löhr

» Der Hospiz- und PalliativVerbandhat zur Stärkung der Bewegungbeigetragen.

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Bundesebene entwickeln kann. Die Umsetzung giltes kritisch und aufmerksam zu begleiten. Der Bundder Krankenkassen muss dem Bundesministeriumfür Gesundheit bis 31.12.2017 berichten, welcheWirkungen und Folgen die Umsetzung des Geset-zes hat. Unsere Aufgabe wird es sein, die Praxis -tauglichkeit zu überprüfen und die Sicht der anwendenden Einrichtungen vor Ort zu eruierenund in die Diskussion einzubringen.

Ich freue mich auf den Austausch und die Zusammenarbeit mit den Akteuren der Hospiz- undPalliativbewegung in NRW und ich hoffe, einen guten Anteil zu ihrer Stärkung beizutragen.

Kurzportrait

Sabine LöhrJahrgang 1962Zwei erwachsene KinderDiplom-Sozialwissenschaftlerin, MediatorinZuletzt Geschäftsführerin eines wohnungspoliti-schen Beratungsbüros in BerlinFortbildungen: Sterbebegleitung, Trauerbeglei-tung, Palliative Care

Hospiz- und PalliativVerband NRW e.V.Im Nonnengarten 10

59227 AhlenTel.: 0 23 82 - 7 60 07 65

JEDER MOMENT IST LEBENFRANK GUNZELMANN

I n der letzten Ausgabe des Hospiz Dialogs ha-ben wir auf die in diesem Jahr erstmals statt-findenden Hospiz- und Palliativtage NRW, dieunter dem Motto „Jeder Moment ist Leben“

stehen, hingewiesen.

Wie berichtet findet am 13. Oktober 2017 eine zen-trale Veranstaltung unter Beteiligung des MGEPAstatt. Kernteil der Hospiz- und Palliativtage sind jedoch die dezentralen Veranstaltungen und Akti-vitäten zum Thema Hospizarbeit und Palliativver-sorgung, die von den Diensten und Institutionen inEigenregie vom 13. - 15. Oktober 2017 durchgeführtwerden.

Zur weiteren Vorbereitung auf diese landesweiteVeranstaltung möchten wir Ihnen nun aktuelle In-formationen übermitteln.

Meldung Ihrer Veranstaltungen

Ab April wird es für Sie die Möglichkeit geben, unsIhre geplanten Aktionen (z. B. Lesungen, Vorträge,Konzerte, Seminare, Führungen) für die Hospiz-

und Palliativtage über ein Meldefor-mular auf der Internetseite von ALPHANRW (www.alpha-nrw.de) mitzuteilen.Alle gemeldeten Aktionen werdendann auf einer eigens für die Hospiz-und Palliativtage gestalteten Internet-seite veröffentlicht, die beim Landes-gesundheitsministerium eingerichtetwird.

Werbematerialien

Zu den Hospiz- und Palliativtagen werden eigeneWerbematerialien zur Verfügung gestellt. Die Wer-bematerialien können voraussichtlich über dieInternetseite des MGEPA kostenfrei bestellt undgenutzt werden. Die Plakate im Format DIN A2 werden so gestaltet sein, dass Sie dort auf einerFreifläche die Angaben zu Ihren Veranstaltungeneintragen oder aufbringen können. Darüber hinauswird es einen Flyer geben, der in kurzer Form überdie Angebote der Hospizarbeit und Palliativversor-gung informiert und auf die Hospiz- und Palliativ-tage hinweist.

Frank Gunzelmann

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Im unmittelbaren Vorfeld der Hospiz- und Palliativ-tage werden wir Ihnen eine vorbereitete Presse-meldung zur Verfügung stellen, die Sie mit Ihrenindividuellen Angaben und Informationen ergänzenund dann für Ihre Pressearbeit vor Ort nutzen kön-nen.

Zentrale Veranstaltung am 13. Oktober

Am Freitag, 13. Oktober wird in Düsseldorf eine Tagesveranstaltung stattfinden, bei der einerseits

25 Jahre Hospizar-beit und Palliativ-versorgung in NRWgewürdigt werden.Andererseits sollenMenschen, für diedie Themen „Ster-ben, Tod und Trau-

er“ in ihrem Arbeitsfeld relativ neu sind, Impulsefür ihre berufliche Praxis bekommen. Die Einladun-gen für die zentrale Veranstaltung werden voraus-sichtlich im Mai versendet.

Wir würden uns freuen, wenn auch Sie sich an denHospiz- und Palliativtagen mit eigenen Angebotenund Veranstaltungen beteiligen, und möchten Siezur aktiven Teilnahme ausdrücklich ermuntern! Auf-gerufen mitzumachen sind über die Dienste undInstitutionen der Hospizarbeit und Palliativversor-gung hinaus alle, die das Thema aktiv unterstützenkönnen, wie beispielsweise Schulklassen, Biblio-theken oder Religionsgemeinschaften. Geben Siediese Informationen deshalb gerne auch an weitereInteressierte in Ihrem Umfeld weiter. Je mehr Akteure sich beteiligen, desto eher kann das Thema„Sterben, Tod und Trauer“ in den Fokus der Bürge-rinnen und Bürger gerückt und die Präsenz des The-mas in allen Regionen gestärkt werden.

Frank GunzelmannALPHA Rheinland

Heinrich Sauer Str. 1553111 Bonn

Tel.: 02 28 - 74 65 47Fax: 02 28 - 64 18 41 

[email protected]

» Interessierte sollen einenZugang zu und Impulsefür die berufliche Praxiserhalten.

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DIE AMBULANTE PALLIATIVMEDIZINISCHEVERSORGUNG IN NORDRHEIN-WESTFALENInterview mit Dr. Heike Zimmermann, Achim Merling und Dr. Ulrike Hofmeister

Dr. Ulrike Hofmeister ist Fachärztin für Allgemein-medizin mit Zusatzbezeichnung Palliativmedizinund Vorsitzende des Berufsverban-des der Palliativmediziner in Westfa-len-Lippe.

Achim Merling ist stellvertretenderLeiter der Vertragsabteilung der Kas-senärztlichen Vereinigung Nord -rhein.

Dr. Heike Zimmermann ist Referen-tin im Referat Gesundheitspolitik derKassenärztlichen Vereinigung Nord -rhein.

Wie lange sind Sie im Bereich derambulanten Palliativversorgungtätig?

Ulrike Hofmeister: Seit 2000 arbeite ich im Bereichder ambulanten Palliativversorgung und seit An-fang 2007 bin ich in der Verbandstätigkeit aktiv.Achim Merling: Seit mehr als 10 Jahren. Heike Zimmermann: Seit ca. 7 Jahren.

Frau Dr. Zimmermann, Herr Merling, was sind Ih-re Aufgaben in diesem Arbeitsbereich der Kas-senärztliche Vereinigung Nordrhein?

Heike Zimmermann: Herr Merling und ich sind beider Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein quasidas „Team Ambulante Palliativversorgung“. Wir beantworten alle Fragen, die mit diesem Thema zusammenhängen. Angesprochen werden wir nichtnur von niedergelassenen Ärzten und Palliative Care Teams (PCT), sondern auch von Pflegediens -ten, Hospizen und Angehörigen.Achim Merling: Ein wichtiges Thema ist für uns auchdie Weiterentwicklung der Palliativversorgung. Dasheißt: Wir kümmern uns in enger Abstimmung mitunseren palliativärztlich tätigen Mitgliedern umnotwendige Anpassungen der Verträge und um dieErhebung von Qualitätsindikatoren.

Frau Dr. Hofmeister, was ist Ihre Funktion undAufgabe als Vorsitzende des Berufsverbandes in

Bezug auf die Palliativversorgungin Westfalen-Lippe?

Ulrike Hofmeister: Der Vorstand desBerufsverbandes der Palliativmedi-ziner in Westfalen-Lippe sieht einewesentliche Aufgabe in der Förde-rung der Kommunikation zwischenden Palliativmedizinischen Konsiliar-diensten (PKD) in Westfalen-Lippe,der qualitativen Weiterentwicklungder Patientenversorgung und derVertretung unserer Interessen nachaußen. Darüber hinaus gilt es, diePatientenversorgung kontinuierlichweiterzuentwickeln, wozu regelmä-ßige Gespräche mit Vertretern derKassenärztlichen Vereinigung undden Krankenkassen stattfinden. Ziel

ist hier, die vertragliche Grundlage unseres Handelns juristisch fundiert in ihrem Inhalt weiterauszugestalten und den aktuellen gesetzlichen Entwicklungen anzupassen. Verbandsarbeit istTeamarbeit.

Für viele ist es nicht nachvollziehbar, warumsich die Versorgungssysteme in Westfalen-Lippeund im Rheinland unterscheiden. Wie würdenSie unseren Leserinnen und Lesern diese unter-schiedliche Entwicklung erklären?

Ulrike Hofmeister: In beiden Landesteilen habensich die Strukturen zwar unterschiedlich, aber sehrgut entwickelt. In Westfalen-Lippe hatte die AOKbereits 2007 mit einzelnen Palliativnetzen Verträgeabgeschlossen, woraus unsere „Vereinbarung zurambulanten Palliativversorgung“ 2009 entstand.Wir waren überzeugt, dass Palliativversorgung nurdurch die aktive Einbindung der hausärztlich ver-sorgenden Vertragsärzte gelingen kann. Dabei wares uns wichtig, insbesondere die allgemeine Palli-ativversorgung zu stärken und die spezialisiertePalliativversorgung im Team von Pflegenden und

Dr. Ulrike Hofmeister

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Ärzten bei speziellem Versor-gungsbedarf unbürokratisch zuermöglichen. Heike Zimmermann: Als wir inNordrhein gestartet sind, gabes noch keine SAPV. Also habenwir mit der AAPV erst denGrundstein für eine Basisversor-gung gelegt und das Dach – al-so die SAPV – oben draufge-setzt. In Westfalen hat man spä-ter begonnen. AAPV und SAPVwurden dann in einem Vertragverankert.

Achim Merling: Wenn sich die gesetzlichen Vor-aussetzungen ändern, muss man flexibel reagierenkönnen. Das hat man in Nordrhein und in Westfalengetan. Manche Dinge kann man nicht beeinflussen.Ich denke, die Palliativpatienten werden in beidenLandesteilen gut versorgt.

Im Bertelsmannbericht von 2015 wurden Statis -tiken von NRW publiziert, die nicht den tatsäch-lichen Versorgungszahlen entsprechen. Die Ver-öffentlichung der Zahlen liegt länger zurück,wurde aber vom Gemeinsamen Bundesaus-schuss aktuell noch einmal aufgegriffen, des-wegen möchten wir die Frage danach stellen,wie es dazu kam?

Heike Zimmermann: Die Veröffentlichung solltedem Hospiz- und Palliativgesetz den Weg bereiten.NRW kam dabei sehr schlecht weg. Wir habenschnell festgestellt, dass die Erkenntnisse der Au-toren zum Teil auf fehlerhaften Daten und fiktivenZahlen beruhten. Achim Merling: Es waren simple methodische Feh-ler. Sie hätten vermieden werden können, wennman uns oder die Kassen kontaktiert hätte.

Welche tatsächlichen Zahlen für das Jahr 2015können Sie uns nennen?

Hofmeister: In 2015 wurden über 19.000 Patientenim Rahmen unserer Palliativvereinbarung betreut. 74% der betreuten Patienten konnten in der ge-wünschten häuslichen Umgebung (incl. Altenpfle-geeinrichtungen) versterben. 13% der betreutenPatienten verstarben im Hospiz, 8% der betreutenPatienten im Krankenhaus und 3% der betreutenPatienten auf Palliativstationen.Achim Merling: Im Jahr 2015 wurden in Nordrheinin der AAPV 24.400, in der SAPV mehr als 8.000Palliativpatienten in ihrer Häuslichkeit versorgt.

Die ambulante palliativmedizinische Versorgungwar das letzte wesentliche Versorgungselementim ambulanten Bereich. Die Einbettung war undist für die Akteure des bestehenden Systemsnicht immer reibungslos, z. B. bei den Hausärz-ten oder bei den ambulanten Hospizdiensten.Was galt es von Ihrer Seite zu berücksichtigen?

Ulrike Hofmeister: Wenn ich an die Anfänge zurück -denke, erinnere ich mich an vielfältige Gesprächemit Hausärzten, mit ambulanten Hospizdiens ten,mit Pflegediensten etc., in denen unsere Rolle alsergänzendes und nicht etwa konkurrierendes Ver-sorgungsangebot besprochen werden musste.Auch die hausärztlich versorgenden Kolleginnenund Kollegen haben schnell die Vorteile erkannt,die es mit sich bringen, (Palliativ)Patienten im Teamzu versorgen. Neue Strukturen können Ängs te auslösen. Es galt nicht nur Ängste und Vorurteileabzubauen, es war wichtig, gerade Hausärzte zubegeistern, am Aufbau tragfähiger ambulanterStrukturen zur Palliativversorgung mitzuwirken.Heute würde ich sagen, dass es eine erheblicheRolle spielt, wie die Kommunikation gepflegt wird.

Wichtig ist, dassman es schafft, sichals gleichberechtigtePartner mit unter-schiedlichen Aufga-ben zu sehen. Das A und O für eine erfolgreiche Tätig-keit war und ist dasmultidisziplinäre Arbeiten sowie dergegenseitige Res -pekt.Heike Zimmer-mann: Wir befür-worten die Einbin-dung aller wichtigen

Akteure. Wir weisen immer explizit darauf hin, dasses ohne den Hausarzt nicht geht.  

Was würden Sie sich Ihrerseits von Ihren Netz-werkpartnern wünschen?

Achim Merling: Dass sie offen reden und sagen,wo der Schuh drückt … Heike Zimmermann: … und mit uns gemeinsamnach Lösungen suchen.Ulrike Hofmeister: Ich wünsche mir für die weiterequalitative Ausgestaltung der ambulanten Pallia-tivversorgung von allen Netzpartnern anhaltende

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Dr. Heike Zimmermann

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Begeisterung für eineIdee, welche zu einerfundamentalen Verbes-serung der Versorgungvon Menschen am Le-bensende geführt hat.

Welche Befürchtungenhaben Sie für die Zu-kunft?

Ulrike Hofmeister: Ambulante Palliativversorgungist konzeptionell in unserem Land noch nicht abgeschlossen. Der Gesetzgeber hält an dem Ge-danken der Trennung von allgemeiner und spezia-lisierter Palliativversorgung fest und es entstehen aktuell Parallelstrukturen. Er regelt zur Zeit die all-gemeine Palliativversorgung neu. Da stellt sich dieFrage, welche Auswirkungen das für unsere inzwi-schen etablierten ambulanten Strukturen hat? Wirwerden in den nächsten Monatenvor vielfältigen Herausforderun-gen stehen und hoffen, dass diepolitisch gewollte Stärkung derauch allgemeinen ambulantenPalliativversorgung die erhofftenFrüchte trägt. Veränderung ist an-gesagt.Achim Merling: Sorge vor einemnicht sachgerechten Wettbewerbin der SAPV. Es könnte künftig umPreise statt um Versorgungsqua-lität gehen.Heike Zimmermann: Dass demBundesgesetzgeber wieder etwasNeues einfällt, was sich in Nord -rhein nur schlecht umsetzen lässtoder gar für die Patienten einenRückschritt gegenüber dem hierbereits etablierten Standard be-deuten könnte.

Welche Visionen/Hoffnungenhaben Sie für die Zukunft?

Ulrike Hofmeister: Ich hoffe, dasses uns gelingt, den in den letztenJahren so erfolgreich beschritte-nen Weg zu einer flächendecken-den, qualitativ hochwertigen undden Patientenbedürfnissen ent-sprechenden medizinischen, pfle-gerischen und psychosozialenVersorgung unserer Patienten

weiterzugehen. Ich wün-sche hierzu allen Beteilig-ten viel Gesundheit, Kraftund gegenseitiges Ver-trauen.Achim Merling: Einemöglichst reibungslose,sektorenübergreifendeund qualitativ hochwerti-

ge Versorgung für alle Patienten am Lebensende.Es ist für die gute palliativmedizinische Versorgungauch wichtig, dass die am Lebensende den Patien-ten beistehenden Ärzte durch den Gesetzgeber je-derzeit so abgesichert sind, dass sie sorgenfrei dienotwendige palliativmedizinische Medikation ver-ordnen können, ohne dass die Gefahr eines Straf-tatbestandes besteht, wenn ein Patient mit den zurVerfügung gestellten Medikamenten – nicht vor-hersehbar – einen Suizid begeht.Heike Zimmermann: Dem ist nichts hinzuzufügen.

» Eine reibungslose, qualitativhochwertige Arbeit und ver-trauensvolle Zusammenarbeitist die Basis.

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10 SCHWERPUNKT

H ey Katrin,deine Arbeitund die derE h r e n a m t -

lichen sind echt gut,aber gibt’s vielleicht je-manden, mit dem ichzocken oder ein Biertrinken gehen kann?(Aussage eines lebens-verkürzend erkranktenjungen Mannes mit 17Jahren).

Diese und weitere ver-gleichbare Aussagen führten dazu, dass ich, KatrinWassermann (30 Jahre), Leiterin des AmbulantenKinder- und Jugendhospizdienst Allgäu, mich inten-siv im Jahr 2015 mitdem Thema „JungesEhrenamt“ ausein-andergesetzt habe:zum einen ganz allge-mein zu Fragen, wiegeht es anderen Diensten, was sagenDachverbände undgrößere Organisatio-nen, zum anderen imeigenen Bereich mitden organisationsin-ternen Besonderheitenund Strukturen. Einenguten Anhaltspunktfand ich in den 33 Leitlinien aus der Fach-literatur „Kinderhospiz-arbeit“ von Sven Jenn-essen: „Gute Kinder -hos pizarbeit ermöglichtprogredient erkrankten Ju gend lichen eine ent-wicklungsadäquate Ab-lösung in der Phase der

Adoleszenz“ (Jennessen, Bungenstock & Schwar-zenberg, 2011, S.261). Vergleicht man die Leitliniemit der oben genannten Aussage des jungen Mannes und der Altersstruktur der eigenen Ehrenamtlichen ergab sich für mich keine zufrie-denstellende Lösung. Ende 2014 waren nur siebenProzent der Ehrenamtlichen im Dienst zwischen 30und 40 Jahre alt, unter 30 Jahre gab es aktuell keine Ehrenamtlichen. Eine Altersstruktur, die nicht nurder Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst Allgäu kennt. In der schon erwähnten Studie zurKinderhospizarbeit zeigen sich ähnliche Altersge-füge, denn auch hier ist der Großteil der Ehrenamt-lichen zwischen 41 und 60 Jahren alt (vgl. Jennessenet al., 2011, S. 238 f.).

Klar ist, dass erkrankte Jugendliche Bedürfnisseund Wünsche an eine ehrenamtliche Begleitung

GIBT’S VIELLEICHT JEMANDEN, MIT DEMICH ZOCKEN KANN?Junges Ehrenamt in der Hospizarbeit für Kinder und Jugendliche

KATRIN WASSERMANN

Katrin Wassermann

Junge Ehrenamtliche Sarah zu Besuch bei einem erkrankten Jugendlichen

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1JUNGE MENSCHEN IN HOSPIZARBEIT UND PFLEGE

haben, die mit ihren altersspezifischen Interessenim Einklang sind. Denn ambulante Kinder- und Jugendhospizarbeit bedeutet auch immer „Lebens-begleitung“. Die Hauptaufgabe Ehrenamtlicher istnicht das Beistehen in Krisensituationen, sonderndie „Begleitung im Leben“ (Jennessen et al., 2011,S. 221). Aus dieser Lebensbegleitung heraus sindWünsche lebensverkürzend erkrankter Jugend-licher nach Kontakt zu Gleichaltrigen, Wahrneh-mung altersspezifischer Interessen und eine Ablö-sung von den Eltern nachvollziehbar. Hier setzendie Überlegungen rund um das „Junge Ehrenamt“an. Die Jugendlichen brauchen junge Ehrenamtli-che. Ich erkannte, dass wir zusätzlich junge Menschen motivieren müssen, die sich gerne ehrenamtlich engagieren und den erkrankten Jugendlichen Zeit schenken möchten. Aus diesenErkenntnissen he raus hat der Ambulante Kinder-und Jugendhospizdienst Allgäu beschlossen, ein„Junges Ehrenamt“ zu schaffen. Konkret bedeutetdies, das Angebot der ehrenamtlichen Kinderhos -pizbegleitung mit jungen Ehrenamtlichen zwischen18 und 30 Jahren zu erweitern. Sie werden erkrankteJugendliche oder aber auch jugendliche Geschwis -ter in der Wahrnehmung ihrer altersspezifischenInteressen und der Freizeitgestaltung unterstützen.

Intern wurde viel über Rahmenbedingungen disku-tiert. Es wurde bei Dachverbänden nachgefragt, wiedas Ehrenamt in der Kinderhospizarbeit für jungeMenschen attraktiv gestaltet und allen Familien-mitgliedern eine an den jeweiligen Bedürfnissenorientierte Begleitung ermöglicht werden kann. Ei-ne bundesweite Qualifizierung junger Menschenim „Jungen Ehrenamt“ ist entscheidend, um sie indie Dienste zu bekommen. Keinesfalls soll ehren-amtliches Engagementnach Alter und Lebens-erfahrung gewertet wer-den. Bei uns erfahrenund durchlaufen aktuelldie jungen Menschendie gleiche Schulungwie alle Ehrenamtlichen.Das Schulungskonzeptrichtet sich nach der Handreichung zur Befähigungehrenamtlich Mitarbeitender in ambulanten Kin-derhospizdiensten. Zurzeit sind die „Jungen“ imTandem mit einer weiteren ehrenamtlichen Kraft imEinsatz.

Natürlich stellen sich die Fragen: Was ist dann ge-nau die Aufgabe des „jungen“, was des „älteren“Ehrenamtlichen? Und ab wann ist man dann ein „äl-

terer“ Ehrenamtlicher? Die Schulungsreihe mussso umgestaltet werden, dass junge Ehrenamtlicheeine gute Basis finden, die den Gewinn aus einergemeinsamen Schulung für beide Seiten möglichstmaximiert. Nicht zuletzt steckt auch hier ein Ge-danke der Qualitätssicherung für die Ausbildung inder ambulanten Kinderhospizarbeit. Organisations-intern wurde diskutiert, wie und unter welchen Um-ständen eine Finanzierung der Schulung für jungeMenschen getragen werden kann. Die Schulungs-inhalte sowie auch die Zeiten wurden nochmalsüberprüft. Fehlzeiten können im Rahmen einzelnerAbende nachgeholt werden, um so eine Teilnahmeneben Ausbildung, Studium oder Beruf zu ermög-lichen.

Es wurden alle Voraus-setzungen für eine optimale Ausbildungund den Einsatz ge-schaffen. Nun muss teich nur noch die jun-gen zukünftigen Eh-renamtlichen finden.Wichtig war mir dieKontaktpflege zu Fach -

hochschulen, Berufsschulen und Fachakademienverbunden mit Vorträgen über die Kinder -hos pizarbeit. Es wurde zum festen Bestandteil in meinem Arbeitsalltag. Eine umfassende Öffentlich-keitsarbeit und ständiger Kontakt zu jungen Menschen auch über soziale Medienfelder sind unumgänglich und nehmen viel Zeit in Anspruch.

» Die Dimension „Zeit“ spielt bei derGewinnung und dem Einsatz vonjungen ehrenamtlich Mitarbeiten-den eine besondere Rolle.

Erkranktes Mädchen und Katrin Wassermann bei einem Familienseminar

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12 SCHWERPUNKT

Die angesprochenen jungen Menschen reagiertenim direkten Kontakt mit der ambulanten Kinderhos -pizarbeit wesentlich offener als zunächst erwartet.Mit viel Interesse, neuen und kreativen Ideen undRespekt wenden sich nun die jungen Menschen un-serem Ehrenamt zu und werden von allen Seitenals Gewinn mit einer Erweiterung der Perspektivenbetrachtet. Genauso offen wie uns die jungen Men-schen gegenüberstehen, möchten wir dies auch alsInstitution. Wir möchten engagierten jungen Men-schen auf Augenhöhe begegnen, möchten für sieeinen Nutzen im Ehrenamt schaffen und sie in dieArbeit einbinden. Konkret bedeutet dies, dass wirunsere Einsatzmöglichkeiten für die jungen Menschen in Kooperation mit dem stationären Kinderhospiz ausbauen und sie konkret in Projekteeinbinden. Praktika, auch für spätere Berufe, wer-den bei uns ermöglicht. Gleichzeitig muss man sichbewusst sein, dass ein Ehrenamt über eine gewisse

Dauer für jungeMenschen oftnicht möglich ist. Berufliche Wech-sel, Abschlüsseund wandelnde Lebenssituatio-nen der jungenMenschen verän-dern dies. Wir

sehen daher auch ein übergeordnetes Ziel: das Ziel,junge Menschen für die Arbeit in der ambulantenKinderhospizarbeit zu begeistern und auszubilden,egal an welchen Orten.

Nach zwei Jahren Zusammenarbeit mit den jungenEhrenamtlichen ist deutlich geworden, dass drin-gend größere Zeitfenster für die Öffentlichkeits -arbeit gebraucht werden, um auf die ambulanteKinderhospizarbeit und das Ehrenamt in allen Altersstufen aufmerksam zu machen. Auch der Aus-bau und die konkrete Umsetzung der Einsatzmög-lichkeiten sowohl ambulant als auch stationär kön-nen noch optimiert werden. Der Faktor Zeit spielthier sicherlich eine wichtige Rolle: Zeit für die Gewinnung der jungen Menschen und Zeit, um organisationsintern und ebenfalls übergreifend diejungen Menschen mitzunehmen und in der Kinder-hospizbewegung fest zu integrieren.

Katrin Wassermann Ambulanter Kinder- und

Jugendhospizdienst AllgäuSedanstraße 5

87700 Memmingen Tel.: 0 83 31 - 49 06 80 17

[email protected]

LiteraturJennessen, S.; Bungenstock, A.; Schwarzenberg, E. (2011). Kin-

derhospizarbeit. Konzepte, Erkenntnisse, Perspektiven.Stuttgart: W. Kohlhammer.

Schulte, C.; Köster, R.; Tessmer, G. (2006). Handreichung zurBefähigung ehrenamtlich Mitarbeitender in ambulantenKinderhospizdiensten. Münster: ALPHA-Westfalen.

» Es ist wichtig, Alter und Lebenserfahrung nicht zuwerten und allen ehren -amtlich Mitarbeitenden aufAugenhöhe zu begegnen.

M it der Endlichkeit unseres Daseinsbin ich während meines Zivildienstesim Franziskus Hospiz Hochdahl daserste Mal in meinem Leben konfron-

tiert worden. Die Arbeit mit todkranken und ster-benden Menschen hat mich geprägt und meinenBlick auf das Leben, das Sterben und den Tod ver-ändert.

Auf der Suche nach einer Zivildienststelle war mirwichtig, die Möglichkeit zu haben, mit Menschenzu arbeiten. Dass ich auf der Station des FranziskusHospizes arbeiten konnte, war wiederum ein glück -licher Zufall. Zu allererst aber war es ein Sprungins kalte Wasser, denn ich hatte bis dahin keinenTodesfall in der Familie erlebt und mir selbst kaumGedanken über den Tod gemacht. Nur wenige Tage

nach meinem Einstand im Hospiz begegnete ichdas erste Mal einem sterbenden Menschen. Er er-zählte, dass er Engel sähe, die gekommen seien,um ihn abzuholen. Als er verstorben war, habe ichseine Hand berührt, um mich von ihm zu verab-schieden. In diesem Augenblick habe ich im wahrs -ten Sinne des Wortes begriffen, dass es ein end-gültiger Abschied war. Zu den Verstorbenen zu ge-hen, die ich gepflegt hatte und sie noch einmal zuberühren, wurde für mich zu einem wichtigen

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1JUNGE MENSCHEN IN HOSPIZARBEIT UND PFLEGE

Ritual. Diese Geste des Abschiednehmens habe ichspäter in mein Fotoprojekt„Purpur Braun Grau WeißSchwarz“ übernommen, in-dem ich die Verstorbenen, dieich während der letzten Tageihres Lebens fotografisch begleitet hatte, ein letztes Malporträtiert habe.

Schon während meiner Schul-zeit war für mich klar, dass icheinen kreativen Beruf ergrei-fen würde. Umso dankbarerbin ich für die Möglichkeit, zuvor Einblick bekommen zuhaben in eine mir bis dahin vollkommen unbekann-te Welt. Während der zehn Monate im Hospiz habeich nicht nur viel über das Leben und den Umgangmit Menschen gelernt, sondern vor allem über michselbst.

Ich habe Menschen gewaschen, ihnen beim Essengeholfen, ihnen die Hand gehalten, mit ihnen überihr Leben und das Wetter gesprochen. Von den Be-wohnern habe ich gelernt, dass sonnige Frühlings-tage etwas unglaublich Wertvolles sind, wenn man

FRÜHLINGSTAGEVom Zivildienst zu Bildern von Leben und Tod

Daniel Schumann

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14 SCHWERPUNKT

nicht mehr gesehen hatte. Einen Tag nach dem er-sehnten Besuch bekam sie eine schwere Lungen-entzündung und verstarb wenig später.

Direkt aus dem Krankenhaus kommend, gaben dieÄrzte einem Bewohner nur noch wenige Tage zu le-ben. Je länger er jedoch im Hospiz war, umso besserging es ihm. Durch die einfühlsame Pflege erholteer sich so gut, dass er schließlich noch einmal nachHause zurückkehren konnte.

Einem anderen Bewohner waren alle Entscheidun-gen im Leben abgenommen worden. Und sobrauchte er auch im Sterben die Erlaubnis einerKrankenschwester, dass er jetzt Abschied nehmenkönne.

Schließlich erzählte mir eine Bewohnerin mit einemzufriedenen Lächeln, dass sie ein glückliches Lebengelebt habe, in ihrem Beruf erfolgreich war undstolz auf die Errungenschaften ihrer Kinder sei. Siestarb einen friedlichen Tod.

Sterben kann schrecklich sein, gerade wenn es mitKrankheit und Schmerzen einhergeht. Der Tod aber

als Teil des fortlaufenden Rhythmus der Natur, derjeden von uns einmal trifft, muss nichts Erschre -ckendes oder Beängstigendes an sich haben.

Ganz wichtig erscheint mir in diesem Zusammen-hang, dass der Betroffene über seine Situation auf-geklärt ist und die Gelegenheit hat, die Realität desTodes anzuerkennen. Jedem Menschen sollte es indieser letzten Phase seines Lebens möglich sein,

weiß, dass man nur noch wenige erleben wird.Scheinbar Selbstverständliches kann im Hospiz zuetwas Besonderem werden. Ich habe mit den Men-schen dort glückliche genauso wie schrecklicheMomente geteilt. Ihre Dankbarkeit für meine Hilfehat mir geholfen, mich von Verlust und Trauer nichtüberwältigen zu lassen.

Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit der eige-nen Sterblichkeit scheint mir seit dieser Erfahrungunbedingt notwendig, denn die jeweilige Einstel-lung des Menschen zu seinem Leben bedingt auchseine Haltung zum Tod und beeinflusst damit daseigene Sterben. Jeder Mensch stirbt anders, je

nachdem, ob er ein erfülltes Leben gelebt hat, ober unter Schmerzen leidet oder ob er Angst vor demTod hat. Wie individuell der Umgang mit dem Lebenund dem Sterben sein kann, und zugleich wie sehrdie Lebenseinstellung das Abschiednehmen beein-flusst, war eine der bemerkenswertesten Erkennt-nisse meines Zivildienstes. So bin ich eines Abendsin das Zimmer eines Mannes gegangen, der wenigeStunden zuvor verstorben war, um von ihm Ab-schied zu nehmen. Mich empfing ein warmes Lä-cheln auf den Zügen des Verstorbenen. Es war soeinnehmend, dass mir nichts anderes übrig blieb,als zurückzulächeln. Während seine Gesichtszügezuvor von Schmerzen und dem Einfluss der Medi-kamente geprägt waren, war er wieder zu demglücklichen Menschen geworden, der auf den vie-len Fotografien im Zimmer zu sehen war.

Eines Tages sagte mir eine Frau, dass sie auf ihreTochter warten würde, die sie schon eine Weile

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habe ich an zwei aufein-anderfolgenden Tagen Fotos gemacht. Eine Dame, die ich am zweitenTag fotografierte, hatte

schon am ersten Tag meine Anwesenheit bemerkt.Als ich bei ihr war, sagte sie, dass sie Angst bekommen hätte, ich könne das Interesse an ihrverloren haben.

Meine Fotos fordern ihre Betrachter heraus. Schonmancher Ausstellungsbesucher hat sich auf derTürschwelle wieder umgedreht, während anderelange verweilen und wir intensive Gespräche mit-einander führen. Die Porträts eröffnen die Möglich-keit für einen Trialog zwischen Protagonisten, Be-trachtern und Fotograf.

In meinen Fotos aus dem Hospiz mache ich den Todsichtbar, mit all den Schmerzen und Leiden, die töd-liche Krankheiten mit sich bringen, aber auch mitder Gewissheit, dass ein Abschied in Würde mög-lich ist. Ich zeige den Tod mit seiner ganzenMenschlichkeit, seiner greifbaren Nähe im Hier undJetzt.

Meine Fotoarbeit umfasst ein Jahr, zeigt Menschen,die in dieser Zeit im Hospiz gelebt haben. Men-schen kommen, Menschen gehen, manche verwei-len länger, andere kürzer. Der Verlauf ist nie linear.So wie die Jahreszeiten sich ändern, das Licht unddie Farben sich wandeln, ändert sich auch das Leben. Die Menschen leben, werden schwächer,sterben. Manche von ihnen begegnen sich, lerneneinander schätzen, andere sehen sich nie. Für denEinzelnen in dieser Geschichte steht am Ende immer der Tod. Für die anderen, für die Angehöri-gen, für die Menschen außerhalb dieses Ortes abergeht das Leben weiter.

Menschen sterben, Menschen werden geboren.Meine Bilder vom Leben und vom Tod erzählen vonGedanken und Gefühlen, die sich widerspiegeln inder Gestik, in der Mimik der Menschen. Sie erzäh-len von Leben und von Krankheit, von Abschied undvon Trauer. Sie erzählen von der Natürlichkeit, derSichtbarkeit des Todes.

Daniel Schumann PhotographyMärkische Str. 4240625 Düsseldorf

Tel.: 01 71 1 22 56 26www.daniel-schumann.com

Ungeklärtes zu klären undvon Angehörigen undFreunden Abschied zunehmen. So schrecklichdie Krankheit Krebs auchsein mag, sie fordert den Kranken heraus, Fragenzu stellen und Antworten zu finden: Fragen nachdem Warum, Woher und Wohin.

Aus den Erfahrungen meines Zivildienstes ist dasFotobuchprojekt „Purpur Braun Grau Weiß Schwarz– Leben im Sterben“ entstanden, in dem ich denTod als etwas Tiefgreifendes und doch Natürlichesdarstelle.

Während meines Zivildiens tes ist die Entscheidunggefallen, dass ich Fotografie studieren würde. Alsvier Jahre später, während meines Studiums an derFachhochschule Bielefeld, ein Seminar mit dem Titel „Ränder“ angeboten wurde, war für mich klar,dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, den „Randdes Lebens“ fotografisch festzuhalten und michaus einer neuen Perspektive meinen Erfahrungenaus dem Zivildienst zuzuwenden.

Dieses Projekt ist zu einem Meilenstein innerhalbmeiner künstlerischen Arbeit geworden. Durch meine Porträts aus dem Hospiz habe ich entdeckt,welchen Wert das Medium Fotografie für mich hat.Es ist für mich zu einer Möglichkeit geworden, michmit meinen Fragen an das Leben auseinanderzu-setzen. Zugleich ist dieses Projekt auch in seinerHerangehensweise wegweisend für die folgendenPorträtarbeiten. Ich nutze das Tageslicht, den Raumund die Farbigkeit, um den Menschen in meinenBildern respektvoll gegenüberzutreten, ihre Geschichte zu erzählen und ihre Situation zu verstehen. Durch die Art und Weise wie ich die Menschen porträtiere, unterstreiche ich, dass diedargestellte Situation Teil des Lebens ist.

Schließlich sind die Fotos ein wichtiger Weg, ummich mit den Menschen, die ich porträtiere, genau-so wie mit den Betrachtern der Bilder auseinander-zusetzen. Während des Fotografierens war für michdie Bemerkung einer der Protagonistinnen meinesBuches besonders wertvoll, die sagte, dass siedurch meine Fotos ihren Kindern berichten wolle,wie sie sich fühlt.

Nicht lange nachdem ich das Projekt begonnen hattezu fotografieren, lebten fünf Menschen im Hos piz,die eingewilligt hatten, sich von mir porträtieren zulassen. Um allen gleichermaßen gerecht zu werden,

» Man lernt nicht nur etwas überdas Leben, sondern vor allemüber sich selbst.

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Arnsberg-Sundern bietet die professionelle Unter-stützung.

Die Gewinnung neuer Jugendlicher erfolgt über dieSchulen. Jedes Jahr kurz vor den Sommerferien er-halten wir die Möglichkeit in der 8. Klasse eineUnterrichtsstunde abzuhalten: „Caritas stellt sichvor“. Fast alle Jugendlichen fühlen sich angespro-chen, wenn es darum geht, Menschen zur Seite zustehen, denen es nicht so gut geht. Hier bekommendie jungen Menschen einen Ort, wo sie je nach ih-ren Möglichkeiten sich engagieren können. Es be-steht keine zeitliche Bindung, keine Verpflichtung;willkommen sind auch die Jugendlichen, die einmalim Jahr bei einem Projekt mitmachen. Alle gehörendazu. Wenn die Jungen und Mädchen ein Engage-ment zusagen, dann erwarten wir allerdings auchZuverlässigkeit.

D ie Jugend -caritas Arns-berg wurde2011 im Rah-

men der Firmvorberei-tung in der Heilig KreuzGemeinde von PastorSiepe und mir gegrün-det und ist von ursprüng-lich sieben Jugendlichenauf nun über 100 Jugend -liche angewachsen. DieGruppe ist strukturellder Caritas-Konferenz

Heilig Kreuz angeschlossen und arbeitet in engerKooperation mit dem Caritasverband Arnsberg-Sundern zusammen. Einige ehrenamtliche Erwach-sene begleiten die Gruppe. Der Caritasverband

LEBENDIGKEIT, KREATIVITÄT, IDEENREICHTUM –JUNGE MENSCHEN IM EHRENAMT MARTINA GERDES

Martina Gerdes

aufgestellt werden sollte. Eine Kerze, die Wärme undHoffnung ausstrahlt so wie der Gast selbst.

Auch wenn es sich nur um eine kleine Aufgabe, einekleine Tat handelt, zeigt es, wie viel diese auslösenkann. Ehrenamt bedeutet, zu handeln, etwas Guteszu tun, denn ich glaube, nur wer anderen hilft, kannwirklich glücklich werden.

Bislang sind die jungen Menschen nur im stationä-ren Hospiz tätig. So können wir gewährleisten, dassdie Jugendlichen jederzeit einen Ansprechpartnerhaben.

Natürlich kommen immer wieder Fragen auf: „Darfich einem Gast sagen, dass ich heute Abend in dieDisco gehe? – oder wird er dann traurig?“

Um auf solche Fragen eine Antwort zu geben, ha-ben wir einen Gesprächsaustausch angeboten. Die-ser wird durch Monsignore Auffenberg vom Diöze-san Caritas-Verband Paderborn geleitet, der unteranderem derzeit auch die seelsorglichen Begleite-rinnen und Begleiter in den Einrichtungen des Ca-ritas-Verbandes schult. Eine andere Schulung fandbeispielsweise zum Thema „Nähe und Distanz“statt. Das Klinikum Arnsberg hat die jungen Leuteim Bereich Umgang mit an Demenz erkranktenMenschen geschult.

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Damit die Jugendlichen in ihrem Engagement pro-fessionell begleitet werden, sind sie vielfach in denEinrichtungen des Caritas-Verbandes tätig, wo siejederzeit eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiteransprechen können. Begonnen haben wir seiner-zeit mit den jungen Menschen im Hospiz. Die Jugendlichen helfen dort im hauswirtschaftlichenBereich. Die Jugendcaritas engagiert sich darüberhi naus in den Seniorenheimen des Caritas-Verban-des, den Senioren-WGs, den Wohnhäusern fürMenschen mit Behinderung und in verschiedenstenProjekten.

Dieser kleine Bericht eines jungen Mädchens, dassich im Hospiz engagiert hat, spricht für sich:

Nach knapp vier Jahren ehrenamtlicher Tätigkeitbei der Jugendcaritas Arnsberg ist es mir besondersschwer gefallen, ein einziges Ereignis zu schildern,das mich besonders beeindruckt, bewegt und michbesonders berührt hat. Denn in diesen Jahren konn-te ich einige unvergessliche Momente im Arnsber-ger Hospiz Raphael sammeln, welche von Freudeund auch Trauer gezeichnet wurden.

Besonders in Erinnerung werden mir die warmher-zigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und diehoffnungsvolle Atmosphäre bleiben und nicht zu-letzt auch ein ganz besonderer Gast, welcher nichtnur mir, sondern auch anderen Jugendcaritas -mitgliedern sehr ans Herz gewachsen ist. Durch seinelockere und lus tige Artschien er den Tod nicht zufürchten, sondern seinenletzten Lebensabschnitt vollund ganz zu genießen. Sowaren Gespräche auf dersonnigen Terrasse über dasLeben, die Familie, Träumeoder auch über banale The-men wie das Wetter keineSeltenheit. Aufgrund dessenfiel es nicht nur den Mitarbei-terinnen und Mitarbeiterndes Hospizes, sondern auchmir schwer, den Gast, der bereits ein Freund gewordenwar, zu verabschieden undgehen zu lassen. Umso grö-ßer war mir die Ehre, eineKerze für ihn gestalten zudürfen, welche vor seinemZimmer als Zeichen der Trauer

In der Hauswirtschaft (Küche) sind die jungen Helfer eine große Unterstützung. Lene Brasse mit der Hospizmitarbeiterin Birgit Masseck.

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Solche Fortbildungen sindwichtig und werden mit Hil-fe des Caritas-VerbandesArnsberg-Sundern immerwieder angeboten. DasThema der Schulung stim-men wir mit den Jugendlichen auf den Vollver-sammlungen ab. Diese finden zweimal im Jahr statt.

Ich werde oft gefragt, ob es nicht schwer ist, Ju-gendliche zu motivieren. Nein, es ist nicht schwer,Jugendliche zu motivieren. Die Jugendlichen wollenhelfen, wollen Licht in die Welt bringen. Sie be-schenken andere mit ihrer ungeheuren Lebendig-keit, mit ihrer Kreativität, ihrem Ideenreichtum undihrer Jugendlichkeit.

Einlassen muss man sich auf ihre Art zu planen undauf ihre Möglichkeiten. Die Schülerinnen und Schü-ler haben alle ganztags Schule und viele habenauch noch Hobbies nebenher oder Aufgaben inner-

halb der Familie. Da bleibtnur begrenzt Zeit. Dassdie Jugendlichen von die-ser Zeit auch noch etwasverschenken – großartig!

Die Jugendcaritas Arnsberg ist ein Hoffnungszei-chen auch für die vielen älteren Menschen im Ehrenamt. Es wird weitergehen, dass sich Men-schen ehrenamtlich engagieren, wenn auch anders,aber nicht unbedingt schlechter.

Martina GerdesBördestr. 58a

59821 ArnsbergTel.: 01 73 5 19 85 83

[email protected]

» Junge Menschenbrauchen einenOrt und einfühlsame Kolleginnenund Kollegen.

Bundesamt, 2017) zur Anzahl Pflegebedürftigernach Versorgungsart können aus den folgendenGründen nur sehr grobe Anhaltspunkte für die Größenordnung pflegender Angehöriger geben.

Die Statistik erfasst nur die 2,9 Mill. Menschen(Stat. Bundesamt, 2017), die eine Pflegestufe haben, also die offiziell als „pflegebedürftig“ be-zeichneten Menschen. Nicht berücksichtigt sind diesogenannten „Hilfsbedürftigen“, also diejenigen,deren Hilfebedarf nach den Kriterien der Pflegever-sicherung niedriger ist. Die aktuellen Veränderun-gen von Pflegestufen zu Pflegegraden werden dieAnzahl der Pflegebedürftigen erhöhen, indem diekognitiven Einschränkungen eine neue Bewertungerfahren (BMG, 2017). Es ist zu erwarten, dass hier-

VERSTECKT, BENACHTEILIGT, VERNACHLÄSSIGT – JUNGE MENSCHEN MITPFLEGEVERANTWORTUNG DR. HANNELI DÖHNER

er sind die pflegenden Angehöri-gen? Die unbezahlte Pflege durchAn- und Zugehörige (familiale Pfle-ge) ist weiterhin die tragende Säule

in unserem Pflegesystem. In allen Pflegesituatio-nen ist immer auch die Zusammenarbeit mit professionell Pflegenden ein wichtiges Thema. DieFamilie entscheidet sich, ob und in welcher Formsie Externe einbeziehen will.

Durch die veränderten Familiensituationen sindvermehrt auch Nicht-Verwandte (Nachbarn, Freun-de, etc.) mitzudenken, die sich an der Pflege betei-ligen. Es gibt für Deutschland keine validen Zahlenzur Anzahl der pflegenden An- und Zugehörigen.Neueste Zahlen aus der Pflegestatistik 2015 (Stat.

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mit auch der Anteil der dokumentierten familialenPflege steigt.

Ein anderer Aspekt ist, dass wir, wenn wir von fa-milialer Pflege sprechen, meistens nur an das häus-liche Setting denken. Aber es gibt häufig Situatio-nen, in denen die Familien an ihre Grenzen stoßenund sich für die stationäre Pflege oder Wohnpflege -gemeinschaften entscheiden. Dies ist in Pflege -heimen oft für unabsehbare Zeit der Fall und in Hos pizen meistens für eine kürzere Zeit, die vermutlich letzte Lebensphase. Viele An- und Zugehörige kümmern sich auch in dieser veränder-ten Lebenssituation weiter um ihre pflegebedürfti-gen Angehörigen in sehr unterschiedlichem Umfang und übernehmen verschiedene Aufgaben,zum Teil auch ganz regelmäßig. Das heißt für vieleBetroffene: Die familiale Pflege endet nicht, nur Artund Umfang ändern sich. Die Rolle der Mitarbeite -rinnen und Mitarbeiter aus der Pflege ist eine andere und die Zusammenarbeit bringt neue Herausforderungen mit sich (Kramer, 2016). Es gibtverschiedene Gründe, warum Familien sich gegenprofessionelle Unterstützung entscheiden. Sie zukennen, ist für die Professionellen wichtig, um Ansatzpunkte zu finden, familialer Überforderungrechtzeitig vorzubeugen.

Weiter muss berücksichtigt werden, dass häufigmehrere Personen beteiligt sind, sich die Unter-stützung aufteilen. Dabei sind auch Kinder, Jugend-liche und junge Erwachsene (Junge Pflegende) Teildes Pflege-Arrangements. Allerdings ist diese Grup-pe besonders versteckt und wird erst in der letztenZeit stärker in den Blick genommen.

Wie wurden die jungen Pflegenden in Deutschlandzum Thema?Wesentliche Anstöße für eine veränderte Wahrneh-mung der jungen Pflegenden in Deutschland gab

der Blick ins Ausland – auf die dortige Forschung,Praxis und Politik. International wird unterschiedenzwischen Kindern und Jugendlichen (Young Carers)und jungen Erwachsenen (Young Adult Carers).

Erste deutsche Forschungsergebnisse zur Situationvon Young Carers liegen bereits seit ca 10 Jahrenvon der Universität Witten-Herdecke vor (Metzing,2007), sind aber in den vergangenen Jahren wenigins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Diese For-schergruppe führt zurzeit das vom BMG geförderteProjekt KiFam (http://cambase. dmz.uni-wh.de/CiXbase/whpro/index.html) durch, das erste quan-titative Daten zu pflegenden Angehörigen am Beispiel von NRW erwarten lässt.

Inzwischen gibt es auch eine weitere wissenschaft-liche Arbeitsgruppe an der Universität Oldenburg,die sich speziell mit der schulischen Situation vonYoung Carers befasst (Schulze, Kaiser, 2017).

Unser Verein „wir pflegen – Interessenvertretungbegleitender Angehöriger e.V.“ (www.wir-pfle -gen.net) hat als Zielgruppe alle pflegenden Ange-hörigen, unabhängig von Alter und Krankheit oderBehinderung. In den vergangenen Jahren war aller-dings auch hier die Gruppe der jungen Familien-mitglieder kein spezielles Thema. Durch unsereMitarbeit in dem europäischen Netzwerk EUROCARERS (www.eurocarers.org) eröffnete sichdie Chance zur Teilnahme an einem von der EU imRahmen von GRUNDTVIG geförderten europä -ischen Projektes: „Together for Young Adult Carers– ToYAC“: http://www.youngadultcarers.eu/ Hierlag der Focus auf den jungen Erwachsenen (18 - 24Jahre) (wir pflegen e.V., 2014). Die durch das Projektverfügbaren Ressourcen haben uns ermöglicht, systematisch Informationen aus den fünf beteilig-ten Ländern (Deutschland, Irland, Italien, Nieder-lande, Schottland) zusammenzuführen. Diese

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Länder hatten in sehr unterschiedlichem Ausmaßbereits eine Sensibilisierung für die Thematik erreicht (Döhner, Salzmann, 2017), die sich sehrdeutlich in der Gegenüberstellung von zwei Betrof-fenen aus Schottland und Deutschland zeigt (Video:http://www.wir-pflegen.net/projekte/jump-junge-menschen-mit-pflegeverantwortung/eu-projekt-toyac/#toggle-id-1)

Was macht die AG JUMP des Vereins „wir pflegen e.V.“?Um nach Abschluss des Projektes ToYAC die Ver-besserung der besonderen Situation von jungenPflegenden intensiv weiter zu unterstützen, habenwir im Verein 2016 eine AG gegründet: „JUMP – Jun-ge Menschen mit Pflegeverantwortung“.

Die AG setzt sich aus Vereinsmitgliedern und ex-ternen Personen mit unterschiedlichen beruflichenHintergründen zusammen. Insbesondere ein Fach-tag 2016 in Hamburg hat das Interesse deutlich er-höht und zu einer Verstärkung der AG geführt(http://www.wir-pflegen.net/wp-content/me-dien/160622_JUMP_%C3%B6ff.pdf ).

Wir sind offen für neue Mitglieder, insbesondereüber die Mitarbeit von jungen Pflegenden selbstfreuen wir uns! Die AG-Treffen finden in Hamburgstatt, da die meisten aus dieser Region kommen.Ziel der AG ist es, dass junge Pflegende auch inDeutschland mehr Aufmerksamkeit und Unterstüt-zung erfahren. Wir werden weiter den innerdeut-schen und europäischen Austausch pflegen, umaus Erfahrungen zu lernen, aber auch selbst Pro-jekte anstoßen und begleiten.

Erste Öffentlichkeitsmaterialen wurden erstellt unddie Website wird laufend aktualisiert: www.wir-pfle-gen.net/jump. Wir organisieren Veranstaltungen zudem Thema und beteiligen uns an Kongressen v. a.im Bereich der Pflege. Wir erhalten vermehrt Einla-dungen aus unterschiedlichen Bereichen, insbe-sondere aus dem Bildungsbereich, weil eine bes-sere Vereinbarkeit von familialer Unterstützung undeigener Aus- und Fortbildung ein wesentliches Zielist.

Die Herausforderungen hinsichtlich der Situationin Deutschland lassen sich stichwortartig sozusam menfassen:

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Initiativen erstellt werden, die Berührungspunktezum Thema haben oder haben sollten. Hier ist insbesondere zu denken an Initiativen fürGeschwis terkinder, Kinder psychisch kranker Eltern, Suchtprobleme und Krebserkrankungen vonFamilienmitgliedern (z. B. Dittmer, 2016). NeuesteErkenntnisse und Herausforderungen sollen Themen eines weiteren Fachtages in diesem Jahrin Hamburg sein. Außerdem plant die AG – entspre-chend den europäischen Erfahrungen – ein Pilot-projekt, das konkret in der Schule ansetzen soll.Dazu liegen bereits erste konzeptionelle Ideen vorund auch eine Schule konnte zur Zusammenarbeitgewonnen werden.

Welche weiteren Entwicklungen zeigen sich inDeutschland?Nach dem ToYAC-Workshop in Berlin hat sich auchdort eine Gruppierung zusammengefunden, die unter der Federführung vom Diakonischen WerkBerlin Stadtmitte e. V. arbeitet und mit denen wirim engen Austausch stehen. Wesentliche Schwer-punkte sind:

• Mangelnde Wahrnehmung der familialen Pflegedurch junge Menschen

• Keine besonderen Rechte

• Keine zuverlässigen Daten zu Anzahl und Charak-teristika der Lebenssituation

• Mangel an Forschung

• Mangel an politischen Programmen

• Fehlende Fremd- und Selbstidentifizierung derYoung Carers

• Kaum spezielle Dienste, Hilfsangebote, An-sprechpartner

• Fehlende Vernetzung der Schnittstellenbereiche(insb. Jugend, Familie, Bildung, Pflege, Gesund-heitsversorgung und -prävention)

Zurzeit arbeiten wir daran, in der Hamburger Re-gion das lokale Netzwerk zu verstärken. Dazu solleine Übersicht über die bereits bestehenden

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LiteraturBMG – Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.) (2017). Die

Pflegestärkungsgesetze. Alle Leistungen zum Nachschla-gen. Berlin.

Dittmer, M.C. (2016). Schattenkinder in der Kinderonkologie.Unterstützungsmöglichkeiten im stationären Setting. In:Onkologische Pflege 4, Dezember 2016, 45 – 49.

Döhner, H.; Salzmann, B. (2017). International haben jungePflegende sehr ähnliche Probleme. In: Zentrum für Qualitätin der Pflege (Hrsg.). ZQP Report. Junge Pflegende. Berlin.

Kramer, Matthias (2016). Angehörige in stationären Pflegeein-richtungen: Eckpunkte, Einsichten und Perspektiven. In:Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen, Ausgabe 67, S. 14ff.

Metzing, S. (2007). Kinder und Jugendliche als pflegende An-gehörige. Erleben und Gestalten familialer Pflege. Bern:Hans Huber Verlag.

Schulze, G. C., & Kaiser, S. (2017). Lernen zwischen Schulbe-such und Pflege. In Zentrum für Qualität in der Pflege(Hrsg.), ZQP-Report Junge Pflegende, 89-93.

Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2017). Pflegestatistik 2015.Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung. Deutschland -ergebnisse. Wiesbaden.

wir pflegen e.V. (Hrsg.) (2014). ToYAC – Together for YoungAdult Carers / Gemeinsam für junge pflegende Angehörige.Hamburg.

http://cambase.dmz.uni-wh.de/CiXbase/whpro/index.htmlhttp://www.wir-pflegen.net/projekte/jump-junge-menschen-

mit-pflegeverantwortung/eu-projekt-toyac/#toggle-id-1http://www.wir-pflegen.net/wp-content/medien/160622_

JUMP_%C3%B6ff.pdfhttps://www.zqp.de/portfolio/report-junge-pflegende/www.eurocarers.orgwww.youngadultcarers.eu/www.wir-pflegen.netwww.superhands.at

• Fachdialoge zu Jungen Pflegenden

• Deutscher Partner in dem EU-Projekt: EPYC – Em-powering Professionals to support Young Carers

• Online-Beratung im Aufbau: www.echt-unersetz-lich.de

Auch das ZQP – Zentrum für Qualität in der Pflegehat sich intensiv mit diesem Thema befasst(https://www.zqp.de/portfolio/ report-junge-pfle-gende/) und dazu eine Befragung durchgeführt, ei-ne Publikation herausgebracht und zu Beginn 2017einen Fachtag in Berlin durchgeführt, der insbeson-dere bei der Presse eine hohe Aufmerksamkeit er-reicht hat. Zurzeit ist das Problem noch, dass dieMedien gern Geschichten über Betroffene berich-ten möchten, dies aber noch mit der Zurückhaltungder Familien kollidiert.

Zu erwarten ist wohl noch in diesem Jahr eine neueWebsite der Johanniter Deutschland für die YoungCarers, die die Erfahrungen der Johanniter in Öster-reich mit dem Projekt „superhands“ (www.super-hands.at) auf Deutschland übertragen will.

Dr. Hanneli Döhnerwir pflegen

Interessenvertretung begleitender Angehöriger und

Freunde in Deutschland e.V.

Leitung AG JUMP Junge Menschen mit

Pflegeverantwortung

[email protected]/jump

Dr. Hanneli Döhner

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12.05.2017 - 13.05.2017 BremenLeben und Tod – 8. FachkongressMesse Bremen & ÖVB-Arena Tel.: 04 21 - 3 50 55 88 [email protected] www.leben-und-tod.de

22.05.2017 - 24.05.2017 ErfurtKoordinatorenseminar (§ 39a)Thüringer Hospiz- und Palliativakademie im THPV e.V. Tel.: 03 61 - 78 92 76 13 [email protected] www.hospiz-thueringen.de

22.05.2017 - 24.05.2017 KölnSpiritual Care – Spiritualität ist das, was der Patient dafür hältASB-BildungswerkTel.: 02 21 - 4 76 [email protected]

12.06.2017 - 21.06.2017 BerlinFührungskompetenz in der ambulanten HospizarbeitWannsee-AkademieTel.: 0 30 - 80 68 60 [email protected]

14.06.2017 BonnIch will nicht mehr leben! – Umgang mit SterbewunschAkademie für PalliativmedizinTel.: 02 28 - 6 48 15 39palliativmedizin.bonn@malteser.orgwww.malteser-krankenhaus-bonn.de

Veranstaltungen

15.06.2017 - 17.06.2017 WillebadessenTherapeutisches PuppenspielDie HeggeTel.: 0 56 44 - 4 00 und - 7 [email protected]

21.06.2017 Essen2. Fachtag „Leben bis zuletzt“ Begleitungvon Menschen mit einer geistigen Behinde-rung und fortschreitenden ErkrankungDeutsche Gesellschaft für [email protected].: 0 30 - 30 10 10 00www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/Veranstaltungen_ab_14_07/Vorläufiges_Programm_Fachtag_2017.pdf

26.06.2017 - 27.06.2017Winterberg-Elkeringhausen

Begleitung durch Zeiten von Abschied und Trauer, VorbereitungstreffenBildungshaus St. BonifatiusTel.: 0 29 81 - 92 73 - [email protected]

30.06.2017 - 01.07.2017 EngelskirchenPraxiswerkstatt – Arbeit mit trauerndenKindern/JugendlichenTel.: 0 22 63 - 9 23 [email protected]

Alle Angaben ohne Gewähr

ALPHA-RheinlandHeinrich-Sauer-Straße 1553111 BonnTel.: 02 28 - 74 65 47Fax: 02 28 - 64 18 [email protected]

ALPHA-WestfalenFriedrich-Ebert-Straße 157-159 48153 MünsterTel.: 02 51 - 23 08 48Fax: 02 51 - 23 65 [email protected]