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SCHRIFTEN AUS DEM NACHLASS WOLFGANG HARICHS – Band 8

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SCHRIFTEN AUS DEM NACHLASS WOLFGANG HARICHS – BAND 8 Mit weiteren Dokumenten und Materialien herausgegeben von Andreas Heyer

Wolfgang Harich

Ökologie, Frieden, Wachstumskritik

Tectum

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Die Veröffentlichung des vorliegenden Bandes wurde gefördert durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung Wolfgang Harich Ökologie, Frieden, Wachstumskritik Schriften aus dem Nachlass Wolfgang Harichs, Band 8 Mit weiteren Dokumenten und Materialien herausgegeben von Andreas Heyer

Tectum Verlag Marburg, 2015 ISBN 978-3-8288-6304-0 (Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-3591-7 im Tectum Verlag erschienen.) Umschlagabbildung: ullstein bild – dpa | Wolfgang Harich bei seiner Rede auf dem Gründungsparteitag der Bundespartei der Grünen am 3. Januar 1980 in Karlsruhe Besuchen Sie uns im Internet www.tectum-verlag.de www.facebook.com/tectum.verlag

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

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Zur Edition

Wolfgang Harich (1923–1995) zählt zu den wichtigen und streitbaren Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Befreundet mit Georg Lukács, Bertolt Brecht und Ernst Bloch wirkte er als Philosoph, Historiker, Literaturwissenschaftler und durch sein prakti-sches politisches Engagement. Letzteres führte nach seiner Verhaftung von 1956 we-gen Bildung einer »konterrevolutionären Gruppe« zur Verurteilung zu einer zehnjäh-rigen Haftstrafe. Die nachgelassenen Schriften Harichs erscheinen nun erstmals in einer elfbändigen Edition, die das reichhaltige Werk dieses undogmatischen Quer-denkers in seiner ganzen Breite widerspiegelt: von seinen Beiträgen zur Hegel-Debatte in der DDR über seine Abrechnung mit der 68er-Bewegung im Westen bis zu seinen Überlegungen zu einer marxistischen Ökologie.

Die Edition würdigt Wolfgang Harich als Philosophen, Literaturhistoriker, Feuilleto-nisten, als praktischen Streiter für die deutsche Einheit und die ökologische Umorien-tierung. Sie wird im Herbst 2013 eröffnet mit drei Bänden zur klassischen Deutschen Philosophie des Idealismus sowie zum Verhältnis von Materialismus und Idealismus.

Zum Herausgeber

Andreas Heyer, Dr. phil., Jg. 1974, Politikwissenschaften und Jura. Von 2000 bis 2002 war er Stipendiat der Graduiertenförderung des Landes Sachsen-Anhalt, im Anschluss dann Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaften an der Martin-Luther-Univer-sität Halle-Wittenberg. 2003 promovierte er u. a. bei Iring Fetscher mit einer Arbeit über Diderots politische Philosophie. 2005 erschien in zwei Bänden das Lehrbuch Die französische Aufklärung um 1750. Zwischen 2003 und 2007 war er Mitarbeiter des DFG-Projekts Sozialutopien der Neuzeit. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zur Geschichte der politischen Utopien der Neuzeit sowie zur Philosophie in der DDR. Im Zuge dieser Arbeiten entstand sein besonderes Verhältnis zu den Schriften Wolf-gang Harichs, das sich in mehreren Veröffentlichungen niederschlug. Seit 2012 arbei-tet er mit Unterstützung durch Anne Harich an der Herausgabe der nachgelassenen Schriften Wolfgang Harichs.

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Editionsplan (Stand August 2015)

1. Frühe Schriften2. Logik, Dialektik und Erkenntnistheorie (erschienen)3. Widerspruch und Widerstreit – Studien zu Kant (erschienen)4. Herder und das Ende der Aufklärung (erschienen)5. An der ideologischen Front. Hegel zwischen Feuerbach und Marx (erschienen)6. Vorlesungen zur Philosophiegeschichte (in 2 Teilbänden, Herbst 2015)7. Schriften zur Anarchie (erschienen)8. Ökologie, Frieden, Wachstumskritik9. Kunst, Kultur und Anthropologie10. Marxismus und Philosophie11. Pläne, Gutachten und Reformschriften12. Register (mit Biographie und Autobiographie)

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INHALT

Einführung 9

Die Entwicklung von Harichs ökologischem Konzept (Andreas Heyer) 9

1. Einführung 92. Modelle ökologischen Denkens 153. 1975: Kommunismus ohne Wachstum 204. Zur Rezeption von Kommunismus ohne Wachstum 255. Zur Weiterentwicklung von Harichs Gedanken 476. Kommunismus ohne Wachstum als Teil der utopischen Tradition 717. Das »Ja« zur Utopie 788. Literatur 94

Quellenteil: Harich – Ökologie und Frieden 101

Anmerkung zum Entwurf eines neuen Parteiprogramms der SED 103

Volle Verantwortung gegenüber kommenden Generationen 108

Ökologie und Sozialismus 116

Herbert Gruhl am Scheideweg 124

Schnaufend läuft der Mensch dem Untergang entgegen 129

Ausreise aus der DDR. Brief an Erich Honecker 139

Interviews zur Ausreise, 1979 144

Das Weib in der Apokalypse 163

Kommunismus heute 171

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Aus der Diskussion mit Wolfgang Harich 181

Positionen der Diskussion 182

Brief an Willy Brandt 191

Interview zum Brief an Willy Brandt 217

Vorläufig: Jein! 222

Fünfzehn Thesen zur Friedenspolitik. Ein Beitrag zur Sozialistischen Konferenz 228

Zur Problematik der »Exterminismus«-Theorie 243

Arbeiter und Aussteiger, einig gegen Atomraketen 252

An die Westberliner Vorbereitungsgruppe der Dritten Sozialistischen Konferenz 262

Zwei Interviews zur Rückkehr in die DDR 285

Weltrevolution jetzt. Zur jüngsten Veröffentlichung des Club of Rome 290

Anhang 303

Harichs Schriften zur Ökologie. Die Texte dieses Bandes (Andreas Heyer) 305

Abkürzungsverzeichnis 313

Personenregister 317

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9

Andreas Heyer

Die Entwicklung von Harichs ökologischem Konzept

1. Einführung

1975 veröffentlichte Harich in der Bundesrepublik, bei Rowohlt, das Buch Kommu-nismus ohne Wachstum? Babeuf und der Club of Rome.1 Mit dem Rowohlt-Verlag arbei-tete Harich in diesen Jahren eng zusammen. So war bereits die West-Ausgabe seiner großen Monographie Jean Pauls Revolutionsdichtung. Versuch einer Deutung seiner hero-ischen Romane dort erschienen, ebenso sein kulturpolitisch bedeutsamer Aufsatz Der entlaufene Dingo, das vergessene Floß 2 in einer überarbeiteten und ergänzten Version. Die Differenzen aus den späten 40er Jahren – Harich und Rowohlt hatten in der Welt-bühne einen offenen Disput über die inhaltliche Ausrichtung des Verlagsprogramms geführt – waren also beigelegt.3

Kommunismus ohne Wachstum besteht aus Gesprächen Harichs mit Freimut Duve, die in 6 Kapitel gegliedert wurden. Ein 7. Kapitel, das ideengeschichtlich bedeutsamste (Kritik der Bedürfnisse und der Kommunismus Babeufs), druckt dann noch mehrere Briefe Harichs an Duve ab, da wegen gesundheitlicher Probleme Harichs die Inter-

1 Kommunismus ohne Wachstum. Babeuf und der Club of Rome. Sechs Interviews mit Freimut Duve und Briefe an ihn, Reinbek bei Hamburg, 1975.

2 Der entlaufene Dingo, das vergessene Floß, überarb. und erg. Nachdruck. S. 88-122.3 Hierzu: Harich: Offener Brief an Ernst Rowohlt. Rowohlt: An meine Freunde, S. 175-177.

Harich: Nochmals: Schacht und Rowohlt. Eine gute Einführung in diese Zeit bietet: Schi-velbusch: Vor dem Vorhang. Außerdem das Nachwort des Herausgebers (Die Entstehung von Harichs Schriften zur Anarchie) in Band 7, S. 451-471.

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10 Einleitung

views nicht fortgesetzt werden konnten. In seiner Einleitung teilte Duve mit: »Seit über zwei Jahren habe ich mit Wolfgang Harich bei gelegentlichen Besuchen über die Wachstumsfrage diskutiert. Sechs Interviews des vorliegenden Bandes sind ein Teil dieser Gespräche, von uns seit Oktober 1974 teils nach Notizen, teils nach dem Gedächtnis aufgeschrieben und gemeinsam redigiert. Sie werden in der vorliegenden Form veröffentlicht, da Wolfgang Harich auf Grund einer schweren Herzerkrankung und der Anordnungen des Arztes, die strenge Schonung verlangen, sich nicht in der Lage sieht, den Text so zu bearbeiten, wie es seinen eigenen Qualitätsansprüchen ent-sprochen hätte.«4

Dem Werk war – trotz dieser widrigen Umstände – einiger Erfolg beschieden. Im Au-gust mit einer Startauflage von 8.000 Exemplaren in den Buchhandel gelangt, folgte eine Nachauflage im Oktober desselben Jahres. Das 3. Kapitel – Der Club of Rome im Urteil der Kommunisten – wurde im Juli in dem Magazin (rororo aktuell) Technologie und Politik, Nr. 2, vorabgedruckt.5 Die Verlags- und Editionsgeschichte des Buches zu rekonstruieren, ist leider nur schwer möglich. Parallel zur West-Ausgabe hatte Harich versucht, eine DDR-Ausgabe zu ermöglichen. Das Unterfangen scheiterte jedoch – wie so oft bei seinen Publikationen seit der Haftentlassung. Eine spanische Übersetzung, angefertigt von Gustau Muñoz und Antoni Domènech, erschien 1978 in Barcelona unter dem Titel: ¿Comunismo sin crecimiento? Babeuf y el club de Roma. Eine schwedische Ausgabe war ebenfalls geplant, wurde aber nicht verwirklicht.6

Nachdem Harich die DDR verlassen hatte, plante der Verlag eine weitere Auflage der deutschen Ausgabe, um das Buch wieder lieferbar zu machen. Am 19. September 1979 schrieb Duve an Harich u. a.: »Wir wollen nun möglichst rasch Kommunismus ohne Wachstum als rororo aktuell-Band bringen. Ich bitte Dich sehr herzlich, die Zu-satzmaterialien der spanischen Ausgabe (die in Kopie hier vorliegen) noch einmal durchzusehen und wenn es geht, auf Notwendiges zu beschränken. Ich finde, Du musst jetzt nach so vielen Jahren der Erfahrung mit der ökologischen Bewegung ein neues (eigenes) Vorwort zu dem Buch schreiben. Dieses werden wir Dir selbstver-ständlich gesondert honorieren. Da wir auf den rororo aktuell-Band den Aufdruck

4 Duve: Zur Einführung, S. 11.5 Harich: Der Club of Rome wird ernst genommen, S. 109-133.6 Brief des Rowohlt-Verlags vom 30. August 1979 (unterzeichnet A. Becker-Berke), 1 Seite.

Adressiert war der Brief an das Neue Forum, Wien. Vertragspartner der Lizensausgabe war die Firma »Bokomotiv AB«, Stockholm. Harich sollte 1.000 DM als Vorabhonorar erhalten.

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11Die Entwicklung von Harichs ökologischem Konzept (Andreas Heyer)

»Überarbeitete und aktualisierte Taschenbuchausgabe« anbringen wollen, wäre es schön, wenn Du das Buch noch einmal durchblätterst.«7 Erscheinen sollte die Neu-auflage im Frühjahr 1980. Am 13. November 1979 antwortete Harich wie folgt:

»Lieber Freimut! Dem aktuell-rororo Heft von Klaus Traube, Wachstum oder Askese?, das für mich inhaltlich von außerordentlicher Wichtigkeit ist, entnehme ich hinten, bei den Werbeseiten, dass die ‚durchgesehene und erweiterte Fassung‘ von Kommunismus ohne Wachstum von Dir bereits vorangekündigt wird. Die neulich erbetenen Zusätze zur spanischen Ausgabe habe ich, in ihrer Dir seinerzeit übersandten deutschsprachigen Fassung, aber immer noch nicht gekriegt. Bitte schicke sie mir sofort, nebst einem Ex-emplar der Originalausgabe des Buches von 1975, die mir auch fehlt. Erst dann werde ich durchsehen und erweitern, namentlich um eine – nicht zu entbehrende – Einleitung erweitern können, vorher nicht. Und Du wolltest die Sache doch im neuen Jahr recht bald herausbringen.«8

Im Lauf der nächsten Monate entwickelte sich die Angelegenheit weiter, es fanden verschiedene Telefonate statt. Am 1. Juli 1980 sagte Harich brieflich die Sache ab:

»Lieber Freimut! Nach Deinem letzten Anruf habe ich mir das Buch Kommunismus ohne Wachstum, Reinbek (Rowohlt), 1. und 2. Auflage, 1975, noch einmal durchgelesen. Das Ergebnis lautet: An einer weiteren Auflage bin ich bis auf Weiteres nicht mehr inter-essiert. Davon abgesehen, würden für mich auch, wenn ich daran grundsätzlich noch interessiert wäre, zwei Deiner Bedingungen unter keinen Umständen akzeptabel sein: Dass Dein Vorwort bleibt – Du müsstest Dich vielmehr mit einer ersatzlosen Streichung desselben einverstanden erklären  –  und dass es keinen Anhang mit in der Zwischen-zeit von mit veröffentlichten kleineren einschlägigen Arbeiten geben dürfte, ähnlich der spanischen Ausgabe (aus der man freilich nicht alle in eine neue deutschsprachige über-nähme, dafür aber andere, noch später erschienene). Auch dürften der neuen Einleitung von mir nicht die sehr engen Umfangsbeschränkungen auferlegt werden, die Du mir telefonisch abverlangtest. Doch wie gesagt: Über die letztgenannten Punkte zu streiten

7 Brief von Freimut Duve an Wolfgang Harich vom 19. September 1979, 1 Seite, Briefkopf Rowohlt-Verlag, adressiert nach Wien.

8 Brief von Wolfgang Harich an Freimut Duve vom 13. November 1979, 1 Seite. Anschlie-ßend kündigte Harich noch seinen geplanten Umzug von Wien in die Bundesrepublik an.

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12 Einleitung

wäre müßig, da ich bis auf Weiteres das Buch überhaupt nicht mehr veröffentlicht zu sehen wünsche.«9

Mit dem selben Datum schrieb Harich auch an den VEB Deutscher Verlag der Wis-senschaften, mit dem offensichtlich parallel erneut über eine DDR-Ausgabe verhan-delt worden war. Auch dieses Unterfangen legte Harich ad acta – sicherlich um seine Undurchführbarkeit wissend. Er machte vier Gründe gelten, die hier wiederzugeben sind:

»1) Der Ko-Autor Freimut Duve knüpft an die 3. bundesdeutsche Auflage Bedingungen, die ich nicht akzeptieren will und kann: Sein Vorwort zur 1. und 2. Auflage soll auch in der 3. bleiben; meine Neueinleitung soll sehr kurzgefasst sein; einen Anhang mit inzwischen von mir verstreut veröffentlichten kleineren Arbeiten zum selben Thema soll es nicht geben.

2) Duve ist zwar, wie ich Ihnen schon am 16. April schrieb, einverstanden damit, dass sein Vorwort von 1975 in der DDR-Ausgabe entfällt, würde aber keiner sonstigen Ände-rung der von ihm stammenden Dialogstellen bzw. Interview-Fragen zustimmen, auch in der DDR-Ausgabe nicht. Nun verhält es sich aber so, dass nicht nur sein Vorwort, son-dern auch diese Stellen bzw. Fragen von ihm antikommunistische Sentenzen enthalten, von denen feststeht, dass kein DDR-Verlag sie jemals bringen wird.

3) Mein Buch enthält eine dezidierte Aussage nicht nur gegen die militärische, sondern auch gegen die sogenannte friedliche Nutzung der Kernenergie. Davon würde ich keine Zeile zu streichen oder auch nur im Geringsten abzuschwächen bereit sein. Es lässt sich voraussehen, dass es unter diesen Umständen nur zu sehr unerquicklichen und letzten Endes ergebnislosen Auseinandersetzungen zwischen uns kommen würde.

4) Ich habe mir das Buch jetzt noch einmal durchgelesen und bin dabei zu dem Eindruck gelangt, dass eine Neueinleitung, die es auf neuesten wissenschaftlichen Stand brächte, ungefähr noch einmal die selbe Länge haben müsste wie der alte Text selbst. Mich einer solchen Arbeit zu unterziehen, fühle ich mich physisch einfach nicht mehr im Stande. Ich bin arbeitsunfähig (nach bundesdeutschen Begriffen: sowohl berufs- also auch er-werbsunfähig) geschrieben, als Invalide und Schwerbeschädigter anerkannt und betrach-

9 Brief von Wolfgang Harich an Freimut Duve vom 1. Juli 1980, 1 Seite. Harich schrieb aus Osnabrück.

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13Die Entwicklung von Harichs ökologischem Konzept (Andreas Heyer)

te daher wohl oder übel meine Autorenlaufbahn als beendet. Was ich zu Stande bringe, sind höchstens noch Briefe wie dieser oder kürzere Artikel. Alles übrige ist bei mir passé, und dies um so mehr, als ich seit jeher eine völlig neurotische Arbeitsweise habe, die ich mir in meinem Alter schwerlich noch werde abgewöhnen können (zwanzigmaliges Um-schreiben jeder Seite, Unfähigkeit zu handschriftlich verfassten Vorentwürfen usw.).«10

Kommunismus ohne Wachstum galt bisher als die früheste, ökologisch motivierte Publi-kation Harichs. Dies wurde in der Forschungsliteratur zu Recht immer wieder betont. (Siehe das Unterkapitel zur Rezeptionslage.) Im 7. Band dieser Edition ist allerdings das Manuskript Die Baader-Meinhof-Gruppe enthalten, an dem Harich 1972 gearbei-tet hatte. Der Text sollte als zweites Nachwort des Buches Zur Kritik der revolutionä-ren Ungeduld fungieren. Die Zeit der Abfassung fällt in eben jene Phase, als Harich nach eigenem Bekunden sich der ökologischen Frage intensiv zuzuwenden begonnen hatte. Von daher überrascht es nicht, dass bereits Die Baader-Meinhof-Gruppe explizit ökologische Überlegungen entwickelt, die deutlich in Richtung Kommunismus ohne Wachstum weisen.

Es ist hier nicht der Platz, die dortige Argumentation ausführlich zu entwickeln und in ihrer Vorläuferrolle zu analysieren. Aber es sind zumindest an einem Beispiel die Gedankenketten Harichs, seine Verbindung von Anarchiekritik und Ökologie-bejahung, zu umreißen. Dieser betonte erneut die Doppelstruktur anarchistischen Handelns – die an sich ehrenwerten Ziele des Anarchismus würden mit den falschen Mitteln und Methoden in die Praxis transferiert, wo sie mehr Schaden als Nutzen anrichten würden. Harich schrieb:

»Die eine Tendenz ist eine leidenschaftliche, von glühendem Hass erfüllte Auflehnung gegen die heutigen Konsumgewohnheiten, wie sie bei Andreas Baader und Gudrun Ensslin, schon bevor die Gruppe sich formierte, darin zum Ausdruck kam, dass sie Kauf-hausbrandstifter wurden, die andere offenbart sich in der bis zum Wahnwitz überstei-gerten Solidarität mit den Völkern der Dritten Welt, welche die Gruppe im Ganzen mutmaßlich dazu getrieben hat, aus Protest gegen den Vietnamkrieg den USA-Besatzern in Westdeutschland mit Attentaten zuzusetzen. Ich möchte nun dazu sehr überspitzt sagen: Die Aufgabe des Sozialismus der nächsten Zukunft wird es sein, die Gesinnung der Kaufhausbrandstifter in Wirtschaftspläne neuer Art, die Gesinnung der Attentäter

10 Brief von Wolfgang Harich an den VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, z. Hd. Herrn Verlagsleiter Dr. Walter, vom 1. Juli 1980, 2 Seiten.

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in Entwicklungshilfe neuer Art umzusetzen und beides zu einem organischen Ganzen zu verschmelzen. Dies ergibt sich zwingend aus den Vorausberechnungen der Futuro-logen, die um so pessimistischer sind, je seriöser sie sind. Die Wissenschaft sagt voraus, dass, wenn die gegenwärtigen Trends der technisch-industriellen Entwicklung, der Ent-wicklung unserer Konsumgewohnheiten usw., kombiniert mit dem Trend zur Bevölke-rungsexplosion, sich fortsetzen, dies bereits im Verlauf des nächsten Jahrhunderts zur Zerstörung der Biosphäre, als der Grundlage menschlichen Lebens auf der Erde, führen wird, wobei die neuesten und exaktesten Berechnungen sogar zu besagen scheinen – im Augenblick kenne ich sie nur vom Hörensagen –, dass schon für das Ende des ersten Drittels des 21. Jahrhunderts der Zusammenbruch der Zivilisation, in Folge der von ihr verursachten Belastungen unserer natürlichen Umwelt, zu befürchten ist, also etwa für das Jahr 2033.«11

Entscheidend ist, dass Harich schon 1972 klar war, dass sich seine ökologische Kon-zeption nur theoretisch fixieren lasse durch eine umfassende Modifikation des Mar-xismus. Die Menschwerdung des Menschen, das heißt seine Aneignung der Natur, könne auf diesen selbst zurückfallen: »Denn wer Hegel studiert hat, der weiß, dass nach seiner Lehre jede ‚Gestalt des Weltgeistes’ an demselben ‚Prinzip‘ zu Grunde geht, dass sie erst hat entstehen und großwerden lassen. Wieso also sollte, wenn darin ein ra-tioneller Kern steckt, nicht auch die Menschheit an dem zu Grunde gehen, wodurch sie zur Menschheit geworden ist: An der Produktion der eigenen Lebensbedingungen, an der Herstellung einer Kulturwelt auf der Basis der natürlichen Umwelt, an der Un-terwerfung der Natur unter die sich erweiternden Bedürfnisse des Menschen?«12 Um die anstehenden Probleme der Menschheit in globaler Perspektive und unter Ausnut-zung der revolutionären Potentiale der Neuen Linken zu lösen, schlug Harich 1972 zwei Schritte vor:

»Erstens eine Umstellung der gesamten Produktion derart, das künftig nur noch umwelt-freundliche Produkte mittels umweltfreundlicher technologischer Verfahren produziert werden, ohne Rücksicht auf die jetzt herrschenden Konsumgewohnheiten. Da haben Sie bereits den Kerngedanken des vom Geist der Kaufhausbrandstiftung eingegebenen sozi-alistischen Wirtschaftsplan. Zweitens muss diese Umstellung aber auch so durchgeführt werden, dass sie in keiner Weise zu einer neuen Benachteiligung der Völker der Dritten Welt, zu einer weiteren Steigerung ihrer Entbehrungen und Leiden führt, sondern, im

11 Band 7, S. 266.12 Ebd.

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15Die Entwicklung von Harichs ökologischem Konzept (Andreas Heyer)

Gegenteil, ihnen unter Aufbietung des ökonomischen und des Wissensreichtums der nördlichen Erdhalbkugel hilft, ihre Zurückgebliebenheit auf einem Weg zu überwinden, der die umweltfeindliche Fehlentwicklung unserer Zivilisation vermeidet und gleich-wohl ihnen, den Milliarden in Lateinamerika, Afrika und Asien, ein menschenwürdiges, glückliches, zufriedenes Dasein gewährt.«13

Diese Gedanken ziehen sich wie ein »roter Faden« durch Die Baader-Meinhof-Gruppe. Die ökologische Frage ist in dem Text voll präsent und auf dem besten Weg, in den Vordergrund zu treten. Wichtige Stichworte der von Harich dann nur kurze Zeit später ausführlich entwickelten Thesen waren bereits präsent.

2. Modelle ökologischen Denkens

Bevor Harichs ökologische Vision hier als Teil des utopischen Diskurses interpretiert wird, ist ein kurzer Blick auf den Kontext zu werfen, in dem das Buch entstand. Ein Zitat aus Kommunismus ohne Wachstum kann verdeutlichen, welchen Platz Harich für sich selbst in Anspruch nahm. Freimut Duve fragte seinen Interviewpartner Harich, ob dieser die konsequenten Ökologen in der DDR für Oppositionelle halte:

»In politischer Hinsicht sind sie es auf keinen Fall. Denn gerade sie betonen mit stärkster Emphase die Überlegenheit des sowjetischen sozialistischen über das westliche kapita-listische System. Sie wollen nicht, wie die Dissidenten a la Sacharow, die bestehende Machtstruktur verändern, sondern sie so, wie sie ist und wie sie bleiben soll, für ma-ximale Anstrengungen zur Bewältigung der ökologischen Krise eingesetzt wissen. (…) Freudig begrüßen sie alles, was in dieser Richtung bereits getan worden ist und getan wird, und schonungslos prangern sie das noch Versäumte an, immer streng loyal, immer konstruktiv, immer gedeckt durch die Ausführungen Breschnews auf dem XXV. Partei-tag und durchdrungen von der Mission ihres sozialistischen Vaterlandes, der Menschheit mit gutem Beispiel voranzugehen.«14

Waren die ökologischen Denker der DDR wirklich nicht in fundamentale Gegensätze zum Staats- und Parteiapparat verstrickt? Bildeten sie laut Harich gar die Speerspitze der zukünftigen kommunistischen Theoriebildung? Eher ist das Gegenteil der Fall.

13 Ebd., S. 297.14 Harich: Kommunismus ohne Wachstum, S. 76.

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16 Einleitung

Robert Havemann, 1960, als Abgeordneter der Volkskammer

Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-76791-0009 / Sturm, Horst / CC-BY-SA, Zeitgenössische Beschreibung: Sitzung der Volkskammer der DDR. Im In- und Ausland mit größtem Inte-resse erwartet ist die Volkskammer der Deut-schen Demokratischen Republik am 4.10.1960 um 11.00 Uhr zu ihrer 15. Sitzung zusammen-getreten. Auf der Tagesordnung stehen eine Erklärung des Staatsrates der Republik, das »Gesetz über die Anpassung von gesetzlichen Bestimmungen an die Bildung des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik« in erster und zweiter Lesung sowie Anzeigen des Ausschusses für Eingaben der Bürger. UBZ.: Ein leidenschaftliches Bekenntnis zum so-zialistischen Aufbau in der DDR legte Prof. Dr. Robert Havemann als Sprecher der Kultur-bund-Fraktion ab.

Rudolf Bahro, 1989

Quelle: Bundesarchiv, Bundesarchiv, Bild 183-1989-1216-014 / Senft, Gabriele / CC-BY-SA, Zeitgenössische Beschreibung: ADN-ZB Senft 16.12.89 Berlin: SED-Parteitag Der außeror-dentliche Parteitag der SED hat in der Dyna-mohalle seine am vergangenen Wochenende unterbrochene Beratung fortgesetzt. Im Audi-torium als Gast auch der wieder eingebürgerte Philosoph Rudolf Bahro.

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17Die Entwicklung von Harichs ökologischem Konzept (Andreas Heyer)

Dafür braucht man nur die Namen der herausragenden Ökologen der 70er Jahre in der DDR Revue passieren lassen und auf ihre Werke und Biographien zu verweisen. Neben Harich sind dabei vor allem Robert Havemann und Rudolf Bahro zu nen-nen. 1975 erschien Kommunismus ohne Wachstum – das erste Werk eines ostdeutschen Marxisten, welches die Ökologieproblematik ansprach und dabei die Methode der Utopie nutzte bzw. sich der Utopie als Präsentationsform für die gefundenen Thesen und Beobachtungen bediente. Harichs Werk nimmt innerhalb der Utopieliteratur des 20. Jahrhunderts eine herausragende Stellung ein. Er schildert einen weltumspan-nenden Staat, der die ökologische Krise von »oben« lösen will. Doch Harichs Positi-on blieb nicht unkritisiert. 1977 erschien Rudolf Bahros Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, drei Jahre später folgte Robert Havemanns Morgen. Industriegesellschaft am Scheideweg, Kritik und reale Utopie.15 Beide betonten gleich Harich die aktuellen ökologischen Herausforderungen sowie die Beobachtung, dass die staatssozialistischen Systeme diese in ihrer aktuellen Ausrichtung und Struktur nicht bewältigen könnten. Anders als Harich entwickelten sie aber die These, dass die ökologische Frage nur durch genossenschaftliche, naturnahe Strukturen gelöst werden könne, durch die Wiederherstellung der Einheit von Mensch und Natur.

Kritisch ist zu Havemann und Bahro anzumerken, dass sich ihre theoretischen Kon-strukte spiritualistisch und esoterisch aufluden, bei letzterem ist das am deutlichs-ten zu studieren. Allerdings war die Alternative ein kluges und durchdachtes Buch, Bahros spiritualistische Wende setzte erst später ein (zentral in Logik der Rettung).16 Havemanns Arbeiten kommen an die intellektuelle Schärfe der Bücher Bahros und Harichs nicht heran  –  das betrifft die sprachlichen Möglichkeiten ebenso wie die Fähigkeit zur analytischen Durchdringung der Materie.17 Er war schlichtweg kein Phi-losoph, besaß aber die Hybris, einer zu sein.

Es ist mit Blick auf die bisherigen Ausführungen durchaus möglich, einen Konflikt zwischen archistischer und anarchistischer Utopie zu orten. Die archistische Utopie geht seit Thomas Morus’ 1516 veröffentlichter Utopia davon aus, dass das Gemein-wohl nur mit Hilfe des Staates und starker Institutionen sowie Gesetze zu generieren

15 Bahro: Die Alternative. Havemann: Morgen. 16 Siehe: Schölzel: Von der Kritik zur Esoterik, S. 72.17 Siehe: Heyer: Robert Havemanns »Morgen« und der postmaterielle Utopiediskurs, S. 70-92.

Ähnlich auch die Einschätzung von Alexander Amberger, der Havemann etwa als »selbst-bewussten Lebemann« charakterisiert. Amberger: Bahro, Harich, Havemann, S. 227.

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18 Einleitung

ist.18 Die anarchistische Utopietradition setzt dagegen auf die Idee, dass der Neue Mensch als Träger der Utopie sein individuelles gemeinwohlfähiges Verhalten so ha-bitualisieren könne, dass dieses als anthropologisches Merkmal eine gesellschaftliche Selbstorganisation unter Abwesenheit staatlicher Strukturen ermöglichen werde.19

Beide Ansätze standen sich in der Geschichte immer wieder gegenüber. Einen Höhe-punkt erlebte die Debatte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Edward Bellamy veröffentlichte seinen staatssozialistischen Roman Rückblick aus dem Jahr 2000 auf 1887, der einen gigantischen Industriemoloch schildert, ein sozialistisches Utopia, das auf dem permanenten wissenschaftlich-technischen Fortschritt basiert. Clara Zetkin übertrug das Buch ins Deutsche. Bellamys Roman erlebte innerhalb kürzester Zeit eine unglaubliche Rezeption und Auflagenhöhe. Doch das Werk blieb nicht unkriti-siert. Mit William Morris’ News from Nowhere erschien eine anarchistisch-genossen-schaftliche Antwort, deren deutsche Edition Wilhelm Liebknecht initiierte. Zahlrei-che weitere Werke wären im Fahrwasser dieses Antagonismus zu nennen. Bellamys Roman wurde mehrfach nachgeahmt, Morris öffnete die anarchistische Utopieper-spektive neu, zu erkennen etwa in Ebenezer Howards Garden Cities of Tomorrow. Eine Schrift, die noch die Konstruktion und Ausführung von Dresden Hellerau motivierte und zahlreiche weitere Gartenstadtgründungen in Deutschland und Europa nach sich zog.

Neben diesem Antagonismus von archistischer und anarchistischer Utopie sind das Auftreten der ökologischen Frage sowie die damit einhergehende Erneuerung des uto-pischen Diskurses als Hintergrund zu benennen, der Harichs Denken prägte. Diese Entwicklung begann Ende der 60er Jahre in Amerika. Erwähnt sei nur Rachel Carsons Werk Der stumme Frühling, das die neuartige und den Menschen selbst bedrohende Dimension der Umweltzerstörung in das Bewusstsein breiterer Bevölkerungsschich-

18 Zur Utopia gibt es eine breitgefächerte Literatur. Einführung bei: Heyer: Sozialutopien der Neuzeit, Bd. 2, S. 153-267.

19 Die anarchistische Utopie hat den archistischen Strang des utopischen Denkens immer wirkungsvoll ergänzt. Schon frühzeitig erschienen Werke (z. Bsp. von François Rabelais und Michel de Montaigne), die auf das Individuum als Träger der Utopie setzten. In der anarchistischen, d. h. herrschaftsfreien Utopie, fallen die staatlichen und institutionel-len Zwangsinstrumente der archistischen Utopie weg. In Zur Kritik der revolutionären Ungeduld. Eine Abrechnung mit dem alten und dem neuen Anarchismus hat Harich 1971 das Verhältnis des Anarchismus und auch der verschiedenen Sichtweisen des Marxismus zum Staat treffend herausgearbeitet. Neuabdruck des Textes in Band 7 dieser Edition, dort auch zahlreiche weitere Hinweise, Erläuterungen etc.

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19Die Entwicklung von Harichs ökologischem Konzept (Andreas Heyer)

ten brachte. »Das größte weltweite Aufsehen löste jedoch erst der 1971 vom ‚Club of Rome‘, einem europäischen Konsortium von Industriemanagern und Wissenschaft-lern, angeregte Bericht zur Lage der Menschheit aus. (…) Genau besehen, wurde mit diesem Bericht das Ende aller technikorientierten Fortschrittsutopien eingeläutet und die Menschheit nur mit einer wenig angenehmen Alternative konfrontiert: Dem Un-tergang oder der drastischen Reduzierung der bisherigen Wohlstandserwartungen.«20

Harichs Kenntnis dieser Revitalisierung des utopischen Diskurses ist an anderer Stelle zu thematisieren. Hier ist wichtig festzuhalten, dass sich der ökologische Gedanke nach dem Zweiten Weltkrieg sukzessive entwickelte und vor allem durch populär-wissenschaftliche Bücher gefördert wurde. In immer breiteren Gesellschaftsschichten setzte sich die Einsicht durch, dass der Mensch sein Verhältnis zur Natur überdenken und ändern müsse. Für Harich waren dabei zwei Tendenzen maßgeblich: Einerseits sei unbedingt anzuerkennen und positiv aufzuwerten, dass die ökologische Problemla-ge die bisherigen ideologischen Muster überlagere, also beispielsweise auch buddhisti-sche (Gummerer) oder konservative (Gruhl, »ein erzbürgerlicher Vertreter des rechten Flügels der Grünen«)21 Positionen wichtig und richtig seien. Andererseits war sein Anliegen dennoch, gerade Marxismus und Ökologie einander zu vermitteln bzw. sie zu verschmelzen. 1976 sagte Harich in diesem Sinn in einem Interview (Abdruck im vorliegenden Teil unter dem Titel Ökologie und Sozialismus):

»Darüber hinaus scheint mir eine Auseinandersetzung mit den von Ihnen angesproche-nen nicht-europäischen Geistestraditionen, etwa mit dem von Lévy-Strauss so genann-ten ‚wilden Denken‘ oder auch mit einer Weltreligion wie dem Buddhismus, durchaus fruchtbar zu sein. Was diesen betrifft, so ist eine unbefangene Würdigung, soweit ich weiß, bei den Kommunisten in Laos bereits im Gang. Von ‚kritischer Aneignung‘ zu sprechen zögere ich da freilich. Was ich dem, bescheidener und vorsichtiger, zunächst vorzöge, wäre ein marxistisch-buddhistischer Dialog. Im deutschen Sprachraum viel-leicht zuerst mit Gottfried Gummerer, der sich als Anhänger des Buddhismus mit den Fragen der ökologisch fundierten Zukunftsforschung bisher am intensivsten befasst hat. Dabei wird in diesen Dialog natürlich ein kompromissloser Kampf gegen Gummerers ausweglosen Pessimismus hineinzutragen sein. Denn der tätigen Bewältigung der öko-

20 Hermand: Grüne Utopien in Deutschland, S. 132f. In seiner Dissertation hat Alexander Amberger dem Verhältnis von Club of Rome und DDR ein informatives Kapitel gewid-met. Amberger: Bahro, Harich, Havemann, S. 30-49.

21 So Harich in seinem Brief an Erich Honecker vom 11. Januar 1979 (Abdruck im vorlie-genden Band), Zitat noch ausführlich im Verlauf der Einleitung.

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logischen Krise wäre pessimistische Resignation, da sie unweigerlich eine Stimmung des ‚Nach mir die Sintflut.‘ erzeugt, sicher am abträglichsten, zumindest nicht weniger abträglich als das entgegengesetzte falsche Extrem – der technologische Optimismus.«

Die bedeutendste ökologische Utopie publizierte Ernest Callenbach 1975  –  den Roman Ökotopia. Notizen und Reportagen von William Weston aus dem Jahre 1999.22 Dabei setzte er auf die Doppelstruktur des utopischen Denkens. Einerseits unterzog er seine amerikanische Herkunftsgesellschaft einer radikalen Kritik, andererseits ima-ginierte er eine Alternative, die dieser an zentralen Punkten widerspricht. Gleichzei-tig aber ist bei ihm auch die normative Dimension als Funktion der Utopie extrem stark ausgeprägt. Callenbachs Ökotopia sucht die Balance zwischen dem Einklang des Menschen mit der Natur und der Anwendung hochentwickelter Technologien zur Erreichung eben dieses Zieles. Nicht zuletzt, da in Ökotopia trotz der Naturver-bundenheit und der Schonung der begrenzten Ressourcen (zu Gunsten erneuerbarer) auf technologische Entwicklung gesetzt wird. Sie ist aber in den Dienst der Ökolo-gie gestellt, d. h. nur dann zulässig, wenn sie a) selbst keinen Schaden anrichtet und b)  eventuell sogar positive Effekte erbringt. Dass jedoch auch eine solche Technik nicht aller ihrer negativen Folgen entkleidet, also jeglichen bedrohenden Potentials beraubt werden kann, hat Callenbach nicht gesehen.23 Eine ähnliche Naivität lässt sich in Robert Havemanns Morgen beobachten, der ebenfalls davon ausging, dass die an und für sich schlechte Technik in Utopia in reduzierter Gestalt ausschließlich positive Seiten haben werde.

3. 1975: Kommunismus ohne Wachstum

Harichs Kommunismus ohne Wachstum erschien zeitgleich zu Callenbachs Ökotopia. Im Mittelpunkt der Gespräche zwischen Harich und Duve steht die ökologische Frage, die das gewichtigste Problem unserer Moderne darstelle. Sie sei nur im Rahmen eines kommunistischen Weltstaates lösbar, da nur dieser Rationierung, Beschränkung und Zuteilung auf gerechter Basis verwirklichen könne – bei gleichzeitiger Angleichung der Lebensverhältnisse von Arm und Reich nach »unten«. Der zentralistische Apparat,

22 Der Absatz zu Callenbach folgt: Heyer: Die Utopie steht links, S. 120-124. 23 Weitaus differenzierter arbeitete der französische Soziologe Henri Mendras das Verhält-

nis von naturnaher Utopie und moderner Technik heraus. Mendras: Voyage au pays de l‘utopie rustique.

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21Die Entwicklung von Harichs ökologischem Konzept (Andreas Heyer)

der entstehen muss, wenn ein weltweit agierender Staat alle Bedürfnisse der Men-schen festlegt, regelt und kontrolliert, wurde von Harich bewusst in Kauf genommen. Es lässt sich konstatieren, dass er einen kommunistischen Leviathan schilderte, dem die Festlegung aller Lebensnormen zukommt. Das allgemeine Beste, verstanden als Lösung der ökologischen Frage, ist die Richtschnur allen Handelns. Harich hat mit seinem Szenario die klassischen archistischen Utopien fortgeschrieben.

Der Staat ist die zentrale Größe, ihm kommen zahlreiche Kompetenzen zu: Er plant die Wirtschaft (sowie den Rückbau der Industrie), kontrolliert die Bedürfnisse der In-dividuen etc. Das Individuum wird vollständig in das Kollektiv integriert. Notwendig sei dieser Leviathan, da er Harich zu Folge mit allen Machtmitteln auf der Basis des Kommunismus ausgestattet sein müsse, um die Rückführung der Zivilisation auf ein vorindustrielles und ressourcenunabhängiges System durchzuführen. Eine Zukunft der Menschheit sei angesichts der drohenden ökologischen Katastrophe sowie der vielfältigen zwischenstaatlichen Probleme und der grundsätzlich falschen Eigentums-verteilung nur im Rahmen kommunistischer Bedürfnis- und Konsumbeschränkun-gen denkbar.24 Auf die Frage Freimut Duves, welche Punkte seine Auffassungen vom Kommunismus prägen, antwortete Harich:

1) »Der Kommunismus darf, nach meiner Meinung, nicht in einer so nebelhaft fernen Zukunft angesiedelt werden, dass das Bekenntnis zu ihm als der besten denkbaren Ge-sellschaftsordnung, rein platonisch wird, dass Aussagen über die Möglichkeit, ihn zu realisieren, sich in eine erbauliche Sonntagspredigt verwandeln und die Vorhut des Pro-letariats praktisch auf unabsehbare Zeit, noch für mehrere Generationen, bis ins nächste Jahrhundert hinein, den Sozialismus als das Non plus ultra des geschichtlich-gesellschaft-lichen Fortschritts hinnimmt.«25

Der Kommunismus muss also greifbar und so nachvollziehbar werden. Diese Über-legung findet sich bereits bei August Bebel (Die Frau und der Sozialismus) und spä-ter dann zum Beispiel bei Alexander Bogdanow (Der rote Planet, Ingenieur Menni),

24 Zu diesen Argumenten kam Harich erst im Rahmen seiner Ökologie-Studien in den 70er Jahren – beginnend mit Die Baader-Meinhof-Gruppe. Vor seiner Inhaftierung war er ein Vertreter der marxistischen Wachstumsidee. Siehe: Harich: Die »deutsche« Republik, S. 39-45. Die deutsche Arbeiterklasse in der Novemberrevolution, S. 66-79. Arbeiterklasse und Intelligenz, S. 57-70. Außerdem: Zum Problem der neuen Arbeitsmoral, S. 628-634. (Neuabdruck in Bd. 6.)

25 Harich: Kommunismus ohne Wachstum, S. 159.

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Alexan der Tschajanow (Reise meines Bruders Alexej ins Land der bäuerlichen Utopie) und Lenin (Staat und Revolution). Sie gingen ebenfalls davon aus, dass die Idee der kommunistischen zukünftigen Gesellschaft aus der Abstraktion in die eigene Ge-schichte geholt werden müsse. Dafür sei die mit den Mitteln und der Methode der politischen Utopie imaginierte zukünftige kommunistische Gesellschaft zu beschrei-ben, gleichsam in frohen Farben als funktionierend zu schildern. Und die politische Utopie stellt für eben dieses Verfahren den geeigneten Rahmen bereit, vermag sie diese Antizipation einer möglichen Zukunft doch mit der Kritik an der Gegenwart zu ver-binden. Harich steht mit seiner Auffassung in dieser Tradition der marxistischen und sozialdemokratischen Versuche der Aneignung Utopias. Gleichzeitig darf nicht ver-gessen werden, dass die Aufwertung des utopischen Diskurses immer den Bruch mit dem von Karl Marx und Friedrich Engels gesetzten »Bilderverbot« bedeutet.26 Denn dem Anspruch nach war der Marxismus eben Wissenschaft, nicht Utopie (Friedrich Engels).

2) »Der Kommunismus ist möglich, er wird aber, wie sich unschwer beweisen lässt, nicht die Überflussgesellschaft sein, die man sich unter ihm seit den vierziger Jahren des 19.  Jahrhunderts  – d. h. seit dem Ausgang der Babeufschen Phase der proletarisch-re-volutionären Bewegung, ideengeschichtlich seit Cabet, Weitling und Marx  –  immer vorgestellt hat. Der Kommunismus wird daher auch nie ohne staatliche Autorität und kodifiziertes Recht auskommen, wie dies die Klassiker des Marxismus-Leninismus, dar-in letztlich mit den Anarcho-Kommunisten übereinstimmend, angenommen haben.«27

Die zukünftige kommunistische Gesellschaft wird Harich zu Folge angesichts der ökologischen Probleme keine Überflussgesellschaft sein, d. h. sie wird nicht auf per-manentem Wachstum beruhen, wie dies der Marxismus immer angenommen hat und

26 Zur Utopiekritik von Marx und Engels und der Emanzipation von diesen Thesen siehe: Heyer: August Bebel und die Utopie des Marxismus, S.  149-171. Außerdem: Af-feldt-Schmidt: Fortschrittsutopien. Amberger: Bahro, Harich, Havemann. Hölscher: Welt-gericht oder Revolution.

27 Harich: Kommunismus ohne Wachstum, S. 161. Duve verwies anschließend darauf, dass Harich mit dieser Behauptung den zentralen Thesen seines Buches Zur Kritik der revo-lutionären Ungeduld (1971) widersprechen würde. Harich erklärte die Differenz durch den Verweis auf die ökologische Frage, die sich ihm erst nach Beendigung des Werkes erschlossen habe. Allerdings war diese Differenzierung in Harichs Anarchismus-Buch be-reits angelegt, markiert also keinen deutlichen konzeptionellen Bruch. Die Zwischenstu-fe bildet dann, wie angesprochen, das bisher unbekannte Manuskript Die Baader-Mein-hof-Gruppe.

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23Die Entwicklung von Harichs ökologischem Konzept (Andreas Heyer)

wie es sich auch in zahlreichen utopischen Romanen der Zeit um 1900 finden lässt. Das prominenteste Beispiel ist sicherlich Edward Bellamys Looking Backward: 2000-1887. Oder auch die Lösung des Energieproblems als Voraussetzung des entfesselten Fortschritts in Edward Bulwer-Lyttons The Coming Race.

Gerade der Kommunismus könne laut Harich den Übergang zur Reglementierung und Reduzierung der Bedürfnisse auf die sogenannten notwendigen Bedürfnisse (die von den überflüssigen zu scheiden sind) bewerkstelligen. Damit kehrte Harich zu einem zentralen Topos der Renaissanceutopien zurück. In der Utopia von Thomas Morus steht und fällt die utopische Gesellschaft mit der Abschaffung des Luxus, der Modeerscheinungen, der Dekadenz etc. Der Grund war damals (und nach Harich: wie auch heute) die Knappheit der Ressourcen.28 In diesem Sinne sei es dann auch schlüssig, dass der Kommunismus der Zukunft nicht auf den Staat verzichten könne. Harich brach an dieser Stelle auch mit dem Inhalt des geschichtsphilosophischen Ver-laufsschema – bürgerliche Gesellschaft, Sozialismus, Kommunismus –, wie es Lenin in Staat und Revolution beschrieben und wie es seine eigene geschichtsphilosophische Konzeption der 50er Jahre geprägt hatte.

3) »Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass alle kapitalistischen Industrieländer für die übergangslose Verwirklichung des Kommunismus reif sind und dass sie sie dringend brauchen.«29

Noch einmal wird deutlich, dass Harich nur dem Kommunismus bzw. dem kommu-nistischen Weltstaat die Lösung der ökologischen Frage zutraute. An anderer Stelle schrieb er: »Auf dem derzeitigen Stand der Entwicklung der Produktivkräfte halte ich den sofortigen Übergang zum Kommunismus für möglich, und in Anbetracht der ökologischen Krise scheint er mir dringend notwendig zu sein.«30 Auch die sozialis-

28 Oscar Wilde formulierte am Ende des 19. Jahrhunderts in The Soul of Man under So-cialism, dass die Maschine die Aufgaben der antiken Sklaverei übernommen habe und menschlichen Wohlstand bei geringstmöglicher Arbeitszeit und höchstmöglicher Mu-ßezeit für alle produzieren werde. Harich sah nun, dass der zukünftige Kommunismus weder auf Sklaverei noch auf die umweltzerstörende Maschine zurückgreifen könne. Von daher müssten die Bedürfnisse reduziert werden. Wildes Essay wurde bezeichnenderwei-se von Gustav Landauer ins Deutsche übersetzt, dem engen Freund Peter Kropotkins, dem Harich neben Bakunin in Zur Kritik der revolutionären Ungeduld einen Hauptteil seiner Kritik gewidmet hatte. Siehe: Geoghegan: Utopianism and Marxism.

29 Harich: Kommunismus ohne Wachstum, S. 161.30 Ebd., S. 32f.

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tischen Staaten könnten diesen Übergang in Angriff nehmen, indem sie noch stärker auf das Element der Planung setzen. Allerdings, und das ist Harichs gewichtigster Bruch mit dem »offiziellen Marxismus« der DDR, sei es geschichtsphilosophisch und realhistorisch nicht notwendig, dass sie als erste zum Kommunismus übergehen: »Ich sagte es bereits: Sich den weiteren Verlauf der Weltgeschichte so vorzustellen, als müssten unter allen Umständen die RGW-Länder als erste den Kommunismus verwirklichen, wäre falsch, wäre schematisch gedacht. Das kann, aber es muss nicht geschehen.«31

4. »Viertens bietet der Übergang der industrialisierten Regionen des Nordens zum Kom-munismus die einzige Möglichkeit, zwischen ihnen und den Völkern der Dritten Welt Beziehungen der Vernunft, der Menschlichkeit, des endgültigen, gesicherten Friedens und einer für beide Teile vorteilhaften Zusammenarbeit herzustellen, zu der es keine Alternative gibt, keine jedenfalls, die nicht in unvorstellbare Katastrophen einmünden müsste.«32

In letzter Instanz sichert der kommunistische Leviathan auch den zukünftigen Frie-den, sorgt für den Ausgleich der unterschiedlich entwickelten Regionen und Gesell-schaften.33 Mit der Idee des Ewigen Friedens steht Harich erneut in der Tradition der Utopieproduktion des 18. bis 20. Jahrhunderts. Gerade in der Epoche der Aufklärung wurde immer wieder formuliert, dass ein Ewiger Friede nur durch einen Weltstaat oder einen eng verflochtenen Staatenbund möglich sei. Hinzu tritt die deutsche Frie-densdebatte um 1800, die Harich vermittels seiner Studien zu Herder, Rudolf Haym oder Goethe kannte und deren einzelne Quellen er analytisch durchleuchtete.34

Harichs Weltstaat bezieht seine Legitimation aus einer Perspektive: Er sichert das Überleben aller. Verzicht und Askese seien die einzigen Möglichkeiten, dies zu rea-lisieren. Und nur der Kommunismus könne diese Um- und Neuverteilung auf der Basis der Gleichheit durchsetzen. Damit hatte er aus seiner Perspektive bereits das Damoklesschwert benannt, welches seines Erachtens über der katastrophenschwan-geren Zukunft hing. Es werde ein starker Staat kommen, der die vorhandenen und sich im Laufe der Zeit noch potenzierenden Probleme lösen werde, lösen müsse. »Die

31 Harich: Kommunismus ohne Wachstum, S. 143.32 Ebd., S. 162.33 Hierzu: Harich: Fünfzehn Thesen zur Friedenspolitik.34 Die entsprechenden Verweise und Manuskripte finden sich in den Bänden 3, 4 und 5

dieser Edition.

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25Die Entwicklung von Harichs ökologischem Konzept (Andreas Heyer)

Frage ist, ob das ein demokratischer oder ein despotischer Staat sein wird. Das hängt davon ab, wie schnell und gründlich man den neuen Weg geht. Je schneller, desto mehr Freiheiten werden übrigbleiben. Je länger Verschwendung und Umweltzerstö-rung weitergehen, umso härtere Maßnahmen wird es brauchen. Zu welchen Gunsten werden diese Maßnahmen sein? Werden sie menschenwürdiges Leben der breiten Massen garantieren – dann zu Ungunsten der Reichen. Damit aber wird die Gefahr eines Öko-Faschismus deutlich. Das ist die Wahl, vor der wir stehen: Öko-Faschismus oder ein homöostatischer wachstumsloser Kommunismus mit staatlicher Autorität. Angesichts dieser Wahl muss ein Liberaler zum Pessimismus neigen. Ich bin kein Li-beraler.«35

4. Zur Rezeption von Kommunismus ohne Wachstum

Es ist natürlich kaum überraschend, dass Kommunismus ohne Wachstum eine breite Diskussion auslöste. Es erschienen zahlreiche Rezensionen in unterschiedlichen Zei-tungen und Zeitschriften (im Spiegel beispielsweise sogar eine dreiseitige Vorankün-digung)36 – eine Lage, die heute kaum noch rekonstruiert werden kann. In Harichs Nachlass fanden sich verschiedene dieser Besprechungen, die Kopien hatte ihm der Rowohlt-Verlag zur Verfügung gestellt.37 Im Folgenden sind einige der Wortmeldun-gen kurz Revue passieren zu lassen und in ihren Kernaussagen wiederzugeben. Ein Verfahren, das sich bereits bei der Analyse der Stellung Harichs zum Begriff von Staat und Demokratie – mit der der Herausgeber den Band zu Harichs Anarchie-Schriften einleitete – als vorteilhaft erwiesen hat.38

35 So Harich im August 1979 in einer Diskussion, Text gedruckt in diesem Band (Kommu-nismus heute). Der ziemlich kritisch eingestellte Rezensent Heinz Abosch schrieb: »Im Westen wie im Osten muss man dem Wachstumsglauben entsagen, eine Gesellschaft konzipieren, die die Natur beachtet und sie nicht brutal ruiniert. Aber hier wie dort erhebt sich die Frage, ob die notwendige Anpassung mit demokratischen Methoden oder auf dem weg autoritär-technokratischer Verordnungen erfolgt.« Abosch: Kein Glück, keine Freiheit, S. IV.

36 Anonym: Ekliges Ding, S. 85-87. Romain Leick schrieb: »Das Buch machte von sich re-den, noch bevor es gedruckt vorlag: Der Spiegel brachte, vermutlich ohne es ganz gelesen zu haben, eine Vorankündigung und versprach Pikant-Häretisches aus Harichs Mund. Jetzt ist der Band da, und man kann sagen: Ketzereien enthält er wenige, Überraschun-gen aber viele.« Leick: Schmale Kost für Sozialisten.

37 Im Literaturverzeichnis zu diesem Teil sind die von mir eruierten Rezensionen bibliogra-phisch erfasst.

38 Siehe die Einleitung des Herausgebers (Harichs Staatsbegriff ) in Band 7, S. 9-80.

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a) Die Charakterisierung Duves

Hans Magnus Enzensberger, mit dem Harich gerade während seiner Anarchie-Studien eng zusammengearbeitet hatte, äußerte sich im September 1975 in der Konkret. Eine Kopie seines Originalmanuskripts (noch mit ver-schiedenen, im Druck dann berücksichtigten Änderungshinweisen) hatte er Harich zuvor postalisch zugesandt. Festzuhalten ist, dass Enzensberger zuerst Harichs methodisches Vorgehen fokussierte: »Sie haben die Form einer Kontroverse gewählt und sich Ihren Partner nicht ohne List gewählt: Duve ist ein erklärter, fast möchte ich sagen: ein hoff-nungsloser Sozialdemokrat, der seine Sache mit Intelligenz und Beharrlichkeit vertritt. Selten, aber doch, wird er wütend, und min-destens einmal packt auch Sie die Lust, den ganzen Kram hinzuschmeißen.«39 Auch ande-re Rezensenten betonten die bereits biographisch bzw. ideologisch bedingten Diffe-renzen oder gar Antagonismen beider Interviewpartner, beispielsweise Carl Amery, der von »unerquicklichen Personalien« sprach.40

Noch weiter ging Helfried Schreiter, der Duves Vorwort mit der Verlagspraxis der DDR verglich, als eine »offizielle Verdauungshilfe«, die gleichsam die gewünschte ideologische Kritikrichtung anzeige. Weiter schrieb er: »Nun hat sich Harich aller-dings aus freien Stücken und mit erstaunlicher Vertrauensseligkeit in die Hände ei-nes Mannes begeben, der sich sehr wird anstrengen müssen, um von dem Verdacht loszukommen, er habe das Seil lediglich spannen helfen, um den Seiltänzer über den Abgründen Dissidentenfurcht und Dissidentenhoffnung bei der ersten besten Gele-genheit herunter zu stoßen. Oder wie sonst soll man sein fortwährendes krampfhaf-

39 Enzensberger: Schreckgespenst oder Chimäre, S. 45.40 Amery: Stalin, der steinerne Gast, S. 82. Dort weiter: »Harich beschimpft Duve als unver-

besserlichen Revisionisten, und Duve versäumt es nicht, im Vorwort auf die grundlegen-den Schwächen Harichs hinzuweisen.«

Freimut Duve, 1979

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tes Bemühen werten, den Gesprächspartner der Häresie zu überführen? Und weil sich Harich im Gespräch dank seines brillant funktionierenden Intellekts mühelos der albernen Dissidentenmacherei eines Herrn Duve erwehren konnte, legte dieser ihm schließlich ein Kuckucksei in Form eines infamen Vorworts41 ins gemeinsame Manuskriptnest.«42 Und Leopold Spira schrieb über Harich: »Er ist alles andere als ein ‚Dissident‘, er bezeichnet sich selbst als ‚linientreu‘, aber er ist kein offizieller Sprecher der SED.«43

Harich selbst hat daraus nie ein Hehl gemacht. Er brauchte, um sich intellektuell entfalten zu können, einen Gesprächspartner, einen Gegner oder einen Verbündeten, eine These oder Theorie, die seinen Widerspruch herausfordern konnten. Rudolf Pe-chel hatte schon Ende der 40er Jahre eine überaus negative Charakterisierung Harichs vorgelegt, die, als ungeprüftes Vorurteil, durch die Jahrzehnte intakt blieb: »Ohne Re-gulator, ohne Hemmung, ohne Ehrfurcht, intolerant bis ins Letzte, ohne Achtung vor Menschenwürde, vor fremder Persönlichkeit, Überzeugung und Arbeitsleistung, ohne Selbstzucht und Selbstkritik, ohne Herz und Herzensbildung, süchtig nach Streit um des Streites willen, ein Ballspieler mit Gedanken, proteisch wandelbar und überall gut zu gebrauchen, da er keine Gesinnung zu wechseln braucht. Schnell befreundet, schneller verfeindet. Kaltes Feuer, was besonders dann peinlich zu Tage tritt, wenn er sich für etwas einsetzt: Da sprudeln die Phrasen nur so von seinem Munde, er selbst bleibt ganz unbeteiligt. (...) Er braucht wie alle Substanzlosen einen Gegner, an dem er sich reiben kann.«44

Pechel schoss, da sein Hauptziel war, sich für eine Attacke Harichs gegen seine Person zu rächen, eindeutig übers Ziel hinaus. Denn Harichs Gegner in der Debatte waren auch Stalin, Walter Ulbricht, später dann Lenin und Friedrich Engels (vor allem in Widerspruch und Widerstreit)45, es waren sein Leben lang die unzähligen Sektierer und Dogmatiker, die die DDR in leitenden Positionen bevölkerten. Und er nahm vor die-sem Apparat kein Blatt vor den Mund – nachzulesen in seinen Streit- und Denkschrif-ten zur Hegel-Debatte, zu den Umbrüchen von 1953 und 1956. Nicht nur Gegner, auch Freunde und Mitstreiter konnten ihn motivieren: Paul Rilla, Nicolai Hartmann,

41 Gemeint ist: Duve: Zur Einführung, S. 7-11.42 Schreiter: Auf der Suche nach der Häresie. 43 Spira: Asketischer Kommunismus?, S. 25. 44 Zitiert bei: Schivelbusch: Vor dem Vorhang, S. 274.45 In abweichenden Versionen in: Band 3, S. 53-316.

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Bertolt Brecht und Georg Lukács sind an vorderster Stelle zu nennen.46 Und hinzu treten natürlich die zahlreichen prominenten Stimmen der Vergangenheit, die Ha-richs intellektuellen Scharfsinn herausforderten: Hegel, Marx und Engels, Herder und Goethe, Kant, Heine, Jean Paul – um nur einige zu nennen.

Insofern war die Konstellation mit Duve nicht die schlechteste Idee. Harich bekam Fragen/Stichwörter geliefert  – Leopold Spira charakterisierte Duve als »sozialdemo-kratisch-kritischen Stichwortgeber«47 –, die ihn herausforderten, Duve seinerseits wusste es, die erhaltenen Antworten in neue Herausforderungen zu verwandeln. Ha-rich selbst äußerte sich am 28. März 1980 in seinem Brief an Willy Brandt (Abdruck im vorliegenden Band) wie folgt:

»Ich empfinde Hochachtung für bedeutende Theoretiker und Funktionäre Ihrer Partei, die seit Jahren voller Hingabe an jener perspektivisch aussichtsreichen Vermittlungs-aufgabe arbeiten: Für Erhard Eppler, Freimut Duve, Frank Haenschke, Iring Fetscher, Johano Strasser, Klaus Traube u. a. Sobald diese Männer aber, in aktueller Tagespolitik sich engagierend und gar in den Wahlkampf eingespannt, der Bevölkerung plausibel zu machen versuchen, dass, wer Umweltschutz und Ressourcenschonung bejahe, am besten daran täte, für die SPD zu votieren, dann werden sie unglaubwürdig. Und das nicht, weil sie an und für sich unglaubwürdige Charaktere wären –  tragischerweise ist bei ihnen mehr als bei manch anderem Politiker genau das Gegenteil der Fall –, sondern weil die Partei, für die sie werben, mit der in ihr dominierenden Wachstumsbejahung, mit der ihr seit jeher eigenen Technikgläubigkeit ganz entgegengesetzten Interessen Rechnung trägt und in der nun einmal gegebenen Lage, zumal unter dem unmittelbaren Erfolgszwang eines Wahljahres, wohl auch Rechnung tragen muss. Freimut Duve, beispielsweise, hat für die schlechthin überlebensnotwendige ökologische Neubesinnung in Teilen der bun-desdeutschen Bevölkerung, sogar aber auch ausstrahlend in die DDR, mehr getan als die Vordenker der Grünen, den einzigen Herbert Gruhl ausgenommen. Aber wenn Duve

46 Rilla, Brecht und Lukács waren gerade in den 50er Jahren die drei wichtigsten Dis-kussionspartner für Harich. Seine Trauerrede für Paul Rilla, der am 5. November 1954 verstorben war, kommt in Band 4 (Herder und das Ende der Aufklärung) zum Abdruck, S. 57-63. Informationen und Dokumente zu allen drei Weggefährten bietet der Erin-nerungsband von Anne Harich: Wenn ich das gewusst hätte. Zuletzt erschien, ebenfalls mit verschiedenen Texten Harichs im Anhang: Heyer: Harich sprach über Lukács. Alle wichtigen Texte Harichs zu Hartmann finden sich in Band 2 (Logik, Dialektik und Er-kenntnistheorie).

47 Spira: Asketischer Kommunismus?, S. 25. Siehe auch: Erler: Seit 200 Jahren wütet ein Krieg gegen die Erde.

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29Die Entwicklung von Harichs ökologischem Konzept (Andreas Heyer)

sich hinstellt und den Grünen vorwirft, sie hätten mit ihren Stimmen in Schleswig-Hol-stein indirekt den Ministerpräsidenten Stoltenberg (CDU) gestützt und damit die ihnen selbst doch erwünschte Verhinderung des Kernkraftwerkbaus in Brokdorf torpediert, dann genügt es, ‚Hessen‘ und ‚Börner‘ dazwischenzurufen, um Duves Argumentation als Heuchelei zu entlarven. (Um hier nur an Hessens AKW-Projekte zu denken und von dem hessischen Umwelt-Korruptionsskandal neulich noch ganz zu schweigen.) Epplers Tragödie: Dass er, als im Grunde grün Gesinnter, zweimal, 1976 und 1980, für die SPD warb auf einem Gebiet, auf dem sie zu verantwortbarer Weichenstellung für die Zukunft bislang noch gar nicht fähig ist. Und Helmut Schmidt, Hauptexponent eben dieser derzeitigen Unfähigkeit der SPD, bietet zugleich derzeit am ehesten die Gewähr ihres möglichen und wünschenswerten Wahlsiegs, gleichviel, wer diesen dann bejubeln, wer ihn als lediglich ‚kleineres Übel‘ zähneknirschend hinnehmen mag.«

Mit diesen Zeilen hatte Harich auf den Punkt gebracht, worin er, noch fünf Jahre nach Kommunismus ohne Wachstum die Potentiale und die Grenzen sozialdemokra-tischer Umweltpolitik sah. Duve, das hatten Enzensberger und andere ganz richtig notiert, war zuvorderst Sozialdemokrat und war bereit, der aktuellen Tagespolitik seiner Partei die größeren politischen Interessen »der Menschheit« unterzuordnen. Auch Harich hatte diese Einstellung seines Gesprächspartners exakt vermerkt. Und sie störte ihn nicht zuletzt deshalb, da er mit verschiedenen seiner früheren Theorien gebrochen hatte, um sein ökologisches Denken voll zum Durchbruch zu bringen. Die dritte Auflage des Werkes scheiterte dann ja u. a. daran, dass Duve sein Vorwort nicht der »ersatzlosen Streichung« anheim geben wollte.48

b) Die Rezeptionssituation49

Zurück zu Enzensbergers Rezension. Dieser problematisierte vor allem bei Harichs Kommunismus-Begriff Schwierigkeiten. Harichs Berufung auf Marx, Engels und Le-nin sei falsch, da er den Kommunismus nicht weiterentwickle oder verändere, son-dern völlig über Bord werfe. »Wenn Sie den Marxismus nicht nur um seine Methode,

48 Die Passage wurde bereits wiedergegeben, siehe: Brief von Wolfgang Harich an Freimut Duve vom 1. Juli 1980, 1 Seite.

49 In seiner Dissertation hat sich Alexander Amberger ebenfalls mit der Rezeptionsge-schichte der drei von ihm behandelten Utopien der DDR von Harich, Bahro und Ha-vemann auseinandergesetzt. Zusätzlich zu den hier verwendeten Quellen wertete er auch die Bestände des Stasi-Archivs aus, siehe zu Harich: Amberger: Bahro, Harich, Havemann, S. 103-130.