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Robert Muchamore • Top Secret – Heiße Ware

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Robert Muchamore • Top Secret –Heiße Ware

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Robert Muchamore, Jahr-gang 1972, lebt in Londonund arbeitet dort als Privat-detektiv. Er hasst es, von Kü-hen gejagt zu werden, dasLandleben überhaupt, bär-tige Frauen, Ketschup undMajonäse, Schnulzenfilmeund Leute, die zehn Minutenlang an der Bushaltestellestehen und erst dann anfan-

gen, nach Kleingeld zu kramen, wenn sie vor dem Bus-fahrer stehen. Er hat einen sehr schwarzen Humor undseine Lieblingsfernsehserie ist »Jackass«.

DER AUTOR

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Robert Muchamore

Top Secret –Heiße Ware

Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen

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cbt – C. Bertelsmann TaschenbuchDer Taschenbuchverlag für JugendlicheVerlagsgruppe Random House

1. AuflageDeutsche Erstausgabe September 2006Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform© 2004 der Originalausgabe by Robert MuchamoreDie englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »CHERUB: Class A« bei Hodder Children’s Books, London.© 2006 der deutschsprachigen Ausgabe beicbt/cbj, Münchenin der Verlagsgruppe Random House GmbHAlle deutschsprachigen Rechte vorbehaltenAus dem Englischen von Tanja OhlsenUmschlagkonzeption: init.büro für gestaltung, Bielefeldlf · Herstellung: CZ/JLSatz: Uhl+Massopust, Aalen

www.cbj-verlag.de

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eISBN 978-3-641-12000-9

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Milliarden von Insekten schwirrten in der Dämmerung.James und Bruce hatten längst aufgegeben, nach ih-nen zu schlagen. Die Jungen waren zehn Kilometerweit einen gewundenen Kiespfad entlanggejoggt, derbergauf zu einer Villa führte. Zwei Achtjährige wur-den dort als Geiseln gefangen gehalten.

»Können wir eine Minute ausruhen?«, keuchteJames und stützte sich mit den Händen auf den Knienab. »Ich bin fix und fertig.«

Aus seinem T-Shirt hätte er einen ganzen BecherSchweiß auswringen können.

»Ich bin ein Jahr jünger als du«, erinnerte Bruce ihnungeduldig. »Eigentlich solltest du mich antreiben.Das liegt nur an deinem Bauch!«

James sah an sich herab. »Komm schon, ich bin jawohl nicht fett!«

»Aber auch nicht gerade schlank. Bei der nächstenUntersuchung nageln sie dich ans Kreuz. Sie werdendich auf Diät setzen und zusehen, wie du deine Wam-pe abtrainierst.«

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James richtete sich auf und trank etwas Wasser ausseinem Kanister. »Ich kann nichts dafür, Bruce, das istVeranlagung. Du hättest sehen sollen, wie dick meineMutter war, als sie starb.«

Bruce lachte. »In unserem Mülleimer lagen gesternAbend die Verpackungen von drei Karamellriegelnund einem Snickers! Das hat nichts mit Veranlagungzu tun. Du bist einfach ein kleiner Fresssack!«

»Nicht jeder kann so einen mickrigen, kleinen Stech-mückenkörper haben wie du«, erwiderte James bissig.»Bist du so weit?«

»Wenn wir schon halten, können wir auch gleich maleinen Blick auf die Karte werfen«, schlug Bruce vor.»Schau mal, wie weit es noch bis zum Haus ist.«

James zog eine Karte aus seinem Rucksack. AnBruces Shorts war ein GPS befestigt, ein winziges Ge-rät, das einem seine Position auf der ganzen Welt aufwenige Meter genau anzeigen konnte. Bruce übertrugdie Koordinaten auf die Karte und fuhr mit dem Fingerden Kiespfad zum Haus nach.

»Zeit, sich in die Büsche zu schlagen«, meinte er. »Essind nur noch ein paar hundert Meter.«

»Hier ist es sehr steil«, gab James zu bedenken,»und der Boden gibt nach. Das wird ein Albtraum!«

»Falls du nicht vorhast, zum Vordereingang zu spa-zieren, zu klingeln und zu sagen: ›Könnten wir wohlbitte unsere Geiseln wiederhaben?‹, sollten wir trotz-dem lieber hier den Pfad verlassen.«

Bruce hatte Recht. James stopfte die Karte zurück in

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seinen Rucksack, und gemeinsam schlugen sie sich insUnterholz, das trocken war wie Zunder und unter ih-ren Turnschuhen knackte. Es hatte auf der Insel seitzwei Monaten nicht mehr geregnet. Im Osten hatte esBuschfeuer gegeben. Bei klarer Sicht konnte man nochimmer die Rauchwolken am Himmel sehen.

Auf James’ feuchter Haut sammelte sich bald einedicke Schmutzschicht. Er griff nach den Pflanzen, umsich bei dem Aufstieg an dem steilen Hang an ihnenfestzuhalten. Man musste vorsichtig sein, denn einigePflanzen hatten Dornen und andere lösten sich ausdem Boden, wenn man daran zog, sodass man nurnoch eine Hand voll Gestrüpp in der Hand hielt undschnell nach etwas Festerem angeln musste, um nichtrückwärts umzufallen.

Als sie den Drahtzaun erreichten, der die Villa um-gab, zogen sie sich ein paar Meter zurück und legtensich flach auf den Boden. Bruce schaute jämmerlichauf seine Hand.

»Was jaulst du denn?«, fragte James.Bruce zeigte ihm seine Handfläche. Selbst im Däm-

merlicht konnte James das Blut sehen, das Bruces Armherunterlief.

»Wie ist denn das passiert?«Bruce zuckte die Achseln. »Irgendwie beim Herauf-

klettern. Ist mir nicht aufgefallen, bis wir angehaltenhaben.«

»Ich sollte das lieber sauber machen.«James goss etwas Wasser aus seinem Kanister und

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wusch das Blut ab. Aus seinem Rucksack nahm er einErste-Hilfe-Set und klemmte sich eine kleine Taschen-lampe zwischen die Zähne, damit er sehen konnte,was er tat, und die Hände frei hatte. Unterhalb vonBruces Mittelfinger steckte ein Dorn.

»Sieht schlimm aus. Tut es weh?«»Was ist denn das für eine blöde Frage?«, schnapp-

te Bruce. »Natürlich tut es weh!«»Soll ich ihn herausziehen?«, fragte James.»Ja«, gab Bruce müde zurück. »Hast du im Unter-

richt nie aufgepasst? Splitter immer entfernen, wennes nicht übermäßig heftig blutet oder du vermutest,dass eine Vene oder Arterie verletzt ist. Dann desinfi-zieren und einen sauberen Verband anlegen oder einPflaster draufkleben.«

»Du hörst dich an, als hättest du das Lehrbuch ge-fressen«, grinste James.

»Ich war im selben Erste-Hilfe-Kurs wie du, James.Nur habe ich nicht die ganzen drei Tage damit ver-bracht, mit Susan Kaplan anzubändeln.«

»Schade, dass sie einen Freund hat.«»Sie hat keinen Freund«, klärte Bruce ihn auf. »Sie

hat nur versucht, dich abzuwimmeln.«»Oh«, sagte James enttäuscht. »Ich dachte, sie mag

mich wirklich.«Bruce antwortete nicht. Er biss auf den Riemen

seines Rucksacks, denn er wollte nicht, dass ihn imHaus jemand hörte, falls er vor Schmerz aufschreiensollte.

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James zückte die Pinzette. »Bereit?«Bruce nickte.Der Dorn kam ganz leicht heraus. Bruce stöhnte auf,

als erneut Blut über seine Hand lief. James tupfte esab, trug desinfizierende Salbe auf und wickelte eineBandage fest um Bruces Finger.

»Fertig«, sagte James. »Kannst du weitermachen?«»So kurz vor dem Ziel gebe ich doch nicht auf!«»Ruh dich trotzdem einen Moment aus«, empfahl

James. »Ich schleiche mich am Zaun entlang und sehemal nach den Sicherheitsvorkehrungen.«

»Achte auf Videokameras«, warnte Bruce. »Sie wer-den uns erwarten.«

Als James die Taschenlampe ausknipste, blieb ihmnur noch das schwache Licht der Dämmerung. Aufdem Bauch kriechend, näherte er sich dem Zaun. DasHaus war beeindruckend: zwei Stockwerke, eine Ga-rage für vier Autos und ein nierenförmiger Swimming-pool an der Vorderseite. Die Wasserstrahlen des leiseklickenden Rasensprengers wurden von den Lichternan der Haustür beleuchtet. Es gab kein Anzeichen vonKameras oder anderen Hightech-Sicherheitseinrich-tungen, nur die gelbe Signallampe einer billigen Ein-bruchsicherung, die wahrscheinlich nicht eingeschal-tet war, solange jemand im Haus war. James kam wie-der zu Bruce zurück.

»Hoch mit dir! Scheint nicht schwierig zu sein.«Er zog seine Drahtschere heraus und kappte die

Drähte im Zaun, bis das Loch groß genug war, um hin-

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durchzuschlüpfen. Er folgte Bruce über den Rasen undsie krochen rasch auf das Haus zu. Plötzlich fühlteJames etwas Glitschiges an seinem Bein.

»Oh Mann!«, fluchte James angewidert. »Scheiße!«Bruce bedeutete ihm, still zu sein. »Sei leise, um

Himmels willen! Was ist los?«»Ich knie gerade in einem gigantischen Hundehau-

fen.«Bruce musste grinsen, während James aussah, als

würde er sich gleich übergeben.»Das ist schlecht«, meinte Bruce.»Das musst du mir nicht sagen. Ich hatte so etwas

schon mal am Schuh, aber das hier ist direkt auf derHaut.«

»Du weißt, was ein Riesen-Hundehaufen bedeutet,nicht wahr?«

»Allerdings«, antwortete James. »Es bedeutet, dassich ziemlich angeschissen bin.«

»Es heißt auch, dass hier ein Riesenhaufen Hundunterwegs sein muss.«

Als James klar wurde, was dies bedeutete, robbte erschnell weiter. An der Hauswand hielten er und Brucezwischen ein paar bis zum Boden reichenden Fensterninne. Bruce lehnte sich an die Wand und checkte denRaum dahinter. Das Licht brannte. Innen befanden sichLedersofas und ein Billardtisch. Sie versuchten, dieFenster aufzubekommen, aber sie waren alle verriegelt.Schlüssellöcher gab es nur auf der Innenseite, daherkonnten sie auch mit einem Dietrich nichts bewirken.

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WUFF!

Die beiden Jungen fuhren herum. Nur fünf Metervon ihnen entfernt stand der Urahn aller Rottweiler.Unter dem glänzenden schwarzen Fell des riesigenTieres zeichneten sich gewaltige Muskeln ab und vonseinem Kiefer trieften Sabberspuren.

»Braves Hundchen«, flüsterte Bruce und versuchte,ruhig zu bleiben.

Der knurrende Hund kam näher und starrte sie ausseinen schwarzen Augen an.

»Bist du nicht ein braves Hundchen?«, fragte Bruce.»Bruce, ich glaube kaum, dass er sich gleich auf den

Rücken wirft, damit du ihn am Bauch kraulen kannst.«»Und wie sieht dein Plan aus?«»Na ja, zeig ihm nicht, dass du Angst hast«, bibber-

te James. »Wir starren ihn nieder. Wahrscheinlich hater genauso viel Angst vor uns wie wir vor ihm.«

»Oh ja«, meinte Bruce. »Das sieht man. Der Ärmstemacht sich gleich ins Fell.«

James kroch vorsichtig rückwärts. Der Hund rea-gierte mit tiefem Gebell. Bei seinem Manöver stießJames einen metallenen Schlauchhalter um. EinenMoment lang betrachtete er den Halter, dann lehnte ersich zurück und wickelte ein paar Meter von dem Plas-tikschlauch ab. Der Hund war nur mehr ein paarSchritte von ihm entfernt.

»Bruce, versuch, wegzurennen und eine Tür zu öff-nen«, stieß James hervor. »Ich halte ihn hiermit auf Ab-stand.«

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Halb hoffte James, der Hund würde Bruce nach-laufen, doch das Tier fixierte ihn und kam näher, bisJames seinen Atem auf seinen Beinen spüren konnte.

»Braves Hundchen«, flüsterte er.Der Rottweiler stellte sich auf die Hinterbeine und

versuchte, James umzuwerfen, doch der drehte sichweg, und die Pfoten glitten an der Glastür ab. Jamesholte mit dem Schlauch aus und schlug dem Hund da-mit gegen die Rippen. Das Tier jaulte auf und wich ein Stück zurück. James ließ den Schlauch auf die Ter-rasse schnalzen, in der Hoffnung, dass der Lärm denHund vertreiben würde, aber der Schlag schien ihnnur noch wütender zu machen.

James drehte sich der Magen um, als er sich vor-stellte, wie leicht das große Tier ihn in Stücke reißenkonnte. Er war einmal fast ertrunken. Damals hatte ergedacht, dass es nichts Schrecklicheres geben könnte,aber dies hier war ziemlich dicht dran.

Hinter James’ Kopf klickte ein Bolzen und die Fens-terflügel gingen auf.

»Wenn der Herr bitte einmal hierhinein schlüpfenmöchte«, forderte Bruce ihn auf.

James warf den Schlauch von sich und sprang durchdie Öffnung. Bruce schlug die Flügeltür zu, bevor derRottweiler reagieren konnte.

»Warum hast du so lange gebraucht?«, erkundigtesich James ängstlich und versuchte, das Zittern seinerHände zu unterdrücken. »Wo sind die anderen?«

»Keine Spur von ihnen«, sagte Bruce. »Was ziemlich

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merkwürdig ist. Sie müssen taub sein, wenn sie dasGekläff von dem Köter nicht gehört haben.«

James griff nach einem Vorhang und versuchte, sichdamit den Hundedreck von seinem Bein zu wischen.

»Saueklig!«, fand Bruce. »Na ja, zumindest hast dues nicht auf den Klamotten.«

»Hast du in allen Zimmern nachgesehen?«Bruce schüttelte den Kopf. »Ich dachte, ich stelle erst

mal sicher, dass du nicht gefressen wirst, auch wenndas bedeutet, dass wir erwischt werden.«

»Nett von dir«, meinte James.Sie arbeiteten sich durchs Erdgeschoss, schlichen an

jede Tür heran und überprüften die einzelnen Zimmer.Das Haus sah bewohnt aus. In den Aschenbechern la-gen Zigarettenstummel und überall waren schmutzigeKaffeetassen abgestellt. In der Garage stand ein Mer-cedes. Der Schlüssel hing am Schlüsselbrett. Brucesteckte ihn ein.

»Da hätten wir unseren Fluchtwagen«, stellte er fest.Im Erdgeschoss war kein Lebenszeichen zu verneh-

men. Die Treppe konnte zu einer gefährlichen Fallewerden. Vorsichtig stiegen sie hinauf, wobei sie jeder-zeit damit rechneten, dass jemand oben auf den Trep-penabsatz sprang und eine Waffe auf sie richtete.

Im oberen Stockwerk gab es drei Schlafzimmer undein Bad. Die zwei Geiseln saßen im Hauptschlafzim-mer. Die beiden Achtjährigen, Jake und Laura, warenan einen Bettpfosten gefesselt und geknebelt. Sie tru-gen schmuddelige T-Shirts und Jeans.

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James und Bruce zogen ihre Jagdmesser hervor undschnitten die Kinder los. Für eine Begrüßung blieb kei-ne Zeit.

»Laura«, rief James. »Wann hast du die Typen dasletzte Mal gesehen? Hast du eine Ahnung, wo sie seinkönnten?«

Lauras Gesicht war gerötet und sie wirkte schlapp.»Keine Ahnung«, gab sie zurück. »Aber ich muss

dringend aufs Klo.«Bruce und James hatten erwartet, dass sie kämpfen

mussten, um sie zu befreien. Das hier war viel zu leicht.»Wir bringen euch zum Auto«, sagte James.Laura humpelte zum Bad. Ihr Knöchel war verbun-

den.»Wir haben keine Zeit für Pipipausen«, keuchte

James. »Die haben Waffen und wir nicht.«»Ich mach mir gleich in die Hose«, gab Laura zurück

und schloss sich im Bad ein.James war wütend. »Dann aber schnell!«»Ich muss auch mal!«, meldete sich Jake zu Wort.Bruce schüttelte den Kopf. »Ich will nicht, dass du

verschwindest. Du kannst in der Garage in die Eckepinkeln, während ich das Auto starte.«

Er führte Jake nach unten. James wartete eine hal-be Minute, bevor er an die Badezimmertür klopfte.

»Komm schon, Laura, warum zum Teufel brauchstdu so lange?«

»Ich wasche mir die Hände«, sagte Laura. »Ich konnteerst die Seife nicht finden.«

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James konnte es nicht glauben. »Um Himmels wil-len!«, schrie er und hämmerte mit der Faust gegen dieverschlossene Tür. »Wir müssen hier raus!«

Endlich humpelte Laura aus dem Bad. James warfsie sich über die Schulter und sprintete zur Garage hi-nunter. Bruce saß schon am Steuer des Wagens. Laurasetzte sich zu Jake auf den Rücksitz.

»Er ist kaputt!«, schrie Bruce, sprang aus dem Wa-gen und trat gegen den Kotflügel. »Der Schlüssel lässtsich nicht drehen. Der Tank ist aber voll. Ich weiß nicht,woran es liegt!«

»Er ist präpariert worden«, rief James zurück. »JedeWette, dass das eine Falle ist!«

Bruce sah belämmert drein, als ihm die Wahrheitdämmerte.

»Du hast Recht. Los, verschwinden wir.«James beugte sich zu Jake und Laura: »Tut mir Leid,

ihr zwei. Sieht so aus, als müssten wir zu Fuß abhau-en.«

Aber es war zu spät. James hörte das Geräusch, under konnte sich nur noch umdrehen, um die Waffe zusehen, die auf ihn gerichtet war. Er fühlte, wie zweiGeschosse seine Brust trafen. Der Schmerz verschlugihm den Atem. Er stolperte zurück und sah, wie roteStreifen sein T-Shirt hinunterliefen.

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2.

Aus nächster Nähe abgeschossen, ließ die nächsteFarbkugel James nach hinten auf den Betonbodenstürzen. Kerry Chang hielt die Waffe auf ihn gerichtet,während sie näher kam. James hob die Hände.

»Ich ergebe mich.«»Wie bitte?«, fragte Kerry und schoss eine vierte Farb-

kugel auf James’ Hüfte.Die Farbkugeln verursachten zwar keine bleiben-

den Schäden, doch aus so kurzer Distanz abgefeuert,schmerzten sie gewaltig, sodass James sich auf demBoden wand.

»Kerry, bitte nicht noch mal«, keuchte er. »Das tutrichtig weh!«

»Wie bitte?«, sagte Kerry. »Ich kann dich nicht ver-stehen.«

Sie stand breitbeinig über James und richtete denLauf der Farbkugelpistole auf ihn. Auf der anderenSeite des Wagens schrie Bruce auf, als Gabrielle zumwiederholten Mal auf ihn schoss.

Kerry feuerte aus einem Abstand von weniger als ei-nem Meter auf James’ Magen, sodass er sich zusam-menkrümmte.

»Du dumme Kuh!«, heulte James. »Du hättest mirein Auge ausschießen können! Du darfst nicht mehrschießen, wenn ich mich ergeben habe!«

»Du hast dich ergeben?«, grinste Kerry. »Das habe

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ich missverstanden. Ich dachte, du hättest gesagt:›Bitte schieß noch mal auf mich.‹«

Die Mädchen legten ihre Pistolen auf das Autodach.»Na, haben wir euch den süßen kleinen Hintern ver-

sohlt oder haben wir euch den süßen kleinen Hinternversohlt?«, jubelte Gabrielle mit ihrem starken jamai-kanischen Akzent.

James versuchte, sich aufzurappeln, und hielt sichdie Hände vor den Bauch. Der Schmerz war schlimm,aber bei einer dummen Übung gegen die Mädchen zuverlieren, war hundertmal schlimmer.

Das elektrisch betriebene Garagentor fuhr hoch. Ge-gen das Mondlicht zeichnete sich die Silhouette einesgroßen Mannes ab. Es war Norman Large, der Trai-ningsleiter von CHERUB. Er hielt den Rottweiler ander Leine.

»Gut gemacht, meine Damen«, rief Mr Large. »Ihrhabt eure hübschen Köpfchen diesmal gut genutzt.«

Kerry und Gabrielle strahlten. Mr Large hielt erst an,als seine Stiefel Größe sechsundfünfzig fast James’Bein berührten. James hielt sich die Hand vors Gesicht,um den stinkenden Atem des knurrenden Hundes nichtinhalieren zu müssen.

»Das Vieh wird mich doch nicht beißen, oder?«, fragteer.

Mr Large lachte. »Zum Glück für dich und Brucewurde Thatcher darauf trainiert, jemanden nur zu Bo-den zu werfen und dort festzuhalten und nie zu beißen.Bei ihrem Bruder Saddam ist das allerdings anders. Er

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wurde abgerichtet, zuzufassen. Hättet ihr gegen Sad-dam antreten müssen, hätten wir Fleischfetzen von derWiese klauben können. Unglücklicherweise erlaubt derVorstand nicht, dass ich ihn einsetze… Und jetzt hochmit dir, James! Gabrielle, hilf dem anderen kleinenIdioten auf die Beine.«

Bruce humpelte um das Auto herum, wobei er sich aufdem Kühler abstützte. Die gelbe Farbe aus GabriellesPistole lief an seinen Beinen herunter. Beide Jungenstellten sich mit dem Rücken an den Wagen. Dannbrüllte ihnen Mr Large ins Gesicht: »Sagt mir, was ihralles falsch gemacht habt!«

»Ich weiß nicht…«, meinte James achselzuckend.Bruce sah zu Boden.»Lasst uns ganz vorne anfangen«, tönte Mr Large.

»Warum habt ihr so lange bis zum Haus gebraucht?«»Wir sind die ganze Zeit gejoggt«, erklärte James.»Gejoggt?«, schrie Mr Large. »Wenn ich mit vorge-

haltener Pistole als Geisel festgehalten werde, erwarteich, dass meine Retter wenigstens die Freundlichkeithaben, mir zu Hilfe zu rennen.«

»Aber es ist knallheiß da draußen«, wandte Jamesein.

»Ich wäre ja gerannt«, warf Bruce ein, »aber Jameswar nach zehn Minuten außer Atem.«

James sah Bruce böse an. Die Teampartner solltenzusammenhalten und sich nicht bei der ersten Gele-genheit gegenseitig in den Rücken fallen.

»Du schaffst es also nicht, lächerliche zehn Kilome-

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ter zu rennen, James?«, sagte Mr Large mit einem fie-sen Grinsen. »Du bist scheinbar etwas außer Form ge-raten in diesem Urlaub hier draußen in der Sonne.«

»Ich bin fit«, widersprach James. »Es ist nur dieHitze.«

»Und weil ihr so lange hierher gebraucht habt, wares schon dunkel, als ihr angekommen seid, was das Er-kunden der Umgebung viel schwieriger machte alsnotwendig. Nicht dass das etwas ausgemacht hätte, daihr sie sowieso nicht gründlich genug erkundet habt.«

»Ich habe mir die Anlage durch den Zaun hindurchgenau angesehen«, verteidigte sich James.

Large ließ seine Faust aufs Autodach knallen.»Das soll eine Erkundung sein? Was hat man euch

beiden beigebracht?«»Bevor man feindliches Gebiet betritt, sollte man

eine gründliche Erkundung durchführen und das Ge-bäude von allen Seiten untersuchen«, antwortete Brucemechanisch. »Nach Möglichkeit sollte man auf einenBaum klettern oder auf höher gelegenes Gelände stei-gen, um sich einen Überblick über die Anlage des Ge-bäudes zu verschaffen.«

»Wenn du dich so gut daran erinnerst, was im Trai-ningshandbuch steht, Bruce, warum hat dir dann einflüchtiger Blick durch den Zaun ausgereicht?«

Bruce und James machten betretene Gesichter. Kerryund Gabrielle sahen vergnügt zu, wie sich die Jungenwanden.

»Hättet ihr das Gelände richtig ausgekundschaftet,

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wäre euch vielleicht der Hundezwinger aufgefallen.Vielleicht wäre euch auch eine clevere Strategie zumEindringen und zu eurem Abgang eingefallen, anstatteinfach zum Haus zu kriechen und das Beste zu hoffen.Als ihr die Geiseln hattet, habt ihr euch entschlossen,mit dem Auto zu fliehen. Ist es euch nicht in den Sinngekommen, dass das Auto die offensichtlichste allerFluchtmöglichkeiten bot und somit höchstwahrschein-lich eine Falle darstellte? Oder wart ihr von der Vor-stellung geblendet, mit quietschenden Reifen einekleine Spritztour zu machen?«

»Es war schon etwas offensichtlich…«, gab James zu.»Warum wolltet ihr dann damit fliehen?«, schrie

Large.»Ich… aber… Es wurde mir erst richtig klar, als Kerry

auf mich geschossen hat.«»Das ist wohl die schlechteste Trainingsleistung, die

ich je gesehen habe!«, tobte Large. »Ihr beide habtalles außer Acht gelassen, was ihr im Unterricht ge-lernt habt. Wäre dies eine reale Operation gewesen,wärt ihr beide jetzt tot. Ihr bekommt beide eine Sechs,und James, dich setze ich auf einen Fitness-Notplan.Täglich zehn Kilometer laufen, und da dich die Hitzeso stört, lasse ich dich anfangen, wenn es noch schönkühl ist. Ist dir fünf Uhr morgens recht?«

James war klug genug, keine Antwort zu geben, dadas nur Liegestützen zusätzlich einbrachte. Mr Largetrat zurück und holte tief Luft. Nach all der Brüllereisah sein Kopf aus wie eine Himbeere.

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»Welche Note bekommen Gabrielle und ich?«, fragteKerry mit ihrer kriecherischsten Stimme.

»Eine Zwei«, brummte Large. »Ihr habt einen ver-dammt guten Job gemacht, aber ich kann euch keineEins geben, weil ihr gegen so schwache Gegner ange-treten seid.«

Gabrielle und Kerry grinsten sich an. James hättegerne ihre eingebildeten Köpfe zusammengeschlagen.

»Gut. Zeit, zum Wohnheim zurückzugehen«, meinteLarge. »Bruce, ich brauche den Autoschlüssel.«

Bruce warf ihn hinüber.»Das funktioniert nicht«, warnte Gabrielle. »Das ist

der Haustürschlüssel der Villa. Ich habe ihn an denMercedes-Schlüsselanhänger gehängt, damit er aus-sieht wie ein Autoschlüssel. Hier ist der Richtige.«

Mr Large fing den richtigen Schlüssel auf und ver-staute Thatcher, die Hündin, auf dem Beifahrersitz. Gabrielle und Kerry quetschten sich mit den beidenAchtjährigen auf den Rücksitz.

»Zu dumm«, grinste Mr Large, als sein schwererKörper auf den Fahrersitz sank. »Es ist nicht genugPlatz im Auto. Es scheint, als müssten James und Brucealleine zurückfinden.«

»Aber wir sind Ewigkeiten im Lieferwagen gefah-ren, bevor man uns abgesetzt hat«, beschwerte sichJames. »Ich habe keine Ahnung, wie wir von hier auszum Wohnheim zurückfinden sollen.«

»Das ist schrecklich traurig«, erwiderte Mr Largesarkastisch. »Ich sage euch was: Wenn ihr es vor Mit-

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ternacht zum Wohnheim schafft, werte ich eure Notezu einer Vier auf, und ihr müsst die Übung nicht wie-derholen.«

Mr Large drehte den Schlüssel im Zündschloss unddas Auto rollte los. Thatcher streckte den Kopf zumFenster hinaus und kläffte laut, als der Wagen die Kies-auffahrt hinunterfuhr. James und Bruce sahen sich be-treten an.

»Ich glaube, es ist gar nicht so schwer«, meinte Bruce.»Es sind noch drei Stunden bis Mitternacht und es gehtnur bergab.«

James sah erbärmlich drein. »Meine Beine fühlensich an wie Betonklötze!«

»Gut«, sagte Bruce. »Ich laufe schon mal los. Dukannst das hier ja gerne noch mal machen; ich ganzsicher nicht.«

»Was ich einfach nicht glauben kann«, stellte Jamesfest, »ist, dass mir jeder gesagt hat, ich solle mich zu-sammenreißen, und ich habe nie darauf gehört.«

3.

Wenn sie nicht auf Mission sind, verbringen alle Kin-der von CHERUB im Sommer fünf Wochen auf der Mit-telmeerinsel C. Das sind zum größten Teil Ferien: Mankann am Strand spielen, Sport treiben, mit Quad-Rädernin den Sanddünen fahren und sich einfach wie ein nor-

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males Kind verhalten. Aber CHERUB-Kinder sind kei-ne normalen Kinder, jederzeit können sie auf eine Un-dercover-Mission geschickt werden. Selbst im Urlaubmüssen sie fit bleiben und gelegentlich ein Trainingabsolvieren.

Wie vielen anderen Cherubs vor ihm fiel es auchJames mit einem Strand vor der Tür und vielen ande-ren Kindern, mit denen man spielen konnte, leicht, ab-zuschalten. In den letzten vier Wochen hatte er das Fit-nesstraining ausgelassen. Tagsüber hatte er sich amStrand herumgetrieben und nachts DVD-Marathonsabgehalten und sich mit Popcorn und Schokolade vollgestopft. Als James die Unterlagen für die Übung be-kam, ignorierte er Kerrys Empfehlung, sie gründlich zulesen, und ging lieber Jetski fahren.

James dachte über seine Nachlässigkeit nach, wäh-rend er durch die stickige Nachtluft zum CHERUB-Wohnheim zurückschlenderte. Die Fitnesstrainer wür-den ihm das Leben zur Hölle machen. Wenn manihnen einen Grund gab, ließen sie einen nicht eher inRuhe, bis man wieder in Hochform war. James hattekeine Entschuldigung: Amy, Kyle und viele seiner Leh-rer hatten ihm geraten, zu trainieren und die Übungenwirklich ernst zu nehmen, aber sobald er den Strandgesehen hatte, hatte er jegliches Verantwortungsge-fühl verloren.

Obwohl sie sich ein paarmal verliefen, schafften esJames und Bruce, vor Mitternacht nach Hause zu kom-men. James hatte einen aufgeschürften Ellbogen, weil

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er in der Dunkelheit über ein Schlagloch gestolpert war,und sie waren beide am Verdursten.

Eine Gruppe älterer Kinder feierte im Garten vordem Wohnheim eine Grillparty im Mondschein. AmyCollins, eine hübsche Sechzehnjährige mit langen blon-den Haaren, lief über den Rasen, als sie James sah. Sietrug kurze Jeans und ein geblümtes Top, das geradebis zu dem Goldring in ihrem Nabel reichte.

»Schicker Anstrich, Jungs«, kicherte sie. »Gabrielleund Kerry haben erzählt, sie hätten mit euch den Bo-den aufgewischt.«

»Du bist ja betrunken«, sagte James.Es war nicht erlaubt, Alkohol zu trinken, doch das

CHERUB-Personal drückte bei den älteren Kindernein Auge zu, solange sie nicht aus der Rolle fielen.

»Nur ein ganz kleines bisschen«, erwiderte Amy.»Wir sind mit einem Boot rausgefahren und habenFisch gefangen.«

Sie breitete die Arme aus, um zu zeigen, wie großder Fisch war, verlor dabei aber fast das Gleichgewichtund bog sich vor Lachen.

»Wollt ihr gegrillten Fisch?«, stieß sie hervor. »Undes gibt frisches Brot aus dem Dorf.«

»Es ist schon spät«, sagte James kopfschüttelnd.»Wir gehen besser duschen.«

»Wir haben das ganze Meer leer gefischt«, kicherteAmy. »Egal, ich muss dringend aufs Klo. Ich seh euchzwei Scheißer morgen früh!« Dann hielt sie inne unddrehte sich noch einmal um.

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»Oh, James.«»Was ist?«»Ich hab’s dir ja gesagt.«James streckte ihr den Mittelfinger entgegen und

marschierte mit Bruce im Schlepptau zum Hauptein-gang des Wohnheims. Je weniger andere Cherubs sietrafen, umso weniger würden sie wegen der verpatz-ten Übung aufgezogen werden. Als sie am Aufent-haltsraum vorbeikamen, wo sich etwa dreißig Kinderauf einer Leinwand einen Horrorfilm ansahen, duck-ten sie sich. Ein paar kleine Kinder in roten T-Shirtskicherten über ihre farbverschmierten Kleider, als dieJungen die Treppe hinauf in den zweiten Stock zuihrem Zimmer gingen, das sie sich mit Gabrielle undKerry teilten.

Der Raum war L-förmig. Das Bett der Mädchenstand an einem Ende und das der Jungen um die Eckeam anderen. Im Vergleich zu ihren Einzelzimmern aufdem CHERUB-Campus war das Zimmer sehr einfach:Es hatte einen Deckenventilator, Ziegelfußboden,Rohrstühle und einen kleinen Fernseher. Doch dasspielte kaum eine Rolle, da die Kinder ständig be-schäftigt waren und den Raum fast nur aufsuchten, umsich zu waschen und zu schlafen.

Kerry und Gabrielle waren schon seit Stunden zu-rück. Im Fernsehen lief eine Folge der Simpsons aufSpanisch, was beide Mädchen verstanden. Sie schwie-gen und kommentierten nicht einmal den Schweißge-ruch, der James und Bruce umgab.

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»Nun?«, fragte James.Kerry lächelte unschuldig. »Nun was?«»Ich weiß, dass ihr euch über uns lustig machen

wollt«, sagte James, setzte sich aufs Bett und zog seineTurnschuhe aus. »Also los, bringt es hinter euch! Reibtes uns schön unter die Nase!«

»Das würden wir nie tun«, wehrte Gabrielle ab. »Wirsind nette Mädchen.«

»Für’n Arsch«, erwiderte Bruce.Kerry setzte sich auf ihrem Bett auf. Sie sah ganz

rosa und verschrumpelt aus, als ob sie gerade ein lan-ges Bad genommen hätte. James ließ sein dreckigesPolohemd auf den Boden fallen.

»Bringt das besser in die Reinigung, wenn ihr ge-duscht habt«, meinte Kerry. »Ihr verpestet das ganzeZimmer.«

»Wenn dir mein Gestank nicht passt, dann bring dudas Zeug doch in die Wäscherei«, gab Bruce zurückund kickte seine Turnschuhe weg. Dann knüllte erseine dreckigen Socken zusammen und ließ sie aufKerrys Bettdecke fallen. Sie schubste sie mit dem Endeeines Kugelschreibers fort.

»Warum habt ihr denn so lange gebraucht bis hier-her?«, fragte Kerry und versuchte, nicht zu grinsen.

Gabrielle konnte sich das Lachen nicht verknei-fen.

»Warum lachst du?«, fragte James. »Es sind vierzehnKilometer von hier bis zur Villa. Als ob ihr zwei dasschneller geschafft hättet!«

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»Die sind so blöd«, jaulte Gabrielle, »ich glaub’s ein-fach nicht!«

»Was?«, fragte James. »Wieso blöd?«»Habt ihr das Haus gecheckt?«, grinste Kerry.»Dazu hatten wir keine Zeit«, erklärte Bruce. »Wir

mussten doch vor Mitternacht zurück sein.«»Im Küchenschrank lag jede Menge Geld«, sagte

Kerry.»Und was hätte uns das genutzt?«, fragte Bruce.»Es gab auch ein funktionierendes Telefon«, fuhr

Kerry fort. »Und sogar ein Telefonbuch.«James wurde ungeduldig. »Na und?«»Wir sind hier nicht in der Inneren Mongolei«, er-

innerte ihn Gabrielle und hielt ihre Hand wie einenTelefonhörer ans Ohr. »Warum habt ihr euch nicht ein-fach ein Taxi gerufen?«

»Hä?«, japste James, fuhr herum und sah Bruce ent-geistert an.

»Taxi«, schnaubte Kerry, die vor Lachen kaum spre-chen konnte. »T-A-X-I, wie ein normales Auto, miteinem Mann, der dich fährt, und einer kleinen gelbenLampe auf dem Dach.«

»Oh…«, machte James bitter und sah Bruce an.»Warum haben wir uns kein Taxi genommen?«

»Sieh mich nicht so an«, schnaubte Bruce. »Du hastauch nicht daran gedacht.«

Gabrielle hatte sich zusammengerollt und lachte,dass ihr Bett wackelte.

»Ihr zwei Blödmänner seid vierzehn Kilometer ge-

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laufen, obwohl ihr euch ein Taxi hättet rufen könnenund in einer Stunde hier gewesen wärt!«, rief Kerry undstrampelte vor Vergnügen mit den Beinen in der Luft.

James’ Socken waren vom langen Laufen blutig.Sein Rücken und seine Schultern schmerzten vom Tra-gen des Rucksacks, sein Ellbogen tat höllisch weh, undsein Bein roch immer noch nach Hundekot, obwohl erihn abgewaschen hatte. Eines Tages würde er viel-leicht darüber lachen können, aber im Moment war erkurz davor zu explodieren.

»Was für ein Mist!«, rief er und warf seine Turnschu-he an die Wand.

Er trat gegen seinen Schrank, aber er war müde, ver-lor das Gleichgewicht und landete auf dem Fußboden,was die Mädchen zu noch lauterem Gelächter veran-lasste. Bruce sah mindestens genauso wütend aus, ver-wendete seine Energie jedoch lieber darauf, sich aus-zuziehen und in Richtung Dusche zu marschieren.

»Bitte gebt uns zwei Minuten, bevor ihr da reingeht«,bat Kerry, die sich die Tränen aus den Augen wischte.»Ich will gleich ins Bett. Kann ich mir noch schnell dieZähne putzen?«

»Mach schon«, knurrte Bruce, »aber brauch nicht dieganze Nacht!«

Kerry tapste barfuß ins Bad und drückte die Zahn-pasta aus der Tube. Bruce und James warteten in Un-terhosen an der Tür, während sie sich die Zähne putz-te. Kerry versuchte, nicht zu lachen, konnte jedochnicht widerstehen, noch eine Stichelei loszuwerden:

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»Vierzehn Kilometer«, quietschte sie und versprühtevor Lachen die Zahnpasta auf dem Badezimmerspie-gel.

Bruce hatte genug von der Hänselei. »Drehen wirden Spieß doch mal um!«, schrie er.

Als Kerry sich zum Wasserhahn neigte, um ihrenMund auszuspülen, tunkte Bruce ihr den Kopf nachunten. Eigentlich wollte er ihr nur einen Schubs geben,sodass sie das Wasser ins Gesicht bekam, aber er stießzu hart zu. Kerrys Schneidezahn traf auf den Wasser-hahn und sie sprang wütend zurück.

»Idiot!«, wütete sie und fühlte in ihrem Mund nach.»Ich glaube, du hast mir ein Stück Zahn ausgebro-chen!«

Bruce erkannte zwar, dass er zu weit gegangen war,aber er dachte nicht daran, sich bei jemandem zu ent-schuldigen, der ihn die letzten zehn Minuten bis aufsBlut gereizt hatte.

»Gut so«, fuhr er auf. »Geschieht dir recht!«Kerry griff nach einem Wasserglas auf dem Wasch-

becken und warf es Bruce an den Kopf. Der duckte sichund das Glas zerschellte an der Wand.

»Beruhigt euch«, sagte James. »Es ist nicht wert, dassihr euch streitet.«

»Glaubst du vielleicht, dass mir ein neuer Zahnwächst?«, schrie Kerry aufgebracht.

Sie trat vor und versetzte Bruce einen heftigen Stoß.Der nahm Kampfhaltung an.

»Willst du Schläge?«, rief er.

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Kerry sah wütend drein, als sie ihre Lippen am Ärmelihres Nachthemds abwischte.

»Wenn du dir heute schon zum zweiten Mal den Hin-tern von einem Mädchen versohlen lassen willst, nurzu«, forderte sie ihn auf.

James drängte sich zwischen die beiden Streithähne.Er war größer und kräftiger als beide.

»Geh mir aus dem Weg, James!«, verlangte Bruce.»Ich werde es Bruce zeigen, ob du willst oder nicht«,

stellte Kerry fest und durchbohrte James mit ihren Bli-cken. »Wenn du mir in die Quere kommst, kriegst duauch was ab.«

An Kraft war James Kerry und Bruce überlegen, zumBeispiel beim Armdrücken, aber bei einem Kampf kames mehr auf die Geschicklichkeit an. Kerry und Brucemachten seit fünf Jahren Kampftraining bei CHERUB,James dagegen war erst vor knapp einem Jahr dazu-gekommen. Gegen die beiden würde er alt aussehen.

»Ihr kämpft nicht«, sagte er nicht sehr überzeugend,in der Hoffnung, dass Kerry bluffte. »Ich bleibe hierstehen.«

Kerry trat vor, zog ihm die Füße weg und stach ihnmit zwei Fingern in die Rippen. Das war eine Grund-technik, um jemanden zu Fall zu bringen, ohne ihnernsthaft zu verletzen. James krabbelte zu seinemBett, während sich hinter ihm die Gewalt Bahn brach.

Nachdem Kerry James aus dem Weg geschubst hatte,hatte sie für einen Moment das Gleichgewicht ver-loren. Bruce nutzte den Vorteil, um Kerry mit einem

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Schlag außer Gefecht zu setzen. Kerry stolperte vor-wärts und rang nach Luft. Im Fernsehen lief die Schluss-musik der Simpsons.

Bruce dachte schon, der Kampf wäre so gut wie ge-wonnen. Er versuchte, Kerry in den Schwitzkasten zunehmen, aber Kerrys momentane Schwäche täuschte:Schnell hatte sie ihr Gleichgewicht wieder, drehte sichweg, hakte einen Fuß um Bruces Knöchel und zog ihmdie Beine weg.

James kletterte auf seine Matratze, halb geschockt,halb interessiert, wer gewinnen würde. Weder er nochGabrielle konnten Hilfe holen, da die Kämpfer die Türblockierten.

Nachdem sie auf dem Boden gelandet waren,schrumpfte jahrelanges Selbstverteidigungstraininginnerhalb weniger Sekunden auf das Niveau zweierbetrunkener Raufbolde in der Gosse zusammen. Brucehatte eine von Kerrys Haarsträhnen um die Hand ge-wickelt und sie fuhr ihm mit den Fingernägeln durchsGesicht. Sie schlugen um sich, verfluchten sich gegen-seitig und krachten schließlich in den Fernsehtisch. Beiden ersten Schlägen rutschte der Fernseher an denRand des Tisches, beim dritten fiel er mit der Front zu-vorderst zu Boden. Das Glas des Bildschirms knackteund orangefarbene Funken stoben über den Boden.Einige trafen Bruces und Kerrys nackte Beine, danngingen die Lichter aus und die Deckenventilatorenblieben stehen.

James sah aus dem Fenster. Auch draußen waren

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Robert Muchamore

Top Secret 2 - Heiße Ware

eBookISBN: 978-3-641-12000-9

cbt

Erscheinungstermin: Mai 2013

In den Fängen der Drogenmafia. Sein Name ist Adams. James Adams. Und er ist Mitglied der Spezialeinheit CHERUB desbritischen Geheimdienstes, die Jugendliche zu Undercover-Agenten ausbildet. James neuesterAuftrag führt ihn in die Welt der Drogenmafia: Er soll Beweise gegen den internationaleinflussreichsten Drogenboss Keith Moore beschaffen, der skrupellos Kinder für seine Zweckemissbraucht. Tatsächlich gelingt es ihm, dessen Geschäftsverbindungen auszuspionieren. Alsdas Drogenkartell Wind von der Sache bekommt, schwebt James in Gefahr … Fesselndes Lesefutter mit Tiefgang - speziell für Jungs.