resistenz und allergie gegen tuberkulose

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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT x7. JAHRGANG Nr. 2I 21. MAI x938 RESISTENZ UND ALLERGIE GEGEN TUBERKULOSE*. Won WALTER SEIFFERT. Unsere Kenntnisse fiber das Wesen der Tuberkulose- immunit~t haben in den letzten Jahren unter den verschieden- sten Gesichtspunkten Erweiterung und Ausgestaltung er- fahren : I. Die hohe 13ewertung der natfirliehen Anslese, die sich in den letzten Jahren in Deutschland Bahn brach, hat -- ge- stfitzt auf die Zwillingsuntersuchungen yon DIEHL nnd v. ~,rERSCHUERtiber die erbliche 13edingtheit der Tuberkulose sowie auf die fach~rztlichen Erhebungen insbesondere yon I~LARE fiber die Bedeutung der angeborenen Konstitution -- die natfirliche Resistenz, deren fiberragende Rolle im tuber- kuI6sen Geschehen bisher in erster Linie yon der experimen- tellen Forschung betont wurde (NEuI~ELD, B. LANGE U. a.), auch in den Vordergrund der klinisehen Betrachtung gertickt, und zwar nicht nut bei der Bewertung ganzer Bev61kerungs- gruppen, sondern auch bei der 13eurteilung des Einzelfalls (LYDTIN, ICKERT U. a.). 2. Auf der anderen Seite haben 13. LANCE, SELTER, PAGEL, LURIE, JENSEN und HOLM U. a., insbesondere jedoeh BIELING und sein Mitarbeiter SCHWARTZ~ in grogen Versuchsreihen sowohl in immunbiologischer wie morphologischer Richtung neues Beweismaterial Ifir den gtinstigen Effekt der spezi- fischen Vorbehandlung gegen Tuberkulose herbeigeschafft. 3- Schliel31ich haben die Bemtihungen um eine chemische Analyse der Tuberkelbacillen (ANDERSEN, SEIBERT, SAraN, LINDNER, MASCIIMANN USW.) Ergebnisse gezeitigt, die ge- eignet sind, die antigenen Funktionen der Tuberkelbacillen im Organismus unserem VerstXndnis erheblich n~herzu- bringen. Allerdings gehen die SchluBfolgerungen, zu denen die einzelnen Autoren gelangen, weir auseinander. Auf der einen Seite erkl~irt LYDTIN mit klarer Bestimmtheit: ,,Der einzelne gewinnt durch das ~berstehen der Infektion praktisch nichts hinzu." AuI der anderen Seite ist z. B. SChWArTZ in der Lage, seine Kaninchenversuche fiber den Ablanf der intra- trachealen Infektion folgendermagen zusammenzufassen : ,,Alle vorbehandelten Tiere haben die intratracheate In- fektion fiberlebt, w~hrend die nichtvorbehandetten intra- tracheal infizierten Tiere an den Folgen der Infektion bis zum Ende des 2. Monats eingingen." Solche Divergenzen k6nnen aber immer nur ein AnlaB sein, das Tatsachenmaterial, das die einzelnen Forscher zusammentrugen, vergteichend neben- einanderzustellen, tells um die Zusammenh~nge zu finden, die ohne Zweifel vorhanden sind, teils um die Lficken fest- zustellen, die es durch weitere Forschung auszuffillen gilt. I. Es ist in den letzten Jahren in der Tuberkutoseforschung fiblich geworden, yon einer Durchseuchungsresistenz zu reden. Leider sehlieBt dieser Begriff in Anbetracht seiner Viel- deutigkeit manche Unklarheit in sich ein. W~hrend die einen Autoren yon einer e~worbenen Durchseuchungsresistenz spre- chen, die als eine J~'otge der fiberstandenen pers6ntichen In- fektion aufgefaBt wird, denken die anderen an eine angeborene Resistenz, die im Individuum bereits vet der Infektion ge- geben ist auf Grund yon Anlagen, die yon frtiheren Genera- tionen im I~aule allgemeiner Durchseuchung als besonders widerstandsfRhig ausgelesen und vererbt worden sind. Es * Nach einem Referat vet dem Wissenschaftlichen Rat des Westdeutschen Tuberkulose- forschungsinstituts, Dfisseldorf, den 5. IL x938. Ktlnische Wochenschriff, 17. Jahrg. OBERSICHTEN. w~re gut, in jedem Tall scharl zwischen der allergischen t~esistenz, die durch die individuelle Infektion erworben wird (gleichviel ob man eine echte Immunit~t oder nur eine allergische Entzfindungsbereitschaft im Auge hat), und der na~i~rlicr~en Resistenz, die (trotz allen ~Vechselwirkungen mit den jeweiligen Einfltissen der Umwelt) genetisch bedingt ist, zu unterscheiden. Aber auch die natfirliche Resistenz werden wir noch weiter differenzieren mfissen. Denn wenn sic auf der einen Seite selbstverst~ndlich auch jene allyeaneine Widerstands- f~ihigkeit in sich schlieBt, die bei jeder Erkrankung, gleich- viel welcher Ntiologie, eine Rolle spielt, so scheint doch das V~resentliche gerade ifir den Ablaut der Tuberkulose eine ziemlich spezialisierte ~Viderstandsfghigkeit zu sein, die nicht dutch den EinfluB allgemeiner Lebensbedingungen wie Klima, Ern{ihrung, Arbeit usw., sondern eben durch die spezielle Auslese einer tuberkul6sen Durchseuchung yon Generationen hervorgerufen worden ist. Man braueht darum noch nicht sogleich an die Ausmerze eines spezifischen Tuber- kulosefaktors oder die erbliehe Erhaltung einer spezifischen Tnberkuloseimmunitgt zu denken -- es gibt auch unspezi- Iische Faktoren, die einer Atlgemeinerkrankung gegentiber eine ganz besondere Belastung bedeuten and bei einer all- gemeinen Durchseuchung mehr oder weniger ausgeschaltet werden k6nnen (vgl. GEISSLXRSMitteilungen fiber die erh6hte allgemeine AnfXlligkeit in tuberkuI6s belasteten Familien). Es leuchtet wohl ohne weiteres ein: 13ever wit den Effekt einer Vorbehandlung werten k6nnen, mtissen wir den Ein- flul3 klgren, den diese nattirliehe Resistenz auf unsere Er- gebnisse gehabt haben kann. Das gilt zun~ichst ffir aim Tier- versuche. Ober die 13edeutung der individuelten Differenzen in der Widerstandsfiihigkeit unserer Versuchstiere gegen Tuberkulose besteht gar kein Zweifel (UHLENHVTH, NEU- FELD, LANGE, SF.LTER USW.). DaB sie einer Auslese durch Durchseuchung zug~nglich sind, und zwar einer Auslese ant vererbbare Widerstandsfghigkeit bin, zeigen (neben den nicht ganz einwandfreien Versuchen yon LAMBERT oder IRWIN, SCHOTT und WEBSTER mit Hfihnertuberkulose) die Meer- schweinchenversuche yon WPaG~T und LEWIS; bezeichnender- weise ist abet nut die i~ffSglieM~eit einer experimentellen Auslese au] relative Resistenz bin al# erwiesen anzusehen (vgl. BRAD- FORD HILL). Nun steht uns aber bei unseren Tierversuchen ein aus- gelesenes Material nicht zur Verftigung. Die Auslese finder erst im Lanfe unseres Versuches start, d. h. die einen Tiere erkranken schwer, die anderen leicht, die einen akut, die anderen chronisch -- und wenn wir lesen, dab es gerade die chronisch erkrankten Tiere sind, die sich gegen eine Reinfek- tion geschfitzt zeigen (z. t3. bei R6MER), SO tauehen sofort Bedenken auf, ob dieser Schutz gegen die (minimale) Re- infektion nieht weitgehend ein Ausdruck jener Resistenz ist, die bereits der Ers• ihren chronisehen Charakter verlieh (~hnlich G. SCHR(SDER). Bei jedem Tierversuch, mag er nun kleine oder grebe Versuchstiere betreffen, haben wit mit den gleichen exogenen nnd endogenen Fehlerquellen zu rechnen wie bei der 13eurteilung einer menschlichen Schutz- impfung und mfissen daher an seine statistische Auswertnng die gleichen Anforderungen stellen. Infolgedessen sind viele (insbesondere dltere) Versuche, die man ]ahrzehntelang als ein- wand]reie Belege ]i~r die Existenz elner echten ,,In]ektions- immunitdit" gegen Tuberkulose angesehen hat, heute mit erheb- lich grSflerer Vorsieht hinzunehmen. Weiterhin erschwert nns die beim Menschen stattgehabte Anslese aueh unsere Ri~cksehli~sse yon dem nichtausgelesenen Material unserer Versuchstiere aus. Jeder Mensch, der eine 5~

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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT x7. J A H R G A N G Nr. 2I 21. M A I x938

RESISTENZ UND ALLERGIE GEGEN TUBERKULOSE*.

Won

WALTER SEIFFERT.

Unsere Kenntnisse fiber das Wesen der Tuberkulose- immuni t~t haben in den letzten Jahren unter den verschieden- sten Gesichtspunkten Erweiterung und Ausgestaltung er- fahren :

I. Die hohe 13ewertung der natfirliehen Anslese, die sich in den letzten Jahren in Deutschland Bahn brach, hat - - ge- stfitzt auf die Zwillingsuntersuchungen yon DIEHL nnd v. ~,rERSCHUER tiber die erbliche 13edingtheit der Tuberkulose sowie auf die fach~rztlichen Erhebungen insbesondere yon I~LARE fiber die Bedeutung der angeborenen Konsti tution - - die natfirliche Resistenz, deren fiberragende Rolle im tuber- kuI6sen Geschehen bisher in erster Linie yon der experimen- tellen Forschung betont wurde (NEuI~ELD, B. LANGE U. a. ) , auch in den Vordergrund der klinisehen Betrachtung gertickt, und zwar nicht nu t bei der Bewertung ganzer Bev61kerungs- gruppen, sondern auch bei der 13eurteilung des Einzelfalls (LYDTIN, ICKERT U. a . ) .

2. Auf der anderen Seite haben 13. LANCE, SELTER, PAGEL, LURIE, JENSEN und HOLM U. a., insbesondere jedoeh BIELING und sein Mitarbeiter SCHWARTZ~ in grogen Versuchsreihen sowohl in immunbiologischer wie morphologischer Richtung neues Beweismaterial Ifir den gtinstigen Effekt der spezi- fischen Vorbehandlung gegen Tuberkulose herbeigeschafft.

3- Schliel31ich haben die Bemtihungen um eine chemische Analyse der Tuberkelbacillen (ANDERSEN, SEIBERT, SAraN, LINDNER, MASCIIMANN USW.) Ergebnisse gezeitigt, die ge- eignet sind, die antigenen Funkt ionen der Tuberkelbacillen im Organismus unserem VerstXndnis erheblich n~herzu- bringen.

Allerdings gehen die SchluBfolgerungen, zu denen die einzelnen Autoren gelangen, weir auseinander. Auf der einen Seite erkl~irt LYDTIN mit klarer Bestimmtheit: ,,Der einzelne gewinnt durch das ~berstehen der Infektion praktisch nichts hinzu." AuI der anderen Seite ist z. B. SChWArTZ in der Lage, seine Kaninchenversuche fiber den Ablanf der intra- trachealen Infektion folgendermagen zusammenzufassen : ,,Alle vorbehandelten Tiere haben die intratracheate In- fektion fiberlebt, w~hrend die nichtvorbehandetten intra- tracheal infizierten Tiere an den Folgen der Infektion bis zum Ende des 2. Monats eingingen." Solche Divergenzen k6nnen aber immer nur ein AnlaB sein, das Tatsachenmaterial, das die einzelnen Forscher zusammentrugen, vergteichend neben- einanderzustellen, tells um die Zusammenh~nge zu finden, die ohne Zweifel vorhanden sind, teils um die Lficken fest- zustellen, die es durch weitere Forschung auszuffillen gilt.

I. Es ist in den letzten Jahren in der Tuberkutoseforschung

fiblich geworden, yon einer Durchseuchungsresistenz zu reden. Leider sehlieBt dieser Begriff in Anbetracht seiner Viel- deutigkeit manche Unklarheit in sich ein. W~hrend die einen Autoren yon einer e~worbenen Durchseuchungsresistenz spre- chen, die als eine J~'otge der fiberstandenen pers6ntichen In- fektion aufgefaBt wird, denken die anderen an eine angeborene Resistenz, die im Individuum bereits vet der Infektion ge- geben ist auf Grund yon Anlagen, die yon frtiheren Genera- tionen im I~aule allgemeiner Durchseuchung als besonders widerstandsfRhig ausgelesen und vererbt worden sind. Es * Nach einem Referat vet dem Wissenschaftlichen Rat des Westdeutschen Tuberkulose- forschungsinstituts, Dfisseldorf, den 5. IL x938.

Ktlnische Wochenschriff, 17. Jahrg.

OBERSICHTEN. w~re gut, in jedem Tall scharl zwischen der allergischen t~esistenz, die durch die individuelle Infektion erworben wird (gleichviel ob man eine echte Immuni t~ t oder nur eine allergische Entzfindungsbereitschaft im Auge hat), und der na~i~rlicr~en Resistenz, die (trotz allen ~Vechselwirkungen mit den jeweiligen Einfltissen der Umwelt) genetisch bedingt ist, zu unterscheiden.

Aber auch die natfirliche Resistenz werden wir noch weiter differenzieren mfissen. Denn wenn sic auf der einen Seite selbstverst~ndlich auch jene allyeaneine Widerstands- f~ihigkeit in sich schlieBt, die bei jeder Erkrankung, gleich- viel welcher Ntiologie, eine Rolle spielt, so scheint doch das V~resentliche gerade ifir den Ablaut der Tuberkulose eine ziemlich spezialisierte ~Viderstandsfghigkeit zu sein, die nicht dutch den EinfluB allgemeiner Lebensbedingungen wie Klima, Ern{ihrung, Arbeit usw., sondern eben durch die spezielle Auslese einer tuberkul6sen Durchseuchung yon Generationen hervorgerufen worden ist. Man braueht darum noch nicht sogleich an die Ausmerze eines spezifischen Tuber- kulosefaktors oder die erbliehe Erhal tung einer spezifischen Tnberkuloseimmunitgt zu denken - - es gibt auch unspezi- Iische Faktoren, die einer Atlgemeinerkrankung gegentiber eine ganz besondere Belastung bedeuten and bei einer all- gemeinen Durchseuchung mehr oder weniger ausgeschaltet werden k6nnen (vgl. GEISSLXRS Mitteilungen fiber die erh6hte allgemeine AnfXlligkeit in tuberkuI6s belasteten Familien).

Es leuchtet wohl ohne weiteres ein: 13ever wit den Effekt einer Vorbehandlung werten k6nnen, mtissen wir den Ein- flul3 klgren, den diese nattirliehe Resistenz auf unsere Er- gebnisse gehabt haben kann. Das gilt zun~ichst ffir aim Tier- versuche. Ober die 13edeutung der individuelten Differenzen in der Widerstandsfiihigkeit unserer Versuchstiere gegen Tuberkulose besteht gar kein Zweifel (UHLENHVTH, NEU- FELD, LANGE, SF.LTER USW.). DaB sie einer Auslese durch Durchseuchung zug~nglich sind, und zwar einer Auslese ant vererbbare Widerstandsfghigkeit bin, zeigen (neben den nicht ganz einwandfreien Versuchen yon LAMBERT oder IRWIN, SCHOTT und WEBSTER mit Hfihnertuberkulose) die Meer- schweinchenversuche yon WPaG~T und LEWIS; bezeichnender- weise ist abet nut die i~ffSglieM~eit einer experimentellen Auslese au] relative Resistenz bin al# erwiesen anzusehen (vgl. BRAD- FORD HILL).

Nun steht uns aber bei unseren Tierversuchen ein aus- gelesenes Material nicht zur Verftigung. Die Auslese finder erst im Lanfe unseres Versuches start, d. h. die einen Tiere erkranken schwer, die anderen leicht, die einen akut, die anderen chronisch - - und wenn wir lesen, dab es gerade die chronisch erkrankten Tiere sind, die sich gegen eine Reinfek- tion geschfitzt zeigen (z. t3. bei R6MER), SO tauehen sofort Bedenken auf, ob dieser Schutz gegen die (minimale) Re- infektion nieht weitgehend ein Ausdruck jener Resistenz ist, die bereits der Ers• ihren chronisehen Charakter verlieh (~hnlich G. SCHR(SDER). Bei jedem Tierversuch, mag er nun kleine oder grebe Versuchstiere betreffen, haben wit mit den gleichen exogenen nnd endogenen Fehlerquellen zu rechnen wie bei der 13eurteilung einer menschlichen Schutz- impfung und mfissen daher an seine statistische Auswertnng die gleichen Anforderungen stellen. Infolgedessen sind viele (insbesondere dltere) Versuche, die man ]ahrzehntelang als ein- wand]reie Belege ]i~r die Existenz elner echten ,,In]ektions- immunitdit" gegen Tuberkulose angesehen hat, heute mit erheb- lich grSflerer Vorsieht hinzunehmen.

Weiterhin erschwert nns die beim Menschen stattgehabte Anslese aueh unsere Ri~cksehli~sse yon dem nichtausgelesenen Material unserer Versuchstiere aus. Jeder Mensch, der eine

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~ 2 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . 17 . J A H R G A N G . Nr. 2I 2~. MAI ~938

Prim~raffektion iiberstand (und die meisten unserer Heil- st~ittenpatienten haben einen Prim~rinfekt tiberstanden), besaB einmal vine natiirliche Resistenz, die dem Angriff der Tuberkelbacillen gewachsen war. Es gentigt also ftir den Menschen therapeutisch, diese Resistenz wiederherzustellen, und prophylaktisch, sie zu steigern. Unsere Versuchstiere, die eine solche lResistenz nicht besitzen, mfissen wit dagegen yon Grund auf sehfitzen und heilen. Es brauchen daher am Menschen erzielte Erfolge durchaus nicht experimentell re- produzierbar zu sein - - Wirkungen, die ftir das Meerschwein- chert eine mehr oder weniger belanglose Resistenzerh6hung darstellen, k6nnen ffir den 1Kenschen yon entscheidender ]3e~ deutung sein.

So Iegt nns das Fak tum der unter dem Einflul3 der Aus- Iese ererbten Resistenz des Menschen bei der praktischen ]3e- wertung des Tierversuehs grebe Zuriickhaltnng auf. Die wvsentliehe Au]gabe des Tierversuchs ist die Analyse des all- gemeingfdtigen biologischen Geschehens ; die Bedeutung dieses Geschehens ]i~r den Menschen kann nut am Mensehen selbst erwogen wvrden.

II.

Selbstverst~ndlich mfissen wit auch bei allen Bem~hungen, das Problem der Tuberkuloseimmunit~t am ~Ienschen selbst zu kl~ren, alle Aus~irkungen der natiirlichen l~[esistenz in Recbnung setzen. Das gilt zun~ichst ffir die Beurteilung des Prim~rkomplexes. Wir wissen, dab gerade die Erstinfektion unter den AngehSrigen einer durchseuchten Bev61kerung in einer viel ieichteren Form zu verlaufen pflegt Ms unter den Abk6mmlingen nichtdurchseuchter Populationen, d. h. ihr Ablauf ~4rd weitgehend genetisch bestimmt. Da vine er- worbene Immunit l i t niemals vererbbar ist, muB dieser Unter- schied dutch eine Auslese anderer, nichterworbener Eigen- schaften ents tanden sein, der Primdrkomplex ist also der erste Ausdruclc der ererbten nati~rliehen, ICesistenz (vgl. N~U~EL~, LANan, LYDTIN U. a.). GewiB stellen sich such w~hrend der Erstinfektion mit der Zeit allergische Umstimmungen des Organismus ein - - sie k6nnen jedoch ffir die Abheilung des Ptim~rkomplexes keine entscheidende :Bedeutung besitzen, da der nichtresistente Organismus der Naturv61ker die gleichen Umstimmungen erf~hrt. Die Allergie verleiht nicht dem Prim~rkomptex, sondern den spi~teren In#kt ionen einen besonderen Charakter.

Wenn w~r nun die sekunddiren Prozess~ betrachten, so dfirfen wit nicht tibersehen, dal3 es sich hier um F~lle handelt, wetche fiber jene Resistenz, die die Erstinfektion iiberwindet, i iberhaupt nicht oder nicht mehr verf~gen und zudem nicht in der Lage waren, sich anl~iglich der Erstinfektion vine nennenswerte Immunit i i t zu verschaffen - - im Gegenteil, ihre Situation hat sieh offenbar verschleehtert. Es erscheint auf den ersten Blick etwas paradox, gerade an solchen Per- sonen Immunit~tsstudien zu treiben.

Gewig setzen auch bei ihnen Heilungstendenzen ein. Es gibt aber such Heilungsvorg~tnge ohne Immunit~t - - auch bei Infektionen; es sei nu t an die Angina oder den Tonsillar- absceB erinnert, die in kiirzester Zeit abklingen, oder an die Ausheilung eitriger Prozesse unter der Bierschen Stauung, an die Spontanheilung vines Lungenabscesses nsw. Insbeson- dere ist die Entwicklung yon Bindegewebe kein Beweis ftir eine Immunitii tsreaktion. Auch die tubertcul6se Proli]eration als solche lcann trotz dem spezi]ischen Charakter, den sie tr@t, immer nu t als Ausdruelc, abet nieht al8 Ursache der Abheilung gelten. Wir sehen ihr zwar ihre tuberkulSse Besonderheit an, sie besagt uns jedoeh nichts dartiber, wie die Einschmelzungs- tendenz gebrochen und der Proliferation freie Bahn geschaffen wurde - - sie besagt uns nur die Tatsache, dab es so ist. ,,Die indurative Umwandlung ist ein Entwicklungsattribut des in]iltrativen Prozesses schlechthin'" (Rt~I)~K~).

Es ist vielfaeh fiblich, die Umstimnlungen, die unter einer tuberkul6sen Infektion erfolgen, unter dem Begriff der Allergic zusammenzufassen und als einen einheitlichen Vet- gang zu betraehten, der in 2 Phasen zerf~itlt: ill die Phase einer sog. , ,~berempfindlichkeit" und die Phase der , ,Im- munit~it". Nun geht gewiB, soweit unsere Kenntnisse heute

reichen, sowohl die Entstehu-ng der allergischen Empfind- lichkeit wie die Entstehung der Immunitfi t auf den gleichen Mechanismus einer Antigen-Antik6rperwirkung zuriick, so dab wit durchaus berechtigt sind, beide unter einem ein- heitlichen Gesichtswinkel zu betrachten. Die yru~s~tztich.e ~eststellung, daft in beiden E~ilten derselbe Pathomeehanismus in Bewegung gesetzt wird, bedeutet abet noch nicht ein einheit~ liches Geschehen.

Das nnglficksetige Wort,,~)berempfindlichkeit", das Do~RR mit Fug und. Recht aus der ganzen Atlergielehre verbannt wissen m6chte, hat zu der Vorstellung irgendeiner allergisch bedingten GiJtfiberempfindlichkeit geftihrt. Die Stoffe, die den Organismus des TuberkulSsen sensibilisieren bzw. auf die er vermSge der Sensibilisierung reagiert, also in erster Linie das Tuberknlin, sind aber gar keine Gifte - - denn Giite zerst6ren auch den nichtsensibilisierten Organismus, das ~[Mberkulin l~gt ihn jedoch v611ig intakt. Wit miissen also zun~ichst scharf unterscheiden zwischen der toxisehen Nmp- ]indliehkeit, die der Organismus gegen die Toxine und Endo- toxine yon vornherein anfweist, auf Grund seiner natfirtichen Empf~.nglichkeit Iiir Tuberkulose, nnd der attergiechvn Emp- ]indliehkvit gegen v6Ilig atoxische Substanzen wie Tuberkulin, die er sich erst im Lauf der Infektion erwirbt. Es handelt sich um zwei ganz verschiedene Vorg~nge, und wenn beide unter dem Bilde einer Entzi indung verlaufen, so miissen wit eben zwischen toxischer und atlergiseher Entzi~ndung differen- zieren. Aueh die atlergische Empfindlichkeit ist dabei keine ~Tberempfindlichkeit : Das Charat~teristieum der allergischen Reaktionen liegt ~a gerade da~in, daft der nichtsensibilisierte Organismus irgendeine iihnliche Emp~indtichkeit dem betre]#n- den Antigen gegeni~ber i~berhaupt nicht aufwies; es ha~wtett sich nieht um die Steigerung einer gegebenen, sondern um vine v611ig neue Reaktion, die unter normalen Verhiiltnissen gar nicht in Bettacht lcommt (Do~RR).

Vielleicht kSnnte man die Frage aufwerfen, ob nicht ge- legenttich such gegen ein Gift eine atlergische Empfindlich- keit entsteht. I)as ist gewiB m6gIich. Es gibt z. B. Menschen, die auf Bienengift allergisch reagieren. Diese allergisehe Empfindlichkeit hat aber mit der toxischen Empfindlichkeit nichts zu tun ; sie richter sich gegen die Eiweil3komponente des Giftes, die sog. haptophore Gruppe, w~ihrend die toxische Reizung yon der toxophoren Gruppe ausgeht und zur Bildung yon Antitoxinen ffihrt. Infolgedessen sind auclh die Sym- ptome der allergischen Reaktion (ira Fall der Bienengift- allergie plStzliches Fieber und Urticaria) ganz andere als die S~nnptome unter dem toxischen Reiz. Daft vine Allvrgie gegen ein Toxin ~ieh in einer Verdoppelung oder Verdrei]achung der toxinspvzi]ischen Wirkung dokumentiert, ist tatsdchtich immunbiologisch unvorstellbar.

Nun gibt es gewil3 Menschen mit einer fiberdurchschnitt- lichen Tuberkuloseempfindlichkeit, bei denen man yon einer Gifttiberempfindlichkeit reden kSnnte. Hierhin geh6ren z. B. jene Personen, die auf Grund einer exsudativen Anlage zu Erkrankungen an den perifokalen Entzi indungen der Fr/ih- infiltrate neigen (LYDTIN U. a.) oder die auf Grund vines koordinierten Diabetes eine besondere Entziindungsbereit- schaft besitzen. Offensichtlich handelt es sich aber hier nm primdre l~onstitutionetle Momente und nicht um vine selcun- di~re Allergie, Auch itir gewisse Lebensperioden mtissen wir wohl eine gesteigerte Giftempfindlichkeit annehmen - - abet gerade die Bindung an einen best immten Lebensabschnitt beweist ihre Unabh~ngigkeit yon der Erstinfektion. Im Laufe einer tuberkalSsen Erkrankung mag eine Steigernng der normalen Giftempfindlichkeit auf dem Wege einer Mlgemeinen Stoffwechselst6rung denkbar sein (z. t3. bei Kachexie), aber niemals auf dem Wege einer allergisehen iReaktion. W i t mi~ssen die ~onstitutionelle [Tberemp]indlichkeit (oder Hyper- e~yie), die vegetativ oder endokrin bedingt sein kann, yon der spezi]isch sensibilisierten Allergie klar abgrenzen.

Wenn nun das Wesen der allergischen Empfindlichkeit in einer Reaktion auf apathogene Stoffe besteht, so ergibt sich als das Vv..'esen der Immunit~t vine neuartige I teakticns- bereitschaft gegenfiber pathogvnem Substrat, d. h. gegeniiber Toxinen und Endotoxinen. Die kausalen Di]]e,'enzen 8ind,

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also bereits in den Bakterien gegeben, und zwar grundlegende Differenzen: Wenn ich ein Meerschweinchen mit dem Eiweit3 von Diphtheriebacilten vorbehandle, so wird es anaphylak- tisch, abet nicht immun, well ibm die Antitoxine fehlen durch Vorbehandlung mit Toxoiden wird es gewil3 immnn, aber nicht anaphylaktisch. Da der Leib yon Typhus- und G~rtner-Bacillen ein gemeinsames Part ialantigen enth~lt, ist es denkbar, nach zureichender Vorbehandlung mit Typhus- bacillen auch eine anaphylaktische Reaktionsbereitschaft au~ GXrtner-Bacillen zu erhalten, ahnlich wie mit Menschenserum gegen AffeneiweiS (U!I-ILENHUTH nnd I-I-~NDEL) - - es ist aber ausgeschlossen, mit einem Typhusimpfstoff gegen eine Ggrt- ner-Infektion zu immunisieren.

So sind auch bei allen Erwi~gungen i~ber de~r Ablau] der Tuberkulose trotz des gemeinsamen Charakters einer Antigen- AntilcSrper-Realction, der eine einheitliche Zusammen/assung unter dem Begri]] der Allergie erlaubt, yon vornherein allergisehe Emp]indlichkeit (aIlergische Pathergie) und Immunit~it nicht als zwei Phasen eines ei-nheitlichen Vorgangs, 8ondern al8 zwei lcoordinierte autonome ]7org~nge z~ werten.

III .

Damit stehen wir vor der Frage, ob im Vertauf der Tuber- kulose irgendwelche Reaktionen auftreten, die wir als spezi- fisch antipathogenetisch betrachten dfirfen, also Reaktionen, die direkt die Toxine und Endotoxine der Tuberkelbacitlen neutralisieren oder die ]3akterien selbst iu spezifischer Weise sch~digen.

Antitoxine sind bisher niemals nachweisbar gewesen (SoRGO, BESSAU uSW.), ebensowenig Batcteriotroplne, ~de ja fiberhaupt bei der Tuberkulose zwar eine Beteiligung des reticuloendothelialen Apparates am Krankheitsgeschehen, aber kein EinfluB auf die Vernichtung der Keime nachweis- bar ist (s. ~rEILAND). Bacteriocidine wotlen einige Autoren festgestellt haben; so behaupten KUMAGAI, JIBIJct~I und OGAWA, die Zfichtung der Tuberkelbacillen aus dem Blur time bet der Anwesenheit yon komplementbindenden Anti- k6rpern stets negativ aus - - die Methoden znr Zfichtung yon Tnberkelbaeillen aus dem str6menden Blur sind heute abet noch zu unzul~inglich, um aus negativen Beiunden weit- tragende Sehlfisse ziehen zu d/irlen; ich selbst habe bin und wieder noch bet Patienteu, die als klinisch geheilt nnmit tel- bar vor der Entlassung standen, positive Ergebnisse gehabt. Nun weist I~ORSTER darauf hin, dab bet hohem Antik6rper- gehalt im Blur keine h~tmatogene Streuung erfolgt, doch selbst wenn sich diese Beobachtung best~tigen sollte, erlaubt sie keine Schlfisse auf l~acteriocidine (s. u.). Die neuen Unter- suchungeu yon SELTER, ~'ETZER und VV~EILAND, ~IELING und OELRICHS, HEDVALL U. a. sprecheu eindeutig dagegen (s. a. ]?ETTERSON). Ebensowenig dart man die yon FERN- BACH beschriebene intracutane Aufl6sung abgetOteter ]3acillen einer Bacterioci(tie tebender Erreger gleiehsetzen.

Dagegen ist immer wieder yon waehstumshemmenden Sto/jen im allergischen Organismus die Rede. Soweit sie ant Ort der allergischen Reaktion beobachtet wurden, so!len sie sparer behandelt werden. KtRCI~NER, PAGE5 U. a. wolten sie abet auch im Serum nachgewiesen haben - - es war jedoch der n6tige Serumzusatz so hoch, dab das Vorliegen spezifi- sober Antik6rper bezweifelt werden muB - - Verminderungen im Wachstum sind ein ziemlich nnzuverl~ssiger nnd viel- deutiger Indicator; als Beweis fiir das Vorliegen einer sero- logischen Immuni t~ t sind sie unzureichend.

SELTER n immt einen immunisierenden Ein/lufl der Tuber- kulose au/ die Organe selbst an, die nach ibm spezifisch un- empfindlich werden sollen, ~hnlich wie bei der experimen- tellen Syphilis die Kaninchenorgane gegen die Spirochaeta patlida (KoLLE, U~tLEN~IIJTH U. a.), u n d e s lXBt sich ge~d[3 nicht leugnen (es set vor allem an die sorgf~ltigen Unter- suchungen LIEBERMEISTERS erinnert), dab im Laufe ether tuberkuI6sen Erkrankung Tnberkelbacillen im Organismns verschleppt werden und sich irgend~4e einlageru k6nnen, ohne Krankheitserscheinungen auszul6sen. Wit dfirfen abet die grundlegenden Unterschiede im Verhalten syphilitisch infizierter und tuberkuI6ser Tiere nicht fibersehen: das

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syphilitische Kaninchen heitt ab nnd reagiert dann setbst auf eine maximale Reinfektion fibeihaupt nicht mehr, das tuberkul6se bleibt krank, l~Bt sich erfolgreich superinfi- zieren; dabei ist das syphilitische Tier in toto i m m u n - - im tuberkul6sen Organismus k6nnen bekanntlich progressive und abheilende Prozesse dicbt nebeneinander bestehen. Eine solche Immunit~Lt, die einen Lungenlappen in seinen oberen Teilen erfal3t and in seinen unteren Teilen ausschliegt, w~re immun- biologisch nu t ziemlich schwer zu erkl~ren. Selbst eine rela- tive Immuni t~t mfil3te das ganze Organ treffen; vielleicht w~ren quantitative, aber nicht grunds~Ltzliche Unterschiede nebeneinander denkbar. ViM n~her liegen Beziehungen zur natfirlichen Resistenz - - ffir die Vererbbarkeit lokalisierter Dispositionen bringen z. B. DIEHL und v. VERSCHtUER gute Belege.

GewiB linden wir im Laufe des tuberkuI6sen Geschehens unbestreitbare ttinweise nicht nur ffir eine Umstimmung des Organismus, sondern auch ffir eine mit dieser Umst immung verbundene Schutz~virkung. Abet ni,'gends Jinden u, ir einen Beweis ]~r den Zusammenhang dieser Schutzwirkung mit einer spez~fischen Im.munitdt, die als eine Reaktion auf die patho- genen Eigenschaften des Tuberkelbacillus aufgefaBt werden mtiBte (LIEBERMEISTER, •ALBFLEISCH u. a.). Wir mfissen daher der Frage n~hertreten, ob nicht andererseits die aller- gische Entziindungsbereitschaft geeignet ist, eine Ertd~rung Ifir die vorhandene Schutzwkkung zu geben.

IV.

Unsere Kenntnisse fiber das Wesen der tuberkul6sen Allergie sind dutch den chemisch-physiologischen Ausbau der al tbekannten Muchschen Theorie yon den Partialantigenen auf neue experimentelle Grundlagen gestellt worden. Es ist den Chemikern (ANDERSON, LONG, SEIBERT, LINDNER, ~VIAsctIMANN, }~ALLdS U. a.) gelungen, neben dem bakteriellen Eiweig aus dem Leib der Tuberkelbacitlen noch drei be- sondere K6rper zu isolieren, die an der Umsfimmung des tuberkul6sen Organismus beteiligt Mnd: ein EiweiBderivat (das eigentliche Tuberkulin), ein spezifisches Phosphatid und Kohlehydrate. Alle 3 K6rper haben eine Eigenschaft gemeinsam: Ifir sich alleiu vermhgen sie nicht zu sensibili- sieren, dagegen erhalten sie diese F'~higkeit, wenn sie sich, um mit MucH zu reden, ,,in glficMicher Mischnng mit Eiweig- k6rpern" befinden, die, wie LANDSTEINER es sparer aus- drfickte, als ,,Schlepper" dienen (PINNE~ schreibt zwar be- reits den reinen Phosphatiden sensibilisierende Eigenschaften zu, doch haben seine Prgparate geringe Proteinbeimengnngeu enthalten). AucA bei den Beaktionen, die diese Sto//e im sen- sibilisierten Organism, us hervorru/en, hztndelt es sich um echte Antigen-Antik,6rperwirlcungen: Haut- und Shoclcrealctionen sind der spezi/isehen Desensibilisierung zugdnglich.

Das eiweif3-, lipoid- und kohlehydratfreie TuberCulin ist der Tr~ger der bekannten t tautreaktiou. Es ist Ifir das nor- male Individuum absoln% nngiftig, kann also nnm6glich als Toxin gewertet werden. Zugleich mit der Tuberkulinempfind- lichkeit der t t au t entsteht eine EmpfindIiehkeit aller OIgaue, die fiberall dort, wo tnberknlhses Antigen hingelangt, mit einer allergischen Entzfindung reagieren. Wit sehen uns also vor einer allgemeinen Sensibilisierung des Organismus, die dort, wo TuberkelbaciIlenleiber oder Tuberknlin mit dem sensibilisierten Gewebe zusammentreffen, zu einer entzfind- lichen Reaktion ffihrt; der Oft der Reaktiou wird damit vom Antigen und nicht vom Organismus aus bes t immt - - KALLds wilt auBerdem bet tuberkul6sen Meerschweinchen mit gereinigtem Tuberkulin eine anaphylaktische Reaktion an den Uterush6mern (Schultz-Dalescher Versuch) erzielt haben, doch da sein Praparat IZohlehydrate enthielt, ist dieser ]3e- fund nicht eindeutig zu beurteilen.

Gs ist namlich gelungen, auch mit den Kohlehydraten des Tuberkelbacillus den Schuttz-Daleschen Versuch zu reprodu- zieren (JADASSOHN, SCHAAF nnd LAETSCH). Im fibrigen finden sich gegen die Kohtehydrate Antik6rper im Seium yon Tuberkul6sen, die vielleicht der yon REED, RICE und GAR- DINER durchgefiihrten serologischen Differenzierung z~dschen R- und S-Formen zugrunde liegen.

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An der Erzeugung der kolnplementbindenden Antik6rper ist jedoch in erster LiMe das Phosphatid beteiligt (K. MEYER). Darfber hinaus regt das Phosphatid das Gewebe zur Bildung spezifischer Granulationen an (SABIN). Im gesunden Tier treten die spezifischen Zellen erst nach 3 Wochen, im tuber- kul6sen bereits nach 2- - 3 Tagen auI; im desensibilisierten Organismus bleiben sie aus (FERNBACH). Danach w~ren sie nieht die bloBe Antwort auf einen einfachen Reiz, sondern das Produkt einer allergischen Reaktion; die gleiche Auf- fassung ist auch yon seiten der Pathologen ge~uBert women (PAGE5). Ihr entspricht ferner der zun~chst etwas fiber- raschende Befund, dab sich auch aus v611ig apathogenen S~urefesten wie Grasbacillen Phosphatide mit ~hnlicher ~.u kung isolieren lassen - - die Phosphatide sind also nicht etwa tuberkulosespezifiscBe Toxine (dann mfiBten auch die gegen sie gerichteten Anfik6rper antitoxisck ~drken), sondem Allergene. Wir haben demnach ~ im Gegensatz zu der all- gemeinen Umstimmnng, die wir als Tuberkulinempfindlich- keit bezeichnen - - noch mit einer zun~ehst v611ig autonome'n lokalen Umstimmung am Ort der Erkrankung zu reehnen, d. h. mit einer besonderen zusStzlichen Allergie am tuberkul6sen Herd.

Zu demselben SchluB gelangen wir an Hand unserer ex- perimentellen Befunde am tuberkul6sen Tier. Zwar st613t die Analyse der allergischen Herdreaktion auf betr/ichtliche Schwierigkeiten, da der Krankheitsherd als Oft einer prim~ren Entzfindung aueh unspezifisch beeinfluBbar ist. Es Itihren jedoch yon der spezijischen Herdreaktion Beziehungen zu einem weiteren Ph~nomen, das einer exakten Untersuchung zug~uglich ist, dem sog. Tuberkulintod. Der Tuberkulintod nach der i.p. oder i.v. Injektion des Antigens t r i t t nu t ein, wenn tuberkul6ses Gewebe in hinreiehender Menge gegeben ist: ein mit schwach virulenten oder avirulenten Tuberkel- bacillen vorbehandeltes 1Keerschweinchen kann cutan hoch- gradig allergisch sein und ist gewiB mit alien Stoffen sensibili- siert, die im Leib der Tuberkelbaeillen enthatten sind - - es weist jedoeh nur sp~rliche Tuberkel auf, und der Tuberkulin- tod l~gt sich (wenigstens unter den fiblichen Bedingungen) nicht erzielen (DOLD, KRAUS, FUJOKA, UI-tLENHU's und SXlFFERT U. a.) - - offenbar geht der Tuberkulintod auf Vor-

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gXnge zurfck, die sich im tuberkul6sen Gewebe abspielen. Nun ist aber der Tuberkulintod eine spezifische Antigen- Antik6rperwirkung (eine spezifische Desensibilisierung ist m6glich) - - also muB auch jene Reaktion im tuberkul6sen Gewebe eine Antigen-Antik6rperreaktion sein, mit anderen Worten, am tuberkul6sen Herd sind Zellen gegeben, d@ selb- st~imlig ](tr rich sensibitisiert sin& Bekanntlich haben die klinisehen Beobachtungen am Menschen setbst zu einer ~hn- lichen grunds~tzliehen Trennung zwischen der Allgemein- reakiion, die doch wohl auf dieselben Faktoren zurfickgeht wie der Tuberkulintod unserer Meerschweinehen, und der cutanen Reaktion geffhrt (BEssAu). Auch die Versuche yon FEmqBACH, die Mlgemeine Empfindlichkeit unter Erhal iung der tokalen Allergie zum Schwinden zu bringen, sind hierzu erwghnen.

Diese Vorstellungen haben in den letzten Jahren dureh die Arbeiten yon MASC~MANN und KeSTER noeh eine wesent- liche Erggnzung erfahren: Es gelang ihnen, durch Dialyse des Alttuberkulins denjenigen Stoff, der den Tuberkulintod verursacht, yon dem eutan wirksamen Substrat zu t rennen ; die Versuehe wurden yon K-e~LMANN mit Rindertuberkulin bestgtig~. Leider bestehen nur fiber den Charakter des Anti- gens, das den Tuberkul in tod ausl6st, noch erhebtiche ~Tider- sprfiehe: MASC~MANN hglt es flit ein Phosphatid, und bei der Beteiligung der Phosphatide an der Ents tehung des tuber- kul6sen Herdes hat diese Annahme yon vornherein vieI Wahr- scheinlichkeit ffir sich. WmT~ und SAraN wollen dagegen den Exitus tuberkut6ser Tiere mit Kohlehydraten herbeigeffihrt haben. M6glicherweise sind sowohl der Komplex Phosphatid + Phosphatidantik6rper wie der Komplex Kohlehydrat + Kohlehydratantik6rper beide bef~higt, im tuberkuI6sen Gewebe eine allergische Reaktion auszul6sen, die den Tod nach sich ziehen kann. Jedenfalls ~ndert diese Divergenz nichts an der grunds~tzlich wichtigen Tatsache, dab gereinig- tes Tuberkulin den Tuberkulintod nicht zur Folge hat.

Somit weisen die chemisehen Anatysen des sensibilisierenden bzw. rea~ierenden Substrats au~ klare kausale Di]/erenzen, zwisehen der Tuberkutinemp]indlichkeit der gesunden Organe und den lokalen wie allgemein q~rtcsamen Reaktionen des tuber- kul6sen Gewebes hin. (SchluB folgt.)

ORIGINALIEN.

PRAKTISCHE RICHTLINIEN ZUR DURCHFtJHRUNG UND BEURTEILUNG EINER VITAMIN C-BILANZ DES MENSCHEN.

Y o n

G. GAEHTGENS. Aus der Universit~tts-Frauenklinik zu Leipzig

(Direktor: Professor Dr. ROBERT SCHRODER).

Die Bedeutung der Vitamine fiir die menschliche Krank- heitslehre ist in den letzten Jahren oft genug im Sehrifttum vertreten worden. Im allgemeinen kann man wohl sagen, dab die VCertschStzung dieser Substanzen mehr und mehr im Steigen begriffen ist, was nicht wundernimmt, da mit dem Fortschreiten der Kenntnisse ihres Chemismus es gelang, die Bedeutung tier Vitamine dort zu erweisen, wo noch vor wenigen Jahren auch nieht die Ieiseste Vermutung eine solche hAtte erwarten lassen. Das Fortschreiten der Erkennt- nisse auf dem Gebiete der Vitaminforschung danken wir in erster Linie der Tatsaehe, dab der qualitative und quanti- tative Nachweis einzelner Vitamine dutch grundlegende Arbeiten yon Fachleuten, ~de Chemikern und Physiologen, m6glich geworden ist.

]Bei der groBen Wichtigkeit des Gesamtproblems der Vitamine f i r die Klinik ist zu fordern, dat3 bindende Rfick- schlfisse aus chemischen Analysen, sei es yon Organgeweben oder K6rperIlfissigkeiten, auf die Physiologie der einen oder anderen dieser Substanzen nur gezogen werden, wenn die Methoden einer Krit ik standhalten und wenn man rich dessert

bewuBt ist, was eine Methodik zu leisten vermag und wo sic aufh6rt, ffir uns orientierend wirken zu k6nnen.

Es ist Bier nicht der Ort, auch die Aufgabe Berufener, eine genaue Sehilderung aller brauchbaren Vitaminnachweis- methoden im Organgewebe oder in K6rperflfissigkeiten, wie beispielsweise im Ham, zu geben. Dagegen soll auf eine Frage besonders eingegangen werden, die mir grundlegend f i r eine klinische lBeurteilung eines pathologischen Vitaminmangel- zustandes zu sein scheint und deren Kl~rung deshalb zu wfinschen ist, weil sie MiBverst~ndnissen, wenn nicht gar Fehlern in der Deutung Minischer Untersuchungsergebnisse vorbeugen kann. Es handelt sich um die Frage des Naehweises einesVitamin G-Mangelszustandes, einer sog. Hypovitaminose C, beim kliniseh gesunden oder lcranken. ~Ienschen.

Bei der Durchsicht der Unzahl yon Ver6ffentliehungen fiber die Beobachtungen yon C-Hypovitaminosen st6gt man immer wieder auf die Zeichen eines mangelnden Verst~ndnisses, sei es des Vitaminstoffwechsels einerseits, sei es der gebr~uch- lichen l~{ethoden zu seiner Erfassung andererseits. Diese Tat- sache verwirrt nicht nur, sondern diskreditiert darfber hinaus die Therapie, die auf Grund irregeleiteter Vorstellungen an falschen Stellen angreift, ein Umstand, der um so mehr zu bedauern ist, weil meiner Ansieht nach bei richtiger An- wendung die chemischen Nachweismethoden, die uns zur Zeit die Feststellung des C-Vitamins erm6gliehen, die einfachstefl und leichtesten sind, um in weiten Kq'eisen praktisch gehandhabt zu ~verden unter den Voraussetzungen, daft die Erwartungen und Eragestetlungen ihren LeistungsmOgt@hkeiten entspreehen ! Eine in groBem Umfange vorgenommene kritische Erfassung der