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DIE PHILOSOPHISCHE WURZEL DES MARXISMUS Author(s): HUGO RIEKES Source: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft / Journal of Institutional and Theoretical Economics, Bd. 62, H. 3. (1906), pp. 407-432 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40740241 . Accessed: 09/02/2015 15:35 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft / Journal of Institutional and Theoretical Economics. http://www.jstor.org This content downloaded from 157.92.4.76 on Mon, 9 Feb 2015 15:35:34 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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  • DIE PHILOSOPHISCHE WURZEL DES MARXISMUSAuthor(s): HUGO RIEKESSource: Zeitschrift fr die gesamte Staatswissenschaft / Journal of Institutional andTheoretical Economics, Bd. 62, H. 3. (1906), pp. 407-432Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40740241 .Accessed: 09/02/2015 15:35

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  • 407

    DIE PHILOSOPHISCHE WURZEL DES MARXISMUS.

    VON

    Dr. HUGO RIEKES.

    i. Verschiedene Meinungen.

    Ein als hervorragender Marxinterpret bekannter Gelehrter hat einmal gesagt, zuweilen entstnden ihm von neuem Zweifel, wie Marx den fr sein Hauptwerk grundlegenden Wertbegriff eigentlich gemeint habe. Dieses Eingestndnis kennzeichnet das Schicksal der Marxschen Lehren berhaupt. Nicht lediglich im Hinblick darauf, ob sie wahr oder falsch, sondern gerade auch darber, wie sie zu verstehen sind, gehen die Meinungen ausein- ander. Namentlich auf die Hauptfrage, unter welchen allgemeinen Gesichtspunkt die von Marx gelehrte Gesetzmssigkeit der ge- schichtlichen Entwickelung fallt, ist eine klare, jeden Zweifel aus- schliessende Antwort noch nicht gegeben worden.

    Durch die Bezeichnung als historischer oder soziahvissen- schaftlicher Materialismus und dgl. ist Marx* sozialphilosophischer Standpunkt noch nicht przisiert. Auch die auf die Hypothese des psychophysischen Parallelismus gesttzten Lehren der Sozio- logen und naturwissenschaftlichen Sozialtheoretiker, die mit Hilfe mechanistischer Prinzipien naturwissenschaftlicher Herkunft oder eigener Erfindung das soziale Leben erklren wollen, fallen unter den Begriff des sozialwissenschaftlichen Materialismus. Dieser Richtung gehrt das Marxsche System, das im Hinblick auf die Gesetzmssigkeit der sozialen Entwickelung alle ideellen Faktoren ausscheidet, selbstverstndlich aber nicht an. Uebrigens wird,

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  • 48 Dr Hugo Riekes:

    auch von Marxistischer Seite (C. Schmidt), noch bestritten, dass die Marxsche Lehre berhaupt im Materialismus begrndet sei.

    Nach der Marxistischen Geschichtsauffassung ist die Gesetz- mssigkeit des sozialen Entwickelungsprozessesin der konomischen Entwickelung begrndet. Das ist der Grundgedanke der Marxschen Lehre. Eine nhere Bestimmung der wirklichen sozialen Ent- wickelungsfaktoren wird damit noch nicht gegeben. Der Kreis der sozialen Erscheinungen, die als Trger sozialer Gesetzmssig- keit in Betracht kommen, wird lediglich (auf die konomischen) eingeschrnkt. Ob dieser allgemeine Grundsatz aus dem Mate- rialismus seine Rechtfertigung herleitet, dafr ergibt sich so zu- nchst noch gar kein Anhaltepunkt. Es knnte auch eine gnzlich in der Luft schwebende Hypothese vorliegen. In diesem Falle knnte nur dadurch, dass die abgeleiteten Spezialtheorien sich mit den Tatsachen decken, die Richtigkeit der grundstzlichen Voraussetzung sich erweisen, was bekanntlich, nach dem Urteile selbst mancher bedeutender Marxisten, nicht der Fall ist.

    2. Die Grundstze der materialistischen Geschichtsauffassung. Hand und Fuss erhlt der Marxsche Oekonomismusc, wie

    Sombart viel bezeichnender Marx' sozialphilosophische Richtung genannt hat, erst durch die Erfassung der konomischen Gesetze. In diesen kann erst, wenn berhaupt, die besondere Art der ge- setzmssig wirkenden sozialen Ursachen unmittelbar zum Ausdruck kommen.

    Gleichwohl enthalten auch schon Marx' sozialphilosophische Grundstze mit dem Ansprche, Allgemeingltiges ber die ge- schichtliche Entwickelung auszusagen, den Lehrsatz, dass sie im Sinne der durch Negation fortschreitenden dialektischen Bewegung sich vollziehe, wonach es scheinen knnte, als ob Marx eine Logik der geschichtlichen Entwickelung im Auge gehabt habe. In Wahrheit ist damit aber ber die den Entwickelungsfortschritt bewirkenden Faktoren noch gar nichts ausgemacht. Gleichwie ein im menschlichen Gehirn sich abspielender logischer Prozess nur dem Idealisten als durch logische Faktoren bewirkt erscheint, von dem naturwissenschaftlichen Materialisten dagegen als mecha- nisch-kausal bedingt, d. h. lediglich als subjektive innere Wahr- nehmung der objektiv durch mechanische Kraftwirkungen bestimm- ten Vorgnge innerhalb der stofflichen Organisation des Gehirns, betrachtet wird, so wre auch im vorliegenden Falle ein verschie-

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  • Die philosophische Wurzel des Marxismus. 4O9

    dener Ursprung des an sich in den Rahmen eines logischen Pro- zesses passenden Entwickelungsvorganges denkbar. Indessen kann darber, ob der Inhalt der Marxschen Lehre dieser oder jener Auffassung entspricht, bei nherer Erwgung nicht wohl ein Zweifel bestehen.

    Der dialektische Fortschritt, in dem sich die soziale Handlung entwickelt, durchluft qualitativ verschieden geartete konomische Entwicklungsstufen, als welche progressive Epochen Marx in grossen Umrissen asiatische, antike, feudale und modern-brger- liche Produktionsweisen betrachtet wissen will. Das den verschie- denen Phasen gemeinsame Agens des ganzen Entwickelungspro- zesses sind die materiellen Produktivkrfte der Gesellschaft. Diese bilden den negierenden Faktor, der den dialektischen Fort- schritt erzeugt. In einem gewissen Stadium ihrer Entwickelung geraten nmlich die gesellschaftlichen Produktivkrfte >in Wider- spruch mit den vorhandenen Produktionsverhltnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafr ist, mit den Eigentumsverhlt- nissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Ent- wickelungsformen der Produktivkrfte schlagen diese Verhltnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Der dialektische Vorgang wiederholt sich dann auf hherer Stufe : auf gegebener neuer Grundlage von einander entsprechenden Produktivkrften und Produktionsverhltnissen (Po- sition) fhrt die Entwickelung der quantitativ variabeln Produktiv- krfte von neuem zu Widersprchen mit den analoger Wandlungen nicht fhigen Eigentumsverhltnissen (Negation), die dann auf dem Wege sozialer Umwlzung (Negation der Negation) unter Schaf- fung einer qualitativ hheren Basis fr die weitere Entwickelung ihre Lsung finden.

    Offenbar ist mit dieser Theorie aber nur gewissermassen ein allgemeines Schema des Entwickelungsfortschritts gegeben. Die wirklichen Entwickelungsfaktoren kommen darin nicht unmittelbar zum Ausdruck. Die gesellschaftlichen Produktivkrfte, die durch den Stand der Wissenschaft und Technik bestimmt werden, und deren im Sinne einer notwendigen Naturproduktion vorausgesetztes Wachstum als Erzeuger der fortschreitenden Bewegung gilt, be- deuten weiter nichts als einen quantitativen Grad, in dem die menschliche Arbeitskraft produktiv wirken kann, von dem es mit anderen Worten abhngt, ob dasselbe Quantum Arbeit eine grssere oder geringere Anzahl von Produkten hervorzubringen

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  • 410 Dr Hugo Riekes:

    vermag. Verwirklichen kann sich der Entwickelungsfortschritt aber nicht lediglich durch wachsende Produktionsmglichkeit. Mittelbar ist in den oben angefhrten Stzen der materia- listischen Geschichtsauffassung auf dieses Sachverhltnis bereits hingewiesen , da sich ja der dialektische Gegensatz innerhalb der gegebenen Produktivkrften entsprechenden Produktions- verhltnisse herausbilden soll. Der geschilderte dialek- tische Entwickelungsvorgang kann demnach zur Tatsache werden nur, insoweit die wachsenden gesellschaftlichen Produktivkrfte sich im Produktionsprozesse verwirklichen, durch mensch- liche Arbeit.

    3. Der mechanisch-kausale Gesichtspunkt der Wertvorstellung. Das konomische Ergebnis des Produktionsprozesses fasst

    Marx in der Wertvorstellung zusammen. Wer aus dem von Marx behaupteten dialektischen Charakter des Entwickelungsprozesses etwa auf eine zugrunde liegende logische Notwendigkeit glaubte schliessen zu mssen und sich hierin auch dadurch nicht hat be- irren lassen, dass die gesellschaftliche Produktivkraft in ihrer Eigenschaft als Entwickelungselement, wie Marx sie auffasst, der logischen Notwendigkeit doch jedenfalls ein ganz besonderes Ge- prge gibt, den muss es zu einer Nachprfung seiner Meinung veranlassen, dass Marx in der Wertvorstellung die Dinge auf ihre Eigenschaft als Produkte abstrakt menschlicher Arbeit, d. h. des mit der menschlichen Arbeit verbundenen physiologischen Kraft- verbrauchs, reduziert. Die Wertvorstellung abstrahiert von allen Eigenschaften der Arbeitsprodukte, die nicht Ergebnis mecha- nischer Kraftwirkungen sind. Das aber entspricht dem Gesichts- punkte des naturphilosophischen Prinzips der mechanischen Kau- salitt, gemss welchem die Einheit der Verursachung in mecha- nischer Kraft zu suchen ist.

    Der oberflchliche Beurteiler wird es ein aussichtsloses oder gar absurdes Unternehmen nennen, das soziale Leben vom Stand- punkte des im Sinne des modernen naturwissenschaftlichen Ma- terialismus verstandenen Prinzips der mechanischen Kausalitt erklren zu wollen. Mechanische Krfte knnen nur krperliche Zustandsriderungen hervorbringen. Dem sozialwissenschaftlichen Gegenstande aber fehlt die krperliche Qualitt. Es gibt keine einzige soziale Erscheinung, die sinnlich wahrnehmbar wre. Soziale Phnomene sind Beziehungen zwischen Menschen und Dingen

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  • Die philosophische Wurzel des Marxismus. 411

    oder unter einander. Solche Beziehungen sind immateriell, wer- den gedacht, sind begriffliche Phnomene. Selbst fr die kon- kretesten darunter, die wirtschaftlichen Erscheinungen, trifft das noch zu. Die konomische Bedeutung eines Geldstcks beispiels- weise ist nicht schon in der sinnlichen Anschauung an und fr sich gegeben. Seine tauschwerte Beziehung zu anderen Waren, die sich in dem konomischen Phnomen des Kaufaktes als wirk- lich erweist, wird begriffen, kann aber nicht gesehen werden. Es ist nicht ohne weiteres ersichtlich, wie bei der Untrennbarkeit von Stoff und Kraft eine mechanisch-kausale Betrachtung solcher un- krperlicher Phnomene stattfinden soll.

    Dennoch schliesst die begriffliche Qualitt des sozialwissen- schaftlichen Gegenstandes eine mechanisch-kausale Erklrung nicht unbedingt aus. Wenn das begriffliche Phnomen an ein mate- rielles Substrat gebunden ist, das den Forderungen des mecha- nistischen Kausalprinzips gengt, so ist (nach Analogie der Auf- lsung eines Begriffs in die von ihm umfassten Vorstellungen) eine Reduktion des Erscheinungsinhaltes auf die materiellen Trger des Phnomens mglich. Diese wrden die alleinigen Reprsen- tanten einer mechanisch-kausalen Wirklichkeit der Phnomene sein.

    Von allen denkbaren, durch das soziale Leben der Menschen hervorgerufenen Erscheinungen erfllen nun jene Voraussetzung ausschliesslich solche Erscheinungen, deren materielle Trger der Marxschen Wertvorstellung entsprechen. Denn die abstrakt mensch- liche Arbeit oder Wertsubstanz ist im mechanisch-kausalen Sinne der einzig reale Gehalt menschlicher Lebensusserungen. Der mechanisch-kausale Gesichtspunkt reduziert daher den sozialwissen- schaftlichen Gegenstand im Hinblick auf eine demselben etwa innewohnende gesetzmssige Wirklichkeit notwendig auf mensch- liche Arbeitsprodukte oder Wertkrper, oder, was dasselbe ist, nur mit anderen Worten: auf Trger konomischer Erscheinungen. Der Marxsche Oekonomismus ist also reiner Ausdruck des Prinzips mechanischer Kausali- tt in seiner Anwendung auf das Gebiet der So- zialwissenschaft.

    Der mechanisch-kausale Gesichtspunkt scheidet im Hinblick auf eine etwa vorhandene Gesetzmssigkeit sozialer Vorgnge alle Bestandteile des Gegenstandes, denen ein der Wertvorstellung ent- sprechendes Substrat fehlt, als unwirklich aus. Die ussere Rege- lung menschlichen Zusammenlebens, die nach Stammler den

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  • 412 Dr. Hugo Riekes:

    Begriff des sozialen Lebens als besonderen Gegenstand wissen- schaftlicher Betrachtung erst konstituiert, erscheint demnach als ein fr die soziale Gesetzmssigkeit ganz bedeutungsloses Moment. Die darauf gegrndeten Einwnde gegen die Marxsche Lehre sind deshalb objektiv nicht beweiskrftig. Der Marxsche Standpunkt steht eben zu dem von Stammler vertretenen, das Gesetzmssige nicht in einer den Dingen innewohnenden Notwendigkeit, sondern im Bewusstsein des erkennenden Subjektes suchenden Subjek- tivismus im Verhltnis gegenseitiger Ausschliessung.

    4. Die Wirklichkeit des Wertes. Aus dem mechanisch-kausalen Gesichtspunkte ergibt sich zu-

    nchst nichts weiter als die Reduktion des Gegenstandes auf Wertkrper. Ziel der Marxschen Darstellung ist aber, wie das auch im Sinne des Kausalprinzips liegt, in der Aufeinanderfolge der Erscheinungen einen gesetzmssigen Zusammenhang aufzu- weisen. Es entstehen deshalb die Fragen:

    A) wie eine Wirklichkeit des Wertes mechanisch-kausal ber- haupt zu verstehen ist, sowie :

    B) wie sie im Zusammenhange der zeitlich einander folgenden Erscheinungen in Wirkungen sich ussern bez. einen Entwicke- lungsfortschritt erzeugen kann.

    A. Das Wertgesetz.

    Den (erklrenden) Naturwissenschaften kann es immer nur darauf ankommen, stoffliche Vorgnge auf mechanische Kraftwir- kungen zurckzufhren. Es gibt zwar auch naturwissenschaftliche Disziplinen, die geistigen Vorgngen auf naturwissenschaftliche Art, nmlich experimentell, anatomisch und wie sonst noch, auf die Spur kommen wollen. Aber mit Recht wird gegen solche Ver- suche geltend gemacht, dass damit am Ende doch nur die im stofflichen Substrat der Seele stattfindenden Vorgnge begriffen werden knnen. Weshalb diese Formation oder jene stoffliche Vernderung im menschlichen Gehirn mit dieser Vorstellung oder jenem logischen Prozess u. s. w. identisch sein mssen, lsst sich so, nach der Natur der Sache und der von den Naturwissen- schaften angewandten, letztlich allein durch die sinnliche An- schauung kontrollierenden , methodischen Hilfsmittel nicht fest- stellen. Marx1 Lehre drfte daher ein ganz besonderes philoso- phisches Interesse deshalb beanspruchen, weil er ein begriffliches

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  • Die philosophische Wurzel des Marxismus. 41 3

    Phnomen, die Aequivalenz von Waren im Austauschprozesse, inhaltlich in mechanisch-kausal bedingte reale, jedoch nicht sinn- lich-konkrete Eigenschaften von Vorstellungsobjekten (abstrakte Wertkrper) auflst. Zweifel ber die Identitt der Eigenschaft, Produkt abstrakt menschlicher Arbeit zu sein, mit der Tauschwert- qualitt knnen nmlich - immer unter der Voraussetzung des mechanisch-kausalen Grundsatzes - nicht entstehen. Denn es ist gar nicht zu bestreitende Erfahrungstatsache, dass die zur Produk- tion aufgewandte menschliche Arbeit berhaupt Bedeutung fr den Waren-Tauschwert hat. Das gengt indes zur Feststellung der absoluten Identitt, weil der mechanisch-kausale Gesichtspunkt alle etwaigen sonstigen Bestandteile des Tauschwertes als unwesent- lich ausscheidet. Der Inhalt des Aequivalenzbegriffs wird so frei- lich eng umgrenzt, entspricht nicht dem mannigfaltigen subjek- tiven Bewusstseinsinhalte der im Austauschprozesse handelnden Personen, sondern dem Begriffe eines objektiven Tauschwertes, dem im Bewusstsein der austauschenden Subjekte eine Wert- schtzung ohne konkrete Bestimmtheit entspricht, die sich negativ dadurch ussern kann, dass ein Wertgegenstand nicht gegen ein Ding ohne Wert, wenngleich von konkreten Gebrauchswerteigen- schaften, eingetauscht wird.

    Das Marxsche Wertgesetz, welchem gemss der Wert den Warenaustausch im Verhltnis des Austausches gleicher Wert- grssen regelt, kann seine Rechtfertigung nicht aus dem Begriffe der Aequivalenz oder etwa aus der begrifflichen Qualitt konomischer Erscheinungen herleiten. Das hiesse die gesetzmssige Wirklich- keit im Begrifflichen suchen, wrde also dem mechanisch-kausalen Grundsatze geradezu widersprechen. In hohem Masse irrefhrend ist es daher in der Tat, wenn die Marxsche Darstellung im Ka- pital davon ausgeht, dass im Tauschprozesse objektiv eine Gleich- setzung der auszutauschenden Waren erfolge.

    Auch davon kann keine Rede sein, dass sich das Wertgesetz im Bewusstsein der handelnden Personen durchsetze. Die Wert- vorstellung bietet in ihrer Abstraktheit dem praktischen Wert- urteil keinen Massstab. Marx sagt auch nicht, die Wertvorstel- lung, sondern der Wert beherrsche den Warenmarkt. Der von Engels aufgestellte Satz, dass in primitiven wirtschaftlichen Zu- stnden der Warenwert beim Tausch faktisch nach der zur Her- stellung erforderlichen Arbeitszeit bemessen wurde, mag zutreffen. Das wre aber nur ein Beweis fr die oben schon festgestellte

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  • 414 Dr. Hugo Riekes:

    Identitt zwischen der Eigenschaft der Waren als Arbeitsprodukt und der Tauschwertqualit, nicht aber fr das wertgesetzmssige Den- ken der Austauschenden. Denn an sich muss das Wertgesetz den Austausch absolut gleicher Wertgrssen verlangen. Ob nur ge- ringere Abweichungen stattfinden (wie etwa unter primitiven Wirtschaftsverhltnissen, wo die zur Herstellung der Waren aufzuwen- dende Arbeitszeit aus der Anschauung angenhert bekannt ist) oder ob die Abweichungen grosser sind, ist grundstzlich ganz dasselbe. Im Bewusstsein der handelnden Personen ist also in keinem Falle der Ursprung des etwa tatschlich eingetretenen wertgesetzmssigen Zustandes zu suchen. Das Wertgesetz muss sich unabhngig von den subjektiven Meinungen der Kufer und Verkufer geltend machen, zumal bei entwickelter Kultur, wo die Arbeitszeit, die eine Ware kostet, in der Regel kaum noch von ungefhr bekannt ist.

    Das Wertgesetz schreibt dem Werte nur eine formale Wirk- lichkeit, die Bestimmung des Warenaustauschverhltnisses, zu. Das scheint nun zunchst dem Prinzip mechanischer Kausalitt durchaus zu widerstreiten. Im Sinne der mechanisch-kausal er- klrenden Naturwissenschaft wenigstens kann ein Produkt mecha- nischer Kraftwirkungen seine Wirklichkeit selbst immer wieder nur in mechanischen Kraftwirkungen ussern. Eine Kausalreihe dieser Art liegt hier indessen offenbar nicht vor.

    Eine einfache naturwissenschaftliche Betrachtung lsst aber sofort erkennen, dass menschliche Arbeitsprodukte oder Wert- krper gar nicht Glieder einer solchen Kausalreihe sein knnen, da sie, ob zwar gleich Naturprodukten reale Produkte mecha- nischer Kraftwirkungen, dies doch in einer von der Wesensbe- schaffenheit der Naturprodukte ganz verschiedenen Art sind.

    Gemeinsam ist der menschlichen Produktion mit der orga- nischen Naturproduktion der Zweckcharakter. Auch ist es grund- stzlich gleichgltig fr die mechanisch-kausale Erklrung vorhan- dener Zweckmssigkeitstatsachen, ob sie aus menschlicher oder natrlicher Produktion hervorgegangen sind. In beiden Fllen leugnet der Materialist, dass den zweckmssigen Wirkungen selb- stndige (der Natur innewohnenden, ideologischen Prinzipien ent- stammende) Zweckursachen zugrunde liegen. Fr ihn gibt es nur eine reale Verursachung durch blind wirkende mechanische Krfte. Die scheinbare Zweckursache, auf der das zweckmssige Gerichtetsein der Krftewirkungen beruht, - wie beispielsweise

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  • Die philosophische Wurzel des Marxismus. 415

    die knstlerische Idee, die neben der technischen Arbeitsleistung des Knstlers als Ursache des Kunstwerkes in Betracht kommt - lst er fr sich wieder restlos in weiter zurck liegende mecha- nische Verursachung auf.

    Aber es besteht zwischen den Zweckmssigkeitstatsachen, die in Naturprodukten, und solchen, die in menschlichen Arbeitspro- dukten auftreten, eine sachliche Verschiedenheit. Naturprodukte enthalten in sich, real verkrpert, die Krfte, denen sie ihre Exi- stenz verdanken, sei es in Gestalt der Stoffe, die sie aufgenommen, sei es in der Form vernderter molekularer Struktur. Dagegen vergegenstndlicht sich menschliche Arbeit in ihren Produkten ausschliesslich in zweckmssigen Formen - als Form des Rocks, Prgung der Mnze, Konstruktion der Maschine u. s. w. - , nicht aber als dynamische Materiatur. Es ist der Natur der Sache nach unmglich, dass die bei der Arbeit im menschlichen Organismus verbrauchten Krfte sich im Arbeitsprodukte in gegenstndlicher Form wiederfinden. Mit dem Auftreten des Arbeitsproduktes ist eine Scheidung vollzogen zwischen dem zweckmssigen Gerichtet- sein der Arbeit, das im Produkte gegenstndlich geworden ist, einerseits und den dynamischen Wirkungen, die sich im mensch- lichen Krper als stoffliche Vernderungen bez. als Wrmeerschei- nungen ussern, andererseits. Da mit der Wertvorstellung die Arbeitsprodukte ins Auge gefasst werden, bildet den Inhalt der Wertvorstellung lediglich die in bestimmten gegenstndlichen For- men des Arbeitsproduktes gegebene Zweckmssigkeitstatsache. Wert ist also nicht im eigentlichen Sinne vergegenstndlichte ab- strakt menschliche Arbeit, sondern vielmehr genauer: die durch abstrakt menschliche Arbeit bewirkte Vergegenstndlichung des zweckmssigen Gerichtetseins der menschlichen Arbeit. Die me- chanisch-kausal erklrende nhere Bestimmung des Wertes als eines Produktes einer gewissen Menge abstrakt menschlicher Arbeit ist eine Sache ganz fr sich. Die Wertvorstellung als solche kann nur die zweckmssigen Formen menschlicher Arbeitsprodukte im Auge haben 1), und diese enthalten ihre dynamische Ursache, die

    1) Die Zweckmssigkeit der Arbeit entscheidet daher ber ihren wertbildenden Charakter. Nicht die tatschlich aufgewandte, sondern die zweckmssig gerichtete Arbeit gilt als wertbildend. Dies sei besonders hervorgehoben, weil auch hier zu- nchst die irrige Auffassung naheliegt, im Sinne des naturwissenschaftlichen Kausal- prinzips sei die tatschlich aufgewandte Arbeit als das gesetzmssig Wirkliche zu be- trachten.

    Zeitschrift fr die ges. Staatswissensch. 1906. 3. 28

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  • 41 6 D* Hugo Riekes:

    abstrakt menschliche Arbeit, nicht real in sich verkrpert. Bei sorgfltiger Erwgung dieses Sachverhltnisses muss es

    gerade vom Standpunkte mechanischer Kausalitt, als begrndet anerkannt werden, dass eine etwa vorhandene gesetzmssige Wirklichkeit des Wertes sich nur in formalenWirkungen ussern knne.

    Marx, der gelegentlich einmal im Kapitale bemerkt, dass der Mensch ebenso wie die Natur nur die Formen der Stoffe ndern knne, hat den vorstehend errterten, fr die mechanisch- kausale Betrachtungsweise entscheidenden Unterschied zwischen Arbeits- und Naturprodukten nicht hervorgehoben. Es beruht indes- sen darauf (also auf einer Verschiedenheit des Gegenstandes, nicht des Prinzips) ganz allein die Berechtigung einer besonderen von naturwissenschaftlicher Untersuchung zu unterscheidenden, dennoch aber mechanisch-kausalen Betrachtung des sozialwissenschaftlichen Gegenstandes, wie auch die Lsung des scheinbaren Widerspruches, dass der Wert als mechanisch-kausaler Faktor nur formale Wir- kungen hervorbringen knne.

    In Uebereinstimmung hiermit nennt brigens auch Marx die zwieschlchtige Natur der in der Ware enthaltenen Arbeit (als zweckmssig gerichteter Arbeit einer- und abstrakt menschlicher Arbeit andererseits) den Springpunkt, um den sich das Verstndnis der politischen Oekonomie dreht.

    Wenn schon das Wertgesetz, insoweit es dem Werte nur formale Wirkungen zuschreibt, den Erfordernissen des mechanisti- schen Kausalprinzips vollkommen entspricht, so ist damit doch die besondere Art und das bestimmte Mass von Wirklichkeit, die das Wertgesetz behauptet, noch nicht begrndet.

    Hier zeigt es sich, dass sich das Wertgesetz nur unter be- stimmten, historisch gegebenen usseren Bedingungen durchsetzen kann, wenngleich die Wertvorstellung an sich nicht als historisch bedingter, sondern als schlechthin allgemeingltiger Ausdruck so- zialer Gesetzmssigkeit erscheint. Diese usseren Bedingungen sind : Warenproduktion und Warenaustausch. Werden Waren fur den Austausch produziert, so ist die Zweckreihe, deren Endglied in dem Auftreten des Arbeitsproduktes vorliegt, in einer weiteren Zweckreihe enthalten, deren Endglied in der Erlangung je der Ware des anderen Warenbesitzers durch den Tausch besteht. Die Produktion von Waren bezweckt von vornherein nur die Er-

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  • Die philosophische Wurzel des Marxismus. 417

    langung anderer Waren. Vom Standpunkte des einen Warenpro- duzenten ist die von ihm geleistete Arbeit auf den Besitz der vom anderen Warenproduzenten hergestellten Ware gerichtet. Me- chanisch-kausal ist es richtig gedacht, das zweckmssige Endre- sultat des Besitzes der anderen Ware als durch die eigene zur Warenproduktion aufgewandte Arbeit bewirkt zu betrachten *). Der Wert ussert seine Wirklichkeit demgemss darin, sich in den Waren der Tauschparteien wechselseitig zu ersetzen. Da aber aus dem Gesetz der mechanischen Kausalitt die unterschiedslose qualitative Gleichheit der Wertsubstanz folgt, so erscheint diese Wechselwirkung als gesetzmssig nur, insoweit sich gleiche Wertmengen durch einander ersetzen.

    Das Wertgesetz ist also gleich allen Naturgesetzen im Prinzip der mechanischen Kausalitt begrndet und hat, wenn man ein- mal die Dinge unter mechanisch-kausalem Gesichtspunkte betrach- tet, unbezweifelbare und absolute Geltung. Die den Warenaus- tausch vollziehenden Personen erscheinen dabei lediglich als Funktionre des Wertes. Insoweit die konomischen Vorgnge im einzelnen (bei der Preisbildung) anders verlaufen, als der Wert- gesetzmssigkeit entspricht, ist die Nichtbereinstimmung als durch andere Faktoren bewirkte Abweichung zu erklren. Das bedarf keiner nheren Erluterung. Mit den naturwissenschaftlichen Ge- setzen ist es ganz ebenso. Niemand wird deswegen, weil ein Stein in der atmosphrischen Luft niemals genau den Fallgesetzen entsprechend fllt, die Fallgesetze bestreiten. Dass man in den tatschlichen Abweichungen vom Wertgesetze, insbesondere gar in den von Marx erklrten regelmssigen (. . den mit der Durch- schnittsprofitrate zusammenhngenden) Inkongruenzen von Wert und Preis, Beweismittel gegen die Werttheorie zu finden geglaubt hat, ist nur dadurch zu verstehen, dass man die prinzipielle Be- grndetheit des Wertgesetzes nicht erkannt hat. Ganz ungerecht-

    i) Bezahlte Arbeit ist gleich eigener Arbeit. Hat der Warenbesitzer nicht eigenhndig produziert, sondern Arbeitskrfte gekauft und durch diese seine Ware anfertigen lassen, so fgen sich diese Vorgnge als Zwischenglieder in die Zweck - Teihe ein, deren Anfangsglied (Zweckursache) die auf den Warenaustausch gerich- tete konomische Ueberlegung des Unternehmers, deren Endglied (zweckmssige Wirkung) der Besitz der eingetauschten Ware ist. Dass die Reduktion auf die me- chanisch-kausalen Faktoren des Gesamtvorganges auch die durch die konomische Absicht des Unternehmers geleitete Bettigung der gekauften Arbeitskraft mit ein- schliesst, entspricht durchaus einer durch den Gegensatz zur Teleologie geschrften mechanistischen Auffassung.

    28*

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  • 41 8 Dr Hug Riekes:

    fertigt ist auch die Behauptung, Marx htte den die Abweichungen von der Wertgesetzmssigkeit bewirkenden Faktoren eine dem Werte koordinierte Bedeutung einrumen mssen. Die Analogie zu den Fallgesetzen hrt hier auf. Whrend die den gesetzms- sigen Fall beeintrchtigenden Einflsse gleichfalls in physikalischen Gesetzen zum Ausdruck kommen, ist das Gebiet konomischer Gesetzmssigkeit durch den mechanisch-kausalen Gesichtspunkt auf die der Wertvorstellung entsprechenden Faktoren beschrnkt.

    B. Der Wert in seiner Eigenschaft als der den konomischen Entwickelungsfortschritt verwirklichende Faktor.

    Da fr die auf Warenproduktion und -Austausch beruhende Volkswirtschaft das Wertgesetz der allgemeinste Ausdruck kono- mischer Gesetzmssigkeit ist, muss sich der gesetzmssige ko- nomische Entwickelungsfortschritt auf der Grundlage des Wertge- setzes ergeben. Der Entwickelungsfortschritt muss durch den mecha- nisch-kausalen Faktor des Wertes wertgesetzmssig bewirkt werden.

    An sich scheint dem Wertgesetz eine entwickelungsfortschritt- liche Tendenz nicht innezuwohnen. Der Wert wirkt nach dem Wertgesetze lediglich als Tauschmittel und Bestimmungsgrund des Austauschverhltnisses. Das wertgesetzmssige Ergebnis ist, dass die Waren in gewissem Mengenverhltnis ihre Besitzer wechseln. Wenn der Warenaustausch allein dazu dient, Gegenstnde zum un- mittelbaren Gebrauch, beispielsweise Kleidungsstcke gegen Nah- rungsmittel, fr einander einzutauschen, kann die Wirklichkeit des Wertes in der zeitlichen Aufeinanderfolge der Erscheinungen offen- bar keine Spuren einer fortschreitenden Entwickelung hinterlassen. Die Waren sind durch ihre Werteigenschaft Mittel, andere Waren dafr einzuhandeln. Nach dem Besitzwechsel werden sie ver- braucht. Es fehlt hier an jedem Zusammenhange zwischen den zeitlich einander folgenden Phnomenen.

    Ein solcher Zusammenhang wird erst konstituiert, wenn die ussere Bedingung gegeben ist, dass ein Wertkrper seiner Zweck- bestimmung nach immer von neuem in konomische Phnomene eintritt, d. h. immer von neuem als Tauschmittel wirkt. Eine Ware, die diesen Zweck erfllt, nennt man Geld. Das Geld stellt den Zusammenhang der konomischen Phnomene unter einander tatschlich her. Aber wie vielen Waren es auch immer wieder im Tausch als Wertkrper gegenbertreten mag, der Wert ver- mag auf dieser Grundlage keine anderen Wirkungen hervorzu-

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  • Die philosophische Wurzel des Marxismus. 419

    bringen wie beim primitiven Tausch. Nach dem Wertgesetze werden stets gleiche Wertgrssen ausgetauscht. Das Geld kann dabei nichts anderes bewirken als irgend eine andere Ware. Das schliessliche Ergebnis ist daher dasselbe, wie wenn die Waren, deren Zweckbestimmung das Verbrauchtwerden ist, ohne das Dazwischentreten des Geldes als allgemeinen Aequivalentes un- mittelbar gegen einander eingetauscht wren.

    Erst wenn unter den Waren, die als Wertkrper dem Gelde gegenbertreten, sich solche finden, deren Zweckbestimmung es ist, als Werterzeuger verbraucht zu werden, d. h. wenn die mensch- liche Arbeitskraft als Ware auftritt, ergeben sich in der Zeitfolge bleibende wertgesetzmssige Wirkungen. Dadurch, dass die Ar- beitskraft im Produktionsprozesse ber die zur Reproduktion ihrer durch den notwendigen Lebensunterhalt bestimmten Wertgrsse ntigen Arbeitszeit hinaus wertbildende Arbeit leisten kann, ist die Mglichkeit gegeben, dass fr den Kufer der Arbeitskraft neben dem reproduzierten eigenen Wert derselben ein nicht be- zahlter Mehrwert entsteht, den er im Verkaufe der neugeschaf- fenen Werte realisiert. Aus der Mehrwerterzeugung, die den Kapitalprofit erklrt, folgt, da auch der Kapitalprofit wieder als Kapital in den Produktionsprozess eingeworfen werden kann, die Akkumulationstendenz des Kapitals. Die Akkumulation des Kapi- tals ergibt sich unmittelbar auf der Grundlage des Wertgesetzes und erscheint daher als der Kern des gesetzmssigen konomischen Entwickelungsfortschrittes, whrend die daran sonst noch betei- ligten Vorgnge - wie die technische Konzentration, die Zentra- lisation des Kapitals, die Verelendung des Proletariats u. s. w. - ihrerseits schon jene Akkumulation voraussetzen , gleichsam Funktionen des akkumulierenden Kapitals darstellen, also nicht unmittelbar aus der Wertgesetzmssigkeit des Entwickelungspro- zesses hervorgehen.

    Fr den hier ins Auge gefassten Zweck, den von Marx dar- gestellten Entwickelungsfortschritt als durch den mechanisch-kau- salen Faktor des Wertes bewirkt zu erkennen, gengt es demge- mss, diese Feststellung auf den Akkumulationsprozess des Kapitals im engeren Sinne zu beschrnken.

    In einem Mitte Mrz 1905 zu Kln gehaltenen Vortrage hat Sombart sich dahin ausgesprochen, dass die Werttheorie ber- haupt keinen Bestandteil der Marxschen Entwickelungslehre bilde. Dieser gegenstzliche Standpunkt lsst sich damit begrnden,

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  • 42O Dr Hugo Riekes:

    dass das Wertgesetz , wie wir gesehen haben , an sich lediglich die Tatsachen der Warenproduktion und des Warenaustausches voraussetzt, niemals aber allein auf dieser Grundlage ertwicke- lungsfortschrittliche Wirkungen des Wertes eintreten knnen. Es mssen vielmehr noch weitere tatschliche Bedingungen gegeben sein , im besonderen die Zirkulationsform Kaufen, um zu ver- kaufen und die Kuflichkeit der Ware Arbeitskraft, aus deren Mehrwerterzeugung die fortschreitende Entwickelung erst ent- springt. Man knnte daraus den Schluss ziehen , dass nicht die Wirklichkeit des Wertes, sondern die erforderliche Konstel- lation historisch gegebener usserer Bedingungen als Quelle des Entwickelungsfortschrittes anzusehen sei.

    Dieser Auffassung steht jedoch entgegen, dass die einzelnen Entwickelungsvorgnge sich verwirklichen knnen immer nur durch das Mittel des Warenaustauschprozesses, der aber seinerseits unter der Herrschaft des Wertgesetzes steht. Die Werttheorie, die vom Werte als bestimmendem Faktor des Warenaustausches handelt, drfte daher fglich als das Fundament der Marxschen Lehre zu bezeichnen sein1). Das Wertgesetz nimmt in Marx1 konomischer Entwickelungslehre eine hnliche Stellung ein wie das Selektions- prinzip in der biologischen Entwickelungslehre Darwins. Auch der Kampf ums Dasein enthlt, fr sich genommen, kein Mo- ment, das einen entwickelungsfortschrittlichen Charakter aufweist ; eher knnte darin ein entwickelungsfeindliches Element gesehen werden. Erst durch das Hinzutreten gewisser usserer Bedingungen - Beschrnktheit der Nahrungsmittel, strkere Individuen auf der einen, schwchere auf der anderen Seite mit nachfolgender Ver- nichtung dieser und demgemss Fortpflanzung allein jener - wird die Wirklichkeit des Daseinskampfes im Sinne einer Vervoll- kommnung der Arten ermglicht. Dennoch ist das Selektions- prinzip unbestritten der Zentralgesichtspunkt der Darwinistischen Entwickelungslehre. Und zwar aus dem gleichen, wie oben fr das Wertgesetz angefhrten Grunde, nmlich weil sich durch den Kampf ums Dasein die Faktoren erst verwirklichen, die zuvor nur

    i) Die gegenteilige Auffassung ist allein dadurch mglich - und das ist wohl auch S m b arts Ansicht - , dass das Wertgesetz (entgegen der hier vertretenen An- schauung, wonach es seine Rechtfertigung aus dem allgemeingltigen Prinzip mecha- nischer Kausalitt herleitet) mehr oder weniger als ein blosses Hilfsmittel des wissen- schaftlichen Denkens gilt. Dann besteht freilich kein zwingender Grund, die Ent- wickelungsvorgnge als durch den Wert gesetzmassig bewirkt anzusehen.

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  • Die philosophische Wurzel des Marxismus. 42 1

    als an sich unwirkliche Entwickelungsbedingungen oder als nur potentielle Faktoren gegeben sind.

    Die Akkumulation des Kapitals grndet sich letztlich auf die Tatsache, dass die gekaufte menschliche Arbeitskraft Mehrwert erzeugen kann. Marx' Beweisfhrung, dass die Mehrwerterzeugung stattfinden muss, ist von besonderem Interesse. Sie sttzt sich einerseits auf das Wertgesesetz , gemss welchem aber - da immer Aequivalente ausgetauscht werden mssen - der Kapital- profit zunchst unerklrlich erscheint, sowie andererseits auf eine Erfahrungstatsache , das Vorhandensein der Zirkulationsform : G(eld - W(are) - G(eld), d. h. Kaufen, um zu verkaufen. Dieses fr kapitalistische Wirtschaftsweise typische Phnomen wre sinn- und zwecklos, wenn das Verkaufen nicht mit einem Wertzuwachs, mit Profit, geschhe. Ein Profit aber kann ohne Verletzung des Wertgesetzes1) nur vermittels der Mehrwerter- zeugung des Lohnarbeiters entstehen, gemss dem Vorgange G - W (= Arbeitskraft) . . . [Verbrauch der Arbeitskraft im Pro- duktionsprozesse ber die zur Reproduktion des eigenen Wertes erforderliche Arbeitszeit hinaus] . . . Wi (= neu produzierte Ware, mehr wert als W) - G12). Folglich: muss eine Mehrwerter- zeugung stattfinden.

    Marx begrndet also die Notwendigkeit der den ko- nomischen Entwickelungsfortschritt begrndenden Mehrwerterzeu- gung damit, dass die Zirkulationsform Kaufen, um zu verkaufen Zweck haben msse, um zu existieren. Es wre aber ganz falsch zu meinen, dass die mechanisch-kausale Betrachtung so mit einem Male durch ein ideologisches Moment unterbrochen wrde. Kein Materialist leugnet es, dass menschliche Handlungen durch Zweck- vorstellungen bestimmt werden, er sieht jedoch kein Hindernis, diese Tatsache mechanisch-kausal zu erklren. Es htte daher einer besonderen Hervorhebung der mechanisch-kausalen Begrndet- heit dieses Bestandteils der Marxschen Beweisfhrung nicht be- durft, wenn nicht gerade in der sozialwissenschaftlichen Literatur

    1) Den anderen mglichen Fall, dass eine regelmssige Abweichung vom Wert- gesetze zugrunde liege, schliesst Marx aus. Damit, dass von den handelnden Per- sonen durch Uebervorteilung die eine immer gerade so viel gewinne , wie die an- dere einbsse, lasse sich eine so allgemeine Tatsache wie der Kapitalnutzen nicht er- klren.

    2) Da G=W und Wi=Gi ist, vollziehen sich Kauf wie Verkauf gemss dem Wertgesetze unter Austausch von Aequivalenten. Dennoch ist Gi mehr als G.

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  • 422 * Hugo Riekes:

    das subjektive menschliche Zweckbewusstsein vielfach ohne wei- teres zur Grundlage ideologischer Betrachtung gemacht wrde.

    Wenn die mechanische Notwendigkeit der Mehrwerterzeugung zuzugeben ist, so gilt dasselbe auch fr die Verwandlung des Mehr- wertes oder Profites in produktives Kapital, auf welcher die Ak- kumulation des Kapitals dann unmittelbar beruht. Die usseren Bedingungen der Kapitalisierung von Mehrwert - nmlich wach- sende Produktivitt der Arbeit, damit zusammenhngende Ver- mehrung der Kapitalanlage u. s. w. - knnen in anderer Betrach- tung auch als Folgeerscheinungen der Akkumulation aufgefasst werden. Und da in diesem Kreislaufe von Bewirktem und Be- wirkendem die unter mechanisch-kausalem Gesichtspunkte als alleinige Trger konomischer Gesetzmssigkeit erscheinenden Wertkrper - hier in der Erscheinungsform des Kapitals - die einzigen konomisch-gesetzmssig wirklichen Faktoren sein mssen, so erscheint der ganze Akkumulationsprozess mit Einschluss der zweckbewussten Mitwirkung des Kapitalisten als eine notwendige Funktion des Kapitals selbst. Es tritt auch hier kein Moment hinzu, das einen Widerspruch zu dem mechanistischen Grundsatze enthielt. Selbstverstndlich kann aber die mechanische Notwen- digkeit der Akkumulation nicht in dem Sinne behauptet werden, dass aller Mehrwert kapitalisiert werden msse. Es ist keinem Kapitalisten verboten, den Kapitalprofit ganz oder teilweise zu vergeuden. Es liegt zwar eine dem Kapital als solchem inne- wohnende mechanische Notwendigkeit der Akkumulation vor. Dadurch wird aber eine Beeintrchtigung durch entgegenwirkende Faktoren, die an sich mit konomischer Gesetzmssigkeit nichts zu tun haben, keineswegs ausgeschlossen. So nimmt ja auch der naturwissenschaftliche Materialist beispielsweise fr das Wachstum einer Pflanze nach physiologischen Gesetzen eine mechanische Notwendigkeit in Anspruch, obwohl ussere Einflsse - wie Frost, ein fallender Stein u. a. - diese gesetzmssige organische Ent- wickelung stren oder berhaupt zunichte machen knnen. Die Mglichkeit solcher usseren Einwirkungen berhrt aber weder die Geltung der physiologischen Gesetze, noch kann sie in diesen irgendwie zum Ausdruck kommen.

    5. Die logischen Formen der mechanischen Kausalitt der ge- schichtlichen Entwickelung.

    Insoweit der Marxschen Sozialphilosophie der Gedanke zu-

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  • Die philosophische Wurzel des Marxismus. 423

    grnde liegt, dass Trger der sozialen Entwickelungsgesetzmssig- keit ausschliesslich konomische Erscheinungen sein knnen, ist sie unmittelbarer Ausdruck des Prinzips mechanischer Kausalitt. Weiter haben wir gesehen, dass auch Marx' . - freilich nur fr eine bestimmte Wirtschaftsepoche geltende - konomische Ent- wickelungslehre in allen wesentlichen Punkten folgerichtige An- wendung des mechanisch-kausalen Gesichtspunktes ist. Es er- brigt nun noch, darauf hinzuweisen, dass auch der in den sozial- philosophischen Grundstzen behauptete, dialektische Charakter der Entwickelung mit den mechanisch-kausal verstandenen ko- nomischen Theorien nicht im Widerspruch steht, in diesen viel- mehr - wenigstens fr das Zeitalter der auf Warenproduktion und Warenaustausch beruhenden Wirtschaftsweise - seine nhere Begrndung findet.

    A. Position und Negation.

    Die Funktion des Kapitals, wenngleich sie sich nach Mass- gabe des Wertgesetzes vollzieht, negiert den positiven Inhalt des Wertgesetzes.

    Wertgesetzmssig werden im Warenaustausch gleiche Wert- grssen gegen einander getauscht. In diesem Austausch von Aequivalenten liegt die gegenseitige absolute Anerkennung des Eigentums. Marx nennt daher das Wertgesetz auch das auf Warenproduktion und Warenzirkulation beruhende Gesetz der Aneignungs weise oder Gesetz des Privateigentums. Ursprnglich kann im Sinne des Wertgesetzes jemand eine Ware, deren er be- darf und die ein anderer hat, nur einhandeln, wenn er ein Aequi- valent dafr bietet. Dieses Aequivalent kann er, wenn man nur vom Wertgesetze ausgeht, das an sich lediglich Warenproduktion und Warenaustausch, nicht aber bereits Kapital voraussetzt, zu- nchst auf keine andere Weise erlangen als durch seine eigene Arbeit. Sobald der Warenbesitzer jedoch die Ware Arbeitskraft einhandelt und deren Gebrauchswert im Produktionsprozesse kon- sumiert, wandelt sich das Bild. Es wird durch unbezahlte Mehr- arbeit Mehrwert erzeugt. Selbst wenn der so zum Kapitalisten gewordene Warenbesitzer nur immer das ursprnglich vorgeschos- sene Kapital wieder in den Produktionsprozess zurckwirft, er- scheint, sobald der von ihm persnlich verzehrte Mehrwert die Hhe des Stammkapitals erreicht hat, dieses als verbraucht. Das Kapital, ber das er gleichwohl noch verfgt, ist tatschlich nur

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  • 424 ^r Hugo Riekes:

    ein aus unbezahlter Mehrarbeit entstandener Wert. Trotzdem wird dem Kapitalisten immer weiter der Wert des ursprnglich vorgeschossenen Kapitals nebst einem Profit reproduziert. Das Gesetz des Privateigentums schlgt so in sein Gegenteil, in eine Form der unentgeltlichen Aneignung fremden Produkts um. Ver- mge seiner eigenen inneren, unvermeidlichen Dialektik fhrt das Wertgesetz seine eigene Negation herbei.

    In dem logischen Verhltnisse des den Zentralgesichtspunkt der konomischen Entwicklungslehre darstellenden Wertgesetzes zu den wertgesetzmssig abgeleiteten Entwickelungserscheinungen werden somit wiederum die beiden ersten Phasen der dialektischen Bewegung (Position und Negation) sichtbar. Es ist so im Hin- blick auf Marx' sozialphilosophische Grundstze gewissermassen die Probe auf das Exempel gemacht. Dort wurde der Satz, dass die Entwicklung im Sinne HegelscYiev Dialektik verlaufe, dog- matisch ausgesprochen. Hier ergibt er sich erst aus der vollende- ten theoretischen Konstruktion, die auf den Satz von der bestimmen- den Wirklichkeit ausschliesslich der mechanisch-kausalen Faktoren gegrndet ist. Die von Marx behauptete Logik der Entwickelung beruht also nicht auf der Wirklichkeit logischer Faktoren, sondern die mechanisch-kausal verstandenen Entwickelungsvorgnge passen nur - sagen wir: zufllig - in den Rahmen eines logischen Prozesses.

    So versteht es sich, dass Marx im Vorwort zur zweiten Auf- lage des Kapital sagt, seine dialektische Methode sei der Grundlage nach von der Hege/sehen nicht nur verschieden, son- dern ihr direktes Gegenteil.

    Demgemss erscheint in der konomischen Theorie als der ne- gierende Faktor das mechanisch-kausal wirkliche Element, die ab- strakt menschliche Arbeit, und zwar in Gestalt des durch sie ge- schaffenen Mehrwerts. Die Mehrwerterzeugung ist der tatschliche Vorgang, der das Gesetz des Privateigentums zum Gesetz der Ent- eignung macht. In Marx' sozialphilosophischen Grundstzen wird die negierende Wirkung der ber gegebene Produktionsverhltnisse hinauswachsenden Arbeitsproduktivitt zugeschrieben, einem Fak- tor, der von Marx in folgerichtig mechanisch-kausalem Sinne nicht als Summe technischer Wissenschaft und Fertigkeit, sondern als durch diese bestimmter, rein quantitativer Grad mglicher produk- tiver Wirksamkeit der menschlichen Arbeit - also im Sinne eines Attributs der Arbeitskraft - gedacht wird. Auch in

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  • Die philosophische Wurzel des Marxismus. 425

    diesem Hinblick schpft Marx' sozialphilosophische Lehre ihre Berechtigung aus den Ergebnissen der Untersuchung ber die konomische Entwickelung. Die Produktivkraft der Arbeit und der Wert sind korrespondierende Glieder einer Kausalreihe. Whrend der Wert die (durch abstrakt menschliche Arbeit bewirkte) Ver- gegenstndlichung des zweckmssigen Gerichtetseins der mensch- lichen Arbeit ist, bezeichnet der Produktivittsbegriff das zweck- mssige Gerichtetsein der Arbeit fr sich genommen, und zwar mechanisch-kausal gedacht nicht mit besonderem Zweckinhalt wie Schneiderei, Schlosserei u. s. w., sondern im Sinne einer an der Menge des zur Erfllung des Arbeitszwecks erforderlichen Arbeits- aufwandes messbaren Zweckmssigkeit der Arbeitsrichtung *). Als dynamisch bestimmte Grosse ist daher die Produktivitt der Arbeit in jedem Falle mit dem durch sie geschaffenen Wertquan- tum identisch (die gesellschaftliche Produktivkraft ebenso mit der Summe der produzierten Wertgrssen).

    Marx' sozialphilosophische Grundstze supponieren also dem wirklichen einfach den entsprechenden potentiellen Entwickelungs- faktor - ein Verfahren, welches dadurch bedingt ist, dass die usseren Bedingungen der konomischen Wirklichkeit und dem- gemss ihre Entwickelungsgesetze in verschiedenen Zeitepochen qualitativ verschieden sind, whrend die menschliche Natur, auf welche der Allgemeingltigkeit beanspruchende sozialphiloso- phische Gesichtspunkt rekurriert, als im wesentlichen unvernder- lich gelten kann. Nur so kann Allgemeingltiges ber die Ge- setzmssigkeit aller geschichtlichen Entwickelung ausgesagt werden.

    B. Negation der Negation.

    Dass der den dialektischen Entwickelungscharakter ausspre- chende Bestandteil der Marxschen Sozialphilosophie in der me- chanisch-kausal begrndeten theoretischen Konstruktion der ko- nomischen Entwickelung seine Besttigung findet, wird fr die beiden ersten Phasen der dialektischen Bewegung leicht eingesehen. Nicht so klar am Tage liegt das fr das dritte Stadium des dia- lektischen Fortschritts.

    1) Wachsende Arbeitsproduktivitt ist daher wachsende Zweckmssigkeit des Gerichtetseins der Arbeit, der eine Verringerung der zur Vergegenstndlichung des Arbeitszweckes erforderlichen Menge abstrakt menschlicher Arbeit entspricht. Der Entwicklungsgrad der Arbeitsproduktivitt ist also umgekehrt proportional dem Werte der Produkte.

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  • 426 Dr. Hugo Riekes:

    Das Wertgesetz erzeugt, sobald als ussere Bedingung die Kapitalfunktion des Geldes hinzutritt, seine eigene, in mannigfal- tigen inneren Widersprchen der kapitalistischen Produktionsweise sich ussernde Negation. Auf einem gewissen Punkte fhren diese Widersprche nun zum vlligen Bruch mit den bestehenden Produktionsverhltnissen auf dem Wege sozialer Umwlzung mit dem Endergebnis der Schaffung einer neuen Basis fr die weitere Entwickelung. Das ist die Negation der Negation.

    Dass es sich hierbei nicht um eine Fortsetzung des kono- misch gesetzmssigen Entwickelungsprozesses, sondern um dessen Ende handelt, liegt auf der Hand. Die wertgesetzmssige Attrak- tionskraft des Kapitals kann im allerussersten Falle zur endlosen Anschwellung eines Riesenkapitals in einer einzigen Hand fhren. Weiteres als solche rein quantitative Wirkung lsst sich, wie bei der qualitativen Unterschiedslosigkeit der Wertsubstanz unschwer zu verstehen ist, aus dem Wertgesetze nicht erklren. Behauptet wird aber, dass dieser Kapitalanhufung schliesslich auf dem Wege der Enteignung der Kapitalistenklasse durch die proletarischen Arbeitermassen ein Ziel gesetzt wird. Das bedeutet also die vllige Ausserkraftsetzung des Wertgesetzes.

    Bei oberflchlicher Betrachtung will es scheinen, als ob dieser Teil der Marxschen Lehre einen unlsbaren Widerspruch zu dem Grundsatze der mechanischen Kausalitt enthielte.

    Zwar geht Marx1 Darstellung auch hier ohne Zweifel von dem mechanisch-kausalen Gesichtspunkte der Wertvorstellung aus : M i t der Anhufung des Kapitals in immer weniger Hnden wchst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch die Emprung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapita- listischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse . . . >Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlgt. Die Expropriateurs werden expropriiert. Marx bezeichnet also als das revolutionr treibende Moment die konomische Konstellation angehufter Riesenkapi- talien gegenber der Besitzlosigkeit der Massen. Aber es wrde zum Nachweise dafr, dass die wertgesetzmssige Entwickelung damit ihr Ende erreichen muss, nicht gengen, geltend zu machen, diese nur durch die Anerkennung des Privateigentums aufrecht zu erhaltende Konstellation knne sich rcksichtlich des Um- standes, dass das Wertgesetz oder Gesetz des Privateigentums

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  • Die philosophische Wurzel des Marxismus. 427

    durch die Kapitalfunktion des Geldes lngst zu einer Form un- entgeltlicher Aneignungsweise geworden sei, nicht mehr als ein haltbarer Zustand erweisen.

    Wenn die Notwendigkeit der sozialen Umwlzung nur so be- grndet wre, so stnde sie im Widerspruche zu dem mechanisch- kausalen Grundsatze des Oekonomismus, der ausschliesslich in der Eigenschaft von Dingen als abstrakten Wertkrpern das Sub- strat sozialer Gesetzmssigkeit erkennt. Es wrde dann bestimm- ten Eigenschaften der menschlichen Psyche die Fhigkeit zuge- schrieben, das Wertgesetz zu paralysieren. Denn gemss dem Wertgesetze, das an sich auch bei kapitalistischer Produktions- weise noch absolute Geltung hat, kann sich aus dem Vorhanden- sein grosser Kapitalansammlungen eben nur erneute Kapitalan- hufung ergeben.

    Es gibt nur eine Mglichkeit, ohne Bruch mit dem Prinzip mechanischer Kausalitt den Uebergang von der alten zur neuen Zeitepoche zu erklren. Wie der Teufel bekanntlich nur mit Beelzebub auszutreiben ist, so muss neben der alten, das Ent- wickelungsziel der Vergangenheit darstellenden, zugleich eine neue konomische Konstellation gegeben sein, die als erstes Glied der knftigen Entwickelung den Endzustand der alten Periode ablst.

    In der das neue Zeitalter einleitenden konomischen Konstel- lation erscheinen unter dem Gesichtspunkte der Wertvorstellung die vorhandenen, durch die Funktionen des Kapitals zu hoher Entwickelungsstufe herausgebildeten Produktionsmittel. Aeusserlich tritt das darin hervor, dass auf diese der gesellschaft- liche Charakter der Wirtschaft sich konzentriert hat. Bei einfacher Warenproduktion produzieren die wirtschaftenden Personen je fr sich und treten erst durch den Tauschprozess in gesellschaftlichen Kontakt, der fr sie die phantasmagorische Form eines Verhlt- nisses von Dingen (des Tauschwertverhltnisses von Waren nm- lich) annimmt. Die kapitalistische Produktionsweise erzeugt da- gegen durch Entwickelung der Produktionsmittel zu immer hherer Vollkommenheit eine fortschreitende Vergesellschaftung des Ar- beitsprozesses und entsprechende gesellschaftliche Benutzung der Produktionsmittel, auf die somit in steigendem Grade der Charak- ter des gesellschaftlichen Bindegliedes bergeht.

    Dieses ussere Merkmal des die Negation der Negation herbeifhrenden (konomischen) Zustandes ist aber natrlich nicht

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  • 42S Dr Hugo Riekes:

    fr sich als gesetzmssiger Bestimmungsgrund der sozialen Wand- lung anzusehen. Entscheidend dafr, dass die Oekonomisierung der ProduktionsmitteU zur Reife gelangte, ist vielmehr, dass der ge- gebene Zustand einer hheren Form der Gesellschaftsordnung adquat geworden ist. Dann wird die alte durch die neue (auf Grund des Gemeinbesitzes der Produktionsmittel das individuelle Eigentum, nmlich am vollen Arbeitsertrage, wiederherstellende) Gesellschaftsformation verdrngt.

    In diesem Sinne lehrt die materialistische Geschichtsauffassung, dass neue hhere Produktionsverhltnisse nie an die Stellet der alten treten, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schosse der alten Gesellschaft selbst ausgebrtet worden sind. Die Mitwirkung der den sozialen Umsturz herbeifhrenden Per- sonen erscheint dabei als eine rein passive, als eine Reaktion auf die bestimmenden usseren Einflsse, nicht aber etwa als Verwirklichung in Freiheit geborener, revolutionr-fortschritt- licher Ideen, deren Ursprung in einer mit mechanischer Kausalitt unvereinbaren, seelischen Initiative zu suchen wre. Anfang und Ende des Umwlzungsprozesses sind der Wert Vorstellung ent- sprechende konomische Tatsachen. Der ganze Vorgang stellt ein Analogon zum einzelnen Tauschprozess dar. Auch der wert- gesetzmssige Vorgang des Warenaustausches ist faktisch eine Tat der ihre wirtschaftlichen Zwecke verfolgenden Personen, die jedoch lediglich als unbewusste Agenten des Wertes erscheinen, sobald wir den Vorgang auf seinen mechanisch-kausal gesetzms- sigen Inhalt reduzieren. Es war dabei, um das hier kurz zu re- kapitulieren, folgendes ins Auge zu fassen : Da der Wert als reales Produkt eines dynamischen Elementes, der menschlichen Arbeits- kraft, mechanisch-kausal wirklich ist, dagegen als von diesem dy- namischen Elemente losgelste reine (zweckmssige) Form keine selbstndige Wirklichkeit besitzt, so kann er zwar ohne Mitwir- kung der wirtschaftenden Personen, die als einerseits mit Zweck- bewusstsein, andererseits mit dynamischen - nmlich Willens- usserungen ermglichenden - Fhigkeiten ausgestattete Wesen das formale mit dem dynamischen Element gewissermassen wieder verbinden, seine Wirklichkeit nicht ussern; als das Oekonomisch- Gesetzmssige des stattgehabten Warenaustausches jedoch er- scheint trotz allem, was die austauschenden Personen dabei denken und tun mgen, au ssschliesslich das, was der Wert bewirkt, also, wie im frheren nher ausgefhrt: die gegen-

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  • Die philosophische Wurzel des Marxismus. 429

    seitige Ersetzung gleicher Wertmengen. Ein Gleiches gilt nun mutatis mutandis auch fr den sozialen Umwlzungsprozess. Welches auch immer die juristischen, politischen, religisen, knst- lerischen oder philosophischen, kurz ideologischen Formenc sein mgen, worin sich die Menschen des revolutionierenden Konflik- tes bewusst werden und ihn ausfechten, das schliessliche Er- gebnis, die Eigenart der neuen Wirtschaftsordnung, steht von vorn- herein fest. Bei diesem Eintausch der neuen gegen die alte Ordnung durch eine soziale Gemeinschaft ist aber - umgekehrt wie beim einzelnen vom Standpunkte der einen Tauschpartei betrachteten Warenaustauschprozess, und darin kenn- zeichnet sich der Vorgang usserlich als Aufhebung des Wert- gesetzes - das gesetzmssig Bewirkende nicht das, was in den Kauf gegeben wird, sondern das, was an dessen Stelle tritt.

    Der Uebergang von der alten zu der neuen Wirtschaftsepoche setzt sich aus einem negativen Bestandteile, dem Untergange der alten Gesellschaftsform, und einem positiven Bestandteile, dem Eintritt der zur Reife gelangten, der Wertvorstellung entsprechen- den Realitten in den konomischer! Brennpunkt, zusammen. Der Zusammenbruch der alten Gesellschaftsordnung ist gleich dem Verfall eines altersschwachen pflanzlichen oder tierischen Organis- mus* kein Entwickelungsbestandteil, sondern das Absterben des aus der vorgngigen Entwickelungsperiode resultierenden Endzu- standes. Das zweckmssige Ergebnis der Konformitt der neuen Gesellschaftsordnung mit ihrem konomischen Substrat geht dem- nach aus einer besonderen Entwickelungsreihe hervor, die in dem ersten Auftreten des Kapitals, das schon an sich selbst als Be- dingung des Vorhandenseins von Produktionsmitteln berhaupt erscheint, bereits ihren Ursprung hat. Damit ist, obwohl die konomische Gesetzmssigkeit der neuen Wirtschaftsepoche die der alten nicht fortsetzt, sondern ablst, die Kette der mecha- nischen Kausalitt geschlossen. Das Kapital, das durch seinen Eintritt in die wertgesetzmssigen Vorgnge das Wertgesetz ne- giert, erzeugt sonach zugleich noch im Schosse der alten Gesell- schaftsordnung die Bedingung der Lsung dieses Konfliktes, die sich als Negation der Negation darstellt.

    Auch Marx hat mit klaren Worten ausgesprochen, die ka- pitalistische Produktion erzeuge mit der Notwen- digkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation. Demgegen- ber ist die Ansicht, dass Marx eine von mechanischer Kausalitt

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  • 43O ^ Hugo Riekes:

    unterscheidbare , logische Notwendigkeit sozialer Aenderungen gemeint habe, nicht aufrecht zu erhalten. Davon knnte doch nur die Rede sein, wenn in Marx* Darstellung die Negation selbst - also ein logischer Faktor - als Entwickelungsfaktor erschiene. Die Negation ist in seiner theoretischen Entwickelung aber nicht Bewirkendes, sondern Bewirktes. Wenn Marx trotzdem gelegent- lich von einer logischen Notwendigkeit sozialer Aenderungen spricht, so ist dagegen im gewissen Sinne nichts einzuwenden. Die Ver- wirklichung der gesetzmssigen Faktoren des Vorganges fhrt durch das logische Bewusstsein der handelnden Personen, das vom sozialwissenschaftlichen Materialisten gleichwie das mensch- liche Zweckbewusstsein als gegebene, mechanisch-kausal aufls- bare, natrliche Bedingung des Geschehens vorausgesetzt werden muss, ohne dass dadurch das durch die Wertvorstellung bezeich- nete Gebiet konomischer Gesetzmssigkeit berhrt wrde.

    6. Ergebnis. Im Gegensatz zu der von Stammler ausgesprochenen Meinung

    darf als Ergebnis unserer Betrachtungen angesehen werden, dass der Marxschen Darstellung der reine Ursachenbegriff im Sinne mechanischer Kausalitt zugrunde liegt. Die Marxschen Theo- rien mgen im einzelnen Mngel enthalten. Aber von einer ^kmmerlichen Nachahmungc des naturwissenschaftlichen Kausal- begriffs kann dabei keine Rede sein. In den Grundzgen ist die Marxsche Lehre mechanisch-kausal absolut richtig gedacht. Aller- dings ist es nicht leicht, sich in das Verhltnis der Begrifflichkeit sozialer Phnomene zu ihrem durch die abstrakte Wertvorstellung bezeichneten materiellen Substrat hineinzudenken. Auch durch die vorstehenden, allein das Wesentlichste kurz skizzierenden Aus- fhrungen konnte dazu leider nur ein Fingerzeig gegeben werden.

    Dass der konomistische Gesichtspunkt reiner Ausfluss des Prinzips mechanischer Kausalitt ist, kann nicht bestritten werden. Der sozialphilosophische Lehrsatz ferner, dass die soziale Ent- wickelung im Sinne des dialektischen Fortschritts verlaufe, em-

    pfngt seine mechanisch-kausale Begrndung durch das Wertge- setz, das diesen Entwickelungsfortschritt verwirklicht. Damit ist der Nachweis fr die Richtigkeit der sozialphilosophischen Ent-

    wickelungslehre erbracht. Freilich nur fr eine einzige, fr die auf Warenproduktion beruhende Entwickelungsepoche. Mit dem Zusammenbruche der kapitalistischen Produktionsweise hrt die

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  • Die philosophische Wurzel des Marxismus. 431

    Geltung des Wertgesetzes auf. Was hernach an seine Stelle tritt, und was in frheren Zeitaltern seine Stelle vertreten hat, sagt uns Marx nicht. Aus unsern Errterungen scheint sogar hervor- zugehen, dass eine entwickelungsgesetzmssige Wirklichkeit des Wertes nur unter den Bedingungen der Warenproduktion und des Warenaustausches berhaupt mglich ist. Es wre indessen ge- wagt, die Mglichkeit andrer Gesetze des Wertes deshalb zu be- streiten, weil sie nicht ohne weiteres zu erkennen ist.

    Die mechanisch-kausale Begrndetheit der Marxschen Lehre ist ihre Strke. Die meisten gegen Marx gerichteten Einwrfe zerschellen schon an diesem Fundamente. Auch die Sttzpunkte der Stamm/erschtn Beweisfhrung zerfliessen vor dem mechanisch- kausalen Gesichtspunkte in Nichts.

    Das Marxsche System ist trotz allen naturwissenschaftlichen Errungenschaften wohl die glnzendste theoretische Leistung des Prinzips mechanischer Kausalitt. Es ist deshalb in der Tat un- begreiflich, aus welchem wissenschaftlichen Grunde entschiedene Vertreter dieses Prinzips, wie insbesondere zahlreiche Darwinisten (darunter Haeckel), die Marxistischen Folgerungen nicht gelten lassen wollen. Der Marxsche Oekonomismus ist die einzig mg- liche Folgerung, die aus dem Grundsatze der mechanischen Kau- salitt auf die Gesetzmssigkeit des sozialen Lebens berhaupt gezogen werden kann. Jeder naturwissenschaftliche Materialist msste sich daher von Rechts wegen zum Marxismus bekennen.

    Die Marxsche Lehre ruht auf einem gewaltigen Fundamente. Die ganze naturwissenschaftliche Erfahrung, die das Prinzip der mechanischen Kausalitt besttigt, ist ihre Basis. Eine erfolgreiche Kritik des grundstzlichen Standpunktes des Marxismus ist darum nur in dem Sinne denkbar, dass die Berechtigung des mechanisti- schen Kausalprinzips als obersten sozialwissenschaftlichen Ge- sichtspunktes zum Gegenstande der Untersuchung gemacht wird. Denn das Prinzip der mechanischen Kausalitt kann gegenber den Ergebnissen der Naturforschung nicht an sich in Zweifel ge- zogen werden.

    Die Ueberzeugung, dass Marx in der Frage der Erkenntnis sozialer Gesetzmssigkeit nicht das letzte Wort gesprochen hat, ist heute schon eine allgemeine und wird auch von Marxisten ge- teilt. Die naheliegende Erwgung, ob nicht - gleichwie auf technischem Gebiete auf Grund der Erkenntnis des kausalen Zu- sammenhanges von Naturerscheinungen durch Setzung der Ur-

    Zeitschrift fr die ges. Staatswissensch. 1906. 3. 2O

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  • 432 Dr- Hugo Riekes: Die philosophische Wurzel des Marxismus.

    Sachen bez. Schaffung der usseren Bedingungen gewollter Wir- kungen der Naturkrfte - auch auf Grund der Erkenntnis der Kausalitt des sozialen Lebens eine zweckbewusste Leitung der Entwickelungs Vorgnge mglich ist, enthlt einen wahren Kern, wenngleich auf den ersten Blick daraus eine stichhaltige Ar- gumentation gegen den Marxismus sich nicht zu ergeben scheint. Freilich, wenn sich hierber nichts ausmachen Hesse, ohne gleich- zeitig die ideologische Steitfrage zur Entscheidung zu bringen, so wrde man noch, wer weiss wie lange, darauf verzichten ms- sen, ber Marx hinauszukommen. Andererseits ist es damit nicht getan, dass man dem historischen Materialismus die ideologische Ueberzeugung entgegenstellt. Auf diesem Wege kann sich die Wissenschaft nicht an Marx vorbeistehlen. Auch wrde man dann des fr die Ausgestaltung der Sozialwissenschaft zur exakt er- klrenden Wissenschaft schtzenswerten Vorteils verlustig, auf dem breiten Grunde der Naturwissenschaften aufzubauen.

    Das Augenmerk ist vielmehr darauf zu richten, dass der na- turwissenschaftliche Materialismus auf sozialwissenschaftlichem Ge- biete mit seiner eigenen Waffe geschlagen wird. Der Anfang dazu ist in gewissem Sinne schon mit der Wertvorstellung gemacht, die, obwohl Ausfluss des naturwissenschaftlich begrndeten Prinzips mechanischer Kausalitt, im Hinblick auf eine soziale Gesetzmssig- keit alle mitwirkenden Naturfaktoren ausschliesst und insbesondere auch aus ihrem usseren Objekte, den Dingen als abstrakten Wert- krpern, das mechanisch-kausal allein wesentliche dynamische Element vllig ausscheidet. Der naturwissenschaftlich-materiali- stische Gesichtspunkt negiert so in Ansehung des sozialwissen- schaftlichen Gegenstandes gewissermassen seine eigene Voraus- setzung. Es ist deshalb auch die Anwendung aller aus der An- schauung bestimmter Naturerscheinungen gewonnenen Naturgesetze als sozialwissenschaftlicher Erklrungsprinzipien a priori unmglich.

    Der Materialismus hat sich auf der Stufenleiter der natur- wissenschaftlichen Erfolge zur herrschenden, allen Gebieten unserer Kultur ihren Stempel aufdrckenden Weltanschauung emporge- schwungen. Die Waffen der Theologie sind stumpf geworden. Der Sozialwissenschaft ist die Aufgabe zugefallen, ihm auf ihrem Felde die entscheidende Niederlage zu bereiten.

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    Article Contentsp. 407p. 408p. 409p. 410p. 411p. 412p. 413p. 414p. 415p. 416p. 417p. 418p. 419p. 420p. 421p. 422p. 423p. 424p. 425p. 426p. 427p. 428p. 429p. 430p. 431p. 432

    Issue Table of ContentsZeitschrift fr die gesamte Staatswissenschaft / Journal of Institutional and Theoretical Economics, Bd. 62, H. 3. (1906), pp. 383-595ABHANDLUNGENWAR ARISTOTELES MALTHUSIANER ? [pp. 383-406]DIE PHILOSOPHISCHE WURZEL DES MARXISMUS [pp. 407-432]DIE ALLGEMEINE MONOPOLRENTE VON STDTISCHEM GRUNDBESITZ [pp. 433-451]ZUR REFORM DES AUFSICHTSRATES UND DER REVISION BEI AKTIENGESELLSCHAFTEN [pp. 452-514]

    MISZELLENZur statistischen Behandlung von Individuallohnaufzeichnungen in Zeitlohnbetrieben [pp. 515-537]Ueber den Einfluss der Wohnung auf die Verbreitung der Tuberkulose [pp. 538-557]Ueber das Scheckwesen im Grossherzogtum Oldenburg [pp. 558-561]

    LITTERATURReview: untitled [pp. 562-562]Review: untitled [pp. 562-563]Review: untitled [pp. 563-563]Review: untitled [pp. 563-564]Review: untitled [pp. 564-565]Review: untitled [pp. 565-568]Review: untitled [pp. 568-570]Review: untitled [pp. 570-571]Review: untitled [pp. 571-575]Review: untitled [pp. 575-577]Eingesendete Schriften [pp. 577-584]

    Entgegnung auf Dr. J. Plenges Kritik meiner Schrift: Kartelle und Trusts [pp. 585-592]Antwort auf Prof. Dr. R. Liefmanns Antikritik [pp. 593-594]Einsendung [pp. 595-595]Back Matter