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Regensburg, Bayern und Europa Festschrift für Kurt Reindel zum 70. Geburtstag Herausgegeben von Lothar Kolmer und Peter Segl Universitätsverlag Regensburg qsý V33

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Page 1: Regensburg, Bayern und Europa - MGH-Bibliothek · 2009. 4. 7. · Regensburg, Bayern und Europa Festschrift für Kurt Reindel zum 70. Geburtstag Herausgegeben von Lothar Kolmer und

Regensburg, Bayern und Europa Festschrift für Kurt Reindel zum 70. Geburtstag

Herausgegeben von Lothar Kolmer und Peter Segl

Universitätsverlag Regensburg

qsý V33

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T"ilhelm Störmer

Karolingische Pfalzen in Franken

Seit der Karolingerzeit übte der König mehr denn je vorher sein Regierungsamt im Rei-

sen aus. Diese Reise wurde nur selten auf längere oder kürzere Zeit unterbrochen; im Winter allerdings pflegte der Herrscher sich über Monate hinweg an einem Ort aufzu- halten. Solche Orte benötigten den Anforderungen gemäße Baulichkeiten - gegebenen- falls auch für den

�Hofstaat" -, repräsentative Räume, zumindest eine Kirche für Got-

tesdienste und vor allem zur Feier kirchlicher Feste, aber auch entsprechende Versor-

gungsressourcen. Derartige �königliche

Residenzen auf Zeit"1 wurden demgemäß all- mählich als Pfalz, palatiunt, bezeichnet; die Benennung ist allerdings lange Zeit nicht einheitlich.

Es versteht sich, daß Pfalzen und Pfalzpolitik in einem Gesamtrahmen karolingischer Politik gesehen werden müssen. Die

�mainfränkischen" Anlagen, die zu behandeln sind, liegen zwischen den karolingischen

�Groß"-Pfalzen Frankfurt/Main und Regensburg.

Während Regensburg bereits eine alte herzogliche Tradition besaß, die 788 nach der Li-

quidation des bayerischen Herzogtums noch an Bedeutung gewann 2, ist Frankfurt ei- ne junge Pfalz, die von Karl dem Großen unweit der neuen königlichen Kernlandschaft

am Mittelrhein in wichtiger verkehrspolitischer Lage am Untermain errichtet wurde .3 Dabei ist Frankfurt/Main als Pfalz und Ort nicht früher quellenmäßig erfaßbar als die Pfalz Salz. \Venn aber bereits 794 nicht nur eine Reichsversammlung, sondern auch eine hochbedeutsame große Reichssynode mit wichtigen Entscheidungen für die westli- che Christenheit in Frankfurt stattfand, dann ist nicht zu bezweifeln, daß diese Pfalz bereits wohlinstalliert und mit einem entsprechenden Kirchengebäude verbunden sein mußte. Für die Königspolitik und Pfalzenentwicklung in Franken war zudem wichtig,

1) Die Forschungsdiskussion zum Begriff und Phänomen der Pfalzen kann hier nicht im einzelnen aufgegriffen werden. Zu verweisen ist auf den neuen Sammelband von Franz STAAB (Hg. ), Die Pfalz. Probleme einer Begriffsgeschichte (1990), dabei bes. den Beitrag von Thomas ZoTz, Palatium publicum, nostrum, regium. Bemerkungen zur Königspfalz, S. 71-99. Zum Pfalzenproblem siehe ferner zahlreiche Aufsätze von Th. Zotz. 2) Peter ScI-u 1ID, Regensburg: Stadt der Könige und der Herzöge im Mittelalter (Regensburger Hist. Forschungen 6,1977) S. 42 ff.; Kurt REINDEL, Regensburg als Hauptstadt im frühen und hohen Mittelalter, in: DieterALBltECtrr (Hg. ), Zweijahrtausende Regensburg (Schriftenreihe der Universität Regensburg 1,1979) S. 37-54. 3) Marianne SCHALLES-FISCHER, Pfalz und Fiskus Frankfurt (Veröffentlichungen des Max-Planck- Instituts für Geschichte 20,1969); Elsbeth ORT, Frankfurt, in: Die deutschen Königspfalzen I= Hes- sen, hg. v. Max-Planck-Institut für Geschichte (1985-1986) S. 131 ff.

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daß sowohl Frankfurt als auch Regensburg die ersten rechtsrheinischen \Vinterpfal-

zen Karls des Großen darstellten. Bei der Betrachtung Frankfurts darf freilich nicht übersehen werden, daß dieser neue

Pfalzort Karls gewissermaßen nur der östliche, in die neue Francia hineinragende Brük- kenkopf der großen mittelrheinischen karolingischen Pfalzenlandschaft war. Für das

Schicksal Bayerns wurde vor allem die ebenfalls junge Pfalz Ingelheim am Rhein rele- vant. Erstmals überhaupt 774 in den Quellen genannt, wurde Ingelheim bald zu einem Langzeitaufenthaltsort des Königs, der über ein halbes Jahr, zudem im Winter, hier

�re- sidierte" 4 Von hier aus dirigierte er 774 den Sachsenkrieg; hier feierte er 787/88 \Veih- nachten und das Osterfest. Der wohl wichtigste Grund für den langen Aufenthalt war der Prozeß gegen den Bayernherzog Tassilo III., der sein Vetter war .5

Die Auswahl Ingelheims für diesen hochpolitischen Prozeß und der lange Aufenthalt Karls in die- ser Pfalz sprechen für einen bereits wohlgediehenen Ausbau. Wann das Palatium die prachtvolle und politisch gezielte programmatische Ausschmückung in weltgeschicht- lichen Dimensionen erhielt, die Ermoldus Nigellus um 830 beschreibt, wird nicht er- sichtlich.

Neben Ingelheim ist am Mittelrhein vor allem die Bischofsmetropole Worms zu nen- nen6, die in der ersten Hälfte der Regierungszeit Karls nahezu eine Art

�Residenzcha- rakter" gewonnen hatte. In der Pfalz Worms sind bis zu ihrem Brand im Winter 790/91 bereits mehrere Winteraufenthalte des Königs, ferner Reichsversammlungen und Sy- noden bekannt. Von Worms aus brach Karl der Große viermal zu Feldzügen gegen die Sachsen auf. Auch von den Nachfolgern Karls wurde Worms öfter besucht, doch scheint die Pfalz gegen Ende des 9. Jahrhunderts zusammen mit dem Königshof dem Wormser Bischof übertragen worden zu sein. Später hatte jedenfalls der Bischof bei bevorzugten Königsaufenthalten die Hauptlast der Gastung zu tragen.

Jenseits von Mainz am östlichen Rheinufer entwickelte sich besonders seit Ludwig dem Jüngeren die Pfalz Trebur, die von 829 bis 1076 57 Königsbesuche erhielt? und für das Ostfränkische Reich des späten 9. Jahrhunderts durchaus von Bedeutung wurde.

4) Zur Pfalz Ingelheim siehe H. SCHMITZ, Pfalz und Fiskus Ingelheim (Untersuchungen und Ma- terialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte 2,1974); Konrad WEIDEMANN, Die Königspfalz in Ingelheim, in: Ingelheim am Rhein 774-1974, hg. von Francois LOCHENAL und Harald T. WEISE (1974) S. 37-76; dazu das Datengerüst S. 229 ff.

5) Kurt REINDEL, Das Zeitalter derAgilolfinger, in: Max SI'ºNDLER, Andreas KRAUS (Hgg. ), Handbuch der bayerischen GeschichteI (11981) 5.174 ff. [künftig: HB I]; Walter LASKE, Die Mönchung Herzog Tassilos 111. und das Schicksal seiner Angehörigen, in: Die Anfänge des Klosters Kremsmünster, hg.

von Siegfried HAIDER (Ergänzungsband zu den Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesar-

chivs 2,1978) S. 189-197, bes. 190 ff.; Matthias BECHER, Eid und Herrschaft (VuF Sonderband 39,

1993), S. 64 ff. 6) R. KRAFT, Das Reichsgut im Wormsgau (Quellen u. Forschungen zur hess. Gesch. 16,1934); Theo

UHRIG, Pfalz und Bistum Worms in karolingischer Zeit (Mittelrheinische Beiträge zur Pfalzenfor-

schung 2,1964) S. 46-70. 7) Michael GOCKEL, Die Bedeutung Treburs als Pfalzort, in: Deutsche Königspfalzen 3 (Veröffent-

lichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 11/13,1979) S. 80 ff-

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KAROLINGISCHE PFALZEN IN FRANKEN 163

Wie Ingelheim wurde auch die Pfalz Frankfurt für die Entwicklung der bayerischen Geschichte entscheidend, denn im Jahre 794 mußte der ehemalige Herzog Tassilo auf der hochbedeutsamen Kirchenversammlung in dieser Pfalz erscheinen und vor den Kir-

chenvertretern des Gesamtreiches als auch vor dem Reichsadel in aller Form auch für

seine Familie und Nachkommen rechtsverbindlich abdanken. ' In jenem Jahr hielt sich Karl der Große erstmals ungewöhnlich lange in Frankfurt auf. Seitdem begann die star- ke Beanspruchung der Frankfurter Pfalz, die unter Ludwig dem Deutschen, der auch die Pfalzkapelle stiftete9, mit mehr als 30 Aufenthalten ihren ersten Höhepunkt erreichte.

Karolingische Raumpolitik in Franken selbst ergibt sich indirekt aus historischen

Sachverhalten und Strukturen. Franken als Zwischenstation und Brückenkopf nach Regensburg und Bayern wirkte sich ohne Zweifel siedlungs- und kirchenpolitisch aus. Aus der Zeit, in der der bayerische Machtblock Herzog Tassilos von Karl aufgerollt wurde1°, stammt auch der Befehl Karls an den Würzburger Bischof, Slawenkirchen an Main und Regnitz zu errichten. " Die Schaffung von Pfalzen wirkte sich gleicherma- ßen siedlungs- und straßenpolitisch aus. 12 Greifbar wird dies besonders im Umraum

von Salz und Forchheim. Da der König Herr des ungerodeten Landes besonders in den Mittelgebirgen war, ist auch bei derartigen Rodungsvorgängen bisweilen mit königli-

cher Initiative zu rechnen. Im großen und ganzen wird man jedoch die Kräfte des ka-

rolingischen Herrschers und seiner Organisationsbeauftragten nicht überschätzen dür- fen. Unter diesen Voraussetzungen wäre nicht flächenhafte, sondern eher stützpunkt- hafte Ansiedlung für die Königsherrschaft relevant. 13 Die Kartierung jener Königshö- fe und Königskirchen, die zur Gründungsausstattung des Bistums Würzburg herange-

zogen wurden, vermittelt einen Eindruck dieser Strategie. 14

Inwieweit es eine konkrete Siedlungs-�Politik" der Karolinger in Ostfranken im De-

tail gab, muß vielfach offen bleiben, zumindest bei einer Analyse der Ortsnamen. Daß die Königshöfe und deren Villikationsbezirke von einer Siedlungsverdichtung zeugen, versteht sich. Auffallend sind auch die vielen �Königs-Orte"

in Franken15, wie z. B. Kö-

8) MGH SS 1(1826) S. 301 f.; MGH Capitularia 1, S. 74. Vgl. LASKE (wie Anm. 5) S. 194 ff.; Wilfried HARTMANN, Das Konzil von Frankfurt 794 und Nizäa 787, Annuarium Historiae Conciliorum 20 (1988) S. 307 ff.; BECHER, Eid (wie Anm. 5) S. 72 f. 9) Egon \VAMERS, Pfalz Frankfurt am Main, in: Helmut RoTH, Egon WAMMERS (Hgg. ), Hessen im Früh-mittelalter (1985) S. 264 f. 10) HB I5.168 ff.; Annales regni Francorum, hg. von Friedrich KURZE, MGH SS rer. Germ [6] (1895) S. 78; Franken im Früh- und Hochmittelalter, bearb. von Wilhelm STÖRHER (Dokumente zur Ge- schichte von Staat und Gesellschaft in Bayern, Abt. Il, 1994) Nr. 42 [künftig: Dok. Fr. ]. 11) MGH DD L. d. Dt. nr. 47; Dok. Fr. 47. 12) Dok. Fr. 43,44; vgl. Heinrich WAGNER, Neustadt a. d. Saale (Historischer Atlas von Bayern [künf- tig: HAB] Franken 1/2,1982) S. 6 f., 17,19 ff., 39 ff.; Hanns Hubert HOFMANN, Herzogenaurach (1950) S. 26 f. 13) Vgl. Heinrich WEBER, Kitzingen (HAB Franken I/16,1967) 5.15 ff.; Peter RüCKERT, Landesaus- bau und Pfarreiorganisation im Steigerwald, in: 1200 Jahre Bistum Würzburg (1992) S. 217-220. 14) Vgl. folgende Kartenskizzen in: Johannes EwCHSEN (Hg. ), Kilian (1989) S. 136,137,163,217,26 1. 15) Karl Boss, Franken um 800 (21969) S. 23.

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nigshofen, Königsfeld, Königshaid (abg. ) und Königheim. Sie sind sinnfälliger Aus- druck königlicher Initiativen und eines königlichen Formierungsprozesses. Ähnliche

Vorstellungen standen offensichtlich auch hinter der merowinger- und karolingerzeit- lichen Einführung alter fränkischer Patrozinien, wie Martin und Remigius. Sehr viel unsicherer ist aber für die heutige Forschung die Aussage der sogenannten schemati- schen Ortsnamen, die gerne dem karolingischen Ausbau zugesprochen wurden. 16 Nur im Hinblick auf einen tatsächlich erwiesenen Königshof haben derartige Indizien Ge-

wicht (z. B. Westheim, Ostheim usw. ). 17 Karolingische Siedlungs-�Politik" muß also von Fall zu Fall abgeklärt werden.

Aus spätmerowingischer Zeit sind zwei Orte in Franken bekannt, die man als Her-

zogspfalzen ansprechen könnte: Würzburg und Hammelburg. 18 Ob die Karolinger den ehemaligen Würzburger Herzogshof als Pfalz benützten, muß mangels Quellen Spekulation bleiben. 19 Der gesamte Fiskus Hammelburg wurde 777 von König Karl

an Fulda übergeben 20 Während die Karolinger diese alten politischen Zentralorte der Kirche übergaben, schufen sie zwei neue Pfalzen in Franken, Salz und Forchheim, die beide durch Grenzsaumlage gekennzeichnet waren 21

Bereits in den achtziger Jahren hat Karl den alten Königshof Salz an der Fränkischen Saale in eine Pfalz umgewandelt 22 Salz liegt an einem wichtigen Kreuzungspunkt alter Fernstraßen nach Thüringen, Althessen und Sachsen, Fulda, Frankfurt, Würzburg

und schließlich in das weitgehend slawische Obermaingebiet. In der näheren und weite- ren Umgebung von Salz greifen wir seit der Errichtung des Bistums Würzburg, noch mehr aber seit der Karolinger- und Ottonenzeit, massiertes Königsgut. H. Wagner hat

wohl zu Recht vermutet, daß Karl der Große seinen Einfluß vornehmlich in den Zen-

tren der alten Siedlungslandschaften durch umfangreiche Konfiskationen von Grund- besitz zu sichern suchte. 23 Dies betrifft offenbar gerade den Raum Salz-Mellrichstadt- Königshofen im Grabfeld. Hier schuf Karl augenscheinlich zur Kontrolle Thüringens

16) Dazu neigten die meisten älteren fränkischen Atlasarbeiten (HAB); sie folgen den Thesen Hel- mut Weigels. 17) Vgl. BOSL, Franken S. 25. 18) UB der Stadt Arnstadt Nr. 1; Mon. Epternacensia S. 60; Dok. Fr. 13.15,17. 19) Vgl. Winfried ScHicH, Würzburg im Mittelalter (1977) S. 22 ff.; Karl BosL, Würzburg als Pfalzort, JffL 19 (1959) S. 25-43; Ludwig WAhtsER, Castellum, quod nominatur \Virciburg, in: Kilian (wie Anm. 14) S. 173-226. 20) Edmund E. STENGEL (Hg. ), Urkundenbuch des Klosters Fulda I (Veröffentlichungen der Histo- rischen Kommission für Hessen und Waldeck 10,1913) [künftig: FUB] Nr. 77-79. 21) BosL, Franken S. 146 ff.; vgl. Karte

�Franken um 800", Bayerischer Geschichtsatlas (1969) 16. 22) BOSL, Franken S. 146 f.; WAGNER, HAB Neustadt/Saale S. 6 f., 19 ff., 39 f., 44 (auch zum Fol- genden). 23) WAGNER S. 26 zur Lage des Pfalzortes; zum Ausbau und zu den Hoftagen in Salz siehe ferner H. WAGNER, Die Pfarrei Brend-Neustadt im Mittelalter, in: 1250 Jahre Pfarrkirche in Brendlorenzen (wie Anm. 29) S

. 88 ff., 96 ff. Weniger überzeugend die geographische Lageinterpretation durch Ludwig BENKERT, Argumente und Überlegungen zum Standort des Königshofes und der Pfalz (ebd.;

wie Anm. 29) S. 144,153.

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KAROLINGISCHE PFALZEN IN FRANKEN 165

und zur Angliederung und Sicherung Sachsens einen Stützpunkt, der als Ausgangs- und Rückzugsbasis dienen konnte. Im Zusammenhang mit diesen Aktivitäten ist wohl auch der sog. Hardrat-Aufstand24 zu sehen. Die Verschwörung des Hardrat und seiner ostfränkisch-thüringischen hochadeligen Genossen 786 gegen König Karl und seine ost- fränkische Integrationspolitik, wohl ebenso gegen das eigenwillige �politische Mitmi- schen" von Karls ostfränkischer Gemahlin Fastrada signalisiert eine ernste Krise Karls in seinem Verhältnis zu mächtigen Kreisen des ostfränkischen Adels gerade in der Zeit der Sachsenkriege und des sich anbahnenden Konflikts mit Herzog Tassilo in Bayern. Der Hardrat-Aufstand könnte eine Folge der hartnäckigen Erwerbspolitik Karls sein, möglicherweise aber auch Auslöser für Karls Konfiskationen im oberen Saaleraum.

Die sog. Einhard-Annalen berichten zum Jahre 790 zum ersten Mal von einem Auf- enthalt des Königs im palatium Salz, nämlich daß Karl der Große von seiner Pfalz Worms aus, wo er vor allem mit den Awaren verhandelt hatte,

�zu Schiff auf dem Main hinauf nach der Pfalz, die er in Germanien an der (Fränkischen) Saale erbaut hatte" fuhr und dann wieder auf demselben Fluß zu Tal nach Worms zurückkehrte 25 Man wird vermuten dürfen, daß es sich um mehr als nur eine Erkundungs- und Baubesichti- gungsfahrt handelte. Über die politischen Zusammenhänge erfährt man freilich nichts.

Der Gesamtausbau der Pfalz Salz scheint indes 790 noch nicht abgeschlossen gewe- sen zu sein. Nicht die Reichsannalen, wohl aber die Vita Kaiser Ludwigs des Frommen, die der Anonymus schrieb, berichtet26, daß der junge Ludwig und sein Bruder nach der Entdeckung der Verschwörung ihres Halbbruders Pippin sich von Italien nach Bayern begaben,

�den Vater (Karl d. Gr. ) an dem locus Salz" trafen. �Die

beiden wurden von ihm sehr freundlich empfangen. Die übrige Zeit des Sommers, Herbstes und Winters brachte er (Ludwig der Fromme) bei seinem königlichen Vater zu". Letzteres dürfte

sich wohl auf Regensburg beziehen, da Karl 791 bis Herbst 793 in Regensburg bezeugt ist, an Weihnachten 793 in Würzburg und im Winter und an Ostern 794 in Frankfurt 27 Ist diese Nachricht über Salz kompetent, läßt sie auf weiteren Ausbau dieser Pfalz schließen, denn in den Jahren zwischen 793 und 800 übergab Karl dem Würzburger Bischof das Kloster Ansbach in Mittelfranken und somit in der Südzone des Bistums, um dafür vom Bischof die Martinskirche in Brend(-lorenzen) unweit der Pfalz Salz zu

24) Zum sog. Hardrat-Aufstand siehe bes. Annales regni Francorum (wie Anm. 10) S. 70 f.; MGH SS 1 S. 32,41 ff., 92; MGH SS 2 (1829) S. 596; MGH SS 3 (1939) S. 38,122. Zusammenstellung der verschiedenartigsten Quellen zu diesem Aufstand in Dok. Fr. nrr. 41a-i. Es ist auffallend, wie viele zeitgenössische Quellen davon Kenntnis nehmen. Über diesen Aufstand ist sicherlich das letzte Wort noch nicht gesprochen. Vgl. Alfred FRIESE, Studien zur Herrschaftsgeschichte des fränkischen Adels (Geschichte und Gesellschaft 18,1979) S. 55 ff.; Karl BRUNNER, Oppositionelle Gruppen im Ka- rolingerreich (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 25,1979) S. 48 ff., 63 ff.; Wilhelm STÖEIER, Im Karolingerreich, in: Peter KOLB, Ernst-Günter KRENIG (Hgg. ), Unterfränkische Geschichte 1(1989) S. 153-204, hier S. 155 f.; BECHER, Eid (wie Anm. 5) S. 82 ff. 25) Annales qui dic. Einhardi, in: MGH SS 1, S. 177. 26) Vita Hiudovici imp., in: MGH SS 2, S. 610. 27) SCHMID, Regensburg (wie Anm. 2) S. 457.

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166 WILHELM STÖRHIER

ertauschen 28 Heinrich Wagner29 schließt daraus, daß die Pfalz dadurch erst eine Pfalz- kirche erhielt. Da die Kirche Brendlorenzen aber rund 2 km vom Ort Salz entfernt liegt, ist er der nicht unbegründeten Meinung, daß die Pfalz Karls ursprünglich näher an Brend gelegen haben müsse, nicht im heutigen Dorf Salz. Letztlich ist hier freilich die Archäologie gefragt.

Nach 800 wurde Salz zu einem wichtigen politischen Zentrum. Im Sommer 803 em- pfing der Kaiser in Salzio sacro palatio mehrere Gesandtschaften3° Vor allem die schwie- rige Politik Karls mit dem oströmischen Kaiser fand hier ihren Niederschlag. Der küh- ne Plan Karls, durch Verehelichung mit der Kaiserin Irene (Witwe Leons III. ) die An- erkennung seines westlichen Kaisertums von Byzanz zu erlangen, scheiterte, da Irene 802 abgesetzt und verbannt wurde. Die fränkischen Heiratswerber waren offenbar schon vorher unverrichteter Dinge zurückgekehrt; nun erschienen in Salz die Gesand- ten des neuen byzantinischen Herrschers Nikephoros (802-811), der die von Karl er- betene Anerkennung des Kaisertums zeitlebens strikt verweigerte. Die Reichsanna- len melden als Resultat dieses Gesandtschaftsempfangs in Salz lediglich:

�Sie (= die

Byzantiner) erhielten eine schriftliche Friedensurkunde ausgefertigt". Auch der Patri- arch von Grado erschien in diesem Jahr in Salz und bat den Kaiser um Hilfe gegen Vene- dig. Karl bestätigte ihm am 13. August 803 die Immunität und die Privilegien seiner Kirche 31 Und noch ein wichtiges innenpolitisches Ergebnis für Karl und sein Reich scheint in Salz Gestalt angenommen zu haben: Wahrscheinlich wurde 803 in Salz nach 33jährigem erbitterten Ringen der Friede mit den Sachsen geschlossen und auf einer Reichsversammlung neue Verordnungen für die fränkische und sächsische Kirche er- lassen

. 32 In Salz standen also 803 eminent wichtige Fragen des mitteleuropäischen und

europäischen Friedens zur Debatte und gediehen teilweise zum Abschluß. Nach einer Quellenlücke ab 803 wird Kaiser Ludwig der Fromme als Herrscher

826 anläßlich einer Herbstjagd in der villa Salz greifbar. 33 Wichtig wurde Salz in der Aus- einandersetzung des Kaisers mit seinem Sohn Ludwig dem Deutschen. 832 und 840

28) Walter SCHERZER, Urkunden und Regesten des Klosters und Stifts St. Gumbert in Ansbach (Ver- öffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte III/5,1989) Nr. 1. 29) Heinrich WAGNER, Die Pfarrei Brend-Neustadt im Mittelalter, in: 1250 Jahre Pfarrkirche in Brendlorenzen, hg. von Stadt Bad Neustadt/Saale (1992) S. 97,100 f. Zur Geschichte der Pfalz Salz vgl. auch Ludwig BENKERT, Das Grabfeld als fränkische Königslandschaft im frühen Mittelalter, in: ebd. S. 58 ff.; DERS., Argumente und Überlegungen zum Standortdes Königshofes und der Pfalz Salz, in: ebd. S. 144-153. 30) Annales regni Franc. a. 803,5.118. Zum Verhältnis Karls zu Byzanz vgl. Werner OHNSORGE, Das Zweikaiserproblem im frühen Mittelalter (1947); DERS., Das Kaisertum der Eirene und die Kaiser- krönung Karls des Großen, Saeculum 14 (1963) S. 221-247. 31) MGH SS 12, S. 32; vgl. BENKERT, Grabfeld (wie Anm. 29) S. 60. 32) MGH SS 6, S. 565 (Annalista Saxo); MGH SS 3, S. 40 (Annales Quedlinburgenses). 33) Annales regni Franc. S. 170 f.; bezeichnend für die politische Priorität Frankfurts in dieser Zeit:

�als die Herbstjagd vorbei war, fuhr er (= der Kaiser) Anfang Oktober den Main hinab nach Frank-

furt" (ebd. ). Zur Rolle der Wälder um Salz: Karl Boss, Pfalzen u. Forsten (Deutsche Königspfalzen I, 1963) S. 1-29. Die folgenden Daten bei WAGNER, HAB Neustadt (wie Anm. 12).

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KAROLINGISCHE PFALZEN IN FRANKEN 167

hielt er sich jeweils nach der Niederringung Ludwigs hier auf. 34 Als Ludwig der Deut-

sche nach dem Tod des Vaters endgültig Herr des Ostfrankenreiches geworden war, erschien er schon im August 841 in der Pfalz Salz; 35 im folgenden Jahre hielt er hier ei- nen Reichstag ab36, vermutlich um anschließend den Stellinga-Aufstand in Sachsen

niederzuwerfen. In der Folgezeit wird Ludwig der Deutsche, der besonders häufig in der Pfalz Frankfurt regierte, in Salz nicht mehr greifbar. Auch sein Sohn Ludwig der Jünge-

re, Herr Frankens, ist nur einmal in Salz belegt (Frühjahr 878), seine Brüder Karlmann

und Karl III. nie. Kaiser Arnulf �von

Kärnten" dagegen empfing in Salz 895 eine Ge-

sandtschaft der slawischen Obodriten, 897 die Abgesandten der Sorben. 37 Damit ver- stummen die Nachrichten über karolingische Königsaufenthalte in Salz.

Während 842 ein offenbar letzter königlicher Hoftag Ludwigs des Deutschen in Salz stattfand und für die ausgehende Karolingerzeit nur mehr ganz wenige Pfalzbelege für Salz vorhanden sind, tritt noch vor der Jahrhundertmitte Forchheim an der Regnitz als ostfränkische Königspfalz hervor.

Forchheim ist bereits im Diedenhofener Kapitular von 805 erstmals belegt38, und zwar als zentraler Ort für den Handel mit den Slawen. Für die Geschichte des ostfrän- kischen Raumes und für Forchheim ist relevant das Kap. 7 dieses Kapitulars, das aus verschiedenartigen Anweisungen an die Königsboten (missi) Karls besteht. Angesichts der unklaren politischen Verhältnisse im Ostsaum des Reiches wird im Kap. 7 zum ei- nen ein Verbot des Waffenexports (lit arma et bruneas non decant ad venundandum) für (Fern)Händler, zum anderen die Anweisung gegeben, den Handel mit den Slawen

nur an bestimmten grenznahen Handelsplätzen abzuwickeln, und zwar unter Auf-

sicht fränkischer Grafen bzw. Königsboten. Als solche Grenzhandelsplätze, die im Norden des Reiches mit Bardowick bei Lü-

neburg beginnen, werden nach Erfurt in Thüringen nach einem weiten Sprung folgen- de Orte erwähnt: Hallstadt bei Bamberg, Forchheim, dann erst wieder Premberg in der

südlichen Oberpfalz, Regensburg und schließlich Lorch an der Enns. Sie zeigen, daß die Slawengrenze in Mainfranken seit der Merowingerzeit schon nach Osten verlegt worden ist39, daß aber die strategisch wichtige Regnitz-Pegnitz-Furche immer noch den

östlichen Grenzsaum darstellte, wobei selbstverständlich in das Reich eingegliederte

34) Dok. Fr. 57; Bost, Franken S. 148; Ann. Fuld. S. 91 zu 878; S. 126 zu 895; BENKERT, Grabfeld S. 60. 35) Annales Fuldenses, hg. von Friedrich KURZE, MGH SS rer. Germ. [7] (1891) S. 33. 36) Ebd. S. 33 f. Den Zusammenhang mit dem Stellingaaufstand legt nahe die Formulierung:... in villa, guaedicitrrrSalz, habitogenerali conventu in Saxoniam pergens validissimam conspirationem ... opprinzere... conpescuit. Zum Stellinga-Aufstand Hans J. SCHULZE, Der Aufstand derStellinga in Sach- sen und sein Einfluß auf den Vertrag von Verdun (masch. Diss. FU Berlin 1955); Heinrich WEBER, Reichsversammlungen im Ostfränkischen Reich 840-918 (Diss. Würzburg 1962) S. 115 f. 37) Annales Fuld. zu 895 S. 126, zu 897 S. 130. Zu den Aufenthalten der ostfränkischen Könige seit Ludwig d. Dt. siehe \VVAGNER, HAB Neustadt S. 19 ff.; BENKERT, Grabfeld S. 62 ff. 38) MGH Capit. I nr. 44, S. 122 ff. 39) Vgl. dazu die Karten S. 75,76,118 f., 166 f., 170 f., in: KOLB, KRENIG (Hgg. ), Unterfranken I (wie Anm. 24).

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168 WILHELM STÖRTIER

Slawen auch westlich davon zu finden sind, andererseits vorgeschobene karolingische Grenzbastionen auch östlich von Bamberg-Hallstadt am Obermain bereits eine Rolle

spielten 40 Auffällig sind auch die jeweils amtierenden Amtsträger. Forchheim, Prem- berg und Regensburg werden von Audulf kontrolliert, dem kaiserlichen Präfekten in Bayern (seit 799)41, der freilich auch Graf im mainfränkischen Taubergau war. Ohne Zweifel liegt Forchheim damit - wohl seit 788 oder gar schon vorher - in der bayeri-

schen Einflußzone. Um 900 hat dann der führende bayerische Amtsträger Luitpold Grafschaftsrechte in diesem Raum; um 1000 reichen dann die Grenzen Bayerns bis zur Regnitz und Pegnitz südlich von Erlangen42 Die Konstellation, die sich in der zwei- ten Hälfte des 9. Jahrhunderts ergibt und für die ostfränkischen (Teil )Könige, deren Kernland Bayern war, von eminenter Wichtigkeit war, ist also bereits 805 vorgezeich- net: Forchheim liegt zwar in Franken, aber in unmittelbarer Nähe des bayerischen Anspruchsgebiets.

War Forchheim 805 bereits ein wichtiger zentraler Marktort, der von einem bedeu- tenden kaiserlichen Amtsträger bzw. dessen Unter-�Beamten" kontrolliert wurde, dann ist auch schon mit einem Königshof hier zu rechnen, der später in den Pfalznennun- gen mehr indirekt belegt ist43, ganz deutlich aber - und zudem in einem beachtlichen Umfang - unter König Heinrich II. 44 Mit Sicherheit spielte Forchheim bereits eine gewichtige Rolle in den Plänen Karls des Großen zur besseren Anbindung der Donau an Main und Rhein angesichts der beginnenden Awarenkriege, die 793 im Bau der Fos- sa Carolina zwischen Fränkischer Rezat und Altmühl ihren Höhepunkt fanden. 45

Detlev Ellmers46 geht von einem karolingischen Flußverkehrssystem mit Hilfe von versorgenden Königshöfen (Hallstadt am Main, Forchheim, Fürth, Schwabach?, Roth, Weißenburg) aus, wobei diese Königshöfe je einen Treideltag von einander entfernt gelegen hätten. Wenn auch manches davon mangels Quellen hypothetisch ist, so ist dies doch - besonders im Vergleich mit anderen Regionen - einsichtig. Ellmers betont auch, daß das Scheitern des Fossa-Carolina-Plans nicht grundsätzlich das Flußver- kehrssystem vom Main über Regnitz, Rezat und Altmühl zur Donau in Frage gestellt

40) Johann Baptist MÜLLER, Burgkunstadt, eine karolingische Burgstadt (1984). 41) FRIESE, Studien (wie Anm. 24) S. 72 f. 42) Kurt REINDEL, Die bayerischen Luitpoldinger 893-989 (Quellen und Erörterungen zur bayeri- schen Geschichte N. F. 11,1993) Nrr. 28,30; zum I 1. Jahrhundert MGH DH II. nrr. 456,457; Hanns Hubert HOFMANN, Herzogenaurach. Die Geschichte eines Grenzraumes in Franken (1950) S. 30 f. Vgl. demnächst Wilhelm STÖRMER, Heinrichs II. Schenkungen an Bamberg: zur Topographie und Typologie des Königs- und bayerischen Herzogsguts, in: Lutz FENSKE (Hg. ), Dt. Königspfalzen III (Göttingen 1995). 43) Z. B. Ann. Fuld. zu 872: apud villam Forabheim. 44) MGH DH II. nrr. 3,169,372. 45) Hanns Hubert HOFMANN, Kaiser Karls Kanalbau (1969); Robert KocH, Fossa Carolina - 1200 Jahre Karlsgraben (Denkmalspflege - Informationen D 19,1993). 46) Detlev ELLMERS, Die Verkehrssituation zwischen Obermain und Altmühl in der Zeit Karls des Großen, Bauintern. Zeitschrift der Bayerischen Staatsbauverwaltung B 20769E (1993) S. 4-7.

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KAROLINGISCHE PFALZEN IN FRANKEN 169

habe, da man allgemein in derart kleinen Zwischenzonen die Waren umladen und über Land schaffen konnte. Daß sich Forchheim unter all diesen Voraussetzungen zu einer Pfalz eignete, versteht sich.

Unter Ludwig dem Deutschen, dessen beide Hauptpfalzen Frankfurt und Regens- burg waren, fanden 858,872 und 874 Hoftage in Forchheim statt; 47 872 wurde hier der Zwist mit den Söhnen des Königs beigelegt, 874 der Friede von Forchheim mit den Mährern geschlossen. Während König Karlmann hier nie anzutreffen ist, hielt sein Bru- der Ludwig III. (865-882) in Forchheim immerhin 878 und 880 Reichstage ab, 879 fei-

erte er hier sogar das \Veihnachtsfest 46 Das setzt freilich eine bereits gut ausgebaute Pfalz mit entsprechenden kirchlichen Einrichtungen, eventuell einer Pfalzkapelle49,

voraus. Eine größere Rolle spielte Forchheim unter König Arnulf von Kärnten. Kurz nach

seiner Wahl in Frankfurt erscheint er am 11. Dezember 887 in Forchheim - sicherlich mit seiner Anhängerschaft -, wo er für den Abt von Fulda eine Urkunde ausstellt. An-

schließend reist er nach Regensburg, wo er mit den Großen Bayerns, Ostfrankens, Sachsens, Thüringens, Alemanniens und mit vielen slawischen Fürsten das Weihnachts- fest feiert5° Es fragt sich, ob diese Großen nicht schon seine Begleitmannschaft in Frank- furt und Forchheim waren. 890 ist ein erster Reichstag Arnulfs in Forchheim bezeugt,

auf dem der König den Großen die Bitte vortrug, seine beiden außerehelichen Söhne als Nachfolger anzuerkennen5t Erst nach langem Ringen ließen sich die Großen auf ei- nen Kompromiß ein. 889 fand wiederum ein wichtiger Hoftag in Forchheim statt, der

verschiedene Probleme behandelte. 52 892 und 896 urkundete der König in Forchheim53 Die Lage Forchheims an der nahen Slawengrenzzone macht auch verständlich, daß

sich der Pfalzort an der Regnitz als Tagungs- und Empfangsort für Gesandtschaften aus dem slawischen Raum besonders eignete. 874 erschienen Gesandte des Mährers Svato-

pluk/Zwentibold vor dem alternden König Ludwig dem Deutschen in Forchheim und schworen im Auftrag ihres Herrn Treue, ebenso garantierten sie Zinszahlung gegen eine Zusicherung, daß der Mährer vom ostfränkischen König in Frieden gelassen wer- de. 54 In dieser Zeit war es dem Reich nur unter Aufbietung gewaltiger Heeresaufgebo-

te möglich, die östlichen Marken überhaupt zu behaupten. Aus dieser Situation ver-

47) Zum folgenden siehe H. \VEIGEL, Der karolingische Pfalzort Forchheim (725-918), JffL19 (1959) S. 135-170. MGH D L. d. Dt. nr. 53,54; Ann. Fuld. S. 48,75,83. Demgegenüber hielt sich Lud- wig 33mal in Frankfurt auf. Vgl. WEBER, Reichsversammlungen (wie Anm. 36) S. 130 f., 145 f. 48) Ann. Fuld. S. 92; MGH D L. d J. nr. 15; Ernst DÜMMLER, Geschichte des Ostfränkischen Reiches III (1883) [künftig: Dümmler III] hier S. 148. 49) Immerhin wird 1002 und 1017 im Falle Forchheims von abbatia gesprochen: MGH DH II. nrr. 3, S. 372. Dazu künftig STORMER, Die Schenkungen (wie Anm. 42). 50) DÜNIIa1 R III S. 305; SCHMID, Regensburg (wie Anm. 2) S. 325 f. 51) Ann. Fuld. S. 117 f.; WEBER, Reichsversammlungen (wie Anm. 36) S. 172. 52) Ann. Fuld. S. 119; WEBER, Reichsversammlungen (wie Anm. 36) S. 174. 53) NIGH D Arn. nrr. 101,146,147. 54) Ann. Fuld. S. 81-83.

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steht sich auch, daß Svatopluk/Zwentipold, der eigenwillige Neffe des Mährerfürsten Rastislav, durch den Frieden von Forchheim de facto einen Freiraum gewinnen konn- te, um seine Herrschaft im Mährerreich auszubauen und zu sichern.

Auch zu 889 meldet der Regensburger Fortsetzer der Fuldaer Annalen, daß beim Forchheimer generale conventum des gerade zur Macht gekommenen Königs Arnulf (von Kärnten) Gesandte der Normannen und der Slawen erschienen, um ihre Friedens- bemühungen zu bestätigen (oder vorzutäuschen)55

Wenn König Ludwig das Kind in generali placito nostro Foracheim habito die Privile- gien des Klosters St. Gallen bestätigt56 und dabei der bayerische

�Markgraf" Luitpold unter den Zeugen als dux Boemannorum tituliert und hervorgehoben wird, dann halte ich es durchaus für erwägenswert, ob nicht auch Slawenfragen auf dem Programm der Reichsversammlung gestanden haben.

Ein Weiteres fällt schließlich auf. König Konrad I. schenkte 911, also kurz nach sei- ner Forchheimer Wahl, wiederum in Forchheim dem St. Gumbert-Kloster zu Ansbach, Eigenkloster des Bischofs von Würzburg, Besitz am Main westlich von Bamberg. 57 Es handelt sich dabei um königliche Besitzungen in Viereth und die dazu gehörigen Sla- wenorte, die leider nicht eigens genannt werden. Man wird die Urkunde so interpretie-

ren dürfen, daß damit die Betreuung der Main-Wenden dem würzburgischen Eigenklo- ster übertragen wird. Was mit den

�Regnitzwenden" im 9. /10. Jahrhundert geschah,

entzieht sich mangels Quellen unserer Kenntnis. Im Mai 903 sprach ferner ein generale placitum zu Forchheim das Urteil in der Ba-

benberger-Konradiner-Fehde, die das Reich erschüttert hatte. 58 �Territoriale" de-facto-

Vorentscheidungen waren freilich schon getroffen worden, denn schon im Februar 903 konnten durch königliche Schenkung Bischof Tuto von Regensburg und Mark- graf Luitpold in den Raum südwestlich von Forchheim vordringen. 59 Im Juni 908 schenkte Ludwig das Kind bezeichnenderweise wieder bei einem Forchheim-Aufent- halt dem Erzbischof Hatto von Mainz,

�Erzfeind" der Babenberger, Lehen in Ingol-

stadt bei Würzburg, die dem Babenberger Adalbert und einem seiner Anhänger we- gen Hochverrats entzogen worden waren 60 Im Jahre 900 fand die erste Königswahl in Forchheim statt. 61 Der neue König, Ludwig das Kind, ist dann 903,908 und 910 in

55) Ann. Fuldensium Continuatio Ratisbon. S. 118. 56) MGH D L. d. Kd. nr. 2; WEBER, Reichsversammlungen (wie Anm. 36) S. 184 f. 57) MGH D Konr. I. nr. 1. 58) Adelheid KRAH, Absetzungsverfahren als Spiegelbild von Königsmacht (Untersuchungen zurdt. Staats- und Rechtsgeschichte N. F. 26,1987) S. 237. Vgl. Thomas Zo7Z, Basilica in villa Heibrunna

... una cum appendiciis suis. Zur regionalen Verteilung und zu den Funktionen von Königshöfen im Frankenreich, in: Region und Reich (Quellen u. Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn 1,1992) S. 193-215, hier S. 213 f. 59) MGH D L. d. Kd. nr. 19; REINDEL, Luitpoldinger (wie Anm. 42) nr. 28, S. 40 f.; Dok. Fr. nr. 83a; vgl. b. 60) MGH D L. d. Kd. nr. 60; Dok. Fr. nr. 85. 61) Reginonis chronica 147 f. (proceres et optimales... adForacheim ...

Ludowicum ... regem se creant).

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Forchheim bezeugt 62 911 wurde auch Konrad I. hier gewählt; 63 er ist 914 und 918 in Forchheim bezeugt. 6' Daß auch Herzog Arnulf 919 hier von den Bayern gewählt wur- de, ist nicht auszuschließen 65 Mit dem Übergang des Königtums an die Ottonen endet die Pfalzenfunktion Forchheims offenbar abrupt. Es versteht sich, daß die neuen Herr-

scher aus Sachsen diesen Wahlort ablehnten, war er doch für die enge Verknüpfung des Ostfrankenherrschers mit Bayern signifikant. Forchheim bot zwar die Legitimität der Wahl auf fränkischem Boden, lag aber unweit der bayerischen

�Grenze" und zudem noch in der Einflußsphäre Bayerns.

Abschließend darf noch auf ein weiteres palatium der späten Karolinger in Ostfran- ken hingewiesen werden: Heilbronn am Neckar, dessen Königskirche (wie im Falle Brend-Salz) bereits bei der Gründung des Bistums Würzburg an dieses übertragen wor- den war und dessen Königshof zu Tributzahlungen an Würzburg verpflichtet war. 66 Heilbronn wurde somit zusammen mit dem nahen Lauffen am Neckar zur Südwest- bastion des neuen ostfränkischen Bistums.

Hundert Jahre später urkundete König Ludwig der Deutsche 841 in Heilbronn (Heili-

chrunno palatio regio) für den Abt Gozbald von Niederaltaich67, der zu seinen wichtig- sten bayerischen Mitarbeitern zählte. Daß Heilbronn bereits vorher zu den Vor- oder zumindest Kommunikationsorten des Reiches Ludwigs des Frommen gehörte, beweist

ein Befehl des Kaisers vom Jahre 832 an einen Grafen, sich zusammen mit weiteren Gra- fen in der villa nostra Heilbronn einzufinden, um Weisungen eines kaiserlichen Boten

zu empfangen6s Es steht außer Zweifel, daß die beiden Quellen bezüglich Heilbronns in hochbri-

santen politischen Zusammenhängen zu sehen sind, geprägt vom Konflikt zwischen dem Kaiser und seinen Söhnen. Dabei ist die politisch-geographische Lage Heilbronns

zu berücksichtigen. Sein Königshof lag im Grenzsaum zwischen Ostfranken und Ale-

mannien; er war von den mittelrheinischen Pfalzen Worms und Trebur, aber auch von Frankfurt aus rasch zu erreichen. Wenn der Kaiser 832 den Grafen Gebhard (vom Niederlahngau) aufforderte, sich gemeinsam mit anderen Grafen in der villa no- stra Heilbronn einzufinden, um die Weisungen des kaiserlichen misses H. entgegenzu- nehmen, dann ist dies offensichtlich im Zusammenhang mit dem Streit um die Ordina-

tio imperii zu sehen, der seit 829 das Reich erschütterte. Seither kam es zu immer neu- en Bruderkämpfen und Auseinandersetzungen mit dem kaiserlichen Vater. Die neue Erbteilung Ludwigs des Frommen von 831 sah für seinen Sohn Ludwig, den rex Baiu-

62) DÜMMLER III, S. 524,559; BOEHr1ER - MÜHLBACHER, Reg. Imp. nr. 251. 63) Zusammenstellung der Quellen bei REINDEL, Luitpoldinger (wie Anm. 42) S. 98 f. nr. 52. 64) DÜMMMMLER III, S. 594,614. 65) Vgl. REINDEL, Luitpoldinger (wie Anm. 42) nr. 61, hier bes. die Aussage Liutprands. 66) MB 28a, nr. 11, S. 16-18; MGH D L. d. Dt. nr. 61(Bestätigung); MGH D Arn. nr. 69 (Bestätigung); Dok. Fr. nr. 22,23,25. 67) NIGH D L. d. Dt. nr. 30; Zo1z, Basilica (wie Anm. 59) S. 196 f., 210 f. 68) MGH Epp. Karol. 5, nr. 20, S. 120; Zoiz, Basilica S. 193,205 f.

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variorum, in Umrissen bereits das spätere Ostfränkische Reich als Herrschaftsraum

vor. Als Ludwig der Deutsche aber Alemannien besetzte und bis zum Rhein vordrang, mußte er sich bald dem Vater unterwerfen. Der Brief Ludwigs des Frommen zeigt, wie der Kaiser in dieser Gefahrensituation seine Grafen zu mobilisieren suchte.

Die Palatium-Nennung Heilbronns im Jahre 841 steht offenbar wiederum in diesem Konfliktzusammenhang. Nach dem Tode des Vaters (20. Juni 840) wurde Lothar Kai-

ser, doch der Konflikt mit den Brüdern nahm neue Dimensionen an. Im Zusammen- hang mit dem politischen Abtasten der Grenzzonen wird man man die Urkunde Lud- wigs des Deutschen für seinen Kanzler Gozbald von Niederaltaich zu sehen haben. Zwar erwies sich Heilbronn schon 832 als wichtiger Ort kaiserlicher Kommunika- tion, doch scheint erst Ludwig der Deutsche im Ringen um die Durchsetzung seiner Herrschaft in Alemannien und im Ostfränkischen Reich Heilbronn zur Pfalz ausge- baut zu haben. Wenn nach 841 Heilbronn nie mehr als Aufenthalts- und Versamm- lungsort des Herrschers und nie mehr als palatium erwähnt wird, erklärt sich dies viel- leicht aus dem eingetretenen Bedeutungsverlust des Ortes infolge neuer politischer Verhältnisse, die seit dem Vertrag von Verdun 843 eingetreten sind. Für Ludwig den Deutschen waren zunehmend Mittelrheingebiet und Frankfurt politisch wichtig ge- worden; 69 Heilbronn rückte damit in die

�Etappe". Abschließend gilt es zu fragen, weshalb Würzburg, das geographische und politische

Zentrum Mainfrankens, keine karolingische Pfalz aufzuweisen hat. Es wäre natürlich falsch, zu glauben, die Karolinger hätten diesen Ort

�ausgelassen". Karl der Große hat sich in der heißen Phase des Bayern-Konflikts wohl zweimal in Würzburg aufgehal- ten70, am B. Juli 787 und Anfang Oktober 788. Unmittelbar nach den Würzburger Feierlichkeiten fand sich Karl am 25. Oktober 788 in Regensburg ein, der Metro- polis Bayerns. Seine Rückreise nach Aachen, wo er das Weihnachtsfest feierte, hat ihn vielleicht wieder über Würzburg geführt. Ein weiteres Mal besuchte er Würzburg 793, und zwar wiederum auf dem Rückweg von Regensburg, wobei er im Herbst erst noch den Bau seiner Fossa Carolina besichtigte? ' Weihnachten 793 feierte er in Würz- burg; das bedeutete feierliche kirchlich-politische Repräsentation des Königtums im neuen Würzburger Dom 72 Bei diesem Aufenthalt dürfte er dem Würzburger Bischof wesentliche Aufgaben im Rahmen der Sachsen- und Slawenmission zugewiesen ha- ben. 73 Anschließend verbrachte Karl den Winter und das Osterfest in seiner Pfalz zu Frankfurt.

69) SCHALLES-FISCHER (wie Anm. 3) S. 202 f.; vgl. auch die Reisewege Ludwigs d. Dt. bei SCHMID, Regensburg S. 458 ff. 70) Alfred WENDEHORST, Das Bistum Würzburg I (Germania Sacra N. F. 1,1962) S. 32; Heinrich WAGNER, Zur Frühzeit des Bistums Würzburg (II), Würzburger Diözesangeschichtsblätter 48 (1986) S. 111-131, hier S. 119. 71) Dok. Fr. nr. 44; siehe Anm. 45. 72) Ann. regni Franc. S. 94; Ann. qui dic. Einhardi S. 9. 73) WENDEHORST, Würzburg S. 33; MGH D L. d. Dt. nr. 42 (Bestätigung).

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KAROLINGISCHE PFALZEN IN FRANKEN 173

Diese Beispiele mögen genügen. Da die Würzburger Bischöfe künftighin mit die

wichtigsten Amtsträger im ostfränkischen Raume waren und Interessenwahrer der Kö-

nige, genügte weitgehend dieser personale Bezug. Die Karolinger hatten das junge Bi-

stum Würzburg reich beschenkt. 74 Diese Investitionen sollte man nicht nur als Gabe,

sondern eher primär als Aufgabe sehen. Die �Rechnung" der Karolinger ging auf. Es ist

daher wohl kein Zufall, wenn die karolingischen Pfalzen Frankens in den Randzonen der Diözese Würzburg angesiedelt sind.

74) Siehe Anm. 67; Dok. Fr. nrr. 22,23,25.