regeln für die fortpflanzungsmedizin: zwischen … · dungsbereichs bestätigt für die bioethik-...

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4 Kirche heute 20/21 2016 AKTUELL Am 5. Juni stimmen die Schweizer und Schweizerinnen über die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) im revi- dierten Fortpflanzungsmedizingesetz ab. «Kirche heute» hat mit Professor Christian De Geyter, Chefarzt und Abteilungsleiter Gynäkologische Endokrinologie und Re- produktionsmedizin am Universitätsspital Basel, über medizinische Möglichkeiten und ethische Grenzen gesprochen. Präimplantationsdiagnostik, kurz PID – dar- um dreht sich die Diskussion über die Revisi- on der Verfassungs- und Gesetzesbestim- mungen, welche die medizinisch unterstütz- te Fortpflanzung regeln, fast ausschliesslich. Für Christian De Geyter, der seit 1996 an der Basler Frauenklinik tätig ist, geht es um Grundsätzlicheres, um die Reproduktions- medizin generell. Die geltende Regelung des Bundesgesetzes über die medizinisch unter- stützte Fortpflanzung (FMedG) entspricht nicht den heutigen medizinischen Standards. «Unsere Medizin ist seit 20 Jahren festgemau- ert», stellt De Geyter fest. Während sich die medizinischen Möglichkeiten weiterentwi- ckelt haben, ist das Gesetz stehen geblieben. Das Resultat: «Wir machen jetzt Dinge, die problematisch sind.» Konkret zwingt die gel- tende Regelung die Ärzte zu einem Vorgehen, das unnötige Risiken und Belastungen bein- haltet. Der Hauptnachteil sind Mehrlings- schwangerschaften, welche für Mutter und Kinder ein erhöhtes Risiko bedeuten. «Eine effizientere Medizin mit weniger Komplikati- onen», umschreibt De Geyter das Ziel der Re- vision der Verfassungs- und Gesetzesbestim- mungen. Schneller schwanger Als wichtigsten Vorteil der neuen Regelung nennt De Geyter die Möglichkeit, aus einem grösseren Reservoir als bisher den Embryo mit den besten Entwicklungsaussichten zu identifizieren und diesen auch zu übertragen («single embryo transfer»). Damit erhöhen sich die Erfolgschancen. «Es wird nicht nur schneller zu Schwangerschaften kommen, sondern viel seltener zu den komplikations- trächtigeren Mehrlingsschwangerschaften», erläutert der Fortpflanzungsmediziner. Zu- dem wird weniger eingefroren werden. Bis- her musste alles, was befruchtet werden könnte, eingefroren werden, neu nur noch, was entwicklungsfähig ist. PID ist nach neuer Regelung zugänglich für alle Paare mit ungewollter Kinderlosig- keit, die wegen schwerer Erbkrankheit oder Unfruchtbarkeit die medizinisch unterstützte Fortpflanzung in Anspruch nehmen müssen. Christian De Geyter geht jedoch davon aus, dass PID in diesem Kreis nicht flächende- ckend zum Einsatz gelangen wird, dies allein schon wegen der Kosten, welche die Betroffe- Regeln für die Fortpflanzungsmedizin: Zwischen Kinderwunsc Die gesetzlichen Grundlagen für die Reproduktionsmedizin hinken dem medizinischen Fortschritt hinterher Die Gegner des revidierten FMedG befürch- ten eine Stigmatisierung von Behinderten und gehen davon aus, dass die Zulassung der PID die Wahrscheinlichkeit einer baldigen weiteren Liberalisierung erhöht. «Die PID zuzulassen bedeutet, eine Selek- tion zuzulassen, bei der man sich das Recht anmasst zu entscheiden, wer es verdient zu leben und wer nicht», hält die Kommission für Bioethik der Schweizer Bischofskonferenz in ihrer Stellungnahme fest. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs von PID auf alle Paare, die eine künstliche Befruchtung vor- nehmen dürfen, würde festlegen, dass eine genetische Krankheit wie Trisomie 21 eine Selektion rechtfertige. «Dies würde jene Per- sonen stigmatisieren, die mit dieser Behinde- rung leben.» Die Erweiterung des Anwen- dungsbereichs bestätigt für die Bioethik- Kommission der SBK das Argument der schiefen Ebene. Angesichts dieser Entwick- lung sei es illusorisch anzunehmen, dass man in einigen Jahren nicht auch weiteren An- wendungen der PID wie zum Beispiel das Retterbaby zulassen werde. Das neue FMeDG respektiere die unveränderliche Würde des Menschen nicht. Unter dem Titel «Vielfalt statt Selektion» sprechen sich der Schweizerische Katholi- sche Frauenbund und 18 weitere sozial enga- gierte Organisationen für ein Nein zum FMedG aus. Ihnen geht die Ausweitung des Anwendungsbereichs der PID zu weit. Die Organisationen fordern eine klare Beschrän- kung und plädieren für eine Gesellschaft oh- ne Normierungszwänge. Ihr Engagement gilt einer solidarischen Gesellschaft, die Men- schen mit speziellen Bedürfnissen annimmt und unterstützt. «Dazu gehört eine fort- schrittliche Medizin, die sich darauf konzent- riert, Menschen zu helfen, und nicht darauf, sie zu verhindern oder zu verändern.» Während der Beratungen im Eidgenössi- schen Parlament hatten die 19 Organisatio- nen dazu aufgerufen, die restriktivere Vorlage des Bundesrates zu unterstützen und weder ein allgemeines Screening auf genetische und chromosomale Störungen noch eine Auswei- tung des personellen Anwendungsbereichs über Paare mit einer genetischen Veranla- gung, aufgrund derer ihre Kinder von einer schweren Erbkrankheit betroffen sein könn- ten, hinaus zuzulassen. Auch für den Schweizerischen Evangeli- schen Kirchenbund (SEK) geht das neue FMedG zu weit. «Das Anliegen des Kirchen- bundes richtet sich auf das Menschenbild hinter den Optionen der Fortpflanzungsme- dizin. Er will ein biblisch-christliches Ver- ständnis des Menschen in die öffentlichen Debatten einbringen, das in seiner Vielfältig- keit und seinem Reichtum mehr zu bieten hat als gesellschaftliche Erfolgs- oder Quali- tätskriterien. Die PID ist ein Schritt in Rich- tung Selektion zukünftiger Kinder.» Der SEK plädiert dafür, dass die PID nur in genau defi- nierten Ausnahmefällen wie einer schweren Erbkrankheit zulässig sein soll. Weil es um die Wahl eines Kindes und nicht um eine me- dizinische Entscheidung gehe, brauche es ei- ne kompetente psychologische und ethische Beratung der Eltern. Kh Die Argumente der Gegner: «Schritt in Richtung Selektion» Hantieren mit Embryonen in einer Petrischale unter einem spital Bern, Mai 2015). Keystone, Gaetan-Bally

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4 K i r c h e h e u t e 2 0 / 2 1 2 0 16

A K T U E L L

Am 5. Juni stimmen die Schweizer und Schweizerinnen über die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) im revi-dierten Fortpflanzungsmedizingesetz ab. «Kirche heute» hat mit Professor Christian De Geyter, Chefarzt und Abteilungsleiter Gynäkologische Endokrinologie und Re-produktionsmedizin am Universitätsspital Basel, über medizinische Möglichkeiten und ethische Grenzen gesprochen.

Präimplantationsdiagnostik, kurz PID – dar-um dreht sich die Diskussion über die Revisi-on der Verfassungs- und Gesetzesbestim-mungen, welche die medizinisch unterstütz-te Fortpflanzung regeln, fast ausschliesslich. Für Christian De Geyter, der seit 1996 an der Basler Frauenklinik tätig ist, geht es um Grundsätzlicheres, um die Reproduktions-medizin generell. Die geltende Regelung des Bundesgesetzes über die medizinisch unter-stützte Fortpflanzung (FMedG) entspricht nicht den heutigen medizinischen Standards. «Unsere Medizin ist seit 20 Jahren festgemau-ert», stellt De Geyter fest. Während sich die medizinischen Möglichkeiten weiterentwi-ckelt haben, ist das Gesetz stehen geblieben. Das Resultat: «Wir machen jetzt Dinge, die problematisch sind.» Konkret zwingt die gel-tende Regelung die Ärzte zu einem Vorgehen, das unnötige Risiken und Belastungen bein-haltet. Der Hauptnachteil sind Mehrlings-

schwangerschaften, welche für Mutter und Kinder ein erhöhtes Risiko bedeuten. «Eine effizientere Medizin mit weniger Komplikati-onen», umschreibt De Geyter das Ziel der Re-vision der Verfassungs- und Gesetzesbestim-mungen.

Schneller schwangerAls wichtigsten Vorteil der neuen Regelung nennt De Geyter die Möglichkeit, aus einem grösseren Reservoir als bisher den Embryo mit den besten Entwicklungsaussichten zu identifizieren und diesen auch zu übertragen («single embryo transfer»). Damit erhöhen sich die Erfolgschancen. «Es wird nicht nur schneller zu Schwangerschaften kommen, sondern viel seltener zu den komplikations-trächtigeren Mehrlingsschwangerschaften», erläutert der Fortpflanzungsmediziner. Zu-dem wird weniger eingefroren werden. Bis-her musste alles, was befruchtet werden könnte, eingefroren werden, neu nur noch, was entwicklungsfähig ist.

PID ist nach neuer Regelung zugänglich für alle Paare mit ungewollter Kinderlosig-keit, die wegen schwerer Erbkrankheit oder Unfruchtbarkeit die medizinisch unterstützte Fortpflanzung in Anspruch nehmen müssen. Christian De Geyter geht jedoch davon aus, dass PID in diesem Kreis nicht flächende-ckend zum Einsatz gelangen wird, dies allein schon wegen der Kosten, welche die Betroffe-

Regeln für die Fortpflanzungsmedizin: Zwischen Kinderwunsc h und ethischen Bedenken Die gesetzlichen Grundlagen für die Reproduktionsmedizin hinken dem medizinischen Fortschritt hinterher

Die Gegner des revidierten FMedG befürch-ten eine Stigmatisierung von Behinderten und gehen davon aus, dass die Zulassung der PID die Wahrscheinlichkeit einer baldigen weiteren Liberalisierung erhöht.

«Die PID zuzulassen bedeutet, eine Selek-tion zuzulassen, bei der man sich das Recht anmasst zu entscheiden, wer es verdient zu leben und wer nicht», hält die Kommission für Bioethik der Schweizer Bischofskonferenz in ihrer Stellungnahme fest. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs von PID auf alle Paare, die eine künstliche Befruchtung vor-nehmen dürfen, würde festlegen, dass eine genetische Krankheit wie Trisomie 21 eine Selektion rechtfertige. «Dies würde jene Per-sonen stigmatisieren, die mit dieser Behinde-rung leben.» Die Erweiterung des Anwen-dungsbereichs bestätigt für die Bioethik-Kommission der SBK das Argument der schiefen Ebene. Angesichts dieser Entwick-lung sei es illusorisch anzunehmen, dass man in einigen Jahren nicht auch weiteren An-wendungen der PID wie zum Beispiel das

Retterbaby zulassen werde. Das neue FMeDG respektiere die unveränderliche Würde des Menschen nicht.

Unter dem Titel «Vielfalt statt Selektion» sprechen sich der Schweizerische Katholi-sche Frauenbund und 18 weitere sozial enga-gierte Organisationen für ein Nein zum FMedG aus. Ihnen geht die Ausweitung des Anwendungsbereichs der PID zu weit. Die Organisationen fordern eine klare Beschrän-kung und plädieren für eine Gesellschaft oh-ne Normierungszwänge. Ihr Engagement gilt einer solidarischen Gesellschaft, die Men-schen mit speziellen Bedürfnissen annimmt und unterstützt. «Dazu gehört eine fort-schrittliche Medizin, die sich darauf konzent-riert, Menschen zu helfen, und nicht darauf, sie zu verhindern oder zu verändern.»

Während der Beratungen im Eidgenössi-schen Parlament hatten die 19 Organisatio-nen dazu aufgerufen, die restriktivere Vorlage des Bundesrates zu unterstützen und weder ein allgemeines Screening auf genetische und chromosomale Störungen noch eine Auswei-

tung des personellen Anwendungsbereichs über Paare mit einer genetischen Veranla-gung, aufgrund derer ihre Kinder von einer schweren Erbkrankheit betroffen sein könn-ten, hinaus zuzulassen.

Auch für den Schweizerischen Evangeli-schen Kirchenbund (SEK) geht das neue FMedG zu weit. «Das Anliegen des Kirchen-bundes richtet sich auf das Menschenbild hinter den Optionen der Fortpflanzungsme-dizin. Er will ein biblisch-christliches Ver-ständnis des Menschen in die öffentlichen Debatten einbringen, das in seiner Vielfältig-keit und seinem Reichtum mehr zu bieten hat als gesellschaftliche Erfolgs- oder Quali-tätskriterien. Die PID ist ein Schritt in Rich-tung Selektion zukünftiger Kinder.» Der SEK plädiert dafür, dass die PID nur in genau defi-nierten Ausnahmefällen wie einer schweren Erbkrankheit zulässig sein soll. Weil es um die Wahl eines Kindes und nicht um eine me-dizinische Entscheidung gehe, brauche es ei-ne kompetente psychologische und ethische Beratung der Eltern. Kh

Die Argumente der Gegner: «Schritt in Richtung Selektion»

Hantieren mit Embryonen in einer Petrischale unter einem Mikroskop (Abteilung für Reproduktionsmedizin am Insel-spital Bern, Mai 2015).

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R E G I O N I N K Ü R Z E

Flüchtlingspolitik als HerausforderungDie ethischen, ökonomischen und politi-schen Aspekte der Flüchtlingspolitik sind das Thema einer Veranstaltung, die am Donners-tag, 19. Mai, 18.30 bis 20.15 Uhr an der Univer-sität Basel (Hörsaal 102, Kollegiengebäude, Petersplatz 1) stattfindet. Nach einem Referat des politischen Philosophen Francis Chene-val (Universität Zürich) folgen Kommentare aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht (George Sheldon, Universität Basel) und aus der Optik einer Non-Profit-Organisation (An-toinette Killias, HEKS und Schweizerische Flüchtlingshilfe). Danach wird Theologiepro-fessor Georg Pfleiderer eine Podiumsdiskus-sion mit den Referierenden moderieren. Ver-anstalter sind das Zentrum für Religion, Wirt-schaft und Politik, das Pfarramt für Industrie und Wirtschaft BS/BL und das WWZ Forum der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät.

Kh

Sumaya Farhat-Naser in LiestalDie bekannte palästinensische Friedensak-tivistin Sumaya Frahat-Naser ist am Don-nerstag, 19. Mai, auf Einladung des Vereins Ruach der Pfarrei Bruder Klaus in Liestal zu Gast. Sie liest um 19.30 Uhr in der Kantonsbi-bliothek Baselland aus ihrem aktuellen Buch «Im Schatten des Feigenbaums» und berich-tet über die politische Situation in Palästina. Kh

schappo-Fest der FrauengemeinschaftenIm August feiern die Basler Frauengemein-schaften den schappo, den sie im Oktober 2015 erhalten haben. Zum Fest am Samstag, 13. August, 14–19 Uhr, sind alle Mitglieder der Frauengemeinschaften Basel-Stadt eingela-den. Die sieben katholischen Frauengemein-schaften sind Preisträgerinnen des 35. Prix schappo. «Sie haben einen Ort geschaffen, wo sich Frauen heimisch fühlen», hatte Regie-rungspräsident Guy Morin bei der Preisüber-gabe im Oktober 2015 festgehalten. Der Kan-ton Basel-Stadt verleiht die Auszeichnung seit 2004 zweimal im Jahr als Anerkennung für soziales Engagement im Bereich Freiwilli-genarbeit. Kh

Erfolgreiches JugendchorfestivalMit dem Schlusskonzert aller 18 Chöre ging am Sonntag die 10. Ausgabe des Europäi-schen Jugendchorfestivals Basel zu Ende. Das Konzertprogramm zur Jubiläumsausgabe bot für jede Chorliebhaberin und jeden Chorlieb-haber etwas: vielfältige Eröffnungskonzerte in Basel und Liestal, besinnliche Auffahrts-gottesdienste in Basel und der Region, Kon-zerte zu verschiedenen Themen, die belieb-ten Lunchkonzerte in übervollen Kirchen und vieles mehr. Am Samstagnachmittag verwöhnten die jugendlichen Sängerinnen und Sänger das Publikum auf fünf Spielplät-zen in der Stadt. Das 11. Europäische Jugend-chorfestival Basel ist über die Auffahrtstage 2018 geplant. Kh

Revision des FMedG in Kürze

– Das Verbot der Untersuchung von Embryo-nen vor der Einpflanzung wird aufgehoben. Die Untersuchung des Erbguts von Embry-onen in vitro und deren Auswahl nach Ge-schlecht ist zulässig bei Gefahr einer schwe-ren Erbkrankheit sowie zur Erkennung chromosomaler Eigenschaften, welche die Entwicklungsfähigkeit des Embryos beein-trächtigen können.

– Gestützt auf die bereits revidierte Verfas-sungsbestimmung (BV 119) dürfen ausser-halb des Körpers der Frau innerhalb eines Behandlungszyklus höchstens so viele be-fruchtete Eizellen zu Embryonen weiter-entwickelt werden, als für die medizinisch unterstützte Fortpflanzung oder für die Un-tersuchung des Erbgutes der Embryonen notwendig sind.

– Die Maximalzahl der Eizellen, die weiter-entwickelt werden dürfen, beträgt zwölf. Bisher waren es drei. Kh

nen selber tragen müssen. «PID betrifft nur wenige», sagt er. In erster Linie geht es um die Fälle, in denen das Risiko einer schweren Erbkrankheit besteht. Untersucht würde da-bei nicht nur auf familiär bekannte Erb-krankheiten, sondern auch auf Veränderun-gen von Chromosomen. Eine solche diagnos-tische Massnahme kann auch in Fällen von Unfruchtbarkeit angezeigt sein. So stelle sich manchmal heraus, dass wiederholte Fehlge-burten auf Chromosomenanomalien zurück-zuführen seien, erklärt De Geyter.

Den von den Gegnern vorgebrachte Vor-wurf, die Reproduktionsmedizin bewege sich damit in Richtung Eugenik, weist De Geyter zurück. Es gehe darum, Krankheiten vorzu-beugen, betont er. Es wäre Eugenik, den Be-troffenen einen Verzicht auf Kinder nahezu-legen. Es sei auch ein Widerspruch, dass vor-geburtliche Untersuchungen während der Schwangerschaft (Pränataldiagnostik; PND) erlaubt seien, die PID hingegen nicht.

De Geyter teilt die Befürchtung nicht, dass die Zulassung der PID Eltern von behinderten Kindern unter einen Rechtfertigungsdruck setzen könnte. Wie eine Gesellschaft mit Be-hinderung umgehe, habe mit PID nichts zu tun. Er verweist darauf, dass es die PND schon seit Jahrzehnten gebe und die Zahl der Kin-der mit Down-Syndrom nicht abgenommen habe. Auf Nachfrage räumt er ein, dass ange-sichts des deutlich gestiegenen Durch-schnittsalters der Gebärenden die Zahl ei-gentlich höher sein müsste. Umgekehrt erlebt er bei Patientinnen, die sehr viel auf sich ge-nommen haben, um überhaupt schwanger zu werden, immer wieder, dass sie bewusst auf PND verzichten.

Klare SchrankenZur Befürchtung der Gegner, die Zulassung von PID erhöhe die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Liberalisierung der Fortpflanzungs-medizin, dem Argument der schiefen Ebene, meinte er, das seien Unterstellungen und Scheindiskussionen. Das Gesetz setze klare Schranken und verbiete unter anderem die Leihmutterschaft, die Eizellenspende und das Retterbaby. «Ja, die Vorstellung eines perfek-ten Babys gibt es schon», sagt De Geyter auf die entsprechende Frage hin, «aber dafür ha-ben wir ja die Einschränkungen des Geset-zes.»

Bei einem Nein zum revidierten FMedG hätte die schweizerische Reproduktionsme-dizin keine Zukunft, findet De Geyter. Wer es sich leisten könne, werde ins Ausland gehen, wie es bereits jetzt der Fall sei. Ein neuer An-lauf für eine Revision des FMedG würde viele Jahre in Anspruch nehmen.

Regula Vogt-Kohler

Regeln für die Fortpflanzungsmedizin: Zwischen Kinderwunsc h und ethischen Bedenken Die gesetzlichen Grundlagen für die Reproduktionsmedizin hinken dem medizinischen Fortschritt hinterher

Hantieren mit Embryonen in einer Petrischale unter einem Mikroskop (Abteilung für Reproduktionsmedizin am Insel-spital Bern, Mai 2015).

2 K i r c h e h e u t e 2 0 / 2 1 2 0 16

Entscheiden

Am 5. Juni sind wir dazu aufgerufen, über eine Reihe von Vorlagen zu entscheiden. Jede Stim-me hat das Potenzial, die Waage auf die eine

oder andere Seite kip-pen zu lassen. Und wenn der Entscheid gefallen ist, kann sich keiner dessen Konse-quenzen entziehen, auch jene nicht, die den Abstimmungster-min einfach verges-sen oder sich bewusst nicht beteiligt haben.

Welches denn diese Konsequenzen sein wer-den, ist oft nicht klar, Befürworter und Gegner bieten unterschiedliche Varianten an. So sind auch die Folgen einer Zulassung der Präim-plantationsdiagnostik (PID) umstritten. Be-schleunigt ein Ja zum revidierten Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflan-zung (FMedG) eine weitere Liberalisierung bis hin zur Monstrosität eines Designerbabys? Ge-raten Eltern behinderter Kinder, ja Behinderte selber unter einen Rechtfertigungsdruck?

Der medizinische Fortschritt macht vieles möglich, was noch vor wenigen Generationen undenkbar war. Auf vieles würde kaum jemand verzichten wollen, zugleich sind wir aber mit heiklen Fragen konfrontiert. Über Dinge, die nicht möglich sind, muss man sich nicht den Kopf zerbrechen, da gibt es nichts zu entschei-den. Stehen uns aber verschiedene Optionen zur Verfügung, müssen wir uns entscheiden, ob wir es wollen oder nicht.

Beim FMedG geht es nicht einfach nur um PID ja oder nein, sondern um die Rahmenbe-dingungen für die Reproduktionsmedizin. Nicht nur vom ärztlichen Standpunkt aus erscheint es als problematisch, wenn die aktuellen medi-zinischen Standards und die gesetzliche Rege-lung allzu weit auseinanderliegen. Die Konse-quenz daraus kann nicht sein, alles zuzulassen und auf die Vernunft aller Beteiligten zu setzen. Dass dies nicht funktioniert, zeigen die medial ausgeschlachteten Beispiele von riskanten Mehrlingsschwangerschaften. Es macht aber auch in ethischer Hinsicht Sinn, rechtliche Grundlagen zu schaffen, die den Ärztinnen und Ärzten innerhalb klarer Schranken ein Vorge-hen ermöglicht, das keine unnötigen Risiken und Belastungen mit sich bringt.

Und auch wenn das FMedG angenommen wird: Jeder und jede muss und darf selber ent-scheiden, ob er die medizinischen Möglichkei-ten in Anspruch nehmen will. Aufgabe einer so-lidarischen Gesellschaft ist es, allen diese Frei-heit, so oder anders zu entscheiden, zu belassen und Entscheide auch dann zu respektieren, wenn man selber anders entschieden hätte.

Regula Vogt-Kohler, Redaktorin

E D I T O R I A L I N K Ü R Z E

W A S I S T …

... Präimplantationsdiagnostik? Unter Präimplantationsdiagnostik (PID) ver-steht man die Untersuchung von Embryonen, die ausserhalb des Körpers der Frau befruchtet worden sind. Bei der eigentlichen Diagnostik vor der Einpflanzung in die Gebärmutter han-delt es sich um ein gezieltes Suchen von be-stimmten Erbkrankheiten. Beim Präimplanta-tionsscreening geht es um die genetische Unter-suchung zur Abklärung von Chromosomen- Anomalien. rv

W E LT

Zölibat unter der LupeDie australische Kommission zur Aufklärung von Kindesmissbrauch wird im Februar 2017 die Strukturen und den Umgang der katholi-schen Kirche mit solchen Fällen umfassend untersuchen. Unter anderem kündigte das Gremium an, das Kirchenrecht, den Pflicht-zölibat sowie die Auswahl und Ausbildung von Priestern unter die Lupe zu nehmen. Die Kommission möchte herausfinden, inwie-weit diese und andere Faktoren zu sexuellem Kindesmissbrauch in der römisch-katholi-schen Kirche beigetragen haben.

Steyler Missionare fusionierenDie Steyler Missionare der bisherigen Provin-zen Schweiz und Österreich fusionieren zu einer neuen «Mitteleuropäischen Provinz». 120 Ordensmänner aus insgesamt zehn Nie-derlassungen, darunter auch in Kroatien und Frankreich, gehören der neuen Regionalein-heit der Gemeinschaft an. Als erster Provinzi-al wurde am 1. Mai Pater Stephan Dähler, zu-letzt Schweizer Provinzial, ins Amt einge-führt.

VAT I K A N

Papst nimmt Karlspreis entgegenPapst Franziskus hat im Vatikan den Interna-tionalen Karlspreis zu Aachen entgegenge-nommen. Das Karlspreisdirektorium würdig-te damit laut der Verleihungsurkunde sein «herausragendes Engagement für Frieden, Verständigung und Barmherzigkeit in einer europäischen Gesellschaft der Werte». Für den Vorsitzenden des Karlspreis-Direktori-ums, Jürgen Linden, gibt Franziskus «Mut und Zuversicht, Europa wieder zu dem Traum zu machen, den wir seit mehr als 60 Jahren zu träumen gewagt haben».

Bischöfe uneinig in FlüchtlingsfrageBei einem Treffen der Leitung des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) mit hohen Kurienvertretern im Vatikan woll-ten die Bischöfe sich nicht auf eine einheitli-che Linie in der Flüchtlingskrise verständi-gen. In dieser Frage könne es «nicht nur eine einzige Antwort geben», sagte der Präsident der CCEE, Kardinal Peter Erdö. Er meint, man müsse die Flüchtlingsfrage weiter studieren. Aufgabe der Kirche sei es, «das Evangelium Jesu Christi und seine Werte zu verkünden, nicht, politische oder operative Handlungs-empfehlungen zu geben». Vorrangig seien grosszügige humanitäre Hilfe und Aufnah-mebereitschaft.

Memorandum zu Muslimen und ChristenDer Vatikan hat ein Memorandum über das Zusammenleben mit Muslimen veröffent-licht. Zwischen Christentum und Islam gebe es wesentlich mehr Verbindendes als Unter-

schiede, heisst es in der Erklärung zum Ab-schluss einer Konferenz des Päpstlichen Rats für den interreligiösen Dialog und des Royal Institute for Interfaith Studies, eines jordani-schen Think-Tanks. In der gemeinsamen Er-klärung heisst es, Islam wie Christentum könnten zu einer humaneren und zivileren Gesellschaft beitragen, wenn die Gläubigen ihren jeweiligen Prinzipien von Gottesvereh-rung und Nächstenliebe folgten.

S C H W E I Z

Schneider-Ammann trifft PapstPapst Franziskus hat mit dem Schweizer Bundespräsidenten Johann Schneider-Am-mann über Zuwanderung und Integration gesprochen. Weiter sei es um den Nahostkon-flikt und mögliche friedenssichernde Mass-nahmen für die Länder südlich der Sahara gegangen. Der Papst empfing Schneider-Am-mann anlässlich der jährlichen Vereidigung der neuen Schweizergardisten.

Caritas bejaht AsylgesetzTrotz Verschärfungen empfiehlt Caritas Schweiz, das neue Asylgesetz, über das am 5. Juni abgestimmt wird, anzunehmen. Mit den Gesetzesänderungen werde das Asylverfah-ren beschleunigt und gleichzeitig der Rechts-schutz verbessert, heisst es in einer Mittei-lung. Ein rasches, speditives Verfahren sei auch im Interesse der Asylsuchenden. Unver-zichtbare Voraussetzung für ein beschleunig-tes und gleichzeitig faires Asylverfahren sei der Rechtsschutz, wie es weiter heisst. Das revidierte Asylgesetz erfülle mit der kostenlo-sen Rechtsberatung diese Voraussetzung.

kath.ch