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Doku Fachtag 29.03.19, 06.05.19 1/13
Produktives Lernen in Sachsen
Welche Erfahrungen sind für die Regelschule nutzbar?
Dokumentation des Fachtags am 29.03.2019 im Sächsischen Staatsministerium für Kultus, Dresden
Teilnehmer/innen: Pädagog/inn/en und
Schulleitungen des Produktiven Lernens aus
Sachsen, Berlin und Mecklenburg-
Vorpommern; Lehrkräfte und Schulleitungen
aus interessierten Schulen in Sachsen; Vertre-
ter/innen der LASUB und des SMK Sachsen
Ziele der Veranstaltung: Das Produktive Ler-
nen wurde 2008 in Sachsen im Rahmen eines
ESF-Projektes eingeführt, um die Anzahl von
Schulabgänger/inne/n ohne Abschluss zu ver-
ringern. Seitdem haben ca. 900 Schüler/innen
am Produktiven Lernen teilgenommen. Der
überwiegende Teil hat einen Schulabschluss
erreicht und eine berufliche Anschlussper-
spektive entwickelt. Ihren Ausbildungsplatz
haben die Schüler/innen mehrheitlich über
den Bildungsteil Lernen in der Praxis gefun-
den. Während des zweijährigen Bildungsgangs
suchen sich die Schüler/innen sechs verschie-
dene Praxisplätze in Betrieben, sozialen und
kulturellen Einrichtungen und werden dort an
drei Tagen in der Woche tätig. Das Lernen in
der Praxis wird mit dem schulischen Lernen
curricular verbunden. Ziel der Veranstaltung
war es, einen Austausch zwischen Lehrkräften
Produktiven Lernens und anderen Lehrkräften
zu diesen Fragen zu ermöglichen.
Welches sind aus Sicht der Akteure die „Er-
folgsfaktoren“, Herausforderungen und
Schwierigkeiten im Produktiven Lernen? Wel-
che Erfahrungen könnten für andere Schulen
hilfreich sein? An welchen Stellen sollte sich
Produktives Lernen weiterentwickeln?
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Programm
Begrüßung durch das Sächsische Staatsminis-
terium für Kultus (Gerald Heinze, Leiter Abtei-
lung 4, Allgemeinbildende Schulen/ Kinderta-
gesbetreuung)
Impulsvortrag zum Thema „10 Jahre Erfah-
rungen mit dem Produktiven Lernen in Sach-
sen - welche Erfahrungen sind für die Regel-
schule nutzbar?“ (Heike Borkenhagen, IPLE)
Produktives Lernen und „Handeln – Erkunden
– Entdecken“ in Mecklenburg-Vorpommern
(Sabine Schickel, Beraterin für Produktives
Lernen in Mecklenburg-Vorpommern)
Arbeitsgruppen:
1. Von der Tätigkeit zur Bildung: Wie las-
sen sich Praxiserfahrung und schuli-
sches Lernen verbinden?
2. Die pädagogische Beziehung gestal-
ten: Welche Rolle spielt die Bildungs-
beratung im Produktiven Lernen?
3. Kompetent sein: Wie fördern wir im
Produktiven Lernen Handlungskompe-
tenz und Selbständigkeit?
4. Den Übergang von der Schule in den
Beruf vorbereiten: Wie werden im
Produktiven Lernen konkrete An-
schlussperspektiven vorbereitet?
5. Aufnahmeverfahren und Orientie-
rungsphase: Wie finden wir heraus,
für wen Produktives Lernen geeignet
ist?
Rundgang zu den Ergebnissen der Arbeits-
gruppen, Ausblick
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Ergebnisse AG 1: Von der Tätigkeit zur Bildung: Wie lassen sich Praxiserfahrung und schulisches
Lernen verbinden (Holger Mirow)
„Lernthemen in der Schule aus den Erfahrun-
gen „in Ernstsituationen“ entwickeln und den
Nutzen fachlichen Wissens und Könnens im
praktischen Handeln erleben“: So könnte die
Methodik Produktiven Lernens in einem Satz
zusammengefasst werden.
Die Arbeitsgruppe 1 bot eine Einführung mit
kleinen Übungen, Gesprächen mit Schü-
ler/inne/n aus dem PL, und Raum für Diskussi-
on. Der „Selbstversuch“ führte zu einer Viel-
zahl kreativer Ergebnisse und einer anregen-
den Anschlussdiskussion, wie die folgenden
Bilder zeigen.
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Anschließend stellten sich zwei Schülerinnen
und ein Schüler der 121. Oberschule "Johann
Georg Palitzsch" in Begleitung ihrer Lehrerin-
nen Heidrun Krause und Sybille Benndorf den
Fragen der AG-Teilnehmer/innen und berich-
teten von ihren Erfahrungen. Sie erhielten vie-
le positive Rückmeldungen zu Ihrer Entwick-
lung und der Art und Weise, wie sie über das
eigene Lernen und ihre Ziele berichteten.
Lassen sich die Erfahrungen auch auf die Re-
gelschule bzw. andere Zielgruppen übertra-
gen? Diese Erörterung der Möglichkeiten und
Grenzen wurde am Beispiel des Entwicklungs-
vorhabens „Handeln, Entdecken, Erkunden
(HEE) geführt.
Hier waren die Erfahrungen der PL-Pädagogin
und stellvertretenden Schulleiterin Anke
Thurow aus Greifswald sehr anregend, die
langjährige Erfahrungen mit dem Vorhaben
HEE im 7. Jahrgang einbrachte.
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Ergebnisse AG 2: Die pädagogische Beziehung gestalten: Welche Rolle spielt die Bildungsberatung
im Produktiven Lernen? (Conny Miksch)
Die pädagogische Beziehung ist in erster
Linie eine zwischen zwei Personen:
dem/der Schüler/in und dem/der Päda-
gog/in. Gleichzeitig steht diese Bezie-
hung in einem System mit anderen Per-
sonen, die ebenfalls Einfluss auf die pä-
dagogische Beziehung nehmen, z.B. El-
tern oder andere Erziehungsberechtigte,
Mentoren an den Praxislernorten sowie
die Peergruppe der Schüler/innen.
In der Diskussion wurden verschiedene
Aspekte der pädagogischen Beziehung
besprochen, die den folgenden Bildern
entnehmbar sind:
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Ergebnisse AG 3: Kompetent sein: Wie fördern wir im Produktiven Lernen Handlungskompetenz
und Selbständigkeit?
Jugendliche, die sich für das Produktive Lernen
entscheiden, sind auf vielfältige Weise kompe-
tent. Sie bringen also eine Ressource mit, die
oft über das schulische Lernen hinausweist
und für den Übergang in eine (berufliche) Le-
bensgestaltung nach der Schule elementar ist.
Auch in der Regelschule haben die Schü-
ler/innen die Möglichkeit, sich mit Hilfe mehr-
tägiger ‚Schülerpraktika‘ beruflich zu orientie-
ren und zu zeigen, dass sie „In der Tat kompe-
tent sind!“ – Dies bestätigten die teilnehmen-
den Pädagog/inn/en, indem sie auf Karten
festhielten, was an ‚Positivem‘ entdeckt bzw.
welche Kompetenzen bei den Jugendlichen
wahrgenommen werden können, wenn diese
am Praxislernort oder im Praktikum tätig sind.
Auch wenn der zeitliche Rahmen der Schüler-
praktika (2 x 14 Tage) im Vergleich zum „Ler-
nen in der Praxis“ im Produktiven Lernen (drei
Tage in der Woche über zwei Schuljahre hin-
weg) weit geringer ausfällt, wurden Gemein-
samkeiten mit Blick auf ‚Gelingensbedingun-
gen‘ von Praktika erkennbar. Entscheidend für
den Prozess der Kompetenzentwicklung ist je-
doch, wie die gewonnenen praktischen Erfah-
rungen individuell auf- und verarbeitet wer-
den können. Im Produktiven Lernen wird dies
vor allem durch drei Angebotssäulen möglich:
„Individuelle Bildungsberatung“ – „Kommuni-
kationsgruppe“ – „Lernwerkstatt / fachbezo-
gener Unterricht“.
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„Zeigen, was ich kann, aber auch verstehen
was ich tue“ - dieses Leitmotiv, das für eine
kompetenzorientierte und die Selbstständig-
keit befördernde Zusammenarbeit mit den Ju-
gendlichen im Produktiven Lernen elementar
ist, stand im zweiten Teil der Diskussionsrunde
im Vordergrund. Wodurch ist diese Zusam-
menarbeit im Einzelnen gekennzeichnet? Wel-
che Chancen bieten hier die Freiwilligkeit der
Teilnahme, eine eigenständige Praxisplatzsu-
che und die selbstständige Wahl von Lernauf-
gaben und deren Bearbeitung? Aber mit wel-
chen Herausforderungen ist diese ‚andere‘ Art
des Lernens für Schüler/innen wie auch für
Lehrer/innen verbunden?
Diese Fragen boten Diskussionsstoff und
machten deutlich, dass es nicht die Vermitt-
lung von ‚Wissensstoff‘ ist, die ein vertiefen-
des Verstehen und Verständnis (be)fördert.
Vielmehr sind es die Erfahrungen der Jugend-
lichen, bereits etwas zu können und damit er-
folgreich zu sein, die ein fachbezogenes und
persönliches Weiterlernen bestärken und mo-
tivieren. Dabei hat sich in der individuellen
Lernbegleitung – beispielsweise in Mathema-
tik – folgendes Vorgehen bewährt: Mit den
Jugendlichen konkrete „Fundstellen“ für Ma-
thematik / Fachrechnen an den Praxisplätzen
aufspüren, darauf aufbauend die „Situatio-
nen“ beschreiben lassen, um eine Vorstellung
für den ‚mathematischen Gehalt der Situation‘
zu entfalten; erst am Ende mathematische
Werkzeuge anbieten (z.B. durch die Arbeit mit
einer Tabelle, statt dem Anwenden fertiger
Formeln).
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Ergebnisse AG 4: Den Übergang von der Schule in den Beruf vorbereiten: Wie werden im Produkti-
ven Lernen konkrete Anschlussperspektiven vorbereitet (Astrid Specht und Heike Opfer)
Nach wie vor ist der Schulabschluss eine wich-
tige Eintrittskarte in das Berufsleben. Was
aber kommt danach? Und welchen Beitrag
kann Schule zur Vorbereitung auf die Berufs-
wahl und auf die konkrete Entwicklung von
beruflichen Anschlussperspektiven leisten?
Wie das im Produktiven Lernen aussieht, konn-
te man in der Arbeitsgruppe 4 erfahren, wo
„Best practice Beispiele“ zur Diskussion ge-
stellt wurden.
Zunächst wurden in der Arbeitsgruppe die
Aufgabenfelder und Einsatzzeiträume der in
Schule aktiven Berufsberatungsexpert/inn/en
verglichen. Die Berater/innen der Jobcenter,
Berufseinstiegsbegleiter, Praxisberater und die
Pädagog/inn/en im Produktiven Lernen verfol-
gen in puncto Berufsorientierung sehr ähnli-
che Ziele, arbeiten aber in der Realität oft
„nebeneinander her“. Die Zusammenarbeit im
Interesse der Schüler/innen zu bündeln, Auf-
gaben gezielt zu splitten und damit Ressour-
cen freizulenken war Schwerpunkt der Diskus-
sion. Unstrittig war, dass Schüler/innen durch
persönliche Erfahrungen an Praxisplätzen im
Rahmen von Schülerpraktika in ihrer Berufs-
wahlentscheidung geprägt werden. Um die
Vorteile, die PL-Teilnehmer/innen diesbezüg-
lich gegenüber Regelschüler/inn/n nutzen
können, auszugleichen, muss es Anliegen aller
Schulen sein, ihren Schüler/inne/n ein Maxi-
mum an derartigen Erfahrungen im Rahmen
des rechtlich Möglichen zu bieten. Die Betreu-
ung entsprechender Schülerbetriebspraktika
sollte weiter professionalisiert werden. Dazu
wäre eine enge Zusammenarbeit beispielswei-
se von Klassenlehrer/inne/n und Praxisbera-
ter/inne/n sinnvoll.
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Zusammenfassend waren sich die Teilneh-
mer/innen der Arbeitsgruppe einig, dass in der
Zusammenarbeit von am Berufsorientierungs-
prozess Beteiligten in Schule derzeit noch Re-
serven vorhanden sind. Die Intensivierung die-
ser Zusammenarbeit kann Synergieeffekte
schaffen, die allen Schüler/innen zugutekä-
men.
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Ergebnisse AG 5: Aufnahmeverfahren und Orientierungsphase: Wie finden wir heraus, für wen
Produktives Lernen geeignet ist?
Einstieg: Der Workshops wurde mit einer kur-
zen Vorstellungsrunde begonnen, in der die
Teilnehmer/innen unter anderem ihre Erwar-
tungen, Wünsche und Hoffnungen in Bezug
auf den Workshop äußerten:
Im Anschluss wurde an zwei vorbereiteten
Stationen gearbeitet. Die erste Station widme-
te sich den Zielen und dem Konzept des Auf-
nahmeverfahrens und der Orientierungspha-
se, die zweite Station bot Einblick in verschie-
dene Methoden, die für Aufnahmegespräche
oder auch für bestimmte Schwerpunkte der
Orientierungsphase vom IPLE den Päda-
gog/inn/en im PL empfohlen werden.
Station 1: „Ziele und Konzept des Aufnahme-
verfahrens und der Orientierungsphase“
Im Rahmen der Betrachtung des Materials und
anhand von Fragen wurde u. a. über die Ziel-
setzungen, die Kooperation der Schulen und
auch die Zielgruppe für Produktives Lernen ge-
sprochen. Dabei berichteten die PL-
Pädagog/inn/en von ihren Erfahrungen, dass
für PL ein Wille zur Veränderung und eine
freiwillige Teilnahme notwendig seien. Dage-
gen täten sich Schulverweigerer mit dem auf
Selbstständigkeit beruhendem Ansatz des PLs
oft schwer.
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Im Zusammenhang mit der Zielgruppe wurde
auch die Frage diskutiert, ab wann man bei
den Schüler/inne/n von einer Abschlussge-
fährdung ausgehen kann und ob eine rechtzei-
tige Empfehlung zum Produktiven Lernen nicht
hilfreich sein könnte, um schulische Konflikte
und ein Abdriften in Schulverweigerung zu
verhindern.
Station 2: „Methodische Anregungen für die
Aufnahme und Orientierung“
In der Betrachtung der ausgestellten Anre-
gungen und Methoden wurde unter anderem
über verschiedene Mittel der Öffentlichkeits-
arbeit und die Beteiligung der Jugendlichen
diskutiert. Zudem wurden das Etablieren einer
pädagogischen Beziehung und das Schaffen
einer Arbeitsgrundlage mit der Gruppe als we-
sentliche Zielstellung für die Orientierungs-
phase genannt.
Weiterhin wurde sich darüber ausgetauscht,
wie wichtig die Unterstützung innerhalb der
Schule durch die Schulleitung ist und dass das
Ansehen/der Ruf des Standortes wesentlich
zum Selbstbild der Jugendlichen und auch zum
Erreichen von ausreichend Bewerber/inne/n
beiträgt.
In diesem Zusammenhang wurden die Unter-
schiede durch die Eingrenzung der Zielgruppe
betrachtet, die in Sachsen im Vergleich zu Ber-
lin oder Mecklenburg-Vorpommern bestehen.
Die Kolleg/inn/en aus „nicht-PL“-Schulen inte-
ressierten sich darüber hinaus auch für Hin-
weise der erfahrenen Kolleg/inn/en, wie man
PL an ihren Schulen vorbereiten und die Schul-
leitung dafür gewinnen könnte.