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Praktikum in Werkstoffkunde 95 ausführliche Versuche aus wichtigen Gebieten der Werkstofftechnik Bearbeitet von Eckard Macherauch, Hans-Werner Zoch 12., überarbeitete und erweiterte Auflage 2015. Buch. XXIV, 766 S. Gebunden ISBN 978 3 658 05037 5 Format (B x L): 16,8 x 24 cm Weitere Fachgebiete > Technik > Werkstoffkunde, Mechanische Technologie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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Praktikum in Werkstoffkunde

95 ausführliche Versuche aus wichtigen Gebieten der Werkstofftechnik

Bearbeitet vonEckard Macherauch, Hans-Werner Zoch

12., überarbeitete und erweiterte Auflage 2015. Buch. XXIV, 766 S. GebundenISBN 978 3 658 05037 5

Format (B x L): 16,8 x 24 cm

Weitere Fachgebiete > Technik > Werkstoffkunde, Mechanische Technologie

Zu Inhaltsverzeichnis

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

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2V2Gitterstörungen

2.1 Grundlagen

Die Metalle und Metall-Legierungen, die in der Technik als Konstruktionswerkstoffe be-nutzt werden, sind aus relativ kleinen, gegeneinander unterschiedlich orientierten Körnernoder Kristalliten aufgebaut. Man spricht von Vielkristallen. Jedes ihrer Körner umfasst fürsich eine dreidimensionale periodische Anordnung von Atomen, stellt also ein Raumgit-ter dar. Homogene Vielkristalle besitzen nur eine Kornart, heterogene dagegen mehre-re. Gleichartige Körner sind durch sog. Korngrenzen, ungleichartige durch sog. Phasen-grenzen voneinander getrennt. Die mittleren Linearabmessungen der Körner können vonBruchteilen eines μm bis zu mehr als 104 μm reichen. Selbst bei reinen Metallen sind dieKörner, wie viele Untersuchungen gezeigt haben, nicht vollkommen regelmäßig und stö-rungsfrei aufgebaut. Sie besitzen zwar (vgl. V1) über mikroskopische Bereiche hinweg einekristallographisch regelmäßige Struktur, haben also imMittel z. B. eine kubisch flächenzen-trierte (kfz), kubisch raumzentrierte (krz) oder hexagonale (hex) Anordnung der Atome,können jedoch in submikroskopischenBereichenmehr oderweniger starkeAbweichungen(Fehlordnungen) von einem idealen Atomgitteraufbau zeigen. Man spricht von Gitterstö-rungen, deren Art undHäufigkeit durch Herstellung, Behandlung und Beanspruchung derWerkstoffe bestimmt werden. Auf der Beherrschung und gezielten Ausnutzung der Eigen-schaften bestimmter Gitterstörungen beruhen viele Erfolge der modernenWerkstofftech-nologie. Die auftretenden Abweichungen von der strengen dreidimensionalen Periodizitätder Atomanordnung in einem Raumgitter lassen sich unter rein geometrischen Gesichts-punkten in

• 0-dimensionale oder punktförmige,• 1-dimensionale oder linienförmige,• 2-dimensionale oder flächenförmige und• 3-dimensionale oder räumlich ausgedehnte Gitterstörungen

9E. Macherauch und H.-W. Zoch, Praktikum in Werkstoffkunde,DOI 10.1007/978-3-658-05038-2_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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10 2 V2 Gitterstörungen

Abb. 2.1 PunktförmigeGitterstörungen. 1 Leerstel-le, 2 Zwischengitteratom,3 Substitutionsatom, 4 Intersti-tionsatom

unterteilen. Als Dimensionen sind dabei jeweils diejenigen Ausdehnungen der Gitterstö-rungen zu verstehen, die atomare Abmessungen überschreiten. Linienförmige Gitterstö-rungen besitzen beispielsweise in einer Richtung große, in den beiden dazu senkrechtenRichtungen dagegen nur atomare Abmessungen. Man weiß heute, dass es nur eine be-grenzte Zahl vonGitterstörungstypen gibt. Die fürwerkstoffkundliche Belange wichtigstenwerden nachfolgend kurz angesprochen.

Abbildung 2.1 zeigt eine {100}-Ebene eines primitiv kubischen Gitters. Die Kreise sym-bolisieren die Atomlagen der aus einer einheitlichen Atomart aufgebauten Struktur. Vierverschiedene Typen punktförmiger Gitterstörungen können unterschieden werden. Ander Stelle 1 fehlt im Gitterverband ein Atom. Eine solche Gitterstörung heißt Leerstelle.Die durch 2 gekennzeichnete Erscheinung, bei der ein Atom einen Platz zwischen denregulären Gitterplätzen einnimmt, wird Zwischengitteratom genannt. Von diesen punkt-förmigen Gitterstörungen, die durch Atome der gleichen Art verursacht werden, sind diedurch Fremdatome hervorgerufenen zu unterscheiden. Fremdatome, die von dem Raum-gitter eines Metalls aufgenommen werden, bilden mit diesem eine „feste Lösung“ undwerden deshalb als gelöste Atome bezeichnet. Ein solcher Einbau von Fremdatomen in denGitterverband kann in zweifacher Weise erfolgen. An der Stelle 3 hat z. B. ein Fremdatommit größerem Atomdurchmesser als die Atome, die das Gitter aufbauen (Matrixatome),einen regulären Gitterplatz eingenommen. Das Fremdatom ist gegen ein Gitteratom ausge-tauscht und damit in das Gitter substituiert worden. Man spricht von einem Substitutions-oderAustauschatom (Beispiel: Zn-Atome inKupfer). An der Stelle 4 ist dagegen ein Fremd-atom mit einem erheblich kleineren Atomvolumen als die Matrixatome auf einem nichtregulär besetzten Gitterplatz (Zwischengitterplatz) interstitiell gelöst worden. Man sprichtvon einem Interstitions- oder Einlagerungsatom (Beispiel: C-Atome in Eisen).

In Abb. 2.2 sind die mit 5 und 6 bezeichneten Gebilde als linienförmige Gitterstörun-gen anzusprechen. Bei 5 endet eine einzelne Atomreihe im Innern der aufgezeichnetenAtomebene. Stellt man sich Abb. 2.2 als Schnitt durch einen senkrecht zur Zeichenebeneausgedehnten Kristall vor, so ist die bei 5 auftretende Atomanordnungdie Folge einer in dieobere Kristallhälfte eingeschobenen und im Kristallinnern endenden Atomhalbebene. Inder Zeichenebene treten dadurch zwei horizontal übereinander liegendeGittergeraden auf,

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2.1 Grundlagen 11

Abb. 2.2 Linien- und flä-chenförmige Gitterstörungen.5 Versetzung, 6 Crowdion,7 Kleinwinkelkorngrenze,8 Zwillingsgrenze

von denen die eine n, die andere n+ 1 Atome besitzt. Die Grenzlinie der eingeschobenenAtomebene, die sich senkrecht zur Zeichenebene über größere Gitterbereiche erstreckt, isteine linienförmige Gitterstörung und wird als Versetzung bezeichnet. Im Gegensatz dazuist die Gitterstörung 6 dadurch charakterisiert, dass n+ 1 linienhaft angeordnete Atomeparallel zu ihrer Längsausdehnung in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft auf der gleichenStrecke jeweils nur n Atome vorfinden. Man spricht in Ermangelung eines charakteristi-schen deutschen Wortes von einem crowdion.

Die Gitterstörungen 7 und 8 sind flächenhafter Natur. Bei 7 treten Versetzungen ingesetzmäßigerWeise untereinander angeordnet auf. Bei den schwarz ausgezeichneten Ato-men enden jeweils eingeschobene Gitterhalbebenen. Der schraffiert gezeichnete Gitterbe-reich stellt einen Schnitt durch eine sog. Kleinwinkelkorngrenze dar, die zwischen benach-barten, gegeneinander um kleine Winkelbeträge geneigten Kristallbereichen vermittelt.Auch die Gitterstörung 8 führt zu einem Orientierungsunterschied zwischen benachbar-ten Gitterteilen. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Atome beiderseits zu einer sichsenkrecht zur Zeichenebene erstreckenden Gitterebene völlig symmetrisch liegen. Die ge-strichelte Linie (8 . . . 8) gibt die Spur dieser Spiegelebene mit der Zeichenebene an. Da diebenachbarten Kristallteile sich völlig gleichen, wird die Spiegelebene als Zwillingsgrenzeoder Zwillingskorngrenze bezeichnet.

Als weitere flächenförmige Störung ist in Abb. 2.3 an der Stelle 9 das Fehlen einiger Ato-me in einer Gitterebene angedeutet. Man kann sich die Öffnung durch Ansammlung vonLeerstellen entstanden und scheibenförmig senkrecht zur Zeichenebene ausgedehnt vor-stellen. Man spricht von einer Leerstellenzone. Die flächenförmige Gitterstörung 10 stelltdagegen einen Schnitt durch eine zweidimensional ausgedehnte Anhäufung von Fremd-atomen auf einer Gitterebene dar. Eine solche Gitterstörung wird als Fremdatomzone be-zeichnet. Die Störung 11 schließlich umfasst in atomaren Dimensionenmehr oder wenigerstark gestörte Gitterbereiche, die zwischen benachbarten Kristalliten mit zueinander grö-ßeren Orientierungsunterschieden vermitteln. Sie stellt einen Schnitt durch eine Grenz-fläche zwischen relativ ungestörten Gitterbereichen dar und unterbricht die Kontinuitätdes Gitters. Eine solcheGitterstörung wird Großwinkelkorngrenze oder einfach Korngren-ze genannt. Die Grenzflächen zwischen Körnern unterschiedlicher Art und Gitterstruktur

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12 2 V2 Gitterstörungen

Abb. 2.3 FlächenförmigeGitterstörungen. 9 Leerstel-lenzone, 10 Fremdatomzone,11 Großwinkelkorngrenze

Abb. 2.4 Phasengrenzen (12)und dreidimensionale Gitter-störungen. 13 Ausscheidung,Dispersion, 14 Einschluss,15Mikroriss, 16 Mikropore,Pore

werden als Phasengrenzen (12 in Abb. 2.4) bezeichnet. Charakteristische dreidimensionaleGitterstörungen sind schematisch in Abb. 2.4 dargestellt.

Bei vielen Metall-Legierungen bilden sich unter bestimmten thermodynamischen Be-dingungen im Gitter der Matrixatome neue Gitterbereiche mit einer gegenüber der Matrixveränderten Struktur aus. Man spricht in solchen Fällen von Ausscheidungen. Es könnenaber auch durch geeignete Versuchsführungen innerhalb eines Matrixgitters feindispersoxidische Kristallite entweder durch geeignete Sinterprozesse eingebaut oder durch in-nere Oxidation erzeugt werden. Derartige Gebilde nennt man Dispersionen. Schließlichtreten oft auch auf Grund der Herstellungsprozesse unvermeidbare intermetallische oderintermediäre Verbindungen als selbständige Kristallite innerhalb eines Matrixgitters auf.Sie können verschiedene Abmessungen einnehmen und werden als Einschlüsse bezeich-net. Ausscheidungen, Dispersionen und Einschlüsse stellen räumliche Gitterstörungen dar(13 und 14 in Abb. 2.4). Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie innerhalb eines Matrix-gitters (Phase A) einen geordneten Kristallbereich mit eigener Struktur (Phase B) bildenund gegenüber der umgebenden Matrix durch eine Phasengrenze getrennt sind. Eine an-dere räumliche Gitterstörung ist der sog. Mikroriss. Entstanden sein könnte er z. B. durchdrei Versetzungen, die wie in Bereich 15, Abb. 2.4 angenommen auf eine Phasengrenzeaufgelaufen sind und dadurch unter ihren drei Gitterhalbebenen einen sich senkrecht oderschräg zur Zeichenebene ausdehnenden Hohlraum bilden. Schließlich kommt auch die

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2.1 Grundlagen 13

räumliche Störung 16 vor, die einen kugelförmigen Hohlraum innerhalb des Matrixgittersdarstellen soll. Derartige Poren können als Leerstellen- oder als Gasansammlungen unterbestimmten Bedingungen entstehen. Glücklicherweise gibt es nur eine endlich begrenz-te Zahl von Gitterstörungen, die sich der eingangs erwähnten Systematik unterordnen.Das ist deshalb von großer praktischer Bedeutung, weil die Gitterstörungen einerseits vieleWerkstoffeigenschaften beeinflussen und bestimmen, andererseits aber auch viele für dieWerkstofftechnologie wichtige Prozesse überhaupt erst ermöglichen. Als Beispiele seienhier nur die Leerstellen und die Versetzungen näher betrachtet. Leerstellen entstehen aufGrund allgemeiner thermodynamischerGesetze in jedem Kristallgitter mit einer durch diejeweilige absolute Temperatur T bestimmten Konzentration cL. Quantitativ gilt:

cL =nN

= c exp [−QB

k ⋅ T] . (2.1)

Dabei ist n die Zahl der Leerstellen, N die Zahl der Gitteratome, co eine Konstante, kdie Boltzmannkonstante und QB die Bildungsenergie einer Leerstelle. Typische Zahlen-werte für QB liegen bei reinen Metallen in der Größenordnung von ~ 1 eV/Leerstelle =96.600 J/mol. Mit wachsender Temperatur steigt die Leerstellenkonzentration an. Die beiRaumtemperatur in Metallen bzw. Legierungen vorliegenden cL-Werte sind von derenSchmelztemperaturen bzw. Schmelztemperaturbereichen abhängig. Bei reinen Metallenist ein guter Richtwert cL ≈ 10−12. In der Nähe des Schmelzpunktes wird in vielen FällencL ≈ 10−4 beobachtet. Als wichtige Konsequenz des Auftretens dieser atomaren Fehlord-nungserscheinung folgt unmittelbar aus Abb. 2.1, dass die den Leerstellen benachbartenAtome mit diesen den Gitterplatz tauschen können. Leerstellen ermöglichen also atomarePlatzwechsel von Matrix- und Substitutionsatomen und damit Diffusionsvorgänge. Manmacht sich aber andererseits an Hand von Abb. 2.1 auch klar, dass für die Diffusion vonInterstitionsatomen, die auf Sprüngen von einem Gitterlückenplatz zu benachbarten (vgl.V1, Abb. 1.3) beruhen, die Existenz von Leerstellen nicht benötigt wird.

Die Versetzungen schließlich sind eine für die plastische Verformbarkeit metallischerWerkstoffe unerlässliche Voraussetzung. Ohne Versetzungen gäbe es z. B. keine Umform-technik. Man unterscheidet als Grundtypen der Versetzungen die Stufen- und die Schrau-benversetzungen. Ihre formale Erzeugung in einem primitiv kubischen Gitter geht ausAbb. 2.5 und 2.6 hervor.

Man denke sich das betrachtete primitiv kubische Kristallgitter jeweils zur Hälfte auf-geschnitten, das oberhalb der Schnittfläche gelegene Kristallviertel unter der Wirkung derangedeuteten Schubkräfte soweit (um den sog. Burgersvektor b) nach rechts verschoben,bis eine Oberflächenstufe vom Betrage ∣b∣ entstanden ist und danach wieder verschweißt.Dann hat sich im Gitter ein Zwangszustand gebildet, bei dem in einem bestimmten Git-terbereich die obere Kristallhälfte eine Gitterhalbebene mehr enthält als die untere. Diezusätzliche Gitterhalbebene endet in Höhe der ursprünglichen Schnittebene. Es ist eineden Kristall schlauchförmig durchsetzende Gitterstörung entstanden, die man Stufenver-setzung nennt. Abstrahierend von den atomaren Details kannman diese durch eine geradeLinie darstellen und ihr einen Linienvektor s zuordnen.

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Abb. 2.5 Formale Erzeugung einer Stufenversetzung in einem kubisch primitiven Kristallgitter

Abb. 2.6 Formale Erzeugungeiner Schraubenversetzungin einem kubisch primitivenKristallgitter

Eine Stufenversetzung ist dann dadurch charakterisiert, dass sie sich senkrecht zu ihrerVerschiebungsrichtung erstreckt und dass ihr Linienvektor s senkrecht auf dem Burgers-vektor b steht. DasGitter um eine Stufenversetzung ist innerlich verspannt. Das Atomgitterist oberhalb der Schnittebene zusammengedrückt, unterhalb dagegen gedehnt.Man sprichtvon einem Eigenspannungsfeld (vgl. V75). Es fällt mit wachsender Entfernung von derStörung proportional zu 1/r ab. Die auf die Länge der Versetzungslinie bezogene elastischgespeicherte Energie ist proportional zu b2 und durch

UL�

= α�

⋅G ⋅ b (2.2)

gegeben. Dabei ist α eine konstante und G der sog. Schubmodul (vgl. V49).Bei der Verschiebung des oberenKristallviertels in Abb. 2.6 um b entsteht keine zusätzli-

che Gitterhalbebene. Dagegen tritt, wie man sich leicht klar macht, eine schraubenförmigeAufspaltung der senkrecht zur entstandenen linienförmigen Störung liegenden Gitterebe-nen auf.Wiederum kannman von den atomarenDetails abstrahieren und die Versetzungs-linie durch eine Gerade beschreiben, bei der der Linienvektor s und Burgersvektor b par-allel zueinander liegen. Die Verschiebung der Gitteratome erfolgt bei der Bewegung einerSchraubenversetzung senkrecht zu ihrer Bewegungsrichtung. Das mit der Schraubenver-

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2.1 Grundlagen 15

Abb. 2.7 Gemischte Versetzung in einem kubisch primitiven Kristallgitter

setzung verbundene Spannungsfeld ist rotationssymmetrisch und enthält keine Kompres-sions- bzw. Dillatationsbereiche. Die Linienenergie ist durch

UL○

= α○

⋅G ⋅ b (2.3)

gegeben, wobei α○

< α ist.Der allgemeinste Fall einer Versetzung, die sog. gemischte Versetzung, ist in Abb. 2.7

gezeigt. Burgersvektor b und Linienvektor s bilden einen beliebigen Winkel ymiteinander.Offenbar besitzt die Versetzung an der Stirnseite des betrachteten Gitterbereiches reinenStufencharakter, auf der linken Begrenzungsseite dagegen reinen Schraubencharakter. Imdazwischen liegenden Gitterbereich kann man der Versetzung Stufen- und Schraubenan-teile dadurch zuordnen, dassman den Burgersvektor bezüglich der Versetzungslinie in eineNormal- und eine Tangentialkomponente zerlegt. Die in Abb. 2.5, 2.6 und 2.7 gezeigtenVersetzungen sind unter der Einwirkung von Schubkräften in der gedanklich verlängertenursprünglichen Schnittebene relativ leicht beweglich. Man nennt diese Ebene Gleitebeneund die Richtung, in der dabei die Atombewegung erfolgt, Gleitrichtung. Gleitebene undGleitrichtung bilden das Gleitsystem der Versetzung. In den erörterten Beispielen wurdeals Gleitebene eine {100}-Ebene und als Gleitrichtung eine ⟨100⟩-Richtung betrachtet. DasGleitsystem ist also vom Typ {100}⟨100⟩. Da es drei unterschiedlich orientierte {100}-Ebe-nen im kubisch primitiven Gitter mit jeweils zwei ⟨100⟩-Richtungen gibt, verfügt dieserGittertyp über sechs Gleitsysteme vom Typ {100}⟨100⟩. Belegen sich die in Abb. 2.5, 2.6und 2.7 gezeigten Versetzungen in ihren Gleitsystemen unter der Einwirkung von Schub-kräften durch die betrachteten Kristallbereiche vollkommen hindurch, so entsteht jeweilseine weitere Oberflächenstufe der Höhe ∣b∣. Jeder Kristall ist um den gleichen Betrag ∣

b∣länger geworden und hat sich damit bleibend verformt. In den Gleitsystemen der Körnereines Vielkristalls liegen im Allgemeinen viele Versetzungen bzw. Versetzungslinien vor.Ihre Gesamtlänge pro cm wird als Versetzungsdichte des Werkstoffes bezeichnet.

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2.2 Aufgabe

Mit Hilfe ebener Stahlkugelmodelle sind Gitterstörungszustände zu simulieren und zu dis-kutieren. Danach sind an Hand von Schwerpunkts- und Realmodellen (vgl. V1) eines kfz-Gitters mit Gleitsystemen vom Typ {111}⟨100⟩ und eines krz-Gitters mit Gleitsystemenvom Typ {110}⟨111⟩ die atomaren Strukturen der Stufenversetzungen in diesen Gittern zuerörtern. Ferner sind für beide Gittertypen die atomaren Vorgänge zu analysieren, die zurZwillingsbildung führen.

2.3 Versuchsdurchführung

Es stehen zwei ebene Stahlkugelmodelle zur Verfügung. Beim ersten Modell (vgl. Abb. 2.8)sind gleich große Kugeln zwischen zwei Plexiglasplatten so gesammelt, dass sie sich beimSchütteln in einer Ebene relativ zueinander bewegen und durchmischen können. Die je-weilig erzeugten Anordnungen liefern ebene Schnitte durch eine dichteste Kugelpackungund zeigen bei Betrachtung auf einem Lichtkasten die verschiedensten Störungen. Bei demzweiten Stahlkugelmodell sind den großen Kugeln anteilmäßig 5% kleinere zugemischt.DiesesModell erlaubt die Beobachtung der Auswirkung einer zweitenAtomart auf die Aus-bildung von Störungen.

Ferner liegen Realmodelle von der Atomanordnung in den {111}-und {110}-Ebenen ei-nes kfz- und von den {110}-und {111}-Ebenen eines krz-Gitters vor. Zunächst wird gezeigt,dass beide Gitterstrukturen auch durch Stapelung bestimmter Gitterebenen entstehen kön-nen. Dann wird nachgewiesen, dass die Struktur von Stufenversetzungen bei kfz- und krz-Gittern aus geometrischen Gründen nicht durch eine einzige eingeschobene Halbebenecharakterisiert werden kann. Die mögliche Aufspaltung der Burgersvektoren a/2⟨110⟩ unds/2⟨111⟩ in Teilvektoren wird begründet. Die in Abb. 2.9 dargestellten Versetzungen wer-

Abb. 2.8 Anordnung vonbeweglichen Stahlkugeln ineinem ebenen Modell nachDurchmischung

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2.3 Versuchsdurchführung 17

Abb. 2.9 Stufenversetzung: a im kubisch primitiven Gitter, b im kfz-Gitter (aufgespalten in zweiTeilversetzungen), c im krz-Gitter (aufgespalten in drei Teilversetzungen), Gleitebene einfach schraf-fiert, Stapelfehler doppelt schraffiert

den diskutiert Bei den Abb. 2.9b und 2.9c sind mit dem Auftreten der TeilversetzungenVeränderungen in der Stapelfolge der zu den Gleitebenen parallelen Gitterebenen ver-bunden. Man spricht vom Auftreten von Stapelfehlern. Am einfachsten macht man sichden mit der Teilversetzungsbildung verbundenen Stapelfehler im kfz-Gitter klar. Aus git-tergeometrischen Gründen umfasst dort eine Stufenversetzung zwei benachbarte {110}-Halbebenen, die senkrecht auf der {111}-Ebene stehen. Dieser Zustand ist energetisch un-günstig. Deshalb separieren sich die beiden Halbebenen voneinander und nehmen z. B. dieinAbb. 2.9b gezeigten Positionen ein.Dabei verändern dieAtomeunmittelbar oberhalb derGleitebene zwischen den Teilversetzungen ihre Positionen gegenüber dem versetzungsfrei-en Zustand. Schreitet man außerhalb der Teilversetzungen im Gitter senkrecht zur {111}-Ebene in ⟨111⟩-Richtung fort, so findet man eine Dreischichtenfolge von {111}-Ebenen.Gehtman dabei von einer Bezugsebene aus, so istmit dieser jede folgende dritte {111}-Ebe-ne lagemäßig identisch. Man spricht von einer Stapelfolge . . .ABCABCABC. . . Zwischenden Teilversetzungen liegt dagegen z. B. eine Stapelfolge . . .ABCBCABC. . . mit dem Stapel-fehler im doppelt schraffierten Bereich vor. Damit ist eine Erhöhung der inneren Energieverbunden. Der auf die Flächeneinheit bezogene Energiebetrag wird Stapelfehlerenergie

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18 2 V2 Gitterstörungen

Abb. 2.10 Zwillingsbildungim kfz-Gitter (Schwerpunkt-modell). Betrachtet wird die(110)-Ebene. Zwillingsebeneist die (111)-Ebene, Zwillings-abgleitrichtung die [112]-Richtung. Man spricht voneinem Zwillingssystem vomTyp {111}⟨112⟩. Beiderseitsder entstandenen Zwillings-grenzen sind Gitterbereicheschraffiert, die die entstandeneSpiegelsymmetrie bezüglichder Grenzflächen verdeutli-chen

genannt. Sie bestimmt die Aufspaltungsweite der Teilversetzungen und damit den Abstandder eingeschobenen {110}-Halbebenen im Gitter. An Hand räumlicher Modelle von Ver-setzungen im kfz- und krz-Gitter werden die vorliegenden Verhältnisse diskutiert.

Schließlich wird an Hand von Abb. 2.10 die Zwillingsbildung im kfz-Gitter besprochenund der Vorgang der Zwillingsbildung im krz-Gitter entwickelt. Dazu wird eine (110)-Ebene aufgezeichnet. Spiegel- und damit Zwillingsebene ist eine {112}-Ebene, die die Zei-chenebene längs einer ⟨111⟩-Richtung schneidet. Durch geeignete Atomverschiebungen,die mit der Entfernung von der Zwillingsebene anwachsen, wird ein Kristallteil bezüglichdes Ausgangszustandes in eine spiegelbildliche Lage gebracht. Der relative Verschiebungs-betrag, um benachbarte {112}-Ebenen in Zwillingsposition zu bringen, wird berechnet.

2.4 Symbole, Abkürzungen

Symbol/Abkürzung Bedeutung Einheitb Betrag des Burgersvektors mc0 Konstante –k Konstante –N Anzahl der Gitteratome –n Anzahl der Leerstellen –UL�

elastisch gespeicherte Energie einer Stufenversetzung JUL○

elastisch gespeicherte Energie einer Schraubenversetzung Jα⊥

Konstante –αo Konstante –Q, QW, QB Aktivierungsenergie (Bildungsenergie) J/molcL Leerstellenkonzentration cm−3

T Temperatur KG Schubmodul MPa

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