photovernetzung von siliconen, 8. netzwerkcharakterisierung photovernetzter siliconacrylate

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Die Angewandte Makromolekulare Chernie 200 (1992) 61- 76 (NK 3483) Institut fur Organische Chemie und *Institut fur Makromolekulare Chemie der TH Merseburg, Geusaer StraRe, 0-4200 Merseburg, BRD Photovernetzung von Siliconen, 8 Netzwerkcharakterisierung photovernetzter Siliconacrylate a U. Mullerl, S. Jockuschl, K.-G. Hausler’, H.-J. Timpelsb (Eingegangen am 16. Dezember 1991) ZUSAMMENFASSUNG: Die photoinduzierte radikalische Vernetzung von Siliconacrylaten bzw. -methacryla- ten wurde mit Hilfe von Quellungsmessungen untersucht, wobei ein modifizierter Quellungstest erlaubt, die Netzwerkbildung als Funktion verschiedener Parameter zu betrachten. Die Ergebnisse zeigen, daR die Netzwerkdichte eine Funktion der Lichtin- tensitat, der Bestrahlungszeit, des Acrylatgehalts, der Molmasse des unvernetzten Sili- cons und auch der Lange der Spacergruppe zwischen Acrylateinheit und dem Silicon- riickgrat ist. Sauerstoff besitzt dagegen nur einen Einflurj auf die Polymerisationskine- tik, nicht aber auf die Netzwerkdichte. Aus dem Vergleich der 8,-Werte der vernetzten Siliconacrylate und der vernetzten Vinylsilicone kann geschlossen werden, daR die Netzwerkstruktur auch vom Typ der olefinischen Gruppen abhangt. Die X-Parameter besitzen jedoch im gleichen Konzen- trationsbereich die gleiche GroRe. Kinetische Untersuchungen zeigen, daR die Netzwerkbildung nach einem Zeitgesetz erster Ordnung verlauft. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Polymerisationski- netik. Mit Hilfe der Quellexperimente ist es auch moglich, den EinfluR von H-Siloxanzu- satzen als Wasserstoffiibertrager zu untersuchen. SUMMARY The photoinduced free radical crosslinking of silicone containing pendent acrylate or methacrylate groups was investigated by swelling measurements. A modified swelling test was applied to observe the network formation as a function of several parameters. The results show that the network density of the crosslinked polymers is a function of the light intensity, the exposure time, the acrylate content, the molecular a 7. Mitteilung vgl.‘. Jetzige Adresse: Polychrome GmbH, Seesener Strarje 1 1, W-3360 Osterode/Harz, BRD. @ 1992 Huthig & Wepf Verlag, Basel CCC O003-3146/92/$05.00 61

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Die Angewandte Makromolekulare Chernie 200 (1992) 61- 76 (NK 3483)

Institut fur Organische Chemie und *Institut fur Makromolekulare Chemie der TH Merseburg, Geusaer StraRe, 0-4200 Merseburg, BRD

Photovernetzung von Siliconen, 8

Netzwerkcharakterisierung photovernetzter Siliconacrylate a

U. Mullerl, S. Jockuschl, K.-G. Hausler’, H.-J. Timpelsb

(Eingegangen am 16. Dezember 1991)

ZUSAMMENFASSUNG: Die photoinduzierte radikalische Vernetzung von Siliconacrylaten bzw. -methacryla-

ten wurde mit Hilfe von Quellungsmessungen untersucht, wobei ein modifizierter Quellungstest erlaubt, die Netzwerkbildung als Funktion verschiedener Parameter zu betrachten. Die Ergebnisse zeigen, daR die Netzwerkdichte eine Funktion der Lichtin- tensitat, der Bestrahlungszeit, des Acrylatgehalts, der Molmasse des unvernetzten Sili- cons und auch der Lange der Spacergruppe zwischen Acrylateinheit und dem Silicon- riickgrat ist. Sauerstoff besitzt dagegen nur einen Einflurj auf die Polymerisationskine- tik, nicht aber auf die Netzwerkdichte.

Aus dem Vergleich der 8,-Werte der vernetzten Siliconacrylate und der vernetzten Vinylsilicone kann geschlossen werden, daR die Netzwerkstruktur auch vom Typ der olefinischen Gruppen abhangt. Die X-Parameter besitzen jedoch im gleichen Konzen- trationsbereich die gleiche GroRe.

Kinetische Untersuchungen zeigen, daR die Netzwerkbildung nach einem Zeitgesetz erster Ordnung verlauft. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Polymerisationski- netik.

Mit Hilfe der Quellexperimente ist es auch moglich, den EinfluR von H-Siloxanzu- satzen als Wasserstoffiibertrager zu untersuchen.

SUMMARY The photoinduced free radical crosslinking of silicone containing pendent acrylate

or methacrylate groups was investigated by swelling measurements. A modified swelling test was applied to observe the network formation as a function of several parameters. The results show that the network density of the crosslinked polymers is a function of the light intensity, the exposure time, the acrylate content, the molecular

a 7. Mitteilung vgl.‘. Jetzige Adresse: Polychrome GmbH, Seesener Strarje 1 1, W-3360 Osterode/Harz, BRD.

@ 1992 Huthig & Wepf Verlag, Basel CCC O003-3146/92/$05.00 61

U. Miiller, S. Jockusch, K.-G. Hausler, H.-J. Timpe

weight of the uncrosslinked silicone acrylate and also of the length of the spacer group between the acrylate unit and the silicone backbone. Oxygen has only an influence on the polymerization kinetics, but it does not influence the network density.

From the 8,-values of crosslinked silicone acrylates and silicone containing vinyl groups it is possible to analyze the structure of the network as a function of the olefinic group. The X-parameters of both silicone types are of the same magnitude in the same concentration range.

Kinetics investigations demonstrate that the order of the network formation is nearly unity. This result agrees with the polymerization kinetics.

By means of swelling measurements it is also possible to study the influence of hydrogen siloxane additives as hydrogen transfer reagents.

I Ein Ieitung

Kinetische Untersuchungen an Siliconacrylaten 1 und 3 bzw. -methacryla- ten 2 und 4 zeigen, dal3 sich deren photoinitiierte radikalische Vernetzung mit einem Polymerisationsprozefi beschreiben laJ3t2? 3 . Die Reaktionsgeschwindig- keit, und damit die Effektivitat des Prozesses, wird von zahlreichen Parame- tern beeinfluBt3 (vgl. G1. (1)). Die Wirkung dieser Parameter auf die Mikro- struktur der entstandenen Netzwerke ist jedoch bisher ungeklart.

bzw. MD,DRbM

1 und 2: R = (CH2),-0-(CH2),-0-COCR=CH, 1 R’ = H; 2 R‘ = CH, 3 und 4: R = (CH,),-0-COCR’=CH, 5 R = H

3 R = H ; 4 R = CH,

R, = -dx/dt = k(x) [MIa I! (1)

(RP - Reaktionsgeschwindigkeit; x - Umsatz an Doppelbindungen; t - ⁢ k(x) - umsatzabhangige Grbfie; [MI - Doppelbindungskonzentration; I, - eingestrahlte Lichtintensitat; a, p - Exponenten)

Von den Mikrostrukturparametern (Art der Verkniipfung (chemisch oder physikalisch), Funktionalitat der Vernetzungsstellen, Vernetzungsdichte, freie Kettenenden) ist die Vernetzungsdichte die wichtigste, in diinnen Schichten

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Photovernetzung von Siliconen, 8

haufig auch die einzig ermittelbare GroDe. Uber die Flory-Rehner-Gleichung (2) kann mit Hilfe der Quellungsgrade Q die Vernetzungsdichte V, bestimmt werden4. Strukturelle Unterschiede im Netzwerkaufbau sind mit den v,-Wer- ten ohne Kenntnis weiterer Parameter jedoch nicht festzustellen. Aussagen uber einen unterschiedlichen Netzwerkaufbau sind auch aus den Wechselwir- kungsparametern x bzw. den Lijslichkeitsparametern 6, zu gewinnen. So kann man aus den verschiedenen S,-Werten bei photo- und additionsvernetz- ten vinylgruppenhaltigen Polydimethylsiloxanen auf Unterschiede im Netz- werkaufbau ~ch l i eDen~ ,~ .

ln( l - l /Q) + 1/Q + X/Q2 Vy(A/Q1'3 - B/Q)

VB = -

(V," - Molvolumen des Quellmittels; V, - Volumen des vernetzten Polymeren; Vq - Volumen des Quellmittels im Netzwerk; A - Mikrostrukturfaktor (affines Netz- werk: A = 1; Phantomnetzwerk: A = 1 -2/a, a - Funktionalitat, A = 1/2 bei a = 4); B - Volumenfaktor (affines Modell: B = 2/a, Phantomnetzwerk: B = 0); x - Hugginsscher Wechselwirkungsparameter; d - Lange des vernetzten Polymeren, (o) - vor der Quellung, (geq) - im Quellungsgleichgewicht; S - Liisungsparameter des (,) Quellmittels bzw. des (B) Polymeren; R - Gaskonstante; T - Temperatur; vgl. auch5.

In der vorliegenden Arbeit werden mit Hilfe von Q-, v,- und 6,-Werten die photochemisch erzeugten Netzwerke der Siliconacrylate und -methacrylate sowie die Einfliisse von verschiedenen Parametern auf die Netzwerkbildung untersucht. Weiterhin sol1 mit Hilfe der Vernetzungsdichte die Kinetik des Netzwerkaufbaus der Siliconacrylate 1 nach dem Gelpunkt ermittelt werden.

2 Experimenteller Teil

Die Siliconacrylate 1 und 3 (R' = H) und -methacrylate 2 und 4 (R' = CH,) wur- den fur die Untersuchungen verwendet. Ihre Darstellung sowie die Darstellung der H- Siloxane 5 ist in3 ausfiihrlich beschrieben. Tab. I enthalt die charakteristischen Daten dieser Produkte.

Zur Quellungsgradbestimmung diente die Methode von P. J. Murray' (vgl. a ~ c h ~ . ~ ) . Die Probenpraparation erfolgte auf Zinkoxidpapier (Pecozet Z10, Papierfabrik Penig). Dieses Papier wird auf der Schichtseite rnit einer Mischung aus 1 g Siliconacrylat und

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Tab. 1. Charakteristische Daten der Siliconacrylate 1-4 und der Si-H-Derivate 5.

Siliconacr ylat a b Estergehalt Molmassea bzw. (exp. bestimmt) (berechnet) Si-H-Derivat (berechnet) (rno1/100 g) (g/mol)

l a 38,2 6 3 0,12 5 000 l b 41 ,O 394 0,073 4 500 l c 42,3 1,7 0,042 4 000 I d 32,7 13,6 0,22 5 500 l e 131,O 5,o 0,038 10 000 I f 1 401,O 533 0,038 100 000

3a 38,2 6 3 0,l l 5 000 2a 38,2 6 3 0,13 5 000

3 b 41,O 3,4 0,066 4 500 3c 42,3 1,7 0,044 4 000 4a 38,2 6 3 0,lO 5 000 4 b 41 ,O 3,4 0,053 4 500

5hd - 533 1,59b 3 500

5d 32,7 13,6 0,40b 3 500 5 gc 31,3 31,9 0,73b 4 500

a Gerundet. Si-H-Gehalt (berechnet). NM 4214 (Chemiewerk Niinchritz). NM 203 (Chemiewerk Niinchritz).

50 pmol Benzoinisopropylether (BIPE; Photoinitiator) beschichtet (50 pl/crn2) und anschlienend photochemisch vernetzt (h = 340- 380 nm; Bestrahlungszeit und -inten- sitat (wenn nicht anders angegeben) 15 min bei 3,27 mW/crn2). Als Bestrahlungsquelle diente das in3 verwendete Photocalorirneter.

Mit Hilfe eines Locheisens wurden aus den geharteten Filmen Proben von 6 mm 0 ausgestanzt und in das Quellmittel gegeben. Durch die Probenpraparation auf ZnO- Papier wird ein vollstandiges Ablosen der ausgeharteten Schicht von der Unterlage im Verlauf der Quellung erreicht. Die Langenanderung irn Quellmittel wurde mit Hilfe eines MeDmikroskops der Fa. Carl Zeiss Jena bestimmt. Die zur v,-Bestimrnung not- wendigen X-Werte wurden nach’ darnpfdruckosmotisch an den unvernetzten Produk- ten ermittelt (Liisungsmittel: Toluol).

Die 6,-Werte der vernetzten Polymeren wurden durch Auftragen der Q-Werte in ver- schiedenen Liisungsrnitteln gegen den Losungsparameter des Losungsrnittels 6, gewonnen5.

Fur kinetische Untersuchungen wurden die Proben einer Serie verwendet. Der Quel- lungsgrad Q fur die vB- und 6,-Bestimmungen ist ein statistisches Mittel aus funf Mes- sungen an fiinf Proben.

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Photovernetzung von Siliconen, 8

3 Ergebnisse und Diskussion

3.1 EinjluJ interner Parameter

Zur Ermittlung der gunstigsten Versuchsbedingungen hinsichtlich des Quellmittels, der Quelltemperatur und -zeit bis zur Einstellung des Gleichge- wichtsquellungsgrades wurden die photochemisch vernetzten Proben in ver- schiedenen Liisungsmitteln bis zum Erreichen des Gleichgewichtsquellungs- grades gequollen.

der Quellmittel* auf, erhalt man den fur vernetzte Polymere typischen Verlauf, wobei im Maximum der Kurve 6A = 6B gilt (vgl. Z.B.~). Auf graphischem Weg lassen sich fur die Siliconacrylate la -1 c GB-Werte von 16,5 bis 16,8 - lo3 J‘/2m-3/2 ermitteln (vgl. Abb. 1). Diese Werte sind damit grol3er als die der unvernetzten Silicone (14,9 bis 15,6 lo3 J1/2m-3/2)8, der additionsvernetzten Silicone (16,O bis 16,6 * lo3 J1/2m-3’2)6 und der photovernetzten vinylgrup- penhaltigen Polydimethylsiloxane (15,7 - lo3 J1/2m-3/2)s. Da man bei einem gleichartigen Netzwerkaufbau gleichartige Ldslichkeitsparameter erwarten kann5s9, mu13 sich der Netzwerkaufbau der verschiedenen Silicone unterschei- den.

Tragt man die so erhaltenen Q-Werte iiber die Liislichkeitsparameter

13 15 17 19 21 23 - 4 i lo3 I”?/ m 3 2 ~

Abb. 1 . Abhangigkeit des Quellungsgrades vom Quellmittel (Silicon 1 b; Initiator: BIPE (5 - mol auf 1 g Silicon); I, = 3,27 mW/cm2; Bestrahlungszeit 15 min; Quellmittel v. 1. n. r.: n-Decan, iso-Octan, n-Pentan, n-Hexan, n-Hep- tan, Cyclohexan, Toluol, Benzol, Methylethylketon, Tetralin, Cyclohexanon, Dioxan, Aceton, C yclo hexanol) .

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0.5

0.4

x 0.3

0.2

0.1

Mit Hilfe der Flory-Rehner-Gleichung (Gl. (2)) konnen aus den Gleichge- wichtsquellungsgraden bei bekannten X-Parametern die Vernetzungsdichten vB der Polymeren ermittelt werden. Fur diese Untersuchungen wurde Toluol gewahlt, da in diesem Quellmittel grorje Quellwerte erhalten wurden. Weiter- hin ist fur Toluol zwischen 10 und 50 "C der Quellwert konstant. Da aber x- Werte konzentrations- und damit Q-abhangig sind (vgl. z. B.7, ist es erforder- lich, die Q-Abhangigkeit des X-Parameters zu bestimmen. Fur die Siliconacry- late 1 a -1 c wurden die X-Parameter analog5 dampfdruckosmotisch bestimmt. Als typisches Beispiel sind in Abb. 2 die fur das Acrylat 1 a erhalte- nen Ergebnisse dargestellt. Deutlich erkennt man, dal3 der X-Parameter stark Q-abhangig ist, wobei bei einem Q-Wert von 4 eine Anderung der Linearitats- beziehung auftritt'O. Analoge Ergebnisse erhalt man auch bei den Produkten 1 b und 1 c. Die Grorje der ermittelten X-Parameter liegt fur verschiedene Sili- cone im bekannten Bereich5. I .

'

'

110 - 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5

I

I 2 4 6 8 1 0

Q

Abb. 2. Auftragung der X-Werte (bestimmt in Toluol) gegen Q ( 0 ) bzw. l/Q (0) (System 1 b/BIPE).

Mit Hilfe dieser X-Werte (und unter der Voraussetzung der Gultigkeit der Flory-Rehner-Beziehung fur konzentrierte Systeme, Q-Werte < 2,5) wurden fur die Acrylate 1 a - ld die Vernetzungsdichten ermittelt. Die Ergebnisse die- ser Berechnungen sind in Tab. 2 zusammengestellt.

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Photovernetzung von Siliconen, 8

Tab. 2. Quellungsgrade und Vernetzungsdichten der vernetzten Produkte.

Silicon Molmasse Q VB Xa MC (dmol) mol/l) (dmol)

Id l a l b l c l e I f 2a 3a 3b 3c 4a 4b

5 500 5 000 4 500 4 000 10 000 100 000 5 000 5 000 4 500 4000 5 000 4 500

4,52 2,49 1,94 0,73

b -

0,75 0,65 0,625 0,47

220 400 515

1 370 -

a Extrapoliert aus Abb. 2. Nicht ermittelt.

Man erkennt, dal3 demnach die Siliconacrylate sehr hohe Vernetzungsdich- ten besitzen sollten. Unter der Voraussetzung der Giiltigkeit der Flory-Rehner Gleichung fur hochvernetzte Polymere ergeben sich bei einer Dichte des ver- netzten Silicons (p,) von 1 g/cm3 nach G1. ( 5 ) aus den v,-Werten M,-Werte von 220 bis 1370 g/mol.

Derartig geringe M,-Werte sind schwer erklarbar. Nur unter Annahme eines Netzwerks mit einem hohen Ordungszustand, wie z. B. bei additionsvernetzen- den vinylgruppenhaltigen Doppelvierringkieselsauren bewieseni2, lassen sich solch hohe Vernetzungsdichten erklaren. Allerdings ist fraglich, ob in unserem Fall die Vernetzungsdichten exakt bestimmt wurden, da fehlerhafte X-Werte durch die Extrapolation auf kleine Q-Werte die vB-Werte stark beeinflussen und die Flory-Rehner-Beziehung streng genommen nur fur schwach vernetzte Polymere Giiltigkeit besitzt.

Auf die Ermittlung weiterer Vernetzungsdichten wurde daher verzichtet, da mit Hilfe der G1. (6) iiber den Quellungsgrad Q relative Aussagen iiber den EinfluD verschiedener Faktoren auf die Vernetzungsdichte erhalten werden konnen5, lo.

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3 -

2 -

1 -

Q - v;”; fur Q < 4 (6)

Q

Betrachtet man die Q-Werte der vernetzten und den Doppelbindungsgehalt der unvernetzten Polymeren, so erkennt man den gronen EinfluD, den der Gehalt an vernetzungsfahigen Gruppen auf die Netzwerkdichte hat. In Abb. 3 ist die Abhangigkeit des Quellungsgrades vom Acrylatgehalt der Polymeren (bei etwa gleicher Molmasse der Polymeren; vgl. Tab. 1) dargestellt. Die Auf- tragung zeigt, daD der Quellungsgrad mit sinkendem Doppelbindungsgehalt des Ausgangssystems steigt. Da die Beziehung (6) gilt, erhoht sich mit zuneh- mendem Doppelbindungsgehalt die Netzwerkdichte.

I

I 0.5 1.0 1,s 2.0

[Acrylot] 1 rnol/kg ) -

Abb. 3. Abhangigkeit des Quellungsgrades vom Acrylatgehalt der Siliconacrylate 1 bzw. 3 (Quellmittel: Toluol; exp. Bedingungen vgl. Abb. 1).

Aus Abb. 3 folgt weiterhin, daD die Verkurzung der Spacergruppe (um eine 0-CH2-CH2-Einheit) einen erhohten Quellungsgrad bewirkt. Eine verrin- gerte Beweglichkeit der Acrylatgruppen verschlechtert demnach die Netzwerk- bildung. Analoge Tendenzen wurden auch bei den Methacrylatsiliconen 2a (Q = 1,4) und 4a (Q = 2,l) beobachtet. Der Doppelbindungsgehalt und die Lange der Spacergruppe beeinflussen damit drastisch die Dichte des entste- henden Netzwerks.

Der EinfluD der Kettenlange des Siloxanruckgrats auf die Netzwerkdichte folgt aus den Quellwerten der Produkte 1 c, 1 e und 1 f, die einen gleichen Dop- pelbindungsgehalt, aber unterschiedliche Molmassen besitzen. Vergleicht man

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Photovernetzung von Siliconen, 8

die Q-Werte der Produkte, so findet man, dafi mit steigender Molmasse des unvernetzten Silicons der Quellungsgrad sinkt, d. h. die Vernetzungsdichte wachst. Da Bestrahlungsdosis (Produkt aus Lichtintensitat und Bestrahlungs- zeit) und Acrylatgehalt konstant gehalten wurden, ist die Netzwerkdichte erwartungsgemafi auch von den Kettenlangen der Ausgangspolymeren abhan- gig.

3.2 EinfluJ externer Parameter

Bei der Photopolymerisation der Siliconacrylate und -methacrylate beob- achtet man eine starke Abhangigkeit des Grenzumsatzes und der Reaktionsge- schwindigkeit von der Li~htintensitat~. Um den Einflufi der Bestrahlungsin- tensitat auf die erhaltenen Netzwerke zu untersuchen, wurde der Quellungs- grad von Polymerproben bestimmt, die mit unterschiedlichen Lichtintensita- ten vernetzt wurden. Geeignet fur diese Messungen ist das gut quellbare Sili- conacrylat 1 b. Die Bestrahlungszeit betrug fur alle Lichtintensitaten 15 min. Damit war gewahrleistet, dafi der Grenzumsatz erreicht wurde. Abb. 4 zeigt die Ergebnisse dieser Untersuchungen.

Im untersuchten, relativ engen Lichtintensitatsbereich ist der Quellungsgrad nahezu linear von der eingestrahlten Lichtintensitat abhangig. Bei der Unter- suchung eines breiteren Bereiches sollte man einen exponentiellen Intensitats-

Abb. 4. EinfluB der Lichtintensitat bei der Vernetzung auf den Quellungsgrad (Sili- conacrylat 1 a; Quellmittel: Toluol; Photoinitiator: BIPE; Bestrahlungszeit 15 min).

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Q-Verlauf und das Erreichen eines Grenzwertes erwarten. Verfolgt man die Abhangigkeit des Quellungsgrades des Produktes 1 b von der Bestrahlungszeit (bei konstanter Bestrahlungsintensitat), findet man tatsachlich diesen expo- nentiellen Verlauf (Abb. 5) .

4 8 12 16 20

t Irnin)

Abb. 5 . Abhangigkeit des Quellungsgrades von der Bestrahlungszeit (Siliconacrylat 1 b; Quellmittel: Toluol; Photoinitiator: BIPE; I, = 3,27 mW/cm2).

Die kinetischen Untersuchungen des Polymerisationsprozesses zeigten wei- ter, dal3 der Monomerexponent a der Reaktion den Wert 1 besitzt, d. h. die Doppelbindungsabnahme nach einem Zeitgesetz erster Ordnung erfolgt. Aus der Literatur ist bekannt, da13 durch Verfolgen der Vernetzungsdichte der per- oxidischen Vulkanisation von Naturkautschuk Aussagen iiber die Kinetik des Netzwerkaufbaus getroffen werden konnen13. Ubertragt man diese kinetische Modellierung auf die Photovernetzung, sollte es moglich sein, aus den Quel- lungsgraden bei verschiedenen Bestrahlungszeiten Aussagen zur Kinetik des Netzwerkaufbaus zu erhalten.

Fur diese Untersuchung wurde wiederum das gut quellbare Siliconacrylat 1 b verwendet. Abb. 6 zeigt die Ergebnisse der kinetischen Auftragung nach H ~ m m e l ' ~ mit Hilfe der Q-Werte. Deutlich erkennt man, dal3 sich der Netz- werkaufbau nach einem kinetischen Zeitgesetz erster Ordnung auswerten lafit. Das Zeitgesetz der Netzwerkbildung stimmt damit mit dem der Doppelbin- dungsabnahme iiberein3.

Die polymerkinetischen Untersuchungen an den Produkten 1 - 4 mit Hilfe calorimetrischer Messungen ergaben, dan Luftsauerstoff die Kinetik der Poly-

70

Photovernetzung von Siliconen, 8

InQ; $1 1

- 3

- 4

2 4 6 6 1 0

t lminl

Abb. 6. Kinetische Auswertung der in der Abb. 5 dargestellten Kurve.

Abb. 7. EinfluB des Sauerstoffs auf die Netz- werke (1 - unvernetztes Silicon-Initia- torsystem; 2 - vernetztes Siliconacry- lat; 3 - Unterlage ZnO-Papier).

merisation stark beeinflufit. Unter inerten Bedingungen werden bedeutend hohere Grenzumsatze erreicht als in einer Luftatmosphare. Demgegenuber sind die Quellungsgrade der unter Luft- und Inertatmosphare vernetzten Pro- dukte identisch. Diese Diskrepanz lafit sich wie folgt erklaren: Bei der Photo- vernetzung der Siliconacrylate bzw. -methacrylate in Luftatmosphare sind die Proben mit einem Fliissigkeitsfilm bedeckt, der offenbar aus unvernetztem Produkt besteht (vgl. Abb. 7). Diese sind im Quellungsmittel Toluol loslich, so da13 bei der Quellungsgradbestimmung nur die vernetzten Anteile der Probe erfaljt werden. Die calorimetrischen Meljdaten beziehen sich dagegen auf den Doppelbindungsgehalt der gesamten eingewogenen Probe. Die nicht vernetz- ten Anteile werden uber die Einwaage mitberucksichtigt, was demzufolge zu niedrigen Grenzumsatzen fuhren mul3.

Aus den Ergebnissen polymerkinetischer Untersuchungen hatten wir gefol- gert, dalj Sauerstoff sowohl inhibierend als auch retardierend wirkt und die Polymerisationskette durch Sauerstoff abgebrochen wird3. Eine solche Wir-

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kung sollte zu anderen Netzwerkstrukturen fiihren. Da nach den Ergebnissen der Quellungsgradmessungen in Inertgas- und Luftatmosphare gleichartige Netzwerke aufgebaut werden, kann man schlieljen, dalj Sauerstoff keinen Ein- flun auf die Netzwerkstruktur hat.

Mit Hilfe polymerkinetischer Untersuchungen konnte bis jetzt nicht geklart werden, ob H-Siloxane in den Polymerisationsprozen eingreifen. Wird der Polymerisationsprozen durch Benzoylradikale gestartet, ist durch kurzzeit- spektroskopische Messungen gesichert, dan die Si-H-Derivate die Initiie- rungsreaktion nicht beeinfl~ssen'~. Dennoch sind H-Ubertragungsreaktio- nen nach den G1. (10) und (13) denkbar. Derartige H-Ubertragungen beein- flussen bekanntlich nicht die Polymeriationsgeschwindigkeit, sondern nur die Kettenlange. Da nicht nur die Produkte 5 sondern auch 8b sowie die daraus resultierenden Netzwerke Si-H-Einheiten enthalten, konnen diese Produkte ebenfalls als H-Ubertrager eingreifen. Die Si-H-Derivate wirken somit als Vernetzer.

OR' OR'

(7) I h v I

I I R2

Ph-CO-C-Ph L Ph-CO' + 'C-Ph

6 R2

X-CH=CHZ X-kH-CH,-COPh I I

CH,

A -0-Si- I I

CH3

PhCO' + -0-Si-

6 DR 7a

7a + DR A -

CH3 I I I

-4-0-

X

X-CH-CHZ-CH-CH2-COPh

(9) I I

CH3

-0-Si-

8a

72

Photovernetzung von Siliconen, 8

CH3 I I

-Si-0-

H I

8a + 4-&- __+ -0-Si- I

CH3 I

CH3

5 9

-0-Si- I

+

I YCH3 X-CH-CH2-

I I

CH3

10 + DR --+ -0-Si-

8 b

8 + n DR A Polymerradikal (12)

Polymerradikal + 5 A Netzwerk + 10 (13)

Diese These sollte man durch Quellungsgradmessungen stutzen konnen. Die Untersuchungen wurden an den Siliconacrylaten 3 a, 3 b und 3 c durchgefuhrt. Als H-Siloxane wurden die Produkte 5 ausgewahlt, deren Si-H-Gehalte sich verhalten wie etwa 1 : 2 : 4. Die Vernetzungsergebnisse mit diesen Si-H-Zusat- Zen sind in Abb. 8 zusammengefaDt.

Aus dieser Abbildung wird deutlich, daJ3 ein H-Siloxanzusatz nur bei dem Acrylat 3 a (hoher Acrylatgehalt) zur Bildung dichterer Netzwerke fuhrt. Im Gegensatz zu 3 a kommt es bei den Produkten 3 b und 3 c (geringer Acrylatge- halt) zu einer Aufweitung der Netzwerke. Mit einem bloDen Verdunnungsef- fekt ist dieses Ergebnis nicht zu erklaren, da dann die Quellungsgrade bei Zugabe der unterschiedlichen H-Siloxane gleich sein muken und sich lediglich vom Quellungsgrad ohne Si-H-Zusatz unterscheiden sollten.

Nach unseren Vorstellungen addieren sich in der Primarreaktion die Benzo- ylradikale an die Acrylateinheiten (DR). Die so gebildeten Radikale 7a kon-

73

U. Muller, S. Jockusch, K.-G. Hausler, H.-J. Timpe

0

0 0.

0 - 0

3 c

Ac r y l o t - Geholt

Abb. 8. Abhangigkeit des Quellungsgrades vom Si-H-Gehalt der zugegebenen H- Siloxane fur die Siliconacrylate 3 (exp. Bedingungen vgl. Abb. I ; Quellmittel: Toluol; 1 - ohne H-Siloxan; 2 - +0,06 g 5d; 3 - +0,06 g 5g; 4 - +0,06 g 5h).

I 50 100 150 200

m g 5 h / g 30

Abb. 9 Abhangigkeit des Quellungsgrades von der Menge an H-Siloxan 5 h; System 3a/BIPE (exp. Bedingungen vgl. Abb. 8).

74

Photovernetzung von Siliconen, 8

nen sich dann wiederum an DR-Einheiten addieren, wobei wieder C-zentrierte Radikale 8 a entstehen (Gl. (9)). Werden den Siliconacrylaten Si-H-Derivate 5 zugesetzt, sind neben den Kettenwachstumsreaktionen (Gl. (12)) jedoch auch H-Abstraktionen und Ketteniibertragungen nach den G1. (10) und (1 1) moglich, wobei naturlich auch das Produkt 7 a analog 8a H-Abstraktionen eingehen kann.

1st die Si-H-Konzentration im System relativ klein, dann ist nach einer kurzen Zeit alles freie H-Siloxan 5 verbraucht. Da die gebildeten polymeren Produkte ebenfalls Si-H-Einheiten enthalten, fuhren weitere H-Abstraktio- nen und Kettenubertragungen an den gebundenen Si-H-Einheiten somit zu hoher vernetzten Polymeren; folglich sinken die Q-Werte. Im Falle hoher H- Siloxankonzentration ist jedoch immer freies H-Siloxan 5 im System vorhan- den. H-Abstraktionen erfolgen deshalb nur an 5 und nicht an schon gebunde- nen Si-H-Einheiten. Als Folge beobachtet man eine Verkiirzung der kineti- schen Kettenlange; die Q-Werte steigen.

Nach diesen Vorstellungen sollte die Si-H-Konzentration einen Einfluia auf den Q-Wert besitzen. Er sollte abnehmen, wenn die Produkte 5 im starke- ren Ma13 in das Netzwerk eingebaut werden, was bei einem hohen Acrylatge- halt moglich sein sollte. Bei zu hohen Si-H-Konzentrationen sollte dagegen der Kettenabbruch (Gl. (13)) dominieren. Zur Uberprufung wurde fur das ver- netzte System 3 a/5 h der Quellungsgrad in Abhangigkeit von der Si-H-Kon- zentration bestimmt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in Abb. 9 zusammengefafit.

Aus dieser Abbildung wird ersichtlich, dafi bei einem Verhaltnis von Acry- latgruppen zu Si-H-Einheiten von etwa 1 : 1 die dichtesten Netzwerke gebil- det werden. Erhoht man die Si-H-Konzentration, wird tatsachlich ein Anwachsen des Quellungsgrades beobachtet, was einer Erhohung der Netz- werkdichte (freie Kettenenden, Cyclen, losliche Produkte) und damit faktisch einer Netzwerkaufweitung gleichzusetzen ist. Analoge Aussagen findet man auch bei der internen Erhohung der Si-H-Konzentration gegenuber der Acrylatkonzentration. So sinkt fur das System 3a/5 h mit steigendem SI-H- Gehalt der Q-Wert, wobei im Maximalfall das Verhaltnis von Si-H zu Acrylat nahezu 1 betragt. Bei den Systemen 3b und 3c liegt dagegen das Konzentra- tionsverhaltnis stets uber 1; die Quellungsgrade steigen somit zwangslaufig an.

Die verringerte Netzwerkdichte bei hohen Si-H-Konzentrationen spricht damit auch fur H-Abstraktionsreaktionen bzw. Kettenubertragungsreaktio- nen gemaia G1. (10) und (11).

Die Autoren danken dem Chemiewerk Nunchritz fur die finanzielle Unter- stutzung der Arbeiten.

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U. Miiller, S. Jockusch, K.-G. Hausler, H.-J. Timpe

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