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Philip Roth Eigene und fremde Bücher, wiedergelesen Übersetzt aus dem Englischen von Bernhard Robben ISBN-10: 3-446-20924-7 ISBN-13: 978-3-446-20924-4 Leseprobe Weitere Informationen oder Bestellungen unter http://www.hanser.de/978-3-446-20924-4 sowie im Buchhandel

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Philip Roth

Eigene und fremde Bücher,wiedergelesen

Übersetzt aus dem Englischen von Bernhard Robben

ISBN-10: 3-446-20924-7ISBN-13: 978-3-446-20924-4

Leseprobe

Weitere Informationen oder Bestellungen unterhttp://www.hanser.de/978-3-446-20924-4

sowie im Buchhandel

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Statt also à la Gustav von Aschenbach einen Ehrenplatz in deröffentlichen Meinung einzunehmen, sah ich mich nach derVeröffentlichung von Portnoys Beschwerden im Februar 1969plötzlich von einem Ende des Kontinents zum anderen für all dasgerühmt, was Aschenbach unterdrückt und bis zu seinem moralischreso luten Ende als schmachvolles Geheimnis bewahrt hatte.Jacqueline Susan, die mit Johnny Carson über ihre Kollegenplauderte, brachte zehn Millionen Amerikaner zum Schmunzeln, alssie sagte, daß sie mich gern kennenlernen würde, mir aber nicht dieHand schütteln möchte. Sie möchte meine Hand nicht schütteln? –Ausgerechnet sie? Und von Zeit zu Zeit leistete sich der KolumnistLeonard Lyons einen kleinen Scherz über meine leidenschaftlicheAffäre mit Barbra Streisand: »Barbra Streisand kann über ihrRendezvous mit Philip Roth nicht klagen.« Pünktchen, Pünktchen,Pünktchen. In gewisser Weise hat er recht, da sich, wie es der Zufallwill, der berühmte jüdische Frauenstar und der frisch gekürtejüdische Wunderknabe bis auf den heutigen Tag noch niemalsbegegnet sind.Es sollte noch beträchtlich mehr von dieser Art Mythenschöpfungdurch die Medien geben, gelegentlich durchaus wohlwollend undmanchmal auch ziemlich töricht, für mich jedoch meist rechtbeunruhigend. Um mich aus der direkten Schußlinie zu nehmen, hatteich einen Tag nach der Veröffentlichung beschlossen, meine NewYorker Wohnung zu verlassen, und während »Philip Roth« sichbeherzt zu öffentlichen Auftritten in Gefilde begab, in die ich nochnicht vorzudringen wagte, quartierte ich mich für vier Monate insYaddo-Haus für Schriftsteller, Komponisten und bildende Künstler inSaragota Springs ein.Neuigkeiten über die Aktivitäten meines Doppelgängers, von denendas Vorangegangene nur einen kleinen Ausschnitt darstellt, erfuhr ichzumeist erst durch die Post: Anekdoten in Briefen von Freunden,Ausschnitte aus Zeitungen, Mitteilungen (und behutsame, amüsierteErmahnungen) meines Anwalts auf Nachfragen meinerseits nachVerleumdungen und Verunglimpfungen meiner Person. EinesAbends während des zweiten Monats meines Aufenthaltes in Yaddoerhielt ich einen Anruf von einem Lektor (und Freund) aus einem

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New Yorker Verlag. Er entschuldigte sich für die Störung, doch habeer am Nachmittag bei der Arbeit erfahren, daß ich einenNervenzusammenbruch erlitten hätte und ins Krankenhauseingewiesen worden sei; er rufe nur an, um sicherzugehen, daß demnicht so sei. In wenigen Wochen breitete sich die Neuigkeit vonmeinem Zusammenbruch und Krankenhausaufenthalt nach Westenüber die kontinentale Wasserscheide nach Kalifornien aus, wo manbekanntlich alles in großem Stil erledigt. In Vorbereitung einerDebatte über meinen neuen Roman im Rahmen einer Lesereihe derSynagoge wurde dem Publikum Philip Roth’ Mißgeschick vomPodium herab verkündet, und nachdem man so den Autor ins rechteLicht gerückt hatte, machte man sich dann daran, in aller Objektivitätüber mein Buch zu diskutieren.Im Mai schließlich, etwa zu der Zeit, als ich daran dachte, nach NewYork zurückzukehren, rief ich eines Tages bei Bloomingdale an, umeinen Fehler korrigieren zu lassen, der mehrere Monatehintereinander in den Auszügen meines Abzahlungskontosaufgetaucht war. Der Frau aus der Buchhaltung am anderen Endestockte der Atem, und sie fragte: »Philip Roth? Der Philip Roth?« Einzaghaftes: »Ja.« »Aber Sie sollen doch in der Irrenanstalt sein!« »Achwirklich?« erwiderte ich unbekümmert und versuchte, wie man sosagt, den Schlag locker wegzustecken, wußte aber ganz genau, daßdie Buchhaltung bei Bloomingdale es nicht gewagt hätte, in diesemTon mit Gustav von Aschenbach zu reden, hätte er jemals angerufen,um einen Fehler in seinen Auszügen anzumelden. O nein, mochte erauch der Liebhaber von Tadzio sein, so würde es doch immer noch»Ja, Herr von Aschenbach« heißen, »tut uns schrecklich leid, Herrvon Aschenbach, sollten Sie dadurch Unannehmlichkeiten gehabthaben – bitte, verzeihen Sie uns, Maestro, bitte.«Das war, wie gesagt, schon eher das, was ich im Sinn gehabt hatte,als ich meinen eigenen selbstbewußten und anmaßenden Aufstieg zuRuhm und Ehre begann.

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