perspektive21 - heft 13
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Kräfteverhältnisse - Zukunft des brandenburgischen ParteiensystemsTRANSCRIPT
perspektive 21Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik
Heft 13 • Februar 2001
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DVU
PDS SPD
CDU
Zeit
gesc
hic
hte
Gabriele Schnell
Ende und Anfang
Chronik der PotsdamerSozialdemokratie 1945/46 – 1989/90200 Seiten, Paperback, 19,80 DMISBN 3-933909-05-8
Gabriele Schnell schreibt diespannungsvolle Geschichte der Pots-damer Sozialdemokratie in den Jahren
des Umbruchs: Der Kampf gegen die Zwangsvereinigung1945/46 und der mutige Neubeginn 1989/90. Eine umfangrei-che Material- und Dokumentensammlung ergänzt ihre Darstel-lung.
Benjamin EhlersWer, wenn nicht wir!
10 JahreJunge Sozialdemokraten in der DDRmit einem Vorwort von Manfred Stolpe208 Seiten, Paperback, 19,80 DMISBN 3-933909-07-4
»Die ostdeutsche SPD kann es sichlangfristig nicht erlauben, junge Men-schen ausschließlich fürHandlangerdienste zu verwenden. Sie müssen Freiräume fürihre eigenen politischen Themen erhalten. Nicht zuletzt mußihnen auch institutionell eine Chance eingeräumt werden. ...Insofern können es sich junge Menschen erlauben, etliche Jahreauf ihre Chance in der Politik zu warten; ob sich die SPD die-ses Abwarten leisten kann, ist mehr als fraglich.«
k a i w e b e r m e d i e n p r o d u k t i o n e ns c h l a a t z s t r a s s e 6 · 1 4 4 7 3 p o t s d a m
f o n 0 3 31 - 2 8 0 0 5 0 9 · f a x 2 8 0 0 5 1 7e - m a i l : i n f o @ w e b e r - m e d i e n . d e
Vorwort 3
Prof. Dr. Jürgen DittbernerBrandenburg neu erfinden 5
PD Dr. Richard StössWahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg 15
Dr. Gero NeugebauerDie PDS in Brandenburg – wohin des Wegs? 43
Reiner Schmock-BatheDie CDU im Aufwind – nach langer Durststrecke 65
Dr. Volker Hauff und Matthias MachnigParteien des 21. Jahrhunderts 73
Inhalt
KräfteverhältnisseZukunft des brandenburgischen Parteiensystems
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HerausgeberSPD Landesverband Brandenburg
RedaktionKlaus Ness (ViSdP), Lars Krumrey
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14469 Potsdam
Telefon0331 - 29 20 30
Telefax0331 - 270 85 35
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Impressum
2
seit dem Herbst 1989 entwickeln sich
auf dem Territorium der nun ehemaligen
DDR demokratische Parteien. Relativ
schnell kristallisierten sich dabei Spezi-
fika in den einzelnen neuen Bundeslän-
dern heraus. Während in Sachsen und
Thüringen von Beginn an die CDU domi-
nierte, wurde in Brandenburg die neu
gegründete SPD die stärkste Partei. Auch
in Mecklenburg-Vorpommern und Sach-
sen-Anhalt hat die SPD die CDU mittler-
weile als stärkste Partei abgelöst. Die
Entwicklung des Parteiensystems und
des Wählerverhaltens ist noch nicht
abgeschlossen. Das zeigten insbeson-
dere die Landtagswahlen im Herbst
1999, bei denen die SPD nach ihrem
großen Wahlsieg im September 1998 bei
den Bundestagswahlen herbe Rück-
schläge hinnehmen musste. In Sachsen
krebst die SPD mittlerweile bei 10 Pro-
zent, in Thüringen fiel sie vom Junior-
partner in der Großen Koalition auf den
3. Platz hinter die PDS zurück und auch in
Brandenburg musste die SPD kräftige
Verluste hinnehmen. Es stellte sich aber
auch heraus, dass das Parteiensystem in
Ost- und Westdeutschland stark diffe-
riert. Während sich in Ostdeutschland
ein 3-Parteiensystem aus SPD, CDU und
PDS in den Parlamenten fest etabliert,
hat die PDS in Westdeutschland keine
Chance und FDP und Grüne werden
zunehmend zu westdeutschen Regional-
parteien.
Die Entwicklung der Brandenburger
Landesparteien als wesentlicher Träger
des demokratischen Systems und die
Veränderungen im Wahlverhalten im
Laufe des Transformationsprozesses sind
das Schwerpunktthema dieser Ausgabe
der „Perspektive 21“. Wir haben renom-
mierte und ausgewiesene Autoren
gewonnen, um einen Blick hinter die
Kulissen zu ermöglichen. Wir freuen uns
sehr, dass es uns gelungen ist, mit Rich-
ard Stöss, Jürgen Dittberner und Gero
Neugebauer langjährige Beobachter der
Entwicklung des Brandenburger Partei-
ensystems für Beiträge in dieser Aus-
gabe zu gewinnen. Nicht verschweigen
wollen wir, dass es uns vergleichsweise
schwer gefallen ist, einen Autor zu
gewinnen, der sich wissenschaftlich mit
der CDU in Brandenburg beschäftigt hat.
Wir freuen uns deshalb, dass Rainer
Schmock-Barte, der sich seit vielen Jah-
ren mit der Brandenburger CDU beschäf-
tigt, einen Beitrag verfasst hat, der
sicherlich zu vielen Diskussionen anre-
gen wird. Einen Blick über den Branden-
burger Tellerrand hinaus ermöglicht der
Beitrag von Matthias Machnig und
Volker Hauff.
Die Redaktion
Vorworz
3
Liebe Leserinnen und Leser der „Perspektive 21“,
So richtig „Stolpe-Land“ war Branden-
burg zwischen dem 10. September 1994
und dem 5. September 1999. In dieser
zweiten Legislaturperiode verfügte die
SPD über die absolute Mehrheit im Land-
tag – sie hatte 54,14 Prozent Wähler für
sich gewinnen können. Vorher, nach der
Wiedergründung des Landes Branden-
burg im Jahre 1990, war Manfred Stolpe
als Persönlichkeit und als Ministerpräsi-
dent zwar die dominierende Figur der
Landespolitik, aber da war er eher der
Wanderführer auf dem „Brandenburger
Weg“ mit einer wundersamen „Ampelko-
alition“ aus SPD, Bündnis 90 sowie FDP
an der Regierung und einem märkischen
Wir-Gefühl, das auch die Oppositionspar-
teien CDU und PDS beherrschte. Im Land-
tag erkannte man häufig noch keine Par-
teien: Regine Hildebrandt spendete dem
Oppositionsredner Lothar Bisky von der
Regierungsbank her Beifall, und wäh-
renddessen saß Manfred Stolpe unten im
Plenum neben dem Fraktionsvorsitzen-
den Peter-Michael Diestel, offensichtlich
in ein grundsätzliches Gespräch vertieft.
Ab 1994 war Stolpe vorwiegend nicht
mehr zwischen den Reihen zu finden,
sondern er saß als Ikone an der Spitze des
Projektes Brandenburg. Dorthin hatten
ihn „seine Brandenburger“ gestellt, weil
sie die jahrelangen Attacken vor allem
westlicher Medien auf seine möglichen
Stasiverwicklungen als Angriffe auf ihre
eigenen „Ostindentität“ bewerteten.
Brandenburg, von außen vielfach als „die
kleine DDR“ verspottet, wollte sich seinen
Landesvater nicht vermiesen lassen.
Stolpe wurde zu einer Chimäre: Zum Teil
Erich, zum anderen Teil Friedrich. Alles
andere, die nach dem Ausscheiden von
Bündnis und FDP übrig gebliebenen Par-
teien, die Minister – mit Ausnahme von
Regine Hildebrandt – blieben demge-
genüber Staffage. Stolpe war Branden-
burg, die SPD-Brandenburg war Stolpe,
und davon profitierte sie. Die Ernüchte-
rung kam im Mai 1996. Bei der Abstim-
mung über die Fusion zwischen Berlin
und Brandenburg verweigerten die mei-
sten seiner Brandenburger dem Landes-
vater die Gefolgschaft. Nur 36,6 Prozent
stimmten mit „ja“: Das reichte nicht. Die
Fusion war an Brandenburg gescheitert –
nicht an Berlin, wo es immerhin 53,6 Pro-
zent Befürworter gegeben hatte. Keiner
5
Brandenburg neu erfindenBetrachtungen der märkischen Parteienlandschaftvon Prof. Dr. Jürgen Dittberner
hatte das Projekt „Berlin-Brandenburg“
mit so viel Verve vertreten wie Manfred
Stolpe, und keinen schmerzte das Ergeb-
nis so sehr.
Die Abstimmung war auch ein Dämp-
fer für die SPD: Selbst in ihren Hochbur-
gen erreichte sie nur 36 Prozent Befür-
worter. Als Sieger stand die PDS da, die
gegen die Fusion agitiert und damit die
Stimmung der Brandenburger besser
getroffen hatte als der Landesvater. Nicht
nur die Länderfusion war gescheitert,
sondern auch Manfred Stolpe war von
seinem Olymp gestoßen worden. Den
Brandenburger Weg gab es nicht mehr,
seit die PDS erfolgreich Front gegen die
Regierung gemacht hatte. Die SPD muss-
te erkennen, dass das Land Brandenburg
nicht automatisch ihr Eigentum war, und
es überrascht, wie überrascht die SPD
war, als sie 1999 wieder auf ihr Wählerre-
servoir von 1990 zurückfiel. Zwar hatte
die Partei gegenüber 1994 fast 15 Prozent
der Stimmen verloren, aber sie landete
mit 39,33 Prozent immerhin dort, wo sie
gestartet war (38,21 Prozent).
Nach 1999 verfügt auch Brandenburg
über ein System konkurrierender Par-
teien, in dem zwar die SPD die stärkste
Gruppierung ist, die beiden anderen
großen Parteien CDU und PDS aber
zumindest danach streben können, ein-
mal die Mehrheit zu gewinnen. Die bei-
den kleineren Partner der „Ampel“, Bünd-
nis 90 und die FDP, sind wie in den ande-
ren ostdeutschen Bundesländern auch
seit 1994 im Status von Splitterparteien.
Anfang 2001 ist nicht abzusehen,wie und
wann sie diese Situation ändern können.
Ein Menetekel ist die Anwesenheit der
DVU im Brandenburgischen Landtag seit
1999 (5,28 Prozent). Hier zeigt sich auf der
parlamentarischen Ebene die hässliche
Seite Brandenburgs mit seinen starken
rechtsextremen Einsprengseln. Es ist die
zweite große politische Enttäuschung
Manfred Stolpes, dass er im Jahre 2000
endlich eingestehen musste, er habe die
Gefahr des Rechtsextremismus in seinem
Land unterschätzt. Dass rechtsextreme
Vorkommnisse in diesem Land bis dato
immer wieder heruntergespielt, ver-
schleiert, vertuscht und entschuldigt
wurden, ist zwar nicht das direkte Ver-
schulden der Landesregierung, aber eine
geistige Führerschaft hiergegen ist vom
Kabinett bis ins Jahr 2000 hinein nicht
ausgegangen. Stets bat man zu beden-
ken, dass die Täter doch Landeskinder
wären und dass man sie zurückholen
müsse in den märkischen Hort.
Schien die SPD Brandenburgs 1990 und
besonders 1994 vor allem Stolpes Wahr-
kampfmaschine zu sein, so ist sie 2001
ein ganz normaler ostdeutscher Landes-
verband einer der beiden Großparteien in
der Bundesrepublik. In der ersten Hälfte
des Jahrzehnts hatte es Theorien gege-
ben, die besagten, besonders im deut-
schen Osten würden die Parteien sich
Prof. Dr. Jürgen Dittberner
6
nicht an Interessenlagen orientieren,son-
dern an charismatischen Führungsfigu-
ren. Neben Manfred Stolpe sei Kurt Bie-
denkopf in Sachsen der Beleg dafür:Ohne
ihn wäre die CDU in Dresden nicht so
stark. Doch auch in Sachsen hat sich eine
Parteiorganisation mit eigenen Struktu-
ren und eigener Dynamik entwickelt.
Schon heben einige Unvorsichtige unter
den dortigen Parteifreunden die Köpfe
und fragen nach der Zeit ohne „König
Kurt“. In Brandenburgs SPD – in ihrem
Verständnis damit zugleich im gesamten
Land – ist der Kronprinz schon präsent.
Matthias Platzeck, von der Parteiführung
1998 als Oberbürgermeister in Potsdam
gegen den glücklosen Genossen Horst
Gramlich installiert, soll Stolpe auf dem
Fuße folgen. Dazu wurde der andere
„Kronprinz“, Steffen Reiche, im Sommer
2000 vom Amte des SPD-Vorsitzenden
entbunden, so dass Platzeck nun auch
offiziell als Anwärter auf das Amt des
Ministerpräsidenten dasteht, wenn Man-
fred Stople dieses aufgeben und die SPD
weiterhin hierüber verfügen sollte.
Eine Besonderheit ist die Kür eines
Kronprinzen in einer demokratischen Par-
tei schon. Konrad Adenauer hatte sich
immer dagegen gewehrt, Ludwig Erhard
als Kronprinzen ausrufen zu lassen:„Wis-
sen Se, Kronprinzenfragen sind unange-
nehme Fragen…“ Und zu gut ist erinner-
lich, dass der von Helmut Kohl benannte
„Kronprinz“ Wolfgang Schäuble es dann
doch nicht geworden ist. Über Nachfol-
gefragen entscheiden die Wähler und die
Parteimitglieder trotz aller Vorabüber-
legungen immer erst zur gegebenen Zeit.
Da diese Erkenntnis keineswegs originell
ist, lässt sich die sozialdemokratische
Festlegung in Brandenburg nur als Aus-
druck der Tatsache sehen, dass einiges
von der Vorstellung vom Brandenburger
Sonderweg noch immer in dieser Partei
steckt: Das Land ist unser, und wenn der
regierende Monarch abtritt, werden wir
rufen: “Der König ist tot, es lebe der
König!”
Ob es so kommen wird, hängt zum
einen davon ab, wieviel Widerstände
gegen Stolpe und Platzeck in der Partei
unter der Decke schlummern und ob die
Konkurrenten der SPD es schaffen wer-
den, sich in Positur zu bringen.
Da hat es in Brandenburg vor allem die
CDU schwer. Bis 1999 war sie die Skan-
dalnudel unter den märkischen Parteien.
Partei- und Fraktionsvorsitzende wech-
selten sich so schnell einander ab, dass
die Beobachter gar nicht mehr mitka-
men. Die Fraktion intrigierte gegen den
Landesvorsitzenden, dieser gegen die
Fraktion. Kaum war jemand in ein Amt
gewählt worden, machte sich ein Trupp
daran, diesen zu demontieren. Die Partei
war zerrissen zwischen dem munteren
Fortwirken der alten Blockflöten und
Erneueren aus West und Ost. So musste
sie sich 1994 mit 18,72 Prozent zufrieden
Brandenburg neu erfinden
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geben – sie hatte ihr Ergebnis von 1990
(29,45 Prozent) um über zehn Prozent
unterboten – eine gerechte Strafe für
einen zerstrittenen Haufen. Da brachte
der ehemalige Bundeswehrgeneral mit
märkischer Heimat, Jörg Schönbohm,
1999 die Partei auf Linie. Als Innensenator
Berlins hatte Schönbohm vergeblich am
Thron von Eberhard Diepgen gerüttelt
und wurde von der dortigen CDU mit
Freuden ins Brandenburgische weiterge-
reicht. Dort reüssierte er und brachte
seine CDU auf 26,55 Prozent. Dem Bruder
und Genossen Landesvater schien sich
mit dem General ein quirliger Landeson-
kel an die Seite zu drängen.
Theoretisch hätten 1999 in Branden-
burg auch die SPD und die PDS eine Koali-
tion bilden können. Diese Option der
Regine Hildebrandt hätte Brandenburg
sehr weit weg geführt von den Hauptli-
nien bundesdeutscher Parteienpolitik.
Was in Mecklenburg-Vorpommern offizi-
ell und in Sachsen-Anhalt informell mög-
lich ist, wäre in Brandenburg – dem die
Bundeshauptstadt umlagernden Bundes-
land sehr degoutant. Außerdem hätte es
die Stasi-Diskussion um Manfred Stolpe
erneut entfacht, wenn dieser Ministerprä-
sident einer SPD/PDS-Koalition geworden
wäre. Zum Zeichen, dass die SPD und die
CDU in Brandenburg Sonderwege endgül-
tig verlassen wollen, schied die Jean d`Arc
des deutschen Ostens aus der Politik aus,
und an der Stelle von Frau Hildebrandt
nahm nun General Schönbohm Platz an
der Seite Stolpes. Die CDU schien nun die
treibende Kraft im Lande zu sein. Von ihr
kamen Anregungen zur Länderfusion, zur
Gemeinde- und Polizeireform sowie zur
Inneren Sicherheit. Die tapfere Fraktions-
vorsitzende Beate Blechinger hielt dem
General den Rücken frei. Doch es zeigte
sich bald, dass die Union in Brandenburg
in Wirklichkeit zu schwach war für die
Regierung – jedenfalls für eine Option auf
die erste Geige dort. Keiner der vier CDU-
Minister war und ist brandenburgisches
Eigengewächs. Im Herbst 2000 wurde
offenbar, dass Wolfgang Hackel als Mini-
ster für Wissenschaft, Forschung und Kul-
tur eine Fehlbesetzung war. Und nur mit
Hilfe von außen gelang es, Hackel im Kabi-
nett zu ersetzen – mit einer Ministerin, die
Manfred Stolpe mindestens ebenso
genehm ist wie Jörg Schönbohm. Weiter-
hin im Amte bleibt Justizminister Kurt
Schelter, obwohl er das Vertrauen der
Justiz verloren hat.
Mit dem Oberbürgermeister von Cott-
bus, Waldemar Kleinschmidt, schien die
CDU über lange Zeit wenigstens eine
kräftige einheimische politische Bega-
bung in ihren Reihen zu haben. Cottbus
schien vor Potsdam und all den anderen
märkischen Schwestern die Wende am
besten zu bewältigen. Doch Ende 2000
wurden alte Seilschaften sichtbar, mit
denen die Stadt in der Lausitz durchzo-
gen ist. Das Ansehen der Stadt, ihres
Prof. Dr. Jürgen Dittberner
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Magistrats und ihres Bürgermeisters
sank, und Kleinschmidt stand da als
Repräsentant einer sehr alten CDU.
So bleiben trotz der fortlaufenden Akti-
vitäten Schönbohms der Substanzman-
gel und der schwelende Konflikt zwi-
schen den Altgedienten und den seit der
Wende Hinzugekommenen strukturelle
Schwächen der märkischen CDU.
Ist die märkische PDS eine Alternative?
Dieser Landesverband war ein Pfeiler der
gesamten Nachfolgeorganisation der
SED. Nicht von ungefähr wurde der Bran-
denburger Lothar Bisky Bundesvorsitzen-
der der PDS. Es sprach für die Bodenstän-
digkeit und Solidität der brandenburgi-
schen PDS, dass der Vorsitzende sein
Mandat im Landtag behielt und dieses
neben seinen bundespolitischen Ver-
pflichtungen auch wahrnahm. In der
ersten Legislaturperiode wirkten Bisky
und die PDS im Landtag wie die heimli-
che Reserve Stolpes. Augenzwinkernd
schien die PDS dem “Landesvater” beizu-
stehen, wenn es galt, die wahren bran-
denburgischen Interessen gegen die arg
westlastige FDP oder die doch sehr bür-
gerrechtsorientierten Grünen zu verteidi-
gen. Die Abkühlung setzte ein, als die PDS
gegen Stolpes Fusionspläne mit Berlin
öffentlich Front machte.Den Sozialdemo-
kraten kamen bange Fragen auf: War
Brandenburg vielleicht tatsächlich doch
die “kleine DDR” und die PDS ihr idealer
Repräsentant? Die PDS wurde fortan als
hartnäckige Konkurrenz um Wählerstim-
men gesehen. Tatsächlich ist die Wähler-
entwicklung der PDS seit 1990 für diese
Partei überaus positiv: Sie steigerte ihren
Stimmenanteil bei den Landtagswahlen
kontinuierlich von 13,4% 1990 über 18,71%
1994 auf 23,34% 1999. dass im Jahre 2001
und danach der Knick auf dieser Geraden
nach oben kommen muss, dafür gibt es
drei Gründe:
1. Nach den Koalitionsentscheidung der
SPD 1999 gegen die PDS kann diese
nicht mehr als Brandenburgs “stille
Reserve” gesehen werden, sondern
eher als irgendwie noch immer mit
der alten DDR verbandelte Partei, die
zwar einen guten Mitglieder- und
Wählerzulauf hatte, an Havel und
Spree jedoch den Zugang zur Macht
wohl nicht schaffen wird. Von den
Sozialdemokraten muss sie in zuneh-
menden Maße als Konkurrenz und
Gegner und nicht als strategischer
Partner gesehen werden. Auch wenn
der Landesvorsitzende diese Option
öffentlich nicht aufgeben möchte,
kann sie doch nur als innergouverne-
mentale Geste zur Bändigung des
wirklichen Koalitionspartners verstan-
den werden
2. In der Öffentlichkeit ist mittlerweile
bekannt, dass die brandenburgische
PDS Führungsprobleme hat und stark
von innerparteilichen Kontroversen
geprägt ist.
Brandenburg neu erfinden
9
3. Generell ist die PDS in ihrem öffentli-
chen Erscheinungsbild geschwächt,
seitdem 2000 die populären Führer
der Partei, Gregor Gysi und Lothar
Bisky die Fraktions- und Partei-
führung verlassen hatten. In der
Medienlandschaft Deutschland hat
die ostdeutsche Regionalpartei ihr
mediale Gesicht verloren. Hinzu
kommt der Verlust von Michael Schu-
mann, der als politischer Analytiker in
Brandenburg über die Grenzen der
PDS hinaus hohes Ansehen genossen
hatte.
Gleichermaßen kümmerlich sind die
Existenzen der FDP und der Grünen in
Brandenburg. Beide Bündnispartner Stol-
pes aus der ersten Legislaturperiode
scheinen sich überhaupt zu regionalen
Westparteien zu entwickeln, gewisser-
maßen als Gegengewichte zur PDS. Die
FDP verfügt in Brandenburg – wie in den
anderen Ländern Ostdeutschlands – über
keine liberale Wählerschicht, die ihr
gesellschaftlichen Halt geben würde. Der
Vorstand um die landespolitisch weitge-
hend unbekannte Landesvorsitzende
Claudia Lehrmann bemüht sich um libe-
rales Profil, doch er scheint damit auf ver-
lorenem Posten zu stehen. Da nützt es
auch nichts, dass man sich bei öffentli-
chen Veranstaltungen der Prominenz von
Jürgen Möllemann versichert: Branden-
burg ist nicht Nordrhein-Westfalen, und
die auch in der FDP angezweifelte Serio-
sität des Populisten wird für die branden-
burgischen Wähler erst recht nicht
erkennbar.
Manche Beobachter vertreten die Auf-
fassung, der Niedergang der Liberalen in
Brandenburg komme daher, dass sie in
der Ampelkoalition nur mit Ministern aus
Westdeutschland vertreten waren: Wal-
ter Hirche und Hinrich Enderlein. Auch
der einzige liberale Staatssekretär aus
dem Lande, Knut Sandler, sei unter ziem-
lich unwürdigen Umständen sehr bald in
die Wüste geschickt worden. Schließlich
habe die FDP dann ihre Verluste 1994
(2,2%) und 1999 (1,86%) unter dem “west-
deutschen“ Vorsitzenden Hinrich Ender-
lein eingefahren. Aber niemand glaubt
ernsthaft daran, dass bei der märkischen
FDP nun eine Trendwende ins Haus
stünde, weil Enderlein 1999 durch die
Landestochter Lehmann ausgewechselt
wurde.
Die Grünen waren in der Ampel durch
die prominenten “DDRler” Matthias Plat-
zeck und Marianne Birthler am Kabi-
nettstisch vertreten, und ihr Niedergang
(1994: 2,89%, 1999: 1,94%) ist ähnlich
katastrophal gewesen wie derjenige der
FDP. An der Herkunft des jeweiligen
Führungspersonals kann es also weder
bei der FDP noch bei den Grünen gelegen
haben.
Für die Grünen gilt wie für die FDP: Sie
gelten im Osten als Westpartei und
Prof. Dr. Jürgen Dittberner
10
haben keine Klientel bei der Wähler-
schaft, die mit ihnen durch dick und dünn
ginge. Die Grünen haben gemeint, im
Osten Deutschlands und somit auch
Brandenburg Resonanz zu finden durch
die Fusion mit der Bürgerrechtsgruppie-
rung “Bündnis 90“. Doch schon 1990 war
die Mission der Bürgerrechtler in der DDR
beendet: Durch ihre mutige Opposition
hatten sie zum Zusammenbruch der
DDR-Diktatur beigetragen. Die Neuge-
staltung in Richtung Wiedervereinigung
– welche die Bündnisgruppen so gar
nicht gewollt hatten – übernahmen nun
andere:Die Flüchtlinge in den Westen,die
proletarischen Protestierer mit der Parole
“Wenn die DM nicht zu uns kommen,
kommen wir zur DM.”, die führenden
CDU-Politiker in Bonn und ihre Gefolgs-
leute in der Volkskammer und in der DDR-
Regierung. So erging es den Bürgerrecht-
lern nach 1990 wie es der Klassiker for-
muliert hatte:“Der Mohr hat seine Schul-
digkeit getan, der Mohr kann gehen.”
Die durch die Bürgerbewegung parla-
mentarisch sozialisierten prominenten
“Ossis” gingen sehr verschiedene Wege:
Günter Nooke landete in der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion auf den vorderen
Plätzen, Matthias Platzeck ging zur SPD,
wurde Oberbürgermeister der Landes-
hauptstadt, Landesvorsitzender der Sozi-
aldemokraten und “Kronprinz” Manfred
Stolpes. Nur Marianne Birthler blieb der
Grünen treu und streitet sich nun partei-
politisch neutralisiert als Leiterin der
Gauck-Behörde mit “ihrem” seinerseits
von den Grünen zur SPD gewechselten
Minister Otto Schily über die Herausgabe
von Akten. Bei den Grünen Brandenburgs
ist keiner und nichts aus der euphori-
schen Gründerzeit hängen geblieben.
Wenn der Maßstab für politisches
Gewicht einer Partei deren Repräsentanz
im Parlament ist, dann müssen die Grü-
nen und die FDP in Brandenburg auf
absehbare Zeit als Parteien ohne politi-
sches Gewicht eingestuft werden. Ob das
nach der nächsten Landtagswahl auch
für die DVU gesagt werden kann, ist
offen. Auf jeden Fall wäre ein Wiederein-
zug dieser rechtsradikalen Gruppierung
eine Niederlage für die jetzige Regierung,
wie umgekehrt ein Scheitern der DVU ein
Erfolg der Regierung wäre. Die DVU und
der Rechtsradikalismus sind eine schwere
Hypothek für Brandenburg. Das Land, das
sich so gerne in der Sonne preußischer
Toleranzedikte wärmt, erlebt seit Jahr
und Tag rechtsradikale Jagdszenen in sei-
nen Städten und auf seinen Straßen. Es
ehrt Manfred Stolpe, dass er nach zehn
Jahren Regierungszeit eingestanden hat,
er habe die Brisanz des Rechtsextremis-
mus in seinem Lande unterschätzt. Es
bringt ihn und übrigens auch seinen
Kronprinzen Platzeck – der sich ähnlich
wie Stolpe eingelassen hatte – jedoch in
Handlungszwang.Brandenburg geht den
richtigen Weg, wenn es den Antrag auf
Brandenburg neu erfinden
11
Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit
der NPD beim Bundesverfassungsgericht
unterstützt und neue Strafen für rechts-
extreme Gewalttäter fordert. Die eta-
blierten Parteien und ihre Repräsentan-
ten müssen aber auch jenen politischen
Unterführern spürbar auf die Füße tre-
ten, die immer noch abwiegeln und den
Rechtsextremismus im wesentlichen als
übles Propagandainstrument westlicher
Medien darstellen. Es ist ein Makel Bran-
denburgs, dass die DVU nun mit einer
Fraktion im Landtag vertreten ist. Die
wird zwar weitgehend isoliert, kann poli-
tisch wenig bewegen, aber sie verfügt
über die ihr nach dem Recht zustehenden
materiellen und politischen Ressourcen.
Die aus München gesteuerte Partei hat
ihr Wahlergebnis als “Triumph der DVU”
gefeiert und nicht zu unrecht getönt, ihr
Wahlerfolg sei eine “Warnung für die
alten Parteien.” Hoffentlich haben diese
das begriffen.
Bei Lichte betrachtet hat Branden-
burg ein Dreiparteiensystems. Die SPD
ist die größte der etablierten Parteien,
um ein Drittel kleiner sind die CDU und
die PDS. Will die SPD die absolute Mehr-
heit wiedergewinnen, muss sie erhebli-
che Wählerpotentiale der anderen Par-
teien zu sich herüberziehen. Zwar ist die
Wählerbindung an die politischen Par-
teien im Osten Deutschlands geringer
als im Westen (wo sie jedoch gesunken
ist), aber in zehn Jahren wird sich hier
und da eine Identifikation aufgebaut
haben.
Die Instabilität des brandenburgischen
Parteiensystems liegt vor allem im politi-
schen Desinteresse großer Teile der Bür-
gerschaft. Nur 54,30 % der Brandenbur-
ger haben sich überhaupt an den letzten
Landtagswahlen beteiligt. Die geringe
Mitgliederdichte der SPD und der CDU ist
bekannt, und immer wieder stößt die
Rekrutierung politischen Personals auf
Schwierigkeiten, weil kein genügendes
Auswahlreservoir vorhanden ist. Die
brandenburgische Politik muss die politi-
sche Bildung im weitesten Sinne intensi-
vieren, fördern und unterstützen. Ob LER
oder konfessioneller Religionsunterricht:
In den Schulen muss über diese und
andere Fächer ein sicheres Gefühl über
die Grundwerte, die Geschichte und die
politische Kultur unserer Gesellschaft
gefördert werden Darüber hinaus ist es
notwendig, möglichst viele geeignete
Landeskinder, die nach der Wende ausge-
bildet wurden, in die Schulen zu bringen
und das alte Personal zu ersetzen.
Brandenburg muss sich neu definieren.
Darum bemüht sich – das ist hinter allen
Vordergründigkeiten erkennbar – der
Ministerpräsident seit zehn Jahren. Es
kämpft gegen die geistigen Folgen von
zwölf Jahren nationalsozialistischer Dik-
tatur und 45 Jahren kommunistischer
Indoktrination an. Von seinen Mitstrei-
tern am Kabinettstisch 1990 sitzt heute
Prof. Dr. Jürgen Dittberner
12
nur noch Alwin Ziel als nach der
Schmökel-Affaire angeschlagener Politi-
ker an seiner Seite. Alle anderen Minister
sind mittlerweile mindestens einmal
ausgewechselt worden. Das zeigt den
langen Atem Manfred Stolpes. Dennoch
wäre es nicht verwunderlich, wenn auch
seine Zeit nicht reicht, die Hauptaufgabe
zu bewältigen und ein Anderer den Stab
übernehmen müsste. Ob der dieser Auf-
gabe gewachsen wäre, würde sich
ohnehin erst zeigen, wenn er im Amte ist.
Brandenburg neu erfinden
13
Prof. Dr. Jürgen Dittberner(Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam
und war 1990 und 1992 Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und
Kultur /Januar 2001)
http://www.uni-potsdam.de/u/PolWi_Dittb/index.htm
1. Vorbemerkung: Parteien, Wahlenund Wettbewerb
Parteien werden auch als Allianzen
(bzw. Koalitionen) von politischen Eliten
und sozialen Gruppen beschrieben. Diese
Allianzen können sich von Wahl zu Wahl
neu bilden oder über mehrere oder sogar
viele Wahlen hinweg bestehen. Dauer-
hafte Allianzen bedürfen eines Bindemit-
tels, das den Zusammenhalt von Eliten
und sozialen Gruppen gewährleistet.
Derartige Bindungen können nur durch
Faktoren von längerfristiger Bedeutung
bewirkt werden. In Frage kommen zwei
Faktorenbündel: einerseits die soziale
Herkunft bzw. Lage und daraus resultie-
rende Interessen, andererseits politische
Grundüberzeugungen (Werte). Kurzfri-
stige Allianzen beruhen zumeist darauf,
dass Eliten und soziale Gruppen in spezi-
ellen politischen Sachfragen überein-
stimmen. In der Realität mischen sich bei
jeder Partei kurzfristige und langfristige
Bindungen, wobei Letztere – auch in Ost-
deutschland – überwiegen.
Bei Wahlen ordnen sich die Wähler den
bestehenden Parteien zu. Entweder blei-
ben sie ihrer Partei, die sie früher auch
schon gewählt haben, treu (Wieder-
wähler) oder sie ändern ihr Verhalten
(Wechselwähler1). Für die Parteien ergibt
sich daraus die Doppelaufgabe, ihre
treuen Anhänger zu mobilisieren und
darüber hinaus Wähler zu gewinnen, die
sich bei jeder Wahl neu entscheiden bzw.
die sich das erste Mal an einer Wahl
beteiligen (Jungwähler). Maßgeblich für
das Wahlverhalten sind langfristig wirk-
same Bindungen (Sozialstruktur,Wertori-
entierungen) oder kurzfristig wirksame
Faktoren (Sachfragen, Parteikompeten-
zen, die Beurteilung der Spitzenkandida-
ten). Da sich in Ostdeutschland noch
kaum stabile Beziehungen zwischen spe-
zifischen sozialen Gruppen und einzel-
nen Parteien herausgebildet haben, hän-
gen Wahlerfolge vor allem davon ab, ob
die Parteien über kompetente Vorschläge
zur Lösung der als dringlich empfunde-
nen Probleme und über sachkundige,
durchsetzungsfähige, vertrauenswürdige
15
1 Dabei werden zwei Typen unterschieden: Parteiwechsler sind Personen, die zwischen Parteien
wechseln. Einwechsler wechseln von Nichtwahl zur Wahl (irgendeiner Partei). Wechsler von
Wahl zu Nichtwahl werden in den Statistiken als Nichtwähler geführt.
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituationder SPD in Brandenburg von PD Dr. Richard Stöss
PD Dr. Richard Stöss
und populäre Persönlichkeiten verfügen.
Dabei können Kandidaten eine wesent-
lich größere Rolle spielen als in West-
deutschland.
Daraus ergeben sich für die Wettbe-
werbssituation der SPD in Brandenburg
folgende Probleme bzw. Gesichtspunkte:
• Zwischen Wählern und Parteien beste-
hen marktähnliche Verhältnisse. Wäh-
ler fragen politische Leistungen nach,
Parteien bieten politische Leistungen
an. Wähler entscheiden sich zumeist
für die Partei, deren Programme, Kom-
petenzen und Personen ihren Erwar-
tungen am ehesten entsprechen. Par-
teien konkurrieren miteinander um ein
Maximum an Wählerstimmen. Sie
müssen bestrebt sein, der vorhande-
nen Nachfrage möglichst umfassend
gerecht zu werden. Das bedeutet, dass
der Erfolg von Parteien auch davon
abhängt, ob sie mit einem potenten
Anbieter auf dem Wählermarkt kon-
kurrieren.Wenn ein Anbieter (beispiels-
weise die SPD) nur über schwache Kon-
kurrenten verfügt, hat er bessere Er-
folgsaussichten als ein Anbieter mit
einer attraktiven Konkurrenz.
• Normalerweise neigen die Menschen
dazu, ihr Verhalten unter gleichartigen
Bedingungen nicht zu verändern. Sie
agieren nach Gewohnheit, weil das am
einfachsten ist. Wer seine Zigaretten-
marke oder Weinsorte wechselt, muss
Marktforschung betreiben und sich
erst an das neue Produkt gewöhnen,
das dann möglicherweise doch nicht
zusagt. Das ist beim Wahlverhalten
nicht anders. Die Bürger tendieren
dazu, dieselbe Partei zu wählen, die sie
auch früher gewählt haben. Bei der
Bundestagswahl 1998 waren in Ost-
deutschland 72 Prozent der CDU-
Anhänger, 52 Prozent der PDS-Anhän-
ger und 45 Prozent der SPD-Anhänger
Wiederwähler, in Brandenburg betrug
der Anteil der SPD-Wiederwähler
damals sogar 58 Prozent. Die Mobilisie-
rung der treuen Parteianhänger stellt
damit eine vordringliche Wahlkampf-
aufgabe dar, die den Bedürfnissen der
Wähler auch entgegen kommt.
• Die prinzipielle Neigung der Bürger, ihr
bisheriges Wahlverhalten beizubehal-
ten, bedeutet einen großen Vertrau-
ensvorschuss für die Parteien. Dem
müssen sie dadurch gerecht werden,
dass sie den individuellen Erwartungen
ihrer Anhänger im Großen und Ganzen
– vor allem auch durch Glaubwürdig-
keit und Berechenbarkeit – entspre-
chen. Bürger bevorzugen eine klar
gegliederte Angebotsstruktur mit
deutlichen Alternativen, die es ihnen
ohne großen Aufwand ermöglicht, sich
– möglichst dauerhaft – einer Partei
zuzuordnen. Ein klares Profil begün-
stigt mithin den Erfolg einer Partei.
Eine unübersichtliche Angebotslage
erschwert dagegen die Entscheidung
16
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
und kann zu häufig wechselndem
Wahlverhalten oder auch dazu führen,
dass sich die Bürger der Entscheidung
durch Nichtwahl entziehen.
• Wähler haben oft überzogene Erwar-
tungen an die Politik, die diese objek-
tiv gar nicht erfüllen kann. Derartige
Erwartungen werden aber nicht sel-
ten von den Parteien selbst – absicht-
lich oder unabsichtlich – genährt, weil
sie im Wettbewerb um Wählerstim-
men optimistische oder gar unreali-
stische Versprechungen machen oder
weil besonders populäre Spitzenpoli-
tiker den Eindruck von Allmächtigkeit
aufkommen lassen. Eine Diskrepanz
zwischen hohen Wählererwartungen
und faktischen Politikergebnissen
kann nur vermieden werden, wenn
die Parteien überzogene Hoffnungen
gar nicht erst aufkommen lassen und
ständig mit ihren Anhängern über
den Stand, die Erfolge, Hemmnisse
und objektiven Grenzen ihrer
Bemühungen um Problemlösungen
kommunizieren. Die Vollmobilisie-
rung der eigenen – kaum immer run-
dum zufriedenen – Anhänger gelingt
am besten, wenn Wahlen politische
Richtungsentscheidungen darstellen,
bei denen sich die Wähler zwischen
ihrer Partei (gegebenenfalls als dem
„kleineren Übel“) und drohenden
Wahlerfolgen der Konkurrenz ent-
scheiden müssen.
• Aus der natürlichen Trägheit des
Wählers folgt, dass er seiner Partei
durchaus eine gewisse „Frustrationsto-
leranz“ entgegen bringt: Er sieht auch
schon einmal über Fehler und Form-
schwächen hinweg, wenn das Grund-
vertrauen in die Partei existiert, dass sie
die in sie gesetzten Erwartungen auch
nach besten Kräften erfüllt. Das ein-
gangs erwähnte Bild von den Parteien
als Allianzen von politischen Eliten und
spezifischen sozialen Gruppen ver-
weist auf die Aufgabe der Parteien, die
Interessen und Ziele ihrer sozialen
Basis im Wirkungsfeld des Staates zu
repräsentieren.Wähler reagieren unbe-
rechenbar, wenn sich der Eindruck ver-
festigt, dass bei ihrer Partei Programm
und Praxis auseinander klaffen, dass
den Versprechungen keine Taten fol-
gen und dass sich keine Resultate ein-
stellen. Dann kommt es zu Abwande-
rungen, Wahlverweigerung oder gar
zur Wahl von rechtsextremen Parteien.
Eine längerfristig aussichtsreiche Posi-
tion im Parteienwettbewerb setzt mithin
vor allem ein klares (und beständiges)
politisches Profil voraus, das den Wählern
eine dauerhafte Zuordnung zu „ihrer“
Partei ermöglicht und zwischen Parteien
und Wählern ein Grundvertrauen entste-
hen lässt, das die Integrationskraft der
Parteien stärkt und die Mobilisierung
ihrer Stammklientel erleichtert.
17
Volkskammerwahl 1990Die Volkskammerwahl war eine Volks-
abstimmung über die rasche Einführung
der D-Mark und die baldige Wiederverei-
nigung der beiden deutschen Staaten. Als
Sieger erwies sich die Allianz3
mit DDR-
weit 48,0 Prozent, die SPD erreichte 21,9
Prozent, die PDS 14,4 Prozent und die
„grünen“ Parteien4
brachten es zusam-
men auf 4,9 Prozent.
In Brandenburg war die Allianz eben-
falls stärkste Partei, gefolgt von SPD und
PDS. Die Allianz erzielte hier allerdings
mit 38,5 Prozent nach Berlin (Ost) ihr
zweitschlechtestes Ergebnis, die SPD hin-
gegen mit 28,9 Prozent – ebenfalls nach
Berlin (Ost) – ihr zweitbestes Resultat. Die
PDS kam in der Mark mit 18,4 Prozent
nach Berlin (Ost) und Mecklenburg-Vor-
pommern auf den dritten Platz, die „grü-
nen“ Parteien verzeichneten in Branden-
burg mit zusammen 5,4 Prozent – wie-
derum nach Berlin (Ost) – ihr zweitbestes
Ergebnis.
Die Allianz schnitt im Wahlkreis Cott-
bus überdurchschnittlich gut ab (48,3%),
dort brachte es die SPD auf magere 19,3
Prozent. Ihr bestes Ergebnis lag im Wahl-
kreis Potsdam (34,4%), wo auch die „grü-
nen“ Parteien besonders erfolgreich
waren (6,0%).
Landtagswahl 1990Die SPD wurde mit einem Zugewinnn
von knapp zehn Prozentpunkten gegenü-
ber der Volkskammerwahl stärkste Partei
(38,2%), die CDU verlor etwa denselben
Betrag und brachte es auf 29,4 Prozent.
Die „grünen“ Parteien (Bündnis 90 sowie
Die Grünen) verbesserten sich um vier
Prozentpunkte (9,3%), die PDS büßte fünf
Prozentpunkte ein (13,4%).
Anders als in den übrigen vier Ländern,
wo die Arbeitnehmer eher zur CDU ten-
dierten, wählte die relative Mehrheit der
Arbeiter (39,8%) in Brandenburg die SPD,
die auch bei den Angestellten Mehrheits-
partei war (41,8%). Die CDU überflügelte
die SPD nur bei den Selbständigen,wo die
SPD stark unterrepräsentiert war. Bei den
in Ausbildung befindlichen Personen hat-
ten die Grünen mit 29,4 Prozent die Nase
vorn (SPD: 26,6%, CDU: 20,5%, PDS: 17,2)5
.
Die Wirtschaftskompetenz lag bei der
CDU, die Beseitigung der Arbeitslosigkeit
PD Dr. Richard Stöss
18
2 Die wichtigsten Ergebnisse sind in Tabelle 1 zusammengestellt.
3 Wahlbündnis aus CDU, Demokratischem Aufbruch (DA) und Deutsch-Sozialer Union (DSU).
4 Die Grünen, Unabhängiger Frauenverband (UFV) und Bündnis ‘90.
5 Die in diesem Text mitgeteilten Umfrageergebnisse beziehen sich – soweit nicht anders ver-
merkt – auf Erhebungen der Forschungsgruppe Wahlen in Mannheim, FGW (siehe Literatur-
verzeichnis).
2. Wahlen in Brandenburg2
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
trauten die Wähler gleichermaßen einer
CDU-geführten und einer SPD-geführten
Regierung zu.
Die beiden Spitzenkandidaten erfuh-
ren eine recht unterschiedliche Bewer-
tung. Manfred Stolpe wurde mit einem
Mittelwert6
von 1.6 generell positiv beur-
teilt, bei den SPD-Anhängern erzielte er
sogar einen Mittelwert von 2.4. Peter-
Michael Diestel wurde generell eher
abgelehnt (Durchschnitt: -0.6) und lag
auch bei den CDU-Anhängern nur bei 0.4
Punkten. 56 Prozent der Wähler wünsch-
ten sich Stolpe als Ministerpräsidenten,
für Diestel optierten nur 29 Prozent.
Stolpe wurde selbst von 30 Prozent der
CDU-Anhänger gegenüber seinem Kon-
kurrenten präferiert.
38 Prozent der Wähler sprachen sich für
eine große Koalition aus, von den SPD-
Anhängern sogar 46 Prozent.
19
6 Die Mittelwerte beziehen sich auf eine Skala von +5 bis -5.
Tabelle 1Wahlbeteiligung sowie (Zweit-)Stimmenanteile bei der Volkskammerwahl 1990,bei Landtags-, Bundestags- und Europawahlen in Brandenburg 1990-1999 (%)
WBET: Wahlbeteiligung in Brandenburg
VK 90: Bei der Volkskammerwahl 1990 existierten die Länder noch nicht. Hilfsweise wurden die
Bezirke zu Grunde gelegt, deren Grenzen sich jedoch nicht exakt an den Ländergrenzen
orientierten.
CDU = Allianz für Deutschland.
VK 90
LTW 90
BTW 90
EW 94
LTW 94
BTW 94
BTW 98
EW 99
LTW 99
WBET
93,5
67,1
73,8
41,5
56,3
71,5
78,1
30,0
54,3
CDU
38,5
29,4
36,3
23,4
18,7
28,1
20,8
29,1
26,6
FDP
4,8
6,6
9,7
2,7
2,2
2,6
2,8
2,3
1,9
Grüne
5,4
9,3
6,6
4,6
2,9
2,9
3,6
3,3
1,9
SPD
28,9
38,2
32,9
36,9
54,1
45,1
43,5
31,5
39,3
PDS
18,4
13,4
11,0
22,6
18,7
19,3
20,3
25,8
23,3
Sonst.
4,0
3,1
3,5
9,7
3,3
2,0
8,9
8,0
7,0
PD Dr. Richard Stöss
Bundestagswahl 1990Im Mittelpunkt der ersten gesamt-
deutschen Bundestagwahl stand, wie
schon bei der Volkskammerwahl, die
deutsche Einheit. Bundes-Sieger war die
CDU/CSU mit 43,8 Prozent, die SPD
brachte es auf ganze 33,5 Prozent, im
Wahlgebiet Ost7
sogar nur auf 24,3 Pro-
zent. Die PDS schloss mit 2,4 Prozent ab.
Da sie im Wahlgebiet Ost aber die Stim-
men von 11,1 Prozent der Wähler erhielt,
konnte sie in den deutschen Bundestag
einziehen. Die West-Grünen scheiterten
mit 4,8 Prozent an der Sperrklausel und
konnten daher keine Vertreter in den
Bundestag entsenden. Die Bündnisgrü-
nen im Osten, die organisatorisch unab-
hängig von den West-Grünen kandidier-
ten, erzielten 6,2 Prozent und waren
daher im Bundestag vertreten.
In Brandenburg überrundete die CDU
jetzt wieder die SPD. Diese erzielte dort
mit 32,9 Prozent ihr bestes Resultat in
den neuen Bundesländern, gefolgt von
Berlin (Ost) (31,3%) und Mecklenburg-Vor-
pommern (26,5%). Die CDU schnitt in
Berlin (Ost) besonders schlecht ab
(24,3%), dann folgte Brandenburg mit
36,3 Prozent. Bei der PDS lag – wie gehabt
– die ehemalige Hauptstadt der DDR an
erster Stelle (24,8%), gefolgt von Meck-
lenburg-Vorpommern (14,2%) und Bran-
denburg (11,0%). Die Bündnisgrünen
erzielten nach Berlin (Ost) in Branden-
burg ihr zweitbestes Ergebnis (6,6%).
Europawahl 1994Die CDU/CSU wurde mit mäßigem Vor-
sprung vor der SPD bundesweit stärkste
Partei: 38,8% zu 32,2%. Im Wahlgebiet Ost
kam die SPD allerdings nur auf
25,3 Prozent.
Die märkische SPD erreichte mit 36,9
Prozent das beste sozialdemokratische
Ergebnis in Ostdeutschland, das auch
über dem Bundesdurchschnitt der SPD
lag. Gegenüber der märkischen CDU
(23,4%) hatte sie einen Vorsprung von 13,5
Prozentpunkten. Schlechter schnitt die
CDU nur in Berlin (Ost) ab: 14,9 Prozent.
Die PDS hatte ihre Talfahrt beendet.
Gegenüber der Bundestagswahl 1990
verdoppelte sie zwar ihr Ergebnis in Bran-
denburg (22,6%), belegte damit in der
Rangfolge Ostdeutschlands nach Berlin
(Ost) (40,1%) und Mecklenburg-Vorpom-
mern (27,3%) wiederum nur den dritten
Platz. Für die Bündnisgrünen bildete Bran-
denburg mit 4,6 Prozent nun das Schluss-
licht in Ostdeutschland (siehe unten).
Landtagswahl 1994Zur Ausgangslage: Die „Ampelkoali-
tion“ war im März 1994 im Zusammen-
20
7 Die Bezeichnungen „Osten“,„Wahlgebiet Ost“ und „Ostdeutschland“ umfassen die fünf neuen
Bundesländer sowie Berlin (Ost).
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
hang mit den Stasi-Vorwürfen gegen
Stolpe zerbrochen. Nachdem Bildungs-
ministerin Marianne Birthler deshalb
bereits Ende 1992 aus der Regierung aus-
geschieden war, forderte der Vorsitzende
der Bündnis-Fraktion, Günter Nooke, den
Rücktritt von Stolpe, woraufhin dieser
die Zusammenarbeit mit dem Bündnis
aufkündigte und gemeinsam mit der
FDP eine Minderheitsregierung führte.
Auch die CDU polemisierte heftig gegen
Stolpe, befand sich selbst aber in einer
desolaten Situation: Auf den Rücktritt
des Landesvorsitzenden Lothar de Mai-
zière (1991) folgte der „Wessi“ Ulf Fink,
der sich in der Partei nicht durchsetzen
konnte. Er wurde 1993 durch Carola Hart-
felder ersetzt, die ebenfalls glücklos
agierte. Erst im Februar 1994 wurde
durch Vermittlung von Helmut Kohl
Peter Wagner zum Spitzenkandidaten
der CDU in Brandenburg bestimmt. Ende
Juni 1994 fanden in Sachsen-Anhalt
Landtagswahlen mit den bekannten Fol-
gen („Magdeburger Modell“ und „Rote-
Socken-Kampagne“) statt. Beides warf
seine Schatten auf den Landtagswahl-
kampf in Brandenburg (Wahltermin:
11.9.1994). Stolpe parierte die Angriffe der
CDU, indem er sich gegen eine Koopera-
tion mit der PDS aussprach und die
Bereitschaft erkennen ließ, notfalls mit
der CDU zusammenzugehen.
Die SPD erreichte sensationelle 54,1
Prozent, was gegenüber 1990 einen
Zugewinn von 15,9 Prozentpunkten
bedeutete. Dabei handelte es sich um
den größten Zuwachs, den jemals eine
der beiden großen Volksparteien in der
Bundesrepublik erzielt hat. Platz zwei
teilten sich CDU und PDS mit je 18,7 Pro-
zent, was für die PDS aber einen Verlust
gegenüber der Europawahl 1994 von 3,9
Prozentpunkten bedeutete. Der Vor-
sprung der SPD gegenüber der CDU
betrug 35,4 Prozentpunkte. Die Bündnis-
grünen und FDP scheiterten an der Fünf-
Prozent-Hürde. 1990 hatten das Bündnis
und die Grünen zusammen noch 9,3 Pro-
zent der Stimmen mobilisiert, der FDP-
Anteil betrug damals 6,6 Prozent. Neben
den Bündnisgrünen kandidierte 1994
noch das Bürger-Bündnis Freier Wähler
(de facto die Abspaltung der Nooke-
Gruppe von Bündnis 90, die den Zusam-
menschluss der West-Grünen mit dem
Ost-Bündnis ablehnte), das es aber nur
auf ein Prozent brachte.
Die größten Gewinne fuhr die SPD, die
alle 44 Wahlkreismandate eroberte, in
den ländlichen Regionen der Mark ein. In
den kreisfreien Städten fielen ihre
Zuwächse dagegen mäßig aus,dort hatte
die PDS ihre Hochburgen.
Überdurchschnittliche Anteile erzielte
die SPD bei Arbeitern, Gewerkschaftsmit-
gliedern (und hier wiederum insbeson-
dere bei gewerkschaftlich organisierten
Arbeitern) und bei Arbeitslosen. Unter-
durchschnittlich wurde sie von den
21
Selbständigen, den Landwirten, den
Beamten und von den in Ausbildung
befindlichen Personen (junge Leute!)
gewählt. Absolute Mehrheitspartei war
sie bei den Arbeitern (57,4%), bei den
Angestellten (53,5%) und bei den Gewerk-
schaftsmitgliedern (56,8%). In Branden-
burg hatte sich die SPD mithin zur Partei
der Arbeitnehmer entwickelt.
In allen Politikbereichen wiesen die
Brandenburger der SPD eine weitaus
größere Kompetenz zu als der CDU. Wirt-
schaft: 47% zu 15%; Arbeitslosigkeit: 45%
zu 10%; Kriminalität: 28% zu 10%; Woh-
nungssituation: 46% zu 8%.
Die beiden Spitzenkandidaten wurden,
wie schon 1990, sehr unterschiedlich
bewertet. Manfred Stolpe erreichte mit
einem Mittelwert8
von 2.5 (1990: 1.6) eine
recht gute Beurteilung, bei den SPD-
Anhängern brachte er es sogar auf einen
Mittelwert von 3.5 (1990: 2.4). Peter Wag-
ner war im Land noch weithin unbekannt
und wurde insgesamt (schwach) negativ
bewertet: Mittelwert -0.3 (der entspre-
chende Wert für Diestel betrug 1990
-0.6). Von den CDU-Anhängern wurde
Wagner zwar positiv (0.9) aber schlechter
benotet als Stolpe (1.2). 81 Prozent der
Bevölkerung (1990: 56%) und sogar 97
Prozent der SPD-Anhänger wünschten
sich Stolpe als Ministerpräsidenten.Wag-
ner wurde dagegen nur von sieben Pro-
zent der Bevölkerung, aber immerhin von
35 Prozent der CDU-Anhänger als Regie-
rungschef präferiert. Allerdings sprachen
sich 46 Prozent der CDU-Anhänger (1990:
30%) für Stolpe aus. Kein Ministerpräsi-
dent in Westdeutschland konnte bisher
auf eine derartig hohe Zuneigung ver-
weisen wie Manfred Stolpe, dessen Popu-
larität durch die Vorhaltungen bezüglich
seiner angeblichen Stasi-Verstrickungen
keinen Schaden genommen hatte.
Bundestagswahl 1994Wider Erwarten gewann die CDU/CSU
die Bundestagswahl mit 41,5 Prozent vor
der SPD, die 36,4 Prozent erhielt. Die
Union büßte gegenüber 1990 2,3 Prozent-
punkte ein, die SPD legte 2,9 Prozent-
punkte zu. In Ostdeutschland war die
Sozialdemokratie zwar nach wie vor
schwächer als im Westen (31,5% zu 37,5%),
im Osten mobilisierte sie mit 7,2 Prozent-
punkten jedoch den größeren Zugewinn.
Die PDS scheiterte zwar mit 4,4 Prozent
an der Fünf-Prozent-Hürde, errang aber
vier Direktmandate in Berlin (Ost) und
zog daher wiederum in den Bundestag
ein. Die Bündnisgrünen schnitten mit
bundesweit 7,3 Prozent ab. Im Westen
bedeutete dies 7,9 Prozent und damit
einen Zugewinn von 3,1 Prozentpunkten
gegenüber 1990, im Osten betrug das
PD Dr. Richard Stöss
22
8 Die Mittelwerte beziehen sich auf eine Skala von +5 bis -5.
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
Ergebnis aber nur 4,3 Prozent, was
gegenüber 1990 ein Verlust von 1,9 Pro-
zentpunkten ausmachte.
Mit 45,1 Prozent errang die SPD in Bran-
denburg wiederum das beste SPD-Resul-
tat in Ostdeutschland, mit dem sie auch
wieder über dem Bundesdurchschnitt
der Partei rangierte. Es folgten Sachsen-
Anhalt mit 33,4 Prozent und Berlin (Ost)
mit 33,1 Prozent. Die märkische CDU ver-
zeichnete mit 28,1 Prozent wieder einmal
– wie gehabt nach Berlin (Ost) (19,5%) –
das zweitschlechteste Resultat in Ost-
deutschland. Wie schon bei der Europa-
wahl 1994 bildete die CDU in Branden-
burg bundesweit das Schlusslicht aller
CDU-Landesverbände. Gegenüber der
Landtagswahl 1994, dem bisherigen Tief-
punkt in ihrer Wahlgeschichte, konnte sie
sich allerdings um 9,4 Prozentpunkte ver-
bessern. Damit lag die CDU auch wieder
klar vor der PDS, die mit 19,3 Prozent auf
dem Niveau ihres Landtagswahlresultats,
also unterhalb der 22,6 Prozent von der
Europawahl 1994, stagnierte. Die Bünd-
nisgrünen erreichten, wie bei der Land-
tagswahl, 2,9 Prozent und wiederum
ihren schlechtesten Wert in Ostdeutsch-
land.
Bundestagswahl 1998Der bundesweite Abwärtstrend der
CDU/CSU setzte sich bei dieser Wahl fort.
Erstmalig seit 1982 gab es wieder einen
Machtwechsel an der Spitze der Republik.
Die SPD erzielte 40,9 Prozent der Zweit-
stimmen und überflügelte die Union
(35,1%) um 5,8 Prozentpunkte. Diese hatte
in Ostdeutschland seit der Bundestags-
wahl 1990 14,4 Prozentpunkte verloren, in
Westdeutschland „nur“ 7,2 Prozent-
punkte. Die SPD bildete nun in West und
Ost die stärkste Partei. Sie schnitt im
Osten (35,1%) freilich wiederum schlech-
ter ab als im Westen (42,3%), konnte aber
in beiden Landesteilen ihr Ergebnis seit
1990 deutlich verbessern: im Osten um
10,8 Prozentpunkte, im Westen um 6,6
Prozentpunkte. Die PDS überwand dieses
Mal mit 5,1 Prozent die Sperrklausel. Seit
der Bundestagswahl 1990 hatte sie sich
im Westen von 0,3 Prozent auf 1,2 Prozent
und im Osten von 11,1 Prozent auf 21,6
Prozent hochgearbeitet. Die Grünen ver-
zeichneten in West und Ost eine gegen-
läufige Bewegung: Im Westen verbesser-
ten sie sich zwischen den Bundestags-
wahlen 1990 und 1998 von 4,8 Prozent
auf 7,3 Prozent, im Osten verloren sie von
6,3 Prozent auf 4,1 Prozent.
In Brandenburg erzielte die SPD mit
43,5 Prozent wiederum das beste Ergeb-
nis in Ostdeutschland, es folgten (wie
1994) Sachsen-Anhalt (38,1%), dann
Mecklenburg-Vorpommern (35,3%) und
Berlin (Ost) (35,1%). Gegenüber der Bun-
destagswahl 1994 hatte die märkische
SPD allerdings einen Verlust von 1,6 Pro-
zentpunkten hinnehmen müssen,
23
gegenüber der Landtagswahl 1994 sogar
ein Minus von 10,6 Prozentpunkten. Die
brandenburgische CDU brachte es auf
20,8 Prozent und musste wiederum in
Ostdeutschland das zweitschlechteste
Ergebnis nach Berlin (Ost) einstecken. Im
bundesweiten Ländervergleich der Uni-
onsparteien blieb sie das Schlusslicht.
Und auch in ihrer brandenburgischen
Wahlgeschichte bildeten die 20,8 Prozent
ihr zweitschlechtestes Resultat, das sie
nur bei der Landtagswahl 1994 unter-
schritten hatte. Die PDS stagnierte mit
20,3 Prozent ungefähr auf ihrem Niveau
der Bundestagswahl 1994. Nur in Sach-
sen schnitt sie noch schlechter ab als in
Brandenburg (20,0%). Die Bündnisgrü-
nen verbesserten sich gegenüber der
Bundestagswahl 1994 um 0,7 Prozent-
punkte auf 3,6 Prozent.
Europawahl 1999Bei der Europawahl machte sich der
anfängliche Sympathieverlust der rot-
grünen Bundesregierung deutlich
bemerkbar. Die CDU/CSU verfehlte nur
knapp die absolute Mehrheit. Mit 48,7
Prozent übertraf sie ihr Europawahler-
gebnis von 1994 um 9,9 Prozentpunkte,
gegenüber der Bundestagswahl 1998
legte sie sogar 13,6 Prozentpunkte zu. Die
West-Ost-Differenz betrug 50,7% zu
40,6%. Die SPD erreichte klägliche 30,7
Prozent, was gegenüber 1994 nur ein Ver-
lust von 1,5 Prozentpunkten, gegenüber
der Bundestagswahl 1998 aber ein Minus
von 10,2 Prozentpunkten bedeutete. In
Ostdeutschland landete die SPD bei 23,6
Prozent, im Westen waren es immerhin
32,6 Prozent. Die PDS verbuchte stattliche
5,8 Prozent, die Grünen erreichten gerade
einmal 6,4 Prozent.
In Brandenburg erzielte die SPD bei
einer Wahlbeteiligung von sage und
schreibe 30 Prozent mit 31,5 Prozent wie-
derum ihr bestes Resultat in Ostdeutsch-
land, es folgten Sachsen-Anhalt (26,7%)
und Thüringen (25,6%). Im Vergleich zur
Europawahl 1994 hatte sie in Branden-
burg 5,4 Prozentpunkte verloren, im Ver-
gleich zur Bundestagswahl 1998 sogar
12,0 Prozentpunkte. Die märkische CDU
konnte ihr Verliererschicksal nicht been-
den. Mit 29,1 Prozent rückte sie zwar dicht
an die SPD heran, dennoch musste sie
erneut nach Berlin (Ost) das schlechteste
Wahlergebnis in Ostdeutschland ein-
stecken und im bundesweiten Länderver-
gleich gab sie wiederum die rote Laterne.
Mit Blick auf die Europawahl 1994 hatte
sie sich jedoch um 5,7 Prozentpunkte ver-
bessert,mit Blick auf die Bundestagswahl
1998 sogar um 8,3 Prozentpunkte. PDS
und Bündnisgrüne waren in Branden-
burg mit 25,8 bzw. 3,3 Prozent in der ost-
deutschen Rangfolge auf Platz zwei –
nach Berlin (Ost) – vorgerückt. Die PDS
verzeichnete ein bislang einmaliges
Ergebnis in Brandenburg.
PD Dr. Richard Stöss
24
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
Landtagswahl 1999Zur Ausgangslage: Die Landtagswahl
fand für die SPD unter ungünstigen Rah-
menbedingungen statt: Erstens hatte
sich das Ansehen der SPD im Bundesge-
biet dramatisch verschlechtert, weil die
Regierung unter Bundeskanzler Schröder
außerordentlich unkoordiniert und unge-
schickt agierte, Regierung, Fraktion und
Partei kaum kooperierten und weil sich
die SPD in der Öffentlichkeit uneinig und
konzeptionslos präsentierte. Zweitens
befand sich die märkische CDU seit
Anfang 1999 auf dem Weg der Konsoli-
dierung: Im Herbst 1997 hatte der aus
Berlin (West) stammende Wolfgang
Hackel den Fraktionsvorsitzenden Peter
Wagner abgelöst, der das Amt des Lan-
desvorsitzenden aber weiterführte. Nach
der Bundestagswahl 1998 drehte sich das
Personalkarussell erneut. Hackel gewann
den Berliner Innensenator Jörg Schön-
bohm für das Amt des Parteivorsitzen-
den, das der ehemalige Bundeswehr-
General im Januar 1999 antrat. Zwei
Monate später wurde er zum Spitzenkan-
didaten der brandenburgischen CDU für
die bevorstehenden Landtagswahlen
gekürt. Schönbohm brachte die Partei auf
„Vordermann“ und betrieb eine
geschickte Öffentlichkeitsarbeit. Drittens
musste auch die alleinregierende SPD
Blessuren hinnehmen, weil sie in Affären
verstrickt, Filzvorwürfen ausgesetzt und
häufig mit Negativschlagzeilen konfron-
tiert war (Zimmermann, Kaminski, Hilde-
brandt etc.). Anstatt hart durchzugreifen
hat sich die Partei von optimistischen
Umfrageergebnissen „einlullen“ lassen.
Die SPD mobilisierte 39,3 Prozent der
(Zweit-)Stimmen und büßte damit ihre
absolute Mehrheit ein. Gegenüber der
Europawahl 1999 bedeutete das zwar
einen Zugewinn von 7,8 Prozentpunkten,
im Vergleich zur Landtagswahl 1994
hatte die SPD jedoch 14,8 Prozentpunkte
und im Vergleich zur Bundestagswahl
1998 immer noch 4,2 Prozentpunkte ver-
loren. Die CDU erlangte 26,6 Prozent, was
bezüglich der Bundestagswahl 1998 eine
Steigerung von 5,8 Prozentpunkten,
bezüglich der Europawahl 1999 aber ein
Verlust von 2,5 Prozentpunkten aus-
machte. Mit 23,3 Prozent konnte die PDS
zwar nicht an ihr Europaresultat 1999
(25,8%) anknüpfen, aber gegenüber den
Bundestagswahlen 1994 und 1998 und
erst recht gegenüber der Landtagswahl
1994 bedeutete dieses Ergebnis eine
ansehnliche Steigerung. Die Bündnisgrü-
nen setzten ihre Talfahrt fort und lande-
ten nun auf 1,9 Prozent. Die DVU brachte
es mit 5,3 Prozent auf fünf Landtagssitze.
Von den 44 Direktmandaten eroberte die
SPD 37, die CDU zwei und die PDS fünf.
Die SPD verlor insbesondere bei jungen
Wählern massiv an Unterstützung. 27
Prozent der 19-24jährigen wählten PDS,
26 Prozent CDU, 24 Prozent SPD und
neun Prozent DVU. Für die SPD bedeutete
25
dies ein Verlust gegenüber 1994 von 24
Prozentpunkten in dieser Altersgruppe.
Unter den sozialen Gruppen fand die SPD
bei den Rentnern, bei den Arbeitern und
bei den gewerkschaftlich organisierten
Arbeitern und Angestellten überdurch-
schnittliche Unterstützung. Durch-
schnittliche Resonanz gab es bei den
Angestellten (Verlust gegenüber 1994: 15
Prozentpunkte), unterdurchschnittliche
Ergebnisse bei den in Ausbildung befind-
lichen Wählern, bei Arbeitslosen, Beam-
ten, Selbständigen und Landwirten. Die
SPD blieb Mehrheitspartei bei den Arbei-
tern (44%), Angestellten (39%), Beamten
(35%) und Landwirten (39%) und natür-
lich bei den Gewerkschaftsmitgliedern
(45%). Die CDU erreichte nur bei den
Selbständigen (39%) und bei den in Aus-
bildung befindlichen Personen (28%) die
(relative) Mehrheit. Die PDS stand nach
der SPD bzw. der CDU an zweiter Stelle
bei den Auszubildenden (27%), bei
Arbeitslosen (29%), Angestellten (28%)
und bei Gewerkschaftsmitgliedern (27%).
Hinsichtlich der Kompetenzzuschrei-
bungen an die Parteien ist bemerkens-
wert, dass 35 Prozent der Brandenburger
die allgemeine wirtschaftliche Lage im
Lande negativ beurteilten. 1994 taten
dies nur 28 Prozent und auch im Bundes-
durchschnitt 1999 äußerten sich nur 23
Prozent entsprechend. Die Märker waren
vor der Landtagswahl also sehr pessimi-
stisch gestimmt. Im Vergleich zu 1994
büßte die SPD in den wichtigen Politikbe-
reichen erheblich Kompetenz ein: in der
Wirtschaftspolitik von 47 Prozent auf 31
Prozent, bei der Schaffung von Arbeits-
plätzen von 45 Prozent auf 22 Prozent
und bei der Kriminalitätsbekämpfung
von 28 Prozent auf 14 Prozent. Die CDU
verbesserte sich im gleichen Zeitraum in
der Wirtschaftspolitik von 15 Prozent auf
20 Prozent und bei der Schaffung von
Arbeitsplätzen von 10 Prozent auf 19 Pro-
zent, blieb aber jeweils hinter der SPD
zurück. Bei der Kriminalitätsbekämpfung
erfuhr sie ein Zuwachs von zehn Prozent
auf 18 Prozent und überholte damit die
SPD. Die Unzufriedenheit mit den Lei-
stungen der Landesregierung ist also
zwischen 1994 und 1999 stark angewach-
sen.
Hinsichtlich der Koalitionspräferenz
neigten die Brandenburger eher zu einer
großen Koalition (fanden 47% gut und
29% schlecht) als zu einer SPD-PDS-Koali-
tion (fanden 35% gut und 42% schlecht).
Nur knapp ein Drittel der Befragten
sprach sich vor der Wahl für eine SPD-
Alleinregierung aus.
Bei der Beurteilung der Spitzenkandi-
daten schnitt Manfred Stolpe weitaus
besser ab als Jörg Schönbohm. Stolpe
brachte es bei der Bevölkerung insgesamt
PD Dr. Richard Stöss
26
9 Die Mittelwerte beziehen sich auf eine Skala von +5 bis -5.
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
auf einen Mittelwert9
von 2.3 (1994: 2.5;
1990: 1.6), bei den SPD-Anhängern auf 3.8
(1994: 3.5; 1990: 2.4). Schönbohm wurde
mit einem Mittelwert von 0.4 im Ver-
gleich zu seinen Vorgängern zwar durch-
schnittlich positiv, aber doch sehr zurück-
haltend eingestuft (Wagner 1994: -0.3;
Diestel 1990: -0.6). Die CDU-Wähler
benoteten Schönbohm mit 2.4 (Wagner:
0.9). 58 Prozent der Brandenburger insge-
samt (1994: 81%; 1990: 56%) und 85 Pro-
zent der SPD-Anhänger (1994: 97%)
wünschten sich Stolpe als Ministerpräsi-
denten, für Schönbohm optierten 13 Pro-
zent aller Befragten (Wagner: 7%; Diestel:
29%) und 53 Prozent der CDU-Anhänger
(Wagner: 35%). 21 Prozent der CDU-
Wähler sprachen sich dagegen für Stolpe
aus (1994: 46%; 1990: 30%). Dem Mini-
sterpräsidenten bescheinigten zudem 79
Prozent der Befragten (98% der SPD-
Wähler, 83% der PDS-Wähler und 65% der
CDU-Wähler), dass er seine Arbeit bisher
eher gut gemacht hat. Insgesamt war die
Popularität von Stolpe also nach wie vor
sehr hoch, aber im Vergleich zu 1994 doch
rückläufig. Schönbohm lag weit zurück,
hatte aber zumeist ein besseres Image
als Wagner und Diestel.
Die herben Verluste der SPD und die
Zugewinne der CDU hatten bundespoliti-
sche und landespolitische Ursachen. Die
CDU profitierte primär von der Unzufrie-
denheit mit den Leistungen der Bundes-
regierung. Denn die Zufriedenheit mit
der märkischen CDU war im Lande
gering. Auch Schönbohm erhielt nur
mäßige Bewertungen. Allerdings hatten
sich die Kompetenzzuschreibungen der
CDU in den vergangenen Jahren deutlich
verbessert. Die brandenburgische SPD
wurde nicht nur aus bundespolitischen,
sondern auch aus landespolitischen
Beweggründen abgestraft. Die Leistun-
gen der Regierung in Potsdam stießen
nur auf schwachen Beifall, die Abwande-
rer von der SPD bemängelten vor allem
ein Defizit an sozialer Gerechtigkeit. Eine
absolute Mehrheit für die SPD erwarte-
ten nur noch 20 Prozent der Brandenbur-
ger und ganze 26 Prozent der SPD-
Anhänger.
Brandenburg bildet die Hochburg der
Sozialdemokratie in Ostdeutschland. Im
Vergleich zu den SPD-Landesverbänden
in den übrigen vier neuen Bundeslän-
27
10 Untersuchungsbasis sind die in Abschnitt 2 aufgelisteten neun Wahlen: die Volkskammerwahl,
drei Bundestagswahlen, drei Landtagswahlen und zwei Europawahlen.
3. Zur Entwicklung und Struktur des Parteienwettbewerbs in Brandenburg10
dern und zur SPD in Berlin (Ost) erzielte
die märkische SPD bei nationalen
Wahlen stets das beste Ergebnis, unab-
hängig davon, ob sich die Stimmung in
der Republik für oder gegen die SPD aus-
wirkte. Allein bei der Volkskammerwahl
1990 besetzte sie nach Berlin (Ost) den
zweiten Platz. Und mit Ausnahme der
Volkskammerwahl und der ersten
gesamtdeutschen Bundestagswahl –
mit Ausnahme also der Einheitswahlen,
die von der Union dominiert worden
waren – schnitt sie in Brandenburg
immer – teilweise sogar wesentlich –
besser als die CDU ab.
Die märkische CDU bildete dagegen
permanent das Schlusslicht im ostdeut-
schen und seit der Europawahl 1994
sogar im bundesweiten Länderver-
gleich. Schlechtere Ergebnisse als in
Brandenburg musste sie stets nur in
Berlin (Ost) hinnehmen. Brandenburg
ist also nicht nur die Hochburg der Sozi-
aldemokratie in Ostdeutschland, son-
dern zugleich die CDU-Diaspora
schlechthin. Selbst bei der Europawahl
1999, bei der die CDU/CSU bundesweit
wegen des katastrophalen Erschei-
nungsbildes von Rot-Grün die absolute
Mehrheit nur knapp verfehlte, bildete
die inzwischen von Jörg Schönbohm
konsolidierte CDU in Brandenburg mit
nicht einmal 30 Prozent wiederum die
rote Laterne am Geleitzug der Unions-
verbände.
Für die Grünen war Brandenburg zu-
nächst – neben Berlin (Ost) – ein beson-
ders aussichtsreiches Wahlgebiet. Infolge
innerer Zerstrittenheit und gravierender
politischer Fehler hat sich die Partei
jedoch selbst um potentielle Erfolge
gebracht. Die anfangs in der Mark durch-
aus chancenreichen Liberalen haben sich
rasch zu einer reinen Mittelstandspartei
entwickelt, die neben der CDU keine Exi-
stenzberechtigung hat. Die PDS-Ergeb-
nisse in Brandenburg bewegten sich
stets im Mittelfeld aller ihrer ostdeut-
schen Resultate. Erstmalig bei der Euro-
pawahl 1999 lag sie in Brandenburg mit
knapp 26 Prozent nach Berlin (Ost) an
zweiter Stelle.
Die Dominanz der SPD in Brandenburg
beruht also zunächst einmal auf der
Schwäche ihrer Konkurrenten.
Als weitere Ursache ist die außerge-
wöhnliche Popularität von Manfred Stol-
pe hervorzuheben, der zeitweilig sogar
die besten Noten im Vergleich aller ande-
ren Ministerpräsidenten in der Bundesre-
publik erhielt.
Anders als im übrigen Ostdeutsch-
land kann die SPD in Brandenburg
zudem auf eine solide gesellschaftliche
Verankerung verweisen. Bereits bei der
Landtagswahl 1990 war sie relative
Mehrheitspartei unter den Arbeitern
und Angestellten geworden. 1994
erreichte sie sogar die absolute Mehr-
heit bei allen Arbeitnehmergruppen,
PD Dr. Richard Stöss
28
die sie auch wieder mehrheitlich bei
der Landtagswahl 1999 wählten. Unab-
hängig vom Auf und Ab ihrer Zweit-
stimmenanteile wurde die SPD von den
Arbeitern und von den Gewerkschafts-
mitgliedern stets überdurchschnittlich
häufig gewählt. Wenig Anziehungs-
kraft übt sie hingegen auf junge Leute
und auf Selbständige aus (vgl. auch
Tabelle 3). Die märkische Sozialdemo-
kratie kann folglich als die Partei der
(insbesondere gewerkschaftlich orga-
nisierten) Arbeitnehmer in Branden-
burg bezeichnet werden (vgl. dazu aber
die einschränkenden Bemerkungen
weiter unten).
Die solide gesellschaftliche Veranke-
rung der SPD kommt auch darin zum
Ausdruck, dass sich in der zweiten Hälfte
der neunziger Jahre im Schnitt knapp 25
Prozent der wahlberechtigten Branden-
burger als treue Anhänger der Partei
bezeichneten. 1996/97 lag der Wert nur
bei 21 Prozent, 1998 stieg er auf 25 Prozent
und 1999 sank er wieder auf 22 Prozent
(vgl. Tabelle 2). Insgesamt handelt es sich
für ostdeutsche Verhältnisse um ein sehr
hohes Niveau an Parteibindungen. Denn
es bezieht sich auf die Wahlberechtigten
insgesamt, die sich nur rund zur Hälfte
bis zu drei Vierteln an Wahlen beteiligen.
Die märkische SPD verfügt also über ein
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
29
Tabelle 3Das Wahlverhalten in den sozialen Gruppen bei Landtagswahlen in Brandenburg1990-1999 (Abweichungen vom SPD-Ergebnis in Prozentpunkten)
Datenquelle: Forschungsgruppe Wahlen (FGW).
SPD-Ergebnis
Rentner
in Ausbildung
Arbeitslos
Arbeiter
Angestellte
Beamte
Selbstständige
Landwirte
Gewerkschaftsmitglieder
Gewerksch. + Arbeiter
Gewerksch. + Angestellte
1990
38,2
+5
-12
+2
+4
-14
1994
54,1
+2
-9
+1
+3
-1
-6
-13
-8
+3
+7
-1
1999
39,3
+8
-16
-6
+5
0
-4
-12
0
+6
+10
+5
relativ großes Wählerreservoir, das sie
allerdings bei Wahlen auch an die Urnen
bringen, eben mobilisieren muss.
Hinsichtlich der vorrangigen Partei-
kompetenzen hatte die SPD einen
schlechten Start. 1990 lag die Wirt-
schaftskompetenz bei der CDU und bei
der Kompetenz zur Schaffung neuer
Arbeitsplätze wurden beide Parteien
gleich bewertet. Bis zur Landtagswahl
1994 erarbeitete sich die SPD dann in
allen Politikbereichen einen überwälti-
genden Kompetenzvorsprung gegenü-
ber der CDU, der die Wähler in Sachen
Wirtschaft und Arbeitslosigkeit so gut
wie nichts zutrauten. Dieser Kompetenz-
vorsprung bedeutete eine enorme
Anspruchshaltung, der die SPD objektiv
nicht gerecht werden konnte, in ihrer
praktischen Politik in der zweiten Hälfte
der neunziger Jahre aber auch nicht
annähernd gerecht wurde. Bis zur Land-
tagswahl 1999 ist ein teilweise dramati-
scher Kompetenzverfall der SPD, insbe-
sondere bei der Bekämpfung der Arbeits-
losigkeit, zu verzeichnen, während sich
PD Dr. Richard Stöss
30
Tabelle 2Bundestagswahlabsicht nach Wählertypen in Brandenburg 1994-1999 (%)
Jahresdurchschnittswerte, ungewichtet. Datenquelle: Forsa.
WiW Wiederwähler: Wollen dieselbe Partei wählen wie beim letzten Mal.
PW Parteiwechsler: Wollen eine andere Partei wählen wie beim letzten Mal.
EW Einwähler: Waren beim letzten Mal Nichtwähler, wollen sich nun an der Wahl beteiligen.
Rest Jungwähler,Wähler sonstiger Parteien, Unentschiedene.
CDU-WiW
CDU-PW
CDU-EW
SPD-WiW
SPD-PW
SPD-EW
B90-WiW
B90-PW
B90-EW
PDS-WiW
PDS-PW
PDS-EW
Rest
1994
17
1
1
26
7
3
2
1
0
6
2
1
32
1995
23
1
1
25
2
2
2
1
1
6
1
1
35
1996
19
1
2
21
3
2
2
1
0
6
2
1
40
1997
13
1
1
21
5
5
2
1
1
6
1
1
43
1998
12
1
1
25
6
5
1
1
0
5
1
1
40
1999
13
3
2
22
1
2
1
0
0
6
2
1
49
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
die Beurteilungen der CDU gleichzeitig
verbesserten. Bei der Kriminalitäts-
bekämpfung überholte sie die SPD sogar.
Die bisherige Wahlgeschichte Bran-
denburgs zeigt, dass die SPD zwar die
dominierende politische Partei ist, dass
sie aber über keine strukturelle, dauer-
hafte Mehrheit in der Mark verfügt. Ihr
überragendes Wahlergebnis bei der
Landtagswahl 1994 stellte gewisser-
maßen einen „Ausreißer“ dar, der nur
unter ungewöhnlich günstigen Rah-
menbedingungen möglich war. Dabei
handelte es sich vor allem um die tiefe
Krise der CDU und das von der SPD
nicht zu verantwortende Scheitern des
„Brandenburger Wegs“. Das tatsächli-
che Wählerpotential der SPD in Bran-
denburg dürfte bei rund 45 Prozent lie-
gen.
Fazit: Die SPD konnte sich in Branden-
burg eine dominierende Stellung erarbei-
ten, dabei hat sie allerdings erheblich von
der Schwäche ihrer Mitbewerber und von
der außerordentlichen Popularität von
Manfred Stolpe profitiert.
Stellt Brandenburg auch die Hochburg
der Sozialdemokratie in Ostdeutschland
dar, so unterscheidet sich die Wettbe-
werbssituation der märkischen SPD doch
nicht prinzipiell von der ihrer Schwester-
verbände in den anderen östlichen Bun-
desländern. Die SPD nimmt im Parteien-
gefüge Ostdeutschlands eine Mittelposi-
tion zwischen CDU und PDS ein. Diese
Mittelposition bietet die Chance, aus bei-
den Richtungen Wähler zu gewinnen, sie
birgt aber auch die Gefahr, in beide Rich-
tungen Wähler zu verlieren. Um zentrifu-
gale Tendenzen abzuwehren und um
zentripetale Bewegungen zu begünsti-
gen, ist die ostdeutsche SPD – mehr als
CDU und PDS – auf ein klares und attrak-
tives politisches Profil angewiesen, das
Abwanderungen verhindert und neue
Wähler anlockt. Profil ist aber auch not-
wendig, um treue Wähler zu binden und
sie zur Wahlteilnahme zu motivieren. Da
sich mangelndes Profil nicht dauerhaft
durch populäre Spitzenkandidaten erset-
zen lässt, die – nebenbei bemerkt – eher
ein Glücksfall als die Regel darstellen,
handelt es sich bei der Profilbildung um
eine Daueraufgabe der ostdeutschen
SPD, die die Bedeutung dieser Dauerauf-
gabe meines Erachtens unterschätzt.
Bei der Auswertung von Umfragedaten
aus der ersten Hälfte des Jahres 1999
hatte sich bereits gezeigt, dass die märki-
sche SPD ihre Anhänger nicht voll mobili-
sieren kann. Stammwähler beobachten
ihre Partei zumeist besonders kritisch.
31
4. Zur Profilschwäche der SPD
PD Dr. Richard Stöss
Wenn sie unzufrieden sind, wandern sie
normalerweise nicht zu einer anderen
Partei, sondern ins Nichtwählerlager ab.
Wenn sie in Umfragen nach ihrer Wahl-
absicht befragt werden, nennen sie nicht
„ihre“ Partei, sondern antworten, dass sie
sich noch nicht entschieden hätten, wel-
cher Partei sie ihre Stimme geben wür-
den, wenn am kommenden Sonntag
Wahlen wären (Unentschiedene). So war
es auch in der ersten Hälfte des Jahres
1999:Viele ehemalige SPD-Wähler erklär-
ten sich zu Unentschiedenen, teilweise
auch zu Nichtwählern. Abwanderungs-
tendenzen zu anderen Parteien machten
sich nur erst ansatzweise bemerkbar. Bei
der Landtagswahl im September 1999
sorgten dann sowohl das Mobilisierungs-
defizit als auch die Wählerabwanderun-
gen (zumeist zur CDU und zur PDS) für
ein enttäuschendes Wahlergebnis.
Beides, Mobilisierungsdefizit und Wäh-
lerabwanderungen, basieren auf dersel-
ben Ursache, der Profilschwäche der SPD
in Brandenburg (aber nicht nur dort).
Da Profil eine zentrale Kategorie für die
Wettbewerbsstrategie der Ost-SPD
bedeutet, muss zunächst gefragt wer-
den, was damit gemeint ist oder gemeint
sein könnte. Ich will vorab sagen, dass ich
den Begriff nicht sonderlich schätze, ihn
aber verwende, weil er sich in der Alltags-
sprache eingebürgert hat. Landläufig ist
damit gemeint, dass sich ein Ding durch
mehr oder weniger scharfe Kanten von
anderen Dingen sinnlich erfahrbar unter-
scheidet. Nun dürfen sich Parteien in
einer Demokratie gar nicht scharfkantig
voneinander abgrenzen. Schon ein Klassi-
ker der Parteiensoziologie, Sigmund Neu-
mann, stellte 1932 fest, dass jede Partei
ihrem Wesen nach Absonderung und Teil
der Gesamtheit sei, dass im Begriff des
Teils aber der Bezug auf die „Ganzheit“
eingeschlossen sei. „Nur wenn eine
gemeinsame Grundlage für die auf spezi-
fische Wünsche ausgerichteten Parteien
besteht, wird der politische Kampf nicht
zum Auseinanderbrechen der Gesamt-
heit führen. Nur wenn es Entscheidendes
gibt, das eint, kann Trennendes ausgegli-
chen werden.“ Mit anderen Worten: Zwi-
schen den Parteien muss es zugleich Kon-
sens und Konflikt geben, sonst funktio-
niert der demokratische Wettbewerb
nicht. Beim Parteienwettbewerb ist auch
aus wahlstrategischen Gründen von
strikten Abgrenzungen (z. B. von starker
Polarisierung) abzuraten. Zum einen
wirkt „Parteiengezänk“ auf die Wähler
eher abstoßend und zum anderen wer-
den dadurch Wählerbewegungen er-
schwert. Die meisten Parteien sind
jedoch auf Wechselwähler angewiesen,
um optimale Resultate zu erzielen. Das
Kunststück besteht also darin, ein klares
Profil zu entwickeln, ohne sich nach
außen abzuschotten.
Mehr Tiefgang für sozialwissenschaft-
liche Betrachtungen hat die Vorstellung,
32
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
33
dass sich das Profil eines Objekts aus der
Summe seiner hervorstechenden Eigen-
schaften ergibt. Eine Institution wäre
dann profiliert, wenn sie sich durch spezi-
fische Wesensmerkmale auszeichnet, die
– in dieser Konstellation – auf keine
andere Institution zutreffen. Entschei-
dend ist also nicht die Abgrenzung nach
außen, sondern die positive Bestimmung
der internen Gemeinsamkeiten. Und da
Parteien keine hierarchischen homoge-
nen Blöcke bilden, sondern pluralistische,
kollektive Akteure darstellen, lässt sich
die Frage nach dem Profil einer Partei auf
die Frage zuspitzen, worin denn – jetzt
nenne ich den Begriff, der mir in diesem
Zusammenhang präziser erscheint – ihre
Identität besteht.
Woraus könnte die SPD ihre Identität beziehen?
Aus ihrer Herkunft? Die Ost-SPD blickt
bekanntlich auf eine sehr kurze Geschich-
te zurück.Von einer historischen Tradition
kann keine Rede sein. Und während ihrer
Entstehung 1989/90, im Prozess der Iden-
titätsbildung, erfuhr sie mehrere Iden-
titätsbrüche, die für die Festigung ihres
Selbstbewusstseins nicht gerade förder-
lich waren. Der Anschluss an die West-
SPD konnte mit Blick auf die Herkunft
auch keine identitätsstiftende Wirkung
haben, weil die Mitglieder und Wähler
der SPD in Ostdeutschland unter völlig
anderen gesellschaftlichen Bedingungen
sozialisiert worden sind als die in West-
deutschland. Überdies verstand sich die
Ost-SPD als eine Partei, die aus der Men-
schenrechts-, Friedens- und Ökologiebe-
wegung hervorgegangen ist, während
die West-SPD in der Tradition der Arbei-
ter- und Gewerkschaftsbewegung steht.
Herkunft hat auch etwas mit sozialer
Basis zu tun: gemeinsame soziale Her-
kunft, gemeinsame Erfahrungen, ge-
meinsame Lebenslagen und gemein-
same Interessen. Ich habe die märkische
SPD oben als die Partei der Arbeitnehmer
bezeichnet. Könnte darin ein identitäts-
stiftendes Element liegen? Meine Ant-
wort lautet: nein. Die SPD ist zwar seit
1990 Mehrheitspartei der Arbeitnehmer
(Arbeiter, Angestellte und Beamte) in
Brandenburg,aber daraus ergibt sich kein
eigenständiges Profil gegenüber anderen
Parteien. Dies wäre erst der Fall, wenn die
SPD von spezifischen sozialen Gruppen
besonders, von anderen dagegen kaum
präferiert werden und sich dadurch von
den anderen Parteien unterscheiden
würde. Tabelle 3 zeigt, dass die SPD von
keiner sozialen Gruppe deutlich über-
durchschnittlich gewählt wird. Eine Aus-
nahme bilden allenfalls die gewerk-
schaftlich organisierten Arbeiter. Dabei
ist allerdings zu berücksichtigen, dass ein
um sieben bzw. zehn Prozentpunkte
überdurchschnittliches Ergebnis noch
kein markantes Profil ausmacht. Das
PD Dr. Richard Stöss
wäre bei wenigstens 15 bis 20 Prozent-
punkten der Fall. Noch deutlicher wird
dies, wenn man die Wahlabsicht der
gesellschaftlichen Schichten betrachtet
(Tabelle 4): Jeweils rund ein Viertel der
Unter-, Mittel- und Oberschicht11
zählt zu
den Daueranhängern und etwa jeweils
sieben Prozent der drei Schichten bilden
die Wechselwähler der SPD. Sie wird also
von keiner der Schichten besonders be-
vorzugt. Dasselbe gilt für die CDU, aller-
dings auf einem Niveau von rund 20 Pro-
zent bei den Wiederwählern und von drei
Prozent bei den Wechselwählern. CDU
und SPD unterscheiden sich also nicht
hinsichtlich der Sozialstruktur ihrer Wäh-
34
11 Die Schichten wurden nach Einkommen und Bildung konstruiert. Die Unterschicht (44% der
Befragten) besteht überwiegend aus Arbeitern und einfachen Angestellten, die Mittelschicht
(39% der Befragten) zumeist aus mittleren und höheren Angestellten und Beamten und teil-
weise auch aus Selbständigen, die Oberschicht (17% der Befragten) besteht überwiegend aus
leitenden Angestellten, gehobenen Beamten, Akademikern und Selbständigen.
Tabelle 4Die Wahlabsicht der gesellschaftlichen Schichten in Brandenburg 1995-1997(Durchschnittswerte, %)
Durchschnittswerte, ungewichtet. Datenquelle: Forsa.
WiW Wiederwähler: Wollen dieselbe Partei wählen wie beim letzten Mal.
WW Wechselwähler:Wollen eine andere Partei wählen wie beim letzten Mal
oder waren beim letzten Mal Nichtwähler und wollen sich nun an der Wahl beteiligen.
Rest Jungwähler,Wähler sonstiger Parteien, Unentschiedene.
Unterschicht: Befragte mit geringer Bildung und geringem Einkommen (= 44%)
Mittelschicht: Befragte mit mittlerer Bildung und mittlerem Einkommen (= 39%)
Oberschicht: Befragte mit hoher Bildung und hohem Einkommen (=17%)
(Vgl. auch Anm. 11)
CDU-WiW
CDU-WW
SPD-WiW
SPD-WW
PDS-WiW
PDS-WW
B90/G-WiW
B90/G-WW
Rest
Unterschicht
21
3
24
7
5
2
1
1
37
Mittelschicht
17
3
25
7
6
2
2
2
36
Oberschicht
18
3
23
6
11
2
5
3
31
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
35
ler, sondern hinsichtlich der Größe ihrer
Wählerschaft. Die Zusammensetzung
ihrer Wählerschaften ist nahezu iden-
tisch, wie Tabelle 5 ausweist. Sozialstruk-
turell profiliert sind dagegen die Bünd-
nisgrünen und die PDS. Beispiel PDS: Fünf
Prozent der Unterschicht und sechs Pro-
zent der Mittelschicht aber 11 Prozent der
Oberschicht bekennen sich als treue
Wähler der Postkommunisten (Tabelle 4).
Statistisch ausgedrückt: Je höher der
soziale Status desto größer die Wahr-
scheinlichkeit, dass ein Befragter Wieder-
wähler der PDS ist. Ein derartiger Zusam-
menhang findet sich weder bei der SPD
noch bei der CDU. Die SPD verfügt mithin
weder über eine historische noch über
eine sozialstrukturelle Identität.
Die grundlegenden Ziele einer Partei
kommen besonders in den Wertorientie-
rungen ihrer Mitglieder und Wähler sowie
in den Grundwerten ihrer Programmatik
zum Ausdruck. Ob die SPD in Ostdeutsch-
land bzw. in Brandenburg über einen
Kranz von identitätsstiftenden Zielen ver-
fügt, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt
nicht abschließend beantwortet werden,
weil dazu kaum Forschungen vorliegen.
Meine eigenen Untersuchungen für das
Jahr 1994 stimmen eher skeptisch: Die
Wertorientierungen der SPD-Wähler-
schaft in Brandenburg entsprechen weit-
hin dem Bevölkerungsquerschnitt und
sind recht pluralistisch strukturiert. Ein
spezielles Profil – im Vergleich etwa zu
CDU und PDS – wird nicht erkennbar.
Tabelle 5Die Zusammensetzung der Wählergruppen der Parteien nach gesellschaftlichenSchichten in Brandenburg 1995-1997 (Durchschnittswerte, %)
Legende siehe Tabelle 4
CDU-WiW
CDU-WW
SPD-WiW
SPD-WW
PDS-WiW
PDS-WW
B90/G-WiW
B90/G-WW
Rest
Unterschicht
48
44
44
47
34
38
24
32
46
Mittelschicht
36
37
40
38
38
45
40
44
39
Oberschicht
16
19
16
15
29
17
36
24
15
PD Dr. Richard Stöss
Die Profilschwäche der SPD in Ost-
deutschland hat vor allem zwei Ursa-
chen: Die Partei ist noch sehr jung und
der gesellschaftliche Umwälzungspro-
zess in den neuen Ländern (Transforma-
tion) ist noch nicht zum Abschluss
gelangt. Dauerhafte Allianzen von politi-
schen Eliten und sozialen Gruppen konn-
ten sich unter diesen Bedingungen kaum
herausbilden. Im Vergleich zu den übri-
36
Identitätsfördernd können sich auch
institutionelle Verfahrensweisen auswir-
ken: das Parteileben, das Zusammen-
gehörigkeitsgefühl der Mitglieder, die
interne Kommunikation oder die Bei-
trittsmotive. Untersuchungen über den
organisatorischen Zusammenhalt der
SPD in Brandenburg sind mir nicht
bekannt und daher ist auch keine Aus-
sage darüber möglich, ob die SPD durch
eine institutionelle Identität gekenn-
zeichnet ist.
In diesem Zusammenhang ist auch die
Frage zu beantworten, ob die Identität
der SPD über Personen (Stolpe, Hilde-
brandt, Reiche, Platzeck etc.) gestiftet
werden kann: Dies ist gerade in Ost-
deutschland durchaus möglich und in
Brandenburg offenbar auch der Fall. Nur
eben vermag Personalisierung weder
eine gemeinsame Tradition noch
gemeinsame Grundwerte zu ersetzen,
jedenfalls nicht langfristig. Dazu eine
ergänzende Bemerkung: Ich habe ein-
gangs auf das Risiko hingewiesen, dass
besonders populäre Spitzenpolitiker
durch hohe Erwartungen an ihre Lei-
stungsfähigkeit auch überfordert wer-
den können. Das überragende Landtags-
wahlergebnis der SPD von 1994, insbe-
sondere die traumhafte Benotung von
Stolpe und die massiven Kompetenzzu-
schreibungen für die SPD in allen Poli-
tikbereichen, bedeuteten nicht nur
Zustimmung zur bisherigen Arbeit der
Landesregierung, sie signalisierten auch
eine enorme Erwartungshaltung an die
künftige Politik. Das schlechte Ergebnis
bei der Landtagswahl 1999 beruhte –
insoweit es hausgemacht war – sowohl
auf der objektiven Überlastung als auch
auf subjektiven Unzulänglichkeiten der
SPD und ihrer Politiker. Beides führte zu
einem Mobilisierungsdefizit und zu den
Wählerabwanderungen, weil der Bin-
dungskitt zwischen der Partei und ihren
Anhängern, das sozialdemokratische Pro-
fil, zu schwach war. Daraus ziehe ich die
Schlussfolgerung, dass sich die Profilie-
rung der SPD vor allem auf ihre grundle-
genden politischen Ziele erstrecken
sollte.
5. Chancen für die Profilbildung der SPD in Brandenburg: Grundwerte
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
37
gen ostdeutschen Landesverbänden
befindet sich die märkische SPD aller-
dings in einer komfortablen Situation,
weil es ihr gelungen ist, eine beachtliche
gesellschaftliche Verankerung zu errei-
chen. Aber auch sie befinden sich im Par-
teienwettbewerb, wie die übrigen SPD-
Verbände in Ostdeutschland, in einer
Mittelposition, woraus sich die erwähn-
ten Mobilisierungs- und Abwanderungs-
probleme ergeben.
Die SPD in Brandenburg wäre daher
gut beraten, wenn sie ihre – teilweise
sogar absolute – Mehrheitsposition bei
den Arbeitern, Angestellten und Beam-
ten als Ausgangsposition für eine geziel-
te Profilierung als Arbeitnehmerpartei
nutzt. Wenn es ihr gelingt, das Grundver-
trauen der Arbeitnehmer (einschließlich
der entsprechenden Rentnergruppen) zu
erlangen und daraus eine längerfristige
Allianz unter Einschluss der Gewerk-
schaften zu schmieden, würde sie sich
damit ein beträchtliches Mobilisierungs-
potential und zudem einen erheblichen
Wettbewerbsvorteil gegenüber der CDU
und der PDS erschließen. Anders als der
Union im Westen steht der Ost-CDU
nämlich kein konfessionell gebundenes
Wählerpotential von vergleichbarer Grö-
ße zur Verfügung, das ihr als dauerhafte
Mobilisierungsreserve dienen könnte. Sie
wird daher immer primär auf kurzfristige
und folglich fragile Wählerallianzen an-
gewiesen sein. Hinsichtlich der PDS muss
die SPD sehr auf der Hut sein, dass ihr die
Postkommunisten nach dem „demokrati-
schen Sozialismus“ und der „sozialen
Gerechtigkeit“ nun nicht auch noch die
Rolle der Arbeitnehmerpartei streitig
machen.
Welche Möglichkeiten stehen der SPD
in Brandenburg zur Verfügung, um ihr
Profil zu schärfen? Ich hatte im vorigen
Abschnitt dargelegt, dass die SPD trotz
ihrer starken Verankerung in der Arbeit-
nehmerschaft bislang keine sozialstruk-
turelle Identität ausgebildet hat. Ich
bezweifele,dass dies unter den Bedingun-
gen des sozialen Wandels überhaupt
noch möglich ist. Die wachsende Diffe-
renzierung der Gesellschaft, gerade auch
der Arbeiterschaft und der Angestellten-
schaft, verhindert nämlich, dass aus der
Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Groß-
gruppen gleichartige Erfahrungen, Ein-
stellungen und Interessen und damit
gleichgerichtete Parteipräferenzen er-
wachsen. Langfristige Allianzen zwischen
politischen Eliten und gesellschaftlichen
Gruppen lassen sich nur noch über ge-
meinsame Werte herstellen.
Unter Werten werden gesellschaftlich
bedeutsame Grundüberzeugungen von
Gruppen verstanden, die relativ dauer-
haft und von hohem Allgemeinheitsgrad
sind und Konzeptionen des Wünschens-
werten zum Ausdruck bringen. Werte
steuern politisches Verhalten. Sie regeln
die Auswahl zwischen unterschiedlichen
PD Dr. Richard Stöss
Handlungszielen. Allerdings liefern sie
keine speziellen Verhaltensanweisun-
gen, sondern nur globale Orientierungen
für Richtungsentscheidungen. Politische
Werte beziehen sich auf die Gestaltung
der gesellschaftlichen Ordnung insge-
samt. Wenn es sich um für eine Partei
besonders bedeutsame politische Werte
handelt, spricht man auch von Grund-
werten (Freiheit, Gerechtigkeit, Materia-
lismus, Autorität etc.).
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu
einer gezielten Profilierung durch
Grundwerte könnte darin bestehen,
eine Debatte in Gang zu setzen, deren
Resultat ein markanter Grundwerteka-
talog der SPD in Brandenburg ist, der die
märkische Sozialdemokratie hinsicht-
lich ihrer grundlegenden politischen
Anliegen deutlich von anderen Parteien
unterscheidet. Im diesem Katalog müs-
ste erstens die Identität von Herkunft
und Zukunft der Partei zum Ausdruck
gelangen. Er müsste zweitens mit den
Grundwerten der Bundespartei kompa-
tibel sein (was nicht den Verzicht auf
brandenburgische Spezifika bedeutet).
Und er müsste drittens den Erwartun-
gen der Bevölkerung bezüglich der
historisch-politischen Rolle der SPD
Rechnung tragen.
Dieser Aspekt ist besonders bedeut-
sam, weil die SPD gelegentlich dazu
neigt, die Rolle der „bürgerlichen“ Par-
teien zu übernehmen. Die Erwartungen
der Bevölkerung, das Außenbild der SPD,
hängen schließlich eng mit ihrer Ge-
schichte, mit ihren Erfolgen und Nieder-
lagen, mit ihren Leistungen und mit
ihrem Versagen zusammen.Während die
CDU als Partei der Durchschnittsbürger,
der Mittelklasse gilt, die für den Status
quo, für Ruhe und Ordnung und für Kon-
tinuität steht,verbindet man mit der SPD
Wandel, Reformen und Fortschritt und
erwartet von ihr, dass sie sich besonders
den Interessen des „kleinen Mannes“
annimmt. Als Reformpartei ist die SPD
daher – gerade in Krisenzeiten oder in
Umbruchsituationen – weitaus größeren
Anforderungen ausgesetzt als die CDU,
von der im Prinzip nur erwartet wird,
dass sie den Staat anständig regiert.
Nach Thomas Meyer, dem stellvertre-
tenden Vorsitzenden der Grundwerte-
kommission der Bundes-SPD, bedeutet
Sozialdemokratie die „historische Ver-
pflichtung auf die innere und unauflösli-
che Verbindung von Demokratie und
sozialer Gerechtigkeit“. Diese Formulie-
rung könnte den Ausgangspunkt für die
Wertedebatte in Brandenburg bilden,
weil die aufeinander bezogenen Begriffe
Demokratie und soziale Gerechtigkeit
durchaus geeignet erscheinen, den Grün-
dungskonsens der SDP/SPD und ihre poli-
tische Marschrichtung zu verklammern.
Und beide Begriffe enthalten im Kern
bereits die Abgrenzung gegenüber CDU
und PDS:Während die CDU ihre Identität
38
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
nicht gerade auf soziale Gerechtigkeit
stützen kann, repräsentiert die PDS hin-
sichtlich ihrer historischen Tradition eine
Variante totalitärer Herrschaft. Daraus
folgt keineswegs, dass die PDS heute und
in Zukunft als antidemokratische Partei
ausgegrenzt werden soll (das wäre für
die SPD eine folgenschwere Fehlentschei-
dung), das bedeutet aber, dass sie hin-
sichtlich ihrer Herkunft eine postkommu-
nistische Partei darstellt, die ihre Identität
daher nicht demokratisch fundieren
kann. Dennoch bemüht sie sich nach
Kräften, die Einheit von Demokratie und
sozialer Gerechtigkeit für sich zu rekla-
mieren. Hätte sie damit Erfolg, bedeutete
dies eine existenzielle Bedrohung der
SPD (nicht nur in Ostdeutschland). Das
Ziel der märkischen SPD, eine auf Grund-
werte gestützte Profilierung zu erreichen,
besteht also auch – und nicht zuletzt –
darin, die „historische Verpflichtung auf
die innere und unauflösliche Verbindung
von Demokratie und sozialer Gerechtig-
keit“ im öffentlichen Diskurs als Synonym
für Sozialdemokratie fest zu verankern
und damit auch vor postkommunisti-
schem Zugriff zu schützen.
Durch die Verbindung von Demokratie
und sozialer Gerechtigkeit könnte sich
die SPD auch als Arbeitnehmerpartei pro-
filieren und ihre diesbezügliche soziale
Verankerung verstetigen, ohne sich die
mittlerweile oft als „altbacken“ empfun-
dene Bezeichnung Arbeitnehmerpartei
demonstrativ ans Revers zu heften.
(Abgeschlossen im Mai 2000)
39
Tabelle 6Wahlabsicht zur Landtagswahl und zur Bundestagswahl in Brandenburg imMai/Juni 2000 (%) („Sonntagsfrage“)
Wahlberechtigte Bevölkerung, n = 943
Datenquelle: forsa/Deutsche Paul Lazarsfeld Gesellschaft.
CDU
SPD
FDP
B90/G
PDS
Sonstige
Unentschieden
Nichtwähler
Landtagswahl
15
34
2
2
10
2
23
12
Bundestagswahl
17
30
2
4
8
1
30
8
PD Dr. Richard Stöss
Nachtrag (Januar 2001)
Die oben beschriebenen Merkmale des
Parteienwettbewerbs in Brandenburg
haben sich seit der Landtagswahl 1999
nicht verändert. Der CDU gelang es bis-
her nicht, in der Großen Koalition ihre
Wettbewerbsposition zu verbessern. Und
auch die Befürchtungen, die Wettbe-
werbschancen der SPD könnten sich in
Folge des Regierungsbündnisses mit der
CDU verschlechtern, haben sich nicht
bewahrheitet. Im Gegenteil.
Ein Blick auf die Umfrageergebnisse
zeigt, dass die märkische SPD ihr Formtief
von 1999 überwunden hat. Das dürfte
teilweise darauf beruhen, dass die Bun-
desregierung Tritt gefasst und respekta-
ble Ergebnisse vorzuweisen hat. Die
Daten in Tabelle 612
signalisieren aber
auch, dass der Bundestrend nicht maß-
geblich für den Wählerrückhalt der bran-
denburgischen SPD ist. Im Sommer ver-
gangenen Jahres hätten 34 Prozent der
Brandenburger bei einer (fiktiven) Land-
tagswahl die SPD gewählt, bei einer (fikti-
ven) Bundestagswahl nur 30 Prozent. Bei
diesen Zahlen handelt es sich allerdings
um Bruttowerte, weil etwa 35 Prozent der
Befragten noch unentschieden waren
oder sich gar nicht an einer Bundes- oder
Landtagswahl beteiligen wollten. Schätzt
man auf der Grundlage dieser Brutto-
werte die tatsächliche Wahlstärke der
Parteien zum Befragungszeitpunkt, dann
ergibt sich folgendes Resultat (zum Ver-
gleich die Ergebnisse des Brandenburg-
Barometers September 2000 von Infra-
test dimap):
Wohlgemerkt: Dabei handelt es sich
um Schätzungen. Die Unterschiede zwi-
schen beiden Befragungen dürften auch
auf verschiedenartigen Schätzmethoden
beruhen und sollten daher nicht auf die
Goldwaage gelegt werden. Jedenfalls
liegt die SPD mit rund 45 Prozent deutlich
über ihrem Landtagswahlergebnis von
1999 (39,3%) und dürfte damit ihr
tatsächliches Wählerpotenzial mehr oder
weniger ausgeschöpft haben. CDU und
PDS stagnieren (mit leicht fallender Ten-
denz).
Die SPD profitiert also nach wie vor von
der Schwäche ihrer Konkurrenten. Wei-
tere Analysen über die Wertorientierun-
gen der Parteianhänger in Brandenburg,
40
CDU
SPD
FDP
B90/G
PDS
Sonstige
Forsa
24
46
2
3
20
5
Infratest
dimap
25
44
3
3
21
4
12 Datenerhebung durch forsa im Mai/Juni 2000 im Auftrag der Deutschen Paul Lazarsfeld Gesell-
schaft und des Otto-Stammer-Zentrums am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der
Freien Universität Berlin.
Wahlgeschichte und Wettbewerbssituation der SPD in Brandenburg
die hier nicht im Einzelnen referiert wer-
den können, belegen, dass sich die SPD
unverändert in der oben beschriebenen
Mittelposition befindet, daraus gegen-
wärtig allerdings Nutzen zieht. Sie hat
seit der Landtagswahl 1999 Wähler von
anderen Parteien hinzu gewonnen und
auch ehemalige Nichtwähler mobilisiert.
Dennoch besteht ihre Profilschwäche
fort. Die Partei wäre schlecht beraten,
ließe sie sich wiederum von den guten
Umfrageergebnissen „einlullen“. Die
Identitätsfrage bleibt auf der Tagesord-
nung.
41
PD Dr. Richard Stössist Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin
http://www.polwiss.fu-berlin.de/osi/osz/index.htm
Richard Stöss
42
Literatur
Feist, Ursula/Hans-Jürgen Hoffmann: Die Landtagswahlen in der ehemaligen DDR
am 14. Oktober 1990:Föderalismus im wiedervereinten Deutschland – Traditionen
und neue Konturen, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 22. Jg. (1991), H. 1, S. 5-34.
Forschungsgruppe Wahlen: Wahl in den neuen Bundesländern. Eine Analyse der
Landtagswahlen vom 14. Oktober 1990, Berichte der Forschungsgruppe Wahlen
Nr. 60, Mannheim 1990.
Forschungsgruppe Wahlen: Wahl in Brandenburg. Eine Analyse der Landtagswahl
vom 11. September 1994, Berichte der Forschungsgruppe Wahlen Nr. 74, Mann-
heim 1994.
Forschungsgruppe Wahlen: Wahl in Brandenburg. Eine Analyse der Landtagswahl
vom 5. September 1999,Berichte der Forschungsgruppe Wahlen Nr. 97,Mannheim
1999.
Neugebauer, Gero: Aus dem Aufbruch an die Macht. Zehn Jahre SPD in Branden-
burg, in: Perspektiven des Demokratischen Sozialismus, 16. Jg. (1999), H. 4, S. 51-63.
Schmitt, Karl: Die Landtagswahlen 1994 im Osten Deutschlands. Früchte des
Föderalismus: Personalisierung und Regionalisierung, in: Zeitschrift für Parla-
mentsfragen, 26. Jg. (1995), H. 2, S. 261-295.
Schmitt, Karl: Die Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen vom 5. und 12.
September 1999: Landespolitische Entscheidungen im Schlagschatten der Bun-
despolitik, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 31. Jg. (2000), H. 1, S. 43-68.
Stöss, Richard/Gero Neugebauer: Die SPD und die Bundestagswahl 1998. Ursachen
und Risiken eines historischen Wahlsiegs unter besonderer Berücksichtigung der
Verhältnisse in Ostdeutschland, Berlin 1998 (Arbeitshefte aus dem Otto-Stam-
mer-Zentrum, Nr. 2).
Stöss, Richard/Oskar Niedermayer: Zwischen Anpassung und Profilierung. Die SPD
an der Schwelle zum neuen Jahrtausend, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Bei-
lage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 5 v. 28.1.2000, S. 3-11.
Auf dem 7. Parteitag der PDS Anfang
Oktober 2000 pries die Vorsitzende der
brandenburgischen PDS entsprechend der
neuen Linie der Gesamtpartei ihre Partei
als Hoffnungsträgerin für eine „Mitte-
Links-Koalition“ in Brandenburg. Mit der
Wahl des Vorsitzenden der brandenburgi-
schen SPD Matthias Platzeck verband sie
die Annahme,„dass die SPD wieder um ein
erkennbares sozialdemokratisches Profil
ringt“ (Tack 2000: 6). Sie beschrieb weder
das Profil der eigenen Partei noch gab sie
einen Hinweis auf den Stand der Struktur-
reform oder darauf, dass die PDS auf der
Suche sowohl nach neuen politischen
Strategien und Konzepten als auch nach
sie tragenden und umsetzenden Personen
ist. Bisher hat die brandenburgische SPD
die PDS ungeachtet ihrer Kooperationsan-
gebote an den staubigen Rand des Bran-
denburger Weges verwiesen und warum
die SPD angesichts einer schwachen CDU
den Partner wechseln sollte, ist nicht
ersichtlich. Was also hat die PDS der SPD
zu bieten? Nicht nur Anita Tack vermisst
den Ruf nach der PDS aus der brandenbur-
gischen Öffentlichkeit (Tack 2000a: 26)
und selbst aus den eigenen Reihen wird
treffend bemerkt, dass eine veränderte
Wahrnehmung der PDS erst dann eintre-
ten könnte, wenn sich die PDS zur Gesell-
schaft hin geöffnet habe und über politi-
sche Inhalte identifiziert werde (Berliner
Morgenpost, 14.11.2000). Der Wunsch
nach Aufwertung vermittelt den Frust der
Akteure an der Rolle der PDS als Opposi-
tion im Lande und ihre Überzeugung, dass
dieser Weg die Partei aus ihrem Dilemma
führen könne. Andere sehen das Dilemma
nicht in der Oppositionsrolle, die ver-
meintlich das Selbstverständnis der PDS-
Basis prägt, sondern in einer Entscheidung
für oder gegen einen Rollentausch mit
ungewissem Ausgang. Diese Auffassung
stellt immer noch eine realistischere Per-
spektive und eine Position mit Tradition
dar, als es vage Hoffnungen auf einen
Wechsel in die Position des Juniorpartners
sind. Konsequenterweise verfügte Lothar
Bisky für die PDS ein Ende des Geraunes
über eine rot-rote Koalition (Berliner Zei-
tung, 03.01.2001). Letzten Endes dürfte
ihm nicht verborgen geblieben sein, dass –
unabhängig von den Bauchschmerzen in
den eigenen Reihen und dem künftigen
Wählerverhalten – in der SPD Branden-
burgs die Akzeptanz der PDS noch auf
erhebliche Widerstände trifft.
43
Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?von Dr. Gero Neugebauer
Dr. Gero Neugebauer
44
Das Position der PDS im Parteiensy-
stem in Brandenburg ist nach inzwischen
drei Landtagswahlen weitgehend konso-
lidiert. Trotz mancher rhetorischer
Schlenker betrachten weder die SPD noch
die CDU die PDS auf der Landesebene als
koalitionsfähig. Da aber weder die FDP
noch Bündnis 90/Die Grünen eine rele-
vante Rolle im brandenburgischen Partei-
ensystem spielen,hat die PDS theoretisch
nur Chancen, sich mit Hilfe der SPD aus
der Opposition in die Regierung zu hie-
ven, während der SPD prinzipiell mehr
Optionen zur Verfügung stehen, wie die
Wahlresultate zeigen.
Auf den Abstieg 1990, die PDS verlor
auf allen Ebenen gegen ihre Hauptkon-
kurrenten deutlich, ist seit 1993 ein Auf-
stieg in den ostdeutschen Ländern
erfolgt. In Brandenburg bedrängte sie die
CDU erfolgreich auf der Kommunalebene
und ließ sie auf der Landes- wie auf der
Bundesebene nicht besonders gut ausse-
hen. Das gelang ihr gegenüber der SPD
nicht. Bei den Kommunalwahlen stieg die
Differenz zwischen den beiden Parteien
Tabelle 1Wahlergebnisse der Parteien in Brandenburg 1990-1999 (in Prozent)
Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung. Differenzen zu 100% durch Rundungen
* nur DVU
Wahl
VW 90
KW 90
LW 90
BW 90
KW 93
EW 94
LW 94
BW 94
BW 98
KW 98
EW 99
LW 99
PDS
22,8
16,6
13,3
11,0
21,1
22,6
18,7
19,3
20,3
21,6
25,8
23,3
SPD
29,9
28,0
38,2
32,9
34,5
36,9
54,4
45,0
43,5
38,9
31,5
39,3
CDU
34,3
31,8
29,4
36,3
20,5
23,4
18,7
28,1
20,7
21,4
29,1
26,5
B90/G
5,4
3,8
9,2
6,6
4,1
4,5
2,8
2,8
3,6
4,1
3,3
1,9
FDP
5,2
6,0
6,6
9,7
7,0
2,7
2,2
2,6
2,8
4,1
2,2
1,8
Sonst.
2,4
13,7
3,0
3,4
12,4
9,7
3,3
2,0
8,9
9,7
7,9
5,2*
Die PDS im brandenburgischen Parteiensystem
Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?
45
seit 1990 von elf auf über 17 Prozentpunk-
ten an, bei den Landtagswahlen schwan-
kte sie zwischen 25 (1990) und 36 (1994)
Prozentpunkten und lag zuletzt bei 16
Punkten, während bei nationalen Wahlen
der Abstand zwischen 1990 und 1998 von
sieben (VK-Wahl 1990) auf 23 (1998)
Punkte anstieg.
Die PDS zeigt sich besonders in der
kommunalen Politik, wo sie der CDU den
zweiten Platz bestreitet, stark. Kommu-
nalwahlergebnisse sind nicht vergleich-
bar mit Ergebnissen einer Landtags- oder
Bundestagswahl, weil in der kommuna-
len Politik die vor Ort handelnden Perso-
nen und deren Vertrautheit mit den dor-
tigen Problemen eine wichtige Rolle spie-
len. Da der Parteienwettbewerb auf der
lokalen Ebene mehr und mehr Bedeu-
tung erhält, kann die PDS für sich in
Anspruch nehmen, als Partei in den Kom-
munen befriedigend akzeptiert zu sein.
Die landespolitische Wirkung dieses
Potenzials ist jedoch beschränkt, denn
ihre kommunalen Mandatsträger verfü-
gen zwar über einen Draht zu den häufig
aus der Kommunalpolitik kommenden
Landtagsabgeordneten, nicht aber zur
Regierung. Da bezweifelt werden kann,
dass kommunalpolitische Erfolge quasi
automatisch landespolitische Kompe-
tenz nachweisen und damit förderlich für
Wahlerfolge auf Landes- oder sogar auf
Bundesebene werden können, kann
schlecht mit einem Verweis auf kommu-
nale Potenzen landespolitische Stärke
behauptet werden. Erst durch eine Regie-
rungsbeteiligung könnte die PDS ihre lin-
kage power, d.h. die Verbindung von
Parteifunktionen und Ämtern oder Man-
daten auf verschiedenen Ebenen im Land
erheblich ausbauen.
Insgesamt hat sich die Tendenz zur
Stabilisierung eines Drei-Parteiensy-
stems in Brandenburg verstetigt, ohne
dass damit zugleich gesagt werden
kann, dass die SPD nicht auch allein
(wieder) mehrheitsfähig sein könnte.
Die Chancen der PDS auf eine bessere
Platzierung sind unentschieden. Sie
hat gegenwärtig ein Potenzial von 63
Prozent Wiederwählern und ist damit
stärker von der Reduktion von Partei-
bindungen sowie erhöhter Wechselbe-
reitschaft der brandenburgischen
Wähler tangiert, als es die CDU (72,8 %)
oder die SPD (81,9 %) mit ihren relativ
hohen Anteilen an Wiederwählern
sind (FORSA 2000).
Tabelle 2Sozialstrukturelle Zusammensetzung der Wähler der PDS bei den Landtagswahlen in Brandenburg 1994 und 1999 sowie zur BTW 1998 (in %)
1 Anteil an der Wählerschaft
2 Anteil unter den Wählern der PDS
Quelle: FGW, LTW Brandenburg 1994: 15, LTW Brandenburg 1999: 18, BTW 1998, S. 24 (jeweils Wahl-
tagsbefragung)
LTW 1994Gesamt1
52,4
27,3
4,6
9,6
33,3
40,3
2,1
5,0
3,0
26,7
65,4
LTW 1994PDS2
54,4
22,7
5,9
12,3
26,9
51,2
3,4
4,1
1,8
32,0
63,3
LTW 1999Gesamt
53
26
6
8
34
41
5
7
4
20
74
LTW 1999PDS
53
25
7
11
29
48
5
5
3
23
73
BTW 1998Gesamt PDS
52 55
23 21
6 7
5 12
24 28
37 46
6 4
8 7
1 1
18 23
76 72
Dr. Gero Neugebauer
46
Die PDS in der brandenburgischen Gesellschaft
Gruppe
Berufstätigerwerbstätig
Rentner
in Ausbildung
arbeitslos
BerufsgruppeArbeiter
Angestellte
Beamte
Selbständige
Landwirte
Gewerk.Mtgl.ja
nein
Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?
47
Die sozialen Dimensionen eines Wahl-
resultats können als ein Indiz für die
gesellschaftliche Verankerung einer Par-
tei gewertet werden, denn sie sagen
etwas über die Einbindung einer Partei in
ihre gesellschaftliche Umwelt und ihre
Akzeptanz bei den Wählern aus.
Die Wählerstruktur der PDS in Bran-
denburg entspricht in etwa der Erwerbs-
struktur der brandenburgischen Bevölke-
rung.
Daraus folgt für die PDS-Anhänger-
schaft: Sie weist einen niedrigeren Rent-
neranteil auf als es in der Gesamtheit
Brandenburgs der Fall ist, die erwerb-
stätige Anhängerschaft entspricht dem
Landesdurchschnitt. Es dominieren die
Angestellten, der Anteil der Arbeiter ist
weit, der der Selbstständigen und der
Landwirte leicht unterdurchschnittlich.
Die Anteile der Arbeitslosen wie der Aus-
zubildenden sind höher als im Durch-
schnitt der Berufsgruppen, doch es gibt
kein ausgesprochenes Defizit. Das kann
lediglich im Bereich der konfessionellen
Bindungen gefunden werden: 1994 wie
1999 gehörten 85 Prozent der PDS-
Anhänger keiner Konfession an.
Die PDS bemüht sich Verbindungen
zur Gesellschaft nicht nur durch partei-
interne Strukturen und parteinahe Ver-
eine oder Verbände, sondern auch durch
Kontakte zu gesellschaftlichen Organisa-
tionen herzustellen. Zu den parteiinter-
nen Strukturen zählen die Interessen-
und Arbeitsgemeinschaften (IG/AG), die
in unterschiedlicher Zahl und Größe
(1999: 9) seit 1990 im Landesverband
oder bei ihm sowie auf der Kreisebene
existieren und die sehr unterschiedliche
Aktivitäten verfolgen (Kaufhold 2000:
19f.). So soll die AG Betrieb und Gewerk-
schaften durch neue bündnispolitische
Zielsetzungen aktiviert werden, wobei es
zuerst darum geht, in der Partei selbst
um ein Verständnis für gewerkschafts-
politische Arbeit zu werben. Die AG Seni-
oren oder die AG LISA stellen generatio-
nen- oder geschlechtsspezifische Grup-
pierungen dar, wie sie auch in anderen
Parteien zu finden sind. Die AG Junge
GenossInnen existiert nicht mehr, ein
Jugendverband „solid“ soll die Jugend für
die PDS gewinnen. Andere AG ( u. a.
Umwelt, Recht) sollen es der PDS erlau-
ben, sich Fachwissens zu bedienen. Die
gesellschaftliche Relevanz der AG im
Sinne eines Hineinwirkens in die Gesell-
schaft kann dann bezweifelt werden,
wenn sie im wesentlichen der Kommuni-
kation spezifischer Gruppierungen in der
PDS-Anhängerschaft dienen. In einer
Die PDS als intermediärer Akteur
Dr. Gero Neugebauer
Verengung auf Binnenkommunikation
kann auch eine Gefahr für die politische
Bildungsarbeit der PDS-nahen „Rosa-
Luxemburg-Stiftung“ liegen, die, wie das
Kommunalpolitische Forum Land Bran-
denburg e.V., das die kommunalpoliti-
sche Ressourcen der PDS repräsentiert,
etliche Aktivitäten organisiert.
Organisationen wie der Offene Wirt-
schaftsverein für Unternehmer und
Selbstständige (OWUS) – Vorsitzender ist
z. Z. der PDS-Bundestagsabgeordnete aus
Potsdam Rolf Kutzmutz – oder andere, die
– wie die Volkssolidarität, der Arbeitslo-
senverband oder der Mieterbund –
wegen der Repräsentanz von PDS-Politi-
kerInnen in Leitungsgremien als PDS-nah
galten oder gelten, agieren in Politikbe-
reichen wie Sozial-, Wohnungs- oder
Arbeitsmarktpolitik, in denen die Partei
Kompetenzen behauptet. Der Erwartung
der Partei, Netzwerke konstruieren und
den Zugriff auf Ressourcen, darunter
Wähler, mobilisieren zu können, steht die
Hoffnung der Verbände entgegen, bei
Forderungen an staatliche Institutionen
von der PDS unterstützt zu werden.
Bei kommunalpolitischen Kooperatio-
nen übte die PDS in Brandenburg noch
Mitte der neunziger Jahre landesweit
eine gewisse Zurückhaltung gegenüber
der SPD aus, verwies auf ein unver-
krampftes Verhältnis zur CDU und ver-
hielt sich kooperativ gegenüber Bündnis
90/Die Grünen (Gothe 1996: 105 f.). Eine
neue Untersuchung weist nach, dass sich
die seinerzeitigen schwachen Tendenzen
zur Kooperation mit der PDS seitens der
anderen Parteien verfestigt haben und
dass – mit Ausnahmen bei der CDU –
keine generelle Verweigerung der
Zusammenarbeit mit der PDS mehr zu
finden ist (Pollach 2000: 230 ff.).
Zwischen einzelnen DGB-Gewerk-
schaften und der PDS-Führung hat sich
das Verhältnis entspannt. Einerseits hat
die PDS bestimmte Kampagnen, wie bei-
spielsweise die Ladenschluss-Initiative
der Gewerkschaft HBV unterstützt, ande-
rerseits sind Gewerkschafter auch PDS-
Wähler. Nach Angaben aus der PDS hat-
ten Mitte der neunziger Jahre zwei Drittel
der Kreisverbände als relativ festgefügt
bezeichnete und teilweise formalisierte
Kontakte zu DGB Kreisvorständen oder zu
Vorständen der Gewerkschaften HBV,
ÖTV, IG Metall, IG Bau/Steine/Erden und
der GEW. Zweifel an der Nützlichkeit und
Notwendigkeit der Kooperation mit den
Gewerkschaften werden in der PDS nur
verdeckt geäußert. Auf der Landesebene
besteht kein wahrnehmbares Risiko für
die PDS, von den DGB-Gewerkschaften
zugunsten einer bestimmten Konflikt-
strategie gegenüber der SPD instrumen-
talisiert zu werden.
Wie Politiker andere Parteien nutzen
auch PDS-Parlamentarier die Chance,
Positionen in diversen öffentlich-rechtli-
chen Gremien wie Rundfunkräten, Vor-
48
Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?
ständen von Sparkassen und Kommunal-
oder Landesunternehmen, Kuratorien,
Verbands- und Vereinsleitungen und
anderen Organisationen zu besetzen und
ihr zivilgesellschaftliches Engagement
als Parteipolitiker zur Herstellung oder
Intensivierung von Einfluss auf Entschei-
dungen ebenso wie als Möglichkeit des
Zugriffs auf Ressourcen, auf die Vertei-
lung von Zugangschancen zu Positionen
und Mitteln und der Präsentation der
eigenen Person gegenüber Wählern zu
nutzen.
49
Tabelle 3Mitgliederentwicklung in den Kreisen und kreisfreien Städten
Quelle: Angaben des LV Brandenburg der PDS
Kreis
Brandenburg/Havel
Cottbus Stadt
Frankfurt/Oder
Potsdam/Stadt
Barnim
Dahme-Spreewald
Elbe-Elster
Havelland
Märkisch-Oderland
Oberhavel
Oberspreewald-Lausitz
Oder-Spree
Osttprignitz-Ruppin
Potsdam-Mittelmark
Prignitz
Spree-Neiße
Teltow-Fläming
Uckermark
Gesamt
31.12.1996
474
1.288
998
2.014
825
1.089
660
660
1.713
1.068
696
1.295
450
892
433
1.125
850
1.022
17.549
31.12.1998
345
1.154
810
1.626
843
995
665
699
1.526
1.059
637
1.105
350
806
435
431
528
918
14.932
31.12.1999
355
1.054
721
1.663
784
981
591
571
1.390
941
563
994
355
793
365
746
628
776
14.271
Die Mitglieder der PDS Brandenburg
Dr. Gero Neugebauer
50
1990 soll die PDS noch rund 50.000
Mitglieder gehabt haben, was angesichts
der Tatsache, das allein der SED-Bezirk
Potsdam 1989 rund 100.000 Mitglieder
zählte, eine gewisse Wahrscheinlichkeit
besitzt. Ende 1991 hatte die PDS knapp
25.000 Mitglieder, 1995 bereits weniger
als 18.000 und Ende 1999 noch 14.271.
(vgl. Tabelle 3)
Die regionale Verteilung der Mitglieder
auf die 18 Kreisverbände ist sehr verschie-
den: die Spanne reicht von 355 Mitglie-
dern in Brandenburg/Havel und Ostprig-
nitz/Ruppin bis zu 1.663 Mitgliedern in
der Stadt Potsdam. Knapp 50% (7.023) der
Mitglieder sind in 6 von 18 Kreisverbän-
den organisiert; die Zahl der großen
Kreisverbände mit mehr als 1000 Mitglie-
dern hat zwischen 1996 und 1999 von 8
auf 6 abgenommen und eine solch große
Differenz wie 1996 von 1581 Mitgliedern
zwischen dem größten (Potsdam/Stadt:
2014) und dem kleinsten (Prignitz: 433)
hat sich 1999 auf 1308 reduziert (Pots-
dam/Stadt 1663, Prignitz: 355). Wahr-
nehmbare Zuwächse finden sich in den
Stadtverbänden Potsdam und Branden-
burg und am deutlichsten am Rand von
Berlin (Teltow-Fläming).
Zwar gelang es in den letzten Jahren,
den Anteil von Mitgliedern unter 20 Jahre
zu steigern, 1997 gehörten 39 (0,25%) und
Tabelle 4Mitgliederentwicklung in den einzelnen Altersgruppen 1997-1999
Quelle: Angaben des LV Brandenburg der PDS
Altersgruppe
bis 20
21-25
26-30
31-40
41-50
51-60
61-65
über 65
Gesamt
absolut
39
54
153
1.091
1.862
2.305
2.579
7.707
15.791
in %
0,25
0,34
0,97
6,91
11,79
14,6
16,33
48,8
absolut
48
58
99
845
1.887
1.775
2.005
8.212
14.929
in %
0,44
0,38
0,67
5,51
12,71
12,43
13,86
55,00
absolut
63
54
96
786
1.814
1.774
1.978
7.706
14.271
in %
0,32
0,39
0,66
5,66
12,64
11,89
13,43
54,00
1997
Mitglieder
1998
Mitglieder
1999
Mitglieder
Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?
1999 schon 63 Jugendliche (0,44%) zu
dieser Altersgruppe, aber zwischen 1996
und 1999 ist die Zahl der Mitglieder im
Alter bis zu 30 Jahren absolut wie relativ
von 489 (2,7%) auf 213 (1,4%) gefallen. Die
Zahl der über 60-Jährigen Mitglieder hat
sich zwischen 1996 (10.534) und 1999
(9684) im Jahr 1999 reduziert; ihr Anteil
an der Mitgliederschaft ist jedoch von
mehr als 57 Prozent auf weit über 67 Pro-
zent gestiegen.
Die fatalen Auswirkungen der demo-
grafischen Situation der Brandenburger
PDS zeigen sich im Vergleich mit der
Altersstruktur der SPD im Land Branden-
burg für das Jahr 1999. (vgl. Tabelle 5)
Der dramatische Alterungsprozess der
PDS-Mitgliedschaft reduziert sowohl die
personellen Ressourcen für Wahlkämpfe,
Volksentscheids- oder Unterschriftskam-
pagnen zuungunsten einer stärkeren
Belastung einer insgesamt älter gewor-
denen Mitgliederschaft als auch die Mög-
lichkeiten der innerparteilichen Rekrutie-
rung von Eliten, also von Menschen, die
bestimmte herausgehobene Funktionen
einnehmen und darin Politik machen und
verantworten. Die Perspektive der Mit-
gliederentwicklung im Bereich der Alters-
gruppen, aus denen Mandatsträger und
Funktionäre rekrutiert werden können, ist
für die PDS ungünstig: 1999 waren 3646
51
Tabelle 5Altersstrukturen der SPD und der PDS in Brandenburg 1999
Quelle: LGF SPD Brandenburg
Altersgruppe
bis 20
21-25
26-30
31-40
41-50
51-60
61-65
über 65
Gesamt
in %
0,81
2,48
3,46
15,72
26,58
29,49
11,11
10,36
absolut
60
183
256
1.162
1.952
2.180
821
766
7.393
SPD
Mitglieder Altersgruppe
bis 20
21-25
26-30
31-40
41-50
51-60
61-65
über 65
Gesamt
in %
0,44
0,38
0,67
5,51
12,71
12,43
13,86
54
absolut
63
54
96
786
1.814
1.774
1.978
7.706
14.271
PDS
Mitglieder
Dr. Gero Neugebauer
52
Mitglieder bei der SPD und 2813 bei der
PDS bis zu 50 Jahre alt; bis zu 60 Jahre alt
waren es insgesamt 5826 bei der SPD und
4587 bei der PDS.
In der Struktur der Mitgliedschaft zei-
gen sich zwei Probleme: zum einen die
Überalterung der Basisorganisationen
im ländlichen Raum – bereits 1994/95 lag
in jedem Kreis der Anteil der über 60
Jahre alten Mitglieder bei mehr als 50
Prozent; in der Ostprignitz und in Pots-
dam-Mittelmark waren es bereits mehr
als 70 Prozent – und die relativ schwache
„Verankerung“ der Partei im Arbeits-
markt durch vollzeitbeschäftigte Mitglie-
der. Das reduziert Multiplikationschan-
cen und kann sich auf die Absicht aus-
wirken, stärker in und mit den Gewerk-
schaften zu arbeiten; vor Ort wird es
kaum und wohl nur auf Vorstandsebene
möglich werden.
Die Verteilung der Funktionen auf
mehr jüngere als ältere Mitglieder ist
eine, die Konfrontation von verschiede-
nen Kulturen eine andere Folge der
Altersstruktur, die einen latenten Genera-
tionenkonflikt bewirken. So zeigen bei-
spielsweise ältere und alte Mitglieder
Vorbehalte gegen Angehörige von
Jugend- und Protestkulturen. Dadurch
können Bündnisse und der Zugang zu
Gruppierungen, die ebenfalls zu der
Gesellschaft gehören, der gegenüber sie
sich öffnen will, erschwert werden.
Der im Juni 1990 gebildete Landesver-
band der PDS Brandenburg besteht seit
dem Abschluss der kommunalen
Gebiets- und Kreisreformen in Branden-
burg aus 18 Kreis- oder Stadtverbänden
als kleinste Parteigliederung; die nach
territorialen, thematischen oder sozialen
Kriterien gebildeten Basisorganisationen
sind ebenso keine Parteigliederung wie
die Gebiets- bzw. Stadtverbände, die die
Fläche der 44 Altkreise einnehmen. Mitte
1998 gab es noch rund 1.200 Basisgrup-
pen. Der Trend zur Bildung ortsübergrei-
fender – und damit weniger – wohnge-
bietsbezogener Basisgruppen setzt sich
fort und wird die Möglichkeiten des Mit-
glieds erschweren, sich am Parteileben
(Teilnahme an Versammlungen, Veran-
staltungen und Mitarbeit bei Kampa-
gnen) zu beteiligen.
Mitglieder können Zusammenschlüsse
regional oder landesweit „auf der Basis
von gemeinsamen spezifischen sozialen
Interessen, bestimmten politischen The-
men und Tätigkeitsfelder oder Weltan-
schauungen“ (Statut 1998: 26) bilden.
Das legitimiert theoretisch, praktisch
weniger eine inhaltliche Vielfalt, die
Die Situation der Parteiorganisation
Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?
Anlass bietet darüber nachzudenken, ob
eine Partei, in der sich letztlich antagoni-
stische Auffassungen organisieren kön-
nen, noch eine Organisation von Mitglie-
dern auf der Basis einer gemeinsamen
Ideologie sein kann – oder nicht besser
ein Verein mit politischem Charakter und
unterschiedlichen Sparten sein sollte. Die
inhaltliche Kohäsion einer Partei kann als
schwach gelten, wenn eine innerparteili-
che Opposition ein von der Parteimehr-
heit abweichendes Gesellschaftskonzept
vertritt. In Brandenburg hat beispiels-
weise die Kommunistische Plattform mit
den dortigen Landesvorständen der DKP
und der KPD eine gemeinsame Veranstal-
tung durchführt, die „mithelfen (soll), aus
dem Nebeneinander ein Miteinander all
derer zu gestalten – und das nicht nur im
Land Brandenburg – die als Kommuni-
stinnen und Kommunisten oder als
Sozialistinnen und Sozialisten davon
überzeugt sind, dass die gegenwärtige
kapitalistische Ordnung überwunden
werden muss“ (Mitteilungen 2000: 26).
Der Landesvorstand, er führt die
Geschäfte des Landesverbandes und wird
für zwei Jahre gewählt, soll Politikange-
bote ausarbeiten, diskutieren und ent-
scheiden sowie die außerparlamentari-
sche Arbeit, einschließlich Kampagnen,
und die Öffentlichkeitsarbeit organisie-
ren. Ob er das leisten kann oder will, mag
angesichts seiner Einschätzung durch die
Landesvorsitzende, eine „Zufallsmann-
schaft“ zu sein, der es an politischer Sach-
kompetenz fehle (Berliner Zeitung,
28.08.2000), bezweifelt werden; da feh-
len schon die Voraussetzungen für ver-
trauensvolle Kooperationen.
Die beim Landesvorstand angesiedelte
Geschäftsstelle hat quasi als Unterbau
sieben Regionalgeschäftsführer, die
jeweils zwei bis drei der 18 Kreisge-
schäftsstellen betreuen; darunter existie-
ren noch 33 Gebietsgeschäftsstellen. Als
ehrenamtliche Helfer standen und ste-
hen den Kreisverbänden zumeist Vorru-
heständler und Rentner unterstützend
zur Seite.
Nach den Vorstellungen der Parteire-
former sollen die Ressourcen des Landes-
verbandes durch den Zugriff auf die
Kapazitäten der 26 Brandenburger PDS-
Abgeordneten (22 Landtag, 4 Bundestag
mit ihren MitarbeiterInnen) dadurch ver-
größert und verbessert werden, dass ein
Netzwerk aus den 18 Geschäftsstellen der
PDS und Bürgerbüros der 26 Abgeordne-
ten gebildet werden soll (Kommission
innerparteiliche Entwicklung, September
2000, http//:www.pds-brandenburg.de).
Das setzt die Erwartung voraus, dass
keine Schwierigkeiten im Verhältnis zwi-
schen dem Landesvorstand und den
Mandatsträgern auf den verschiedenen
Ebenen bestehen.
Publizistisch ist der Landesverband mit
der LandesZeitung vertreten. Die Land-
tagsfraktion publiziert den „Linksdruck“
53
Bei der Konstituierung der Parteien in
den ostdeutschen Ländern sind „die
Machtverhältnisse innerhalb der Parteien
… ohne demokratische Prozesse geklärt
worden“ (Möller 1991: 43). Das trifft – mit
nachhaltiger Wirkung – grosso modo
auch auf die PDS zu. Damit sind nicht
Mängel an demokratischen Prozeduren
gemeint2
, sondern dass informelle Grup-
pierungen Entscheidungen vorformulie-
Dr. Gero Neugebauer
54
Wer führt die PDS Brandenburg?
und in nahezu allen Kreisen und Gebie-
ten erscheinen kleinere Zeitungen (Kauf-
hold 2000: 25), die auf der Basis von
Eigenfinanzierung bzw. Spenden und
ehrenamtlicher Redaktionsarbeit existie-
ren. Die Verteilung erfolgt zumeist über
ein Abo-System. Daneben geben der Lan-
desvorstand und einige Kreisvorstände
gesonderte Info-Blätter heraus, die über
die Geschäftsstellen vertrieben werden.
Die Arbeit des Landesverbandes beruht
auf dem Prinzip der Eigenfinanzierung;
die Abführungen der Kreisverbände an
den Landesvorstand regeln sich nach der
finanziellen Stärke der Kreisverbände.
Seit der Inkraftsetzung der Finanzord-
nung vom 29.3. 1992 gilt in der PDS Bran-
denburg unter dem Stichwort „Finanzie-
rung der Partei von unten“ ein Finanzkon-
zept, das eine Verteilung der Einnahmen
aus den Mitgliedsbeiträgen von der Basis
zum Kreisvorstand, zum Landesvorstand
und bis zum Bundesvorstand vorsieht1
.
Ein innerparteilicher Finanzausgleich soll
die finanzielle Existenz aller Kreisver-
bände garantieren sowie die Handlungs-
fähigkeit des Landesverbandes absi-
chern.
Die wichtigste Einnahmequelle sind
die Mitgliedsbeiträge. Die Einnahmen
daraus sind zwischen 1994 und 1999 von
2.4 Mio. DM auf mehr als 3.0 Mio. DM
gestiegen. Im gleichen Zeitraum verlor
die Partei rund 3.500 Beitragzahler,
jedoch stieg der durchschnittliche
monatliche Beitrag von 12,00 auf 18,66
DM an und die Spenden nahmen von
rund 377.000,00 DM auf mehr als
780.000,00 DM zu (www.pds.branden-
burg.de/archiv/2000/mai). Verbesserun-
gen werden bei Einwerbungen von Spon-
sorengeldern, Förderbeiträgen, Spenden
und durch Rationalisierungen sowie Bei-
tragserhöhungen erwartet, weil u. a. eine
„Ausweitung des Personalbestandes“
(Protokoll 1999/2:25) angestrebt wird.
1 Dieses Prinzip gilt weiterhin. Vgl. Finanzpolitische Grundsätze des Landesverbandes Branden-
burg der PDS (Protokoll 1998: S. 31/Teil II).
2 In der PDS Brandenburg kann bei einer Personalentscheidung nicht mit „Nein“ gestimmt, son-
dern sich nur enthalten werden.
Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?
ren, Entscheidungsprozesse dominieren
und damit Entwicklungen initiieren oder
blockieren, bis genehme Mehrheiten vor-
handen sind oder Personen resigniert
haben. Das gilt besonders hinsichtlich der
Rekrutierung und der Selektion von
Führungspersonal. Einerseits sind Nach-
wuchsfragen Entscheidungen über Eli-
ten, die in ihren Funktionen in der Lage
sein sollen, Probleme zu erkennen und
kompetent politische Lösungen vorzube-
reiten, zu entscheiden und zu verantwor-
ten; dazu müssen sie fachlich qualifiziert
sein. Andererseits sind Nachwuchsfragen
mehr als nur personalpolitische Fragen
und angesichts der erheblichen Differen-
zen im Landesverband und des mangeln-
den Konsens in wichtigen Fragen der
innerparteilichen wie der Parteipolitik
erhält jede Personalentscheidung den
Charakter einer Richtungsentscheidung.
Wenn die Landesvorsitzende über den
Mangel an Personal, dass politische Funk-
tionen und Ämter übernehmen könnte,
klagt (Tack 2000a: 26), können dafür das
Fehlen einer Personalreserve, mangelnde
Nachfrage wegen einer ungewissen Per-
spektive und geringen Vertrauens oder
eine schlechte Nachwuchsförderung ver-
antwortlich sein.
Die Frage, ob statt des Landesvorstan-
des faktisch nicht doch die Landtagsfrak-
tion die Partei führt und die PDS Bran-
denburg damit ein Beispiel für die Partei-
entwicklung in Ostdeutschland seit 1990
darstellt, kann eindeutig zu Gunsten der
Fraktion entschieden werden. Die Ent-
wicklung des Landesverbandes der PDS
zu einem neuen Parteityp, der sogenann-
ten Fraktionspartei – damit ist eine Partei
gemeint, die ihr Machtzentrum sowie
ihre wichtigsten organisatorischen und
finanziellen Ressourcen in ihren Parla-
mentsfraktion konzentriert und die
Parteifunktionären den Zugang zu Man-
daten und/oder Regierungsämtern ver-
schafft (Lösche 2000: 88) – ist nicht zu
übersehen.
Die im Landesverband weitgehend
akzeptierte Führungsperson Lothar Bisky
ist aus freien Stücken offensichtlich nicht
gewillt, im Landesvorstand eine Integrati-
ons- und Führungsrolle zu übernehmen,
nachdem er als Vorsitzender der Gesamt-
partei ausgeschieden ist. Er verkörpert
(noch) in der Landtagsfraktion eine Konti-
nuität, die im Landesvorstand nicht
erkennbar ist. Bisky hatte den seit 1990
amtierenden Vorsitzenden Heinz Vietze
1991 als Landesvorsitzender abgelöst, gab
das Amt jedoch 1993 auf, als er den Bun-
desvorsitz übernehmen musste; er blieb
Fraktionsvorsitzender. Seinem Nachfol-
ger Helmut Markov (heute Mitglied des
Europaparlaments) folgte 1995 Wolfgang
Thiel; er blieb bis 1999 im Amt. Dann
wurde mit rund 55 Prozent der Delegier-
tenstimmen Angelika Tack gewählt, die
im Februar 2001 wieder kandidieren
möchte.
55
Dr. Gero Neugebauer
Die Fraktion wird seit mehr als zehn
Jahren von Lothar Bisky als Vorsitzendem
und Heinz Vietze als Fraktionsgeschäfts-
führer geführt. In der ehemaligen Troika –
bis zu seinem Unfalltod komplettierte
Michael Schumann die Gruppe – verkör-
pert Heinz Vietze Kontinuität im Poli-
tikmanagement der PDS; in der öffentli-
chen Wahrnehmung genießt der Frakti-
onsvorsitzende als Repräsentant der PDS
eine herausgehobene Beachtung. Das
relativiert die Bedeutung der Inhaber
hauptamtlicher Parteifunktionen, die
zugleich Fraktionsmitglieder sind. Im
politischen Tagesgeschäft ist die Fraktion
das eigentliche Aktionszentrum der Par-
tei,nicht der Landesvorstand.Die Fraktion
arbeitet in einer unmittelbaren politi-
schen Wettbewerbssituation im Parla-
ment, die durch Kooperation wie durch
Konkurrenz markiert ist.
Die Fraktion hat zudem wichtige Res-
sourcen. Sie hat sechzehn Mitarbeiter in
der Geschäftsstelle und kann auf vielfäl-
tige Dienstleistungen der Verwaltung
des Landtags zurückgreifen. Jeder der
Abgeordneten, sie haben aus ihrer Tätig-
keit eine Vollzeitbeschäftigung gemacht,
verfügt über ein Budget, aus dem Voll-
oder Teilzeitstellen für MitarbeiterInnen
bezahlt werden können. Durch den Vor-
sitz in vier Landtagsausschüssen (Ar-
beit/Soziales/Gesundheit und Frauen,
Haushalt und Finanzen, Europaangele-
genheiten und Entwicklungspolitik,
Wahlprüfung) und die Stellvertretung in
drei weiteren (Haupt-, Innen- und Petiti-
onsausschuss) besitzt die Fraktion den
Zugang zu wichtigen Entscheidungspro-
zessen wie zu den Medien. Sie erhält
zudem erhebliche finanzielle Mittel, über
deren Einsatz nicht der Landesvorstand
entscheidet. Der bezahlt die Inhaber
hauptamtlicher Wahlfunktionen (Lan-
desvorsitzende/r, Landesgeschäftsfüh-
rer/in und Landesschatzmeister/in) nur
dann, wenn sie nicht gleichzeitig Land-
tagsmitglieder sind3
.
Vom politischen Einfluss wie von dieser
Ressourcenstruktur her ist damit die
Fraktion das eindeutige Zentrum der Par-
tei. Das kann den Wunsch erklären, Par-
tei- und Fraktionsvorsitz in eine Hand zu
legen, denn dann wäre für die Außenwelt
das Aktionszentrum der PDS eindeutig
erkennbar.
In der Zusammensetzung der Fraktion
sind Kontinuität und sanfter Wandel
erkennbar; sie ist erst in der letzten Wahl-
periode einer stärkeren Fluktuation aus-
gesetzt gewesen. Sieben der gegenwär-
tig 22 Mitglieder absolvieren ihre dritte
Wahlperiode, für vier weitere ist es die
zweite und für die restlichen 12 Abgeord-
nete die erste Wahlperiode. Der älteste
1999 gewählte PDS-Parlamentarier ist im
56
3 Auf der Lohnliste der Partei steht z. Z. nur der Landesschatzmeister.
Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?
57
Jahr 1925, der jüngste 1971 geboren. 17 der
22 Mitglieder sind bis 1960 geboren, fünf
danach; drei von ihnen waren im Wahl-
jahr 1999 erst 30 Jahre alt oder jünger.
Mehrere Mitglieder haben zu DDR-Zei-
ten, d. h. bis 1990, hauptamtlich im Appa-
rat oder in Einrichtungen der SED oder
der SED/PDS sowie im Staatsapparat
gearbeitet:Von den seit 1990 tätigen sind
es vier, von den seit 1994 tätigen drei und
fünf der zwölf, die 1999 neu gewählten
wurden. Mehr als die Hälfte der gegen-
wärtigen Fraktionsmitglieder sind nach
1990 zeitweilig von der PDS direkt (Ange-
stellte/r, Fraktions- oder Wahlkreismitar-
beiter) oder indirekt (Mandatsinhaber)
abhängig gewesen,bevor sie in den Land-
tag einzogen; Parallelfunktionen (MdL
und hauptamtliche Funktion) einge-
schlossen. Insgesamt kann die Fraktion -
13 Mitglieder haben Erfahrungen aus der
kommunalen Ebene – als Versammlung
mehrheitlich professioneller Politiker und
Politikerinnen gewertet werden. Das ist
sowohl ein Indikator für die gestiegene
Bedeutung der PDS als Arbeitgeberin als
auch für ein weitgehend geschlossenes,
weil InhaberInnen von Parteifunktionen
bevorzugendes, Rekrutierungsverfahren.
Der Landesverband Brandenburg der
PDS ist politisch etabliert. Zwar kann die
Partei keine flächendeckende effiziente
Organisation im gesamten Verbreitungs-
gebiet nachweisen und verliert zugleich
an Organisationsdichte im Land. Den-
noch kann sie politisch aktiv sein und
bleiben, weil sie einmal finanziell (noch)
gut gestellt und durch die sinkenden Mit-
gliederzahlen nicht entscheidend ge-
schwächt ist. Da bislang alle Strategien
zur Mitgliederrekrutierung wenig Erfolg
gehabt haben, ist die PDS erheblichen
Personal- und Nachwuchsproblemen
ausgesetzt. Dennoch sprechen die Be-
funde dafür, dass sie als Mitgliederpartei
mittelfristig Bestand haben wird, sich
jedoch hinsichtlich ihrer personellen Res-
sourcen mit dem Gedanken anfreunden
sollte, auf professionelle Anbieter bei der
Durchführung von Kampagnen, Wahl-
kämpfen etc. zurückzugreifen; die Lösung
anderer Ressourcenprobleme könnte
durch den Einzug in die Landesregierung
erheblich befördert werden.
Ihr Bild ist bislang stärker durch ihr
Image als durch ihre Kompetenzen
bestimmt. Einer relativ hohen Kompe-
tenz im Politikfeld „Soziale Gerechtig-
keit“ folgt eine geringere in der Bildungs-
politik sowie der Ausländerpolitik,
während ihr in anderen Feldern wie Wirt-
Eine Problemskizze der PDS in Brandenburg
Dr. Gero Neugebauer
schaftspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Ver-
kehrs- und Umweltpolitik oder Innere
Sicherheit nur wenig Kompetenz zuge-
sprochen wurde (Krumrey 2000: 19 f.).
Ihre Anhänger vertreten mehrheitlich die
Meinung, dass unter den politischen Zie-
len: „Mehr Sicherheit und Ordnung“ ,
„Ausbau der sozialen Sicherungssy-
steme“, „Weniger staatliche Bevormun-
dung in der Wirtschaft“ und „Mehr Ein-
fluss der Bürger auf die Politik“ das letzt-
genannte das wichtigste sei (PDS-
Wähler: 43, SPD: 33, CDU: 29 Prozent); erst
danach folgt das sozialpolitische Thema
(FORSA 2000) 4
.
Nicht der Weg in die Regierungsverant-
wortung, sondern die Notwendigkeit der
Modernisierung der Partei erfordert
schnelle Lösungen für Probleme der Per-
sonalrekrutierung. So zeigt die Herkunft
der Parteieliten der PDS Brandenburgs
ein Nebeneinander von Eliten mit einer
längeren DDR- Sozialisationsphase einer-
seits und solchen ohne diese Prägung.
Soweit Kader als Transformationseliten in
der PDS Funktionen behielten oder über-
nahmen, erhielt die Tätigkeit für die Par-
tei in der Lebensplanung eine starke
Bedeutung.5
Das mag erklären, warum
nur wenige jüngere Kandidaten aus
einem parteiferneren Umfeld, deren poli-
tische Sozialisation wie deren beruflicher
Hintergrund eine größere Distanz zur
SED wie zur DDR erkennen lassen, rekru-
tiert worden sind. Insofern ist der Schritt
zu neuen Eliten,die die PDS aus der Trans-
formations- und Konstituierungsphase
heraus in die nähere Zukunft führen,
noch nicht gelungen, obwohl das als
dringend erforderlich zur Bewältigung
anstehender Anforderungen betrachtet
wird (Hornbostel 2000). Zudem erwarten
im Zusammenhang mit der Medialisie-
rung der Politik die WählerInnen, an der
Spitze einer Partei eine kompetente Per-
sönlichkeit vorzufinden, die weniger die
Probleme der Partei repräsentiert, son-
dern sie über die Politik der Partei und
ihre Kompetenz für die Lösung der Kon-
flikte und Probleme im Lande informiert;
in der PDS Brandenburg steht das noch
aus.
Die PDS hat sich mit ihren Wahlerfol-
gen im Parteiensystem Brandenburgs
etabliert. Sie sieht sich als eine Partei, die
„…im Wettstreit mit anderen Parteien undKräften einen erkennbaren und anerkann-ten Beitrag im Ringen um demokratischeMehrheiten für eine antikapitalistischesozialistische Gesellschaft“ (Konzeption
58
4 Das Politikfeld „Ausbau der sozialen Sicherungssysteme“ hat für 25 Prozent der SPD-Anhänger,
für 24 Prozent der PDS-Anhänger und für 18 Prozent der CDU-Anhänger in Brandenburg Prio-
rität. Mehr Sicherheit und Ordnung hat für knapp 34 Prozent der CDU- und für über 28 Prozent
der SPD – Anhänger, aber nur für 20 Prozent der PDS-Anhänger die erste Priorität (FORSA 2000)
5 Latent oder manifest vorhandene Abneigungen innerhalb wie außerhalb der Partei gegen die
Tätigkeit politischer Repräsentanten der PDS in herausgehobenen Positionen haben dazu
geführt, dass das Verbleiben einem Wechsel – auch in die Arbeitslosigkeit – vorgezogen wird.
Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?
2000: 10) leisten will, denn „Gesellschaftund Politik dieses Landes brauchen einemoderne, starke PDS als kapitalismuskriti-sches sozialistisches Korrektiv zum Heuteund als politische Kraft für die Schaffunggesellschaftlicher Mehrheiten für politi-sche Alternativen und wirkliche gesell-schaftliche Reformen Morgen“ (Thesen
2000: 1). Durch eine Strukturreform
sowie durch eine programmatische Wei-
terentwicklung soll die PDS modernisiert
werden. Die Diskussion um ein neues
Programm der Gesamtpartei stockt, die
Landespartei kann von daher keine Anre-
gungen aufnehmen und ist durch den
Rückzug von Bisky aus der Programm-
kommission der PDS zusätzlich
geschwächt. Die programmatischen Aus-
sagen in ihren Wahlprogrammen haben
sich von allgemeinen Erklärungen und
Forderungen hin zu spezifischen Anre-
gungen in landes- und besonders kom-
munalpolitischen Fragen entwickelt
(Kaufhold 2000: 22f). Insofern wird es
interessant sein zu erfahren, wie das Kon-
zept der antikapitalistischen Gesellschaft
aussehen soll, wenn die Partei davon aus-
geht, dass sie dafür auch die Zustim-
mung der WählerInnen, von deren Nei-
gung zu ideologisch motivierter Stim-
menabgabe sie bislang profitiert hat,
gewinnen kann.
Sicher kann sie da nur ihrer Anhänger
sein, selbst wenn in Brandenburg insge-
samt 83 Prozent der PDS-, 60 Prozent der
SPD- und über 50 Prozent der CDU-
Anhänger der Aussage „Der Sozialismus
ist im Grunde eine gute Idee, die nur
schlecht ausgeführt wurde“ zugestimmt
haben und es bei den PDS-Anhängern
keine grundsätzliche Ablehnung dieser
These gab, aber bei immerhin bei 15 Pro-
zent der CDU- und bei 12 Prozent der SPD-
Anhänger. Die CDU-Anhänger stimmten
mit knapp 27 Prozent auch am wenigsten
der Behauptung zu, die „DDR hatte mehr
gute als schlechte Seiten“. Das galt für
rund 12 Prozent der SPD und nur für gut 3
Prozent der PDS-Anhänger: Die waren zu
über 53 Prozent von den guten Seiten
überzeugt; Parteigänger der Sozialdemo-
kraten (33 %) und der CDU (25 %) eindeu-
tig weniger. Das korrespondiert insofern
mit Aussagen über die Zufriedenheit mit
der Demokratie, als CDU-Anhänger zu
gut 30 Prozent, die der SPD zu 26, die der
PDS aber nur zu rund 15 Prozent sich posi-
tiv äußern. (FORSA 2000).
Die programmatische Positionsbe-
stimmung, deren Unterbau im Rahmen
einer Programm- und Strategiediskus-
sion noch genauer bestimmt werden
soll, weist die PDS in Brandenburg als
eine Weltanschauungspartei aus. Zwar
ist nicht nur in der PDS die Überzeugung
verbreitet, dass in Brandenburg keine
antikapitalistische Gesellschaft in einem
kapitalistischen Umfeld errichtet wer-
den kann und dass die erhofften antika-
pitalistischen Mehrheiten bei einem –
59
Dr. Gero Neugebauer
unsicheren – Stimmenanteil von weni-
ger als einem Viertel des Elektorats nicht
zu erreichen sind, weil weder realsoziali-
stische Revitalisierungs- und Neudeu-
tungsversuche noch eine vage protoso-
zialistische Perspektive neue Wähler-
schichten mobilisieren. Dennoch bleiben
kapitalismuskritische Positionen zur
Analyse und Kritik landespolitischer Ent-
wicklungen, die in der SPD immer weni-
ger Raum finden, erforderlich, um dem
selbstformulierten Anspruch, eine sozia-
listische Partei zu sein, gerecht zu wer-
den, selbst wenn dieser Anspruch nicht
eingelöst werden kann, solange das Pro-
jekt „Moderner Sozialismus“ nicht als
konkretes Reformprojekt Gestalt ange-
nommen hat, was unter anderem daran
liegt, dass die Programmdiskussion der
PDS dem – alten – Muster der Echter-
nacher Springprozession6
folgt.
Die Selbsteinschätzung, sie sei eine
Volkspartei, soll ihr unter dem Gesichts-
punkt der Selbstlegitimation nicht
bestritten werden, nur hat das mit der
Parteiwirklichkeit wenig zu tun. Zwar
kommen Volksparteien wegen ihres
„weitläufigen Umfassungsanspruchs
nicht daran vorbei, wachsende unverein-
bare Spannungen und gegenläufige Ten-
denzen zu vereinen und zum Ausdruck zu
bringen“ (Wiesendahl 1998: 22), aber
trotz der polarisierten Flügel repräsen-
tiert die PDS nicht diese volksparteilichen
Spannungen und Tendenzen. Ihre sozial-
strukturell heterogene Wählerbasis weist
sie trotz ihrer Verankerung in den sozia-
len Strukturen des Landes deshalb nicht
als Volkspartei aus, weil diese Struktur die
des sie stützenden Milieus sein könnte.
Sie ist weitgehend eine Fraktionspartei
mit einem außerparlamentarischem
Arm, dessen Aktivitäten und Kampagnen
in den letzten Jahren die Oppositionsrolle
der Partei verdeutlicht haben.
Das Image der PDS ist dadurch wie
durch das Bild der Landespartei als eines
Ort permanenter Auseinandersetzungen
geprägt, die von der Öffentlichkeit nicht
als inhaltliche, sondern als persönliche
Konflikte wahrgenommenen werden7
.
Die Kultur der innerparteilichen Ausein-
andersetzungen bekräftigt die Vermu-
tung, dass in der PDS Brandenburgs erst
dann über die inhaltlichen Elemente
einer Strategie der Partei auf Landese-
bene entschieden werden wird, wenn die
Entscheidung darüber getroffen worden
ist, welche Personenkartelle die Richtung
(in) der Partei angeben werden. Das Hick-
hack um Koalitionsoptionen ist ein
Bespiel dafür, wie beeinflusst durch takti-
60
6 Die Pilger springen dabei von einem Bein auf das andere und bewegen sich langsam voran;
Zurückgesprungen wird seit 1945(sic!)nicht mehr.
7 So berichtete die Berliner Morgenpost am 14.11.2000 auf S. 31 unter der Überschrift „Macht-
kampf in der PDS vor der Parteikonferenz“ ausführlich über interne Probleme des Landesver-
bandes, die an Personenfragen festgemacht werden.
Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?
61
sches Denken, mangelnde Konzeptionen
und fehlende konsequente Entscheidun-
gen von und über Positionen und Perso-
nen, Blockaden entstehen, die sich auf die
Entwicklung der Partei hemmend aus-
wirken und sie in ihrer politischen Hand-
lungsfähigkeit lähmen.
Da die PDS ihre politische Erfolge an die
Fähigkeit knüpft,„Druck von links“ auf die
SPD ausüben zu können, hat sie sich in
eine Konkurrenz begeben, in der von ihr
alternative Konzepte zu deren Vorschlä-
gen erwartet werden. Sie hat sich damit
auf eine Position eingelassen, die es ihr
nicht erspart, sich zu Fragen der Moderni-
sierung der Gesellschaft, der Politik und
der Ökonomie in Brandenburg zu äußern.
Am absehbaren Ende der Transformati-
onsphase der brandenburgischen Gesell-
schaft und angesichts der weiterhin
ablaufenden gesellschaftlichen Differen-
zierungs- und Wandlungsprozesse gilt es
für die PDS im Lande, die Voraussetzun-
gen für ihre Zukunftsfähigkeit zu reflek-
tieren. Den Konsens darüber hat sie noch
nicht gefunden.
Dr. Gero Neugebauerist Dozent an der Freien Universität Berlin
http://www.polwiss.fu-berlin.de/osi/osz/index.htm
Gero Neugebauer
62
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Die PDS in Brandenburg – wohin des Wegs?
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Wiesendahl, Elmar, 1998, Wie geht es weiter mit den Großparteien in Deutsch-
land, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1/2,1998
65
Die Bilanz Jörg Schönbohms nach zwei
Jahren an der Spitze der brandenburgi-
schen CDU fällt klar aus: Die absolute
Mehrheit der SPD gebrochen, die Talfahrt
der CDU in der Wählergunst beendet, als
Partei an Selbstbewusstsein gewonnen,
an der Regierung beteiligt. Das ist nicht
wenig, bedenkt man die desolate Verfas-
sung der Christdemokraten, die im
Januar 1999 bereits ihren fünften Vorsit-
zenden seit dem politischen Umbruch
von 1989 kürten. Aber: Gelang dieser
Umschwung allein aus eigener Kraft?
Welche Rolle spielten äußere Einflüsse?
Und: Wie ist es um die Fortsetzung des
Erholungstrends der in Brandenburg bis-
lang so schwachen Christdemokraten
bestellt? Fragen, auf die an dieser Stelle
eine kursorische Antwort gegeben wer-
den soll.
Die CDU in Brandenburg war im Winter
1998/99 in einer desolaten Lage. Die Bun-
destags- und Kommunalwahlen vom 27.
September 1998 hatten das Landtags-
wahldebakel von 1994 bestätigt; die Par-
tei schien sich bei Ergebnissen von rd. 20
% der Stimmen einzurichten. Ein ähnli-
ches Ergebnis bei den Landtagswahlen
im September 1999 schien kaum ver-
meidbar. Seit der Wende war die Zahl der
Mitglieder kontinuierlich auf rd. 8000
gesunken, die Parteiführung hatte weni-
ger durch politische Initiativen als durch
innerparteiliche Intrigen und Streit von
sich reden gemacht. Mit ‘kraftvoller
Oppositionsarbeit’ oder dem Begriff der
‘Regierung im Wartestand’ war die bran-
denburgische CDU meist nicht in Zusam-
menhang gebracht worden. In den Ton
der Medienberichterstattung – soweit sie
überhaupt stattfand – hatten sich zuwei-
len Züge von Mitleid eingeschlichen.
Innerparteilich brachte das Engage-
ment Schönbohms ab Oktober/Novem-
ber 1998 zweifellos einen Stimmungs-
umschwung mit sich. Wie die Presse ver-
meldete, war der ehemalige Berliner
Innensenator vom Start weg „omniprä-
Die CDU Brandenburgs im Aufwind – nach langer DurststreckeReiner Schmock-Bathe
Auf dem Tiefpunkt: Herbst 1998
Reiner Schmock-Bathe
66
sent”. Sie begleitete den Neu-Branden-
burger, der sein Amt in Berlin zugunsten
des politischen Abenteuers in Branden-
burg niedergelegt hatte, bei seiner Ken-
nenlern-Tour. Und bereits dies bildete
einen bemerkenswerten Kontrast zum
kargen Medienecho der Jahre zuvor. End-
lich wieder positives über die eigene Par-
tei zu lesen, dürfte nach den Jahren der
Personalquerelen Balsam für die fru-
strierten Mitglieder gewesen sein.
Mit der Abwahl der CDU/CSU-FDP-
Regierung im Bund war zwischenzeitlich
ein in Brandenburg seit langem negativ
auf die Arbeit der CDU-Landespartei wir-
kender Faktor weggefallen. Gerade die
Regierung Stolpe hatte sich bei passen-
der Gelegenheit gern gegen die Bundes-
regierung profiliert, was im Lande offen-
bar auch Anklang gefunden hatte. Insbe-
sondere der Druck der CDU-Bundespartei
in der Frage der Stasi-Kontakte von Mini-
sterpräsident Stolpe hatte hier zu Solida-
risierungseffekten geführt. Mit dem
Amtsantritt der Regierung Schröder fiel
die Belastung weg, als CDU-Landespartei
herhalten zu müssen für die unpopuläre
Regierung Kohl.
Doch nicht nur das: Binnen kurzem
wurde die neue Situation zum Treibsatz
für die Ambitionen der damaligen CDU-
Opposition. Der im September 1999
erreichte Tiefpunkt des Ansehens der rot-
grünen Bundesregierung und das daraus
resultierende Stimmungstief kamen der
Union auch in Brandenburg überaus zu
Hilfe. Trotzdem konnte die Union ihre
Zweitstimmen-Verluste von 1994 nicht
annähernd wettmachen. Es reichte nur
zu ansehnlichen, aber – im Gegensatz zu
Thüringen und dem Saarland, wo aller-
dings die Ausgangsbasis deutlich besser
war – nicht entscheidenden Gewinnen.
Von ihren, bei der Bundestagswahl 1990
erzielten Ergebnissen, trennten sie wei-
terhin Welten. Und die Sozialdemokraten
behielten trotz ihrer beträchtlichen Verlu-
ste noch 140.000 Zweitstimmen Vor-
sprung, was auf die Gesamtzahl der
Wählenden in Höhe von rund 1,1 Mio. Per-
sonen bezogen werden muss.
Ihr relativer Wahlerfolg konnte jedoch
nicht verdecken, dass die CDU nur
beschränkt zu mobilisieren vermocht
hatte. Dieser zeigt sich nicht nur daran,
dass es der Partei bei weitem nicht gelun-
gen war, das Desaster von 1994 rückgän-
gig zu machen, als man nur um Haares-
breite nicht dritte Kraft geworden war. Es
zeigte sich auch an der erneut um 2 Pro-
zentpunkte auf 54 Prozent gesunkenen
Wahlbeteiligung und vor allem im Einzug
Die Landtagswahl von 1999
Die CDU Brandenburgs im Aufwind – nach langer Durststrecke
der DVU in den Landtag. Trotz der bunde-
spolitischen Situation und der vielbe-
schworenen Ernüchterung über die
Alleinregierung der SPD im Land hatten
nicht einmal alle, die konservativ oder
einfach nur protestorientiert waren, den
Weg zu CDU gefunden. Die DVU und
auch die PDS hatten sich ebenfalls ein
großes Stück vom Kuchen abgeschnitten.
Letztlich zeigt dies, dass die Gesun-
dung der Partei und der Wandel ihres
öffentlichen Bildes weithin noch nicht für
glaubwürdig gehalten wurde. Die CDU
wurde noch im Herbst 1999,ein Jahr nach
dem faktischen Amtsantritt von Jörg
Schönbohm, nicht als wählbare Alterna-
tive angesehen. Es zeigt damit auch das
bodenlos geringe politische Gewicht der
Partei, das Schönbohm bei Amtsantritt
vorfand. Und es zeigt, dass Schönbohms
Dauereinsatz kurzfristig keine Berge ver-
setzen konnte, was im Prinzip – und
zumal in der brandenburgischen Union –
geeignet gewesen wäre, einer Spekula-
tion Nahrung zu liefern, er sei für diese
Aufgabe auch nicht der Richtige.
Der Bruch der SPD-Mehrheit im Land-
tag war demnach kein Erfolg der bran-
denburgischen CDU, sondern wohl eher
Ergebnis einer gewissen Ernüchterung
über die Regierung Stolpe, des Wegfalls
der CDU/CSU-FDP-Regierung im Bund als
Antipoden und des generell gegen die
Sozialdemokraten laufenden Trends im
Sommer und Herbst 1999. Zugleich
bedeutete es, dass sich die CDU auf ihr
prozentuales Ergebnis vom September
1999 nicht stützen konnte, es wäre ein
halbes Jahr zuvor oder wenige Monate
später – im Licht der CDU-Spendenaffäre
– sicher nicht zu erzielen gewesen. Eine
von Häme und Mitleid freie Berichterstat-
tung über den Sympathie und Bekannt-
heit in der Fläche suchenden Spitzenkan-
didaten und Parteivorsitzenden allein
konnte hieran noch wenig ändern.
Immerhin aber hatte Schönbohm die
Unentwegten, die über die Jahre der
Desorientierung nicht von der CDU gelas-
sen hatten, wieder zu motivieren ver-
67
SPDCDUPDSDVU
1990 (LT)
487.134372.572170.804
–
1990 (BT)
468.294516.617157.022
–
1994
580.422200.700200.628
–
1999
433.521292.634257.30958.246
Zweitstimmen
Reiner Schmock-Bathe
68
mocht. Er war der rettende Strohhalm, an
den sich die an ihrer Partei schier ver-
zweifelten Christdemokraten nach fünf
Vorsitzenden in acht Jahren (Schirmer, de
Maiziere, Fink, Hartfelder, Wagner) klam-
merten. Und er hatte – ebenso wichtig –
die vorhandene Führungsetage der Partei
diszipliniert; sicher keine einfache Arbeit
angesichts der Verletzungen, die man
sich mit den Jahren gegenseitig zugefügt
hatte. Die Wahlen für die Parteiführung
und die Listenplätze der Landtagswahl
gingen ungewöhnlich geräuschlos über
die Bühne. Doch muss dieses Bild inso-
fern akzentuiert werden, als die Landes-
partei andererseits auch ungewöhnlich
„reif” gewesen sein dürfte für einen, der
bereit war, das Heft entschlossen in die
Hand zu nehmen. Alle die Frustrationen
der Vergangenheit bis hin zum Finanz-
desaster Mitte der neunziger Jahre, die
Unfähigkeit der politischen Führung, sich
auf die Konkurrenz und die politische
Sacharbeit zu konzentrieren, hatten Auf-
bauarbeit fast unmöglich oder ihre
Erfolge zunichte gemacht.
Schönbohm dürfte aber am Tag nach
der Landtagswahl völlig klar gesehen
haben, das die Bewahrung aller Erfolge
davon abhing, den Glücksfall des Bruchs
der SPD-Mehrheit zu nutzen und in die
Regierung zu kommen. Die Wirkung des
Stimmenzuwachses allein würde bald
verpuffen, nur die Regierungsbeteiligung
würde ihm die Möglichkeit bieten, die
weitere Erfolge zu erzielen. Zum einen
würde die Regierungsrolle den Zusam-
menhalt der CDU im Innern festigen. Die
Beschäftigung mit sich selbst würde im
Zuge der neuen Möglichkeiten, politisch
zu gestalten, erheblich an Attraktivität
verlieren; auch die Zeit hierfür würde
knapper werden. Für groben politischen
Dilettantismus würde man nun mit dem
Amt zu bezahlen haben, und auch die
Öffentlichkeit und vor allem die Medien
würden viel genauer hinschauen. Das
würde disziplinierend wirken. Zum ande-
ren würde die Regierungsbeteiligung
auch Schönbohms eigene Rolle zemen-
tieren, als dieser Erfolg viel augenfälliger
sein würde, als der Teilerfolg bei der Land-
tagswahl. Als der Mann, der die Partei
binnen neun Monaten aus dem Tal der
Tränen zur Regierungspartei befördert
hatte, würde er landespolitisch über
Jahre unangefochten bleiben.
Nach außen würde sich die CDU durch
die Regierungsbeteiligung als regierungs-
fähig profilieren und den Ruf des pro-
grammatischen und politischen Leichtge-
wichts abschütteln können. Sie würde
In die Regierung
Die CDU Brandenburgs im Aufwind – nach langer Durststrecke
Erfahrungen sammeln können, Einfluss
haben und endlich auch politische Gestal-
tungserfolge vorzuweisen haben. Ihre
politischen Initiativen und Programme
würden als potentielle Regierungspolitik
ernster genommen und stärker multipli-
ziert. Die Jahre, in denen die Partei nur
dann Medienpräsenz bekam, wenn sie
ihren Parteitag abhielt und ihren jeweili-
gen Vorsitzenden demontierte, würden
vorbei sein. Sie würde in den Genuß eines
völlig neuen, durch die eigene Bedeutung
von Stärke geprägten Verhältnisses zu
den Medien kommen. Nicht zuletzt
würde die Regierungsbeteiligung die Par-
tei erstmals in die Lage versetzen, Karrie-
rechancen für politisch Interessierte zu
bieten, ihre Sympathisanten zu fördern.
Dagegen musste Schönbohm die
immensen strukturellen Nachteile der
Oppositionsrolle fürchten. Als Opposition,
zumal als nicht alleinige Opposition,
hatte man die parlamentarischen Mecha-
nismen, die im Zweifel stets zum frustrie-
renden Untergang jedes Änderungsan-
trages führen, neun Jahre lang erlitten.
Zumal in der Enge des geringen landespo-
litischen Gestaltungs- und Verteilungs-
spielraums droht die berühmte Freiheit
der Opposition, politische Alternativen zu
entwerfen und alles zu fordern, allzu
leicht in Unernsthaftigkeit umzuschla-
gen. Quälende Selbstbespiegelungs- und
Gärungsprozesse in der brandenburgi-
schen Union waren Symptome, die für
diese Entwicklung standen.
Zur vielbeschworenen ‘Erneuerung in
der Opposition’ hatte die CDU nicht
gefunden. In den Jahren seit 1990 hatte
die innere Entwicklung per Saldo eher
stagniert, war von wegweisender Pro-
grammarbeit wenig zu vernehmen gewe-
sen. Letztere war, wo sie stattfand, von
den Medien schlicht nicht zur Kenntnis
genommen worden. Statt dessen hatte
man zusehen müssen, wie die politische
Konkurrenz die z.T. kaum mehr reversiblen
wesentlichen landespolitischen Weichen-
stellungen und Grundsatzentscheidun-
gen getroffen hatte. Schwer genug, zu
akzeptieren, dass man sich nun einer Lan-
despolitik zu widmen haben würde, die in
manchem den alten Bundesländern
ähnelt: Man sitzt in der Schuldenfalle,
konsolidiert unentwegt den Haushalt
und ringt mit den Mühen der Ebene, dem
Umsteuern in gewachsenen Ansprüchen
und Strukturen. Keine Ära, in der
Geschenke verteilt werden, sondern eine,
die Einschnitte vornimmt.
Daran war aber im September/Oktober
nichts mehr zu ändern. Man musste nach
vorn blicken – und in die Regierung kom-
men. Dass dies erreicht wurde, war für
Schönbohm ein Glück, bei dem verschie-
dene Faktoren im Spiel waren, die noch
viel genauer geklärt werden müssen. Ob
es die geographische Nähe des Landes
zum ehemals geteilten Berlin war, die
eine Mitregierung der PDS ausschloss,
69
Reiner Schmock-Bathe
70
oder ob es gesamtparteiliche Erwägun-
gen waren, die dahin gingen, die PDS
nicht aufzuwerten, ob es Erwägungen der
SPD waren, mit der bislang so dilettieren-
den CDU werde sich das Regieren leichter
gestalten – sicher von allem etwas, aber
die genaue Gewichtung dieser Faktoren
bleibt Spekulation und ist hier nicht
Gegenstand. Das politische Glück der
CDU komplettiert wurde durch das Aus-
scheiden von Regine Hildebrandt aus der
Politik. Sie, eine der Identifikationsfiguren
der brandenburgischen SPD, hatte die
Christdemokraten in Brandenburg immer
wieder sehr direkt kritisiert und konnte
sich eine Zusammenarbeit im Kabinett
offenbar nicht vorstellen. Ihr Abschied
verschaffte der CDU auch in den Medien
zusätzlichen Freiraum.
In den vergangenen 18 Monaten seit
dem Antritt der großen Koalition in
Brandenburg hat die CDU ihr neues
Erscheinungsbild als Regierungspartei
mit politischem Profil und ohne innere
Querelen festigen können. Die Präsenz
der Partei in den Medien ist inzwi-
schen nicht mehr ausschließlich auf
das Phänomen des ‘omnipräsenten’
Vorsitzenden zugespitzt. Kein Wunder,
denn das Wort von CDU Ministern
oder der Fraktionsspitze ist nun von
realer politischer Bedeutung und nicht
lediglich Chronistenpflicht. So ist die
Berichterstattung zumindest in den
Printmedien gegenüber den Jahren
von 1992 – 1998 nicht nur erkennbar
wesentlich intensiver geworden, son-
dern sie hat mit der Beziehung zwi-
schen Partei und politischen Absichten
auch einen anderen Gegenstand als
früher, als innerparteiliche Fragen im
Mittelpunkt standen. Kurzum: Sie hat
sich normalisiert.
Allerdings ist die Ära Schönbohm der
CDU keineswegs frei von Rückschlä-
gen. Der lange Kampf von Kulturmini-
ster Wolfgang Hackel mit der Landes-
verfassung, die Probleme des Justizmi-
nisters Schelter mit der Unabhängig-
keit der Justiz oder Schönbohms Dis-
kussionen mit Bundestagspräsident
Thierse sind Beispiele. Derartige Vor-
fälle werden von Medien generell
begierig aufgegriffen und im Falle der
CDU überlagerten sie prompt die poli-
tische Sacharbeit der Partei. Allerdings
haben andererseits auch noch nicht
alle Journalisten vergessen, dass viele
Akteure in der Partei mit jenen iden-
tisch sind, die sich in den Jahren zuvor
mit Lust selbst zerfleischten. Entspre-
Bilanz der Mitregierung und Ausblick
chend kritisch fällt dann die Berichter-
stattung aus.
Insgesamt aber hat die brandenbur-
gische CDU ihre unverhoffte Chance
ergriffen und bis jetzt – vielleicht ent-
gegen manche Prophezeiung – nicht
wieder verspielt. Unter der Leitung von
Jörg Schönbohm normalisiert sich ihr
Erscheinungsbild, wobei nicht sicher
ist, ob und wann dies auch zu zählba-
ren Erfolgen führt. Auch einige der
äußeren Rahmenbedingungen, wo sie
überhaupt modifizierbar sind (eine
Rekonfessionalisierung der neuen Län-
der hat z.B. bekanntlich nicht stattge-
funden), haben sich gewandelt. Ob die
CDU sich weiter erholen kann, wird
aber nicht zuletzt von der Verfassung
der Sozialdemokratie abhängen. Doch
unabhängig davon stehen die Aussich-
ten nicht schlecht, dass die CDU die
alten Zeiten langsam vergessen
machen und ihren relativen Erfolg von
1999 zumindest konservieren kann.
Die CDU Brandenburgs im Aufwind – nach langer Durststrecke
71
Reiner Schmock-Bathe,
ist Diplom-Politologe. Seine Interessensgebiete sind die
„CDU/Parteien in den neuen Ländern“ und „Ostmitteleuropa“.
Kritik und Kommentare sind unter [email protected] erbeten
Westliche sozialdemokratische Par-
teien stehen vor ähnlichen Herausforde-
rungen: Die Internationalisierung der
Märkte erfordert politische Antworten.
Mit dem Zusammenwachsen der
Europäischen Union entwickeln sich ähn-
liche politische Strategien der Sozialde-
mokraten auf immer mehr Politikfeldern.
Und die Regierungsverantwortung, die
Sozialdemokraten heute in den meisten
europäischen Ländern tragen, gibt ihnen
einen Gestaltungsauftrag für neue Kon-
zepte des Arbeitens, Wirtschaftens und
Lebens. Sie werden ihn bewältigen, wenn
sie die Herausforderungen des Struktur-
wandels programmatisch und organisa-
torisch annehmen.
Die Internationalisierung der Märkte Sozialdemokraten haben überall in
Europa eigene Strategien entwickelt, um
gesellschaftliche Ausgrenzung und politi-
sche oder ökonomische Benachteiligung
zu beseitigen. Sie stehen in ihren Ländern
für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Zur Realisierung dieser Werte sind in den
jeweiligen Ländern spezifische Instru-
mente, Institutionen und rechtliche Nor-
men entstanden und praktiziert worden.
Global agierende Unternehmen, welt-
weite Fusionen und die Internationalisie-
rung der Arbeitsmärkte haben die Mög-
lichkeiten nationalstaatlicher Instru-
mente für eine Politik sozialer Gerechtig-
keit verändert. Zumindest Teilen des
Arbeitsmarktes werden durch scharfe
internationale Konkurrenz Bedingungen
gesetzt, die die sozialstaatlichen Struktu-
ren in Europa vor neue Herausforderun-
gen stellen.
Nationale Politik stößt an Grenzen.
Dennoch: Die Internationalisierung der
Märkte bietet Chancen. Sozialdemokrati-
sche Parteien in Europa wollen Gestal-
tungsoptionen zurückgewinnen. Und sie
müssen die tief greifende Verunsiche-
rung, die die Entgrenzung der Märkte
gerade in der sozialdemokratischen
Wählerschaft auslöst, ernst nehmen.
Die neue Form der Ökonomie hat kei-
neswegs das sozialdemokratische Jahr-
hundert beendet. Neue Formen der
73
Parteien des 21. Jahrhundertsvon Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig
1. Gesellschaft im Wandel – neue Anforderungen an sozialdemokratischeParteien
Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig
Ungleichheit und der gesellschaftlichen
und politischen Ausgrenzung sind ent-
standen, und neue Spielräume der indivi-
duellen Freiheit sind allen Teilen der
Gesellschaft zu erschließen.
Gesellschaftlicher WandelDie Sozialstruktur in allen europäi-
schen Ländern hat sich gewandelt. Die
Informations- und Dienstleistungsgesell-
schaft wird den Trend weiter verstärken.
Damit hat sich auch die Basis für die Mit-
gliedschaft und das Führungspersonal
sozialdemokratischer Parteien, wie ihre
Wählerschaft, verändert.
Die relativ stabilen gesellschaftlichen
Milieus der Industriegesellschaft sind
durch unübersichtliche Lebensverhält-
nisse und Szenen ersetzt worden, deren
soziale Lage und Lebensstile einem dau-
erndem Wandel unterworfen sind. Die
geringe soziale und räumliche Mobilität
ist abgelöst worden von individualisier-
ten Lebenswegen und neuen, mobileren
Arbeits- und Qualifikationsformen.
Mit der Ausdifferenzierung der großen
sozialmoralischen Milieus hat die Bin-
dungskraft und die Orientierungsfunk-
tion der Parteien nachgelassen. Heute
muss für Unterstützung sozialdemokra-
tischer Politik in einer Vielzahl von Milieus
geworben werden. Die Individualisierung
der Lebensläufe, die Unübersichtlichkeit
der individuellen Erfahrungen und die
Geschwindigkeit des Wandels der
Lebensstile und der Qualifikationsanfor-
derungen erfordert von politischen Groß-
organisationen, Menschen in anderer
Form anzusprechen.
Anders als die Industriearbeiterschaft
teilen die viele Menschen nur noch
wenige Erfahrungen miteinander. Neue
Interessengegensätze hinzu haben sich
entwickelt, die quer durch alle gesell-
schaftlichen Lagen hindurch verlaufen:
Junge und Alte, Familien und Alleinste-
hende, Einheimische und Zuwanderer,
um nur einige neue Interessenge-
gensätze zu nennen: Solidarität über
diese Gegensätze hinweg zu stiften,
bedarf verstärkter Anstrengungen und
neuer Wege. Hier zeichnet sich die große,
gemeinsame Aufgabe der europäischen
Sozialdemokraten ab: Sie sind heute vor
allem die Partei gesellschaftlichen
Zusammenhalts.
Veränderungen der Kommunikations-strukturen
Wähler müssen heute immer aufs
Neue gewonnen werden; sie sind nicht
länger ein verlässlich abrufbarer Stamm
von Unterstützern. Es sind die Bewegli-
chen, die Wechselwähler, die Wahlen ent-
scheiden. Gerade unter ihnen aber wer-
den politische Urteile auf einem hohen
Informationsniveau gefällt, das die Viel-
zahl von Medien ermöglicht. Und sie sind
es, die Parteien mit wachsender Distanz
gegenüberstehen.
74
Parteien des 21. Jahrhunderts
75
Parteien besitzen nicht länger ein
Monopol der Deutung von Politik. Ohne
den Filter der Medien wird politisches
Handeln nicht mehr wahrgenommen.
Trotz des Entstehens globaler Medienun-
ternehmen hat die Zahl der Fernseh-
kanäle und die Pluralisierung der Presse
überall zugenommen. Der Durchbruch
des Internet wird die Art und Weise, in der
politisch Interessierte Informationen
beschaffen und verbreiten können, noch
einmal revolutionieren. Damit entsteht
eine von den Medien und ihren spezifi-
schen Perspektiven beherrschte Sicht der
Welt und ihrer Probleme.
Veränderte Erwartungen der MitgliederDer Platz von Sozialdemokraten im Par-
teiensystem aller europäischer Länder
hat sich verändert. Sie begreifen sich als
Wettbewerber um die besten Konzepte
zur Deutung und Lösung neuer gesell-
schaftlicher Probleme. Sozialdemokrati-
sche Parteien sind längst keine klassi-
schen Arbeiterparteien mehr. Sie sind
vielmehr eine politische Heimat für Men-
schen aus fast allen Teilen der Bevölke-
rung. Deshalb passen alte Lagerkonzepte
nicht mehr zur Bestimmung ihres Stan-
dorts.
Sozialdemokraten stehen überall in
Europa dafür, den Strukturwandel
menschlich zu gestalten statt ihm blind
zu folgen. Sie stehen dafür, die Chancen,
die der ökonomische und soziale Wandel
mit sich bringen, für die Schaffung sozia-
ler Gerechtigkeit zu nutzen. Dafür müs-
sen sie Wahlen gewinnen, dafür müssen
sie auch breite Unterstützerkoalitionen
mobilisieren. Und sie müssen neue
Gruppe an sich binden.
Neue Interessenten und neue Unter-
stützergruppen werden neue Erwartun-
gen an die Sozialdemokratie herantra-
gen, auf die bestehende Strukturen der
Organisation nicht hinreichend einge-
stellt sind. Lebenslange Mitgliedschaft
kann angesichts unübersichtlicherer Bio-
graphien und gewachsener Mobilität
nicht länger die einzig mögliche Form der
Mitarbeit sein. Daher müssen neue Mit-
arbeitsformen entwickelt werden, die
eine Öffnung der Parteien auch durch
neue Formen der Organisation unterstüt-
zen. Engagement für die Sozialdemokra-
tie muss auf verschiedene Weise und in
unterschiedlicher Intensität möglich sein.
Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig
Rückläufige MitgliederentwicklungAlle europäischen sozialdemokrati-
schen Parteien sind mit folgenden Trends
konfrontiert
Die Mitgliederzahl geht seit Jahren
zurück - die Entwicklung der britischen
Labour Party in den 90er Jahren ist hier
eine seltene Ausnahme. Die Parteien
altern zusehends; die Alterspyramide ver-
schiebt sich immer weiter nach hinten, da
nicht in ausreichendem Maße neue, jün-
gere Mitglieder in die Parteien eintreten.
Die Zahl der Mitglieder in der jüngeren
und mittleren Generation, die bereit sind,
politische Verantwortung und Führungs-
positionen zur übernehmen, nimmt ab.
Gibt es hier keine Trendwende, wird es
immer schwieriger, alle Funktionen und
Mandate qualifiziert zu besetzen.
Sinkendes Engagement und Mitglie-
derschwund führen aber auch dazu, dass
sich die Bindungskraft in die Gesellschaft
verändert. Diese Entwicklung berührt die
Wurzeln sozialdemokratischer Organisa-
tionskultur und Mehrheitsfähigkeit.
Verlust von Vertrauen in Politik Auch außerhalb der Mitgliedschaft ist
die Identifikation mit den Parteien in
Europa seit etwa 30 Jahren rückläufig.
Dieser Trend ist besonders bei jungen, hö-
her gebildeten sowie politisch interes-
sierten Menschen signifikant.
Sinkende Identifikation mit Parteien
bedeutet nicht zwangsläufig zurückge-
hendes Interesse an Politik. Rund 70 Pro-
zent aller Europäerinnen und Europäer
diskutieren häufig oder gelegentlich im
Freundeskreis über politische Themen.
Darüber hinaus engagieren sich immer
mehr Bürgerinnen und Bürger in Initiati-
ven und Aktionen außerhalb der traditio-
nellen Parteien. Allerdings ist dieses
Engagement sehr viel individueller, diver-
sifizierter und kurzfristiger als das oft auf
lange Zeit angelegte Engagement in
Parteistrukturen.
Parteien und Institutionen haben in
den letzten Jahren in der Bevölkerung an
Ansehen verloren haben. Viele Bürgerin-
nen und Bürger ziehen Kompetenz und
Willen der Parteien in Zweifel, wichtige
Zukunftsaufgaben aufzugreifen und zu
bewältigen. Die Gemeinwohlorientie-
rung von Parteien wird in Frage gestellt.
Sinkendes Vertrauen in Parteien und
Institutionen führt nicht unbedingt zu
einer Ablehnung der demokratischen
Grundordnung. Sinkendes Vertrauen kor-
reliert häufig mit wirtschaftlicher und
sozialer Verunsicherung der Bevölkerung.
Sinkende Wahlbeteiligung - SteigendeKomplexität von Politik
In allen westlichen Ländern ist die
Beteiligung der Bevölkerung an Parla-
76
2. Strukturprobleme sozialdemokratischer Parteien in Europa
Parteien des 21. Jahrhunderts
77
mentswahlen rückläufig. In den letzen 50
Jahren ist die Wahlbeteiligung in den
westeuropäischen Staaten im Schnitt um
etwa 10 Prozent gesunken. Dabei liegt die
Beteiligung an landesweiten Wahlen
immer noch an der Spitze, regionale und
lokale Wahlen bewegen deutlich weniger
Wählerinnen und Wähler an die Urne.
Die Gründe für immer häufigere Wahl-
enthaltsamkeit sind vielfältig. Wählerin-
nen und Wähler schrecken zunehmend
vor der Komplexität politischer Probleme
und Fragen zurück.
Die Stammwählerschaften der Par-
teien schmelzen immer weiter zusam-
men. Besser ausgebildete und politisch
interessiertere Bürgerinnen und Bürger
gehen ins Lager der Wechselwähler,
sozial schlechter gestellte wandern eher
in das Lager der Nichtwähler. Dies Ent-
wicklung trifft Sozialdemokraten in
besonderem Maße, da gerade ihre tradi-
tionellen Wählerschichten auf Distanz zu
Politik und die sie tragenden Institutio-
nen gehen.
Soll dies verhindert und darüber hin-
aus neue Ideen und Bevölkerungsgrup-
pen integriert werden, sind Konsequen-
zen notwendig. Konsequenzen für die
Programmatik, aber auch Konsequenzen
für die Organisation.
Erhalt der MitgliederparteiSozialdemokratische Parteien brau-
chen die Vielfalt und Kreativität ihrer Mit-
glieder- und Anhängerschaft. Die Öff-
nung für breite gesellschaftliche Grup-
pen hat ihren Wandel von reinen Arbei-
terparteien des 19. Jahrhunderts zu
modernen Volksparteien ermöglicht. Der
Wandel war Voraussetzung dafür, dass es
heute in der Mehrheit der westeuropäi-
schen Staaten sozialdemokratisch
geführte Regierungen gibt. Gut 150 Jahre
nach ihren Anfängen ist die Sozialdemo-
kratie die führende politische Kraft in
Europa.
Heute arbeiten in sozialdemokrati-
schen Parteien Angehörige vieler gesell-
schaftlichen Schichten und Gruppen mit
- Industriearbeiter und Wissenschaftler,
Handwerker und Kulturschaffende,
Arbeitnehmer und Unternehmer, Män-
ner und Frauen, Junge und Ältere. Eini-
gendes Band bleiben unsere Grundwerte
Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Eine Volkspartei muss mitten im Volk
sein. Nur so ist sicher, dass es einen Aus-
tausch von Ideen und Konzepten zwi-
schen Regierung, Parlamenten, Partei
und Bevölkerung gibt - einen Austausch
in beiden Richtungen. Unsere Mitglieder
3. Orientierung für sozialdemokratische Organisationspolitik
Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig
sind dabei das wichtigste Scharnier. Sie
sorgen dafür, dass unsere Parteien in der
Gesellschaft verwurzelt bleiben; sie brin-
gen sich und ihre Forderungen in den
Meinungsbildungsprozess ein und
gewährleisten, dass unsere Politik sich an
Interessen und Bedürfnissen der Men-
schen ausrichtet.
Nicht überall ist die Verankerung in der
Gesellschaft noch gegeben. Sie wieder
herzustellen, die Türen für neue Men-
schen und die Köpfe für neue Ideen weit
zu öffnen, ist Voraussetzung dafür, dass
Sozialdemokraten führende politische
Kraft bleiben. Den gesellschaftlichen
Wandel erkennen und aufnehmen, auf
der Höhe der Zeit sein, Organisation und
Programme immer wieder auf den Prüf-
stand stellen - wenn Sozialdemokraten
dies beherzigen, werden sie die neuen
Anforderungen gut bestehen.
Differenzierte Kompetenzen entwickelnFür den Erhalt als Mitgliederpartei, für
den professionellen Umgang mit den
Anforderungen der Mediengesellschaft
und für den Aufbau einer dienstlei-
stungsorientierten, lernbereiten Parteior-
ganisation müssen die sozialdemokrati-
schen Parteien Europas ein Bündel diffe-
renzierter Kompetenzen entwickeln. Sie
benötigen dafür:
• Programm- und Handlungskompe-
tenz, d.h.: in zentralen Politikfeldern
neue Optionen und Chancen aufneh-
men, Korridore für deren Realisierung
aufzeigen und konsequent in Regie-
rungshandeln umsetzen;
• Innovationskompetenz, d.h.: gesell-
schaftliche Trends frühzeitig aufgrei-
fen, diese Veränderungen rechtzeitig
analysieren und kontinuierlich auch in
politisches Handeln übersetzen;
• Dialogkompetenz, d.h.: Unterstützung
für Reformen durch Moderation und
Diskursorientierung erreichen;
• Kommunikationskompetenz, d.h.: Per-
sonen und Symbole für die Verbreitung
von Ideen und Werten nutzen;
• Organisationskompetenz, d.h.: gesell-
schaftliche Veränderungen in organisa-
torischen und institutionellen Struktu-
ren abbilden.
Professionalisierung der ParteiarbeitUm leistungsfähig zu sein, brauchen
moderne Parteien klare Informations-
und Entscheidungsstrukturen sowie
moderne Organisationselemente. Ihr
wichtigstes Kapital aber ist die Motiva-
tion und Qualifikation ihrer Mitarbeiter
und ehrenamtlichen Repräsentanten.
Gerade in Zeiten raschen Strukturwan-
dels benötigen sie regelmäßige Schulung
und Unterstützung. Qualifikation durch
Managementwissen, Kommunikations-
fähigkeit und Sachkompetenz sind dabei
zentrale Elemente.
78
Parteien des 21. Jahrhinderts
Aufbau einer DienstleistungskulturParteien müssen sich heute auch als
moderne Dienstleister verstehen. Dazu
zählen strategische Dienstleistungen für
die Arbeit von Partei und Fraktionen wie
etwa Beratung, Projektentwicklung
sowie konzeptionelle und programmati-
sche Entwürfe. Immer wichtiger werden
kommunikative Dienstleistungen wie
Pressearbeit, gekaufte Kommunikations-
kampagnen und hochwertige Materia-
lien zur Öffentlichkeitsarbeit. Das Mana-
gement der Partei muss organisationspo-
litische Dienstleistungen bieten: Beiträge
für die Qualifizierung von Mitgliedern
und Hauptamtlichen sowie Beratungs-
und Unterstützungsangebote für die
Untergliederungen.
Partei als intermediäre Organisation Dienstleister sein heißt für eine
moderne Partei auch, eine vermittelnde
Funktion zwischen verschiedenen politi-
schen Institutionen einerseits und der
Öffentlichkeit andererseits wahrzuneh-
men. Die Parteiorganisation ist Teil eines
Netzwerkes, das die Schwesterparteien
ebenso wie die Fraktionen,nahestehende
Verbände und Gewerkschaften, Par-
teigliederungen und die Regierungsmit-
glieder umfasst. Kommunikation wird
aber nicht nur zwischen politischen
Akteuren vermittelt, sondern auch mit
den Parteimitgliedern, den Medien und
den Wählern.
Öffnung der ParteiVoraussetzung für eine vermittelnde
Rolle sozialdemokratischer Parteien ist
ihre Offenheit gegenüber allen gesell-
schaftlichen Gruppen. Die Dialogfähig-
keit ist die Grundlage für Kompetenz zur
Innovation. Deshalb ist die Öffnung für
junge Menschen notwendig, für Men-
schen, die mit neuen Technologien und
neuen Formen der Wirtschaft arbeiten,
aber auch für all jene, die eine punktuelle
Mitarbeit, Projektarbeit oder Möglichkei-
ten zur befristeten Unterstützung einzel-
ner Ziele oder Personen suchen.
OnlinePartei werdenDabei können die neuen Informations-
und Kommunikationstechnologien, auch
das Internet, helfen. OnlinePartei zu sein
heißt nicht nur, eine eigene Visitenkarte im
weltweiten Netz vorzuzeigen: Es bedeutet
auch, einen direkten Zugang zu den eige-
nen Mitgliedern zu besitzen und damit
Informationen ohne den Filter der Medien
weitergeben zu können. Das Internet
ermöglicht eine schnellere, effizientere
Kommunikation innerhalb der Organisa-
tion und den Gewinn über ein Stück Deu-
tungshoheit über die eigene Politik.
Das Internet eröffnet die Chance, neue
Arbeits- und Organisationsformen zu ent-
wickeln. Diskussionsforen beispielsweise
bilden bereits heute eine nützliche Basis
für politischen Austausch mit Unterstüt-
zern und Gegnern sozialdemokratische
79
Dr. Volker Hauff und Matthias Machnig
80
Politik. Zusätzlich bietet das Internet aber
auch die Chance zur Selbstorganisation
von Interessen-, Fach-, Themen- oder Pro-
jektgruppen,die Mitglieder und NichtMit-
glieder zusammenführen können.
Aufbau von KompetenznetzwerkenKompetenznetzwerke werden immer
wichtiger als eine neue Form der Arbeit
im Vorfeld der politischen Organisatio-
nen. Politische Entscheidungen - etwa im
Bereich der Biotechnolgie oder der Ener-
giewirtschaft werfen heute ökonomi-
sche, ökologische, finanzielle, soziale und
ethische Fragen auf:Eine Partei kann aber
nicht mehr alles Wissen, das zur Lösung
komplexer Probleme notwendig ist,
bereit halten. Sie muss deshalb den
Anstoß dazu geben, all jene, die über
Kompetenz in Sachfragen verfügen, zur
Zusammenarbeit zu bringen.
Der rasche Strukturwandel fordert den
Sozialdemokraten Antworten auf neue
soziale Fragen ab. Die Veränderung der
Gesellschaftsstruktur erfordert aber auch
einen Wandel der Organisation, denn sie
haben organisatorische und institutio-
nelle Konsequenzen: Sozialdemokrati-
sche Parteien benötigen vielfältigere und
zugleich offenere Formen der Mitarbeit,
flexiblere Formen der Organisation und
der politischen Dienstleistungen und
professionelles kommunizieren in den
Medien. Darüber hinaus müssen Sozial-
demokraten neue Dialogformen für den
politischen Diskurs in unseren Gesell-
schaften entwickeln. Bei alle dem gilt:
Organisation ist Politik, programmati-
sche Arbeit hat organisatorische Voraus-
setzungen.
Organisationen, auch Parteien, sind
kein Selbstzweck. Sie werden Vertrauen
und Unterstützung gewinnen, wenn sie
offen in und für die Gesellschaft sind.
Dr. Volker Hauff ist Mitglied im Vorstand der KPMG - Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Matthias Machnig ist Bundesgeschäftsführer der SPD
http://www.spd.de
4. Organisation ist Politik
BRANDENBURGER STEHEN EIN FÜRTOLERANZ UND FREMDENFREUNDLICHKEIT.
Die Aktion „Brandenburg gegen Rechts“ entstand als Gegenreaktion aufdie vielen fremdenfeindlichen Übergriffe der vergangenen Jahre in Bran-denburg. Es ist höchste Zeit, dagegen Widerstand zu mobilisieren!
Darum haben sich in den letzten Wochen
eine ganze Reihe von Verbänden, unter ande-
rem die Falken, Jusos und die Landjugend zu
einer gemeinsamen Aktion entschlossen.
Mit Postkarten, T-Shirts, Ansteckern und Auf-
klebern dokumentieren wir im alltäglichen
Leben unsere Einstellung. Rechtsextremis-
mus darf nicht zur dominierenden Jugend-
kultur werden. Deshalb ist es notwendig,
dass alle Demokraten ihre Haltung auch sichtbar in der Öffentlichkeit dar-
stellen. Diese Materialien werden von dem Aktionsbündnis zu Selbstko-
stenpreisen an Interessierte abgegeben.
Ein weiteres wichtiges Projekt des Aktionsbündnisses ist das Internet-Por-
tal „Aktiv gegen Rechts“. Unter der Adresse http://www.aktiv-gegen-rechts.de finden sich jede Menge nützlicher Tipps für alle, die sich mit dem
Rechtsextremismus in Brandenburg und der Bundesrepublik näher
beschäftigen. Hierzu gehört in erster Linie eine umfangreiche Linksamm-
lung rund um das Thema Rechtsextremismus. Sie bietet vielfältige Hinter-
grundinformationen und aktuelle Hinweise zum Thema Rechtsextremis-
mus. Mittlerweile haben wir mehr als 36.000 Zugriffe auf unsere Seiten
gehabt. Daneben kann man unter der Adresse einen Newsletter abonnie-
ren. Alle Materialien können im Shop online bestellt werden.
Neugierig geworden? Dann schau einfach vorbei:
www.aktiv-gegen-rechts.de
Bislang erschienen:
1. Zukunft der brandenburgischen Hochschulpolitik*
2. Sozialer Rechtsstaat*
3. Informationsgesellschaft*
4. Verwaltungsreform*
5. Arbeit und Wirtschaft*
6. Rechtsextremismus*
7. Brandenburg - die neue Mitte Europas
8. Was ist soziale Gerechtigkeit?
9. Bildungs- und Wissensoffensive
10. Zukunftsregion Brandenburg
11. Wirtschaft und Umwelt
12. Frauenbilder
SPD-Landesverband Brandenburg, Friedrich-Ebert-Straße 61, 14469 PotsdamPVSt, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550
* leider vergriffen