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Copyright © ISD (2017). Institute for Strategic Dialogue (ISD) is a company limited by guarantee, registered office address PO Box 7814, London, W1C 1YZ. ISD is registered in England with company registration number 06581421 and registered charity number 1141069. All Rights Reserved. Any copying, reproduction or exploitation of the whole or any part of this document or attachments without prior written approval from ISD is prohibited. OCCI – INSIGHT REPORT MÄRZ 2018 Zwar haben wir erst den März 2018, doch in den ersten drei Monaten des Jahres ist (leider) schon einiges passiert. Daher ist es Zeit, euch als OCCI-Community über die neusten Entwicklungen in den Bereichen Extremismus und Online-Hass auf dem Laufenden zu halten. Im ersten Teil geben wir einen Einblick in die Aktivitäten rechtsextremer Gruppen im Kontext der italienischen Parlamentswahlen. Zudem enthält der Insight Report Sektionen über die aktuelle Plattformbenutzung islamistischer Gruppen und über koordinierte Hasskampagnen rechtsextremer Akteure in Deutschland. Abschließend gibt es, inspiriert von den neuen Zahlen zum Milieu der Reichsbürger, die Ende Januar veröffentlicht wurden, ein Experteninterview mit Jan Rathje von der Amadeu Antonio Stiftung, einem der kenntnisreichsten Experten zum Thema. Wem die Informationen im Interview noch nicht ausreichen, sei Jan Rathje’s exzellentes Buch „Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten. Vom Wahn des bedrohten Deutschen“ empfohlen. Wir hoffen, dass dieser Insight Report für euch in eurer alltäglichen Arbeit hilfreich sein wird und freuen uns wie immer über Rückmeldungen!

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OCCI – INSIGHT REPORT

MÄRZ 2018

Zwar haben wir erst den März 2018, doch in den ersten drei Monaten des Jahres ist (leider) schon

einiges passiert. Daher ist es Zeit, euch als OCCI-Community über die neusten Entwicklungen in den

Bereichen Extremismus und Online-Hass auf dem Laufenden zu halten. Im ersten Teil geben wir

einen Einblick in die Aktivitäten rechtsextremer Gruppen im Kontext der italienischen

Parlamentswahlen. Zudem enthält der Insight Report Sektionen über die aktuelle

Plattformbenutzung islamistischer Gruppen und über koordinierte Hasskampagnen rechtsextremer

Akteure in Deutschland. Abschließend gibt es, inspiriert von den neuen Zahlen zum Milieu der

Reichsbürger, die Ende Januar veröffentlicht wurden, ein Experteninterview mit Jan Rathje von der

Amadeu Antonio Stiftung, einem der kenntnisreichsten Experten zum Thema. Wem die

Informationen im Interview noch nicht ausreichen, sei Jan Rathje’s exzellentes Buch „Reichsbürger,

Selbstverwalter und Souveränisten. Vom Wahn des bedrohten Deutschen“ empfohlen. Wir hoffen,

dass dieser Insight Report für euch in eurer alltäglichen Arbeit hilfreich sein wird und freuen uns wie

immer über Rückmeldungen!

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OCCI - FOKUS:

PARLAMENTSWAHLEN IN ITALIEN

Am 4. März 2018 fanden in Italien vorgezogene Parlamentswahlen statt. Spätestens seitdem der

italienische Rechtsextremist Luca Traini Anfang Februar im zentralitalienischen Macerata bei einem

Anschlag gezielt auf dunkelhäutige Personen schoss (sechs Verletzte), stand das Thema Migration im

Zentrum des Wahlkampfs. Nach seiner Verhaftung gab Traini an, durch seine Tat den Mord an einer

18-jährigen rächen zu wollen, der angeblich von einem nigerianischen Drogendealer begangen

worden war. Kurz nach dem Angriff stellte sich heraus, dass der Täter, in dessen Privatwohnung die

italienische Polizei ein Exemplar von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ fand, im Vorjahr für die

rechtsextreme Lega Nord bei den Gemeinderatswahlen in Macerata angetreten war.1

Bei der Wahl zählten rechte Parteien zu den großen Siegern. Die Lega Nord erreichte mit 17,6% ein

starkes Wahlergebnis und überholte sogar noch Berlusconis Forza Italia. Zudem stimmten fast 6%

der Wähler für eine der neofaschistischen Parteien Fratelli d'Italia, Casapound oder Forza Nuova.2

Salvini und die Lega Nord sind, ähnlich wie die deutsche AfD sehr aktiv auf den Sozialen Medien.

Salvini hat über 1,8 Millionen Follower auf Facebook sowie 360,000 auf Twitter.

Figure 1: Mobilisierungs-Memes auf 4Chan: Lega-Chef Salvini als Alt-Right Meme Pepe

1 Associated Press. 2018. Italy shooting: Mein Kampf found in home of suspect.

https://www.theguardian.com/world/2018/feb/04/macerata-shooting-mein-kampf-found-in-home-of-suspect-italy-luca-traini 2 Kitzler, Jan-Cristoph. 2018. Hass als Strategie. http://faktenfinder.tagesschau.de/ausland/italien-wahl-rechte-

netzwerke-101.html

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Wie schon bei den Wahlen in den USA, Frankreich und Deutschland kam es zu Versuchen

rechtsextremer Trollgruppen, die Wahlen durch gezielte Kampagnen im Sinne rechter Parteien wie

der Lega und Fratelli d'Italia zu beeinflussen. Zunächst wurden dabei auf Messaging-Boards wie

4Chan und 8Chan Werbung für verschlüsselte Chat-Gruppen auf Telegram und Whatsapp betrieben,

wo anschließend Aktionen auf den größeren Sozialen Medien Plattformen geplant wurden. So

wurden intern beispielsweise glorifizierende Bilder und Videospiel-Memes des Attentäters Luca

Traini geteilt, die wenige Zeit später auf Facebook und Twitter in Diskussionen über

Immigrationspolitik auftauchten.

Figure 2: Videospiel Memes, die den rechtsextremen Attentäter Luca Traini glorfizieren

Die rechtsextremen Trolle standen dabei im direkten Austausch mit amerikanischen Alt-Right

Aktivisten und europäischen Rechtsextremen, um aus deren Erfahrungen mit Info-Ops-Taktiken aus

den Wahlen der letzten Jahre zu lernen. Allerdings verfehlten die italienischen Rechtsextremen ihr

Ziel, ihre Memes in den Top-Trends auf den großen Sozialen Medien Plattformen zu platzieren. Es ist

durchaus denkbar, dass die Unterstützung eines auf frischer Tat ertappten Attentäters schlicht zu

offen menschenverachtend war und daher im Mainstream der User Online keinen

Anknüpfungspunkt bilden konnte. Zudem könnte es denn rechten Trolls geschadet haben, dass sie

sich auf die benutzerfreundlichen Telegram und WhatsApp anstatt auf Discord beschränkt haben,

das deutlich besser dazu geeignet ist, verschiedene Chats in einem Server zusammenzubringen.3

3 Ebner, Julia und Jacob Davey. 2018. MAINSTREAMING MUSSOLINI. How the Extreme-right attempted to

“Make Italy Great Again” in the 2018 Italian Election. (Erscheint in Kürze)

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OCCI – TRENDS ISLAMISTEN:

PLATTFORMTRENDS

Da auf Facebook und Twitter die meisten pro-IS Accounts mittlerweile schnell gelöscht werden,

müssen die Jihadisten auf kleinere Plattformen zurückgreifen, die nicht in der Lage sind, die IS-

Accounts schnell zu erkennen und zu entfernen.

Die Messaging-App Telegram spielt weiterhin die zentrale Rolle für Anhänger des IS. Laut einem

Report von Forschern des “Program on Extremism” an der George Washington University sind die

folgenden fünf externen Seiten die von IS-Unterstützern am meisten verwendeten file-sharing sites.

1. Archive.org

2. Youtube.com

3. Top4top.net

4. Justpaste.it

5. Drive.google.com4

Auf Telegram werden häufig Links zu den auf diesen Seiten gespeicherten Materialien verschickt.

Neu ist vor allem die Erkenntnis, dass Internet Archive mittlerweile eine wichtigere Rolle für die

Speicherung jihadistischer Materialien spielt als Youtube. Die Forscher weisen darauf hin, dass,

wenn beispielsweise IS-Videos vom „al-Hayat Media Center“ über Telegram veröffentlicht werden,

diese Videos auf mehreren Plattformen verlinkt werden, damit das Material weiterhin zugänglich

bleibt, selbst wenn es auf einer dieser Plattformen entfernt wird.

Forscher an der University of Sussex kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Laut ihnen wird Twitter von

den Jihadisten vor allem dafür benutzt um Links zu knapp 40 anderen Seiten zu teilen. Dabei sind

Links zu YouTube, Google Drive, justpaste.it, IS eigenem Server, archive.org, und sendvid.com am

häufigsten.5

Inhaltlich ist dabei interessant, dass die wichtigen pro-IS Propaganda Telegram-Kanäle wie „Amaq

News Agency“, „Nashir News Agency“ und „Nashir“, welche die Reichweite der wenigen

verbleibenden offiziellen Propaganda-Seiten des Islamischen Staates zu erhöhen versuchen, sich

mittlerweile fast nur noch auf die militärischen Auseinandersetzungen mit den Feinden des IS

beschränken. In den vergangenen Jahren hatte sich ein Großteil der Inhalte, die der IS online

verbreitet hatte, vor allem auf die Darstellung der eigenen Staatsaufbau-Bemühungen und das

4 Alexander, Audrez. 2017. Digital Decay? Tracing Change over Time Among English-Language Islamic State

Sympathizers on Twitter. https://extremism.gwu.edu/sites/extremism.gwu.edu/files/DigitalDecayFinal_0.pdf 5 Elaine Edwards. 2017. Twitter ‘becoming less effective’ as platform for Islamic State.

https://www.irishtimes.com/news/ireland/irish-news/twitter-becoming-less-effective-as-platform-for-islamic-state-1.3186742

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vermeintlich utopische Leben im „Kaliphat“ konzentriert.6 Während Amaq vielen als der Kanal

bekannt sein wird, über den der IS seine Bekenntnisschreiben für Terrorangriffe veröffentlicht,

werden auf „Nashir News Agency“ und „Nashir“ die von regionalen IS-Gruppen selbst produzierten

Propaganda-Materialien gesammelt und verbreitet.7

„Rumiyah“, das Nachfolge-Magazin des bekannten zentralen IS-Propaganda Magazins „Dabiq“,

scheint hingegen mittlerweile überhaupt nicht mehr produziert zu werden.

6 HIS Markit. 2018. Islamic State Propaganda Now Focused on Perpetual War, Not State-Building Aspirations,

IHS Markit Says. https://www.businesswire.com/news/home/20180124005088/en/Islamic-State-Propaganda-Focused-Perpetual-War-State-Building 7 Winter, Charlie; Parker, Jade. 2018. Virtual Caliphate Rebooted: The Islamic State’s Evolving Online Strategy.

https://www.lawfareblog.com/virtual-caliphate-rebooted-islamic-states-evolving-online-strategy

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OCCI – TRENDS RECHTSEXTREME:

ONLINE-HASSKAMPAGNEN

Auf Basis unserer ethnografischen Recherchen in rechtsextremen Foren und Chatgruppen

identifizierten wir Schlüsselwörter und Hashtags, die im Zusammenhang mit koordinierten

Hasskampagnen in rechtsextremen Discord-Gruppen festgelegt und verwendet wurden.

Dabei identifizierten wir in den letzten Monaten drei große Hasskampagnen, die von

Rechtsextremen initiiert und koordiniert wurden: #Kikagate, #Kandelistueberall und #120dB.

Mithilfe des Digitalanalyseinstruments Crimson Hexagon, das linguistische Analysemöglichkeiten mit

Machine Learning kombiniert, konnten wir auch die Entwicklungen im Volumen solcher

koordinierter Kampagnen, also der Anzahl von Posts in Zusammenhang mit rechtsextremen

Hashtags und Schlüsselwörtern, untersuchen. Um dies aus einem längerfristigen Perspektive

einschätzen zu können, analysierten wir über 1,6 Mio. Posts im Zeitraum von Februar 2017-Februar

2018. Für diese Jahresanalyse haben wir die folgenden wiederkehrenden Hashtags und

Schlüsselwörter verwendet:

#120dB #Kandel #kandelistueberall Flüchtlingskriminalität #NetzDG #Zensur #120DEZIBEL

Merkelstan Remigration Grenzendicht #dergroßeaustausch halbneger Masseneinwanderung

Überfremdung Islamisierung Krimigranten Einzelfall Reconquista

Dabei stellten wir eine starke Zunahme Posts von Posts im Zusammenhang mit koordinierten

Hasskampagnen in sozialen Netzwerken (Twitter und öffentliche Facebook-Seiten) fest. Während es

zwischen Februar 2017 und November 2017 im Durchschnitt etwa 90.000 Hassposts pro Monat im

Zusammenhang mit rechtsextremistisch koordinierten Kampagnen gab, identifizierten wir zwischen

Dezember 2017 und Februar 2018 im Durchschnitt über 300.000 solcher Posts pro Monat.

Figure 3: Anzahl von Posts, die Teil von koordinierten rechstexremen Kampagen waren.

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Zum Jahreswechsel waren rechtsextreme Accounts besonders nach dem Bekanntwerden des

Kriminalfalls in Kandel am 27.12.2017 und zur Einführung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes

(NetzDG) zu Beginn des Jahres sehr aktiv in den Sozialen Medien. Die Anzahl der Post stieg daher vor

allem in den Tagen nach dem Fall in Kandel (28.-30.12.2017) und in den ersten Tagen des Jahres

(02.-05.01.2018) ungewöhnlich deutlich an. Unsere Analysen ergeben, dass die AfD-Politikerin

Beatrix von Storch, deren muslimfeindlicher Tweet über „über barbarische, muslimische,

gruppenvergewaltigende Männerhorden“ am ersten Januar von Twitter gesperrt wurde (was von

ihren Anhängern als Zensur und Symptom des NetzDG interpretiert wurde), und der damalige

Justizminister Heiko Maaß die am häufigste erwähnten Personen in diesem Zeitraum waren.

Figure 5: Entwicklung der Anzahl von Hassposts im Dezember 2017 – Februar 2018

Figure 4: Die häufigsten von Identitären verwendeten Hashtags im Januar/Februar 2018

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Figure 6: Meisverwendete Hashtags in den Tagen nach dem Kriminalfall in Kandel

Figure 7: Am häufigsten erwähnte Personen und Institutionen in den ersten Tagen des Jahres 2018

Ende Januar veröffentlichte eine Gruppe von weiblichen Aktivistinnen der rechtsextremen

„Identitären Bewegung“ ein Video, das den Startschuss zur #120db Kampagne gab. In dem Video

behaupten die Aktivistinnen, dass europäische Frauen durch die die Einwanderungspolitik der

Bundesregierung nicht mehr sicher in der Öffentlichkeit bewegen könnten und daher stets einen

Taschenalarm bei sich tragen müssten.

„120 Dezibel ist die Lautstärke eines handelsüblichen Taschenalarms, den heute viele Frauen

bei sich tragen. 120 Dezibel ist der Name unseres Aufschreis gegen importierte Gewalt. Mach

mit und erzähle unter #120db von deinen Erfahrungen mit Überfremdung, Gewalt und

Missbrauch.“ 8

8 http://www.120db.info/

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Figure 8: Meisverwendete Hashtags in den Tagen nach dem Beginn der #120db Kampagne

Zwar erreichte #120db nicht die Aufmerksamkeit und das Volumen an Posts, dass der Kriminalfall in

Kandel oder die Einführung des NetzDG erreicht hatten, aber dennoch war der Hashtag der

Kampagne Ende Januar und Anfang Februar der meistverwendete Hashtag in unserem Sample

rechtsextremer Posts.

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OCCI – INTERVIEW:

„REICHSBÜRGERBEWEGUNG“

Im Interview mit Jan Rathje OCCI: In der Medienberichterstattung hört man immer wieder von den sogenannten

„Reichsbürgern“, dennoch werden viele Leute sich nicht besonders gut mit ihnen auskennen. Daher

das wichtigste zuerst: wer sind die „Reichsbürger“ und woran glauben sie?

Jan Rathje: Das sehr heterogene und zersplitterte Milieu von „Reichsbürgern“, „Selbstverwaltern“

und „Souveränisten“ wird geeint durch die verschwörungsideologische Vorstellung, dass die

Deutschen durch eine fremde Macht beherrscht werden würden. Aus diesem Grund behaupten sie,

die Bundesrepublik Deutschland sei kein richtiger oder souveräner Staat, sondern eine Firma („BRD

GmbH“), eine Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) oder ein Marionettenregime der Alliierten oder

der Juden. Ein Teil des Milieus ist davon überzeugt, dass ein Deutsches Reich weiterhin bestehen

würde, welches nur von der BRD verdeckt werden würde. Diese Menschen bezeichnen sich selbst als

„Reichsbürger“. Dazu zählen seit Gründung der BRD Rechtsextreme, aber auch Menschen, die zuvor

nicht in rechtsextremen Organisationen (NPD, Wiking-Jugend, Kameradschaften, o. ä.) aktiv

gewesen sind; dennoch gibt es personelle und informelle Überschneidungen. Dieses Submilieu will

ein Deutsche Reich wiederherstellen. Ein Teil glaubt dies durch die Bildung von Reichsregierungen

bereits voran zu treiben.

„Selbstverwalter“ weisen einen starken US-amerikanischen Einfluss der „sovereign citizens“ und der

„freemen on the land“ auf. Sie bilden keine „Reichsregierungen“, sondern stellen sich unter

Selbstverwaltung oder rufen eigene Staaten auf ihrer Wohnfläche aus. Die bewaffneten Konflikte

zwischen der Polizei und dem Milieu, bei dem mehrere Menschen zum Teil schwer verletzt und ein

Polizist getötet wurde, ereigneten sich mit „Selbstverwaltern“.

„Souveränisten“ bilden ein Scharnier zwischen bürgerlicher Mitte, der „Neuen Rechten“,

Rechtspopulisten und dem Rechtsextremismus. Sie behaupten lediglich, die Bundesrepublik

Deutschland sei kein souveräner Staat. Damit äußern sie sich nicht zur Existenz eines Deutschen

Reiches, spielen aber ebenfalls auf das Verschwörungsnarrativ von der Fremdherrschaft über die

Deutschen an.

OCCI: Seit wann gibt es diese Bewegung?

Jan Rathje: Die rechtsextremen Ursprünge des Milieus existieren bereits seit Gründung der BRD.

Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten aus dem Umfeld von Vertriebenenverbänden und der

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Sozialistischen Reichspartei versuchten bereits in den Nachkriegsjahren das Deutsche Reich

wiederherzustellen. Innerhalb des klassisch organisierten Rechtsextremismus, etwa in der NPD,

existiert dieses Bestreben fort – allerdings seit den 1980er Jahren nicht mehr als ein zentrales

Anliegen.

Zu Beginn der 1980er Jahre wurde dieses Vorhaben dann vom ehemaligen Westberliner

Reichsbahnmitarbeiter Wolfgang Ebel aufgegriffen, der das Bild des heutigen „Reichsbürgers“

prägte. Er bildete mit seiner „Kommissarischen Reichsregierung“ die Grundlage für alle

nachfolgenden Gruppen, die der Überzeugung sind, als „Reichsregierung“ zu handeln.

OCCI: Wer sind die Schlüsselfiguren der Bewegung? Und gibt es zentrale Werke und Schriften

bestimmter Autoren, auf welche sich die „Reichsbürger“ beziehen?

Jan Rathje: Innerhalb des klassisch organisierten Rechtsextremismus nehmen Menschen eine

zentrale Position ein, die seit den 1990er Jahren verstärkt durch Revisionismus und

Holocaustleugnung aufgefallen sind: Manfred Roeder, Ernst Otto Remer, Reinhold Oberlercher,

Sylvia Stolz und Horst Mahler. Aus dem Submilieu der „Selbstverwalter“ sind die prominentesten

Personen – auf Grund des gestiegenen Repressionsdrucks von Seiten der Bundesrepublik – derzeit

nahezu alle im Gefängnis oder vor Gericht. Dies gilt etwa für Peter Fitzek, Adrian Ursache und

Rüdiger Hoffmann. Als bekanntester „Souveränist“ dürfte Jürgen Elsässer gelten, Herausgeber und

Chefredakteur des verschwörungsideologischen Querfrontmagazins Compact.

Wichtiger als gedruckte Werke sind für das Milieu insgesamt eher Webseiten, über die eine Identität

als von der „jüdischen/zionistischen Weltverschwörung“ unterdrückte Deutsche und

Scheinargumente im Kampf gegen die BRD angeboten werden. Es existieren aber eine Menge

Bücher über die vermeintliche „BRD GmbH“, die über die gängigen Internethandelsplattformen oder

als illegale PDF-Downloads erhältlich sind.

OCCI: Wie weit sind die Ideen der „Reichsbürger“ verbreitet? Was ist das ungefähre

Personenpotential dieser Gruppen? Und lässt sich vielleicht sogar ein bestimmtes Profil unter den

Anhängern der „Reichsbürger“-Ideologie erkennen?

Jan Rathje: Über den Verbreitungsgrad der ideologischen Versatzstücke lässt sich bisher nichts

Genaues feststellen. Gleiches gilt für die soziale und ökonomische Struktur des Milieus. Hier fehlen

bisher wissenschaftliche Studien. Einzig die Verfassungsschutzbehörden des Landes und des Bundes

machen dazu Angaben. Der letzten Schätzung des Bundesamtes (Stand: 31.12.2017) zufolge zählen

16.500 Menschen zu diesem Milieu. Auch soll es sich nach Angaben des Landesamtes Brandenburg

vornehmlich um gescheiterte ältere Männer handeln. Aber diese Angaben müssen noch durch

sozialwissenschaftliche Studien belegt werden. Es stellt sich die Frage, wie hoch die Zustimmung –

etwa zur Behauptung, dass eine Verschwörung gegen die Deutschen im Gange sei – bei Menschen

ist, die aus taktischen Gründen noch ihre BRD-Ausweisdokumente besitzen und Steuern zahlen.

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OCCI: Wie organisieren sich die „Reichsbürger“? Welche Rolle spielen Internet und Soziale Medien

für sie? Gibt es spezielle Gruppen, Plattformen, auf denen sie besonders aktiv sind?

Jan Rathje: Das Internet spielt eine herausragende Rolle innerhalb des Milieus. Man darf aber auch

den Einfluss von analogen Veranstaltungen (Konferenzen, Stammtische, Vorträge und Schulungen)

nicht unterschätzen. Facebook ist für diejenigen von Bedeutung, die sich nicht offen zum

nationalsozialistischen Deutschen Reich bekennen wollen. Sie finden sich in „Widerstands“-,

Esoterik- und verschwörungsideologischen Gruppen zusammen. Dort verbreiten sie ihre Propaganda

und bestärken sich wechselseitig in ihrer Identitätskonstruktion. Da das Milieu allerdings sehr

heterogen ist, existieren ergänzend und parallel lockere Netzwerke auf eigenen Servern.

Der harte Kern, der seinen Antisemitismus und/oder Neonazismus offen ausleben möchte, bleibt im

russischen Radikalisierungsnetzwerk vkontakte unter sich. Dem allgemeinen rechtsradikalen Trend,

sich in eigenen geschlossenen Gruppen, etwa auf Discord, zu organisieren, folgen auch Teile des

Milieus.

OCCI: Wie ist das Verhältnis zu anderen rechtsextremen Bewegungen? Wie werden die

„Reichsbürger“ innerhalb der rechtsextremen Szene wahrgenommen?

Jan Rathje: „Reichsbürger“ in der Tradition Wolfgang Ebels werden von Rechtsextremen

vornehmlich als Spinnerfraktion wahrgenommen. Dennoch haben sie ein ambivalentes Verhältnis zu

den „Reichsbürgern“. Einerseits ist ihre Unterstützung beim „Widerstand“ gegen die BRD wichtig,

andererseits will man sich auch nicht allzu offen mit ihnen zeigen. Gleiches gilt für „Selbstverwalter“.

Anders sieht es mit den klassisch rechtsextrem organisierten „Reichsbürgern“, wie etwa Horst

Mahler, aus. Abgesehen von den gewöhnlichen Querelen im deutschen Rechtsextremismus

genießen sie ein hohes Ansehen. Ähnlich verhält es sich mit „Souveränisten“, die enge Verbindungen

zur „Neuen Rechten“ unterhalten oder sogar Teil davon sind.

OCCI: Was sind die konkreten Ziele der „Reichsbürgerbewegung“ und wie planen ihre Anhänger,

diese zu erreichen? Wie ist das Verhältnis zur Gewalt?

Jan Rathje: Als gemeinsames Ziel ließe sich für das Milieu das Bestreben festhalten, die Deutschen

von der eingebildeten Fremdherrschaft befreien zu wollen. Ein Teil des Milieus versucht darum, das

Deutsche Reich durch Drohbriefe gegen Beamtinnen und Beamte, das „zuspammen“ von

Verwaltungen durch überdurchschnittlich umfangreiche Schreiben („paperterrorism“),

Siedlungsprojekte auf dem ehemaligen Reichsgebiet (Kaliningrad) oder Terroranschläge (Manfred

Roeder, der „Druide“ Karl Burghard B.) wiederherzustellen. Andere wollen zunächst sich selbst

befreien, indem sie sich zu Souveränen oder freien Menschen, oder ihr Grundstück zu einem

eigenen Staatsgebiet erklären. Wenn dann jedoch auf Grund von Schulden gegenüber der

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Bundesrepublik Deutschland eine Zwangsvollstreckung ansteht, glauben sie, wie ein Staat handeln

zu dürfen. Das heißt, sich mit Waffengewalt gegen fremde, bewaffnete Kräfte zur Wehr zu setzen. So

war die Situation im Jahr 2016 in Sachsen-Anhalt und in Bayern, als die Lage so weit eskalierte, dass

die Polizisten und zumindest ein „Selbstverwalter“ aus dem Milieu Schusswaffen einsetzten.

OCCI: (Wie) kann Gegenrede bei Personen funktionieren, die derartig bizarren Theorien anhängen?

Glauben Sie, dass Interventionen der Zivilgesellschaft in Form von Aufklärung, Fakten-Checks und

Dialogangeboten Reichsbürger erreichen können?

Jan Rathje: Im Kern handelt es sich bei diesem Milieu um ein verschwörungsideologisches.

Verschwörungsideologien haben für ihre Anhänger/innen vier Funktionen, wie der

Politikwissenschaftler und Verfassungsschützer Armin Pfahl-Traughber herausgearbeitet hat:

Identität, Welterklärung, Manipulation von anderen sowie Legitimation eigener Taten oder eigenen

Scheiterns. Aufklärung und Fakten-Checks sind wichtig, um Dritte über die menschenfeindlichen

Inhalte des Milieus aufzuklären. Diese Handlungsoptionen wendet sich jedoch nur gegen die

Welterklärungsfunktion von Verschwörungsideologien. Wichtiger für die Anhänger/innen ist jedoch

die bereitgestellte Identität als betrogene Deutsche, die sich gegen das Böse zur Wehr setzen. Es

geht in der Auseinandersetzung nicht um das bessere Argument, oder darum zu entlarven, dass die

Behauptungen dieser Menschen falsch sind. Sie werden Fakten-Checks immer einen eigenen Fakten-

Check entgegensetzen, oder diese schlicht als „Fake News“ bezeichnen.

Man darf den irrationalen Anteil an der Identitätsfunktion nicht unterschätzen. Der Vergleich zu

Psychogruppen oder Sekten ist für das Verständnis dieser Milieus hilfreich.

Verschwörungsideologinnen und -ideologen können keine Widersprüche ertragen, die jedoch

innerhalb moderner Gesellschaften notwendigerweise entstehen. Aus diesem Grund unterteilen sie

alles vereinfachend in Gut und Böse. Dies verschafft ihnen ein Gefühl von Sicherheit und

Eindeutigkeit. Wie solch ein Weltbild wieder empfänglich für Ambivalenzen und Widersprüche wird

ist gerade bei älteren Menschen eine offene Frage. Als kurzfristige Maßnahme ist es wichtig, solchen

Äußerungen Widerspruch entgegen zu setzten, um Grenzen aufzuzeigen. Bei jungen Menschen

können bestimmte Erziehungsmethoden wirken, die ihre Toleranz für Widersprüche und

Ambivalenzen fördern.

OCCI: Vielen Dank für das Gespräch!